Simon Kuper & Stefan Szymanski Warum England immer verliert

Simon Kuper & Stefan Szymanski Warum England immer verliert Simon Kuper ist Sportjournalist und Autor. Er arbeitet für die Financial Times und komme...
Author: Jesko Engel
3 downloads 0 Views 168KB Size
Simon Kuper & Stefan Szymanski Warum England immer verliert

Simon Kuper ist Sportjournalist und Autor. Er arbeitet für die Financial Times und kommentiert für die Zeitung Sport »aus anthropologischer Sicht«. Buchveröffentlichungen: »Football against the Enemy«, 1994, erschien auf deutsch 2009. »Ajax, the Dutch, the War«, 2003. Stefan Szymanski ist Professor für Sport Management an der Universität von Michigan. Er veröffentlicht in Zeitschriften und Fachjournalen. Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Soccernomics«. Titel der englischen Originalausgabe: »Why England loose«, London 2009 und 2010. Diese Ausgabe folgt einer überarbeiteten Ausgabe mit einigen ergänzenden neuen Kapiteln. © Simon Kuper und Stefan Szymanski 2009, 2010, 2011, 2012

Edition TIAMAT Deutsche Erstveröffentlichung Herausgegeben von: Klaus Bittermann 1. Auflage: Berlin 2012 © Verlag Klaus Bittermann www.edition-tiamat.de ISBN: 978-3-89320-163-1

Simon Kuper & Stefan Szymanski

Warum England immer verliert Und andere kuriose Fußballphänomene Aus dem Englischen von Norbert Hofmann

Critica Diabolis 194 Edition TIAMAT

Von Simon: Für Pamela, die nichts über Fußball weiß, aber viel vom Schreiben versteht, für ihre erstaunliche Toleranz. Und für Leila, Leo und Joey und ihr Lächeln.

Von Stefan: Für meinen Vater. Wir waren nie völlig einer Meinung, aber er lehrte mich, alles in Frage zu stellen.

INHALT

Vorwort zur deutschen Ausgabe – 7 Kapitel 1 Mit einem Armaturenbrett fahren: Auf der Suche nach neuen Wahrheiten über Fußball – 15 – Kapitel 2 Blonde bevorzugt oder wie man dumme Fehler auf dem Transfermarkt vermeidet – 25 – Kapitel 3 Das schlimmste Geschäft der Welt: Warum Fußballvereine kein Geld verdienen (sollten) – 73 – Kapitel 4 Wir werden euch für immer und ewig unterstützen: Warum Fußballvereine fast nie verschwinden – 102 – Kapitel 5 Bewerbung zwecklos: Diskriminiert englischer Fußball schwarze Spieler? – 110 – Kapitel 6 Sind Trainer wichtig? Der Kult des weißen Messias – 128 –

Kapitel 7 Die Freude des Ökonomen über den Elfmeter: Sind Elfmeter zutiefst unfair oder nur, wenn man Nicolas Anelka ist? – 139 – Kapitel 8 Das Geheimnis des Claude Makelele: Wie »Matchdaten« das Spiel auf dem Platz verändern – 158 – Kapitel 9 Glück: Warum die Ausrichtung einer Fußballweltmeisterschaft einem Land guttut – 175 – Kapitel 10 Abschiedsbrief eines Fans: Springen Menschen von Hochhäusern, wenn ihre Mannschaft verliert? – 206 – Kapitel 11 Warum England immer verliert und andere gewinnen – 222 – Kapitel 12 Der Däumling: Das beste kleine Fußballand der Welt – 259 – Kapitel 13 Der Aufstieg Spaniens – 276 – Kapitel 14 Vom Zentrum zur Peripherie: Die Karte der Zukunft im globalen Fußball – 296 – Danksagung – 316 Ausgewählte Bibliographie – 317

Vorwort zur deutschen Ausgabe

Bald nachdem dieses Buch 2009 zuerst in Großbritannien und den USA erschienen war, gründeten wir einen kleinen Beratungsdienst namens Soccernomics. Wir plädieren dafür, daß Fußball intelligenter wird: Vereine und Nationalmannschaften sollten sich besonders bei wichtigen Entscheidungen auf Daten stützen. Mit unserer Firma versuchen wir, das in die Praxis umzusetzen. Eine unserer ersten Tätigkeiten bestand darin, uns bei der Fußballweltmeisterschaft in Südafrika mit verschiedenen Nationen in Verbindung zu setzen und ihnen Hilfe bei der Vorbereitung auf das Elfmeterschießen anzubieten. Während der Arbeit an dem Buch sprachen wir mit Ignacio Palacios-Huerta, einem baskischen Professor für Wirtschaftswissenschaften an der London School of Economics. Ignacio interessierte sich schon seit langem für Elfmeter, nicht nur weil er Fußball, sondern auch die Spieltheorie liebte. Er hatte eine Datenbank von 9000 Elfmetern bis zurück zum Jahr 1995 angelegt. Wie kaum jemand sonst auf der Welt konnte er zum Beispiel voraussagen, wohin Miroslav Klose oder Frank Lampard wahrscheinlich ihren nächsten Elfmeter platzieren werden. Tatsächlich hatte Ignacio sein Wissen bereits in einigen großen Spielen angewandt. Er schien genau der Mann zu sein, den jede Mannschaft, die es in das Finale der WM schaffte, brauchen konnte. Eine Mannschaft, die wir in Südafrika kontaktierten,

7

nahm unsere Analyse der Elfmeterschützen ihres nächsten Gegners dankbar an. Wir hatten den Eindruck, daß dieses Nationalteam, das vor seinem größten Spiel seit vier Jahren stand, keine besonderen Vorbereitungen für ein Elfmeterschießen getroffen hatte. Hätte es verloren, wäre bestimmt die resignative Bemerkung gefallen: »Elfmeter sind immer Glückssache«, und man wäre voll Selbstmitleid nach Hause geflogen. Ein Ökonom, der mit einer anderen Mannschaft zusammenarbeitete, bat uns um Hilfe für sein Team, das vor dem Viertelfinale stand. Wir bestanden darauf, daß er die Zustimmung des Trainers einholte. Nach einigen Tagen fieberhafter Anstrengung teilte er uns mit, er könne den Trainer nicht erreichen. Die Mannschaft ging also ohne genaues Wissen über die Elfmetergewohnheiten ihres Gegners ins Spiel. Als wir aber durch einen Freund Verbindung mit der deutschen Nationalmannschaft aufnahmen, erhielten wir eine ganz andere Reaktion. Herzlichen Dank für das Angebot von Elfmeteranalysen, antworteten die Deutschen umgehend, aber sie hätten bereits auf DVD von jedem Spieler ein etwa einstündiges Profil. Ihr Team von Datenanalysten beschäftige sich damit ausgiebig in den Tagen vor einem Spiel, daher könnten sie keine weitere Hilfe von außen gebrauchen. Wir waren beeindruckt. Ignacio zweifelte, daß das deutsche Lager die ausgefeilten statistischen Tests durchführen könne, die er benutzte, aber indem sie eine große Anzahl von Elfmetern sammelten und analysierten, täten die Deutschen eindeutig etwas Nützliches für ihre Nationalmannschaft. In einem der Kapitel ist mehr darüber zu erfahren, wie Ignacio ganz nahe daran war, das Endspiel der Fußballweltmeisterschaft 2010 zu entscheiden. Wir verließen Südafrika mit dem Eindruck, daß sich Deutschland auf die WM am intelligentensten vorbereitet hatte. Diese Neuausgabe von Soccernomics zeigt, wie Fußball allmählich an Wissen und Intelligenz gewinnt. Deutschland steht an der Spitze dieser Veränderung. Doch wir

8

behaupten, daß selbst die Deutschen noch eine Menge zu lernen haben. Besonders die Eigenart der Fußballindustrie scheinen sie nicht richtig zu verstehen. Einer von uns, Simon Kuper, hat fast sein ganzes Leben lang deutschen Fußball verfolgt. In den siebziger und achtziger Jahren schaute er sich als Jugendlicher jeden Samstagnachmittag Die Sportschau an und war von den Sprints, den 30-Meter-Schüssen in die obere Torecke und den Bildern von Stadien voll friedlicher Zuschauer fasziniert. (Dies ging damals in den Niederlanden vielen Fans so. Die holländische Abneigung gegenüber Deutschland, selbst auf ihrem Höhepunkt in den späten achtziger und frühen neunziger Jahren, war immer mit Vertrautheit und Bewunderung vermischt.) Simon studierte dann Geschichte und Germanistik und verbrachte ein Jahr an der Technischen Universität Berlin, wo er in einer Fußballmannschaft von Studenten der Umwelttechnologie mit dem Namen »Smog Rangers« mitspielte. Für ihn ist Deutschland kein fremdes Land. Deutscher Fußball, der natürlich auch den üblichen Anteil an Antiintellektuellen einschließt, hatte früh schon eine eigene akademische Fraktion. Am 15. Mai 1920 wurde in der Aula der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität die Deutsche Hochschule für Leibesübungen gegründet. »Damit war Deutschland weltweit Träger der ersten wissenschaftlichen Sporthochschule«, schreiben Achim Laude und Wolfgang Bausch in Der Sport-Führer: Die Legende um Carl Diem. Diem erwartete von der Hochschule: »Möge eine staatliche Schar wissenschaftlich gebildeter, körperlich vollkommener Lehrer und Lehrerinnen der Leibesübungen von ihr aus ins deutsche Volk gehen, Männer und Frauen von Willensstärke …« 1947 wurde die Deutsche Sporthochschule Köln gegründet, um die Tradition der Berliner Schule fortzusetzen. Sieht man von Diems deutsch-nationalistischer Rhetorik ab, so läßt sich sagen, daß die deutschen Datenanalysten in Südafrika in gewissem Maße in dieser sportwis-

9

senschaftlichen Tradition stehen. Und das gilt auch für die wachsende Zahl lernbegieriger Trainer in der Bundesliga, die ihre Karriere eher als Jugendtrainer begannen denn als charismatische Ex-Spieler, die in Jobs hineingeworfen wurden, auf die sie kaum vorbereitet waren. Deutschland bringt nicht nur neues Fußballwissen hervor, sondern importiert es auch in beeindruckendem Umfang. Eine der Fragen, die wir in diesem Buch zu beantworten versuchen, ist die, warum das westliche Europa den Fußball der letzten 40 Jahre weitgehend dominierte (und warum diese Vorherrschaft vielleicht bald endet). Die Westeuropäer spielen zum Teil deshalb so gut, weil sich dort etwa 400 Millionen Menschen auf einem relativ kleinen Gebiet mit durchlässigen Grenzen zusammendrängen, was den Austausch jeder Art von Knowhow erleichtert. Deutschland befindet sich genau in der Mitte des besten Wissensnetzwerks im globalen Fußball. Nachdem das deutsche Team bei der Europameisterschaft 2000 einen Tiefpunkt erreicht hatte, entschieden die Verantwortlichen im deutschen Fußball, nach Holland und Frankreich zu schauen, um herauszufinden, was die richtig machten. Die heutigen Jugendakademien in Deutschland, die mehr Wert auf das Zusammenspiel als auf das Herumrennen legen, entstanden aus der wachsenden Vernetzung des Landes mit anderen Fußballnationen. Die Deutschen übernehmen nach wie vor eifrig ausländisches Knowhow. Oliver Bierhoff, der deutsche Teammanager, versucht seit einiger Zeit, ein Trainingszentrum für die Nationalmannschaft nach dem französischen Vorbild Clairefontaine aufzubauen. Und auf einer Tagung für Bundesligatrainer berichtete ein Trainer von Barcelonas Jugendakademie darüber, wie Barça seinem Nachwuchs in endlosen Übungen das Paßspiel beibringt. (Wir untersuchen die Schlüsselrolle von La Masia im europäischen Wissensnetzwerk und zeigen, daß erst der Tod von Franco und das Ende seiner Diktatur Spanien in die Lage versetzte, die beste Mannschaft der Welt zu werden.)

10

Aber die Deutschen lernen nicht nur von anderen Europäern. Es war Jürgen Klinsmann, der als Trainer der deutschen Nationalmannschaft wohl die erste Fußballpersönlichkeit in Europa war, die amerikanisches Spezialwissen über Fitness importierte. Nicht zuletzt dank seiner Sportwissenschaftler hatte Deutschland im Fußball traditionell eine führende Rolle, was die physische Qualität des Spiels betraf, aber in den späten neunziger Jahren, als italienische Vereine medizinische Abteilungen von der Größe kleiner Kliniken aufbauten und britische Spieler aufhörten, von Bier zu leben, holten die anderen Nationen auf. Klinsmann und sein Team amerikanischer Fitnesstrainer mit ihren neuen Techniken stellten Deutschlands Führungsrolle wieder her. Die beeindruckende körperliche Stärke der deutschen Mannschaft war wohl die einzige Neuerung bei der Weltmeisterschaft 2006. Schaut man sich den Fall Klinsmann genauer an, fällt auf, wie viele Verbindungen zwischen nur wenigen Schlüsselfiguren in der Wissensrevolution des Fußballs bestehen. Gegen Ende seiner Spielerkarriere beim AS Monaco war Klinsmann dem Meister individueller Leistungssteigerung im Fußball begegnet: Arsène Wenger. Noch junge unsichere Spieler bei Monaco wie Lilian Thuram, Emmanuel Petit und Youri Djorkaeff wurden Weltmeister auch dank ihres damaligen Trainers. Klinsmann erzählte seinem Biographen Jens Mende: »Was ich von Arsène Wenger lernte: Beurteile die Entwicklung eines Spielers stets auf lange Sicht.« Im Fußball werden die Qualitäten eines erwachsenen Spielers gewöhnlich als gegebene Tatsachen behandelt. Er ist schnell oder langsam, gewinnt Zweikämpfe oder nicht – ein Trainer kann da nur wenig tun. Wenger dagegen glaubte, er könne selbst erfahrene Nationalspieler noch verbessern, auch indem er bestimmte Daten benutzt. Diese Überzeugung brachte Klinsmann von Kalifornien nach Deutschland mit. Kein Wunder, daß eine andere führende Gestalt in der Datenrevolution des Fußballs, der

11

Franzose Damien Comolli, zu der Zeit, da Klinsmann in Monaco war, für die Jugendmannschaft des Vereins spielte und später Assistent von Wenger bei Arsenal wurde. Inzwischen benutzt Comolli als Fußballdirektor bei Liverpool Daten, um Spieler zu kaufen und zu verkaufen. In seinem kalifornischen Wohnort nahm Klinsmann auch Kontakt zu dem Mann auf, der die Datenrevolution im Baseball angeführt hatte: Billy Beane, General Manager der Oakland A’s. (2011 erschienen der Film Moneyball mit Brad Pitt in der Rolle von Beane.) Seitdem Klinsmann die A’s vor einigen Jahren beim Frühjahrstraining zum erstenmal besuchte, tauschen Beane und er Ideen aus. »Jürgen und ich schicken uns ständig EMails«, sagt Beane. »Er ist ein sehr neugieriger Typ, daher bin ich immer auf der Suche nach etwas für ihn Interessantem.« In den letzten Jahren ist Beane auch zu einem Fußballfan geworden, und einer seiner neuen Helden ist Wenger. Wenger und Beane sind zwei der Hauptfiguren dieses Buchs. Es ist ein Beweis für Klinsmanns wachen Verstand, daß er mit beiden Männern in Verbindung steht. Er hat mitgeholfen, Deutschland zur wohl intelligentesten Fußballnation in Europa zu machen. Das ist für alle anderen beängstigend, denn wenn die Deutschen so intelligent wie andere Länder spielen, gewinnen sie im allgemeinen. Wenn das kleine Holland gewinnt, heißt das, die Deutschen müssen irgendetwas falsch gemacht haben. Jedoch gibt es immer noch einige Bereiche, in denen viele deutsche Kommentatoren offensichtlich nicht auf dem neuesten Stand sind. Besonders Funktionäre von Bayern München sagen seit Jahren voraus, daß die Schuldenparty der englischen Fußballvereine in Tränen enden wird. Uli Hoeness prahlt, die Bayern und die Bundesliga hätten deshalb rosige Aussichten, weil sie nicht bis über beide Ohren verschuldet seien. Christian Seifert,

12

der Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga, hat die Premier League gewarnt: »Auf lange Sicht ist das Produkt in Gefahr.« Die Deutschen haben natürlich recht, daß die Verschuldung der europäischen Staaten problematisch ist. Aber Fußball folgt nicht den gleichen Regeln. Wir zeigen in diesem Buch, daß Fußball kein Geschäft, geschweige denn »big business« ist. Fußballvereine gehen fast nie bankrott (nicht einmal dann, wenn man es wirklich will). Hochverschuldete Clubs wie Liverpool und Manchester United werden für immer da sein. Die Verantwortlichen bei Bayern München sollten sich lieber an den Gedanken gewöhnen. Wir hoffen, daß diese englische Stimme aus dem Ausland (aus Paris, wo Simon lebt, und aus Michigan in den USA, wo Stefan arbeitet) zu der deutschen Debatte über Themen, die uns allen am Herzen liegen, beitragen kann. Natürlich sollten wir weiterhin über Fußball streiten, aber laßt uns dabei die Informationen benutzen, die in so reichem Maße zur Verfügung stehen. Paris und Ann Arbor (Michigan) 30. November 2011

13