Stil, Glanz und Erfolg

Autor(en):

Alleman, Richard

Objekttyp:

Article

Zeitschrift:

Du : die Zeitschrift der Kultur

Band (Jahr): 38 (1978) Heft 4

PDF erstellt am:

13.08.2017

Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-295333

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Stil, Glanz und Erfolg Vor einigen Jahren gab es einen bekannten Schlager über einen dessen Rock-Sänger, grosser Traum war, einmal auf die Titel¬ seite von «Rolling Stone» zu kom¬ men. Dieses amerikanische Maga¬ zin berichtet aus der Welt der Rock-Musik und hat einen grossen Leserkreis. Auf dem Titelblatt von «Rolling Stone» zu erscheinen, be¬ deutet für einen Rock-Sänger un¬ gefähr das gleiche wie ein Oskar für einen Filmschauspieler oder ein Nobelpreis für einen Wissen¬ schaftler. Diana Vreeland, Sonder¬ beraterin im Costume Institute des

von ihr fast ebensooft Bilder wie von Jacqueline Onassis; ihre Zitate werden sofort überall abgedruckt, in mittelamerikanischen Monats¬ zeitschriften genauso wie in den auf der neuen Welle reitenden New Yorker Sensationsblättern «Interview» oder «The SoHo News». In einer Zeit verblassen¬ den Glamours ist Diana Vreeland ein einsamer, leuchtender, elegan¬ ter Star. Für Glamour war in Amerika üblicherweise Hollywood zustän¬ dig, doch das Hollywood von heute ist nur noch Mittelklasse. Diana Vreeland ist aus dem Stoff, aus dem Legenden sind - Legen¬ den wie Joan Crawford, Marlene

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Diana Vreeland in der Ausstellung «Vanity Fair» vor Schildpatt-Haarkämmen von 1830 aus Buenos Aires

New Yorker Metropolitan Mu¬ seum of Art, eroberte im vergan¬ genen August zwar nicht die Titel¬ seite von «Rolling Stone», doch brachte das Magazin ein siebzehn Seiten langes Interview mit ihr. Wie kommt nun eine Frau, die in einem Museum arbeitet, auf stolze siebzehn Seiten in einem Magazin, dessen Leser zum weitaus gröss¬ ten Teil unter einundzwanzig Jahre alt sind? Nun, die Antwort ist ziemlich einfach: Diana Vree¬ land ist zur Zeit einfach überall. Im tonangebenden Modemagazin der Bekleidungsindustrie, in «Wom¬ en's Wear Daily», erscheinen 30

zaar» zu schreiben begann. 1937 übernahm sie die Moderedaktion dieses Magazins und wurde 1962 Chefredaktorin von «Vogue». Der Name Diana Vreeland ist für viele Leute gleichbedeutend mit der Be¬ geisterung und dem Erfolg der phantasievollen, neuernden Mode¬ wellen, welche in den blühenden sechziger Jahren die ganze west¬ liche Welt überschwemmt haben. «Ich habe einfach eine Schwäche für alles Farbenfrohe», gesteht sie. «Aber, haben wir das nicht alle?» 1972 nahm sie ihre Arbeit am Metropolitan Museum auf - der Rest ist Geschichte. Vor ihrer Zeit hatten die meisten Amerikaner, ja sogar viele New Yorker noch nie vom Costume Institute des Mu¬ seums gehört. Heute aber ist ein Aufenthalt in New York undenk¬ bar, ohne Diana Vreelands neue¬ ste modische Extravaganzen zu bewundern. Während die Radio City Music Hall vielleicht schon bald wegen Besuchermangels ihre Tore schliessen muss, stehen rie¬ sige Menschenmengen in langen Schlangen vor Diana Vreelands Museum. Jetzt präsentiert Diana Vree¬ land ihre neueste zauberhafte Schau, die «Vanity Fair» (Jahr¬ markt der Eitelkeit): eine - selbst¬ verständlich von ihr höchstper¬ sönlich - sorgfältig zusammenge¬ stellte Auswahl der prächtigsten Gewänder und Accessoires aus der gewaltigen, mehr als 30000 Stücke umfassenden Sammlung des Metropolitan Museum.

Joan Crawford

Diana Vreelands Jahrmarkt der Eitelkeit «Vanity Fair» hat einige Kritiker ziemlich verwirrt. Wie kann Diana Vreeland es wagen, die gesamte viktorianische Modeepoche dar¬

also noch Diana Vreeland. In einem Alter, in dem die meisten Leute schon seit mehreren Jahren ihren Ruhestand geniessen, ver¬ mag sie noch mehr von sich selbst zu geben als zu irgendeinem an¬ dern Zeitpunkt ihres Lebens. Mit Stil beschäftigte sie sich schon beruflich, als sie in den dreissiger Jahren für «Harper's Ba¬

zustellen, indem sie einfach sechs¬ undvierzig Modepuppen in Lei¬ nenwäsche einkleidet und sie in einer einzigen Galerie mit blumen¬ gemusterten Tapeten ausstellt? Aber Diana Vreeland - die Frau, welche «das Marineblau von In¬ dien» zur Modefarbe gemacht hat - war schon immer sehr wagemu¬ tig. Daneben bewies sie aber auch stets sehr viel Witz. So stellte sie mitten in ihr viktorianisches Phan¬ tasie-Boudoir einen einzelnen Rit¬ ter mit glänzender Rüstung und einem Satin-Umhang. «Er leistet

Dietrich oder Greta Garbo. Aber ist nicht mehr, Marlene Dietrich hat sich in ihre Pariser Wohnung zurückgezogen, und der Glanz der Garbo hat viel mehr mit Exzentrizität als mit Gla¬ mour zu tun. Zum Glück gibt es

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Abendkleid aus grauer Fallschirmseide Nora Kamali. New York. 1978

all diesen Damen Gesellschaft», meint sie dazu. «Schliesslich müs¬ sen sie monatelang hier stehen und werden sich sehr, sehr einsam fühlen!» Wenn Diana Vreeland nicht ge¬ rade in einer ihrer Launen schwelgt - und sogar oft wenn sie es tut -, versteht sie es, ihr Publi¬ kum über die Mode hinaus anzu¬ sprechen. In «Vanity Fair» zeigt sie ein wundervoll einfaches Fortuny-Faltenkleid aus Venedig. Ne¬ ben der Vorführpuppe hat Diana Vreeland in einem Korb ein gutes Dutzend weiterer solcher Kleider in allen möglichen Farben ausge¬ stellt, und zwar genauso eingerollt und verschlungen, wie man sie da¬ mals aufbewahrt hat, um die Fal¬ ten zu schonen. Was sie damit sa¬ gen will? Nun, dass in einem Kleid eben mehr steckt als nur das rein optische Element: Geschicklich¬ keit in der Anfertigung, Kunst in der Pflege. In «Vanity Fair» gibt es zwei Galerien, die Diana Vreeland ihre «Souks» nennt. Diese Souks mit ih¬ ren gelb, blau, dunkelrot, grün, weiss und purpurrot gestreiften Wänden gleichen ihrer eigenen Wohnung - dem «Garten in der Hölle» - in der Park Avenue in New York mit den leuchtend ro¬ ten Wänden und den vielen Souve¬ nirs. «In einem Souk kann man al¬ les finden, was man will», erklingt bei einem Rundgang durch die Ausstellung ihre tiefe, dunkle Stimme von einem Tonband. «Viel Vergnügen und viel Spass... lassen Sie Ihre Augen überallhin schwei¬ fen... achten Sie nicht auf Einzel¬ heiten... geniessen Sie diese Augenweide!» Und genau das tut man auch auf Diana Vreelands «Vanity Fair». Und wenn der Be¬ sucher hie und da in der Art, wie sie alles arrangiert hat, die Logik vermisst: Wer sagt denn, dass Kunst logisch sein müsse? «Vanity Fair» bietet stets neue Überra¬ schungen, viel Vergnügen und sehr viel Stil - mit andern Worten: sehr viel von Diana Vreeland. Mrs. Vreeland, warum interessie¬ ren sich Ihrer Meinung nach die Menschen heute so sehr dafür, was man vor Hunderten von Jahren für

Kleidung getragen hat?

Nun, erstens hat man sie nicht zu Hause in seinem eigenen Schrank. 32

Wahrscheinlich erinnern sie an etwas, was man in der Geschichte gelesen oder wovon man ge¬ träumt hat - eine romantische No¬ velle vielleicht. Jemand war darin glücklich, jemand war bezau¬ bernd. Sie wissen ja, dass sich die Menschen gern erhöhen. Dies zeigt jede Epoche klar und deut¬ lich: Ob in Nordafrika oder im Fernen Osten, überall schmücken sich die Menschen gern für sich selbst und für ihre Gemeinschaft. Das finde ich herrlich. Und so kommt man in ein Museum und sieht Kleidungsstücke, die irgend jemandem einmal grosse Freude bereiteten. Wie würden Sie Mode heute be¬ schreiben Man fühlt sich bequem und wohl, und auch die Kleidung ist bequem. Die Mode hört nie auf. Weder Krieg noch Krankheit, Hungers¬ not und Revolution vermögen die Mode aufzuhalten. Gibt es einen Unterschied zwi¬ schen «Mode» und «Stil» Wenn man seinen Stil immer bei¬ behalten würde, wäre es egal, ob man andere Kleider trägt oder nicht. Ich glaube, vor allem die Männer haben das im Gefühl. Ein Mann kann ohne weiteres sein ganzes Leben lang eine schmale Krawatte tragen - auch wenn Yves Saint-Laurent eine grosse, breite Krawatte bringt. Meiner Meinung nach beginnen die Frauen allmählich zu lernen. Die Mode ändert sich nicht mehr so ra¬ dikal. Ich glaube, wir gehen auf eine amüsante Saison zu, in wel¬ cher man sich wie ein reicher Bauer kleidet. Es ist wunderbar, dies tun zu können; es bringt Farbe ins Leben. Es ist amüsant für einen selbst, aber auch für die Menschen, die einen anschauen. Ohne dies blieben die Dinge ziem¬ lich eintönig. Aber das ist nur für eine Saison.

In «Vanity Fair» bezeichneten Sie den Duke of Windsor und die Kaiserinnen Eugenie und Jose¬ phine als tonangebend für die Mode. Wer bestimmt denn heute in Amerika die Mode Die Jugend, glaube ich. Ich meine damit diese feschen jungen Män¬ ner mit ihrem guten Look, die nicht allzu ernsthaft sind und nicht wie Börsenmakler aussehen, die eben vom Büro nach Hause gehen.

Ich finde, dass auch ein Fabrik¬ arbeiter genau wie jemand anders seinen Stil haben kann. Das hängt von jedem einzelnen ab - und das war schon immer so. Wollen Sie damit sagen, dass man nicht reich sein muss, wenn man modisch sein will Nun, Geld hilft natürlich! Alles

hilft! Wie kamen Sie auf das Motto «Va¬ nity Fair» für Ihre Ausstellung?

Im Buch «Pilgrim's Progress» von John Bunyan habe ich ein schönes Zitat gefunden. Und ich sagte, das ist New York, das ist unsere Stadt, das ist genau das, worum sich alles dreht: Alles für alle. Greifen Sie zu, nehmen Sie es, wenn Sie möch¬ ten. Dann dachte ich natürlich so¬ fort an die Souks in Fez und Istan¬ bul. Ich liebe Souks - die Art, wie man alles finden, anschauen und befühlen kann. Was ist «Eitelkeit» Im allgemei¬ nen gilt sie ja als negative Eigen¬ schaft. Ich bin nicht ganz sicher. Aber ich glaube, wir alle müssen ein wenig Eitelkeit haben. Ohne sie wären wir zu selbstlos. Wir hätten keine Vorstellung von uns selbst. Ken¬ nen Sie Sartres Drama «Bei ge¬ schlossenen Türen»? Sartre zeich¬ net hier die Hölle als einen Ort, an dem es absolut keine Diskretion gibt - weil es keine Unterschiede in der Beleuchtung gibt. Da ist nur dieser grelle Lichtschein... es gibt keinen Ausgang und es gibt keinen Spiegel. Als ich am ersten Tag zur Arbeit ins Museum kam, zeigte man mir mein Büro. Und ich sagte: «Oh, das ist schön, das ist perfekt!

Herzlichen Dank! - Aber, könnte ich vielleicht einen Spiegel ha¬ ben?» Und sie fragten mich, war¬ um ich einen Spiegel haben wolle, ob ich mich hinsetzen und den lie¬ ben langen Tag anschauen wolle. Und ich antwortete: «Nein, ganz und gar nicht! Ich möchte nur wis¬ sen, dass er da ist - und dass ich selbst noch da bin.» Wissen Sie, was ein anderer Teil von Sartres Hölle war? Der Verlust seiner Richard Alleman selbst - für immer.

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,'rau mit Schleier. 19. Jh. Englisches Ausgangskleid. Um 1830 Englische Kleider mit schottischem Tartan-Mu¬ ster. Ende 18. Jh.

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Türkische Stoffe. 19.Jh. Französische Gilets. Ende 18. Jh. Ballschuhe. Um 1900 Chinesisches Seidenkleid. Vor 1911

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