ie adem S-Ak Kuck uck, D B Ralf



Sich im Vorfeld kompromissbereit an einen Tisch setzen – so sollte man gemeinsames Training und gemeinsame Wettkämpfe im Rahmen der Möglichkeiten umsetzen. Denn am Ende sind es ja immer wieder diese langen und steinigen Wege, die uns mit einer großartigen Aussicht belohnen!

Markus Rehm



Paralympics-Sieger von London 2012 im Weitsprung und erster Deutscher Meister mit Behinderung bei den Meisterschaften für Sportler ohne Behinderung

7

Sport Friedhelm Julius Beucher

Mit Sport zur Inklusion im Alltag

Bewegung, Spiel und Sport machen Spaß, stärken das Selbstbewusstsein, fördern die Gesundheit und begeistern. Soziale Herkunft, Geschlecht und Alter spielen keine Rolle. Sport ist ideal geeignet, um für das Thema Inklusion Aufmerksamkeit zu schaffen und es zu transportieren. Ohne die Gesellschaft zu überfordern, in der Inklusion eines Tages gelebter Alltag sein soll, werden schon viele Beispiele verwirklicht. Andere werden noch erprobt und über weitere wird nachgedacht. Manches vollzieht sich in aller Öffentlichkeit, anderes eher ohne große Aufmerksamkeit. Auf jeden Fall lässt sich sagen, dass Inklusion kein Traum ist, sondern eine Tatsache.

Der DBS als Träger der Inklusion

Prof. Vanilton Senatore

Der DBS hat rund 650.000 Mitglieder in knapp 6.000 Vereinen. Mehr als 37.000 Übungsleiter/-innen und Trainer/-innen sowie über 100.000 ehrenamtliche und hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind im DBS aktiv. Der DBS ist Ansprechpartner für alle Menschen mit oder mit drohender Behinderung sowie chronischer Erkrankung. Bewegung, Spiel und Sport als Mittel ganzheitlicher Rehabilitation und Sozialisation stehen im Mittelpunkt der Arbeit des DBS. Das Ziel ist, allen Menschen mit oder mit drohender Behinderung sowie chronischer Erkrankung nach ihren individuellen Wünschen und Voraussetzungen die Möglichkeit zur selbstbestimmten und gleichberechtigten Teilnahme am Sport zu verschaffen. So sieht die UN-Behindertenrechtskonvention es vor.

Übersicht der Gesamtmigliederzahlen seit Gründung des DBS 1951 bis heute Übersicht der Gesamtmitgliederzahlen seit Gründung des DBS 1951 bis heute

700.000 600.000 500.000 400.000 300.000 200.000 100.000 0 19 51 19 56 19 61 19 66 19 71 19 76 19 81 19 86 19 9 19 1 96 20 0 20 1 06 20 11 20 12 20 13

Der Deutsche Behindertensportverband (DBS) ist im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB, die regierungsunabhängige Dachorganisation des deutschen Sports) für den Sport von Menschen mit Behinderung zuständig. Gleichzeitig hat der DBS die Funktion des Nationalen Paralympischen Komitees (NPC) für Deutschland. Die Deutsche Behindertensportjugend (DBSJ) ist die Jugendorganisation des DBS und Mitglied bei der Deutschen Sportjugend (DSJ). Als Jugendorganisation des DOSB ist sie der größte freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe in der Bundesrepublik Deutschland.

Mitgliederzahlen: 1951................................. 0 1956...................... 13.093 1961...................... 28.218 1966...................... 48.168 1971...................... 67.165

1976...................... 89.768 1981....................105.703 1986....................143.760 1991....................207.013 1996....................263.889

2001....................334.171 2006....................377.663 2011....................618.621 2012....................650.986 2013....................633.278

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“Inklusion heißt (...), dass jeder Mensch selbstbestimmt und gleichberechtigt – von Anfang an und unabhängig von individuellen Merkmalen – an allen gesellschaftlichen Bereichen teilnehmen kann. Alle Menschen gehören dazu, jeder kann mitmachen und keiner ist ausgeschlossen” (DBS, 2013, S. 12). Der DBS konzentriert das Thema Inklusion und Sport auf Menschen mit bzw. mit drohender Behinderung sowie chronischer Erkrankung. Dabei wird oft missverstanden: Es geht nicht darum, dass alle ständig alles zusammen machen müssen. Bei der Inklusion geht es um ein Wunsch- und Wahlrecht. Ziel ist, von Anfang an eine selbstbestimmte und gleichberechtige Teilhabe für Menschen mit Behinderungen zu ermöglichen. Nur so kann sich entschieden werden: für ein behinderungsspezifisches Bewegungs-, Spielund Sportangebot oder für ein Angebot, das für Menschen mit und ohne Behinderung offen ist. Viele Sportverbände und -vereine setzen sich für die gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe von Menschen mit Behinderung im Sport ein. Insbesondere die UN-Behindertenrechtskonvention und die Diskussionen um das Stichwort Inklusion tragen dazu bei, dass es ein verstärktes Engagement im organisierten Sport gibt. Zentrales Anliegen ist dabei die Wahlmöglichkeit zwischen Angeboten in „Schutzräumen“ (z.B. behinderungsspezifischen Sportgruppen) oder in Sportvereinen ohne speziellen Bezug zum Sport von Menschen mit Behinderung. In Deutschland hat der DOSB 2013 ein Positionspapier „Inklusion leben – Gemeinsam und gleichberechtigt Sport treiben“ (www.dosb.de/ fileadmin/fm-dosb/arbeitsfelder/Breitensport/ Inklusion/Downloads/DOSB-Positionspapier_ zur_Inklusion.pdf) verabschiedet. Der organisierte Sport verdeutlicht damit, wie ernst er das Thema Inklusion nimmt. “Inklusion ist für uns der Anspruch, die selbstbestimmte, gleichberechtigte und gleichwertige Teilnahme und Teilhabe von Menschen mit und ohne Behinderung im und durch Sport zu ermöglichen.“ (DOSB, Positionspapier, 2013). Der DOSB arbeitet seitdem aktiv an der Umsetzung dieser Selbstverpflichtung. Sie ist konkretisiert im Strategiekonzept “Inklusion im und durch Sport” des DOSB (www.dosb.de/

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fileadmin/fm-dosb/arbeitsfelder/Breitensport/ Inklusion/Downloads/DOSB_Strategiekonzept.pdf).

Inklusion im Rechtssystem – Staatliche Förderung des Behindertensports Inklusion im Sport ist in Deutschland nicht gesetzlich geregelt. Das 2006 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedete „Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung“ trat nach der Ratifizierung durch das Parlament 2009 in Kraft. Darin enthalten sind grundlegende Menschenrechte, die für die besonderen Situationen von Menschen mit Behinderung konkretisiert wurden. Zur Umsetzung sind alle öffentlichen Institutionen und Organisationen verpflichtet. Auch der organisierte Sport stellt sich dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe. Auch wenn eine nationale gesetzliche Grundlage für Inklusion fehlt, gibt es einzelne Regelungen, die eine Förderung von Menschen mit Behinderungen verankern. In Deutschland sind der Rehabilitationssport ebenso wie der Kinder- und Jugendsport sowie der Leistungssport hervorzuheben. Eine wichtige gesetzlich definierte Leistung für Menschen mit Behinderung bzw. von Behinderung bedrohter Menschen, ist der Rehabilitationssport. Er soll bewirken, sie möglichst auf Dauer in die Gesellschaft und ins Arbeitsleben einzugliedern. Rechtsgrundlage für den „ärztlich verordneten Rehabilitationssport“ ist das Sozialgesetzbuch IX § 44 (www. sozialgesetzbuch-sgb.de/sgbix/44.html). Eine Orientierung für die Umsetzung des Rehabilitationssports bildet die „Rahmenvereinbarung über den Rehabilitationssport und das Funktionstraining“. Der Rehabilitationssport wird indikationsgerecht ärztlich verordnet und in den Gruppen der Mitgliedsvereine des DBS ausgeführt. Unter ärztlicher Betreuung und Anleitung durch speziell ausgebildete Übungsleiter/innen werden Ausdauer, Koordination, Flexibilität und Kraft mit sportlichen Übungen und Spielen gefördert. Der Austausch mit Anderen und das Erleben der Gemeinschaft unterstützen den Rehabilitationsprozess und sind wesentliches Ziel des ärztlich verordneten Rehabilitationssports.

Athletin bei der Paralympischen SchwimmEuropameisterschaft 2011 in Berlin Ralf Kuckuck, DBS-Akademie

Er stärkt die Eigenverantwortung für Gesundheit, schafft Selbstvertrauen und hilft damit auch psychosoziale Krankheitsfolgen besser zu bewältigen. Die Vergütung für die Teilnahme am Rehabilitationssport ist zwischen den Anbietern und den Rehabilitationsträgern vertraglich geregelt. Wenn Menschen mit oder mit drohender Behinderung sowie chronischer Erkrankung dem Verein, in dem sie Rehabilitationssport machen wollen, eine genehmigte, ärztliche Verordnung vorlegen, entstehen ihnen keine Kosten. Ein Ziel des Rehabilitationssports ist es, jede Teilnehmerin und jeden Teilnehmer an ein lebensbegleitendes Sporttreiben heranzuführen, um die Nachhaltigkeit zu sichern. Auch während des Verordnungszeitraums kann freiwillig der Beitritt zu einem Verein vollzogen werden. Mit dieser Mitgliedschaft können zusätzliche Vereinsangebote genutzt werden. Für den organisierten Kinder- und Jugendsport ist die gesetzliche Grundlage das Kinder- und Jugendhilfegesetz (Sozialgesetzbuch (SGB) – Achtes Buch (VIII) – Kinder- und Jugendhilfe: www.gesetze-im-internet.de/sgb_8/index.html). Zentraler Aspekt ist die Partizipation junger Menschen mit und ohne Behinderung. Gekennzeichnet ist

sie durch die Möglichkeit der Mitbestimmung und Mitgestaltung, durch die Befähigung zur Selbstbestimmung und durch die Anregung zu sozialem Engagement. Die Paragraphen 11 (Jugendarbeit), 74 (Förderung der freien Jugendhilfe), und 75 (Anerkennung als Träger der freien Jugendhilfe) sind besonders bedeutsam. Der Kinder- und Jugendplan des Bundes (KJP) (www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Abteilung5/ Pdf-Anlagen/richtlinien-kjp-stand-april-2012,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true. pdf) ist ein Förderinstrument der deutschen Bundesregierung für die politische und kulturelle Kinder- und Jugendarbeit in Deutschland. Er wird finanziert durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). Die Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen wird hier als Grundsatz ins Zentrum gestellt, wobei der Sport als Medium zur Jugendbildung herangezogen werden kann (siehe Kapitel II. 3 des KJP). Unter I. 1 des KJP wird formuliert, dass die Belange junger Menschen mit Behinderung bei der Umsetzung der Förderziele des KJP Berücksichtigung finden sollen. Auch Kapitel II. 7 greift den Aspekt auf. Ergänzend wird hier angeführt, dass

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derung/Foerderung-Leistungssports-Behinderung/foerderung-leistungssports-behinderung_node.html).

die Förderziele des KJP durch Begegnungen und gemeinsames soziales Lernen von Menschen mit und ohne Behinderung (Inklusion) erreicht werden sollen. Über das Förderinstrument sollen die Ziele der Paragraphen 1 und 2 des Achten Buches Sozialgesetzbuch verwirklicht werden. Die DBSJ bietet regelmäßig, auch mit Kooperationspartnern, „Sportliche Jugendbildungsmaßnahmen” für Kinder und Jugendliche mit Behinderung und teilweise auch für Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung, also inklusiv, an. Diese „Sportlichen Jugendbildungsmaßnahmen“ werden über die DSJ im Rahmen des KJP gefördert. Der Leistungssport der Menschen mit und ohne Behinderung wird in Deutschland durch die Bundesregierung auf Beschluss des Bundestags gefördert. Grundlagen für die Sportförderung sind:

Es gelten grundsätzlich die gleichen Kriterien, allerdings können spezifische Belange des Sports von Menschen mit Behinderung berücksichtigt werden, z.B. Paralympische Trainingsstützpunkte. In einigen Sportarten finden national gemeinsame Wettkämpfe und Meisterschaften von Menschen mit und ohne Behinderung statt. Teilweise gibt es eine gemeinsame Wertung, teilweise getrennte Wertungen. So werden Sportschützen mit und ohne Behinderung in der Bundesliga der Sportschützen gemeinsam gewertet, während die Deutsche Meisterschaft der Sportschützen in einer getrennten Wertung ausgetragen wird. Leistungssportlerinnen und -sportler mit Behinderung, deren Sportarten paralympisch sind, erhalten eine monatliche individuelle Förderung durch die Stiftung „Deutsche Sporthilfe“. Für Medaillengewinne bei Paralympischen und Olympischen Spielen erhalten alle Leistungssportlerinnen und Leistungssportler identische Prämien. Außerdem existieren im Rahmen der ausbildungsund berufsbezogenen Förderung insbesondere auch für Schüler/-innen sowie Studentinnen und

• das Programm des Bundesministeriums des Innern (BMI) zur Förderung des Leistungssports sowie sonstiger zentraler Einrichtungen, Projekte und Maßnahmen des Sports auf nationaler und internationaler Ebene mit Rahmenrichtlinien (Leistungssportprogramm – LSP) vom 28. September 2005 • und die ergänzenden Förderrichtlinien (www. bmi.bund.de/DE/Themen/Sport/Sportfoer-

1. Eine junge Läuferin mit Sehbehinderung während eines Rennens. Ihr Guide hält sie auf der richtigen Bahn

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2

2. Zu sehen ist ein Junge im Tor, der eine Beinprothese trägt und im Sportfest Fußball spielt Ralf Kuckuck, DBS-Akademie

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Studenten weitere Fördermöglichkeiten wie Internatsförderung, Stipendien und Nachhilfeunterricht. Darüber hinaus stehen verschiedene Individualfördermöglichkeiten für einen Teil der Kadersportlerinnen und -sportler zur Verfügung. Eine besonders hervorzuhebende Individualförderung der paralympischen Sportlerinnen und Sportler stellt seit 2004 die TOP TEAM-Förderung dar, durch die sie sich mit finanzieller Unterstützung auf die Wettkampfhöhepunkte vorbereiten können. Gleichzeitig sind die Sportlerinnen und Sportler damit in der Lage, mehr Zeit für das Training aufzuwenden und sind dadurch gegenüber Sportlerinnen und Sportler anderer Nationen konkurrenzfähiger. Aussichtsreiche Nachwuchssportlerinnen und -sportler erhalten eine sogenannte Nachwuchseliteförderung. Darüber hinaus existieren für Kader- und Nachwuchssportlerinnen und -sportler verschiedene Förderungen auf Landesverbandsebene.

Projekte, die Inklusion im Sport voranbringen Es gibt zahlreiche Maßnahmen und Projekte, die teilweise schon seit Jahrzehnten den Gedanken der Inklusion im Sport umsetzen. Dabei steht ein Ziel im Vordergrund: Alle Angebote fördern gleichberechtigte Teilhabe, sie bieten behinderungsspezifische Sportmöglichkeiten im Sinne eines Schutzraumes oder schaffen Begegnungsmöglichkeiten von Menschen mit und ohne Behinderung. Dabei tragen insbesondere gemeinsame Angebote zur Bewusstseinsbildung bei. Eine Übersicht der zahlreichen Aktivitäten und Vorhaben der 98 Mitgliedsverbände des DOSB werden unter www.dosb.de/de/inklusion/mitgliedsorganisationen/ transparent dargestellt. Wichtiges Grundlagendokument ist der „Index für Inklusion im und durch Sport“ (www.dbs-npc. de/sport-index-fuer-inklusion.html), der 2014 vom DBS mit verschiedenen Partnern erarbeitet und vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) gefördert wurde. Der DBS sieht sich vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Inklusionsdebatte in einer Beratungs- und Dienstleistungsrolle: Er klärt über die individuellen Bedürfnisse von Menschen mit oder

mit drohender Behinderung sowie chronischer Erkrankung im Bereich Bewegung, Spiel und Sport auf und sensibilisiert. So wird der DBS verstärkt angesprochen, wenn Sportlerinnen und Sportler mit Behinderung im Breitensport und Leistungssport dabei sein sollen. Der „Index zur Inklusion im und durch Sport“ soll den Inklusionsprozess im organisierten Sport in Deutschland verankern. Er soll helfen, inklusive Kulturen und inklusive Strukturen zu schaffen, inklusive Praktiken und eine inklusive Sportlandschaft zu entwickeln. Ein konkretes Sportangebot für Menschen mit und ohne Behinderung ist das Deutsche Sportabzeichen (www.deutsches-sportabzeichen.de). Es ist eine Auszeichnung des Deutschen Olympischen Sportbundes für überdurchschnittliche und vielseitige körperliche Leistungsfähigkeit. Je nach erreichter Leistung in den Bereichen Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit und Koordination (einschließlich des Nachweises der Schwimmfertigkeit) wird es in drei Stufen vergeben: Bronze, Silber, Gold. Für Menschen mit Behinderung existiert ein eigener Leistungskatalog mit elf verschiedenen Behinderungsklassen, die teilweise je nach Schwere der Behinderung in Untergruppen eingeteilt sind. Dieser Leistungskatalog wird vom DBS erarbeitet und fortgeschrieben. Er bildet die Grundlage dafür, dass jeder Mensch nach seinen individuellen Voraussetzungen gleichberechtigt ist und das Deutsche Sportabzeichen erwerben kann. Also ist das Deutsche Sportabzeichen ein ideales Mittel, um Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam Sport treiben zu lassen. Ihre Erfolge sind gemeinsame Erfolge. Eine Auswahl weiterer Maßnahmen und Projekte des DBS sowie seiner Landes- und Fachverbände findet sich unter: www.dbs-npc.de/inklusionsprojekte.html..

Voraussetzungen der Wahlfreiheit Jeder Mensch soll nach seinen individuellen Wünschen und Voraussetzungen ein Bewegungs-, Spiel- und Sportangebot in seinem Umfeld wählen und – selbstbestimmt und gleichberechtigt – wahrnehmen können (vgl. DBS, 2014, S. 15).

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Dieses Wunsch- und Wahlrecht ist ein zentrales Ziel, das je nach Rahmenbedingung nicht immer erfüllt werden kann. Ob ein Mensch mit oder ohne Behinderung am Schwimmen teilnehmen möchte: er benötigt eine Schwimmhalle. Befindet sich keine in der unmittelbaren Umgebung, müssen alle einen längeren Fahrtweg in Kauf nehmen. Die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung, damit sie überhaupt Sport treiben können, sind die bauliche und kommunikative Barrierefreiheit. Ist diese Voraussetzung nicht gegeben, wird – unabhängig von der Erreichbarkeit – der Zugang zu einem Sportangebot erschwert oder sogar verhindert. Im paralympischen Leistungssport wird, analog zum olympischen Sport, die Erfüllung von Leistungsnormen vorausgesetzt. Dazu muss, neben einer gezielten Nachwuchssichtung sowie Nachwuchsförderung, ein entsprechendes sportspezifisches Talent des Aktiven vorhanden sein. Im paralympischen Leistungssport ist außerdem die Klassifizierbarkeit in der jeweiligen Sportart eine Bedingung, um national sowie international an Wettkämpfen teilnehmen zu können. Darüber hinaus ist ein flächendeckendes wohnortnahes Sportangebot für Leistungssportlerinnen und Sportlern mit Behinderung häufig nicht vorhanden, sodass eine räumliche Flexibilität notwendig ist.

Sportvereine, die den Behindertensport besonders fördern Behindertensportvereine gibt es seit mehr als 60 Jahren. Aktuell bieten etwa 6.000 Vereine des DBS täglich Bewegungs-, Spiel- und Sportangebote für Menschen mit Behinderung bzw. für Menschen mit und ohne Behinderung an. Die Anzahl dieser Angebote wird vor dem Hintergrund der UN-Behindertenrechtskonvention sowie der anhaltenden öffentlichen Diskussion um Inklusion – auch in den Medien – zunehmen. Schon jetzt gibt es mehr Sportvereine mit Angeboten für Menschen mit und ohne Behinderung als reine Behindertensportvereine. Von den 90.000 Sportvereinen in Deutschland waren viele schon für Menschen mit und ohne Behinderung offen, be-

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vor von Inklusionsmodellen die Rede war. Dabei gilt: Jeder Sportverein muss seinen eigenen Weg finden, wenn es um Angebote für Menschen mit Behinderung geht. Herausragende Standorte bzw. Sportvereine, die sich mindestens einer paralympischen Sportart besonders annehmen, können vom DBS als „Paralympische Trainingsstützpunkte“ (PTS) benannt werden. Der DBS hat aktuell 18 PTS (www.dbsnpc.de/leistungssport-stuetzpunktsystem.html) in Deutschland anerkannt. Dort bereiten sich die Kadersportlerinnen und -sportler auf internationale Großereignisse unter bestmöglichen Trainingsbedingungen vor.

Vom Breitensport zum Leistungssport Im Breitensport stehen Spaß an Bewegung, Spiel und Sport, die Entwicklung des Selbstvertrauens sowie Begegnungen und Gemeinschaftserlebnisse im Vordergrund. Neben den gesundheitsfördernden Aspekten stehen die psychosozialen Wirkungen im Blickfeld. Bewegung, Spiel und Sport bedeuten für viele Menschen mit Behinderung eine Verbesserung ihrer Alltagskompetenz und Lebensqualität und leisten Hilfe zur Selbsthilfe. Dabei wirken insbesondere die Stärkung des Selbstbewusstseins und die sozialen Kontakte positiv auf die selbstbestimmte und gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Alltagsleben. Der Breitensport knüpft zum einen im Sinne eines lebensbegleitenden und nachhaltigen Sporttreibens an den Rehabilitationssport an und kann zum anderen ein Sprungbrett zum Leistungssport bedeuten. Schwerpunkte in der breitensportlichen Arbeit des DBS sind das schon erwähnte Deutsche Sportabzeichen für Menschen mit Behinderung (www. dbs-npc.de/sportentwicklung-breitensport-deutsches-sportabzeichen.html) und das alle zwei Jahre stattfindende Bundesseniorensportfest (www.dbsnpc.de/sportentwicklung-breitensport-bundesseniorensportfest.html). Sport wird zum Leistungssport, wenn mit einem Höchstmaß an persönlichem Einsatz Siege und Rekorde angestrebt werden. Viele Sportle-

einigt, die es Leistungssportlerinnen und Leistungssportlern beider Geschlechter ermöglichen, ihre Leistungspotentiale voll zu entfalten – bis hin zur Teilnahme an Paralympischen Sommer- und Winterspielen.

rinnen und Sportler mit Behinderung trainieren regelmäßig und haben Freude daran, ihre eigenen Leistungsgrenzen zu verschieben und sich im Wettkampf mit anderen zu messen. Die Besonderheit des Leistungssports von Menschen mit Behinderung ist, dass die Vielfalt der Behinderungen eine Einteilung in Startklassen im Rahmen einer sportartspezifischen Klassifizierung erfordert, damit Chancengleichheit und fairer Wettbewerb gewährleistet sind. Qualifizierte Trainings- und Wettkampfbetreuung sowie optimale Rahmenbedingungen und der Einsatz für einen doping- und manipulationsfreien Sport bilden die Grundlage für einen humanen Leistungssport – unabhängig ob dieser von Leistungssportlerinnen und Leistungssportlern mit oder ohne Behinderung ausgeführt wird. Unter dem Dach des DBS/NPC sind eine Vielzahl von Sportarten und Disziplinen ver-

Das Ansehen des Behindertensports steigt In der Öffentlichkeit werden Hochleistungssportlerinnen und -sportler mit Behinderung, die an den Paralympics, bei Welt- und Europameisterschaften und anderen nationalen und internationalen Wettkämpfen teilnehmen, häufiger als früher wahrgenommen. Laut einer Studie von Sport + Markt im Auftrag des Deutschen Behindertensportverbandes und der Deutschen Telekom sagen sogar drei Viertel

Deutsche Medaillen bei Paralympischen Spielen (Sommer und Winter) seit 1988 SOMMER Jahr

Ort

Gold

Silber

Bronze

1988

Seoul

77

64

51

1992

Barcelona

61

51

59

1996

Atlanta

40

58

51

2000

Sydney

16

41

38

2004

Athen

19

28

31

2008

Peking

14

25

20

2012

London

18

26

22

WINTER Jahr

Ort

Gold

Silber

Bronze

1988

Innsbruck

9

11

10

1992

Albertville

12

17

9

1994

Lillehammer

25

21

18

1998

Nagano

14

17

13

2002

Salt Lake City

17

1

15

2006

Turin

8

5

5

2010

Vancouver

13

5

6

2014

Sotschi

9

5

1

75

Spielen im heimischen Wohnzimmer in den Genuss einer Berichterstattung. Sie haben mit zunehmendem Interesse und wachsender Spannung die Paralympics verfolgt und die Eigenheiten und Besonderheiten des Leistungssports von Menschen mit Behinderungen kennen und schätzen gelernt. Zudem haben sie bewundernd gesehen, zu welchen außergewöhnlichen Leistungen Leistungssportlerinnen und Sportler mit Behinderung in der Lage sind. Das Medieninteresse 2012 war so groß wie noch nie, egal ob in TV-Übertragungen, Print, Funk oder in sogenannten Sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter. Nach den Paralympics in London 2012 wurde von den „social media games“ gesprochen. Waren über den Deutschen Behindertensportverband in Peking 2008 noch 50 deutsche Journalisten akkreditiert, so waren es 2012 in London bereits 200. Dieses Ereignis bildet in den Jahresabläufen der Medienresonanz eine absolute Spitze. Auch in Sotschi 2014 war das Medienecho enorm. Die Spiele in Rio de Janeiro 2016 werden sicher erneut eine ähnlich hohe Medienaufmerksamkeit erzielen. Das haben die Paralympics verdient. Und langfristig werden damit die Wahrnehmung und das Ansehen des Behindertensports insgesamt erheblich steigen.

der Bundesbürger, dass paralympische Sportlerinnen und Sportler eine Vorbildfunktion in der deutschen Gesellschaft haben (Sport + Markt, 2012). Die Wettkämpfe der weltbesten Sportlerinnen und Sportler mit Behinderung (Paralympics) werden im Gegensatz zu den Wettbewerben der Sportlerinnen und Sportler ohne Behinderung (Olympische Spiele) erst seit 1960 (in Rom mit 400 Teilnehmer/-innen aus 23 Ländern) ausgetragen. Der Leistungssport der Sportlerinnen und Sportler mit Behinderung musste also in kurzer Frist nachholen, wozu andere Sportarten Jahre lang Zeit hatten. Umso erfreulicher, dass die seit Jahren erbrachten internationalen Erfolge und Höchstleistungen der Sportlerinnen und Sportler mit Behinderung immer größeren Zuspruch finden. An der Medien- und Zuschauerresonanz der Paralympischen Spiele lässt sich erkennen, mit welch hohem Tempo sich der Behindertensport weiter entwickelt und sich das Interesse für den Sport von Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft zunehmend verstärkt. Bei den Winter-Paralympics 2010 in Vancouver war bereits ein deutlich höheres Medieninteresse als vorher zu verzeichnen. Die Sommer-Paralympics 2012 in London brachten den Durchbruch. Die deutschen Zuschauer kamen bei allen Paralympischen

1

2

1. Athletin bei den Deutschen Meisterschaften 2015 im Torball 2. Teilnehmer an einem inklusiven Tischtennisturnier Ralf Kuckuck, DBS-Akademie

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SOMMER-PARALYMPICS 2000 - 2014 Einschaltquoten Deutschland QUOTEN Jahr/ Ort 2000 - SYDNEY 2004 - ATHEN

2008 - PEKING

2012 - LONDON

LÄNGE in Stunden

Sender

Sender

ARD

07:53

ZDF

08:03

ARD

05:03

ZDF

05:54

ARD

13:02

ZDF

17:01

EINSfestival

40:17

ZDFinfo

22:18

ARD

28:05

ZDF

27:58

Insgesamt 15:56 10:57 30:03 62:35 56:03

Schnitt

Schnitt ARD + ZDF

Mio.

%

0,78

9,6

0,66

8,7

0,73

8,4

0,74

7,3

0,90

7,6

0,85

9,1

0

0

0

0

0,93

8,8

0,75

8,6

Mio.

%

0,72

9,2

0,74

7,8

0,87

8,4

-

-

0,84

8,7

WINTER-PARALYMPICS 2000 - 2014 Einschaltquoten Deutschland QUOTEN Jahr/ Ort

Sender

LÄNGE in Stunden Sender

2002 - SALT LAKE CITY

2006 - TURIN

Mio.

%

0,32

8,5

1,23

13,7

1,26

8,5

0,92

7,9

ARD

01:38

ZDF

02:50

ARD

02:44

ZDF

03:30

PHOENIX

03:05

03:05

0,05

0,3

EUROSPORT

05:48

05:48

0,10

1,5

0,42

8,6

0,42

7,1

0,84

8,3

1,17

10,3

2010 - VANCOU- ARD VER ZDF

10:51

ARD

12:31

ZDF

07:31

2014 - SOTSCHI

Insgesamt

Schnitt

09:00

04:28 06:14

19:51 20:03

Schnitt ARD + ZDF

Mio.

%

0,90

11,8

1,06

8,2

0,42

7,9

0,96

9,1

Friedhelm Julius Beucher Seit 2009 Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes e.V.. Zudem ist er u.a. im Ehrenvorstand des Kuratorium Sport und Natur, Mitglied im Kuratorium der Deutschen Schulsportstiftung und Ehrenvorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) Oberberg.

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