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SWR2 Feature Hurra, wir haben nicht versagt! Benjamin Ferencz und der Traum vom Weltfrieden Von Beate Ziegs Sendung: Mittwoch, 18. Januar 2017 Redaktion: Ingo Kottkamp Regie: Beate Ziegs Produktion: DLR 2015

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MUSIK 1

Lindsay Cooper: „Nightmare“

SPRECHER 2 April 20, 1945. Somewhere in Germany. 20. April 1945. Irgendwo in Deutschland. Dearest Trudy: Liebste Trudy: ERZÄHLERIN Benjamin Ferencz ist 25 Jahre alt und schreibt an seine Verlobte in New York. SPRECHER 2 (englisch - deutsch verwoben) We have been uncovering dozens of Nazi murder camps. () We are now working on a case – and this is the absolute truth – in which hundreds of men with tattooed skin were slaughtered and skinned so that [they] could have lampshades made of the colored human tissues. A story? No. We have the proof. We have the skins, the lampshades, the dead bodies of the unfortunate victims, - and also the names of the perpetrators. Wir haben Dutzende Todeslager der Nazis aufgedeckt. Zur Zeit arbeiten wir an einem Fall, in dem Hunderte von Menschen mit tätowierter Haut abgeschlachtet und gehäutet wurden, um aus den Häuten gemusterte Lampenschirme herzustellen. Das ist kein Märchen. Wir haben die Beweise. Wir haben die Häute, die Lampenschirme, die Leichen der unglücklichen Opfer – und auch die Namen der Täter. O-TON 1

(Vorsitzender Richter: „Guilty or not guilty?“ ....)

ERZÄHLERIN Zwei Jahre später, 1947, ist er Chefankläger im Nürnberger Einsatz-gruppenprozess. O-TON 1 Benjamin Ferencz: Plädoyer der Anklage, Nürnberger Einsatzgruppenprozess, 15. September 1947 „Vengeance is not our goal, nor do we seek merely a just retribution. We ask this court to affirm by international penal action, man’s right to live in peace and dignity, regardless of his race or creed.“ SPRECHER 2 Rache ist nicht unser Ziel, noch suchen wir bloß nach einer gerechten Vergeltung. Stattdessen bitten wir dieses Gericht, durch die Anwendung des internationalen Strafrechts das Grundrecht auf ein Leben in Frieden und Würde zu bekräftigen, unabhängig davon, welcher Rasse oder welchem Glauben ein Mensch angehört. O-TON 2 Benjamin Ferencz I am a dreamer in a sense that I have never lost my vision. SPRECHER 1 Ich bin in dem Sinne ein Träumer, als dass ich meine Vision nie verloren habe. ERZÄHLERIN 70 Jahre später. Benjamin Ferencz ist 95 und hat gerade einen Vortrag an der Universität von Leiden gehalten.

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O-TON 3 Benjamin Ferencz My vision and dream is a very simple one. It is that all people on this planet should live in peace and human dignity. And I am convinced – absolutely – that it can be done. SPRECHER 1 Meine Vision ist sehr einfach. Sie besagt, dass alle Menschen auf diesem Planeten in Frieden und Menschenwürde leben sollten. Und ich bin absolut überzeugt davon, dass das machbar ist. O-TON 4 Fatou Bensouda I certainly share this dream. I have faith myself in this profound potential of human kind to do good. SPRECHERIN Zweifellos teile ich diesen Traum. ERZÄHLERIN Fatou Bensouda, Chefanklägerin am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. SPRECHERIN Ich glaube an das Gute im Menschen. ANSAGE

„Hurra, wir haben nicht versagt!“ Benjamin Ferencz und der Traum vom Weltfrieden Feature von Beate Ziegs

O-TON 5 Ausschnitt aus: „D-Day 1944“ Reporter: „In England, General Dwight D. Eisenhower and his deputy commanders start the liberation of a lost continent ...“ ERZÄHLERIN 6. Juni 1944. D-Day. Es ist der Tag, an dem die Landung alliierter Truppen in der Normandie beginnt. Der Anfang vom Ende des Zweiten Weltkriegs. Am 10. Juni 1944 erreicht auch „Private Ferencz“ mit seiner Einheit je-nen Strand, den die Alliierten „Omaha Beach“ nennen. Die Soldaten stolpern die Stahlrampe des Transportschiffs herunter. Den meisten reicht das Wasser nicht bis über die Knie. Benjamin Ferencz jedoch geht es bis zur Taille, je nach Wellengang sogar bis zum Hals. O-TON 6 Benjamin Ferencz My parents never thought I was going to live when I was born. I was a very tiny boy and nobody thought I would live. SPRECHER 1 Ich war ein winzigkleines Baby. Meine Eltern konnten sich nicht vorstellen, dass ich überleben würde. ERZÄHLERIN Nicht stattlich und groß, sondern eher klein und schmal sitzt er mir auch jetzt in der Universität von Leiden gegenüber. Soeben hat er vor Jura-studenten einen Vortrag darüber gehalten hat, dass der Weg des Rechts immer besser sei als der Weg der 7

Gewalt und des Kriegs. Auch dann, wenn das Gerichtsurteil anfechtbar sein sollte. Dafür hat er Standing Ovations bekommen. ATMO 1 Universität Leiden, Vortrag Benjamin Ferencz entfernt in einem großen Saal: „... What else can you do? You are continuing building up a new awareness that law is better than war, no matter what. Even if you get a bad decision, a wrong decision: It is certainly better than war.“ Applaus ERZÄHLERIN Dass er trotz seiner Schmächtigkeit am Leben geblieben ist, verdankt Benjamin Ferencz auch dem Entschluss seiner Eltern, das kleine Dorf in Transsilvanien, in dem er am 11. März 1920 geboren wurde, rechtzeitig zu verlassen. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte Ungarn das Gebiet an Rumänien abgetreten, wo Juden einer immer stärker werdenden Verfolgung ausgesetzt waren. Wer konnte, rettete sich vor den Pogromen und verließ das Land. (Beginn O-Ton 7) Am 29. Januar 1921 erreicht die Familie Ferencz Ellis Island, das Tor zu ihrer neuen Heimat. O-TON 7 Ausschnitt aus: „New York in the Twenties“ Erzähler: „In the twenties all roads lead to New York. Rising from an island of rocks, the city invites youngsters eager to test their talents, men and women seeking success ...“ ERZÄHLERIN Was für die einen die „goldenen zwanziger Jahre“ sind, ist für die anderen nackter Kampf ums Überleben. Für Benjamin Ferencz, seine Eltern und seine jüngere Schwester ist es das letztere. Er wächst in „Hell’s Kitchen“ auf, in „Teufels Küche“. Dieses in Manhattan gelegene Viertel, das eigentlich „Clinton“ heißt, ist berüchtigt für seine hohe Kriminalitätsrate. O-TON 8 Benjamin Ferencz It was dirt and filth and crime and corruption, fightings in the streets. So I think my initial circumstances encouraged me very early on that I want to be a lawyer. I didn’t know what being a lawyer was. But I knew it was the opposite of being a criminal. (lacht etwas) ... and the Havard Law School admitted me.“ (lacht) ERZÄHLERIN Dreck, Korruption, Straßenkämpfe – wer darin nicht untergehen will, muss mitmachen. Doch der kleine Ben entscheidet sich für das Gegenteil: Er will Anwalt werden, auch wenn er keine Ahnung hat, was ein Anwalt ist. (O-Ton 8: „... the opposite of being a criminal...“) Aber wie soll das funktionieren? Der Junge spricht nicht einmal richtiges Englisch, sondern einen Mischmasch aus Jiddisch, Ungarisch, Rumänisch und Straßenslang. Er ist 13 Jahre alt, als eine Lehrerin auf seine überdurchschnittliche Intelligenz aufmerksam wird. Als „besonders begabt“ wird er auf eine Schule geschickt, die ihn auf das Studium am City College of New York vorbereiten soll. Von jetzt auf gleich muss er büffeln, was das Zeug hält – und er schafft es. Mit 20 verlässt er das College mit einem Bachelor für Sozialwissenschaften in der Tasche. Er schafft auch den nächsten Schritt: die Aufnahme an der Rechtsfakultät der Harvard University. (O-Ton 8: „... and the Harvard Law School admitted me.“ (lacht)) 7

Inzwischen tobt der Zweite Weltkrieg. Benjamin Ferencz wird Assistent von Sheldon Glueck, der an der Harvard University Kriminologie lehrt und an einem Buch über Kriegsverbrechen schreibt. O-TON 9 Benjamin Ferencz And that was my „Glück“ that I went to him because I read everything on war crimes that was in the Harvard library, which is an excellent library. And he was also a correspondent with what was called the United Nations War Crimes Commission ... and was looking at them. So we knew very well that Germany was executing a program of extermination against the Jews. Things like „Kristallnacht“ were well known throughout the world. We didn’t know the details. But we knew there were concentration camps. So it didn’t come to me as a total surprise when I became a witness to it. SPRECHER 1 Ich las alles über Kriegsverbrechen, was es in der Harvard-Bibliothek zu lesen gab. Sheldon Glueck war außerdem der amerikanische Kontaktmann der United Nations War Crimes Commission. Die hatte nichts mit den Vereinten Nationen zu tun; die gab es damals noch nicht. Die Zentrale der Kommission saß in London. Zu ihr gehörten Anwälte, die aus den von den Nazis besetzten Gebieten hatten fliehen können und Beweismaterial für Kriegsverbrechen zusammentrugen. Und ich habe deren Berichte aus erster Hand gelesen und ausgewertet. (O-Ton 9: „... and was looking at them. So we knew very well...“) Wir wussten, dass Deutschland dabei war, die Juden zu vernichten. Wir wussten von der „Kristallnacht“ und von Konzentrationslagern. Ich war also nicht unvorbereitet, als ich Zeuge davon wurde. SPRECHER 2 (der kursive Teil des englischen Originals liegt unter Erzählerin) May 15, 1945. Somewhere in Austria. 15. Mai 1945. Irgendwo in Österreich. Dearest Trudy: Liebste Trudy: Die Donau ist weder blau noch schön. Es ist ein trüber Fluss, auf dem Dreck und Trümmer treiben. The Danube is neither blue nor beautiful; at least not this time of year. It is a muddy river where dirt and debris wash swiftly by. () In the morning I left for the concentration Lager. () We drove slowly through the gate and were greated by throngs of unclad people milling around the court. (darunter weiter englisch): Heute morgen war ich im Konzentrationslager. Wir fuhren langsam durch das Tor und wurden von einem Gewimmel nackter Menschen begrüßt, die auf dem Hof herum liefen. Es gab zwei Todesarten: der langsame mentale und moralische Verfall, der die Opfer in den Selbstmord oder in den vollkommenen physischen Zusammenbruch trieb; und dann die eher gewaltsamen Tode. Bei den letzteren wetteiferten die Nazi-Bestien um die grauenvollste Vernichtungs-methode. So machten sie sich einen Sport daraus, den Gefangenen zu befehlen, von der hohen Felswand zu springen. Wer sich weigerte, wurde runtergeworfen. (Darunter): Many of them wore absolutely nothing. () There were two general forms of death: the slow mental and moral decline which finally drove the victims to suicide or complete physical collapse, and the more violent deaths. In the latter the Nazi beasts really matched each other for the most horrible methods of extermination. () One of the Nazi sport was to order their prisoners to jump off the high cliff. Those who were reluctant were thrown. 7

(Kurz freistehend): The smashed bones are still mingled with the smashed rock. () The Nazis had tried to destroy the evidence of their horrible crimes, (unter Erzählerin): but two of the 4 crematoriums were still there and though they had covered the gas valves with plaster they did not have time to kill all who knew about it, and would-be victims were eager to reveal the methods of their former tormentors. () There were a million other things I saw and did, but I can’t describe them now, dear. It’s horrible and pathetic. I don’t even want to think of what the sight of all these things is doing to me. () Now it is late and time for this to come to an end. I could write on endlessly but it’s all the same. Tomorrow morning I leave to see another camp. (hier engl. Original: „...The smashed bones are still mingled with the smashed rock. The Nazis had tried to destroy the evidence...“, dann Erzählerin über Text) ERZÄHLERIN Der Ort, über den Benjamin Ferencz seiner Verlobten berichtet, ist das Konzentrationslager Mauthausen. Es war das größte Vernichtungslager der Nationalsozialisten auf österreichischem Boden. Am 5. Mai 1945 wurde es von der US-Armee befreit. (englisches Original kurz frei) Als Harvard-Absolvent und auf Empfehlung von Professor Sheldon Glueck hat Benjamin Ferencz den Auftrag erhalten, eine Einheit zur Dokumentation von Kriegsverbrechen aufzubauen – was bedeutet, Todeslisten und Personalbögen zu sichten sowie die Berichte Überlebender aufzunehmen. (Ende englisches Original: „... Tomorrow morning I leave to see another camp.“) Ein Großteil der Briefe gehört zum Archivbestand des Holocaust Memorial Museum in Washington. In dem ruhigen Raum, in den wir uns an der Universität Leiden für unser Gespräch zurückgezogen haben, bitte ich Benjamin Ferencz, einige Briefe selbst vorzulesen. O-TON 10 Benjamin Ferencz No, I can’t read them. I am still – you may have noticed that already – I cannot describe them because – it’s unbelievable, it’s true, it’s there – and I don’t want to disturb it. – The job was a nightmare, really. I dug up bodies with my hands. I don’t want to talk about it because I can’t talk about it really. But my mind did a salvation trick. My mind shutted off, it was not real. And that’s the way it went. I just went about my business and turned off my emotional switch. You know, I have to get to the „Schreibstube“ collecting the evidence before it is destroyed, see if I can find some people who seem qualified and able to give some testimony, take their names down – get the hell out of here, get out as soon as you can! SPRECHER 1 Die Arbeit war ein Albtraum. Ich habe Leichen mit bloßen Händen aus-gegraben. Ich möchte darüber nicht reden. Ich kann es nicht. Aber mein Verstand hat mich gerettet. Er hat alle Emotionen ausgeschaltet. Ich sagte mir einfach: Geh in die Schreibstube. Sammle Beweismaterial. Finde Zeugen. Notier die Namen. Und dann nichts wie raus hier! MUSIK 2

Jun Miyake: „Veins“

ERZÄHLERIN Im Dezember 1945 nimmt Benjamin Ferencz seinen Abschied von der Armee. Noch während er sich überlegt, wie er sich in New York eine Existenz als Anwalt aufbauen kann, erreicht ihn das Angebot von Telford Taylor, eine zivile Ermittlungsgruppe zu 7

leiten, die für die Anklage der Nürnberger Prozesse Beweismaterial ausfindig machen soll. Ferencz nimmt an und kehrt nach Deutschland zurück. O-TON 11 Benjamin Ferencz We found the documents, „Tagesmeldungen“, „Ereignisse aus der UdSSR“ signed by the commanding officer, the name of his unit, the time, the place, and bragging about how many jews he killed, and how many others were listed, the gypsies and other categories as well. It was a complete unit, „Einsatzgruppe 1, 2, 3, 4“ and so on all the way down. And the „Verteilerliste“. And I saw immediately, this is a compre-hensive mass murder unheard of. I personally took a little adding ma-chine and began to add up how many killed here in Kiev: 33271, how many killed here: 14012. So when I got to a million, I said, „It’s enough! It’s enough!“ ERZÄHLERIN Im Keller der ausgebombten Berliner Gestapo-Zentrale finden die Rechercheure Aktenordner mit den Tagesmeldungen der vier Einsatz-gruppen aus Sicherheitspolizei und Sicherheitsdienst, die von Juni 1941 an Hitlers Wehrmacht in den Osten gefolgt waren: mobile Killer-kommandos, die in ihren Berichten damit prahlten, wie viele Juden, Zigeuner, wehrlose Kinder und andere so genannte „unerwünschte Elemente“ sie täglich umbrachten. Benjamin Ferencz lässt sich eine Rechenmaschine geben und addiert die Toten. O-TON 12 Benjamin Ferencz (im Wechsel mit deutscher Übersetzung) So I went down to General Taylor, and I said, „We have to put on a new trial.“ And he said, „We can’t, we don’t have the staff, we can’t do it.“ I said, „You can’t let these men go! That’s impossible!“ And he said, „Well, can you do it in addition to your other work?“ And I said, „Of cour-se, I can do it.“ „Okay, so you do it.“ So there is a Chuzpe guy Ben Fe-rencz who says, you gotta do it! I became the chief prosecutor of what is certainly the biggest murder trial in history before or after, I hope, although it’s possible that we have to meet an even bigger murder. That is possible. SPRECHER 1 Ich sagte zu General Taylor, dass wir ein neues Verfahren eröffnen müssen. Er antwortete, das sei unmöglich, weil wir nicht das Personal dafür haben. Es sei denn, ich würde das zusätzlich zu meiner Arbeit übernehmen. (O-Ton 12: „... And I said, >Of course I can do it!the case we present is a plea of hu-manity to law.< It was a call for human beings to behave in a humane and lawful way... Let the voice and the verdict of this esteemed global court now speak for the awakened conscience of the world. Thank you.“ Vorsitzender Richter: „Thank you very much, Mr. Ferencz.“ ERZÄHLERIN 25. August 2011. Benjamin Ferencz leitet das Schlussplädoyer der Anklage im Prozess gegen Thomas Lubanga Dyilo ein. (O-Ton 25: „... its first accused, Mr. Thomas Lubanga Dyilo...“) Es ist ein historischer Augenblick, denn der kongolesische Milizenführer ist der erste mutmaßliche Kriegsverbrecher, der sich vor dem Internationalen Strafgericht verantworten muss. Angeklagt ist er unter anderem wegen der Rekrutierung von Kindersoldaten. (O-Ton 25: „... The evidence showed...“) Auch für Benjamin Ferencz ist es ein historischer Augenblick, vielleicht sogar die Krönung seiner Karriere als „Frontkämpfer“ für den Traum vom Sieg des Rechts über Gewalt und Krieg. Und so schlägt er einen Bogen zu den Prinzipien der Nürnberger Prozesse und zitiert sich selbst. (O-Ton 25: „...Once again, >the case we present is a plea of humanity to law.< ...“) SPRECHER 1 Noch einmal: „Der Fall, den wir präsentieren, ist ein Appell der Menschheit an das Recht.“ Das war eine Aufforderung an die Menschen, sich menschlich und gerecht zu verhalten. 7

(O-Ton 25: „...It was a call for human being to behave ... - Thank you very much, Mr. Ferencz…“) ERZÄHLERIN Im Juli 2012 wird Thomas Lubanga Dyilo zu 14 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Im März 2015 schreibt das Haager Gericht in diesem Fall Rechtsgeschichte: Es ordnet die Entschädigung der ehemaligen Kindersoldaten an. So selbstverständlich diese Maßnahme klingt, ist sie doch ein Novum. Nicht einmal bei den Ruanda- und Jugoslawien-Tribunalen sind Entschädigungen der Opfer vorgesehen. MUSIK 7

Jun Miyake: „Eden-4“

O-TON 26

Fatou Bensouda in Kenia (2012) Fatou Bensouda: „People have been identified...“ Übersetzerin: (spricht Swahili) Fatou Bensouda: „My mission this morning...“ Übersetzerin: (spricht Swahili) (...)

ERZÄHLERIN Ihre erste offizielle Reise als Chefanklägerin führt Fatou Bensouda im Oktober 2012 nach Kenia. Sie spricht mit Regierungsmitgliedern und Vertretern von NGOs, aber auch – wie hier – mit Dorfgemeinschaften, die Mord, Vertreibung und Plünderung ausgesetzt waren. (O-Ton) Nach den Präsidentschaftswahlen vom Dezember 2007 waren schwere Unruhen ausgebrochen. Sie führten zum Tod von weit über 1000 Menschen sowie zur Vertreibung von etwa 600.000 Menschen. Nach wie vor können Hunderttausende der Vertriebenen nicht in ihre Heimat zurückkehren. (O-Ton kurz frei und endet) 2010 klagt der Internationale Strafgerichtshof Uhuru Kenyatte als mit-verantwortlich für diese Verbrechen an. Im September 2013 wird der Prozess in Den Haag eröffnet – woraufhin die kenianische Legislative ihre Zusammenarbeit mit dem Gericht einstellt und die Regierung damit droht, aus dem Römischen Statut auszutreten. Präsident dieser Regierung ist inzwischen kein anderer als Uhuru Kenyatta. MUSIK 8

René Aubry: „Amnesie“

ERZÄHLERIN Doch am 8. Oktober 2014 folgt Uhuru Kenyatta als erster amtierender Staatschef der Welt einer Vorladung nach Den Haag. Schon knapp zwei Monate später platzt der Prozess: Fatou Bensouda muss die Anklage mangels Beweisen zurückziehen. (OTon 27) Im Klartext heißt das: Zeugen wurden unter Druck gesetzt und zogen ihre Aussagen zurück oder verweigerten sie von vornherein. Manche wurden tot aufgefunden. O-TON 27 Fatou Bensouda (2014) (im Wechsel mit deutscher Übersetzung) I have explained to the people of Kenya the severe challenges my Office has faced in our investigations of Mr. Kenyatta. These include the fact that several people who may have provided important evidence have died while others were too terrified to testify for the prosecution. To conclude: Today is a dark day for international criminal justice. Be that as it may, it is my firm believe that today’s decision is not the last word on justice and accountability for the crimes that were inflicted on the people of Kenya in 2007 and 2008, crimes that are still crying out for justice. 7

SPRECHERIN Heute ist ein schwarzer Tag für die internationale Strafjustiz. Aber ich glaube fest daran, dass die heutige Entscheidung nicht das letzte Wort über Recht und Rechenschaft für die Verbrechen ist, unter denen das Volk von Kenia 2007 und 2008 zu leiden hatte. MUSIK 8

(s.o.)

ERZÄHLERIN Am 12. Dezember 2014 folgt der nächste schwarze Tag für das internationale Strafrecht, als Fatou Bensouda vor dem UN-Sicherheitsrat erklärt, dass sie die Ermittlungen im Fall Darfur aussetzt. Als Sieger über die Weltjustiz kann sich dieses Mal Sudans Staatschef Omar al-Bashir feiern lassen. Es war der UN-Sicherheitsrat selbst gewesen, der den Internationalen Strafgerichtshof 2005 beauftragte, in dem bewaffneten Konflikt zwischen den verschiedenen Volksgruppen in Darfur und der sudanesischen Regierung in Khartum zu ermitteln. Eine Schätzung der UNO geht von über 300.000 Toten und fast 3 Millionen Vertriebenen aus. Die Hauptverantwortlichen für diese Verbrechen sitzen in der Regierung oder gehören der Reitermiliz Dschandschawid an. Im März 2009 erlässt der Internationale Strafgerichtshof einen internationalen Haftbefehl gegen Omar al-Bashir wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Im Juli 2010 erneuert das Gericht seinen Haftbefehl, der jetzt auch die Anklage wegen Völkermords enthält. Aber al-Bashir kann unbehelligt reisen, sogar in Länder, die als Vertragsstaaten des Gerichts eigentlich den Haftbefehl ausführen müssten. Zudem unterlässt es die UNO, die in Darfur stationierten Blauhelm-Soldaten zu beauftragen, den Haftbefehl zu vollstrecken. Dem Weltgericht bleibt nichts anderes übrig, als seine Ermittlungen bis auf weiteres auszusetzen. (Musik endet) Eine bittere Entscheidung, wie Fatou Bensouda dem UN-Sicherheitsrat klar macht, der bereits im Fall des Völkermords in Ruanda und der Flüchtlingskatastrophe in Syrien erbärmlich versagt hat. SPRECHERIN Nicht nur, dass die Situation in Darfur sich verschlechtert. Zudem tritt die Brutalität, mit der die Verbrechen begangen werden, immer deutlicher zutage. Die Vergewaltigungsopfer fragen sich, wie viele Frauen denn noch brutal angegriffen werden müssen, bevor der Sicherheitsrat das Ausmaß ihrer Not anerkennt. Wir stehen mit dem Rücken zur Wand, was die Täter ermutigt, in aller Brutalität weiterzumachen. ERZÄHLERIN Fatou Bensouda sitzt mir in ihrem Büro am Konferenztisch gegenüber und überreicht mir das Dokument mit ihrer Erklärung vorm Sicherheitsrat. Als ich sie frage, wie sie solche Niederlagen wegsteckt, schaut sie mich eine Weile schweigend und sehr aufmerksam an. Dann sagt sie mit einem kleinen Aufblitzen in ihren Augen, das ahnen lässt, welch eine Kämpferin sie sein kann: O-TON 28 Fatou Bensouda (im Wechsel mit deutscher Übersetzung) The frustrations of the job does not mean that this job should not be done. Even if you see that one victim has justice, one victim, I think that is an achievement. And that achievement is far greater than the frustrations that you face in the job. Whatever we do will be faulted. People will try to put obstacles in our way, people will try to intimidate our witnesses. They will do everything to stop us from doing this job. 7

But for me that actually will just motivate me to do more. Yes. It cannot stop me from continuing, from pushing forward. SPRECHERIN Die Frustration, die es bei dieser Arbeit gibt, bedeutet nicht, dass die Arbeit nicht getan werden sollte. Wenn auch nur einem einzigen Opfer Gerechtigkeit widerfährt, ist das ein Erfolg. Und dieser Erfolg ist weitaus größer als der Frust, mit dem wir zu tun haben. Man wird versuchen, uns Steine in den Weg zu legen, unsere Zeugen einzuschüchtern. Man wird alles unternehmen, um uns an unserer Arbeit zu hindern. Aber genau das motiviert mich, weiterzumachen. Es kann mich nicht stoppen. ERZÄHLERIN Es hat sie nicht daran gehindert, im Mai 2014 Vorermittlungen gegen britische Militärs einzuleiten. Ihnen wird vorgeworfen, zwischen 2003 und 2008 im Irak Gefangene systematisch gefoltert zu haben. Es hat sie außerdem nicht daran gehindert, im Januar 2015 auf Antrag von Palästina Vorermittlungen gegen Israel aufzunehmen wegen möglicher Kriegsverbrechen während des Gazakriegs von 2014. O-TON 29 William Hague We reject allegations of systematic abuse. But when they are substantiated allegations of things going wrong, these things have been or are being investigated. That does not require references to the Criminal Court. O-TON 30 Benjamin Netanjahu Israel rejects the absurd decision of the ICC prosecutor. ERZÄHLERIN Wie zu erwarten, weist der damals amtierende britische Außenminister, William Hague, die Vorwürfe zurück. Und Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hält die Entscheidung schlichtweg für „absurd“. Glaubt Fatou Bensouda wirklich, jemals einen Briten oder einen Israeli auf der Anklagebank des Internationalen Strafgerichtshofs zu sehen? Sie bleibt unbeirrt. O-TON 31 Fatou Bensouda (im Wechsel mit deutscher Übersetzung) I am supposed to go on with my investigations without fear or favor. And again: I believe that every victim who sees justice done is a difference in this world. SPRECHERIN Von mir wird erwartet, dass ich meine Ermittlungen ohne Furcht und ohne Ansehen der Person fortsetze. Und noch einmal: Jedes Opfer, dem Gerechtigkeit widerfährt, verändert unsere Welt. MUSIK 9

Erkan Oður/Djivan Gasparyan: „Yemen“

ERZÄHLERIN Von der irakischen Stadt Basra aus kämpft der ehemalige Taxifahrer Ali Zaki Mousa gegen seine Albträume – und gegen die britische Regierung und ihre Armee. Die war im März 2003 ohne völkerrechtliches Mandat einmarschiert. Nach einem kurzen Krieg blieb sie jahrelang als Besatzungsmacht. 2006 wird Ali Zaki Mousa eines Nachts von britischen Soldaten gefangengenommen und ein ganzes Jahr lang verhört. Im ARD-Magazin „Weltspiegel“ berichtet er der Reporterin Eva Lodde: 7

O-TON 32 Ali Zaki Mousa, Weltspiegel vom 12.01.2014 (Arabisch mit deutscher Übersetzung) Am Ende habe ich einmal darum gebeten, auf Toilette zu gehen. Mein Gesicht war völlig zerschlagen, meine Nase gebrochen. Ein Soldat hat mir dann die festgeklebte Schutzbrille abgenommen. Das werde ich nie vergessen. Er riss mir die Brille vom Gesicht, und Haut und Fleisch blieben an ihr hängen. Ich habe geschrien. Der Soldat stand nur da und sagte: „Go. Geh aufs Klo.“ ERZÄHLERIN Ali Zaki Mousa ist einer von mehr als 400 ehemaligen irakischen Häftlingen, die sich an die britische Anwaltskanzlei Public Interest Lawyers wandten sowie an das in Berlin ansässige Europäische Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte ECCHR. Am 10. Januar 2014 reichten die beiden Organisationen ihre gemeinsame Strafanzeige beim Internationalen Strafgerichtshof ein, die zu den Vorermittlungen führte. Wolfgang Kaleck, Generalsekretär des ECCHR. O-TON 33 Wolfgang Kaleck Es mögen einzelne Folterfälle der 400 oder 500, die wir da vorgebracht haben, mögen strittig sein. Aber dass es mehrere hundert Folterfälle gegeben hat, steht zweifelsfrei fest. Es sind wirklich erbärmliche Geschichten. Aber es sind auch Geschichten, die klar machen: Das ist ein Systemversagen. Und für Systemversagen stehen diejenigen, die das System angeführt haben, also die obersten Militärführer, Verteidigungsminister, Verteidigungsstaatssekretär. Und da gibt es im internationalen Recht nicht nur die Variante, dass jemand dafür strafbar gehalten werden kann, der etwas getan hat – der etwas befohlen hat oder auch selber mit Hand angelegt hat –, sondern es gibt auch die Vorgesetztenverantwortlichkeit. Das muss auch langsam mal durchsickern! ERZÄHLERIN Um „Systemversagen“ ging es Wolfgang Kaleck bereits in einem anderen Fall: Im November 2004 reicht er bei der deutschen Bundesanwaltschaft eine Strafanzeige gegen den damaligen Verteidigungsminister der Vereinigten Staaten, Donald Rumsfeld, ein. Der Vorwurf: Kriegsverbrechen und wiederholte Verstöße gegen das Völkerrecht im Irak. Das Pentagon droht, eine juristische Verfolgung werde die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA belasten. Die Bundesanwaltschaft weist die Anzeige zurück. O-TON 34 Wolfgang Kaleck Bei Rumsfeld war es auch so, dass mir von durchaus wohlgesonnenen Menschen immer wieder die Frage gestellt wurde: „Hast du denn ernsthaft erwartet, dass in der Bundesrepublik ein Verfahren gegen den amtierenden oder ehemaligen Verteidigungsminister der USA eingeleitet würde?“ Dann sagen wir immer: „Warum nicht? Macht euch doch mal frei! Das hat in den vorigen Jahrhunderten auch eine Weile gedauert anzuerkennen, dass auch Mächtige in unserer Gesellschaft vor Gericht stehen können!“ ERZÄHLERIN Im November 2006 stellt Wolfgang Kaleck erneut Strafanzeige bei der Bundesanwaltschaft gegen Donald Rumsfeld. Dieses Mal geht es unter anderem um dessen Verantwortung für systematische Folter im Gefangenenlager Guantánamo. Angezeigt werden allerdings auch Rechtsverstöße amerikanischer Dienste auf 7

deutschem Boden wie die illegale Verschleppung des Deutsch-Libanesen Khaled elMasri nach Afghanistan. Auch diese Anzeige wird von der Bundesanwaltschaft abgelehnt. Doch inzwischen äußern sich immer mehr Organisationen und Einzelpersonen empört zu den Foltervorwürfen. Darunter auch Benjamin Ferencz. In einem Interview, das Steffen Judzikowski 2007 für das ZDF-Magazin „Frontal 21“ macht, erklärt er: O-TON 35 Benjamin Ferencz (2007) (im Wechsel mit deutscher Übersetzung) Guantanamo is very easy because international law universally condemns torture. And all those who are in the position of responsibility are and should be held personally accountable. It has already soiled the reputation of the USA. Guantanamo will be as name connected with American torture of prisoners the same way as Auschwitz is connected with Germany. It’s not only Guantanamo, of course. It’s Abu Ghraib, it’s the rendition to other countries to be tortured there. It’s the whole process! SPRECHER 1 Guantánamo ist ganz einfach: Das Völkerrecht verurteilt Folter grundsätzlich. Alle, die dafür in der Führungsebene verantwortlich sind, sollten persönlich zur Rechenschaft gezogen werden. Das hat längst den Ruf der USA befleckt. Der Name Guantánamo wird mit Folter von Gefangenen durch die Amerikaner genauso verbunden sein wie Auschwitz mit Deutschland. Es ist natürlich nicht nur Guantánamo, es ist auch Abu Ghraib, die illegale Auslieferung an andere Länder zur Folterung. Es ist der gesamte Prozess. ERZÄHLERIN 2008 erteilt der Militärausschuss des US-Senats der scheidenden Regierung von George W. Bush eine späte Rüge, indem er unter anderen Ex-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld für die Menschen-rechtsverletzungen in amerikanischen Internierungslagern verantwort-lich macht. Juristische Konsequenzen hat diese Entscheidung ebenso wenig wie der Bericht über die Foltermethoden der CIA, den der US-Senat im Dezember 2014 stark gekürzt und geschwärzt veröffentlicht: Präsident Barack Obama verurteilt zwar die Methoden, macht aber gleichzeitig deutlich, dass es keine Prozesse geben werde. O-TON 36 Wolfgang Kaleck Wenn man dann auch noch zur Kenntnis nehmen muss, dass diejenigen, die diese Grausamkeiten begangen haben, sich noch nicht mal dafür entschuldigen, sondern im Gegenteil, dass sie es heute noch für gerechtfertigt halten und die Diskussion darüber, in welcher Weise das zu bestrafen ist, für einen Angriff auf ihre Ehre halten – dann könnte man daran verzweifeln. Die Strafverfahren sollen ja auch zu einer öffentlichen Auseinandersetzung mit dieser Art von Straftaten führen. Und dass das nicht passiert, ist bedauerlich, aber vielleicht noch nicht das letzte Wort. ERZÄHLERIN Im Dezember 2014 reicht das Europäische Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte mal wieder eine Strafanzeige beim General-bundesanwalt ein. Zur selben Zeit fordert der Rechtsausschuss des Bundestags den Generalbundesanwalt auf, sich um den vollständigen CIA-Bericht zu bemühen, da dieser auch Folter an deutschen Staatsangehörigen beinhalte. Die Bundesanwaltschaft leitet die Anfrage an das Bundesjustizministerium weiter. Dessen Antwort ist ernüchternd: Die USRegierung habe klargestellt, dass sie einer Freigabe des kompletten CIA-Berichts 7

nicht zustimmen werde; welche Konsequenzen man aus dieser Haltung ziehe, werde „zu gegebener Zeit“ zu erwägen sein. Wolfgang Kaleck: O-TON 37 Wolfgang Kaleck Wir sind mitten in diesen juristischen und politischen Auseinandersetzungen. Und für mich sind das allenfalls Zwischen-resümees. Wenn wir komplett erfolglos gewesen wären in den letzten zehn Jahren, würde ich wahrscheinlich nicht hier sitzen und Briefe schreiben und wieder Strafanzeigen entwerfen. Aber wir waren nicht komplett erfolglos. In Wirklichkeit hat es ja Sinn gemacht, dass wir alle uns mit Guantánamo und allem, was nach dem 11. September 2001 passiert ist, auseinandergesetzt haben und dass wir versucht haben, dort aktiv zu werden, wo es möglich war. Zum Beispiel, dass eben bis heute solche Berichte veröffentlicht werden; zum Beispiel, dass es zu Gerichtsverfahren und zu Verurteilungen von einzelnen Staaten, die Komplizen waren, gekommen ist – namentlich Polen und Mazedonien. Und dass die CIA-Agenten, die in diese Entführungen auf europäischem Boden verwickelt waren, die fahren nicht mehr nach Europa, weil sie wissen, das ist zu gefährlich geworden, sie müssen sich vor Strafverfolgung schützen. Alles das ist von einem Netzwerk von Menschenrechts- und Juristenorganisationen angezettelt worden. Aber reicht uns das? Nein, wir wollen mehr. Aber mehr können wir natürlich auch nur dann erreichen, wenn wir noch mehr Leute auf unsere Seite ziehen. ATMO 4 Universität Leiden Studenten vor Hörsaal, Stimmendurcheinander ERZÄHLERIN An der Universität Leiden strömen die Studenten aus dem Hörsaal, in dem Benjamin Ferencz seinen Vortrag gehalten hat. Zu den Zuhörern gehörte auch Robert Heinsch. Er war Rechtsberater am Internationalen Strafgerichtshof und ist jetzt Dozent für Internationales Straf- und humanitäres Völkerrecht an der Universität Leiden. O-TON 38 Robert Heinsch Das Völkerstrafrecht ist sicherlich einer der Bereiche der Rechtswissenschaft, wo man sehr, sehr viele Menschen trifft, die mit einer sehr hohen idealistischen Motivation daran gehen. Wir haben hier jedes Jahr 150 Masterstudenten, die Völkerrecht studieren. Die kommen auch aus allen fünf Kontinenten. Und wenn Sie 100 Studenten vor sich haben und Sie sehen ein bisschen das Blinzeln und das Glitzern in den Augen oder den Idealismus, dann merken Sie, das kann eigentlich nicht schlecht sein, wenn man der jungen Generation beibringt, Krieg ist schlecht und die Straftäter müssen verfolgt werden. Ich hab eben auch viele Studenten, die danach wieder in ihr Heimatland gehen und da das einfach weiterverbreiten. Und das kann, glaub ich schon, auf die Dauer sehr viel Effekt haben. Also ich höre jedenfalls nicht auf, daran zu glauben. ATMO 5 Universität Leiden Studenten drängen sich um Benjamin Ferencz ERZÄHLERIN Mit seiner schmächtigen Statur droht Benjamin Ferencz fast erdrückt zu werden von den vielen Studenten, die mit ihm reden, ihm die Hand geben möchten. Eine junge Frau aus Israel fragt ihn, wie es möglich sei, dass er angesichts der Schrecken auf dieser Welt noch immer an das Gute im Menschen glaube. (Hier Atmo 5: „...How is it possible that you have such a positiv view of mankind... – I have no choice. – O, you have no choice ...“) 7

„Ich habe keine andere Wahl“, antwortet Benjamin Ferencz. Ein Student aus Nigeria ist so dankbar für die Begegnung, dass er den alten Mann unbedingt umarmen möchte. Je älter er geworden sei und je mehr er konfrontiert werde mit dem, was in der Welt geschieht, umso verzagter sei er geworden. Aber heute erlebt zu haben, wie jemand für eine friedvollere Welt kämpft, das habe ihm neue Kraft gegeben. (Hier Atmo 5: „... it fills me with a lot of hope...“) ATMO 6 Universität Leiden Raum vor dem Hörsaal leert sich ERZÄHLERIN Irgendwann sind sie weitergeeilt. In die Mensa oder zu einer nächsten Vorlesung. Ich bleibe mit Benjamin Ferencz zurück, der keinerlei Anzeichen von Müdigkeit oder Erschöpfung zeigt. Er schaut mich mit seinem festen Blick an, der immer auch etwas Schalkhaftes hat. Fast immer. O-TON 39 Benjamin Ferencz (im Wechsel mit deutscher Übersetzung) It’s an imperfect world, and we will never do full justice. We never can, we never did und we never will. All we can do is to try to make it as justice as possible under the circumstances we accounter. And if you have done your best, be satisfied. That’s my codex: I do my best. Once I do my best, I cannot do more. That’s it. It may fail. But I tried. That’s what I want to have on my tombstone: „He tried.“ That’s all. (lacht) SPRECHER 1 Wir werden niemals völlige Gerechtigkeit erreichen. Wir können nur versuchen, die Welt unter den gegebenen Umständen so gerecht wie möglich zu machen. Ich tue mein Bestes. Mehr geht nicht. Vielleicht misslingt es. Aber ich habe es versucht. Das soll auf meinem Grabstein stehen: „Er hat es versucht.“ (Ende von O-Ton 39) MUSIK 6

(s.o.)

ABSAGE „Hurra, wir haben nicht versagt!“ Benjamin Ferencz und der Traum vom Weltfrieden Ein Feature von Beate Ziegs Es sprachen: Erzählerin Tatja Seibt Der junge Benjamin Ferencz Stefan Kaminski Der ältere Benjamin Ferencz Felix von Manteuffel Fatou Bensouda Maria Hartmann Ton: Thomas Monnerjahn Regieassistenz: Cordula Dickmeiß Regie: die Autorin Produktion: DeutschlandradioKultur 2015

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