Reiki zur Linderung von chronischen Schmerzen

Übersetzung des Artikels «Le Reiki, pour soulager la douleur chronique» in der 12/2015 Ausgabe der Fachpublikation «Soins Infirmiers / Krankenpflege» ...
Author: Erica Kraus
2 downloads 2 Views 503KB Size
Übersetzung des Artikels «Le Reiki, pour soulager la douleur chronique» in der 12/2015 Ausgabe der Fachpublikation «Soins Infirmiers / Krankenpflege» des SBK/ASI, dh „Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen“ bzw. „Association suisse des infirmiers et infirmières“: http://www.sbk.ch/de.html Übersetzung : RIO – http://reiki-international.org (Karin Bair) Im Auftrag von ibH http://www.in-besten-haenden.ch (René Vögtli) Foto zu Illustrationszwecken aus dem Video Reiki in der klinischen Praxis

Komplementäre Therapiemethoden in der Rehabilitation

Reiki zur Linderung von chronischen Schmerzen Kann die Behandlung mit Reiki dauerhaft in einer Universitätsklinik integriert werden? Zu welchen Bedingungen und mit welchem Ergebnis? Eine Zufriedenheitsstudie bei chronischen Schmerzpatienten zeigt, dass dieses Vorgehen geschätzt wird und wirksam ist. Text: Sylvie Furrer / Foto: IstockPhoto

Die Reha-Abteilung des Universitätsspitals in Lausanne (CHUV - Centre Hospitalier Universitaire Vaudois) nimmt seit mehr als 15 Jahren Patienten mit chronischen Schmerzen auf, speziell im Bereich der Wirbelsäule, aber manchmal auch, je nach Situation, bei Fibromyalgie oder psychosomatischen Schmerzen. Diese Patienten werden ambulant oder stationär behandelt, in einem Programm dass sich aus verschiedenen Einzelbehandlungen und Behandlungen in der Gruppe zusammensetzt, über eine Dauer von drei Wochen (dreimal fünf Tage). Sie werden behandelt von Ärzten, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Psychologen und einem Pflegeteam, zu dem zwei Krankenschwestern gehören, die Entspannungstechniken und Reiki anwenden. Manchmal wird den stationären Patienten auch seelsorgerische Betreuung angeboten.

Bei den meisten dieser Patienten ist das Ziel, mit den Aktivitäten des Täglichen Lebens (ATL), ihre Selbständigkeit aufrechtzuerhalten oder wiederzufinden, sowohl zu Hause als auch im Berufsleben. Das Pflegeteam hat die wichtige Aufgabe, das progressive körperliche Aufbautraining dieser Patienten gemäß vier großer Punkte zu begleiten: 

  

Ihre Wahrnehmungen zu kontrollieren (den Patienten helfen, ihre Überzeugungen und Grenzen zu verstehen, um über diese hinauszuwachsen) und ihre Kraftquellen zu definieren Progressiver Aufbau der Rückenmuskulatur und kardiovaskuläres Training Üben der ATL und der beruflichen Tätigkeiten, die Probleme verursachen Psychologische Unterstützung des Patienten.

Allgegenwärtiger Schmerz Die Situation der Patienten, die unter chronischen Schmerzen leiden, ist oft sehr komplex. Zuallererst ist auf körperlicher Ebene der Schmerz allgegenwärtig. Der Patient bewegt sich immer weniger und hat immer mehr Angst vor Bewegung (Kinesiophobie) und baut daher ab. Im psychologischen, sozialen, beruflichen und familiären Bereich ist die Situation oft kritisch. Im Laufe der Zeit können die Menschen im Umfeld den Patienten nicht mehr mit der nötigen Empathie begleiten. Bisweilen verschlechtert sich auch die finanzielle Lage durch wiederholte oder längere krankheitsbedingte Arbeitsausfälle, sogar bis hin zu Arbeitsplatzverlust. Manche Patienten haben einen besonders schwierigen und belasteten Lebensweg hinter sich (Krieg, Folter, Immigration, Vergewaltigung, Missbrauch, Aggression, Abhängigkeit, etc.). Diese Ereignisse rufen enorm viel Spannung und Stress hervor. Der Patient gerät in eine Spirale, die oft zu depressiven Zuständen führt.

Situation

Kriegsflüchtlinge als Patienten In einer Patientengruppe hatten wir zwei Frauen, die den Krieg miterlebt hatten. Sie waren ungefähr 1995 in die Schweiz emigriert, eine mit ihrem Ehemann und die andere mit ihrem Ehemann und ihren drei Töchtern. In Bezug auf ihren jeweiligen Lebensweg befanden sie sich in unterschiedlichen Stadien, denn eine der Frauen wollte seit drei Jahren eine Psychotherapie machen, und die andere schien noch nicht bereit zu sein, über ihre Erlebnisse zu sprechen. Die ReikiAnwendungen waren sehr ergreifend. Die Patientinnen hatten starke Emotionen: sie weinten viel, entweder währenddessen oder danach. Während der ersten ReikiBehandlung zitterte eine der beiden bei jeder Umpositionierung der Hände auf ihrem Körper. Bei beiden kamen nach mehr als 15 Jahren weit zurückliegende Erinnerungen wieder hoch … Trotz dieser schwierigen Momente wollten sie diese Anwendungen fortsetzen. Sie sagten, sie fühlten sich danach besser. Diese Anwendungen haben wahrscheinlich den Psychologen anschließend einen Zugang zu diesen Patientinnen ermöglicht, indem sie gewisse Elemente der Reiki-Behandlungen aufgegriffen haben, und sie konnten dann den Ärzten Vorschläge zur besseren individuellen Therapie der jeweiligen Patientin machen.

In diesem Zusammenhang werden mehrere Vorgehensweisen vorgeschlagen. Die Entspannung ist eine davon und diese kann eine nicht unerhebliche Unterstützung im Programm sein. Sie wird zweimal pro Woche bei allen Patienten angewandt. Im Zusammenhang mit dem Konzept, den Patienten zu Momenten der Entspannung zu verhelfen, beinhaltet das Behandlungsprogramm auch die Möglichkeit für stationäre Patienten, sich mit Reiki behandeln zu lassen.

Reiki Reiki gehört zu den komplementären Therapieformen und kann als Energietherapie bezeichnet werden. Mikao Usui hat diese Therapie Anfang des 20. Jahrhunderts in Japan gegründet, und diese Therapieform hat sich dann entwickelt und ausgebreitet über die USA und schließlich nach Europa. Reiki ist japanisch und bedeutet übersetzt „universelle Lebensenergie“ („rei“ bedeutet universell und „ki“ Lebensenergie). Die hauptsächlichen Wirkungen von Reiki werden in der Fachliteratur wie folgt beschrieben:     

Stimulierung des körperlichen und geistigen Wohlbefindens Fördern eines Entspannungszustands Harmonisieren des Energieflusses Verstärken der Heilungskräfte Neue Energie für eine neue Herangehensweise an das Leben

Die Übertragung dieser Energie erfolgt durch Handauflegen durch den Reiki-Praktizierenden an mehreren Körperstellen des bekleideten Patienten. Die Hände können dabei entweder den Patienten berühren oder auch sich ungefähr zehn Zentimeter über dem Körper befinden, wenn der Patient nicht möchte, dass er berührt wird. Die Philosophie dieser Therapie hat überhaupt nichts mit einer Religion, Sekte oder Glaubenszugehörigkeit zu tun, sondern basiert hauptsächlich auf dem gegenseitigen Wohlwollen. Der Praktizierende leitet oder kanalisiert die universelle Energie zum Körper des Patienten durch seine Hände hindurch, die er während der Behandlungsdauer immer wieder auf unterschiedliche Körperstellen legt. Eine Behandlung dauert zwischen 60 und 90 Minuten. Diese Art, die universelle Energie für Therapiezwecke zu nutzen, findet man in verschiedenen und weitaus älteren Kulturen wie zum Beispiel der ägyptischen, tibetischen, indischen, christlichen, polynesischen Kulturen, unter anderen Namen oder Bezeichnungen und wahrscheinlich auch in noch vielen anderen Traditionen.

Planung der Sitzungen Im CHUV mussten die Reiki-Anwendungen der Organisation im Klinikumfeld und unseren Möglichkeiten (verfügbare Zeit, Organisation, Planung und Koordination) angepasst werden. Es wurde entschieden, dass nur stationäre Patienten mit Reiki behandelt werden, und für eine Dauer von 30 Minuten. Seit Anfang 2013 wurden Reiki-Anwendungen wie folgt durchgeführt: die beiden in Reiki ausgebildeten Krankenschwestern behandelten im Turnus alle drei Wochen eine Gruppe von Patienten. Der Patient wurde im Prinzip während seines Klinikaufenthalts von derselben Krankenschwester behandelt, um eine bessere Kontinuität der Versorgung zu gewährleisten. Auf der Grundlage einer medizinischen Beurteilung erklärte die Krankenschwester die ReikiBehandlungsweise individuell und anhand einer schriftlichen Erklärung, die dem Patienten ausgehändigt wurde und bei ihm verblieb. Es war nicht verpflichtend, sich mit Reiki behandeln zu lassen. Der Patient hatte im Prinzip einige Tage Zeit zum Nachdenken, bevor er seine mündliche Zustimmung erteilte. Nach Erteilen der Zustimmung wurde pro Woche eine Reiki-Behandlung von 45minütiger Dauer in seinem Pflegeprogramm eingetragen. Von diesen 45 Minuten wurden 15 Minuten darauf verwendet, den Behandlungsraum, die Musik und den Patienten vorzubereiten, sowie um sich

eventuell auszutauschen. Die verbleibenden 30 Minuten waren der Reiki-Behandlung, wie oben beschrieben, gewidmet. Die multidisziplinären Teams nahmen an wöchentlichen Besprechungen teil. Diese Besprechungen ermöglichten Fragen zur Versorgung der Patienten: waren die Schmerzbehandlungen wirksam? Konnte der Patient nachts schlafen? Fühlte er sich bei den physiotherapeutischen Behandlungen wohl? In welchem psychologischen Zustand befand sich der Patient bei den verschiedenen Behandlern? Konnte sich der Patient entspannen? Die Krankenschwestern, die mit Reiki behandeln, stellten einerseits sicher, dass das Pflegeteam regelmäßig informiert wurde, und andererseits dokumentierten sie jede Reiki-Anwendung in der Patientenakte (Behandlungsdauer, Beschreibung der Position und Körperhaltung des Patienten, Position der Hände des Reiki-Praktizierenden, Rückmeldung des Patienten).

Zugewinn durch Reiki Trotz umfangreicher wissenschaftlicher und meist englischsprachiger Literatur ist es nach wie vor schwer, die Wirksamkeit von Reiki zu beweisen. Kritiker werfen der Forschung oft Methodik und mangelnde Strenge vor, sowie unterschiedliche Aufnahmekriterien und zu wenig Konsequenz bei den Patientengruppen, um Schlussfolgerungen für die Wirksamkeit von Reiki ziehen zu können. Dennoch lobt die Literatur größtenteils die Methode aufgrund der ersten bestärkenden Ergebnisse, und wir mit unserem Team haben unsere eigene Zufriedenheitsumfrage bei unseren Patienten durchgeführt.

Übersetzung beider Graphiken am Ende.*

Die Zielsetzung war, Näheres herauszufinden über:      

Die Zufriedenheit mit der Reiki-Behandlung Die Auswirkung der Behandlungen auf Schmerz, Ängste, Wohlbefinden Die Erinnerung an die Behandlungen Den Nutzen dieser Anwendungen im Programm Die Weiterführung außerhalb der Klinik Die anschließende Kommunikation und die Empfehlungen von Reiki im Umfeld

Diese Befragung erstreckte sich über einen Zeitraum von 17 Monaten und wurde anonym bei 113 Patienten durchgeführt, die mit dieser Technik während ihres Aufenthalts behandelt wurden. Es wurde ein Fragebogen konzipiert mit Fragen des Liekert-Typus sowie einigen offenen Fragen, als Freitext.

Entspannung und Stressreduktion Von 133 Patienten wollten sich 20 aus kulturellen oder religiösen Gründen, sowie aufgrund der vollständigen Beendigung der Behandlung nicht mit Reiki behandeln lassen. Unter den 113 Patienten, die sich mit Reiki behandeln ließen, konnten 94 Fragebögen ausgeteilt werden, von denen wiederum 87 Stück (84%) zurückgegeben wurden. 78% der Patienten haben sich als „zufrieden“ oder „vollständig zufrieden“ mit den ReikiAnwendungen geäußert. Primär (Grafik 1) brachte Reiki den Patienten:   

Entspannung Wohlbefinden Stressabbau.

Diese drei Elemente sind Teil der Zielsetzung der Dienstleistung und der befolgten Vorgehensweise. Im Übrigen waren dies vor ca. 15 Jahren die Ziele bei der Einführung von Reiki in dieses Programm. Außerdem haben wir während unserer Tätigkeit Folgendes beobachtet:  



Die Patienten schlafen sehr oft während der Behandlungen ein, obwohl die Mehrheit genau dieser Patienten unter gravierenden Schlafstörungen leidet. Die meisten Patienten behalten während der Behandlungsdauer (30‘) die gleiche Position bei, ohne sie zu verändern, obwohl es genau diese Patienten in der Ergotherapie und Physiotherapie hauptsächlich wegen Schmerzen nur kurze Zeit in ein und derselben Körperposition aushalten. Obwohl ihre chronischen Schmerzen am Ende der Behandlung immer noch vorhanden waren, sagen uns die Patienten, dass sie sich schon lange nicht mehr so gut gefühlt haben.

Die Mehrheit der Patienten (72%) schätzen die Reiki-Anwendungen als „nützlich“ oder „sehr nützlich“ ein. Welche Intention haben die Patienten bei der Entlassung aus der Klinik in Bezug auf diese Methode? Die Reiki-Anwendungen werden sehr geschätzt und haben ihren Platz im Programm. Die Patienten empfehlen sie gerne in ihrem Umfeld. Allerdings sind sie zögerlich bei der Vorstellung, sich nach Entlassung aus der Klinik weiterhin mit Reiki behandeln zu lassen. Sie befinden sich oft in relativ prekären finanziellen Situationen, die ihnen nicht erlauben, eine Zusatzversicherung abzuschließen oder die Dienste eines anerkannten Praktizierenden in Anspruch zu nehmen (Grafik 2).

Diskussion Laut der Ergebnisse dieser Umfrage sind die Patienten von den Reiki-Anwendungen begeistert. Sie leisten einen erheblichen Beitrag zu ihrer Entspannung, ihrem Wohlbefinden und zum Stressabbau. Trotz der Anpassung der Dauer einer klassischen Behandlung (ca. 60-90 Min.) an eine innerklinische Behandlungsdauer von 30 Minuten ist die wohltuende Wirkung von Reiki weiterhin erwiesen. Die Vorbereitungszeit einer Behandlung (15‘) ist anscheinend auch sehr wichtig. Sie erlaubt dem Patienten, sich einzurichten. Durch die Vorbereitung des Behandlungsraums, der Liege und für den Komfort des Patienten und der Qualität des Austauschs wird dem Patienten gezeigt, dass der

Praktizierende um das Wohlergehen des Patienten bemüht ist, was ihm hilft, eine Vertrauensbasis herzustellen.

Schlussfolgerung Zuallererst beweist diese Erfahrung erneut die Wichtigkeit der Qualität der Zeit, die dem Patienten gewidmet wird, sowie des Kontakts und der Vertrauensverhältnisses. Reiki leistet einen Beitrag zu dieser Qualität, insbesondere bei chronischen Schmerzpatienten. Die multidisziplinären Besprechungen innerhalb eines Pflegeteams sind wesentlich. Sie ermöglichen schließlich und endlich die Gewährleistung einer besseren Kontinuität bei der Versorgung der Patienten. Die Komplementärmedizin und Reiki im Besonderen tragen nicht unerheblich zur Spitalmedizin bei. Sie sollten mehr gefördert werden und es sollten mehr Recherchen zum besseren Verständnis der Zusammenhänge und Überschneidungen der verschiedenen Bereiche durchgeführt werden. Endlich wird Ende des Jahres im CHUV ein Integratives und Komplementäres Medizinisches Zentrum (CEMIC) aufgebaut werden, mit dem Ziel, die Teams der PMU (Medizinische Polyklinik der Universität) und des CHUV im Bereich der Komplementärmedizin zu unterstützen. Eine Neuigkeit, die uns in eine spannende Zukunft blicken lässt!

Die Bibliographie im Zusammenhang mit diesem Artikel ist bei der Autorin erhältlich.

*Übersetzung der Grafiken:

Was bringt Ihnen Reiki Ihrer Meinung nach? Eine Verbesserung Ihres Schlafs? Stressabbau? Wohlbefinden? Entspannung? Hilfe zur Schmerzlinderung? Grafik 1: Auswirkung der Behandlungen bei den Patienten.

hellblau: Keine Antwort rot: Überhaupt nicht einverstanden orange: Nicht einverstanden gelb: Einverstanden grün: Völlig einverstanden

Und in der Zukunft?

hellblau: Keine Antwort rot: Sicher nicht orange: Eher nicht gelb: Eher ja grün: Ja sicher

Denken Sie, dass Sie die Reiki-Behandlungen nach Rückkehr in Ihr Zuhause fortsetzen werden?

Würden Sie Reiki anderen empfehlen?

Die ReikiBehandlungen sollen fortgesetzt werden?

Grafik 2: Nach dem Klinikaufenthalt und außerhalb des Klinikaufenthalts.

Die Autorin Sylvie Furrer hat bis April 2015 als Krankenschwester im Team der Abteilung des CHUV gearbeitet, die sich auf den Bewegungsapparat des menschlichen Körpers spezialisiert hat. Seitdem arbeitet sie als Krankenschwester in der kardiologischen Beratung der PMU. Kontakt: [email protected]

Suggest Documents