Sieben Thesen zur Lebensarbeitszeitgestaltung

Sieben Thesen zur Lebensarbeitszeitgestaltung Autor: Dr. Burkhard Scherf, Dr. Scherf Schütt & Zander GmbH Die aktuellen Diskussionen um Rentenmodelle ...
1 downloads 1 Views 73KB Size
Sieben Thesen zur Lebensarbeitszeitgestaltung Autor: Dr. Burkhard Scherf, Dr. Scherf Schütt & Zander GmbH Die aktuellen Diskussionen um Rentenmodelle und flexible Übergänge in die Rente zeigen: Die Auswirkungen des demografischen Wandels kommen allmählich mitten in unserer Gesellschaft an, sie werden konkret spürbar. Dies gilt nicht weniger auch für die Auswirkungen der Demografie auf die Unternehmen und ihre Mitarbeiter. Das sinkende Rentenniveau, das steigende Renteneintrittsalter, die Zunahme des Anteils von Mitarbeitern in den Altersgruppen ab 55 Jahren und der Fachkräftemangel aufgrund sinkender Anzahl qualifizierter Berufseinsteiger stellen Unternehmen und Mitarbeiter gleichermaßen vor neue Herausforderungen. Aus Sicht der Mitarbeiter gilt es, die eigene Beschäftigungsfähigkeit bis zum Renteneintritt ohne zusätzliche Abzüge von der Rente sicherzustellen. Aus Sicht der Unternehmen geht es darum, die Beschäftigungsfähigkeit eines möglichst großen Anteils der Mitarbeiter bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter zu fördern, kostenschonende und sozialverträgliche Lösungen für die Mitarbeiter zu finden, die vorzeitig in den Ruhestand gehen müssen sowie die eigene Attraktivität als Arbeitgeber für qualifizierte Mitarbeiter zu steigern. In diesem Zusammenhang kommt der Lebensarbeitszeitgestaltung eine wichtige Schlüsselrolle zu: Als eines der ganz wenigen personalpolitischen Instrumente kann sie flexible Lösungselemente für ganz unterschiedliche individuelle Situationen älterer Mitarbeiter bereitstellen und dabei gleichzeitig sowohl den Interessen des einzelnen Mitarbeiters als auch des Unternehmens dienen. Dabei steht die Gestaltung von Lebensarbeitszeitkonten im Schnittpunkt unterschiedlicher Interessenlagen, was die zielgerechte Gestaltung solcher Modelle zu einer echten Herausforderung werden lässt. In diesem Beitrag werden sieben Thesen zur Lebensarbeitszeitgestaltung formuliert, die als Leitlinien für die Gestaltung von Lebensarbeitszeitmodellen dienen können. Lebensarbeitszeitkonten sind keine Konkurrenz, sondern Ergänzung zur betrieblichen Altersversorgung Eine betriebliche Altersversorgung sichert das Einkommensniveau des Mitarbeiters während der Rente, zielt also auf den Zeitraum nach dem Renteneintritt. Ein Lebensarbeitszeitkonto sichert das Einkommen und die Sozialbeiträge des Mitarbeiters in der Zeit vor dem Renteneintritt, insbesondere in den letzten Jahren davor. Beide Elemente sind notwendige Ergänzungen zum staatlichen Rentensystem, das in Folge der demografischen Veränderung immer weniger als alleiniges Sicherungssystem dienen kann. Nicht nur das Rentenniveau sinkt, was eine bAV zum wichtigen, ja notwendigen Instrument macht. Es steigt parallel auch das Renteneintrittsalter, wobei klar ist, dass ein wesentlicher Anteil derjenigen Mitarbeiter, die körperlich belastende Tätigkeiten ausführen oder in Wechselschicht tätig sind, dieses Renteneintrittsalter nicht in einem Zustand erreichen werden, der ihnen eine These 1:

uneingeschränkte Berufstätigkeit ermöglicht. Selbst im Hinblick auf die verfügbaren Mittel für die Bezuschussung eines dieser Instrumente muss es keinen Verdrängungswettbewerb zwischen bAV und Lebensarbeitszeitkonto geben. Bereits mehrfach wurden in der Vergangenheit Modelle konzipiert, bei denen der arbeitgeberseitige Zuschuss zum Lebensarbeitszeitkonto primär aus der Umwidmung tariflicher Entgeltsteigerungen gewonnen wurde, also keine wesentlichen Zusatzkosten entstanden. These 2:

Lebensarbeitszeitkonten sind die flexibelste Lösung für die Gestaltung des Übergangs vom Erwerbsleben in die Rente Während klar ist, dass ein wesentlicher Anteil der Mitarbeiter in bestimmten Tätigkeiten einen Bedarf an einer sozialverträglichen Vorruhestandslösung haben wird, ist im Einzelfall überhaupt nicht klar, welcher Mitarbeiter diesen Bedarf haben wird, mit welchem Alter er für den einzelnen relevant wird und wie stark der Mitarbeiter von seiner Tätigkeit entlastet werden muss. Für manchen wird ein allmähliches Absenken des Beschäftigungsumfangs über einen größeren Zeitraum die beste Lösung sein. Bei anderen ist eine vollständige Freistellung über einen kürzeren Zeitraum vor Renteneintritt das Mittel der Wahl. Und bei einigen besteht möglicherweise überhaupt kein Bedarf an einer ruhestandsnahen Freistellung oder Reduzierung des Beschäftigungsumfangs. All diesen Bedürfnissen kann ein Lebensarbeitszeitkonto dienen, ohne dass dies schon zum Zeitpunkt des Abschlusses einer Wertguthabenvereinbarung festgelegt werden muss. Die konkrete Verwendungsform eines Lebensarbeitszeitkontos kann durchaus variabel zum Zeitpunkt seiner Verwendung festgelegt werden. Kein anderes bisher übliches Instrument bietet eine vergleichbare Flexibilität. Und über den gegebenen Spielraum bzgl. der Höhe der Vergütung in einer Freistellungsphase (bzw. einer Phase reduzierten Beschäftigungsumfangs) kann zudem der Zeitraum der Inanspruchnahme je nach Situation gestreckt oder verkürzt werden. Lebensarbeitszeitkonten können sowohl die Attraktivität als Arbeitgeber steigern als auch den Vorruhestand sozialverträglich gestalten Wie soeben schon angesprochen, können die auf Lebensarbeitszeitkonten angesparten Guthaben zur finanziellen Abfederung einer Freistellung oder Reduzierung des Beschäftigungsumfangs vor dem Renteneintritt genutzt werden und somit den Vorruhestand sozialverträglich gestalten, ohne dass die Kosten dafür einseitig beim Unternehmen verbleiben (was die meisten Unternehmen angesichts der nahenden Verrentung der geburtenstarken Jahrgänge überfordern würde). Schon allein dadurch sind Lebensarbeitszeitkonten – geeignete Gestaltung vorausgesetzt – auch für Mitarbeiter attraktiv; zumindest für die Mitarbeiter, die sich Gedanken über die Zeit vor und nach ihrem Renteneintritt machen. Darüber hinaus können Lebensarbeitszeitkonten auch für andere Zwecke genutzt werden. Durchaus gängig ist es, dass Lebensarbeitszeitkonten auch zur Finanzierung von Elternzeit, Pflegezeit, Weiterbildungsphasen oder ein Sabbatical genutzt werden können. Letzteres spricht dann vor allem jüngere und gut ausgebildete Mitarbeiter an, die sich über die Zeit vor und nach dem Renteneintritt noch wenig Gedanken machen oder diesbezüglich tatsächlich weniger Grund zur Sorge haben als der Durchschnittsverdiener. These 3:

These 4:

Für eine zielführende Gestaltung von Lebensarbeitszeitkonten sind Ziele und Prioritäten zu klären These 3 macht deutlich, dass Lebensarbeitszeitkonten durchaus konkurrierenden Zielen dienen können. Wenn ein Lebensarbeitszeitkonto primär der ruhestandsnahen Verwendung dienen soll, kann es geradezu schädlich sein, wenn die hier angesparten Guthaben schon vorab für andere Zwecke verwendet wurden. Möglicherweise ist dann, wenn der Bedarf am größten ist, kein ausreichendes Guthaben auf dem Lebensarbeitszeitkonto mehr vorhanden. Damit wird deutlich: Vor der Gestaltung eines Lebensarbeitszeitmodells ist es entscheidend, die personalpolitischen Ziele klar herauszuarbeiten. Soll das Modell eher auf den Geringverdiener im Schichtdienst zielen, der mit signifikanter Wahrscheinlichkeit seine Tätigkeit nicht uneingeschränkt bis zum Alter von 67 Jahren ausüben kann? Oder soll es primär die Attraktivität des Unternehmens als Arbeitgeber für junge Hochschulabsolventen steigern? Im ersteren Fall muss der Schwerpunkt des Modells auf der vorruhestandsnahen Verwendung liegen, im letzteren Fall müssen Sabbaticals oder Elternzeit als wesentliche Verwendungszwecke möglich sein. Dies bedeutet aber nicht notwendigerweise eine strenge Exklusivität der Verwendungszwecke. Es gibt auch intelligente Lösungen, die beide Verwendungsformen zulassen, aber eine maßgebliche Bezuschussung des Lebensarbeitszeitkontos durch den Arbeitgeber an einen bestimmten (nämlich den personalpolitisch priorisierten) Verwendungszweck koppeln. Lebensarbeitszeitkonten haben nur Erfolg, wenn Sie vom Arbeitgeber bezuschusst werden – und dieser Zuschuss lohnt sich auch für das Unternehmen Die personalpolitischen Ziele, die durch die Einrichtung eines Lebensarbeitszeitmodells erreicht werden sollen, können in aller Regel nur erreicht werden, wenn sich der überwiegende Anteil der Mitarbeiter daran beteiligt und substantielle Beträge in ihr Lebensarbeitszeitkonto einbringt. Gleichzeitig ist das Ansparen auf ein Lebensarbeitszeitkonto ein sehr langfristiger Prozess, was für die durch die Mitarbeiter wahrgenommene Attraktivität einen erheblichen Nachteil bedeutet. Wer legt schon spontan gerne Geld zur Seite, dass für eine Verwendung bevorzugt erst in 15, 20 oder 30 Jahren gedacht ist? Um diese Hürde zu überwinden und damit eine attraktive und garantierte Verzinsung der Wertguthaben darstellen zu können, ist eine substantielle Bezuschussung der von den Mitarbeitern in ihr Lebensarbeitszeitkonto eingebrachten Werte der erfolgversprechendste Weg. Erfolgreiche Beispiele, bei denen in kurzer Zeit eine hohe Beteiligungsquote der Mitarbeiter erreicht wurde, haben immer auf dieses Instrument gesetzt und damit die gewünschte Wirkung erzielt. Dies kann auch sehr gezielt geschehen, in dem z.B. die Bezuschussung – oder zumindest der wesentliche Anteil daran – an einen bestimmten Verwendungszweck (vorruhestandsnahe Voll- oder Teilfreistellung) gekoppelt wird. Man sollte sich dabei darüber im Klaren sein, dass ein Lebensarbeitszeitmodell, bei dem der Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Freistellung auf jeden vom Mitarbeiter angesparten Euro einen Zuschuss von z.B. 20% zahlt, für das Unternehmen immer noch bei weitem kostengünstiger ist als die Entgeltaufstockung in einem These 5:

klassischen Altersteilzeitmodell. Schon auf der Kostenseite ist hier also trotz Bezuschussung ein Vorteil gegenüber allen anderen üblichen Vorruhestandsmodellen zu erzielen. Hinzu kommt, dass die Verwendung der Guthaben wesentlich gezielter und flexibler erfolgen kann als im klassischen Blockmodell der Altersteilzeit. These 6:

Bei der entscheidenden Mitarbeitergruppe erfordern Lebensarbeitszeitkonten die Einbringung von Zeit – und damit ein in sich sinnvolles und effizientes Gesamtsystem der Arbeitszeitgestaltung Die aus sozialer wie aus betriebswirtschaftlicher Sicht wichtigste Zielgruppe für ein Lebensarbeitszeitkonto sind die Mitarbeiter mit körperlich belastender Tätigkeit und / oder Schichtarbeit. Dies sind gleichzeitig meist die Mitarbeiter in den unteren bis mittleren Einkommensgruppen. Gerade für diese Mitarbeiter bedeutet es eine soziale Katastrophe, wenn sie ohne Abfederung durch ein Vorruhestandsmodell ihren Tätigkeitsumfang reduzieren oder den langen und schmerzhaften Weg in die Erwerbsunfähigkeitsrente gehen müssen. Auch für die Unternehmen drohen hier die größten Risiken in Form von schleichenden Produktivitätsverlusten und Krankheitskosten, bis dann der Druck so groß wird, dass doch eine teure Abfindungs- oder Vorruhestandslösung vereinbart wird. Gerade für diese Mitarbeitergruppen besteht also großer Bedarf an der Einrichtung von Lebensarbeitszeitkonto. Gerade bei diesen Mitarbeitergruppen kann man aber auch nicht davon ausgehen, dass sie substantielle Beiträge aus ihrem laufenden Entgelt in ein Wertguthaben einbringen können oder wollen. Ein wesentlicher Anteil des Ansparens auf ein Lebensarbeitszeitkonto muss hier also durch das Einbringen von Arbeitszeit erfolgen. In unserer immer kürzeren und stärkeren konjunkturellen Ausschlägen unterliegenden Welt kommt es auch immer wieder zu Phasen, in denen ein vorübergehender Bedarf an Mehrarbeitsstunden entsteht, die für das Ansparen von Wertguthaben verwendet werden können. Allerdings entstehen hier sofort auch zwei Konflikte: Einerseits muss geklärt werden, inwieweit Arbeitsstunden dem persönlichen Ansparen des Mitarbeiters auf ein Lebensarbeitszeitkonto dienen können bzw. inwieweit sie einem betrieblichen Arbeitszeitkonto zugeführt werden müssen, um einen Zeitausgleich mit Phasen schwächerer betrieblicher Auslastung zu ermöglichen. Andererseits haben viele Unternehmen Bedenken, ob durch eine solche Ansparmöglichkeit von Arbeitszeit nicht falsche, kontraproduktive Anreize für einen nicht produktiven Verbrauch von Arbeitszeit geschaffen werden. Beide Konflikte sind absolut lösbar. Voraussetzung dafür ist ein stringentes Gesamtsystem der Arbeitszeitgestaltung – was jedem Unternehmen übrigens auch dann gut zu Gesichte steht, wenn es kein Lebensarbeitszeitkonto nutzt!

These 7:

Lebensarbeitszeitkonten haben auch Nachteile – aber bei intelligenter Gestaltung überwiegen die Vorteile auch für die Mitarbeiter bei weitem Es gibt genügend Skeptiker, die im Ansparen auf ein Lebensarbeitszeitkonto nur Nachteile erkennen können (siehe z.B. A. Hoff: „Warum auf Langzeit- und Lebensarbeitszeitkonten verzichtet werden sollte“, WSI-Mitteilungen 11/2007). Ihren wesentlichen Argumenten lassen sich aber jeweils schlagkräftige Gegenargumente entgegensetzen. Dies haben wir zum Teil an anderer Stelle bereits dargelegt (siehe: B. Scherf: „Argumente bitte“, Personalwirtschaft, Sonderheft 07/2009). Hier deshalb nur noch einmal eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Argumente: • Auch wer es sich nicht leisten kann, aus seinem regelmäßigen Entgelt etwas beiseite zu legen und deshalb „nur“ in Form von zusätzlich geleisteten Arbeitsstunden ansparen kann, kann über Zeiträume von 10 oder 20 Jahren substantielle Guthaben ansparen. Insbesondere dann, wenn die Entlastung vor dem Renteneintritt nicht in Form einer vollständigen Freistellung, sondern in Form einer verkürzten Arbeitszeit erfolgt. • Auch wer nicht weiß, ob er bei seinem gegenwärtigen Arbeitgeber bis zur Rente bleiben wird, verliert nichts, wenn er in ein Arbeitszeitkonto einspart. Im „schlimmsten Fall“ (d.h. wenn keine Portierung zum neuen Arbeitgeber möglich und eine Übertragung an die Rentenversicherung nicht gewünscht ist) wird das Guthaben ausgezahlt. Und bis dahin hat der Mitarbeiter von Arbeitgeberzuschüssen und (in der Regel) sehr günstigen Anlageformen profitiert. • Das Risiko ineffizienten Arbeitszeitverbrauchs, das häufig mit Lebensarbeitszeitkonten assoziiert wird, ist – wenn es denn besteht – auch ohne die Nutzung solcher Konten existent und muss dann grundsätzlich gelöst werden (siehe dazu auch These 6). • Lebensarbeitszeitkonten führen – wenn sie sinnvoll genutzt werden – auch nicht zu einer eigentlich ungewünschten Überlastung der Mitarbeiter: Mehrarbeit wird auch im Rahmen eines Arbeitszeitkontos in einem gut geführten Unternehmen nur dann und in dem Umfang geleistet, wie sie sinnvoll und unvermeidlich ist. • Auch das Risiko, dass aufgrund von Lebensarbeitszeitkonten Mitarbeiter vorzeitig in den Ruhestand gehen, die man eigentlich länger halten möchte, ist wohl eher theoretischer Natur. Gut ausgebildete und auf dem Arbeitsmarkt begehrte Mitarbeiter werden sich nicht dadurch länger an ein Unternehmen binden lassen, dass man ihnen die Nutzung eines Arbeitszeitkontos vorenthält. Im Gegenteil dürfte die Nicht-Existenz eines solchen Modells zukünftig zunehmend ein Grund für einen vorzeitigen Arbeitgeberwechsel werden. Ist ein Arbeitszeitkonto dagegen vorhanden, erzeugt dies regelmäßige Anlässe, über die beruflichen Zukunftspläne des Mitarbeiters zu sprechen und eine für Unternehmen und Mitarbeiter gute Lösung gemeinsam festzulegen.