Regulierung von Robo-Advice

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Regulierung von Robo-Advice AJP/PJA 8/2016

Regulierung von Robo-Advice Neue Herausforderungen für Finanzintermediäre und Finanzmarktaufsichtsbehörden im Kontext der digitalen Anlageberatung und Vermögensverwaltung Rainer Baisch**

Rolf H. Weber*

Im Kontext der parlamentarischen Beratungen zum FIDLEG bzw. dessen Überarbeitung im Eidgenössischen Finanzdepartement und der bewussten Entscheidung der FINMA zur Technologieneutralität der regulatorischen Rahmenbedingungen sind auch die Automatisierung von Anlageempfehlungen und Vermögensverwaltung (Robo-Advice) zu einem Diskussionsgegenstand für den Gesetz- und Verordnungsgeber und für die Aufsicht geworden. An allen wichtigen Finanzplätzen beschäftigen sich die Finanzmarktaufsichtsbehörden mit den entsprechenden Fragestellungen, denn verbreitet werben innovative Start-Ups mit ihren Internet-Plattformen und etablierte Player mit modifizierten Beratungsmodellen aktiv um Kundengelder. Von grosser Bedeutung ist die Frage, für wie schutzbedürftig der Anleger angesehen werden soll. Der Beitrag gibt einen umfassenden Überblick über die aktuellen Entwicklungen und vergleicht die unterschiedlichen Herangehensweisen der Aufsichtsbehörden.

Inhaltsübersicht I. Robo Advice: Erschwingliche und bedürfnisgerechtere Beratung für alle? A. Automatisierung der Anlageberatung 1. Definition 2. Erscheinungsformen und Charakteristika 3. Entwicklung B. Mögliche Vertragskonstruktionen II. Vorteile und Risiken von Robo-Advice A. Vorteile von Robo-Advice B. Risiken beim Robo-Advice III. Regulatorische Herausforderungen A. Technologie-Umgebung B. Konkretisierung der Vertragsbeziehungen C. Rechtsvergleichung 1. Deutschland 2. Vereinigtes Königreich 3. Europäische Union 4. Vereinigte Staaten von Amerika 5. Australien D. Neuregulierungen durch das Finanzdienstleistungsgesetz IV. Ausblick

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Rolf H. Weber, Prof. Dr. iur., Ordinarius für Privat-, Wirtschafts-

und Europarecht an der Universität Zürich, Rechtsanwalt, Bratschi Wiederkehr & Buob AG, Zürich. ** Rainer Baisch, MLaw und Dipl.-Kfm., Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Zürich. Der vorliegende Beitrag ist im Rahmen des universitären Forschungsschwerpunkts «Finanzmarktregulierung» an der Universität Zürich entstanden. Abruf aller Internetzitate am 30. Juni 2016.

Dans le contexte des discussions parlementaires sur la LSFin et de son remaniement par le Département fédéral des finances ainsi que de la décision réfléchie de la FINMA sur la neutralité technologique du cadre réglementaire, l’automatisation des recommandations de placement et de la gestion de fortune (robo-advice ou conseil automatisé) pose de nouveaux enjeux au législateur et à la surveillance. Sur toutes les places financières importantes, les autorités de surveillance des marchés financiers se penchent sur des questions de cet ordre ; partout, de jeunes entreprises innovantes et des acteurs établis cherchent à attirer des fonds de clients, les premières avec des plateformes en ligne et les seconds avec de nouveaux modèles de conseil. La question de savoir à quel point l’investisseur doit être protégé est essentielle. La contribution offre un large aperçu sur les récents développements en la matière et compare les différentes approches des autorités de surveillance.

I.

Robo Advice: Erschwingliche und bedürfnisgerechtere Beratung für alle?

A. Automatisierung der Anlageberatung Die Digitalisierung der Gesellschaft hat in den letzten Jahren verstärkt auch die Finanzbranche erfasst; das Schlagwort «FinTech» erfasst die modifizierten oder neu hinzukommenden Finanzdienstleistungen mit digitalem Hintergrund. Zum einen bieten sowohl konventionelle Finanzmarktakteure wie Banken und Versicherungen vermehrt digitale Vertriebswege und automatisierte Geschäftsprozesse an, zum anderen treten innovative Anbieter auf, die mit elektronischen Plattformen um Kunden werben. Zusätzlich erweitern Konzerne mit einer grossen Zahl von Kundenkontakten ihr Dienstleistungsangebot und offerieren u.a. Bezahldienste.1 Kunden nutzten diese Dienste zunächst bei Einkäufen via Internet; zwischenzeitlich gewinnen die digitalen Angebote auch beim bargeldlosen Bezahlen erhebliche Marktanteile zu Lasten der Bar- oder Kartenzahlungen. Während bei Bezahldiensten vor allem Sicherheitsaspekte (Daten, Betrug etc.) und Gebühren zu beachten sind, stehen die Kunden beim Kauf 1

Zu denken ist an das Bezahlsystem Paypal, das von Ebay 2002 akquiriert und letztes Jahr wieder in die Selbständigkeit entlassen wurde. Weitere Beispiele sind Apple Pay oder Andoid Pay und Twint in der Schweiz.

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von Finanzdienstleistungen und bei der Geldanlage über digitale Plattformen vor deutlich komplexeren Fragestellungen, weshalb auch der Regulator gefordert ist. 1.

Definition

Der bislang regulatorisch nicht klar definierte Terminus «Robo-Advice» umfasst verschiedene Formen der Anlageberatung, bei welcher automatisierte Analyseprozesse genutzt werden, um Anlageempfehlungen zu generieren. Klare gesetzliche Definitionen liegen nicht vor, aber ein Blick in aktuelle Publikationen verschiedener Aufsichtsbehörden erlaubt eine gewisse Abgrenzung. Die USamerikanische Financial Industry Regulatory Authority (FINRA) spricht von digital investment advice,2 das Joint Committee of the European Supervisory Authorities (JC-ESA)3 von automation in financial advice4, die australische Australian Securities & Investment Commis­ sion (ASIC) von digital financial product advice5 und die deutsche Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) von Plattformen zur automatisierten Anlageberatung6. Die englische Financial Conduct Authority (FCA)

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FINRA, Report on Digital Investment Advice, März 2016. Der FINRA-Report spricht von digital (investment) advice tools, die eine oder mehrere Funktionen übernehmen: (i) customer profiling, (ii) asset allocation, (iii) portfolio selection, (iv) trade execution, (v) portfolio rebalancing, (vi) tax-loss harvesting und (vii) portfolio analysis; diese Funktionen können ein vom Berater genutztes Hilfsmittel oder ein Geschäftsmodell sein; gemäss FINRA werden client-facing tools auch als robo advisors bezeichnet. Bestehend aus ESMA (European Securities and Markets Authority), EBA (European Banking Authority) und EIOPA (European Insurance and Occupational Pensions Authority). JC-ESA, Joint Committee Discussion Paper on automation in financial advice, 4. Dezember 2015. Thematisiert werden automated advice services, die gemäss JC-ESA auch als robo-advice bezeichnet werden; ein robo advisor ist ein (S. 7) «automated tool», das «prospective investors for information about their specific circumstances» befragt und basierend auf den Antworten einen Algorithmus nutzt, um «transactions in financial instruments» zu empfehlen, «that match the customer’s profile». ASIC, Consulting Paper 254, Regulating digital financial advice, März 2016. ASIC (S. 6) spricht von digital advice, welcher auch bekannt sei als robo-advice oder automated advice, und versteht darunter, «the provision of automated financial product advice using algorithms and technology and without the direct involvement of a human adviser». Erfasst wird nicht nur personal advice, sondern auch general advice, unabhängig davon, ob es nur um portfolio construction oder comprehensive financial product advice geht. BaFin, Robo-Advice und Auto-Trading – Plattformen zur automatisierten Anlageberatung und automatisiertem Trading. Die BaFin versteht unter einem robo advisor den Betreiber einer Plattform zur automatisierten Anlageberatung, welche einen Anlagevorschlag, ein Musterportfolio oder eine Anlageempfehlung anbietet, http://www.bafin.de/DE/Aufsicht/FinTech/Anlageberatung/ anlageberatung_node.html.

hat sich mit der Thematik ebenfalls bereits intensiv befasst. Verschiedene FCA-Publikationen beschäftigen sich ohne nähere Definition mit Robo-Advice, obwohl die Chefin der FCA den Begriff «automated advice» bevorzugt.7 Eine Studie des Instituts für Finanzdienstleistungen Zug IFZ und des Kompetenzzentrums Banking Trends & Innovation der Swisscom definieren «Digitales Anlegen» als Oberbegriff für «sämtliche Formen der Geldanlage (Vermögensverwaltungsmandate, Anlageberatungen oder Social Trading), bei welchen entweder ausschliesslich oder unterstützend online eine individualisierte und in der Regel algorithmenbasierte Anlagestrategie vorgeschlagen, umgesetzt oder nachgebildet und dem Kunden online zugänglich gemacht wird».8 «Robo-Advisors» sind somit Plattformen, die automatisierte Anlageempfehlungen anbieten. Sobald ein Kunde sich persönlich identifiziert, kann dessen Erwartung regulatorisch zu berücksichtigen sein, eine auf seine individuelle Situation abgestimmte Anlageempfehlung zu erhalten. Nicht erfasst sind Tools, die einen Anlageberater im Rahmen seiner Dienstleistungserbringung unterstützen oder in der Vermögensverwaltung Einsatz finden.9 Solange beispielsweise ein im Bereich Execution-only anzusiedelnder Online-Broker lediglich allgemeine Anlageempfehlungen oder Musterportfolios auf seiner Website aufschaltet, ist dies kein Robo-Advice. Sobald ein Kunde aber Empfehlungen erhält, die Angaben berücksichtigen, welche er dem Anbieter bekannt gegeben hat, kann von Robo-Advice gesprochen werden. Die Plattformen der Robo-Advisors verwenden Algorithmen, welche verschiedene Anlagevehikel dahingehend bewerten, ob diese den vom Kunden erfassten Kriterien hinsichtlich seiner Anlageziele und seines Risikoprofils entsprechen. Von grosser Bedeutung sind auch Kriterien der Portfoliodiversifikation;10 soweit diese Da-

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Rede von Tracey McDermott, 13. April 2016, www.fca.org.uk/ news/firms/the-regulation-of-advice-recommendations-post-famr. Die FCA hat im Rahmen ihres Project Innovate im September 2015 ein dreitägiges robo-advice forum veranstaltet. Die letztes Jahr initiierten regulatory sandboxes sollen auch Anbietern von automated advice erlauben, ihre Angebote der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Falk Kohlmann/Andreas Dietrich/Christoph Duss/­Noemi Heusler, Digitales Anlegen – Momentaufnahme 2015 und Ausblick 2020, April 2015, https://blog.hslu.ch/retailbanking/files/2015/ 04/DigitalesAnlegen_Kurzversion_DE_def.pdf. Vgl. auch Aufstieg der Fintech, Schweizer Bank, Juni 2016, 14, 18. Vgl. Harry M. Markowitz, Portfolio Selection, Journal of Finance, 1/1952, 77 ff.; ders., Portfolio Selection: Efficient Diversification of Investments, New York 1959; William F. Sharpe, Portfolio theory and capital markets, New York 1970.

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ten vorliegen, lässt sich auch das anderweitig angelegte Vermögen berücksichtigen. Ebenfalls gehört bei einem Teil der Angebote die laufende Portfolioüberwachung dazu, welche auf Marktentwicklungen reagiert oder steuerlichen Optimierungsbedarf mit Blick auf ein vorhandenes Portfolio ermittelt und entweder individuelle Empfehlungen generiert, um das Portfolio zu adjustieren, oder dieses autonom anpasst.11 Letztlich führt Robo-Advice dazu, dass Anlageberatung ohne menschliche Interven­ tion nur durch ein automatisiertes Beratungstool stattfindet.12 Allerdings sind es natürlich Menschen, die nicht nur die Parameter bestimmen, die Algorithmen programmieren und zum Teil die Produkteauswahl treffen, sondern auch die Verantwortung für die Tools zur Bestimmung des Risikoprofils und zur Erfassung der Anlageziele tragen. 2.

Erscheinungsformen und Charakteristika

Neben den beschriebenen Formen der Anlageberatung können die Robo-Advice-Tools natürlich auch bei der Vermögensverwaltung eingesetzt werden. Wenn die Dienstleistung die autonome Umsetzung von Anlageentscheiden umfasst, sollte an sich von «Robo-PortfolioManagement» gesprochen werden. Bei einigen unter Robo-Advice angebotenen Dienstleistungen handelt es sich also nicht um Anlageberatung, sondern um Vermögensverwaltung. Andere Plattformen schlagen nur ein den erfassten Zielen und Präferenzen entsprechendes Depot vor, die Kaufentscheidung trifft dann aber der Kunde. Um das Portfolio in Einklang mit den gewählten Parametern zu halten, muss dieses von Zeit zu Zeit neu adjustiert werden. Zum Teil kann der Kunde nur das Intervall bestimmen und der Anbieter nimmt die Umschichtungen dann vergleichbar einem Vermögensverwalter ohne weitere Rücksprache vor. Anbieter digitaler Finanzberatung treten insbesondere in folgenden Bereichen auf:13 (i) Unabhängige Start-ups bieten ihre Dienste im Internet an und tragen dazu bei, dass die Branche innovativ bleibt; (ii) grosse Banken und Broker bauen ihr eigenes digitales Angebot im Direktvertrieb auf, um ihre Marken zu stärken; (iii) Technologieanbieter unterstützen Finanzdienstleister ohne ausreichende Kompetenz für die Programmierung eines Robo-AdviceTools beim Aufbau digitaler Beratungsangebote.

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Vgl. auch die Beiträge in NZZ am Sonntag vom 22. Mai 2016, Beilage «Anlegen und Vorsorgen», 10/11. Vgl. Interview mit Markus Jüde, in: Schweizer Bank, Juni 2016, 22 f. Christian Gast, Neues Ökosystem des digitalen Banking, Neue Zürcher Zeitung vom 16. September 2015, 12.

Die Identität der digitalen Finanzberatung kann unterschiedlich ausgestaltet sein und von der Zurverfügungstellung einer technologisch entsprechend aufgebauten Website über einfache digitale Beratungsleistungen bis zu komplexen digitalen Beratungsmodellen gehen. Als spezifische Ausprägungen des Robo-Advice kommen folgende Merkmale in Betracht: (i) Ein entsprechendes, vom Kunden genutztes Programm (nach Download oder direkt via Internet) bietet lediglich verschiedene Risikooptionen an, und zwar ohne dass umfangreiche persönliche Daten verwendet werden. (ii) Der eingesetzte Algorithmus verwendet Informationen, welche der Kunde vorab zur Verfügung zu stellen hat, damit ein sinnvoller und individueller Output produziert werden kann; im Vordergrund stehen dabei Daten zur Erstellung eines Risikoprofis und zur Definition des Anlageziels. 3.

Entwicklung

Die Finanzbranche selbst verwendet schon lange Software zur Unterstützung in der Anlageberatung. Insbesondere zur Analyse von Finanzdaten oder bei der Optimierung der Portfolio-Diversifikation sind Computer im Einsatz. Ebenso lassen sich digitale Prozesse dazu nutzen, Anlegerprofile zu entwickeln oder Anlagevorschläge ausarbeiten. Zum Teil gibt es standardisierte Produkte am Markt oder die Finanzdienstleister entwickeln In-HouseAnwendungen. Schon im letzten Jahrhundert haben auch in Europa Online-Broker solche Hilfsmittel ihren Kunden zugänglich gemacht. In den vergangenen zehn Jahren kamen neue Marktteilnehmer hinzu, welche eine breite Palette von digitalen Investmenttools anbieten, die direkt den Endkunden ansprechen. Einige dieser Firmen wurden von Akteuren ins Leben gerufen, die nicht aus der Finanzindustrie stammen, sondern als Softwareentwickler Tech-Startups gründeten und innovative Lösungsansätze präsentierten. Im Prinzip machten diese kundenorientierten digitalen Beratungstools einzelne Analyseinstrumente zugänglich, die zuvor nur von dem Finanzintermediären intern genutzt wurden. In den letzten Jahren kamen Analyse-Tools hinzu, die auch die Ermittlung der Risikotoleranz des individuellen Kunden ermöglichen. In den Vereinigten Staaten (USA) führte der Erfolg der Start-ups Wealthfront und Betterment dazu, dass arrivierte Anbieter mit vergleichbaren Angeboten aufwarteten (z.B. Schwab Intelligent Portfolios und Vanguard Financial Advisor Services). Aber auch in der Schweiz stehen Angebote zur Verfügung, z.B. die Angebote Investomat und Moneypark der Glarner Kantonalbank als Anbieterin für

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Retail-Kunden; die Saxo Bank selbst mit Saxoselect und der Anbieter True Wealth (mit der Saxo Bank als Depotbank) positionieren sich als Alternative zu Banken; bei Swissquote ist im E-Banking-Angebot ein Robo-Advisor integriert. Auch das VZ Vermögenszentrum bietet vergleichbare Dienstleistungen an. Aus rechtlicher Sicht bestehen aber nicht unerhebliche Unterschiede. True Wealth tritt als unabhängiger Vermögensverwalter auf und unterwirft sich den von der FINMA anerkannten «Schweizerischen Standesregeln für die Ausübung der unabhängigen Vermögensverwaltung» des Verbands Schweizerischer Vermögensverwalter (VSV). Swissquote und VZ Vermögenszentrum bieten einen vergleichbaren Vermögensverwaltungsservice mit noch mehr Alternativen an, beide haben eine Banklizenz. Investomat unterbreitet lediglich Anlagevorschläge, die der Kunde dann selbst ausführt, und offeriert zusätzlich optional ein automatisches Rebalancing, dessen Frequenz der Kunde von wöchentlich bis halbjährlich wählen kann. Moneypark bietet acht verschiedene Exchange-TradedFunds-Sparpläne (ETF) je nach individueller Risikoneigung an, bei denen regelmässig ein Rebalancing des Investments vorgenommen wird.14 Selbstverständlich bestehen wegen unterschiedlich gut ausgebauter Sozialversicherungssysteme erhebliche nationale Unterschiede. Generell wächst aber die Notwendigkeit, selbst für das Alter vorzusorgen, was fast überall auch steuerliche Vorteile mit sich bringt. Allerdings führen innovative Finanzprodukte zu einem kaum mehr überschaubaren Anlageuniversum.15 Während der Kunde mit dieser zunehmenden Komplexität auf der Angebotsseite konfrontiert ist, wird die Nachfrage vermehrt zu einer Do-it-yourself-Aktivität.16 Dabei ist den Kunden vielfach zu wenig bewusst, dass die Qualität ihrer Investitionsentscheidungen oft eher dürftig ist.17 Hinzu kommt die latente Gefahr, dass die Anbieter menschliche Schwächen beim Vertrieb ihrer Produkte und Dienstleistungen

bewusst ausnutzen.18 Die sich in diesem Zusammenhang stellenden Fragen ergeben sich aus verhaltenswissenschaftliche Analysen.19 Demgemäss sind der Gebrauch von Heuristiken und oft unterbewussten Wahrnehmungsverzerrungen dafür verantwortlich, dass suboptimale Entscheidungen resultieren.20 Der regulatorisch auf den Weg gebrachte Trend zu provisionsfreier Beratung gepaart mit der geringen Neigung der Kunden, für Beratung zu bezahlen, führt dazu, dass nicht nur geringere Anlagesummen häufig beratungsfrei investiert werden (advice gap).21 Die verschiedenen Formen von Robo-Advice können helfen, diese Lücke zu schliessen.

B.

Zunächst ist kurz die schweizerische Typisierung, d.h. die Abgrenzung der verschiedenen Verträge, zu erläutern, um darauf aufbauend Robo-Advice einordnen zu können.22 Hinsichtlich der vertragsrechtlichen Sorgfaltsund Treuepflicht des Auftragsnehmers wird zwischen der Vermögensverwaltung, der Anlageberatung und der blossen Konto-/Depot-Beziehung differenziert.23 Bei der Vermögensverwaltung wird die Betreuung von Anlagen an einen im abgesprochenen Umfang autonom agierenden Verwalter delegiert, der die umfassende Fürsorge für das anvertraute Vermögen übernimmt und im Rahmen der vereinbarten Anlagestrategie nicht nur selbstständig Anlageentscheide trifft, sondern auch verpflichtet ist, das Vermögen des Kunden zu überwachen. Bei der Anlageberatung ist es der Kunde selbst, der den definitiven Anlageentscheid trifft, während der Auftragnehmer nur beratend durch Informationen oder Anlagevorschläge unterstützt. Wenn dies nicht im Rahmen eines auf Dauer angelegten Vertragsverhältnisses geschieht, sondern nur von Fall zu Fall, besteht keine Überwa18

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Vgl. dazu auch Finanz und Wirtschaft, Die Roboter erobern die Vermögensverwaltung, 3. Februar 2016, 8 f. Vgl. John Campbell/Howell Jackson/Brigitte Madrian/­ Peter Tufano, Consumer financial protection, Journal of Economic Perspectives 25, 2011, 91 ff., 91. Vgl. Andrea Ryan/Gunnar Trumbull/Peter Tufano, A brief post-war history of U.S. consumer finance. Business History Review 85, 2011, 461 ff., 462. Ausführlich dazu Rainer Baisch, Nudging: Information, Choice Architecture and Beyond, Theory and Applications in Finan­ cial Markets Law, in: Mathis/Tor (Hrsg.), Nudging: Possibilities, Limitations and Applications in European Law and Economics, Dordrecht 2016, 217 ff.

Mögliche Vertragskonstruktionen

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Grundlegend dazu George A. Akerlof/Robert J. Shiller, Phishing for phools, Princeton 2015. Ausführlich dazu Rainer Baisch/Rolf H. Weber, Investment suitability requirements in the light of behavioural findings − Challenges for a legal framework coping with ambiguous risk percep­ tion, in: Klaus Mathis (Hrsg.), European perspectives on Behavioural Law and Economics, Dordrecht/Heidelberg/New York/London 2015, 159 ff. See also World Bank Group, World Development Report 2015, Mind, Society and Behavior, Dezember 2015, www.worldbank. org/content/dam/Worldbank/Publications/WDR/WDR 2015/WDR2015-Full-Report.pdf. Vgl. FCA, Financial Advice Market Review (FAMR), März 2016, https://www.fca.org.uk/static/fca/documents/famr-final-report.pdf. Ein aktuelles Urteil des Züricher Handelsgerichts (HG140077, 6. April 2016, E. 7.2.2) fasst die Vertragsformen und Unterschiede gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung treffend zusammen. BGE 133 III 97 E. 7.1.

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chungspflicht des Auftragnehmers.24 Falls keine Dienstleistungen der Bank betreffend Vermögensverwaltung oder Anlageberatung in Anspruch genommen werden, reduziert sich die vertragliche Beziehung auf die Kontobzw. Depotführung (execution only).25 Überblicksmässig gliedert sich Robo-Advice in Form der Anlageberatung vertragsrechtlich wie folgt in andere Formen von digitalen Finanzdienstleistungen ein: Digitale Empfehlung

Kunde

Robo-Advice

Finanzintermediär

Nutzen von Algorithmen zur Analyse persönlicher Daten, Anlageziele und Empfehlung des Risikoprofils

Hybrides Modell: Computergestützte Beratung

Persönliche Beratung Markt

Die vorgenannte Darstellung zeigt, dass es sich bei RoboAdvice um eine grundlegende Form einer digitalen Beratungsdienstleistung handelt. Vom Ausgangspunkt her finden in der Schweiz deshalb die Bestimmungen des Auftragsrechts Anwendung.26 Dies gilt selbstverständlich auch bei Robo-Advice in Form der Vermögensverwaltung, bei welcher ein höherer Sorgfaltsmassstab anzuwenden ist; bei Robo-Advice ist insbesondere dann, wenn das periodische Rebalancing Kosten mit sich bringt, Vorsicht geboten. Gleichgelagert sind die Angebote zu bewerten, bei denen zu Beginn lediglich ein Portfolio vorgeschlagen wird, also von Anlageberatung auszugehen ist, dann aber die Vertragsbeziehung durch ein periodisches Rebalancing zu einer Vermögensverwaltung wird. Angesichts der Tatsache, dass die vertragliche Verbindung zwischen Robo-Advice-Anbieter und Kunde als Auftrag zu qualifizieren ist, stellt sich weiter die Frage, 24

25 26

Urs Bertschinger, Sorgfaltspflichten der Bank bei Anlageberatung und Verwaltungsaufträgen, Diss. Zürich 1991, 2 ff.; Thomas Gross, Fehlerhafte Vermögensverwaltung – Klage des Anlegers auf Schadenersatz, AJP 2006, 162; P. Christoph Gutzwiller,

Rechtsfragen der Vermögensverwaltung, Zürich 2008, 49 f und 62 ff.; Urs Emch/Hugo Renz/Reto Arpagaus, Das schweizerische Bankgeschäft, 7. A., Zürich 2011, N 1752; BGer 4C.205/2006, E. 3.4.1; BGer 4A_168/2008, E. 2.1; BGer 4A_521/2008, E. 5.1; BGer 4A_525/2011, E. 3.1; BGer 4A_436/2011, E. 3.1. Gutzwiller (FN 24), 73 f. Im Einzelnen dazu unten III.B.

welche Besonderheiten bei Robo-Advice zu beachten sind. Im Ergebnis besteht der Unterschied zur «normalen» Anlageberatung nur darin, dass die Auftragserfüllung nicht durch einen menschlichen Berater geleistet wird, sondern versierte Programmierer verschiedene Algorithmen entwickeln, die dann die Anlageempfehlung generieren. Selbstverständlich erfordert die Sorgfaltspflicht, dass die Anbieter eines solchen Beratungsangebotes die Programme einer permanenten Qualitätskontrolle zu unterwerfen haben. Gemäss E-FIDLEG27 hätten sich Anlageberater zu registrieren (Art. 30 E-FIDLEG) und Vermögensverwalter würden ohnehin beaufsichtigt. Aktuell ist dies nicht erforderlich, so dass Akteure ohne Aufsicht agieren können. Interessant ist die Frage hinsichtlich von Cash-Positionen, die als Einlage zu qualifizieren wären. Weil nach Art. 3a Abs. 2 BankV Gewerbsmässigkeit angenommen wird, wenn dauernd mehr als 20 Publikumseinlagen bestehen, können Gelder nicht auf dem Kundenkonto verweilen. Gemäss Art. 3a Abs. 3 lit. c BankV gelten unverzinste Kundenguthaben von Effekten- oder Edelmetallhändlern, Vermögensverwaltern oder ähnlichen Unternehmen nur dann nicht als Einlagen, wenn diese der Abwicklung von Transaktionen dienen. Weil das FINMA-RS 2008/3 N 1628 klar anspricht, dass diese Beträge nur dazu dienen dürfen «die notwendige Liquidität zur Abwicklung des im Vordergrund stehenden Hauptgeschäftes zur Verfügung zu halten», bleiben Cash-Positionen den Banken vorbehalten.

II. Vorteile und Risiken von Robo-Advice A. Vorteile von Robo-Advice Auf der Kundenseite fallen die tieferen Kosten, der erleichterte Zugang und die Dienstleistungsqualität in Betracht.29 – Die Gebühren bei Robo-Advice sind, wie die Angebote der genannten Anbieter zeigen, regelmässig tiefer als die Gebühren bei der traditionellen «menschlichen» Finanzdienstleistungsberatung, insbesondere im Vergleich zu den Kosten eines Vermögensverwaltungsmandates.

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Vgl. https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/ 41567.pdf. Vgl.https://www.finma.ch/de/news/2010/01/aktuell-anpassung-finmars-2008-03-20100129. European Banking Autority (EBA), Joint Discussion Paper on automation in financial advice, 4 December 2015, JC 2015 080, 16 ff.

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– Der Zugang zu den Finanzdienstleistungen ist für den Kunden regelmässig einfacher, weil die Beanspruchung der Dienstleistung z.B. nicht von den Öffnungszeiten der Finanzdienstleistungsunternehmen oder der Verfügbarkeit von Finanzberatern abhängt. Die digitale Plattform lässt sich jederzeit beanspruchen und enthält grundsätzlich auch keine Zugangshürden, was langfristig zu einer erleichterten Inanspruchnahme von Finanzberatungen zu führen vermag. Durch den sensibleren Umgang mit Interessenkonflikten sind verschiedene Einnahmequellen in diesem Bereich versiegt. Weil entgeltpflichtige Beratung auf wenig Kundeninteresse stösst, könnte Robo-Advice hier eine Lücke schliessen. Die Zugangserleichterung spricht insbesondere jüngere Kunden an. – Die Dienstleistungsqualität einer digitalisierten, auf Algorithmen basierenden Beratung dürfte konsistenter sein, weil die eingesetzte Software auf einem wiederholbaren und nachvollzugsfähigen Prozess beruht. Somit sind auf menschlichem Irrtum oder falschen Einschätzungen beruhende Beratungsfehler ausgeschlossen. Ebenso reduziert sich die Gefahr von Interessenkonflikten. Weiter entfällt ein allfälliger persönlicher Druck im Rahmen eines konkreten Beratungsgesprächs.

B.

Auf der Seite der Finanzdienstleistungsanbieter lassen sich ähnliche Vorteile mit dem Einsatz von Robo-Advice realisieren.30 – Auch für das Finanzdienstleistungsunternehmen ist zumindest langfristig die digitale Beratung kostengünstiger als die persönliche Beratung, weil dem Aufwand für Softwareentwicklung und -pflege im Idealfall eine wachsende Zahl an Kunden gegenübersteht. Insbesondere fallen geringere Kosten für Räumlichkeiten und Mitarbeiter an. – Mit digitalen Plattformen lässt sich das Kundenpotential erweitern, weil solche Plattformen von überall her aufrufbar sind und damit die Dienstleistung ortsunabhängig dem Kunden zugänglich ist. – Mit Blick auf die Dienstleistungsqualität profitiert das Finanzdienstleistungsunternehmen beim Robo-Advice von der stärkeren Standardisierung der Prozesse und der Vermeidung des Risikos, dass durch menschliche Intervention ein nicht rationaler Ratschlag zustande kommt. Überdies sind automatisierte Prozesse ex ante dokumentiert.

Auf der Seite des Finanzdienstleistungsunternehmens lassen sich insbesondere nachfolgende Risiken identifi­ zieren:32 – Das Hauptrisiko für die Finanzdienstleistungsunternehmen besteht in den Funktionsfehlern der eingesetzten Algorithmen bzw. digitalen Plattformen. Insbesondere dann, wenn Kunden in Crash-Situationen schnell viel Geld verlieren, könnte ein Robo-Advice-Anbieter damit konfrontiert sein, dass ihn die Beweislast bezüglich der Eignung seiner Algorithmen trifft. Mit der Marktlage passt sich auch die Nachfrage nach Kapitalanlagen an. Die bei Erstellung des Risikoprofils erfasste Risikoneigung könnte sich angesichts einer Baisse verändern und so auch Kunden veranlassen, nicht nur das Risikoprofil anzupassen, sondern den Dienstleister zu wechseln. – Die Haftungszuordnung bei Robo-Advice ist noch völlig ungeklärt: Haftet das Dienstleistungsunternehmen, wenn die Kunden nicht sachgerechte Informa­ tionen in das digitale Werkzeug einpflegen oder wenn das die Software entwickelnde Unternehmen einen Programmierfehler verursacht hat?

Auf der Seite des Kunden sind im Kontext des Robo-Advice folgende Risiken zu diagnostizieren:31 – Je nach Affinität zu digitalen Angeboten und Erfahrung im Umgang mit den partiell komplexen Informationen und umfangreichen Eingaben zur Ermittlung des Risikoprofils besteht die Gefahr von Fehleingaben, weil Kunden gegebenenfalls nur begrenzt in der Lage sind, mit den vorhandenen Informationen auch sachgerecht umzugehen. – Schwächen bei den eingesetzten Algorithmen können sich auch dadurch ergeben, dass Anpassungen an Marktveränderungen sich nicht schnell genug vollziehen lassen. So besteht insbesondere bei Börsenturbulenzen oder -crashes die Gefahr, dass automatisierte Adjustierungen zu Problemen führen. – Insbesondere wenn sich die Rahmenbedingungen ändern oder nicht adäquat bekannt gemacht worden sind, entspricht das Portfolio nicht den eigentlich Anlagezielen. – Kunden haben keine Möglichkeit mehr, ein persönliches Gespräch mit einem erfahrenen Berater zu führen, was sowohl im Falle einer persönlichen Krise als auch bei Marktturbulenzen hilfreich sein kann.

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EBA (FN 29), 19 ff.

Risiken beim Robo-Advice

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Eingehender dazu EBA (FN 29), 21 ff. EBA (FN 29), 28 f.

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– Generell wird ein Anbieter eine kritische Grösse erreichen müssen, um seine Softwareentwicklungskosten zu amortisieren. Auf Grund von Kundenbindung und Wechselunwilligkeit werden neue Anbieter besonders innovative Lösungen oder sehr niedrige Kosten anbieten müssen, um erfolgreich Kunden akquirieren zu können. Beide Varianten wirken sich negativ auf die wirtschaftliche Entwicklung des Anbieters aus.

III. Regulatorische Herausforderungen A. Technologie-Umgebung Der Einsatz von digitalen Plattformen setzt voraus, dass – abgesehen von tiefen Transaktionskosten – die Finanzdienstleistungsunternehmen spezifische Anforderungen an die Informationstechnologie-Umgebung einhalten:33 – Systemsicherheit: Schutzvorrichtungen sollen deren missbräuchliche Benutzung verhindern und Anoma­ lien ausschliessen (etwa durch Abschirmung, Isolation der Infrastruktur und Einsatz von Verschlüsselungsmechanismen, z.B. Kryptographie). – Akzeptanzfähigkeit: Digitale Systeme funktionieren langfristig lediglich, wenn eine grosse Zahl von Beteiligten die Bereitschaft hat, mit dem System zu arbeiten. – Protokollierung: Datenübertragungen müssen grundsätzlich rückverfolgbar sein, d.h. eine Datenspur hat sicherzustellen, dass sich der Ablauf der Transaktion durch die Beteiligten rekonstruieren lässt. Wie die konkreten Massnahmen aussehen sollen, hängt von der Ausgestaltung der digitalen Plattform durch das Finanzdienstleistungsunternehmen ab; besondere Bedeutung haben aber jedenfalls die Informationssicherheit und das Risikomanagement. Im Vordergrund stehen dabei drei Aspekte:34 – Authentizität: Die am elektronischen Verkehr beteiligten Personen müssen Gewissheit über die Identität des Absenders elektronischer Daten haben. – Integrität: Die übermittelten Daten dürfen während des «Transports» keinen Veränderungen oder Anpassungen unterliegen. – Vertraulichkeit: Zum Schutz vor unbefugter Kenntnisnahme ist die Verschlüsselung der Daten in Betracht zu ziehen.

Finanzdienstleistungsunternehmen haben deshalb zur Gewährleistung der Datensicherheit präventive, deduktive und reaktive Massnahmen zu treffen, die technisch, administrativ oder personell ausgestaltet sein können.35 Ein besonderes Anliegen bei der Ausgestaltung der digitalen Umgebung ist die Verwirklichung des Grundsatzes der Technologieneutralität. Diesem Anliegen sind die Finanzmarktbehörden, einschliesslich der FINMA, in den letzten Monaten verstärkt gerecht geworden. Mit dem Rundschreiben 2016/17 zur «Video- und Online-Identifikation» hat FINMA im März 2016 Rahmenbedingungen geschaffen, um die Aufnahme von Geschäftsbeziehungen im Finanzbereich über gewisse digitale Kanäle zu ermöglichen; Anfang Juli 2016 hat die FINMA das Rundschreiben 2009/1 zu «Eckwerte der Vermögensverwaltung» dergestalt angepasst, dass Vereinbarungen nicht mehr zwingend schriftlich abgeschlossen werden müssen, sondern auch digital zustande kommen können.36

B.

Die Vertragsbeziehung zwischen dem Kunden und der digitalen Plattform des Finanzintermediärs, welche Robo-­Advice anbietet, untersteht wie erwähnt dem Auftragsrecht.37 Die Dienstleistungserbringung auch einer unpersönlichen Plattform hat dabei dem üblichen Pflichtenkonnex des Beauftragten zu genügen, insbesondere den in Art. 398 OR festgelegten Sorgfaltspflichten. Im Rahmen der digitalen Anlageberatung oder Vermögensverwaltung stehen ebenso wie bei der menschlichen Interaktion zwei Elemente im Vordergrund, nämlich die ausreichende Information sowie die Angemessenheit und Geeignetheit (Appropriateness & Suitability) der Anlageempfehlungen: – Bevor Empfehlungen gegeben oder Anlagen getätigt werden dürfen, sind gemäss E-FIDLEG verschiedene Informationspflichten wahrzunehmen (Art.  9 E-­FIDLEG). Art.  13 E-FIDLEG definiert die Eignungsprüfung, die vor Erbringung der Dienstleistung durchzuführen ist. «Dies gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts bereits privatrechtlich nach Massgabe des Auftragsrechts.»38 Anlageberatung unter

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Rolf H. Weber, E-Governance in der Finanzdienstleistungsbran-

che, in: Brigitte Strebel-Aerni (Hrsg.), Finanzmärkte im Banne von Big Data, Zürich 2012, 159, 163. Weber (FN 33), 163.

Konkretisierung der Vertrags­ beziehungen

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Weber (FN 33), 166.

Vgl. Rundschreiben 2016/17 vom 17. März 2016, in Kraft seit 18. März 2016; Medienmitteilung der FINMA vom 1. Juli 2009/1, Änderung in Kraft ab 1. August 2016. Vgl. oben I.B. Botschaft des Bundesrates zum Finanzdienstleistungsgesetz ­(FIDLEG) und zum Finanzinstitutsgesetz (FINIG) vom 4. No-

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Berücksichtigung des Kundenportfolios oder Vermögensverwaltung setzt voraus, dass Informationen über die finanziellen Verhältnisse und Anlageziele sowie über die Kenntnisse und Erfahrungen des Kunden vorliegen, bevor geeignete Finanzinstrumente empfohlen oder im Rahmen der Vermögensverwaltung entsprechende Anlagen getätigt werden können. Die Erstellung eines sachgerechten Kundenprofils, welches neben den persönlichen Angaben und der Einkommens- und Vermögenssituation nicht nur die Kenntnisse und Erfahrungen sowie die Anlageziele, sondern auch die Risikotoleranz erfasst, ist auch Grundlage bei jeder Form des Robo-Advice. – Bei der Ermittlung der Anlageempfehlungen sind von den digitalen Algorithmen nicht nur die zur Auswahl stehenden und evtl. vom Anbieter oder Kunden eingegrenzten Anlageoptionen zu untersuchen, sondern die aus den vom Kunden zur Verfügung gestellten Daten entwickelten Beschränkungen hinsichtlich Risikoneigung und Anlageziele sind ebenfalls zu berücksichtigen. Zu den relevanten Faktoren gehören auch die schon vorhandenen Vermögenswerte im Kundenportfolio sowie die weiteren bekanntgegebenen, anderweitig angelegten Vermögenswerte und der Anlagehorizont, um auch den Anforderungen der Risikodiversifikation und dem Liquiditätsbedarf gerecht werden zu können. Die Nichtbeachtung dieser Sorgfaltsregeln vermag Haftungsfolgen auszulösen. Grundsätzlich kommen die «traditionellen» Prinzipien im Falle des Eintretens eines Anlageschadens zur Anwendung. Bei Pflichtverletzungen eines Vermögensverwalters erfolgt die Schadensberechnung durch die Ermittlung der Differenz zwischen dem tatsächlichen Vermögensstand und dem hypothetischen Wert eines vertragskonform betreuten Portfolios;39 die Ermittlung und Substantiierung dieses Vergleichswertes ist in der Praxis allerdings meist schwierig.

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vember 2015, BBl 2015 8901, 8975, mit Verweis auf BGer 4A_140/2011, E. 2.1 und 3.1. Rolf H. Weber, Anlageschäden, in: Susan Emmenegger (Hrsg.), Anlagerecht, Basel 2007, 129 ff.; BGer 4A_351/2007, E. 3.2.3 und 3.4: Christoph Rosat, Der Anlageschaden: Schadensberechnung beim Vermögensverwaltungsvertrag, Diss. Bern 2009, 77; ­ iklaus Zaugg, Vorprozessualer Anspruch von Bankkunden auf N Erstellung von Stichtagbewertungen ihrer Portfolios?, AJP 2015, 1019 ff.

C. Rechtsvergleichung Die Finanzmarktaufsichtsbehörden in verschiedenen Ländern beschäftigen sich bereits intensiv mit den regulatorischen Fragestellungen rund um automatisierte Anlageempfehlungen. Diese Initiativen sind rechtsvergleichend zu analysieren, und erlauben so Rückschlüsse auf die regulatorischen Anforderungen in der Schweiz. 1.

Deutschland

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) stellt auf ihrer Website für die Marktteilnehmer Informationen zu «Robo-Advice und Auto-Trading – Plattformen zur automatisierten Anlageberatung und automatischen Trading» zur Verfügung und informiert ebenso über die «Automatisierte Finanzportfolioverwaltung».40 Nach dem deutschen Gesetz über das Kreditwesen (KWG)41 liegt eine erlaubnispflichtige Anlageberatung vor, wenn eine persönliche Empfehlung zum Kaufen, Verkaufen oder Halten eines Finanzinstruments abgegeben wird, die sich auf einer Prüfung der persönlichen Umstände des Anlegers stützt. Nach Auffassung der ­BaFin stellt Robo-Advice dann eine erlaubnispflichtige Anlageberatung dar, wenn der Kunde aufgrund seiner Angaben konkrete, auf bestimmte Finanzinstrumente bezogene Anlagevorschläge erhält. Werden dem Kunden aber Vorschläge zur Strukturierung seines Portfolios unterbreitet, in welchem in Prozentwerten verschiedene Anlageklassen oder Branchen aufgeführt sind, ohne dass es zu einer konkreten Empfehlung mit Blick auf einzelne Finanzin­ strumente kommt, betreibt der Robo-Advisor in der Regel keine erlaubnispflichtige Anlageberatung. Die BaFin stellt zudem klar, dass bei einem digitalen Geschäftsmodell unabhängig von den erfassten Kundendaten dann Anlageberatung vorliegt, wenn eine konkrete Empfehlung erfolgt; zusätzlich ist «entscheidend, ob der Dienstleister den Eindruck vermittelt, bei der Abgabe der Empfehlung die persönlichen Umstände des Anlegers berücksichtigt zu haben».42 Die automatisierte Portfolioverwaltung unterscheidet sich gemäss BaFin von der Anlageberatung, weil der Kunde abweichend zu den Robo-Advisory-Plattformen nicht nur eine einmalige 40

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Auch die BaFin unterscheidet zwischen automatisierter Anlageberatung und automatisierter Portfolioverwaltung; vgl. BaFin, Robo-Advice und Auto-Trading – Plattformen zur automatisierten Anlageberatung und automatischem Trading, 7. April 2016, sowie BaFin, Automatisierte Finanzportfolioverwaltung, 13. April 2016, http://www.bafin.de/DE/Aufsicht/FinTech/Anlageberatung/anlage beratung_node.html. Gesetz über das Kreditwesen (KWG). Vgl. BaFin (FN 40), Robo-Advice und Auto-Trading.

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Anlageempfehlung erhält, sondern das Anlageportfolio fortlaufend nach Massgabe der vereinbarten Parameter verwaltet wird.43 Auch die Erbringung der automatisierten Finanzportfolioverwaltung bedarf einer Erlaubnis der BaFin. Im Prinzip steht bei der Finanzportfolioverwaltung dem Vermögensverwalter definitionsgemäss ein Entscheidungsspielraum zu (§ 1 Abs. 1a Nr. 3 KWG). Fraglich ist, ob durch einmal programmierte Algorithmen generierte Anlageentscheidungen auf dem eigenen Ermessen des Vermögensverwalters beruhen. Wenn Marktdaten Umschichtungen im Portfolio bewirken, greift nur ein Computerprogramm ein, so dass kein Entscheidungsspielraum genutzt wird. Allerdings kommt es im Grundsatz darauf an, ob der Kunde seinen Entscheidungsspielraum zugunsten des Finanzportfolioverwalters aufgegeben hat. Im Merkblatt Finanzportfolioverwaltung führt die BaFin allgemein zur Delegation von Portfolioverwaltung aus, dass es aus Sicht des zu schützenden Anlegers keinen Unterschied macht, «ob der von ihm beauftragte Vermögensverwalter die konkrete Anlageentscheidung in vollem Umfang selbst trifft oder ob er seinen Entscheidungsspielraum nutzt, dazu Dritte einzuschalten».44 Sobald also ein automatisiertes periodisches Rebalancing eintritt, stellt sich die Frage, ob der Anbieter einen Entscheidungsspielraum nutzt. In der Praxis ist anzunehmen, dass der Dienstleister sich Programmanpassungen vorbehält; deshalb könnte schon in der laufenden Softwareoptimierung die Nutzung eines Spielraumes gesehen werden. Sobald eine Anlageempfehlung ausgesprochen wird, ist zudem ein Beratungsprotokoll zu erstellen und vom Berater zu unterschreiben.45 Für Robo-Advice bedeu-

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BaFin (FN 40), Automatisierte Finanzportfolioverwaltung. BaFin, Merkblatt Finanzportfolioverwaltung, 3. Januar 2011, Stand: Juni 2014, https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffent lichungen/DE/Merkblatt/mb_091208_tatbestand_finanzport folioverwaltung.html?nn=7954124#doc7866842bodyText5; vgl. BVerwG 6 C 29.03 vom 22. September 2004. § 34 Absatz 2a Gesetz über den Wertpapierhandel (Wertpapierhandelsgesetz, WpHG): Ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen muss über jede Anlageberatung bei einem Privatkunden ein schriftliches Protokoll anfertigen. Das Protokoll ist von demjenigen zu unterzeichnen, der die Anlageberatung durchgeführt hat; eine Ausfertigung ist dem Kunden unverzüglich nach Abschluss der Anlageberatung, jedenfalls vor einem auf der Beratung beruhenden Geschäftsabschluss, in Papierform oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger zur Verfügung zu stellen. Wählt der Kunde für Anlageberatung und Geschäftsabschluss Kommunikationsmittel, die die Übermittlung des Protokolls vor dem Geschäftsabschluss nicht gestatten, muss das Wertpapierdienstleistungsunternehmen eine Ausfertigung des Protokolls dem Kunden unverzüglich nach Abschluss der Anlageberatung zusenden. In diesem Fall kann der Geschäftsabschluss auf ausdrücklichen Wunsch des Kunden vor

tet dies, dass die Person ermittelt werden muss, welcher die automatisierte Anlageberatung zugerechnet werden kann. Weil in der Regel mehrere Programmierer und Finanzanalysten zusammenarbeiten, wird diese Zurechnung nicht immer einfach sein. Wenn Software extern zugekauft wird, ist dennoch intern ein Verantwortlicher zu benennen, der die Technologie überwacht. Zudem ist es erforderlich, dass die Ergebnisse der auf den Angaben zur Ermittlung des Risikoprofils beruhenden automatisierten Beratung individuell erfasst werden und nicht lediglich standardisierte Textbausteine Verwendung finden. 2.

Vereinigtes Königreich

Die Financial Conduct Authority (FCA) publizierte im März 2016 den FAMR-Report,46 der sich auch mit der diagnostizierten advice gap für Kunden mit kleineren Anlagesummen beschäftigt. Die FCA wird die Entwicklungen im Markt für Anlageberatung und Vermögensverwaltung eng begleiten und hat erklärt, ein Monitoring mit Bezug auf die Entwicklung von Robo-Advice und anderen Beratungsdienstleistungen einzuführen.47 Weil sich diese Kunden durch das Provisionsverbot48 mit höheren Gebühren in der Anlageberatung konfrontiert sahen, wurde vielfach auf Beratung verzichtet.49 Eine der Empfehlungen im FAMR-Report lautete, dass die FCA die Anbieter dabei unterstützt, eine automatisierte Anlageberatung zu entwickeln und anzubieten, um so diese Lücke zu füllen. Spezifisch geht es auch darum, Anbieter zu unterstützen, eine preiswerte automatisierte Beratung vorzusehen, um auf diese Art die diagnostizierte Lücke zu



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Erhalt des Protokolls erfolgen, wenn das Wertpapierdienstleistungsunternehmen dem Kunden für den Fall, dass das Protokoll nicht richtig oder nicht vollständig ist, ausdrücklich ein innerhalb von einer Woche nach dem Zugang des Protokolls auszuübendes Recht zum Rücktritt von dem auf der Beratung beruhenden Geschäft einräumt. Der Kunde muss auf das Rücktrittsrecht und die Frist hingewiesen werden. Bestreitet das Wertpapierdienstleistungsunternehmen das Recht zum Rücktritt nach Satz 4, hat es die Richtigkeit und die Vollständigkeit des Protokolls zu beweisen. FCA, FAMR (FN 21). FCA, FAMR (FN 21), 33. Die Retail Distribution Review (RDR) wurde 2006 von der Financial Services Authority (FSA), der Vorgängerin der FCA, ins Leben gerufen, um den Schutz der Verbraucher zu verbessern, wenn diese Anlageprodukte erwerben. Das Kernziel war, ein faires und transparentes Vergütungssystem zu schaffen, indem sie die Kommis­ sionen an Finanzberater für den Verkauf von Produkten abschaffen und durch Gebühren für die Beratung ersetzen, Diese advice gap besteht also nicht in einem Mangel an Beratern sondern deshalb, weil für Kunden kein Beratungsangebot zu einem Preis besteht, den diese zu zahlen bereit wären: vgl. FAMR (FN 21), 6.

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schliessen.50 Dabei sind die Definitionen für unterschiedliche Formen von Beratung so zu fassen, dass auch für die automatisierten Varianten klare Zuordnungen und Regeln bestehen. Schon mehrfach beschäftigte sich die FCA mit den verschiedenen Formen von advice.51 Die FCA unterscheidet zunächst zwischen dem bestimmte Pflichten auslösenden regulated advice und dem generic advice, der keine konkrete Anlageempfehlung umfasst. Noch spezifischer ist die personal recommendation, bei welcher die suitability zu prüfen ist; diese gilt als investment advice gemäss MiFID52. Ziffer 3.35 FG 15/1 stellt klar, dass computerisierte Tabellen, die dem Kunden nach der Auswahl gewisser allgemeiner Parameter bestimmte Produkte nennen, die den von ihm gewählten Kriterien entsprechen, nicht die Anforderungen für einen investment advice erfüllen.53 Schon im März 2012 publizierte die britische Finanzmarktaufsicht Erläuterungen zu simplified advice,54 und stellte klar, dass in einem solchen Fall die gleichen suitability standards zu erfüllen sind wie bei anderen Formen von investment advice, der letztlich zu einer personal recommendation führt.55 Wenn z.B. gesplittete MusterPortfolios (60 % bonds/40 % equity) angeboten werden, die sich selbst wieder adjustieren, wird die Sache regulatorisch noch komplexer, weil automatisch ohne erneute Kundenabsprache agiert wird.56 Dementsprechend besteht erhebliche Unsicherheit bei den Anbietern. Eine Nachfrage der FCA bei den Marktteilnehmern hat ergeben, dass «lack of clarity over regulatory definitions of

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Vgl. FAMR (FN 21), 28: «The costs of supplying face-to-face advice are significant, meaning many firms are unable to provide advice at a price that consumers are willing to pay. The Review recommends taking steps to ensure new technologies can be exploited to drive down the costs of supplying advice, making it affordable for more consumers.» Es wird der FCA deshalb empfohlen, eine Advice Unit zu installieren, «to help firms develop their automated advice models». FCA, Finalised Guidance FG15/1: Retail investment advice: Clarifying the boundaries and exploring the barriers to market development, Januar 2015, http://www.fca.org.uk/static/documents/ finalised-guidance/fg15-01.pdf. Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Märkte für Finanzinstrumente, ABl. 2004 L vom 30.4.2004, 1; ab 2017: MiFID II 2014/65/EU. FCA (FN 51). Financial Services Authority (FSA), Finalised guidance, Simplified advice, März 2012, www.fca.org.uk/static/pubs/guidance/fg12-10.pdf. In Ziffer 4.11 stellt die FSA (FN 54) dies klar: «Personal recommendations provided through a simplified advice process must comply with the suitability requirements.» FCA, FG 15/1 (FN 51), 360 ff.; vgl. auch FSA, Finalised guidance, Retail Distribution Review: Independent and restricted advice, Juni 2012, www.fca.org.uk/your-fca/documents/finalised-guidance/fsa-fg 1215.

advice, guidance and personal recommendations were a barrier to the use of digital and mobile solutions». Andere Anbieter monierten die unklare Behandlung von Haftungsfragen durch den Financial Ombudsman Service.57 3.

Europäische Union

Zwar sind Deutschland und das UK den MiFID-Vorschriften unterworfen, aber diese gehen (noch) nicht auf die neuen Beratungsmodelle ein. In die Lücken stossen die gerade beschriebenen Aktivitäten der nationalen Regulatoren. Aber nicht nur auf nationaler Ebene beschäftigen sich die Aufsichtsbehörden mit der automatisierten Beratung, auch auf EU-Ebene sind die Banken-, Versicherungs- und Wertpapieraufsicht gemeinsam aktiv geworden und haben im Dezember 2015 ein Diskussionspapier publiziert. Darin nehmen die European Supervisory Authorities (ESA) den Blick des Kunden ein und fragen sich, ob eine Empfehlung als solche wahrgenommen werden könnte.58 Ziel ist es, alle Angebote zu erfassen, die individuelle Kundendaten nutzen, um auf deren Basis eine Empfehlung zu generieren. Nicht erfasst sind automatisierte Plattformen, die nur Informationen, Finanzanalysen oder Marktdaten zur Verfügung stellen oder Vergleiche anbieten.59 Der Fokus liegt auf Anlageberatung, weil die automatisierte Portfolioverwaltung ohnehin als bereits regulatorisch erfasst angesehen wird. Zur Abgrenzung zwischen Anlageberatung und Portfoliomanagement bei automatisierten Anpassungen verweisen die ESA auf die Definition in Art. 4 (1) (9) MiFID I.60 Gemäss der European 57

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FCA, FS16/2, Feedback Statement on Call for Input: Regulatory barriers to innovation in digital and mobile solutions, März 2016, 2.22 f., www.fca.org.uk/your-fca/documents/feedback-statements/ fs16-02. JC-ESA-DP (FN 4), N 22: «An automated advice tool provides the consumer with advice, which for the purpose of this Discussion Paper is seen from a consumer’s perspective and therefore understood in a common and broad sense and not limited to a narrow definition of advice under a particular EU legislation. Against this background, it is not only relevant whether or not the provider of the service qualifies that service as ‹advice› (e.g. applying existing legal definitions). It is also important to take into account the nature and context of the information that is presented by the tool, and whether the consumer could reasonably perceive the output to be advice.» Vgl. JC-ESA-DP (FN 4), N 7, mit Verweis auf Question 9 in ESMA’s 2012 Q&A on MiFID and Investor Protection, https:// www.esma.europa.eu/sites/default/files/library/2015/11/2012-382. pdf: «This MiFID service is characterised by the fact that investment decisions are implemented without any intervention being necessary by the client other than the conclusion of an agreement (‹mandate›) between the service provider and the client on the nature and details of the discretionary service to be provided.» «‹Portfolio management› means managing portfolios in accordance with mandates given by clients on a discretionary client-

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Securities and Markets Authority (ESMA) ist z.B. auch bei copy trading, d.h. dann, wenn der Anbieter es dem Kunden ermöglicht, automatisiert Handelssignalen von Dritten zu folgen, davon auszugehen, dass es sich um Portfoliomanagement handelt.61 Somit sind bei Angeboten mit einer automatisierten Adjustierung ebenfalls die entsprechenden MiFID-Pflichten zu beachten. Das Diskussionspapier beschreibt die potenziellen Vorteile und Risiken der Automatisierung in der Finanzberatung. Ziel ist es, im Nachgang zur Konsultation zu bestimmen, ob und wenn ja, welche regulatorischen und/ oder Aufsichtsmassnahmen erforderlich sind, um die Risiken zu minimieren, während gleichzeitig das Potenzial der Vorteile ausgenutzt werden kann. Insbesondere der potenziell breitere Zugang für die Verbraucher zur Finanzberatung, eine Beratung zu geringeren Kosten und die Gewähr eines hohen Grades an Konsistenz werden hervorgehoben. Es wird aber auch der Sorge Ausdruck verliehen, dass Missverständnisse auftreten sowie Einschränkungen oder Fehler in automatisierten Tools bestehen können, die möglicherweise für die Verbraucher nicht so leicht erkennbar sind. 4.

Vereinigte Staaten von Amerika

Die Securities and Exchange Commission (SEC) beschäftigt sich mit der Automatisierung der Finanzindustrie gerade auch deshalb,62 weil erkannt wurde, dass diese Geschäftsmodelle «did not even exist when most of the laws applicable to investment advisers were drafted» und diese Gesetze «are based on the idea of a human investment adviser».63 Dreh- und Angelpunkt der US-Regulierung in diesem Bereich ist die fiduciary duty, d.h. die Pflicht des Beraters, Interessenkonflikte zu vermeiden und das Vertrauen des Kunden nicht unfair auszunutzen.64 Die Frage stellt sich, ob «robo advisors can be neatly placed within

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by-client basis where such portfolios include one or more financial instruments.» Vgl. JC-ESA-DP (FN 4), N 27 f. Die SEC publizierte gemeinsam mit der FINRA im Mai 2015 eine Warnung: «While automated investment tools may offer clear benefits – including low cost, ease of use, and broad access – it is important to understand their risks and limitations before using them.» Vgl. SEC/FINRA, Investor Alert: Automated Investment Tools, https://www.sec.gov/oiea/investor-alerts-bulletins/autolisting toolshtm.html. Kara M. Stein, Surfing the Wave: Technology, Innovation, and Competition – Remarks at Harvard Law School’s Fidelity Guest Lecture Series. 9. November 2015, https://www.sec.gov/news/ speech/stein-2015-remarks-harvard-law-school.html#_ftn5. Justice Cardozo erklärte schon 1928: «A fiduciary is held to something stricter than the morals of the marketplace»; Meinhard v. Salmon, 164 N.E. 545, 546 (N.Y. 1928).

… existing laws» oder ob «certain tweaks and revisions» erforderlich sind.65 Allerdings erkennt z.B. die SEC auch die Vorteile von Robo-Advice wie «lower cost, ease of use, and broad access for customers». Nachdem in den letzten Jahren Betterment und Wealthfront schnell Kundengelder gewannen, nahmen auch etablierte Firmen wie Vanguard oder Schwab automatisierte Modelle in das Angebot. Um die Finanzindustrie über die Sicht der Finanzmarktaufsicht zu informieren, publizierte die FINRA einen umfassenden «Report on Digital Investment Advice».66 Nach eigenen Angaben schafft dieser Bericht keine neuen rechtlichen Erfordernisse, umschreibt aber die von den Finanzintermediären zu beachtenden Verhaltensregeln. Die FINRA äussert Bedenken insbesondere im Bereich Suitability. Fraglich sei, ob (i) die notwendigen Informationen gesammelt und ausreichend analysiert wurden, (ii) ob korrekt mit sich widersprechenden Angaben des Kunden umgegangen wird und (iii) ob letztlich die Empfehlung tatsächlich den Bedürfnissen des Kunden entspricht.67 Eine für das aktuelle US-Recht wesentliche Frage ist, ob ein Robo Advisor ein Fiduciary im Sinne des US-Verständnisses sein, d.h. als Treuhänder agieren kann. Kritische Stimmen68 vertreten die Auffassung, der FINRA-Report bestätige, dass dies nicht möglich sei.69 Es wird bestritten, dass ein automatisierter fiduciary advice möglich sei. Insbesondere wird die auch im FINRAReport70 angesprochene Frage aufgegriffen, inwieweit die gesammelten Daten ausreichen, eine mit den FINRA

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Stein (FN 63).

FINRA (FN 2). FINRA (FN 2). Schon 2015 äusserte Fein, dass keiner der führenden robo-advisor «an investor’s total financial circumstances in light of all these factors» berücksichtigte und ebensowenig «meets the fiduciary standard of care». Bei den angesprochenen Faktoren handelt sich es um Vorgaben aus dem Uniform Prudent Investor Act, der von den meisten US-Staaten angenommen wurde. Dieser verlangt, «investment and management decisions respecting individual assets must be evaluated not in isolation but in the context of the trust portfolio as a whole and as a part of an overall investment strategy having risk and return objectives reasonably suited to the trust». Vgl. ­ elanie L. Fein, Robo-Advisors: A Closer Look, 30. Juni 2015, M papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2658701. «The failure of robo-advisors to provide portfolio analysis, as found in the FINRA report, raises the question of whether robo-advisors can fulfil the role of a fiduciary in giving prudent investment advice to individual clients. The implication of the FINRA report is that they cannot – if a robo-advisor cannot perform overall portfolio analysis, it cannot perform a critical function of an investment fiduciary.» Vgl. Melanie L. Fein, FINRA’s Report on RoboAdvisors: Fiduciary Implications, April 2016, 22, papers.ssrn.com/ sol3/papers.cfm?abstract_id=2768295. FINRA (FN 2), 9.

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Rules 2090 Know Your Customer und 2111 Suitability konforme Empfehlung abzugeben.71 Die von der FINRA untersuchten Anbieter verlassen sich dazu auf ein Set von wenigen (vier bis zwölf) Fragen aus den Bereichen personal information, financial information, investment objective, time horizon und risk tolerance. Fraglich ist aber, ob ein Kunde diese Elemente einer fiduciary duty überhaupt erwartet, wenn er sich bewusst für eine automatisierte Beratung entscheidet.72 5.

Australien

Die Australian Securities & Investments Commission (ASIC) ist im März 2016 mit dem Consultation Paper 254 («Regulating digital financial product advice»)73 an die Öffentlichkeit getreten, nachdem es schon 2015 positive Signale der Finanzaufsicht in Richtung der FinTechAnbieter gab.74 Dabei wird betont, das Recht sei technologieneutral. Im August 2016 soll ein entsprechender Regulatory Guide erscheinen. Die ASIC spricht von digital advice, der auch robo-advice oder automated advice genannt werde, und definiert diesen als «the provision of automated financial product advice using algorithms and technology and without the direct involvement of a human adviser». Dabei kann es sich sowohl um general als auch um personal advice75 handeln. 71

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FINRA Rule 2090 Know Your Customer verlangt «reasonable diligence to know the essential facts concerning a customer at account opening and thereafter» und FINRA Rule 2111 Suitability «reasonable diligence to obtain and analyze a customer’s investment profile». Zu diesem Profil gehören unter anderem «the customer’s age, other investments, financial situation and needs, tax status, investment objectives, investment experience, investment time horizon, liquidity needs, risk tolerance, and any other information the customer may disclose to the member or associated person in connection with such recommendation». Besonders schwierig in einer Software dürfte der ebenfalls enthaltene Hinweis zu realisieren sein, dass «the level of importance of each factor may vary depending on the facts and circumstances of the particular case»; vgl. FINRA (FN 2), 8. Allerdings sieht auch ein Policy Statement «Robo-Advisers/Fiduciary Standards» Probleme im Bereich fiduciary duty. Vgl. Massachusetts Securities Division, Policy Statement Robo-Advisers and State Investment Adviser Registration, https://www.sec.state. ma.us/sct/sctpdf/Policy-Statement--Robo-Advisers-and-StateInvestment-Adviser-Registration.pdf. ASIC, Consultation Paper und Entwurf des Regulatory Guide, März 2016, asic.gov.au/regulatory-resources/find-a-document/consultationpapers/cp-254-regulating-digital-financial-product-advice/. Der Präsident der ASIC äusserte sich in einer Rede wie folgt: «ASIC is very supportive of the automated provision of advice.»; Rede von Greg Madcraft. Digital disruption and how regulators are responding, November 2015, download.asic.gov.au/media/3444817/ finsia-digital-disruption-and-how-regulators-are-respondingpublished-5-november-2015.pdf. Personal advice gemäss s766B(3) des Corporations Act liegt vor, wenn bei der Beratung (auch einer automatisierten) «one or more of

Erfasst wird die ganze Spanne, und zwar ungeachtet dessen, ob nur Beratung über die Zusammensetzung eines Portfolios erfolgt oder ob eine umfassend Produktberatung angeboten wird. Die Grenze, wer eine Lizenz benötigt, wird klar bestimmt. So lange eine Website lediglich Informationen anbietet, ist keine Lizenz erforderlich (factual information). Sobald aber Empfehlungen, Meinungen oder Ratings angeboten werden, ist diese Dienstleistung lizenzpflichtig. Somit regelt die ASIC diesen Punkt sehr eng, denn es reicht aus, dass ein Kunde annehmen könnte, ihm sei ein Produkt empfohlen worden.76 Lediglich general advice liegt vor, falls dem Kunden ohne die Erfassung persönlicher Angaben nur einige Modell-Portfolios angeboten werden. Wenn indessen vor der Empfehlung einige Fragen zur persönlichen Situation und zu den Anlagezielen zu beantworten sind, nimmt die ASIC personal advice an. Ein lizenzierter Anbieter hat bestimmte organisatorische (organisational competence obligations) und personelle Voraussetzungen zu erfüllen (training and competence standards). Anbieter von digital advice benötigen mindestens einen entsprechend im Finanzanlagenbereich qualifizierten Mitarbeiter. Zusätzlich muss mindestens ein Mitarbeiter die Befähigung und Erfahrung aufweisen, um die Technologie und die Algorithmen zu verstehen, die den digital advice generieren. Dies gilt selbst dann, wenn die Software zugekauft wird, denn die Verantwortung bleibt beim Betreiber der Plattform. Der Entwurf spricht zudem die notwendigen Überwachungsmassnahmen, Tests und Compliance-Vorgaben an, die zu erfüllen und nachzuweisen sind. Auch die cybersecurity einer Plattform ist extern zu zertifizieren. Schliesslich muss eine ausreichende Versicherungsdeckung nachgewiesen werden, um Kunden für Verluste zu entschädigen, die in Folge einer Verletzung der Vorschriften entstehen. Bemerkenswert ist weiter die Vorgabe, die Plattform müsse prüfen, ob ein Kunde geeignet ist, sich digital beraten zu lassen.77

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the client’s objectives, financial situation and needs» berücksichtigt werden. Dabei reicht es aus, dass der Kunde erwarten durfte, einer dieser Aspekte werde berücksichtigt. Alles andere gilt als general advice. ASIC, Entwurf des regulatory guide (FN 73), RG 000.21: «If a communication is a recommendation or a statement of opinion, or a report of either of these things, that is intended to, or can reasonably be regarded as being intended to, influence a client in making a decision about a particular financial product or class of financial products (or an interest in either of these), it is financial product advice.» ASIC, Entwurf des regulatory guide (FN 73), RG 000.95: «Digital advice providers offering scaled advice should ensure that

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Somit ist davon auszugehen, dass in Australien RoboAdvice strengen regulatorischen Anforderungen unterliegen wird. Die ASIC ist schon jetzt bekannt dafür, den Anlegerschutz sehr ernst zu nehmen. Deshalb überrascht es nicht, dass automatisierte Beratungsplattformen die gleichen hohen Standards erfüllen müssen, die in der klassischen Anlageberatung zu erfüllen sind. Die Consultation und der Entwurf des Regulatory Guide on Robo-Advice zeigen, dass ASIC keinen Bedarf sieht, Robo-Advisors rechtliche Erleichterungen zu gewähren. Allerdings beabsichtigt die australische Regierung vergleichbar der FCA und der FINMA FinTech Start-ups einer speziellen Regulierung zu unterstellen und ebenfalls eine regulatory sandbox einzurichten.78 Die gerade vorgestellte Initiative der ASIC zur Regulierung der automatisierten Beratung wird aber klar befürwortet; Australiens Finanzmarktrecht lehnt sich ohnehin stark an das UKRecht an und es gilt ein vergleichbares Provisionsverbot.

D. Neuregulierungen durch das Finanzdienstleistungsgesetz Das E-FIDLEG führt ein abgeschwächtes Konzept der Suitability- und Appropriateness-Prüfung ausdrücklich aufsichtsrechtlich in das schweizerische Auftragsrecht ein.79 Der Grund für die Verankerung dieses Konzepts in der Gesetzgebung liegt darin, dass angenommen wird, die Anlageberatung mit Bezug auf Finanzdienstleistungen lasse sich nur dann optimal erbringen, wenn das Profil und der individuelle Status des Kunden, sein Portfolio und seine Anlageziele sowie seine Risikotoleranz bekannt seien; die Ausgestaltung des Konzepts, das den Anleger schützen soll, folgt im Prinzip dem Konzept der entsprechende MiFID-Vorgaben.80 Allerdings geht der schweizerische Gesetzgeber von einem weit weniger schutzbedürftigen Anleger aus. Ein zentrales Element im Rahmen der MiFID-Vorgaben zu den aufsichtsrechtlichen Verhaltensregeln bei der Erbringung von Finanzdienstleistungen ist neben der Verpflichtung, Kunden redlich und nicht irreführend zu informieren, die Prüfung, ob in der Anlageberatung

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they have a robust ‹triage› or filtering process in place to filter out ­clients for whom the digital advice is not suitable.» Vgl. Australian Government, The Treasury, Australia’s FinTech priorities, März 2016, http://fintech.treasury.gov.au/australiasfintech-priorities/. Vgl. dazu auch Christoph B. Bühler, «Suitability & Appropriateness»: Was ist wirklich neu?, GesKR 2016, 1 ff. Rainer Baisch, Implikationen der MiFID-Regulierung für das FIDLEG: «Europäisierter» Anlegerschutz für die Schweiz?, in: Lukas Fahrländer/Reto A. Heizmann (Hrsg.), Europäisierung der schweizerischen Rechtsordnung, Zürich 2013, 479, 494.

empfohlene oder im Rahmen der Vermögensverwaltung ausgewählte Produkte angemessen (appropriate) bzw. geeignet (suitable) für den spezifischen Kunden sind. Auch wenn keine individualisierte Empfehlung erfolgt, muss sich der Finanzdienstleister bei seinem Kunden über dessen Kenntnisse und Erfahrungen betreffend ein bestimmtes Produkt (oder eine bestimmte Dienstleistung) erkundigen, um auf Basis dieser Informationen beurteilen zu können, ob dieses angemessen ist (appropriateness); andernfalls ist der Kunde zu warnen. Nur bei nicht komplexen Finanzinstrumenten im Bereich Execution-only ist ein Verzicht hierauf zulässig. In der Vermögensverwaltung und der Anlageberatung gelten strengere Vorgaben. Zusätzlich zur Angemessenheitsprüfung sind die finanziellen Verhältnisse und die Anlageziele zu ermitteln, um beurteilen zu können, ob ein bestimmtes Produkt für den entsprechenden Kunden geeignet ist (suitability). Dabei ist nicht nur zu berücksichtigen, ob der Kunde fähig ist, potentielle Verluste zu tragen, sondern es ist auch dessen Risikotoleranz zu analysieren, d.h. es muss geprüft werden, ob der Kunde gewillt ist, bestimmte Risiken einzugehen.81 Art. 12 und 13 E-FIDLEG sehen vergleichbare Prüfungspflichten vor, allerdings sind die Schwellen, ab denen diese Pflichten greifen, weniger streng. Bei einer Anlageberatung, die lediglich eine einzelne Transaktion betrifft, ist nur eine Angemessenheitsprüfung durchzuführen, d.h. die Kenntnisse und Erfahrungen des Kunden mit der Geschäftsart sind abzufragen und es ist zu abzuwägen, ob die Dienstleistung mit Blick auf die Kenntnisse und Erfahrungen des Kunden angemessen ist.82 Keine Angemessenheitsprüfung ist hingegen erforderlich, wenn dem Kunden nur «allgemeine Erwartungen» zu einem bestimmten Produkt mitgeteilt werden, Transaktionen, die im Anschluss an solche Informationen erfolgen, deklariert die Botschaft als Execution-only-Geschäft.83 Nur wenn bei der Beratung das Kundenportfolio berücksichtigt wird sowie in der Vermögensverwaltung muss zusätzlich eine Eignungsprüfung auf Basis der Anlageziele und der finanziellen Verhältnisse erfolgen.84 Bei den Anlagezielen sind der Zeithorizont der Anlage, das

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Vgl. Botschaft (FN 38), BBl 2015 8931 f. Vgl. Botschaft (FN 38), BBl 2015 8956 f. Die Botschaft enthält auch eine bemerkenswerte weitere Einschränkung: «Die Dienstleistung untersteht nur dann einer Angemessenheitsprüfung, wenn sie Bezug auf Finanzinstrumente nimmt, die sich im Portfolio des fraglichen Kunden befinden.» Vgl. Botschaft (FN 38), BBl 2015 8957. Vgl. Botschaft (FN 38), BBl 2015 8957. Die finanziellen Verhältnisse umfassen Einkommen, Vermögenswerte einschliesslich Immobilienbesitz und finanzielle Verpflichtungen.

Rolf H. Weber/Rainer Baisch AJP/PJA 8/2016

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Risikobewusstsein, die Risikofähigkeit und -bereitschaft, der Zweck der Anlage und bestehende Anlagebeschränkungen sowie die familiäre und berufliche Situation, das Alter und der Liquiditätsbedarf zu erfassen, um ein Risikoprofil und eine Anlagestrategie erstellen zu können.85 Im Ergebnis geht es darum, sicherzustellen, dass der Kunde die mit dem Produkt einhergehenden Risiken nicht nur versteht, sondern auch bereit ist, diese zu tragen. Vollständig neu sind das Suitability- und das Appropriateness-Konzept im Schweizer Recht zwar nicht, selbst wenn es bisher an einer ausdrücklichen Normierung gefehlt hat.86 Selbstregulierungen der Branchenverbände und die grundsätzliche vertragliche Haftung von Art. 398 Abs. 2 OR haben die Finanzintermediäre schon bisher verpflichtet, eine gewisse Eignungs- und Angemessenheitsprüfung mit Bezug auf empfohlene Anlageinstrumente durchzuführen. Insbesondere hat die Bundesgerichtspraxis verlangt, dass Empfehlungen und Risikohinweise adressatengerecht ausgestaltet sein müssen.87 Die schweizerische Eigenkonstruktion einer transaktionsbezogenen Anlageberatung im E-FIDLEG führt aber dazu, dass die Suitability-Prüfung fast immer entfallen kann, wenn es nur um ein ganz bestimmtes Produkt geht. Die Differenzierung zwischen Beratung und Mitteilung von «allgemeinen Erwartungen» qualifiziert zudem viele Transaktionen als Execution-only-Geschäft, obwohl der Kunde dies wohl als Beratung empfindet.88 Diese Erleichterungen im Vergleich zu den MiFIDPflichten würden sich natürlich auch in der automatisierten Beratung nutzen lassen. Allerdings wird in der Regel ein Produkt-Mix empfohlen, so dass kein Execution-­onlyGeschäft angenommen werden kann. Wenn bei einem Neukunden nicht nach anderen Vermögenswerten gefragt wird, erfolgt die Empfehlung somit nicht unter Berücksichtigung des Kundenportfolios. Ob bei einer Investition in ein Modell-Portfolio von nur einer Transaktion ausgegangen werden kann, ist fraglich; nach hier vertretener Ansicht ist in der Regel eine Suitability-Prüfung erforderlich.

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Vgl. Botschaft (FN 38), BBl 2015 8957. Vgl. Rainer Baisch/Rolf H. Weber, Prophylaxe durch Transparenz – Inwieweit können verschärfte gesetzliche Vorgaben zu den Informations- und Dokumentationspflichten dem Anlegerschutz dienen?, in: Rolf Sethe/Hans Caspar von der Crone/Thorsten Hens/ Rolf H. Weber (Hrsg.), Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert, Zürich 2013, 169 ff., 187 ff. BGE 133 III 97 E. 5.4. Auch die Botschaft (FN 38), BBl 2015 8957, geht davon aus, dass gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts (BGer 4A_140/2011, E. 2.1 und 3.1) bereits privatrechtlich nach Massgabe des Auftragsrechts gewisse Pflichten bestehen. Vgl dazu auch Baisch/Weber (FN 19), 159 ff.; Baisch (FN 17), 150 ff.

Nach dem Erstkontakt wird ein sorgfältig agierender Robo-Advice-Anbieter umfangreiche Informationen beim Kunden einholen. Darauf aufbauend empfiehlt er z.B. bestimmte ETF. Wird später der Erwerb weiterer ETF empfohlen, könnte von einzelnen Transaktionen ausgegangen werden. Allerdings ist ja die Empfehlung geeigneter Produkte für den Kunden gerade Kernmerkmal eines guten Robo-Advisors, so dass die empfohlenen Produkte suitable sein sollten. Jedenfalls dann, wenn mit personalisierten Anlageempfehlungen geworben wird, sind diese Kriterien auch zu erfüllen. Ein späteres Rebalancing ist ohnehin als Vermögensverwaltung zu qualifizieren.

IV. Ausblick Die beschriebenen Beratungs- und Vermögensverwaltungsmodelle belegen, dass innovative Lösungen durchaus eine Alternative zu eigenen fehlerbehafteten Anlageentscheidungen oder teurerer Vermögensverwaltung darstellen. Der Überblick zu den regulatorischen Entwicklungen zeigt die unterschiedlichen Vorstellungen über die Schutzbedürftigkeit des Anlegers. Ein Schweizer Robo-Advice-Anbieter, der Wert darauf legt, die Suitability seiner Empfehlungen sicherzustellen, wird eine umfangreiche Datensammlung bei seinen Kunden vornehmen müssen. Insbesondere sollten auch AHVAnsprüche sowie die zweite und dritte Säule berücksichtigt werden. Versucht ein Anbieter nur die Vorgaben der Rechtsprechung und des E-FIDLEG umzusetzen, reichen die wenigen Fragen aus, welche die meisten Anbieter als ausreichend empfinden, um eine individuell passende Anlageempfehlung vorzunehmen. Geht man davon aus, dass der Markt für Robo-Advice auch in der Schweiz rasch zunehmen wird, stellt sich die Frage, ob ein Finanzdienstleistungsgesetz nicht auch automatisierte Beratungsformen erfassen sollte, da der Kunde bei automatisierten Prozessen ausreichend zu schützen ist. Weil in diesen Fällen ein paar Klicks im Internet ausreichen können, um Entscheidungen von potentiell grosser Tragweite zu treffen, sollte der Gesetzgeber entsprechende Rahmenbedingungen und Vorgaben schaffen sowie deren Einhaltung überwachen. Ebenfalls von Interesse sind die Cross-border-Anbieter, die zwar in der Regel einen Schweizer Kunden nicht direkt ansprechen, aber deren Angebote sich natürlich weltweit in Anspruch nehmen lassen. So könnte es für Schweizer Anleger durchaus interessant sein, einen Robo-Advisor zu wählen, der einer strengeren Aufsicht untersteht, auch wenn dafür Vermögen ins Ausland verlagert werden muss. Vieles wird mittelfristig davon abhängen, wie wechselwillig die Kunden sind.

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