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ausland Goodbye, Gre Suzanne Plunkett/Reuters Vor dem Parlament Antieuropäische Demonstranten in London fordern eine EU-Volksabstimmung 46 prof...
Author: Sofia Böhm
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Goodbye, Gre

Suzanne Plunkett/Reuters

Vor dem Parlament Antieuropäische Demonstranten in London fordern eine EU-Volksabstimmung



46 profil 28 • 9. Juli 2012

eat Britain! Der Ausstieg des Vereinigten Königreichs aus der EU wird immer wahrscheinlicher – auch wenn die Londoner Eliten dies eigentlich gar nicht wollen.

Von Georg Hoffmann-Ostenhof und Tessa Szyszkowitz

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o richtig los ging der Wirbel, nachdem David Cameron vorvergangenen Sonntag in einem Gastkommentar für den „Sunday Telegraph“ folgenden Satz geschrieben hatte: „Für mich können die zwei Worte Europa und Volksabstimmung zusammengehören.“ Der britische Premier hatte mit seiner eher harmlos klingenden Aussage auf eine Rebellion des rechten Flügels seiner Partei geantwortet: Hundert Tory-Hinterbänkler im Westminster-Parlament hatten von Cameron gefordert, er möge noch in dieser Legislaturperiode, die 2014 zu Ende geht, die Briten fragen, ob sie in der EU bleiben oder austreten wollen. Er stimme ja im Prinzip einem derartigen Referendum zu, sagte der Regierungschef, bloß jetzt, da man noch nicht wisse, wie sich Europa entwickeln werde, sei das verfrüht. Was die zornigen Europafeinde in seiner Partei beruhigen hätte sollen, beflügelte diese erst so recht. Ihr Anführer, Camerons ehemaliger Verteidigungsminister Liam Fox, verkündete vollmundig: „Ein Leben außerhalb der EU birgt keinen Schrecken.“ Die Weichen in Richtung Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union sind jedenfalls gestellt. „Noch nie war die Wahrscheinlichkeit,



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dass wir die EU verlassen, so groß wie jetzt“, diagnostiziert das britische Magazin „The Economist“. Und die „Financial Times“ sieht in einem britischen Abschied aus Europa einen „möglichen Nebeneffekt des aktuellen Eurodramas“. Das Drama – die Krise der Eurozone und der verzweifelte Versuch der Regierungen auf dem Kontinent, diese in den Griff zu bekommen – hat in der Tat den Europaskeptikern auf der Insel Flügel verliehen. 80 Prozent der Briten sind derzeit für ein EU-Referendum. Aus heutiger Sicht würden 49 Prozent der Briten für den Austritt stimmen, nur 40 Prozent für einen Verbleib. Vor zehn Jahren war es noch ganz anders: Da drängten bloß 20 Prozent hinaus, zwei Drittel stellten die EU-Mitgliedschaft nicht infrage. Und in den vergangenen zwei Jahren hat eine antieuropäische Populistenpartei, die United Kingdom Independence Party (UKIP), einen sensationellen Aufstieg erlebt. Laut Umfragen würden heute zehn Prozent der Tory-Wähler von 2010 der UKIP ihre Stimme geben. Das würde die „Unabhängigkeitspartei“ – wegen des britischen Mehrheitswahlrechts – auch in Zukunft noch zu keiner relevanten Parlamentspartei machen. Aber den Konservativen könnten diese radikalen EU-Gegner eine Mehrheit vermasseln: In Umfragen hat die Labour Party die Tories – dank der Stärke der UKIP – bereits weit abgehängt. Nicht zuletzt deshalb reagiert Cameron jetzt so nervös. Und er hat es ja tatsächlich sehr schwer: Zum einen will er verhindern, dass sich die rechte Revolte in seiner Partei zu einer veritablen Meuterei auswächst. Zum andern aber muss er alles daransetzen, den Kollaps der Eurozone zu vermeiden. Zwar gehört Großbritannien dieser nicht an, ein Zerfall der Währungsunion hätte aber auch für die britische Wirtschaft desaströse Konsequenzen. London hat als Finanzzentrum Europas ein starkes Inter­ esse am Überleben des Euro. Auch Ca­ meron weiß, dass ein großer Sprung in Richtung einer echten Fiskalunion und eine verstärkte politische Integration der

Gäbe es jetzt ein Referendum, würden 49 Prozent der Briten für den EU-Austritt stimmen, nur 40 Prozent für einen Verbleib in der Union.

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rofil: In den vergangenen Monaten hat sich die Stimmung in Großbritannien gegenüber Europa gewaltig verändert. Früher waren es ein paar konservative Hinterbänkler, die aus der EU austreten wollten, heute ist die Anti-EU-Front enorm gewachsen. Wird Großbritannien die EU verlassen? Owen: Ich bin dagegen. Ich habe deshalb ein Buch geschrieben, um eine konstruktive Alternative aufzuzeigen. Wenn Angela Merkel will, dass wir Briten zumindest im Binnenmarkt bleiben, dann muss sie verstehen, dass wir diesen gemeinsamen Markt aus der Eurozone herausnehmen müssen. Norwegen oder Liechtenstein haben kein Stimmrecht in der EU, und das sollten wir ändern, indem wir den Binnenmarkt auf diese Länder erweitern. Wir müssen auch die Türkei in den gemeinsamen Markt einbinden. profil: Premierminister David Cameron findet Ihre Ideen zu radikal. Bisher hat er nicht davon gesprochen, dass er die Unionsstrukturen aufbrechen will. Owen: Cameron hat eine wichtige Entscheidung getroffen. Er hat öffentlich gesagt, dass Großbritannien den Rest der EU nicht davon abhalten sollte, sich enger zusammenzuschließen, um den Euro zu retten. Jetzt aber ruiniert er seine Position, indem er ständig allen erklärt, was sie machen sollen. Entweder man ist draußen oder drinnen. Außerdem hat er keine Antwort darauf, was passiert, wenn Kerneuropa sich enger zusammenschließt. Was macht Großbritannien dann? profil: Ja, was? Owen: Das schreibe ich eben in meinem Buch. In meiner höflichen Art habe ich skizziert, worum es hier geht, und ich hoffe, damit unsere Parteistrategen zu beeinflussen. Ich hoffe wirklich, dass ich nicht noch einmal eine politische Organisation gründen muss, die für die Umsetzung meiner Ideen kämpft. Kurz gesagt: Cameron muss schnell handeln. Er muss sich von jenen absetzen, die ein Raus-oder-reinReferendum wollen. Cameron selbst will so ein Referendum nicht. Doch wenn er nicht aufpasst, dann wird er dazu gezwungen. Die United Kingdom Independence Party UKIP ist dafür, die

Labour-Partei ist eigentlich auch dafür. Nur die Parteielite nicht, aber das kommt noch. Die Dynamik geht in diese Richtung. profil: Sie schlagen vor, ein Referendum abzuhalten, in dem die Briten gefragt werden, ob sie einer Art „Europäischen Gemeinschaft“ angehören wollen, aber nicht mehr einer „Europäischen Union“, wie sie heute verfasst ist. Das klingt, als wollten Sie einen „Exit light“. Owen: Ich habe immer geglaubt, dass der Euro eine katastrophale Fehlentscheidung war. Europa besteht nun mal aus verschiedenen Nationen, die ihre Kernrechte nicht aufgeben wollen. Man kann keine gemeinsame Währung haben, wenn man kein Staat ist. Jetzt wollen sich die Euro-Kernländer weiter zusammenschließen? Bitte sehr, nur zu. Wir wollen niemanden davon abhalten. Ich glaube nur, dass es ein Desaster wird. Die mediterranen Länder schaffen das einfach nicht. Mit Deutschland ist es eben anders. Gerhard Schröder war ein bemerkenswerter Kanzler. Er hat, obwohl er ein Sozialdemokrat war, seine Landsleute dazu gebracht, dass sie wettbewerbsfähig wurden. Mit den Italienern aber wird das nicht gelingen. Was soll ich Ihnen sagen? profil: Der italienische Premierminister Mario Monti könnte einiges erreichen … Owen: Wir können das deutsche Modell weder auf Italien noch auf Spanien überstülpen. Griechenland oder Portugal können wir ja ruhig retten, aber nicht Italien oder Spanien. Da müssen wir uns was anderes einfallen lassen, die sind zu groß. Die politische Elite in diesen Ländern war außerdem immer so pompös. Die spanische Regierung wusste doch genau, dass sie log. Die wussten doch, dass ihre Banken sich vollkommen unverantwortlich verschuldet hatten. Und in Brüssel wusste man auch viel mehr, als man wissen wollte. Mir ist es ja egal, was Brüssel und die Bürokraten dort sagen. Wie kann man sich eine Kommission leisten, die in Zeiten wie diesen das EUBudget um mehr als fünf Prozent anheben will? Das ist doch lächerlich. profil: Wieso? Das EU-Budget ist doch ohnehin winzig, und die Kommission

David Owen, 74, war von 1977 bis

„Der Kontinent zerbröckelt“

1979 einer der jüngsten ­britischen Außenminister. 1981 verließ er als einer der Gang of Four die britische Labour-Partei und gründete die sozialdemokratische SDP, die er dann auch selbst führte. Anfang der neunziger Jahre versuchte Owen als Sonderbeauftragter der EU ­zwischen Bosniern, Serben und Kroaten zu vermitteln, der ­Vance-Owen-Plan aber scheiterte. Heute sitzt Owen im House of Lords als partei­ unabhängiger „Crossbencher“. In seinem neuen Buch „Europe Restructured? The Eurozone ­Crisis and its ­Aftermath“ (Methuen-Verlag) fordert er ein Referendum über die Zugehörigkeit zu einem weiteren Kreis einer Europäischen Gemeinschaft, um den Austritt der euroskeptischen Briten aus der EU zu verhindern.

Lord David Owen fürchtet, dass Groß­britannien auf ein Referendum über den Austritt aus der EU zusteuert und b ­ emitleidet Angela Merkel.

erkannte ihn nicht. Der Krieg ist auch an uns hier nicht spurlos vorübergegangen. Es ist enorm wichtig für mich, dass wir auf der Basis dieser Erfahrungen ein Europa gegründet haben, in dem Krieg nicht mehr möglich ist. Zwei Jahre nach dem Ende des Dritten Reichs haben wir den Deutschen beim Aufbau geholfen. Das war enorm wichtig. profil: Sie stimmen nicht in den Chor der Merkel-Feinde ein? Owen: Angela Merkel bewundere ich sehr. Wir sind überhaupt nicht einer Meinung, was die EU betrifft. Ich bin gegen politische Integration. Doch ich habe Mitgefühl mit ihr. Es ist schwer für sie, zu ihren Wählern zu gehen und von ihnen zu verlangen, dass sie die Rechnung zahlen für die Undiszipliniertheit der mediterranen Völker. Deutschland wird sich anstecken, wenn Merkel nicht aufpasst. Sie ist aber glücklicherweise eine „Hausfrau“ und kann rechnen. profil: Wird diese Rechnung aufgehen, kann der Euro überhaupt überleben? Owen: In Österreich gibt es eine sehr starke nationalistische Strömung. Sie können nicht sicher sein, dass das Volk das proeuropäische Programm der Elite versteht. Selbst in den Niederlanden können wir uns nicht mehr sicher sein, dass das Volk eine weitere Integration mitträgt. Wenn Sie denken, dass das klappt, dann viel Glück. Die Leute müssen verstehen, dass Merkels Europa ganz anders aussehen wird. Eine verkleinerte Eurozone von 17 oder 12 oder sogar weniger Staaten wird sich politisch vereinen. Die EU-Kommission wird dann eine Regierung sein. Dar­ über werden wir natürlich alle abstimmen müssen. profil: Vielleicht wäre es besser für Großbritannien, zu einer kleinen Eurozone zu gehören und mit Deutschland gemeinsam reich zu werden? Wollen Sie lieber mit den Griechen zusammen draußen sitzen? Owen: Wir Briten wollen unsere Identität nicht aufgeben. Ich möchte nicht Teil der Vereinigten Staaten von Europa sein, thank you very much. Interview: Tessa Szyszkowitz/ London



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fordert dieses Geld ja nicht für sich selbst, sondern für Projekte, die gerade den armen Mitgliedsstaaten zugutekommen. Owen: Das stimmt vielleicht. Aber es kommt nicht gut an. profil: Die britische Insel driftet jedenfalls weg vom Kontinent. Sie klingen schon wie UKIP, die für den Austritt aus der EU kämpft. Owen: Der Kontinent zerbröckelt doch gerade! In Athen werden Hakenkreuze an die Wände gemalt. Kein Wunder, dass auch bei uns die EU-Skepsis steigt. Ich aber bin ein Europäer! 1972 stimmte ich für den Beitritt Großbritanniens zur Europäischen Gemeinschaft. Damals aber ging es eben nur um den gemeinsamen Markt. 1973 traten wir dann bei – ohne Volksabstimmung. Dass das Volk nicht gefragt wurde, war ein Fehler. Später brach diese Wunde auf. Und jetzt ergreift die Infektion das ganze System. Wir steuern auf ein Austrittsreferendum zu, weil die Leute sich getäuscht fühlen. Ein politisch integriertes Europa, bei dem die Nationalstaaten immer mehr Rechte abgeben – das haben wir Briten nie gewollt. profil: Wir Kontinentaleuropäer haben einen anderen Zugang zu engerer Integration – wir waren jahrhundertelang ein riesiges Schlachtfeld. Owen: Als mein Vater aus dem Krieg heimkehrte, ging ich auf ihn zu, hielt ihm die Hand hin und sagte: „Guten Tag, Sir.“ Ich war sieben Jahre alt und

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Das Verhalten der Briten bei EU-Gipfeltreffen ist mit dem eines Mannes zu ­vergleichen, der ohne ­Begleitung zu einer Partnertausch-Party kommt. einzige Weg ist, um den Euro zu retten. Gleichzeitig aber kommt für ihn ein Transfer englischer Finanzen in Richtung der Südländer in keinem Fall infrage. Und so kommt die britische Regierung in die paradoxe Situation, mit Verve für alle möglichen Rettungsschirme einzutreten, Solidarität der reichen gegenüber den armen Ländern der EU einzufordern, gleichzeitig aber den Standpunkt einzunehmen: ohne uns! Und London weigerte sich auch im vergangenen Dezember, dem europäischen Fiskalpakt beizutreten. Mit dieser Position hat der britische Premier in Europa verständlicherweise keinen starken Stand. Legendär jener Gipfel im Vorjahr, bei dem Cameron auf seine kontinentalen Amtskollegen einredete, was sie nun zu tun hätten, und Nicolas Sarkozy die Geduld verlor: „Du hast eine gute Gelegenheit verpasst, den Mund zu halten“, rief der damalige französische Präsident. „Wir haben eure Kritik und eure Belehrungen satt. Ihr sagt, dass ihr den Euro hasst, und dann spuckt ihr bei unseren Treffen große Töne.“ Und ein west­ europäischer Diplomat verglich kürzlich Englands Verhalten bei den verschiedenen europäischen Treffen mit dem eines Mannes, der ohne Begleitung zu einer Partnertausch-Party kommt. Ganz so neu ist diese Haltung der Briten freilich nicht. Schon der Held des Kampfs gegen Hitler-Deutschland, der ­damalige Premier Winston Churchill, machte 1946 in seiner historischen und visionären Zürcher Rede, in der er aus den Gräueln des Zweiten Weltkriegs den Schluss zog, es müssten die Vereinigten Staaten von Europa aufgebaut werden, klar: Großbritannien werde bei diesem Großprojekt nicht mitmachen. London wolle dem so entstehenden neuen Europa aber mit „wohlwollender Freundschaft“ beistehen. Dabei blieb es. Beim europäischen Integrationsprozess standen die Briten von Anfang an abseits oder sie legten sich quer.



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Sie sind ein EU-Mitglied, das nie wirklich zum Club gehören wollte. Seit die Europäi­ sche Union gegründet wurde, haben die Briten nicht aufgehört, über ihr verlorenes Empire zu trauern. Als sich nach dem Zweiten Weltkrieg eine Kolonie nach der anderen unabhängig erklärte, orientierte sich Britannien weniger nach Europa als nach Amerika. Noch das enge IrakkriegBündnis zwischen Tony Blair und George Bush machte das nur allzu deutlich. Die Vereinigungsanstrengungen am Kontinent wurden von den britischen Eliten – auch von den Führern der Labour Party – im besten Fall als naiver Idealismus angesehen. So handelten sie auch: Sie erstritten ihren Budgetrabatt, traten Schengen nicht bei, wollten ihr Pfund nicht aufgeben, machen bei Kooperationen in Justiz- und Polizeiangelegenheiten nur halb mit und blockieren die Versuche, eine stärkere gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu etablieren. Der einzige Grund für ihren Verbleib in der EU ist der Binnenmarkt – in diesem Bereich ist Großbritannien für stärkere Integration. Deswegen will auch kein führender britischer Politiker eine völlige Abkoppelung von Brüssel. Aber Zugeständnisse an den anschwellenden antieuropäischen Nationalismus verspricht die Tory-Regierung doch: Unter den veränderten Umständen werde ein „neuer Deal“ mit der EU ausverhandelt werden, verspricht Cameron. Die Krise der Eurozone biete, meinen die Konservativen, die beste Gelegenheit, Kompetenzen aus Brüssel zu repatriieren – bei der Einwanderungspolitik, beim Arbeitsund Sozialrecht, bei Landwirtschaft und Fischereipolitik. Offenbar wollen Cameron und Co in Brüssel so schroff wie weiland die ehemalige Regierungschefin und Tory-Ikone Margaret Thatcher auftreten. Sie schwang bekanntlich 1984 ihre Handtasche und rief: „I want my money back!“ Und bekam ihren Rabatt. Ob aber Deutschlands Angela Merkel, Italiens Mario Monti, Frankreichs François Hollande und die anderen in­ mitten des Über­ lebenskampfs der Eurozone ein offenes Ohr für die Sonderwünsche Londons haben, erscheint mehr als fraglich. Wahr-

scheinlicher ist eher, dass sich die Briten mit solchen Ansinnen noch weiter ins europäische Out manövrieren. Die Volksabstimmung darüber, ob sich Großbritanniens Zukunft innerhalb oder außerhalb der EU abspielen soll, wird jedoch nicht allein von den rechten Nationalisten gefordert und von Cameron – für später – versprochen. Zwar sieht Wirtschaftsminister Vince Cable – Vertreter der Liberalen in der Cameron-Regierung – das Verlangen nach einem derartigen Referendum als „fürchterlich belanglos“ an. Aber kaum einer zweifelt mehr daran, dass in nicht allzu ferner Zukunft das Volk über Austritt aus oder Verbleib des Landes in der EU abstimmen wird. Timothy Garton Ash, der liberale Parade­ intellektuelle und deklarierte Europa­ freund, sagte schon vergangenes Jahr in einem Interview: „Wenn die Eurozone ­gerettet sein wird, werden wir eine Fiskalunion haben. Das wird eine politische Union sein. Dann wird sich in Großbritannien in den kommenden drei, vier Jahren unweigerlich die finale Frage stellen: drinnen oder draußen?“ Oder aber – so wird nun allgemein spekuliert – die EU spaltet sich: Da ein innerer Kern, der sich entschließt, zu einem Staat zusammenzuwachsen, dort ein äußerer Kreis der EU, der weniger integriert ist und mehr oder weniger eine Freihandelszone darstellt: Zu dieser Zone würde Großbritannien gehören (siehe Interview Seite 48). Wie gangbar sich solch ein Weg erweisen würde, ist freilich ebenso ungewiss wie der Ausgang einer eventuellen EU-Volksabstimmung. Zwar sind nicht nur die politischen Eliten gegen einen Ausstieg, auch die Londoner City, die immerhin 35 Prozent aller Finanzdienstleistungen in der EU erbringt, will nicht mit Brüssel brechen – sie hat ein vitales Interesse, über die legalen Bedingungen ihres europäischen Geschäfts mitzubestimmen. Die Europafeindschaft innerhalb der Bevölkerung wird aber immer stärker und breiter. Charles Grant vom Londoner Think Tank „Center for European Reform“ ist alarmiert: „Wir taumeln einem Ausstieg entgegen, ohne zu wissen, was dann kommt.“  ■

Offenbar wollen Cameron und Co in Brüssel so schroff wie seinerzeit die damalige Premierministerin Margaret Thatcher auftreten, als sie „I want my money back“ rief.