Verhaltenstherapie und Jugendhilfe

Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, 37 (5), 2009, 461–468 Z. Kinder-Jugendpsychiatr. Psychother. D.37 Nitkowski (5) © 2...
Author: Maria Hochberg
0 downloads 1 Views 121KB Size
Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, 37 (5), 2009, 461–468

Z. Kinder-Jugendpsychiatr. Psychother. D.37 Nitkowski (5) © 2009 et by al.:VVerhaltenstherapie erlag Hans Huber, Hogrefe und Jugendhilfe AG , Bern

http://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1422-4917.37.5.461 - Wednesday, August 24, 2016 5:02:13 AM - Universität Bremen IP Address:134.102.103.150

Originalarbeit

Verhaltenstherapie und Jugendhilfe Ergebnisse zur Optimierung der Versorgung aggressiver Kinder Dennis Nitkowski1, Franz Petermann1, Peter Büttner2, Carsten Krause-Leipoldt2 und Ulrike Petermann1 1

Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation der Universität Bremen 2 Haus Petra, Kinder- und Jugendhilfe, Schlüchtern

Zusammenfassung. Fragestellung: Im Setting einer Jugendhilfe-Einrichtung wurde das Training mit aggressiven Kindern (TAK; Petermann & Petermann, 2008) in das Betreuungskonzept (KJH) integriert. Ziel dieser Studie war es, Effekte der Kombination beider Interventionen (KJH + TAK) nach sechs Monaten mit denjenigen des TAK alleine zu vergleichen, um zu klären, wie die Versorgung aggressiver Kinder in der Jugendhilfe optimiert werden kann. Methodik: Es nahmen 25 verhaltensauffällige Kinder (24 Jungen, ein Mädchen) im Alter von 7;6 bis 13;0 Jahren an der Studie teil. Ergebnisse: Auf den Skalen der Child Behavior Checklist (CBCL) gaben Eltern für die kombinierte Maßnahme eine starke Abnahme des aggressiv-delinquenten Verhaltens und der sozialen Probleme an; im Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ-E) verringerten sich Verhaltensprobleme und Schwierigkeiten mit anderen Kindern deutlich. In der KJH + TAK-Maßnahme zeigten sich gegenüber der TAK-Gruppe stärkere Effekte in den Bereichen Verhaltensauffälligkeiten, Aufmerksamkeitsprobleme, soziale Probleme und delinquentes Verhalten. Schlussfolgerungen: Die Kombination von Jugendhilfe und Aggressionstraining scheint ein breiteres Spektrum an Auffälligkeiten effektiver zu reduzieren als das TAK alleine, so dass durch eine Verknüpfung die Versorgung aggressiver Kinder beachtlich verbessert werden kann. Schlüsselwörter: kognitiv-behaviorale Intervention, Jugendhilfe, Störung mit Oppositionellem Trotzverhalten, Störung des Sozialverhaltens, Effektivitätsstudie

Abstract: Behaviour therapy and child welfare – results of an approach to improve mental health care of aggressive children Objective: The Training with Aggressive Children (Petermann & Petermann, 2008) was integrated into the setting of a child welfare service. This study examined, if mental health care of aggressive children in child welfare settings can be improved, compared the effectiveness of a combination of the training and child welfare intervention after six months with effects of the TAK. Method: 25 Children with conduct problems (24 boys, one girl) aged 7;6 to 13;0 years participated in the study. Results: A pretest-follow up comparison of parent ratings on the Child Behavior Checklist (CBCL) documented a large reduction of aggressive-delinquent behaviour and social problems in the training and child welfare group. Furthermore, conduct and peer relationship problems decreased essentially on the Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ). By reducing conduct, attention and social problems, and delinquent behaviour, the therapeutic outcome of the training and child welfare group was clearly superior to training group. Conclusions: In comparison to the training, the combination of child welfare and training seemed to reduce a wider range of behavioural problems more effectively. This indicates that combined intervention programs can optimize mental health care of aggressive children. Keywords: cognitive-behavioural therapy, child welfare service, oppositional defiant disorder, conduct disorder, effectiveness study

Einleitung Aggressiv-oppositionelle Störungen gehören zu den häufigsten psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter (Petermann, 2005). Das hohe Vorkommen solcher Störungsbilder, die im DSM-IV als Störung des Sozialverhaltens (SSV) oder Störung mit Oppositionellem Trotzverhalten (SOT) klassifiziert werden, stellt eine enorme HerausDOI 10.1024/1422-4917.37.5.461

forderung an die Gesundheitsversorgung dar. Berücksichtigt man, dass die Kriterien einer SSV auch delinquente Verhaltensweisen umfassen und 2/3 der Kinder mit einer SSV im Alter von bis zu 12 Jahren bereits drei oder mehr Symptome einer antisozialen Persönlichkeitsstörung aufweisen (Habermeyer & Herpertz, 2006; zur Psychopathie im Kindesalter: Koglin & Petermann, 2007), wird deutlich, wie groß ein therapeutischer Handlungsbedarf ist.

Z. Kinder-Jugendpsychiatr. Psychother. 37 (5) © 2009 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern

http://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1422-4917.37.5.461 - Wednesday, August 24, 2016 5:02:13 AM - Universität Bremen IP Address:134.102.103.150

462

D. Nitkowski et al.: Verhaltenstherapie und Jugendhilfe

In einer Übersicht stellten Keil und Price (2006) für den angelsächsischen Raum fest, dass in Jugendhilfe-Einrichtungen die Prävalenzraten von Kindern und Jugendlichen mit offen aggressiven, feindseligen und trotzigen Verhalten zwischen 20 bis 78 % liegen; der Durchschnitt belief sich auf 42 %. Schmid et al. (2008) konnten in ihrer Studie an 20 deutschen Jugendhilfe-Einrichtungen und insgesamt 464 betreuten Kindern und Jugendlichen am häufigsten die ICD-10-Diagnosen «Störung des Sozialverhaltens/kombinierte Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen» (F91 + F92: 24.8 %) stellen. Zu diskutieren ist, wie diesem Aufkommen an aggressiv-oppositionellen Kindern in der Inanspruchnahme-Population der Jugendhilfe zu begegnen ist, und ob kurzfristige psychotherapeutische Interventionen in der Jugendhilfe oder reine Jugendhilfe-Maßnahmen jeweils alleine den Kindern gerecht werden können. Um dem Versorgungsanspruch auch im Falle aggressiver Kinder gerecht zu werden können, bietet sich die Umsetzung von umfassenderen Programmen in der Jugendhilfe an, die therapeutische und sozialpädagogische Methoden miteinander verknüpfen. In kürzlich erschienenen Studien von Petermann et al. (2008a,b) wurde das Training mit aggressiven Kindern (in der Version von 2008) in eine Jugendhilfe-Maßnahme integriert. Es zeigte sich, dass Kinder, die am Training mit aggressiven Kindern (TAK) teilnahmen und in Maßnahmen zur Jugendhilfe eingebunden waren, kurz nach Abschluss des Trainings stärkere Verbesserungen gegenüber dem Ausgangsniveau aufweisen als diejenigen, die ausschließlich eine Jugendhilfe-Maßnahme erhielten. Im Vergleich verringerten sich soziale Probleme und Verhaltensauffälligkeiten deutlich stärker, wobei der zusätzliche Einsatz des TAK hauptsächlich in einer intensiveren Förderung von Ressourcen, wie Einfühlungsvermögen und prosozialem Verhalten, bestand. Obwohl diese Befunde, den kombinierte Ansatz als wirkungsvoller auszeichnen als die reine Jugendhilfe-Maßnahme, bleibt die Frage offen, ob solche kombinierten Maßnahmen wirklich effektiver sind als reine psychotherapeutische Angebote, die in der Jugendhilfe realisiert werden können. Würde eine Maßnahmen-Kombination keine zusätzlichen Effekte liefern, wäre eine Psychotherapie aggressive Kinder im Setting der Jugendhilfe hinreichend. In der vorliegenden Arbeit soll geprüft werden, ob das TAK in Kombination mit einer sozialpädagogisch orientierten Jugendhilfe-Maßnahme Verhaltensauffälligkeiten deutlich stärker reduziert als das TAK alleine, wenn das Ausgangsniveau betroffener Kinder mit dem Zustand sechs Monate nach Abschluss der jeweiligen TAK-Intervention betrachtet wird. Als Referenz werden die Ergebnisse einer früheren Studie herangezogen, welche die langfristige Wirksamkeit des TAK an einer Gruppe von Kindern in einer Erziehungsberatungsstelle untersuchte (Petermann et al., 2007). Sollten sich unter dem kombinierten Ansatz Effekte zeigen, die deutlich über diejenigen des verhaltenstherapeutischen Programms hinausreichen, liegen Hinweise vor, wie die Versorgung aggressiver Kinder in der Jugendhilfe optimiert werden könnte. Es wird erwartet, dass

die Verknüpfung von Jugendhilfe und TAK eine höhere Effektivität erreicht als die Einzelmaßnahme TAK.

Methodik Interventionen Jugendhilfe Kinder- und Jugendhilfe-Maßnahmen (KJH) sind zur Unterstützung von Sorgeberechtigten einzuleiten, wenn diese nur eingeschränkt in der Lage sind, für das Wohl sowie für die individuelle und soziale Entwicklung ihrer Kinder zu sorgen. Die übergeordneten Ziele von Jugendhilfe-Maßnahmen bestehen in der Hilfe zur Erziehung und Eingliederungshilfe (nach § 35a SGB VIII). Diesem Auftrag wird mit drei Konzepten entsprochen: Auf ambulanter Ebene werden den Erziehungsberechtigten Leistungen in Form von Beratungen angeboten, die Hilfe bei der Bewältigung von Krisen und Konflikten im familiären oder schulischen Bereich bieten. Eine teilstationäre Versorgung (Tagesgruppe) zielt auf die Förderung einer normativen Persönlichkeitsentwicklung und ermöglicht den Kindern in Gruppen das Erlernen sozialer Konventionen. Liegt der Verdacht oder der Nachweis unzureichender elterlicher Kompetenz vor, durch die das Wohl des Kindes in einem starken Ausmaß bedroht scheint, kann eine stationäre Heimunterbringung des Kindes notwendig sein. Hier wird den Kindern eine umfassende Betreuung zu teil, während mit den Eltern Erziehungskompetenzen aufgebaut oder gestärkt werden (vgl. Koglin & Petermann, 2008).

Training mit aggressiven Kindern Das Training mit aggressiven Kindern von Petermann und Petermann (2008) stellt eine kognitiv-verhaltenstherapeutische Maßnahme dar, die darauf abzielt, aggressiv-oppositionelles Verhalten durch den Aufbau sozial angemessenen Verhaltens zu reduzieren. Das TAK wurde für Kinder im Alter von sechs bis zwölf Jahren konzipiert, die nach DSM-IV eine SOT oder eine SSV ohne ausgeprägte delinquente Symptomatik aufweisen (siehe auch Petermann & Petermann, 2007). Das TAK wurde als Kompakttraining entwickelt, das heißt, es möchte, wesentliche Veränderungen in einem kurzen Zeitraum erzielen. Das Erlernen und Vertiefen sozial kompetenter Verhaltensweisen erfolgt im Rahmen von Einzel- und Gruppensitzungen, die durch eine umfassende Elternberatung unterstützt werden. Die Einzelsitzungen sind auf acht bis 13 Sitzungen festgelegt; nach dieser Phase schließen sich sechs bis zwölf Gruppensitzungen an. Die Arbeit mit den Eltern soll Bedingungen im familiären Kontext schaffen, die die Umsetzung, Generalisierung und Stabilisierung der neu erlernten Verhaltensweisen fördern.

Z. Kinder-Jugendpsychiatr. Psychother. 37 (5) © 2009 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern

D. Nitkowski et al.: Verhaltenstherapie und Jugendhilfe

http://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1422-4917.37.5.461 - Wednesday, August 24, 2016 5:02:13 AM - Universität Bremen IP Address:134.102.103.150

Stichproben 13 Kinder (12 Jungen und 1 Mädchen) im Alter von 7;6 bis 13;10 Jahren (M = 9;6; SD = 1.63), die aus einer Erziehungsberatungsstelle im Großraum Dortmund rekrutiert wurden, absolvierten das Training (TAK, vgl. Tabelle 1). Bei zwölf Kindern (92 %) lag eine SOT nach DSM-IV vor. Fünf Kinder (39 %) wiesen entsprechend DSM-IV eine SSV auf, von denen vier mindestens zusätzlich die Kriterien einer SOT erfüllten. Eine Aufmerksamkeits-/Hyperaktivitätsstörung nach DSM-IV (ADHS) fand sich bei elf Kindern (85 %). ADHS trat in zehn der elf Fälle in Kombination mit SOT und SSV und nur bei einem Kind alleine mit einer SSV auf. Tabelle 1 Beschreibung der Stichproben TAK

KJH + TAK

Umfang

13

12

Geschlecht männlich

12

12

weiblich

1

0

Altersdurchschnitt

9;6 Jahre

10;2 Jahre

DSM-IV-Diagnosen I.

SOT

2 (15 %)

2 (17 %)

II.

SOT und SSV

0

2 (17 %)

III.

SOT und SP

0

1 (8 %)

IV.

SOT und ADHS

6 (46 %)

2 (17 %)

V.

SSV und ADHS

1 (8 %)

1 (8 %)

VI. SOT, SSV und ADHS 4 (31 %) 4 (33 %) TAK = Training mit aggressiven Kindern; KJH = Kinder- und Jugendhilfe-Maßnahme; SOT = Störung mit Oppositionellem Trotzverhalten; SSV = Störung des Sozialverhaltens; SP = Soziale Phobie; ADHS = Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung.

Zwölf Jungen im Alter von 8;1 bis 11;6 Jahren (M = 10;2; SD = 1.01) nahmen in einer Kinder- und Jugendhilfe-Einrichtung in Schlüchtern an Jugendhilfe-Maßnahmen und dem Training teil (KJH + TAK). Bei elf Kindern (92 %) ließ sich die DSM-IV-Diagnose einer SOT stellen, bei sieben (58 %) die einer SSV. Beide Störungsbilder lagen bei sechs Jungen (50 %) in Kombination vor. Sieben Kinder (58 %) wiesen entsprechend dem DSM-IV eine weitere Störung auf, die in vier Fällen zusätzlich zu SOT und SSV, in zwei zusätzlich zu SOT und nur in einem Fall zusammen mit SSV auftrat. Bei einem Jungen konnte eine SOT mit einer Sozialen Phobie diagnostiziert werden. Alle zwölf Kinder waren den Erhebungszeitraum über in die Maßnahmen der Jugendhilfe-Einrichtung eingebunden. Dort wurden neun Kinder mit dem Konzept «Tagesgruppe» (75 %), zwei mit demjenigen der «Ambulanten Hilfe» (17 %) und eine Person mit jenem der «Heimbetreuung» (8 %) betreut. Diejenigen Kinder, bei denen die Diagnose einer ADHS gestellt werden konnte, unterzogen sich vor und über den

463

Erhebungszeitraum einer medikamentösen Therapie, die sich hauptsächlich auf Methylphenidat-Präparate stützte. Die TAK-Gruppe wurden anhand folgender täglicher Medikation und Dosierung behandelt: Ritalin® (5–10 mg), Concerta® (18 mg), Equasym® (10–15 mg), Medikinet® (10 mg) und Strattera® (50 mg). Die Kinder der KJH + TAK-Gruppe erhielten: Concerta® (18 mg), Equasym® (10 mg) und Medikinet® (10 mg). Es fanden mehrere Wechsel der Medikamente statt. Die Effektivität des Trainings über den Prätest-Posttest-Zeitraum wurde durch Psychostimulanzien nicht nachhaltig beeinflusst (vgl. Nitkowski et al., 2009). Ursprünglich wurden in die KJH + TAK-Maßnahme 14 Kinder einbezogen. Unter der Setzung eines Grenzwertes von höchstens 10 % an fehlenden Werten pro Skala mussten zwei Kinder (14 %) aus der Studie genommen werden. Die TAK-Stichprobe bestand aus 17 Kindern, von denen zwei das gesetzte Kriterium nicht erfüllten (12 %) und zwei die Maßnahme vorzeitig abbrachen (12 %).

Studiendesign Das Design umfasst zwei Interventionsgruppen: Eine Gruppe nahm an der kombinierten Intervention von Jugendhilfe-Maßnahme und TAK teil (KJH + TAK), die zweite absolvierte ausschließlich das TAK. Erhebungen fanden zum Prätest (t1), zum Posttest (t2) und sechs Monate nach Abschluss des Trainings zum Follow-up (t3) statt, wobei in der TAK-Gruppe keine Messung zu t2 durchgeführt wurde. Tabelle 2 gibt das Design mit den eingesetzten dimensionalen Erhebungsinstrumenten wieder. Die kombinierte Intervention TAK + KJH wurde in einer Jugendhilfe-Einrichtung in Schlüchtern realisiert. Verhaltensauffällige Kinder, die sich bereits in der Jugendhilfe-Einrichtung befanden oder gerade neu in diese aufgenommen worden waren, wurden zum t1 von ihren Eltern anhand mehrerer Fragebögen (CBCL, SDQ-E) eingeschätzt. Die DSM-IV-Diagnosen wurden durch Elterninterviews (Kinder-DIPS) erhoben, die von in der Institution tätigen Psychologen durchgeführt wurden. Diejenigen Kinder, die nach DSM-IV die Diagnosekriterien einer SSV und/oder SOT und keine der zwei explizit ausgeschlossenen Diagnosen erfüllten, wurden in die KJH + TAK-Gruppe aufgenommen. Diese Kinder nahmen an dem Training teil und absolvierten dieses in einem Zeitrahmen von fünf Monaten. Die Umsetzung übernahmen erfahrene und in der Durchführung des TAK geschulte Pädagogen und Psychologen, die in der Jugendhilfe-Einrichtung tätig waren. Die Therapeuten wurden bei Bedarf supervidiert. Während des Interventionszeitraums waren die Kinder in die Betreuungskonzepte der Jugendhilfe (Tagesgruppe, ambulante Hilfe oder Heimbetreuung) eingebunden. Kurze Zeit nach Abschluss des Trainings erfolgte zu t2 eine Posttest-Messung auf der Basis der bereits eingesetzten Fragebögen; sechs Monate später wurde nur bei der Interventionsgruppe ein Follow-up erhoben. Das halbe Jahr

Z. Kinder-Jugendpsychiatr. Psychother. 37 (5) © 2009 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern

464

D. Nitkowski et al.: Verhaltenstherapie und Jugendhilfe

Tabelle 2 Untersuchungsdesign mit Erhebungsinstrumenten Erhebungszeitpunkt

http://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1422-4917.37.5.461 - Wednesday, August 24, 2016 5:02:13 AM - Universität Bremen IP Address:134.102.103.150

Gruppe

KJH + TAK

t1

Intervention

t2

Intervention

t3

CBCL SDQ-E

KJH + TAK

CBCL SDQ-E

KJH

CBCL SDQ-E

TAK CBCL TAK / CBCL (Petermann et al., 2007) SDQ-E SDQ-E In das Design wurde die Interventionsgruppe aus der Studie von Petermann et al. (2007) integriert. t1 = Prätest; t2 = Posttest; t3 = Follow up; TAK = Training mit aggressiven Kindern; KJH = Kinder- und Jugendhilfe-Maßnahme; CBCL = Child Behavior Checklist; SDQ-E = Strengths and Difficulties Questionnaire (Elternversion).

zwischen t2 und t3 wurden alle Kinder weiterhin durch die Jugendhilfe betreut. In der Studie von Petermann et al. (2007) wurde das Training in einer Erziehungsberatungsstelle (= ambulante Jugendhilfe) im Großraum Dortmund realisiert. Zum Prätest erfolgte hier eine umfassende diagnostische Abklärung, um die Angemessenheit des Trainings zu prüfen. Hierzu wurden Informationen zur Diagnosestellung von den Eltern der vorgestellten Kinder mittels eines strukturierten klinischen Interviews (Kinder-DIPS) gewonnen und ausgewertet. Das Interview wurde von einem erfahrenen Psychologen durchgeführt. Zusätzlich füllten die Eltern Fragebögen (CBCL, SDQ-E) zum Verhalten ihrer Kinder aus, um Auffälligkeiten herauszustellen. Nach der Diagnosestellung startete das TAK mit denjenigen Kindern, die mindestens eine der indizierten DSMIV-Diagnosen (SSV oder SOT) aufwiesen. Kinder, bei denen komorbid psychotische Symptome oder eine tiefgreifende Entwicklungsstörung vorlagen, wurden nicht in die Stichprobe aufgenommen. Studierende der Pädagogik, die intensiv im Umgang mit aggressiven Kindern und in der manualgetreuen Umsetzung des TAK geschult wurden, setzten das Training um. Das TAK wurde nach vier Monaten abgeschlossen. Ein halbes Jahr nach Beendigung des Trainings folgte t3. Zur Erfassung von Veränderungen in verhaltensrelevanten Dimensionen wurden die zu t1 verwendeten Fragebögen ein weiteres Mal eingesetzt. Während des Trainings als auch über den Follow-up-Zeitraum erfolgten keine Erziehungsberatung, so dass diese Gruppe nur dem TAK als Intervention unterzogen wurde. Durch die Beachtung der manualgetreuen Umsetzung des TAK kann für beiden Gruppen angenommen werden, dass das Training standardisiert und vollständig realisiert wurde. Entsprechend sollten die Anzahl der Trainingssitzungen und bearbeiteten Inhalte zwischen beiden Gruppen weitgehend vergleichbar sein; allerdings variieren die Zeiträume, zwischen denen die einzelnen Trainingssitzungen durchgeführt wurden.

Erhebungsinstrumente Das Diagnostische Interview bei psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter (Kinder-DIPS) von Unnewehr et

al. (1998) kann mit Eltern oder dem Kind durchgeführt werden. Mit diesem Verfahren können Diagnosen entsprechend den Kriterien des DSM-IV und ICD-10 bei Patienten im Alter von sechs bis 18 Jahren gestellt werden. In der vorliegenden Studie wurde anhand der DSM-IV-Kriterien klassifiziert. Verhaltensauffälligkeiten wurden darüber hinaus dimensional mit der Child Behavior Checklist (CBCL; Achenbach, 1991; deutsche Adaptation: Arbeitsgruppe Deutsche Child Behavior Checklist, 1994) erfasst. In beiden Studien wurde den Eltern eine gekürzte Version der CBCL vorgegeben, die nur die relevanten Syndromskalen «Soziale Probleme», «Aufmerksamkeitsstörung», «Delinquentes Verhalten» und «Aggressives Verhalten» enthielt; die beiden letzten Skalen können zur Skala zweiter Ordnung «Externalisierende Störungen» zusammengefasst werden. Weiterhin wurde der Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ) von Goodman (1997) vorgelegt. Der SDQ erfasst Verhaltensauffälligkeiten und –stärken durch 25 Items. Das Instrument liegt in einer Eltern- (E), Lehrer- und einer Selbstberichtsversion vor und ist frei zugänglich (www.sdqinfo.com). In beiden Studien wurden den Eltern die Skalen «Emotionale Probleme», «Verhaltensauffälligkeiten», «Hyperaktivität», «Probleme mit Gleichaltrigen» und die Skala zweiter Ordnung «Gesamtproblemwert» vorgelegt (vgl. Woerner et al., 2002); nur in der JugendhilfeStudie wurde zusätzlich die Skala «Prosoziales Verhalten» erhoben.

Statistische Auswertung Die Auswertungen erfolgte mit dem Software-Paket SPSS Version 15.0®. Der Therapieverlauf konnte aufgrund der Voraussetzungen der erhobenen Daten mit dem WilcoxonTests (Vorzeichenrangtest) überprüft werden. Vergleiche zum Prätest wurden mit dem verteilungsfreien Mann-Whitney-Tests (U-Test) für kontinuierliche Variablen und anhand des exakten Tests nach Fisher für kategoriale Variablen berechnet. Die Effektivität wurde mit der Effektstärke d’ bestimmt. Dieses Maß stellt die Effektstärke für den tTest für abhängige Stichproben dar. d’ errechnet sich aus der Differenz der Mittelwerte einer Variablen zu zwei Zeitpunkten, die durch die Streuung der gepaarten Differenzen

Z. Kinder-Jugendpsychiatr. Psychother. 37 (5) © 2009 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern

D. Nitkowski et al.: Verhaltenstherapie und Jugendhilfe

465

http://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1422-4917.37.5.461 - Wednesday, August 24, 2016 5:02:13 AM - Universität Bremen IP Address:134.102.103.150

Tabelle 3 Auswertung des Verlaufs auf den Skalen der Child Behavior Checklist (CBCL) und der Elternversion des Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ-E) in der kombinierten Intervention von Jugendhilfe und Training (KJH + TAK) Prätest

Follow-up

(t1)

(t3)

M

(SD)

M

Wilcoxcon-Test (SD)

z-Wert

CBCL (n = 12) Externalisierende Störungen

25.75

(10.20)

15.92

(7.01)

–2.40**

Soziale Probleme

4.17

(2.89)

2.42

(2.11)

–2.44**

Aufmerksamkeitsstörung

7.92

(3.03)

5.50

(2.75)

–2.10*

Delinquentes Verhalten

6.75

(5.05)

4.04

(3.84)

–2.40**

Aggressives Verhalten

19.00

(5.83)

11.88

(4.70)

–2.59**

Gesamtproblemwert

18.50

(5.65)

11.92

(5.28)

–2.80**

Emotionale Probleme

3.83

(2.48)

2.17

(1.85)

–2.00*

Hyperaktivität

6.42

(2.19)

5.17

(2.62)

–1.41

Probleme mit Gleichaltrigen

3.42

(2.23)

1.75

(1.86)

–2.55**

Verhaltensauffälligkeiten

4.83

(2.44)

2.83

(1.70)

–2.74**

6.33

(2.02)

7.42

(1.98)

–2.23*

SDQ-E (n = 12)

Prosoziales Verhalten *p < .05, **p < .01.

dividiert wird (Variante a nach Bortz & Döring, 2006). Die Effektgröße lässt sich in kleine (d’ = .20), mittelstarke (d’ = .50) und starke Effekte (d’ = .80) einteilen. Um die Verlässlichkeit dieser Einteilung zu steigern, wurden zudem Intervalle um die Punktwerte gelegt (vgl. Petermann et al., 2008b): «Mittelstarker Effekt» (.425 ≤ d’ < .575), «Mittelstarker bis starker Effekt» (.575 ≤ d’ < .725), «Starker Effekt» (.725 ≤ d’ < .875) und «Sehr starker Effekt» (.875 = d’). Da die Effektstärken über den Verlauf kaum von Prätest-Unterschieden zwischen den Gruppen beeinflusst werden, kann die Effektivität der beiden Interventionen (KJH + TAK und TAK) verglichen werden, auch wenn zu t1 Unterschiede bestehen.

Ergebnisse Vorausgehende Analysen Die Kinder der TAK-Gruppe waren signifikant älter als diejenigen der KJH + TAK-Gruppe (z = –1.69; p < .05). Beide Gruppen stellten sich zu t1 als nicht unterschiedlich in Bezug auf die durchschnittliche Klassenstufe heraus (z = –1.14, n. s.). Zwischen den Gruppen ließ sich ebenso keine asymmetrische Geschlechtsverteilung (χ² = .96, df = 1, n. s.) und keine ungleiche Verteilung einzelner und kombinierter Diagnosen finden (z. B. SOT + ADHS: χ² = 2.49, df = 1, n. s.). Zu t1 wurden für die Kinder der TAK-Gruppe tendenziell höhere Werte auf der CBCL-Skala «Delinquentes Verhalten» (z = –1.60; p = .06) berichtet. Ein gleich gerichteter, aber signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen

fand sich auf der SDQ-E-Skala «Verhaltensauffälligkeiten» (z = –1.65; p < .05).

Hauptanalysen Die CBCL- und SDQ-E-Daten über den Prätest-Followup-Zeitraum sind Tabelle 3 zu entnehmen. Die Eltern gaben für die Kinder der KJH + TAK-Gruppe auf folgenden CBCL-Skalen deutliche Verbesserungen an: «Soziale Probleme», «Aufmerksamkeitsstörung», «Delinquentes Verhalten», «Aggressives Verhalten» und «Externalisierende Störungen». Auch auf den Skalen des SDQ-E wurden klare Verbesserungen berichtet: Zu t3 schätzen die Eltern die Ausprägungen auf den Skalen «Emotionale Probleme», «Probleme mit Gleichaltrigen», «Verhaltensauffälligkeiten» und «Gesamtproblemwert» deutlich geringer ein; zudem nahmen die Werte auf der Skala «Prosoziales Verhalten» zu. Ein Vergleich der Posttest- mit den Follow-up-Werten ergab nur ein signifikantes Ergebnis: Die Werte auf der Skala «Aggressives Verhalten» nahmen zu t3 ein weiteres Mal ab (z = –1.81; p < .05). Weitere Veränderungen ließen sich weder auf den übrigen Skalen der CBCL noch im SDQ-E finden. In Tabelle 4 sind KJH + TAK und TAK auf der Basis von Effektstärken gegenübergestellt, die über das PrätestFollow-up-Intervall berechnet wurden. Wie sich erkennen lässt, wurden unter dem kombinierten Ansatz KJH + TAK auf den CBCL-Skalen «Soziale Probleme», «Delinquentes Verhalten», «Aggressives Verhalten» und «Externalisierende Störungen» starke und sehr starke Reduktionen berichtet, die sich in dieser Größenordnung in der TAK-Grup-

Z. Kinder-Jugendpsychiatr. Psychother. 37 (5) © 2009 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern

466

D. Nitkowski et al.: Verhaltenstherapie und Jugendhilfe

http://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1422-4917.37.5.461 - Wednesday, August 24, 2016 5:02:13 AM - Universität Bremen IP Address:134.102.103.150

Tabelle 4 Effektstärken über das Prätest-Follow-up-Intervall KJH + TAK

TAK

Differenz

d’

d’

d’

CBCL Externalisierende Störungen

.94

.63

.31

Soziale Probleme

.87

.40

.47

Aufmerksamkeitsstörung

.70

.26

.44

Delinquentes Verhalten

.79

.36

.43

Aggressives Verhalten

.95

.66

.29

Gesamtproblemwert

1.14

.56

.58

Emotionale Probleme

.67

.33

.34

Hyperaktivität

.50

.79

–.29

1.16

.51

.65

SDQ-E

Probleme mit Gleichaltrigen

Verhaltensauffälligkeiten 1.25 .23 1.02 Effektstärke d’ berechnet nach Bortz und Döring (2006); TAK = Training mit aggressiven Kindern; KJH = Kinder- und Jugendhilfe-Maßnahme; CBCL = Child Behavior Checklist; SDQ-E = Strengths and Difficulties Questionnaire (Elternversion).

pe nicht zeigten. Auf den SDQ-E-Skalen reduzierte sich in der KJH + TAK-Gruppe nach dem Urteil der Eltern das Problemverhalten sehr stark, wie auf den Skalen «Gesamtproblemwert» und «Probleme mit Gleichaltrigen» deutlich wird. Bei der kombinierten Intervention verbesserte sich der Bereich «Verhaltensauffälligkeiten» am deutlichsten. Zur weiteren Analyse wurde die Differenz zwischen den Effektstärken von KJH + TAK und TAK gebildet (d’KJH+TAK – d’TAK = d’Diff; vgl. Tabelle 4). Die eindeutigsten Unterschiede in der CBCL zeigten sich auf den Skalen «Soziale Probleme», «Aufmerksamkeitsstörung» und «Delinquentes Verhalten»; hier traten bei der KJH + TAKGruppe zusätzlich mittelstarke Effekte auf. Auf dem SDQE reduzierten sich die Werte der Skala «Verhaltensauffälligkeiten» für die KJH + TAK-Gruppe – im Vergleich zum TAK alleine – in einem sehr starken Ausmaß. «Probleme mit Gleichaltrigen» und «Gesamtproblemwert» reduzierten sich zusätzlich mittelstark bis stark.

Diskussion In der vorliegenden Studie wurde die differenzielle Effektivität von Jugendhilfe plus TAK und TAK alleine geprüft. Für die Kombination von Jugendhilfe und TAK ließen sich über das Prä-Follow-up-Intervall deutliche Verbesserungen nachweisen. Besonders veränderten sich im Elternurteil die sozialen Probleme und das aggressiv-delinquente Verhalten. Zudem wurden die Kinder zum Follow-up-Zeitpunkt im Umgang mit anderen Kindern als hilfsbereiter und rücksichtsvoller eingeschätzt. Diese Verbesserungen sind zu beachtlich und vielfältig, als dass sie einer natürli-

chen Remission der Symptomatik zugeschrieben werden könnten; wahrscheinlicher ist, dass sie – neben dem mildernden Einfluss der Medikation – aus der Teilnahme am kombinierten Konzept resultieren. Um diese Behauptung zu untermauern und zugleich entsprechend der Zielsetzung die relative Stärke der Effekte abzuschätzen, wurden die Verbesserungen gegenüber einer Baseline in der TAKGruppe abgetragen. Im direkten Vergleich von Jugendhilfe plus TAK und TAK alleine zeigten sich stärkere Effekte bei der kombinierten Intervention: Es reduzierten sich Verhaltensauffälligkeiten in einem deutlich größeren Ausmaß. Probleme mit anderen Kindern und in der Aufmerksamkeit, delinquentes wie aggressives Verhalten verringerten sich stärker als in der TAK-Gruppe. Wie vermutet, scheint eine langfristig angelegte Jugendhilfe – unterstützt durch ein kompaktes verhaltenstherapeutisches Training – dem Training alleine überlegen. Bedenkt man die Stabilität aggressiven Verhaltens von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter bei Männern (vgl. Huesman et al., 1984; Kokko & Pulkkinen, 2005) und die damit assoziierten sozialen Probleme, kann für die TAKGruppe eine gute Effektivität angenommen werden. Gerade für die Kombination von Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung und Störung des Sozialverhaltens, die etwa bei 40 % der Kinder in der TAK-Stichprobe vorlag (siehe Tabelle 1), fanden Biederman et al. (2001) gehäuft eine Stabilität der Symptomatik der Störung des Sozialverhaltens nach sechs Monaten (Übersicht bei Schmidt & Petermann, 2008). Diese Befunde weisen auf eine geringe Rate spontaner Remissionen bei aggressivem Verhalten hin, so dass von einer hinreichenden Effektivität des Trainings in der TAK-Gruppe ausgegangen werden kann. Die stärkeren Effekte des kombinierten Ansatzes erklären sich vermutlich aus der wechselseitigen Beeinflussung von Jugendhilfe-Maßnahme und TAK. Es ist anzunehmen, dass über den Zeitraum, in dem Jugendhilfe-Maßnahme und TAK parallel durchgeführt wurden, die Effekte einer Intervention jeweils durch die andere stabilisiert und verstärkt wurden. Dies erscheint insbesondere plausibel, wenn Überschneidungen in Methoden, Strategien und Zielsetzungen beider Konzepte, wie beispielsweise in der Elternberatung, bestehen. Darüber hinaus könnten aber auch spezifische Effekte von Jugendhilfe-Maßnahme und TAK in Bereichen wirksam sein, in denen die jeweils andere Maßnahme keine Veränderungen hervorrufen sollte. Die Verknüpfung beider Interventionen würde es somit ermöglichen, ein breiteres Spektrum an Auffälligkeiten zu fokussieren. Solche spezifischen Effekte könnten auf der CBCL-Skala «Aufmerksamkeitsstörung» vermutet werden, auf der das TAK nur schwache Veränderungen, die kombinierte Maßnahme jedoch einen mittelstarken bis starken Effekt erzielte. Eine eindeutige Klärung, ob die Erfolge aufgrund synergetischer oder spezifischer Wirkungen zustande gekommen sind, erlaubt die vorliegende Studie aber nicht. Die Effekte des kombinierten Ansatzes resultieren nicht

Z. Kinder-Jugendpsychiatr. Psychother. 37 (5) © 2009 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern

http://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1422-4917.37.5.461 - Wednesday, August 24, 2016 5:02:13 AM - Universität Bremen IP Address:134.102.103.150

D. Nitkowski et al.: Verhaltenstherapie und Jugendhilfe

nur aus der Jugendhilfe-Maßnahme, sondern auch aus dem TAK; dies belegen die Ergebnisse einer bereits publizierten Studie: So konnten Petermann et al. (2008b) für die Kombination von Jugendhilfe und TAK zum Trainingsende stärkere Effekte gegenüber der reinen Jugendhilfe-Maßnahme sichern. Da die Jugendhilfe-Maßnahmen im gleichen Umfang in beiden Interventionsgruppen realisiert wurden, das heißt unabhängig von der Gruppenzugehörigkeit vergleichbare Leistungen erbracht wurden (Nitkowski et al., 2009), können die Erfolge mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf die Wirksamkeit des TAK zurückgeführt werden. Über das Posttest-Follow-up-Intervall wurden die Kinder der Jugendhilfe-plus-TAK-Gruppe weiterhin durch die Jugendhilfe-Maßnahme betreut (vgl. Tabelle 2), die – wie die vorliegenden Ergebnisse zeigen – primär die zum Posttest erzielten Effekte zu stabilisieren scheint. Die substanziellen Erfolge fanden demnach im Zeitraum zwischen Präund Posttest statt, in dem die Kinder gleichzeitig an Jugendhilfe und TAK teilnahmen; dieses erreichte Niveau wurde bis zur Nacherhebung zu t3 nur aufrechterhalten. Es ist also zu folgern, dass die Effekte zwischen Prätest und Follow-up durch das TAK mitbedingt sind. Die Einschränkungen dieser Studie bestehen im Nachweis einer ausreichenden internen Validität der eingesetzten Interventionen, so dass unter anderem die Höhe der Effektstärken nicht punktuell interpretiert werden sollten. Es ist zu diskutieren, ob den Forderungen nach Kontrolle aller Bedingungen oder Randomisierung, die an jede Wirksamkeitsstudie zu stellen sind, in der Praxisforschung entsprochen werden kann (vgl. Petermann, 2007): Eine empirische Validierung der Effekte einer Psychotherapie kann nach Seligman (1995) nicht in einer solchen experimentellen Form erfolgen, da diese wesentliche Faktoren, die in der Umwelt wirksam sind, unberücksichtigt lässt. Dennoch wurde in der vorliegenden Studie versucht, sich den «Gold Standards» experimenteller Studien anzunähern. Es ist auch die eingeschränkte Homogenität der Stichproben zu kritisieren, die sich zum Prätest im Alter, auf der SDQ-E-Skala «Verhaltensauffälligkeiten» und tendenziell auf der CBCL-Skala «Delinquentes Verhalten» zeigte. Aus diesem Grund wurden Effektstärken berechnet und zwischen den Gruppen verglichen. Trotzdem sollte der Effekt auf beiden Skalen vorsichtig interpretiert werden, da in Abhängigkeit von der Ausprägung auf den Dimensionen eine unterschiedliche Stärke der Effekte vermutet werden könnte. Zusammenfassend betrachtet, zeigt die Studie den Nutzen einer Verknüpfung von Jugendhilfe und TAK. Die Befunde können dahingehend interpretiert werden, dass die kombinierte Intervention Verhaltensauffälligkeiten und soziale Probleme zum Follow-up deutlicher reduzierte als das TAK alleine. Unter Kostenaspekten stellt die Durchführung des alleinigen TAK eine (finanziell und zeitlich) optimale Intervention dar, die Problemverhalten abbaut und Ressourcen stärkt. Allerdings können sich höhere Kosten auch entsprechend in einer gesteigerten Effektivität und ge-

467

ringeren Folgekosten niederzuschlagen. Foster et al. (2006) kommen zu dem Schluss, dass teure und aufwändige Interventionen für aggressive Kinder kostendeckend sein können, wenn später entstehende Kosten für die Gesellschaft mit eingerechnet würden, falls den Kindern eine (ausreichende) Behandlung verwehrt bliebe.

Literatur Achenbach, T. M. (1991). Manual for the Child Behavior Checklist/4–18 and 1991 Profile. Burlington: University of Vermont, Department of Psychiatry. Arbeitsgruppe Deutsche Child Behavior Checklist. (1994). Elternfragebogen über das Verhalten von Kinder und Jugendlichen. Forschungsergebnisse zur deutsche Fassung der Child Behavior Checklist (CBCL). Köln: Arbeitsgruppe Kinder-, Jugend- und Familiendiagnostik (KJFD). Biederman, J., Mick, E., Faraone, S. V. & Burback, M. (2001). Patterns of remission and symptom decline in conduct disorder: A four-year prospective study of ADHD sample. Journal of the American Academy Child and Adolescent Psychiatry, 40, 290–298. Bortz, J. & Döring, N. (2006). Forschungsmethoden und Evaluation (4., überarb. Aufl.). Berlin: Springer. Foster, E. M., Jones, D. & the Conduct Problems Prevention Research Group (2006). Can a costly intervention be cost-effective? Archives of General Psychiatry, 63, 1284–1291. Goodman, R. (1997). The strengths and difficulties questionnaire: A research note. Journal of Child Psychology and Psychiatry and Allied Disciplines, 38, 581–586. Habermeyer, E. & Herpertz, S. C. (2006). Dissoziale Persönlichkeitsstörung. Der Nervenarzt, 77, 605–617. Huesman, L. R., Eron, L. D., Lefkowitz, M. M. & Walder, L. O. (1984). Stability of aggression over time and generations. Developmental Psychology, 20, 1120–1134. Keil, V. & Price, J. M. (2006). Externalizing behavior disorders in child welfare settings: Definition, prevalence, and implications for assessment and treatment. Children and Youth Services Review, 28, 761–779. Koglin, U. & Petermann, F. (2007). Psychopathie im Kindesalter. Kindheit und Entwicklung, 16, 260–266. Koglin, U. & Petermann, F. (2008). Inkonsistentes Erziehungsverhalten – Ein Risikofaktor für aggressives Verhalten. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 56, 285–291. Kokko, K. & Pulkkinen, L. (2005). Stability of aggressive behavior from childhood to middle age in woman and men. Aggressive Behavior, 31, 485–497. Nitkowski, D., Petermann, F., Büttner, P., Krause-Leipoldt, C. & Petermann, U. (2009). Behavior modification of aggressive children in child welfare. Evaluation of a combined intervention program. Behavior Modification, 33, 474–492. Petermann, F. (2005). Zur Epidemiologie psychischer Störungen im Kindes- und Jugendalter. Kindheit und Entwicklung, 14, 48–57. Petermann, F. (2007). Praxisforschung in der Kinderverhaltenstherapie. Kindheit und Entwicklung, 16, 139–142.

Z. Kinder-Jugendpsychiatr. Psychother. 37 (5) © 2009 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern

http://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1422-4917.37.5.461 - Wednesday, August 24, 2016 5:02:13 AM - Universität Bremen IP Address:134.102.103.150

468

D. Nitkowski et al.: Verhaltenstherapie und Jugendhilfe

Petermann, F. & Petermann, U. (2008). Training mit aggressiven Kindern (12., überarb. Aufl.). Weinheim: Beltz PVU. Petermann, F., Petermann, U., Besier, T., Goldbeck, L., Büttner, P., Krause-Leipoldt, C. et al. (2008a). Zur Effektivität des Trainings mit aggressiven Kindern in Psychiatrie und Jugendhilfe. Kindheit und Entwicklung, 17, 182–189. Petermann, U. & Petermann, F. (2007). Aggressives Verhalten. Monatsschrift Kinderheilkunde, 155, 928–936. Petermann, U., Nitkowski, D., Polchow, D., Pätel, J., Roos, S., Kanz, F. J. et al. (2007). Langfristige Effekte des Trainings mit aggressiven Kindern. Kindheit und Entwicklung, 16, 143–151. Petermann, U., Petermann, F., Büttner, P., Krause-Leipoldt, C. & Nitkowski, D. (2008b). Effektivität kinderverhaltenstherapeutischer Maßnahmen in der Jugendhilfe: Das Training mit aggressiven Kindern. Verhaltenstherapie, 18, 101–108. Schmid, M., Goldbeck, L., Nützel, J. & Fegert, J. M. (2008). Prevalence of mental disorders among adolescents in German youth welfare institutions. BMC. Child and Adolescent Psychiatry and Mental Health, 2, 1–8. Schmidt, S. & Petermann, F. (2008). Entwicklungspsychopathologie der ADHS. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 56, 265–274. Seligman, M. E. P. (1995). The effectiveness of psychotherapy: The Consumer Reports study. American Psychologist, 50, 965–974. Unnewehr, S., Schneider, S. & Margraf, J. (1998). Kinder-DIPS. Diagnostisches Interview bei psychischen Störungen im Kindesund Jugendalter (2., korr. Nachdruck). Berlin: Springer-Verlag. Woerner, W., Becker, A., Friedrich, C., Klasen, H., Goodman, R. & Rothenberger, A. (2002). Normierung und Evaluation der

deutschen Elternversion des Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ): Ergebnisse einer repräsentativen Felderhebung. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, 30, 105–112.

Dipl.-Psych. Dennis Nitkowski Prof. Dr. Franz Petermann Prof. Dr. Ulrike Petermann Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation der Universität Bremen Grazerstraße 6 DE-28359 Bremen [email protected] [email protected] upeterm@uni-bremen. de

Dipl.-Psych. Dr. Peter Büttner Dipl.-Psych. Carsten Krause-Leipoldt Haus Petra Kinder- und Jugendhilfe Ziegelhütte 2 DE-36381 Schlüchtern [email protected] [email protected]

Z. Kinder-Jugendpsychiatr. Psychother. 37 (5) © 2009 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern