SWR2 Wissen PFC Gift in Umwelt, Tier und Mensch

SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Wissen PFC – Gift in Umwelt, Tier und Mensch Von Alice Thiel-Sonnen Sendung: Montag, 16. Jan...
Author: Dirk Kraus
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SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE

SWR2 Wissen PFC – Gift in Umwelt, Tier und Mensch Von Alice Thiel-Sonnen Sendung: Montag, 16. Januar 2017, 8.30 Uhr Redaktion: Charlotte Grieser Regie: Alice Thiel-Sonnen Produktion: SWR 2017

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MANUSKRIPT Sprecherin: Wir begegnen ihnen jeden Tag. O-Ton-Collage: Die schaffen eine Oberfläche, an der nichts anhaften kann. Also weder Wasser, noch Öl, noch Schmutz. Und das wird halt eben in ganz vielen verschiedenen Verbraucherprodukten ausgenutzt. Es gibt für die wasserabweisende Ausrüstung von Outdoor-Jacken beispielsweise keine Alternative, die neben Wasserabweisung gleichzeitig auch Schmutzabweisung gewährleisten kann. Wenn man Rotwein ausgießt aufs schöne Polstermöbel, dass die dann nicht ruiniert sind, sondern abwaschbar sind. Sprecherin: Sie machen Probleme. O-Ton-Collage: Der Mensch nimmt diese Chemikalien hauptsächlich mit der Nahrung auf, oder auch über kontaminiertes Trinkwasser und auch über die Atemluft. Also es wird natürlich keiner irgendwo Spargel anbauen, wo er weiß, da ist PFC im Boden. Zum Teil wurden ja dann auch Spargelfelder geräumt und stillgelegt, also keine Spargel mehr. Manche Leute benutzen wirklich kein Trinkwasser mehr aus dem Wasserhahn, sondern kaufen sich alles Wasser zu, manche eben auch fürs Kochen sogar, manche nur fürs Trinken, andere benutzen nach wie vor Trinkwasser. Ansage: PFC – Gift in Umwelt, Tier und Mensch Eine Sendung von Alice Thiel-Sonnen Sprecherin: PFC – das sind per- und polyfluorierte Chemikalien. Diese Stoffe sorgen für Verunsicherung. O-Ton-Collage: Schwierig an dem PFT ist, dass wir uns über Konzentrationen unterhalten, die wir vor zehn Jahren so noch gar nicht messen konnten. Es gibt nicht nur in Deutschland Probleme mit PFC, die gibt’s im Prinzip auch weltweit. Das Problem ist, es wird oft nicht gemessen. Und wenn man es irgendwo messen würde, dann würde man die Stoffe wahrscheinlich auch finden. Echte Grenzwerte, dass wir sagen, bis zu einem PFC-Inhalt im Boden von x kann man im Grund genommen alles anbauen, wird es leider nicht geben, weil dazu ist der Stoff viel zu kompliziert und auch die Umweltbedingungen zu kompliziert.

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Sprecherin: Die fluorierten Chemikalien sind praktisch, aber einmal in der Umwelt, breiten sie sich schnell weiter aus: im Boden, in Gewässern, im Trinkwasser. Einige von ihnen wirken krebserregend und beeinflussen die Fruchtbarkeit negativ. Welches Risiko sie für den Menschen darstellen, ist umstritten. Märchenweiher-Idylle, Vogelzwitschern Sprecherin: Die Vögel geben mit ihrem munteren Gezwitscher den Ton an. Die wärmenden Strahlen der Sonne lassen die Wasseroberfläche des kleinen Weihers hier und da aufblitzen. An einer Seite drängen sich tellergroße, grüne Schwimmblätter von Seerosen dicht an dicht. Der Märchenweiher am Ortsrand von Binsfeld in der rheinland-pfälzischen Eifel macht seinem Namen alle Ehre. In der Nähe des Ufers parkt ein Kleintransporter. Innen ausgebaut mit Wasseranschluss, Kühlschrank und zahlreichen Messgeräten. Ein mobiles Labor zur Gewässerkontrolle. Sascha Reuter steht davor mit kniehohen gelben Gummistiefeln, in der einen Hand ein kleines Fläschchen, in der anderen einen langen Stiel mit einem Becher vorne dran. O-Ton Sascha Reuter: Die Probenahme für PFT, das ist das ganze Probevolumen, wo wir brauchen, also knapp 100 Milliliter, darf nur mit ‘nem Glasbecher abgefüllt werden, darf also mit keinem Kunststoff in Berührung kommen. Ich geh jetzt mal zum Gewässer, spül zuerst dieses Behältnis aus und füll dann die Flasche ab. Nachher nehm ich mir dann noch einen Liter Wasser und mach dann noch einige Untersuchungen im Fahrzeug: pH, Leitfähigkeit, Temperatur, Sauerstoffgehalt. Sprecherin: Gleich neben dem Märchenweiher fließt der Linsenbach. Vorsichtig kraxelt Sascha Reuter in den Bach und angelt sich mit seinem Messbecher einen kräftigen Schluck Wasser. Solche Wasserproben werden hier seit einigen Jahren regelmäßig entnommen und ausgewertet. Denn die Idylle am Binsfelder Märchenweiher trügt. O-Ton Joachim Gerke: Ja, der Märchenweiher, der ja direkt am Zaun der Air Base Spangdahlem liegt, ist relativ hoch belastet mit perfluorierten Tensiden, allgemein als PFT bekannt. Diese Belastung ist so hoch, dass die Fische, die in diesem Angelweiher vorhanden waren, nicht mehr für den Verzehr geeignet sind. Sprecherin: Joachim Gerke ist bei der Struktur- und Genehmigungsbehörde Nord in RheinlandPfalz für die Wasserwirtschaft zuständig. Die PFT, nach denen er suchen lässt, sind eine Gruppe aus dem großen Topf der PFC, der per- und polyfluorierten Chemikalien. Eine Erfindung von Menschenhand, kein Stoff aus der Natur. Es gibt Hunderte verschiedene Verbindungen, Ketten von Kohlenstoff- und Fluormolekülen, unterschiedlich lang und unterschiedlich kombiniert. Eingesetzt werden sie beispielsweise beim Herstellen von Röntgenfilmen, 3

beim Verchromen von Autoteilen, beim Imprägnieren von Kleidung oder wenn es um Antihaftbeschichtungen geht. Die Antwort auf die Frage, wie diese Chemiereste in den Märchenweiher gelangt sind, liegt direkt hinter Joachim Gehrke: Das Terrain der US-Air-Base Spangdahlem ist am Rand der kleinen Straße mit einem hohen Zaun abgegrenzt. Der Militärflugplatz der US Air Force ist nicht die einzige Quelle für perfluorierte Chemikalien, die Joachim Gerke und seine Kollegen im Bundesland gefunden haben. O-Ton Joachim Gerke: Wir sind in Rheinland-Pfalz dabei, das systematisch zu untersuchen, im Prinzip überall dort, wo wir PFT-Quellen vermuten können. Wir sind bisher fündig geworden an vier Flugplätzen, die es in unserem Bereich gibt. Das ist hier Spangdahlem, wo wir jetzt gerade sind, dann der ehemalige Flugplatz Bitburg und der Flugplatz Hahn und auch der Fliegerhorst Büchel. Sprecherin: Der Grund: Flugplätze haben Feuerlöschübungsplätze. Und im Einsatz ist da meist fluorhaltiger Löschschaum – ideal, wenn Öl oder Kerosin brennen, weil er einen dünnen Wasserfilm über der brennenden Flüssigkeit bildet. So kann der Schaum den Brand besser ersticken. Die Rückstände werden zwar anschließend entsorgt. Wie man inzwischen weiß, bleiben aber PFC zurück: im Boden, im Abwasser, in nahe liegenden Gewässern wie dem Märchenweiher. Nicht immer gleich gefährlich und nicht immer hoch dosiert. Aber per- und polyfluorierte Chemikalien sind inzwischen fast überall in der Umwelt. Und da bleiben sie auch, beschreibt Annegret Biegel-Engler vom Umweltbundesamt die Besonderheit der PFC: O-Ton Annegret Biegel-Engler: Das ist eine riesige Stoffgrupe. Und die einzelnen Substanzen zeigen erst mal ganz unterschiedliche Eigenschaften. Man kann sie erst mal ganz pauschal in kurz- und langkettige unterscheiden, alle gemeinsam haben eine Eigenschaft: Sie sind sehr langlebig, das heißt, sie können eigentlich nicht in der Umwelt abgebaut werden. Die sind stabil gegen Sonnenlicht, die sind stabil gegen Hitze, die können einfach nicht kaputtgehen in der Umwelt. Und das ist halt ein Grund, warum man sie immer wieder findet. Traktor fährt übers Feld Sprecherin: Ein Bauer fährt mit seinem Traktor gemächlich über den geteerten Feldweg zu einem Acker. Im Landkreis Rastatt und im Stadtkreis Baden-Baden in Baden-Württemberg wird seit einigen Jahren nicht mehr jedes Feld beackert. Einige Flächen liegen still. Die Belastung mit PFC ist zu hoch. Vor zehn Jahren wurde hier Kompost zum Düngen aufgetragen. Man vermutet, dass er mit PFC-belasteten Papierschlämmen vermischt war. Erst vor drei Jahren wurde das Problem erkannt. Rund 400 Hektar Fläche sind betroffen. Zu viel, um überall die Landwirtschaft zu stoppen. Die Belastung der Böden ist auch nicht überall gleich stark. Im Regierungspräsidium 4

Karlsruhe setzt man daher auf ein freiwilliges Vorernte-Monitoring als Verbraucherschutz, erklärt der Leiter der dortigen Landwirtschaftsabteilung Ulrich Roßwag: O-Ton Ulrich Roßwag: Weil man dadurch sicherstellen möchte, dass keinerlei mit PFC verunreinigte Lebensmittel auf den Markt kommen. Das heißt, rechtzeitig vor der Ernte werden Untersuchungen durchgeführt, werden Pflanzenproben genommen von Erdbeeren, Spargel, Gemüse, Getreide, auf PFC untersucht, sodass zum Zeitpunkt der Ernte dann bekannt ist, ob dieses Lebensmittel, ob diese Pflanze vermarktungsfähig ist als Lebensmittel oder eben nicht. Sprecherin: In der Erntesaison herrscht deswegen im Labor des Landwirtschaftlichen Technologiezentrums Augustenberg – kurz LTZ – in Karlsruhe Hochbetrieb. Hier landen all die Obst-, Gemüse- und Getreideproben von den PFC-belasteten Feldern und werden erst mal bei minus 20 Grad tiefgefroren. Xaver Steemann ist Sachgebietsleiter der Umweltanalytik und holt eine Probe Johannisbeeren aus dem Eisfach. Er schüttet sie zusammen mit Trockeneis in einen Industriekutter. Sieht aus wie eine stabile High-Tech-Küchenmaschine. Am Kutter: Johannisbeeren klickern hinein. Steemann verschließt Gerät. „So, jetzt wird’s laut“. Er öffnet es wieder und nimmt es raus. Sprecherin: Die Johannisbeeren sind jetzt nur noch ein dunkelrotes feines Pulver. Sie sind homogenisiert. O-Ton Xaver Steemann: Dieses Pulver taut jetzt noch auf, und dann können wir es untersuchen. Also in jeder Probe, die wir hieraus entnehmen, haben wir jetzt die gleichen Eigenschaften. Wir untersuchen nicht nur Kerne, Schale oder Fruchtfleisch, sondern wirklich alles. Das wird jetzt weiter abgefüllt und geht dann rüber ins Labor. Raum-Geräusche im Labor Sprecherin: Im Labor nebenan surren und rattern reihenweise Computer und Messgeräte. Auf einem Tisch stehen kleine Glasröhrchen fein sortiert in einer Palette. In den einen sind kleine grüne Brösel, in anderen ein hellbraunes Pulver. Sie werden hier auf 13 verschiedene polyfluorierte Chemikalien untersucht. Die Ergebnisse landen letztlich wieder beim Landwirt, erläutert Ulrich Roßwag das Prozedere: O-Ton Ulrich Roßwag: Diese Ergebnisse, die wir vom Labor bekommen, haben wir den jeweiligen Bewirtschaftern mitgeteilt, mit einer Bewertung: Kann vermarktet werden, weil nur geringe Inhalte von PFC – oder kann eben nicht vermarktet werden als Lebensmittel. Die Entscheidung hatte dann der Landwirt, freiwillig, und es hat auch geklappt. Wir 5

mussten also nie jemanden dazu zwingen. Das war das System des Vorerntemonitorings, das wir letztes Jahr angefangen haben, mit sehr guten Erfolgen und dieses Jahr eben fortgeführt haben. Sprecherin: Die angebauten Pflanzen reagieren sehr unterschiedlich auf die PFC im Boden. Nach zwei Jahren Erfahrung mit dem Vorerntemonitoring kann man den Landwirten schon ein paar Empfehlungen an die Hand geben: Spargel und Erdbeeren sollten nur auf unbelasteten Böden angebaut werden, auch Weizen ist sehr kritisch: Er nimmt viel PFC auf, auch wenn die Böden gar nicht so hoch belastet sind. O-Ton Ulrich Roßwag: Vereinfachend kann man sagen: Jede Pflanze, die sehr viel Wasser aufnimmt im Jahr, ist stärker gefährdet. Beispielsweise Zucchini, Gurken, also Kürbisgewächse, die sehr viel Wasser brauchen. Man muss sich vorstellen: Mit dem Wasser werden die kurzkettigen PFC aufgenommen, das Wasser verdunstet dann in der Pflanze beziehungsweise wird veratmet und drin bleibt eben das PFC. Sprecherin: Leider sind die Wege der PFC nicht bei allen Pflanzen so einfach nachzuvollziehen. In einer großen Vegetationshalle auf dem Gelände des LTZ in Karlsruhe stehen die Maispflanzen in Reih und Glied – jede in ihrem eigenen Topf. Sie wachsen unter wissenschaftlicher Beobachtung. Mal ist der Boden PFC-frei, mal stark belastet, mal wird auch noch mit PFC-haltigem Wasser gegossen. Der Experte für Pflanzenernährung Markus Mokry und seine Mitarbeiter versuchen herauszufinden, wann die perflourierten Verbindungen in welche Teile der Pflanze gelangen. O-Ton Markus Mokry: Wir wissen beispielsweise bei Mais, dass wir während der vegetativen Phase eine sehr hohe PFC-Aufnahme haben in den vegetativen Pflanzenapparat. Wir finden auch noch PFC in dem gesamten Kolbensystem zur Milchreife, also zum Entwicklungsstadium Milchreife, wenn die Körner noch zu drücken sind, sozusagen noch nicht ganz reif sind. Wenn wir dann den Körnermais ernten als Korn, dann finden wir im Korn kein PFC mehr. Das bleibt also alles in der Restpflanze liegen. Sprecherin: Egal, wie viel PFC in der Wachstumszeit aufgenommen wurde, es bleibt nur in den grünen Pflanzenteilen. Im geernteten Maiskolben ist am Ende nichts drin. Ähnliche Versuche macht das LTZ auch draußen, im Feld, in der Nähe von Hügelsheim im Landkreis Rastatt. Die Gemeinde sieht sich als Heimat des mittelbadischen Spargels. Der kann aber auf einem PFC-belasteten Feld hier nicht mehr angebaut werden. Auf einer Parzelle wächst jetzt Soja, auf der anderen Raps – zu Versuchszwecken. Kulturen, die für die Landwirtschaft in dieser Region bislang keine große Rolle gespielt haben. Melanie Zoska ist Mitarbeiterin im Projekt „Umgang mit PFC-belasteten Flächen“. Sie geht wahllos mitten ins Sojafeld hinein, in der einen Hand eine Gartenschere, in der andere einen Holzrahmen. 6

Pflanzen werden abgeschnitten O-Ton Melanie Zoska: So eine Probenahme, das erfolgt mit einem Schätzrahmen, der wird zufällig in die Parzelle gelegt und dann der komplette Aufwuchs rausgeschnitten. Es ist ein halber Quadratmeter, wo da rausgeschnitten wird. Das ganze Pflanzenmaterial wird dann weiterverarbeitet. Verpacken in Tüten Sprecherin: Das Pflanzenmaterial wird in Tüten abgefüllt, beschriftet und geht ins Labor. Außerdem werden mehrere Bodenproben genommen. Die fluorierten Chemikalien im Boden verteilen sich unterschiedlich in den Pflanzen. Bei Soja und Raps schauen sich die Forscher nun an, ob die geernteten Bohnen und Schoten mit PFC belastet sind. Man wolle den Landwirten ja möglichst Empfehlungen geben, wie sie trotzdem ihre Flächen bewirtschaften könnten, erklärt Jörn Breuer. Bei ihm, als Abteilungsleiter für Pflanzenbau im Landwirtschaftlichen Technologiezentrum Augustenberg, laufen die Fäden für die Feldversuche zusammen. Er zeigt auf zwei Äcker etwas weiter entfernt: O-Ton Jörn Breuer: Also eine Nutzungsalternative wäre natürlich Energiepflanzen, weil man dann auf jeden Fall die Gewähr hätte, dass die geernteten Produkte überhaupt nicht Richtung Nahrungskette gehen. Deswegen haben wir eben auf dieser Fläche Miscanthus, ein großes Gras, und Durchwachsene Silphie angepflanzt, um zu sehen: Wie stark ist die Aufnahme in diese Kulturen? Könnte das eine mittelfristige Nutzungsperspektive für diese Flächen sein? Traktor fährt Sprecherin: Für das PFC-Problem in Mittelbaden gibt es keine schnelle Lösung. 400 Hektar belastetes Erdreich – das ist eine Größenordnung, die sich nicht mal eben sanieren lässt. Zu aufwendig, zu teuer, zu wenig erforscht. Und: Es bleibt kein ausschließliches Bodenproblem. PFC wandern auch ins Grundwasser. Sind die Kohlenstoff-Molekülketten kurz, sind die PFC sehr mobil. Experten wie Annegret Biegel-Engler vom Umweltbundesamt unterscheiden langkettige und kurzkettige PFC. O-Ton Annegret Biegel-Engler: Die langkettigen PFC, die reichern sich auch in Organismen an. Die haften relativ stark an Oberflächen und wenn sie einmal auf Äcker aufgetragen werden, dann binden sie auch an den Boden. Und das dauert dann eine Zeit lang, bis sie aus dem Boden ausgewaschen werden. Die kurzkettigen PFC, die sind eher mobil. Das heißt, die haften ganz wenig nur an Oberflächen und wenn die am Boden aufgebracht werden, die gehen halt sehr 7

schnell ins darunter liegende Grundwasser über. Und meistens hat man irgendwie eine Mischung. Sprecherin: Die Mischung macht das Problem auf den Feldern in Mittelbaden kompliziert. Die verschiedenen fluorierten Chemikalien suchen sich ihren Weg in die Pflanzen und auch ins Grundwasser. Ulrich Schumann lebt in Kuppenheim, im Westen von Baden-Württemberg. Als vor einigen Jahren bekannt wurde, dass PFC im Trinkwasser nachgewiesen wurde, war man in der Stadt verunsichert. O-Ton Ulrich Schumann: Manche Leute benutzen wirklich kein Trinkwasser mehr aus dem Wasserhahn, sondern kaufen sich alles Wasser zu, manche eben auch fürs Kochen sogar, manche nur fürs Trinken, andere benutzen nach wie vor Trinkwasser. Sprecherin: Der für die Trinkwasserversorgung zuständige Wasserversorgungsverband Oberes Murgtal hat Wasserbrunnen geschlossen, Filter eingebaut, mischt belastetes mit unbelastetem Wasser, sodass heute offiziell das Trinkwasser als PFC-frei gilt. Schumann ist Vorsitzender der Bürgerinitiative Sauberes Trinkwasser für Kuppenheim. Er hält nicht viel von der Verdünnungsstrategie: O-Ton Ulrich Schumann: Wir fühlen uns von der Politik nicht wirklich ernst genommen. Und das zieht sich eigentlich durch alle politischen Ebenen und durch alle Parteien, dass uns gesagt wird: Ja, das ist ein großer Skandal, aber im Grunde ist es alles gar nicht so schlimm, das PFC ist gar nicht so schädlich. Nur, wir fragen uns: Auf welcher Grundlage behauptet man das? Sprecherin: Die Initiative hat freiwillige Blutuntersuchungen unter den Kuppenheimern organisiert. Eine 2015 und eine 2016. Es zeigten sich bei allen deutliche Belastungen mit PFOA im Blut. Perfluoroktansäure – eine der PFC-Chemikalien, die auch im Trinkwasser gefunden wurde. Sie wird vor allem eingesetzt, wenn es darum geht, Produkte wasser- und schmutzabweisend zu machen. PFOA gehört zu den langkettigen PFC. Ein Stoff, über den man schon verhältnismäßig viele Daten zusammengetragen hat. Für Annegret Biegel-Engler ist markant, dass der Körper diese Chemikalie kaum ausscheidet. Sie hat eine Halbwertzeit von vier Jahren. So lange dauert es, bis sie im Körper wenigstens zur Hälfte abgebaut ist. O-Ton Annegret Biegel-Engler: Wenn man sich dann überlegt, dass die toxische Wirkung haben, also es sind krebserregende Stoffe, die sind schädigend für die Fortpflanzung, sie sind lebertoxisch. Und je mehr Wissenschaftler dran arbeiten, desto mehr toxische Wirkungen werden dann auch bekannt, dann ist das schon klar, dass wir hier von ner Stoffgrupe sprechen, die wir als besonders besorgniserregende Chemikalien bezeichnen. 8

Sprecherin: So etwas im Blut zu haben, klingt beunruhigend. Diese gesundheitsschädlichen Folgen wurden bei hoher Dosierung in Tierversuchen nachgewiesen. Ob diese Ergebnisse einfach auf den Menschen übertragen werden können, darüber wird gestritten. Wir haben keine Daten, sagt das Bundesinstitut für Risikobewertung. Um das Risikopotenzial für den Menschen klar benennen zu können, reicht die Studienlage nicht aus. Eine akute gesundheitliche Gefahr gehe von diesen Werten nicht aus, betont der Umweltmediziner Jürgen Hölzer. Er ist Mitglied in der Kommission HumanBiomonitoring beim Umweltbundesamt. Es gebe zwar Untersuchungen, die darauf hindeuten, dass langkettige PFC auch schon in niedriger Dosierung im menschlichen Körper beispielsweise auf Schilddrüse oder Immunsystem wirken. Für eindeutige Aussagen müsse aber erst mehr geforscht werden. Ulrich Schumann ist trotzdem verunsichert. Er dreht seinen Wasserhahn zu Hause in Kuppenheim erst mal nicht mehr so häufig auf. O-Ton Ulrich Schumann: Das hat mich schon nachdenklich gestimmt, dass bei der zweiten Untersuchung doch meine Werte noch mal angestiegen waren, obwohl ja eben die Konzentration im Trinkwasser zurückgefahren werden konnte. Das hat mich dann schon nachdenklich gestimmt und letztlich haben wir uns dann eben zu Hause dafür entschieden, jetzt eben auch Wasser in Flaschen zu kaufen. Sprecherin: PFC im Trinkwasser, auf dem Acker, im Weiher. Mittelbaden oder der Märchenweiher in der Eifel sind Beispiele, aber Probleme mit hohen PFCBelastungen gibt es auch an anderen Stellen in Deutschland. In niedriger Dosis treffen wir die perfluorierte Chemie eigentlich überall in unserm Alltag. Einkaufen im Kaufhaus Sprecherin: Ein Bummel durchs Kaufhaus. Haushaltswarenabteilung: Die Teflonpfanne, in der nichts haften bleibt, oder das Backpapier, das nicht klebt – PFC. Möbelabteilung: der Teppich oder das Polstersofa. Damit sie lange wie neu aussehen, sind sie mit schmutzabweisenden Mitteln behandelt. Aus PFC. Beim kleinen Imbiss zwischendurch: der Pizzakarton oder das Pappschälchen mit den Pommes sind beschichtet und fettabweisend – dank PFC. Sport- und Freizeitabteilung: die Wanderschuhe, die Regenjacke, das Imprägnierspray. Wasser und Schmutz perlen ab – durch PFC. Kaufhaus – Kleiderbügel werden an einer Stange hin- und hergeschoben

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Sprecherin: Manfred Santen von der Umweltorganisation Greenpeace lässt regelmäßig OutdoorKleidung auf schädliche Substanzen untersuchen. Im jüngsten Report wurden auch Zelte, Rucksäcke und Schlafsäcke unter die Lupe genommen. O-Ton Manfred Santen: Wir haben einmal die Materialien, also die Jacken, Hosen und Zelte direkt untersucht und zu unserem Erstaunen festgestellt, dass doch noch relativ viel langkettige PFC da extrahierbar sind. Das sollte eigentlich nicht so sein, weil die Outdoormarken und die dahinter stehende Industrie verspricht seit Jahren auf diese Substanzen zu verzichten. Allerspätestens aber seit 2015. Sprecherin: Mit ihrer „Detox-Kampagne“ steht Greenpeace den Textilherstellern seit 2011 regelmäßig auf den Füßen. „Entgiftet unsere Kleidung“ lautet die Forderung. Die Umweltorganisation hat PFC-Chemikalien bei Expeditionen in entfernten Gebirgsregionen in Boden und Wasser nachgewiesen. Einmal in die Umwelt gelangt, ziehen sie mit Wind und Wasser um die Welt. Und sie sind langlebig. GreenpeaceChemiker Manfred Santen macht deutlich: Es geht dabei weniger um die Gefahr für den Nutzer, der die behandelte Jacke anzieht. Über die Haut werden PFC kaum aufgenommen. O-Ton Manfred Santen: In erster Linie geht es uns bei unserer Kampagne darum, die Produktion sauber zu bekommen. Nämlich da anzusetzen, wo diese Stoffe eingesetzt werden. Das ist in China, in Thailand, in Indonesien, in Vietnam. Dort gehen die Menschen mit großen Mengen von diesen Stoffen um. Und wir gucken hier nach ein paar Mikrogramm, was wir vielleicht noch einatmen oder auf die Haut bekommen, aber dort sind es dann Milligramm und Gramm und Kilogramm. Und das ist das eigentliche Problem. Sprecherin: Die Umwelt und die Gesundheit der Menschen in fernen Ländern belasten, damit an unserer Wanderjacke Schmutz und Wasser abperlen. Im Zentrum für Umweltforschung und nachhaltige Technologie der Uni Bremen testen Stefan Stolte und sein Team PFC-freie Alternativen. O-Ton Stefan Stolte: Es kommen immer wieder neue Produkte auf den Markt, ohne Fluor. Die können silikonbasiert sein, kohlenstoffbasiert sein, Wachse zum Beispiel werden genutzt, unterschiedliche neue Substanzen, von denen man jetzt noch gar nicht weiß, ob die gut oder schlecht für Mensch und Umwelt sind. Und das Ziel des Projekts ist, das rauszufinden. Klimaschrank

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Sprecherin: Stefan Stolte öffnet die Tür einer Art überdimensionalen Kühlschranks. Mit diesem Klimaschrank lassen sich Umweltbedingungen simulieren. Licht, Temperatur und Luftfeuchtigkeit werden hierin konstant gehalten. Im Schrank stehen runde durchsichtige Behälter. In einer klaren Flüssigkeit schwimmen Wasserlinsen. Die winzige Wasserpflanze wächst sehr schnell, Auf einem Teich bildet sie schon mal einen dichten grünen Teppich. Ein gefundenes Fressen für Enten, deshalb wird sie auch Entengrütze genannt. Hier im Klimaschrank sind die Linsen abgezählt und werden verschiedenen Dosierungen von PFC-freien Chemikalien ausgesetzt. O-Ton Stefan Stolte: Hier sehen sie ein Beispiel, das sind nur ganz wenige Blättchen und hier ist die Farbe aus diesen grünen Blättern auch entwichen quasi. Das heißt die Pflanze ist im Prinzip gestorben. Hier sehen sie ein anderes Beispiel, da sind ganz viele Blättchen. Hier ist die Chemikalie in einer so geringen Konzentration, dass sie offensichtlich die Wasserlinse nicht mehr in ihrem Wachstum hemmt. Sprecherin: Sind Wasserlinsen im Wachstum gehemmt oder bewegen sich eingesetzte Wasserflöhe nicht mehr – das sind Tests, mit denen man in der Umweltforschung die Toxizität, die Giftigkeit von Stoffen, prüft. Sprecherin: Auch mit Algen oder Bodenbakterien wird getestet, welche Wirkung die alternativen Chemikalien in der Umwelt haben. Die Untersuchungen an der Uni Bremen unter dem Projekttitel „Outdoortextilien – wasserdicht, atmungsaktiv und grün“ werden von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt gefördert. Das Projekt hat erst 2015 begonnen, Stefan Stolte kann aber schon ein Zwischenergebnis vermelden. O-Ton Stefan Stolte: Die Ergebnisse sind eigentlich vielversprechend, also auch für die Hersteller, dass die Umweltgefährlichkeit, also die Toxizität gegenüber Wasserorganismen von den meisten Produkten akzeptabel ist. Einige wenige Produkte zeigen deutlich stärkere Effekte, da müssen wir noch rausfinden, woran das liegt. Sprecherin: Trotz der vielversprechenden Aussichten für die Umwelt – es bleiben Mankos. Von den alternativen Stoffen braucht man mehr, um die gleiche wasserabweisende Eigenschaft zu erreichen wie mit PFC. Und: Die Alternativen können nur Wasser abweisen, aber kein Fett. Alternativen zu den per- und polyfluorierten Chemikalien scheint es nur mit Einschränkungen zu geben. Ein Pommesschälchen, das kein Fett abweist, ist nicht zu gebrauchen. Bei den Untersuchungen, die Greenpeace an Outdoorkleidung in den letzten Jahren durchgeführt hat, zeigt sich die Entwicklung, dass die Hersteller statt der besonders besorgniserregenden langkettigen vermehrt kurzkettige PFC einsetzen. Die reichern sich nicht so stark im menschlichen Organismus an und sind weniger toxisch – nach 11

bisheriger Datenlage. Aber diese Datenlage ist noch sehr dünn, bemängelt Manfred Santen von Greenpeace. Er hält sie für keine gute Alternative. Denn in der Umwelt sind kurzkettige PFC genau wie die langkettigen sehr langlebig und vor allem mobil; sie verteilen sich schnell über weite Strecken. Auf politischer Ebene reguliert wurde bislang nur ein einziger Stoff aus der PFCGruppe: PFOS, die Perfluoroktansulfonsäure, ist als besorgniserregende Chemikalie eingestuft und somit EU-weit mit Verboten und Einschränkungen belegt. Deutschland hat auf Initiative des Umweltbundesamtes auch für PFOA eine Regulierung in der EU auf den Weg gebracht, schildert Annegret Biegel-Engler vom Umweltbundesamt: O-Ton Annegret Biegel-Engler: Wir haben eine Beschränkung vorgeschlagen für PFOA und alle Stoffe, die zu PFOA abgebaut werden können. Dieser Vorschlag wird auf EU-Ebene von zwei verschiedenen wissenschaftlichen Gremien diskutiert und die EU-Kommission erstellt dann einen Gesetzesvorschlag. Dann hat man erst mal eine wichtige Gruppe der langkettigen PFC in Europa reguliert. Ein erster, aber auch sehr wichtiger Schritt, weil wir mit dieser Beschränkung eine sehr große Gruppe von PFC sozusagen vom Markt drängen. Sprecherin: Ein wichtiger Schritt, der allerdings recht spät kommt. Denn längst haben sich PFOA und PFOS über Jahrzehnte in der Umwelt ausgebreitet. Genauso wie all die anderen PFC-Substanzen, die noch nicht so gut erforscht sind. Wissenschaft und Politik hinken hinterher. Die Wirkungen im Tierversuch sind erschreckend. Die Risiken für den Menschen noch nicht klar zu nennen. Einzig bei der Empfehlung des ALARAPrinzips sind sich alle einig: As Low As Reasonably Achievable. In Lebensmitteln und Trinkwasser sollte der Gehalt so weit wie möglich minimiert sein. Dabei dürften in Zukunft wohl noch viel mehr PFC-Hot-Spots wie der Märchenweiher in der Eifel oder die Äcker in Mittelbaden gefunden werden, wenn erst mal, so wie beispielsweise in Rheinland-Pfalz, systematisch danach gesucht wird. Die bisherigen PFC-Probleme waren oft nur Zufallsfunde. *****

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