"DER KUCKUCK IN DER STECKDOSE" Dialog & Drehbuch: Jasmin Al-Kattib Wissenschaftliches Konzept: Wolfgang Kromp Idee: Richard Kromp

HUGO Was ist das? SOPHIE Eine Steckdose, was denn sonst! HUGO Und warum ist sie so groß? SOPHIE Wenn du wüsstest, was sich in der Dose alles verbirgt, dann würdest du fragen, warum sie so klein ist! HUGO Wieso? SOPHIE Komm mit!

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HUGO Wow.... So viele Kraftwerke und Maschinen. Das sind also die Fabriken für unseren Strom? SOPHIE Mhm. HUGO deutet auf das AKW. Und die große Fabrik da? SOPHIE Das ist ein Atomkraftwerk. HUGO Wie machen die das? Das Strom produzieren? SOPHIE Komm mit, ich zeig's dir!

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SOPHIE Atomkraftwerke funktionieren im Prinzip wie andere Wärmekraftwerke. HUGO Wie funktionieren Wärmekraftwerke? SOPHIE Also, ein Energieträger liefert die zur Erzeugung von Wasserdampf notwendige Wärmeenergie. Dieser heiße Dampf… HUGO Energieträger liefern Energie? SOPHIE Energieträger sind zum Beispiel Kohle, Öl und Gas, oder auch Holz und Stroh. Sie haben viel chemische Energie in sich gespeichert, die beim Verbrennen freigesetzt werden kann. In Atomkraftwerken verwendet man Uran und Plutonium als Energieträger. 4

HUGO Und wie geht das genau? SOPHIE Du musst dir das so vorstellen: Im Atomreaktor beschießt man Uran-Atome mit Neutronen. Wenn ein Uran-Atomkern ein Neutron einfängt, wird dieser so stark gestört, dass er in mehrere Einzelteile zerfällt. Das nennt man Kernspaltung, bei der sehr viel Wärme frei wird. Und es werden noch zwei bis drei Neutronen freigesetzt, die wieder von anderen Atomkernen eingefangen werden können und dann weitere Spaltungen bewirken. Und so weiter. Man wandelt also Energie aus dem Atomkern in Wärme um. Daher Wärmekraftwerk. Man muss jedoch aufpassen, dass die Anzahl der Kernspaltungen im Reaktorkern geregelt wird. Bei einem unkontrollierten Ablauf würden zu viele Atomkerne auf einmal gespaltet werden. So in etwa funktioniert dann die Atombombe! HUGO Und was ist das für ein riesengroßes Gebäude? SOPHIE Das wird einmal ein Kernfusionskraftwerk. HUGO Aha. Und wie funktioniert die Kernfusion? SOPHIE Kernfusion ist im Prinzip der umgekehrte Vorgang der Kernspaltung. Es ist der Prozess, der die Sonne und alle anderen Sterne zum Leuchten bringt. Man bringt zwei geeignete Atomkerne so nah aneinander, dass sie miteinander verschmelzen. Dabei kann ähnlich wie bei der Kernspaltung viel Wärme freigesetzt werden. HUGO Aha! SOPHIE So viel versprechend die Kernfusion klingt, sie wird bestenfalls in einigen Jahrzehnten funktionieren. HUGO Warum? SOPHIE Fusion findet normalerweise im Inneren der Sonne bei extrem

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hohem Druck und hohen Temperaturen statt. Auf der Erde sind solche extremen Bedingungen jedoch nicht so einfach herzustellen, benötigt werden über 100 Millionen Grad! HUGO Das ist aber sehr heiß. SOPHIE So etwas Heißes kann man nicht einfach in ein Kraftwerk geben. Man plant, das heiße Plasma mit starken Magnetfeldern einzusperren. HUGO Plasma? Okay, so genau will ich's jetzt gar nicht wissen. Zurück zum Atomkraftwerk. Dort verbrennt man also Uran und erzeugt so Wasserdampf! SOPHIE Ja, genau. Der heiße Dampf treibt dann zur Stromerzeugung riesige Turbinen und Generatoren an. Doch leider geht bei der Stromerzeugung immer sehr viel Wärme ungenutzt verloren. Ein paar schlaue Menschen haben die Kraft-Wärme-Kopplung erfunden. Dabei wird ein Teil der ungenutzten Wärme abgeleitet und anderen Menschen zur Verfügung gestellt. Doch ein Problem ist, dass über allzu lange Leitungen zu viel Wärme verloren gehen würde. HUGO Dann sollte man aber ein Atomkraftwerk nicht allzu weit entfernt von einer Stadt bauen. Es erzeugt eine Menge Abfallwärme. Mit der könnte man sehr viele Häuser heizen. SOPHIE Naja, die Leute wollen sicher kein ihrer Stadt! Das wäre ja viel zu besser weit weg von den Städten. sich wohl eher für ein fossiles

Atomkraftwerk in der Nähe gefährlich. Man baut es Die Stadtbewohner werden Kraftwerk entscheiden.

HUGO Was ist ein fossiles Kraftwerk? SOPHIE So nennt man Kraftwerke, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden. Also Öl, Kohle oder Gas! HUGO Ich hab wo gehört, dass die Menschen alle diese Kraftwerke

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abschalten sollten. Weil die erzeugen Kohlendioxid! Es ist Schuld am Klimawandel. SOPHIE Stimmt genau! HUGO Und was ist mit Atomenergie? SOPHIE In Bezug auf Kohlendioxid-Ausstoß sind Atomkraftwerke den fossilen Kraftwerken tatsächlich überlegen! HUGO Wenn die Menschen also das Klima retten wollen, müssen sie nur die fossilen Kraftwerke durch Atomkraftwerke ersetzen. SOPHIE Das ist nicht so einfach! Schau mal, durch die enormen Fortschritte in Ländern wie China und Indien steigt deren Bedarf an Energie stark an. Wenn du nun noch berücksichtigst, dass weltweit ständig alte Atomkraftwerke durch neue ersetzt werden sollen, müsste man wahrscheinlich jede Woche ein neues Atomkraftwerk in Betrieb nehmen! HUGO Jede Woche ein neues Atomkraftwerk? Hmm, kann man überhaupt jede Woche ein Atomkraftwerk bauen? SOPHIE Viel zu wenig Zeit! Von der Planung bis zur Inbetriebnahme dauert es zehn Jahre. Und man braucht sehr viel Geld. Doch das hohe Risiko wird Leute aus der Wirtschaft eher abschrecken, zu investieren. HUGO Und wenn man jetzt auch noch zusätzlich alle fossilen Kraftwerke durch Atomkraftwerke ersetzen will… SOPHIE …na das ist ganz unmöglich! Außerdem müssen die Menschen so viel wie möglich erneuerbare Energieträger und nachhaltige Technologien einsetzen! HUGO Warum müssen sie das? Was heißt überhaupt erneuerbar? Und nachhaltig?

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SOPHIE Die Sonne lässt Biomasse wie Stroh und Holz wachsen. Sie sorgt für frischen Wind, lässt Wasser auf der Erde zirkulieren, wärmt unsere Häuser und lässt in Sonnenkraftwerken eine Menge Strom fließen. HUGO Erneuerbare Energieträger gibt es also solange, wie die Sonne existiert. SOPHIE Ja, und das ist noch sehr lange! Nachhaltige Kraftwerke nutzen nun diese erneuerbaren Energieträger, ohne dabei den begrenzten Vorrat an nicht erneuerbaren Brennstoffen zu verschwenden. HUGO Du, SOPHIE, Uran wächst nicht nach. Und es entsteht giftiger Müll. Warum sagt man dann, Atomenergie ist sauber? SOPHIE

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Die Atomenergie wird gerne als sauber bezeichnet, weil der Kohlendioxid-Ausstoß von Atomkraftwerken gering ist. Doch näher betrachtet wird vom Uran-Abbau bis zur AtomabfallEntsorgung eine ganze Menge Kohlendioxid erzeugt! Und Uranerz ist nur begrenzt vorhanden und kein erneuerbarer Energieträger! Und der Atomabfall belastet Mensch und Umwelt vieler nachfolgender Generationen! Nur die Nutzung von Sonne, Wind, Wasser und Biomasse ist wirklich nachhaltig! HUGO Atomenergie ist also nicht nachhaltig? SOPHIE Ganz und gar nicht! Trotzdem wird die Atomenergie oft so bezeichnet. Sie wird gerne zu den nachhaltigen Energien dazu geschummelt. Komm mit! Ich zeig Dir was!

SOPHIE Siehst Du das Amselnest dort? HUGO Klar!

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SOPHIE Der Kuckuck hat die Amsel getäuscht und ihr ein Ei in ihr Nest gelegt. Die Amsel glaubt, es sei ihr Ei, und brütet es aus. So kann der Kuckuck überleben! HUGO Ja, und? SOPHIE Die Atomindustrie macht es wie der Kuckuck. Sie täuscht uns und behauptet, die Atomenergie sei nachhaltig und sauber. Wir glauben das und lassen neue Atomkraftwerke bauen. Das hilft der Atomindustrie, zu überleben! HUGO Ha ha! Der Atomstrom ist also der Kuckuck in der Steckdose.

SOPHIE Wenn Du so willst! Der junge Kuckuck hat natürlich großen Hunger, und den Amselkücken bleibt viel weniger Futter über.

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HUGO Und die Atomindustrie hat auch großen Hunger. Sie verschlingt sehr viel Geld, das man besser in nachhaltige Energieprojekte stecken sollte. Das habe ich nun kapiert: die Atomenergie ist wirklich kein Klimaretter! Du, SOPHIE, gibt es in jedem Land der Welt Atomkraftwerke? SOPHIE Nein! Manche Länder können sich diese teure Technologie nicht leisten. Manche wollen einfach gar keine Atomkraftwerke haben. Zur Zeit denken aber wieder mehr über die Atomenergie nach. Seit den schweren Unfällen in der Vergangenheit wurden immerhin wichtige technische Fortschritte gemacht.

SOPHIE Heute werden Wahrscheinlichkeitsrechnungen durchgeführt. In der Wissenschaft ist das eine Methode, die wahrscheinlicheren Ursachen für einen schweren Unfall oder einen Gau zu finden. HUGO Was heißt eigentlich GAU? 11

SOPHIE “Größter anzunehmender Unfall”. Das ist der größte Unfall, den ein Atomkraftwerk auf Grund seiner Bauweise verkraften kann, ohne dass allzu viel Radioaktivität nach außen gelangt. Damit kein GAU passiert, überwachen Computer die Sicherheitsfunktionen. Doch man sollte sich nicht nur auf sie verlassen! Aus dem Lautsprecher tönt es: “Achtung, Achtung, dies ist eine Übung, geben Sie bitte Ihren Sicherheitscode ein!” SOPHIE Hier wird gerade die Beherrschung eines Unfalls in einer Simulation trainiert. HUGO Das klingt vernünftig. SOPHIE Es werden gezielte Maßnahmen für den Notfall getroffen. Sie sollen helfen, bei schweren Unfällen richtig zu handeln. Es darf nämlich auf keinen Fall zu einer Kernschmelze kommen! HUGO Kernschmelze? SOPHIE Wenn der Reaktor nicht mehr ausreichend gekühlt werden kann, schmilzt im Reaktorkern alles in sich zusammen. So etwas kann kein Feuerlöscher der Welt mehr löschen! HUGO Wie damals in Tschernobyl? SOPHIE Auf den geschmolzenen Kern des explodierten Reaktors musste man mit Hubschraubern Schutt, Sand und sogar Blei werfen. Danach baute man einen dicken Betonmantel herum. Gar nicht einfach, sag ich dir! Die Reaktorruine wird jedenfalls den Menschen noch lange Kopfzerbrechen bereiten! HUGO Hat man früher nicht über schwere Unfälle nachgedacht? SOPHIE Doch, aber damals haben jene, die das wissenschaftlich untersucht haben, die Möglichkeit eines Super-GAUs falsch

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eingeschätzt.

SOPHIE Heute weiß man, dass ein Super-Gau möglich ist. HUGO Was ist denn ein Super-GAU? SOPHIE Ein Super-Gau ist viel schlimmer als ein GAU. Da wird das Atomkraftwerk so zerstört, dass große Mengen an Radioaktivität nach außen dringen können. Man hat also Richtlinien für den Umgang mit schweren Unfällen erlassen. HUGO Und? Hat das etwas gebracht? SOPHIE Also zumindest lernt nun die Betriebsmannschaft, dass sie einen Unfall entscheidend beeinflussen kann. HUGO 13

Das leuchtet mir ein! SOPHIE Wichtig ist, dass man die katastrophalen Auswirkungen eines Unfalls so lange wie möglich verzögert. So kann man wertvolle Zeit gewinnen, zum Beispiel um die Bevölkerung in Sicherheit zu bringen. Positiv ist jedenfalls, dass die für Atomkraftwerke zuständigen Aufsichtsbehörden international mehr zusammenarbeiten. HUGO Na hoffentlich funktioniert das alles im Ernstfall auch wirklich! SOPHIE Es gibt aber auch Rückschritte. HUGO Erzähl mir! Jetzt will ich alles wissen. SOPHIE Früher wurden Kraftwerke für eine Betriebsdauer von 30 bis 40 Jahren gebaut. Danach sollten sie abgeschaltet und durch neue AKWs ersetzt werden. Denn ähnlich wie bei alten Autos werden Reparaturen immer schwieriger und teurer. Doch heute wollen manche Kraftwerksbetreiber die alten Kraftwerke einfach um Jahrzehnte länger laufen lassen, ohne sich die Kraftwerke genauer anzuschauen! HUGO Wow, die trauen sich was! SOPHIE Die Politik verlässt sich auf statistische Zahlen. Doch die weltweit 440 laufenden Atomreaktoren liefern keine ausreichend genaue Statistik. Auch die großen Unterschiede der Kraftwerke selbst machen Voraussagen eher schwierig. HUGO Mutig, mutig! SOPHIE Nicht nur die Atomkraftwerke altern, auch die Menschen mit Erfahrung. Es gibt zu wenige Nachwuchskräfte. Und Ersatzteile werden rar.

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HUGO Das ist wie mit meinem alten Auto! Nur wenige Mechaniker kennen sich mit dem noch aus, und die Ersatzteile passen oft nicht. SOPHIE Wie überall macht auch das Geld Probleme. Es bleibt viel zu wenig für die Sicherheit. Um mehr Profit zu machen, soll die ursprüngliche Leistungen der Atomkraftwerke um bis zu 25 Prozent erhöht werden – damit werden aber die Sicherheitsreserven gemindert. HUGO Die Konzerne, die die Kraftwerke betreiben, geraten ordentlich unter Druck. Kann da nichts passieren? SOPHIE Man versucht dem durch technische Anpassungen entgegenzuwirken, z. B. durch Veränderung der Brennstoffkonfiguration oder der Kernflussverteilung. HUGO Okay, das wird mir jetzt zu kompliziert! 15

SOPHIE Oh, Entschuldigung! Es gibt immer mehr Menschen auf der Welt. Gleichzeitig werden die Vorräte an Rohstoffen langsam aber sicher aufgebraucht, wobei sie generell unter der Weltbevölkerung ungerecht verteilt werden. So können Kriege entstehen. HUGO Kriege wie in Afghanistan? SOPHIE Gut möglich! Aber ein Atomkraftwerk kann weltweit zu einem Angriffsziel werden. Wegen der radioaktiven Stoffe, die das Land des Gegners schädigen können. Auch wegen der großen Bedeutung für die Stromversorgung. HUGO Du, SOPHIE, magst du mit mir Fußball spielen? SOPHIE Menschen sind aber nicht nur kriegerisch, sie machen auch Fehler. Das hat schon oft zu schweren Unfällen geführt. Sie glauben leider zu unrecht, dass sie alles unter Kontrolle haben. Und sie ignorieren gerne Warnungen und gute Argumente, wenn sie ihnen nicht gefallen. HUGO Sag mal, SOPHIE, ich hab gehört, dass Atomstrom etwas billiger ist als die anderen Stromsorten. SOPHIE Nur auf den ersten Blick! Für die möglichen Kosten eines Super-Gaus wird nicht ausreichend vorgesorgt. HUGO Und wer zahlt dann nach einem schweren Unfall? SOPHIE Die Firma, die das Atomkraftwerk betreibt, muss nur relativ geringe Kosten übernehmen. Für wirklich große Beträge haftet der Staat. HUGO Also ich und du … SOPHIE … genau! Atomkraftwerke zahlen viel geringere 16

Versicherungssummen, als sie eigentlich müssten. Durch diese bevorzugte Behandlung wird ein billigerer Endpreis für die Atomenergie vorgetäuscht. HUGO Klar! Wenn der Endpreis für Atomenergie höhere Versicherungskosten beinhalten würde, wäre er viel höher.

SOPHIE Nach ein paar Jahrzehnten muss ein Atomkraftwerk geschlossen werden. Übrig bleibt eine riesige Ruine und tausende Tonnen verstrahltes Material. Die Schließung eines Atomkraftwerks ist extrem teuer. Dafür legen die Kraftwerksbesitzer während des Betriebs Geld aus den Energieeinnahmen beiseite. Aktuelle Fälle zeigen, dass die Schließung eines Atomkraftwerks doch sehr viel teurer ist als angenommen! HUGO Hmm, also werden die wahren Kosten für die Versicherung und für die Schließung des Kraftwerks nicht ehrlich berücksichtigt … SOPHIE

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… es fehlen auch die Kosten für die Endlagerung des Abfalls! Hier sind die wahren Kosten noch nicht einmal bekannt! HUGO Ha! Man verkauft Atomstrom billig und präsentiert hinterher die Rechnung. Das ist gemein! SOPHIE So gesehen ist die Atomenergie sogar eine der teuersten Technologien zur Erzeugung von Energie. HUGO SOPHIE, wenn das so ist, warum wollen dann Menschen überhaupt Atomkraftwerke? SOPHIE Die Atomenergie ist verlockend! Atomare Strahlung kann man weder hören noch sehen noch schmecken noch riechen. Und Warnungen vor möglichen Katastrophen werden gerne überhört. HUGO Kannst Du bitte die Zigarette ausmachen? Das ist krebserregend und stinkt! SOPHIE Außerdem ist der Preis von Uran stabiler als der Preis für Rohöl. Und man kann es länger im voraus einlagern als Rohöl. HUGO Das Gefühl von Unabhängigkeit macht die Atomenergie also attraktiv! Seit wann rauchst du? SOPHIE Hm, das war nur ein kleiner Test. HUGO Aha. Weiß man eigentlich, wie viel Uran es noch gibt? SOPHIE In der Wissenschaft schätzt man, dass es noch circa 50 Jahre lang ohne allzu große Mühen abgebaut werden kann. HUGO Wieso ohne allzugroße Mühen? SOPHIE So wie bei Öl: je mehr es gibt, desto leichter findet man 18

es. Später wird die Gewinnung immer schwerer! Man denkt heute sogar schon daran, in Meerwasser gelöstes Uran herauszufiltern. HUGO Aber die nächsten fünfzig Jahre gibt es noch genug Uran! SOPHIE Nicht sicher! In den letzten Jahrzehnten konnte man wegen der weltweiten Abrüstung aus Atomwaffen relativ günstig Brennstoff gewinnen. Daher vernachlässigte man die teure Suche nach neuen Uranerzquellen. Heute sucht man wieder verstärkt, doch das dauert. Darum rechnen manche schon in wenigen Jahren mit Nachschubproblemen! HUGO Ich hab gehört, dass die abgebrannten Uranbrennstäbe recycelt werden können. Dann verbraucht man kein frisches Uran. SOPHIE In einer Wiederaufarbeitungsanlage kann gebrauchtes Uran mit viel Aufwand aus den abgebrannten Brennstäben herausgelöst werden. Doch bevor es im Atomkraftwerk als Brennstoff verwendet werden kann, muss es noch angereichert werden. Und dafür braucht man wieder frisches Uran! Wesentlich weniger als die Hälfte des für Atomkraftwerke benötigten Urans stammt aus der Wiederaufarbeitung und aus alten Atomwaffen. Der große Rest muss erst recht in Bergwerken neu abgebaut werden! HUGO Du, SOPHIE, man sagt, der Abbau von Uran ist umweltschädlich. SOPHIE Ein Großteil des radioaktiven Abfalls wird schon beim Abbau des Urans erzeugt. Für jede einzelne Tonne Brennstoff müssen mehrere tausend Tonnen Erz aus der Erde gesprengt werden. Große Mengen an radioaktivem Schutt bleiben zurück. Ich kenne Orte in den USA und in Deutschland, da lagern mehr als 100 Millionen Tonnen radioaktiver Abfälle aus ehemaliger Urangewinnung!

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HUGO Einfach so? SOPHIE Ja, einfach so, an der Oberfläche der Erde. Eine intensive Nutzung von Atomenergie braucht auch ein dichtes Netz von Transportwegen für Brennstoff und Abfall. Beschädigte Öltanker, Pipelines und Bohrinseln haben oft schon katastrophale Auswirkungen. Jetzt stell dir einmal vor, es handelt sich dabei auch noch um radioaktives Material! HUGO SOPHIE, magst du mit mir ein Eis essen? SOPHIE HUGO, jetzt wird's erst richtig spannend! Wusstest du, dass die Atomenergie ihre Wurzeln in Militärprojekten des Zweiten Weltkriegs hat? Immer wenn man Atomenergie für friedliche Zwecke nutzt, kann sie gleichzeitig auch für kriegerische Zwecke genutzt werden! Zivile und militärischer Nutzung sind leider nicht trennbar!

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HUGO Wieso kann man das nicht trennen? SOPHIE Es gibt verschiedene Uranatome. Nachdem das Uranerz gereinigt wurde, besteht es hauptsächlich aus Uran vom Typ 238 und einem kleinen Anteil an Uran vom Typ 235. Die meisten Atomkraftwerke benötigen jedoch einen etwas höheren Anteil an Uran 235, damit das Uran als Brennstoff verwendet werden kann.

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SOPHIE Diese Uranmischung ist für Waffen jedoch ungeeignet. HUGO Wo ist dann das Problem? SOPHIE Dem Brennstoff kann man auch mehr Uran 235 beimischen. Das nennt man dann "hoch angereichertes Uran". HUGO Und das kann dann für Waffen verwendet werden? SOPHIE Genau! Die Brennstoff-Fabriken sind klein und können gut versteckt gebaut werden. Aber die meisten Länder machen es ganz offiziell! HUGO Oje oje! Das sind doch alles Schurken! SOPHIE

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Ein Problem ist auch der Stoff namens Plutonium, welcher immer auch während der Kernspaltung entsteht. Plutonium wird aus den alten Brennstäben herausgelöst und in großen Mengen gesammelt.

SOPHIE Plutonium eignet sich bestens für Atomwaffen, man hat schon so viel, dass man mindestens hunderttausend Plutoniumbomben bauen kann!

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HUGO Du machst mir Angst! SOPHIE Du siehst, jedes Atomkraftwerk kann auch einen militärischen Nutzen erfüllen. Das Problem ist, dass Länder, die sich mit dem Bau von Atomwaffen auskennen, dieses Wissen anderen Staaten weitergeben könnten. Expertinnen und Experten nennen das Proliferation. HUGO Proliferation also. Aha. Das kann ich mir nicht merken. SOPHIE Es wird angenommen, dass man das nicht verhindern kann. Die mögliche kriegerische Nutzung ist eines der großen ungelösten Probleme der Nutzung von Atomenergie. Mir fällt grad was ein. “The next generation … “

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HUGO The next generation? Das ist doch diese Fernsehserie mit dem Raumschiff… SOPHIE Nicht doch! Man plant jetzt die nächste Generation von Atomreaktoren. HUGO Ach so! Erzähl mir mehr! SOPHIE Nachdem in Atomkraftwerken einige schlimme Unfälle passierten, wusste man, dass doch nicht alles so sicher ist wie angenommen. Denk nur an Tschernobyl! Dort explodierte ein Reaktor und schleuderte Unmengen von radioaktivem Material in die Atmosphäre. Danach regnete es weltweit strahlende Substanzen auf die Erde nieder, Länder wurden verstrahlt, die Menschen mussten aufpassen, was sie essen. In der Nähe des Kraftwerks musste die Bevölkerung ihre Städte für immer verlassen, Kinder kamen mit Behinderungen auf die Welt. Es war furchtbar!

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HUGO Und was hat das mit der neuen Generation von Kraftwerken zu tun? SOPHIE Nach den katastrophalen Unfällen wie in Tschernobyl wurde weltweit versucht, die alten Systeme sicherer zu machen. Trotzdem gibt es bis heute noch immer viele ungelöste Probleme. Seit einigen Jahren steckt die Atomindustrie sehr viel Geld in die Entwicklung völlig neuer KraftwerksKonzepte. Diese mittlerweile 4. Generation soll nicht nur sicherer werden, es gibt auch einige grundlegende Veränderungen. Einige neue Reaktoren werden so konstruiert, dass sie viel heißer werden, damit der Industrie in Zukunft viel höhere Temperaturen zur Verfügung stehen. Sie werden mit Metallen oder Salzen gekühlt, die bei den hohen Temperaturen flüssig sind! HUGO Spannend! Wie ein Science Fiction Film! SOPHIE

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Die technischen Anforderungen sind wirklich sehr groß, das wird noch einige Jahrzehnte dauern. Man fordert niedrige Kosten. Gleichzeitig will man aber auch schwere Unfälle verhindern. Und die militärische Nutzung soll erschwert werden. Und man will möglichst wenig Atomabfall erzeugen.

SOPHIE In einer Studie wurde aber nachgewiesen, dass das alles gar nicht gleichzeitig umgesetzt werden kann. Alle Maßnahmen Kosten viel Geld. HUGO Warum arbeitet man an Projekten, die nicht realistisch sind? SOPHIE Die neue Generation bringt frischen Wind in die Atomenergie. Jetzt, wo verstärkt über alternativen Energien geredet wird, kommt das für die Atomindustrie sicher nicht ungelegen! HUGO Ich finde es aber sehr gut, wenn man die gefährlichen Kraftwerke verbessert! 27

SOPHIE Ja klar ist das gut. Es fordert die Wissenschaft zu Höchstleistungen heraus. Aber etwas bereitet mir großen Kummer: Beim Verbrennen, also Spalten von Uran entsteht immer auch Plutonium. Das eignet sich sehr gut als Brennstoff und für Atomwaffen. Ein Atomkraftwerk kann nun so gebaut werden, dass besonders viel Plutonium anfällt. Das Kraftwerk erzeugt gleichzeitig Strom und neuen Brennstoff. HUGO Oh, das ist also die Neuigkeit! Wie praktisch! SOPHIE Neu? Nicht im Geringsten! Schon vor vielen Jahren wurden solche Kraftwerke getestet. Man nennt sie “Schnelle Brüter”. HUGO Schnelle Brüter? Brüten sie das Plutonium aus, wie die Henne das Ei? SOPHIE So ungefähr. Aber nach schweren technischen Problemen hat man sich dafür entschieden, auf die “Schnellen Brüter” in Zukunft wieder zu verzichten. HUGO Gut so! SOPHIE Doch jetzt sollen Brüter technisch verbessert weltweit wieder gebaut werden! Das hat natürlich einen guten Grund! Uran gibt es nicht mehr so viel. Daher fällt diese Möglichkeit zunehmend weg oder wird zumindest sehr teuer. Aber es gibt noch einen anderen Stoff, der zum Brüten geeignet ist: nämlich Thorium. Davon hat man in Indien große Mengen gefunden! HUGO Aha. Ganz schön verwirrend. Uran, Plutonium, Thorium … Und warum ist ein Brüter so gefährlich? SOPHIE Vor allem, weil das, was dort gebrütet wird, hoch radioaktiv und sehr giftig ist. Wenige Millionstel Gramm davon können schon Lungenkrebs bewirken. Theoretisch reichen einige Kilogramm, um die gesamte Menschheit zu töten.

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HUGO Oh… SOPHIE Das ist wie gesagt nur theoretisch richtig, weil es vermutlich schwierig sein würde, allen Menschen gleichzeitig Plutonium in die Lunge zu blasen. HUGO Ja. Und man wird doch sicher aus den bisherigen Erfahrungen lernen und alles so bauen, dass das Plutonium und das Uran nicht in die falsche Hände kommt. SOPHIE Naja. So viel Erfahrung hat man mit schnellen Brütern auch noch nicht. Es wird eher befürchtet, dass solche Kraftwerke gebaut werden, bevor alle diese Probleme gelöst sind. HUGO Gerade zu Zeiten einer Energiekrise gut möglich! SOPHIE Es bleibt ein Widerspruch: Die 4. Generation soll angeblich so gebaut werden, dass militärischer Missbrauch unmöglich wird. Doch eigentlich wird das Problem noch viel größer. In den Kraftwerken der neuen Generation wird noch mehr atomwaffenfähiges Material entstehen als bisher. Dass da weder Wissen noch radioaktives Material in falsche Hände gerät, kann nicht sicher ausgeschlossen werden! HUGO, ich zeige dir jetzt noch einmal, was mit dem Uran passiert. Schau mal her. Zuerst wird das Uranerz abgebaut. Dann wird Uran extrahiert und die Brennstäbe erzeugt. Dann wird das Uran gespalten. Übrig bleiben unzählige ausgebrannte Brennstäbe. HUGO Wohin kommen die dann? SOPHIE Sie werden einige Jahre auf dem Atomkraftwerksgelände in speziellen Nassbehältern abgekühlt. Nun wird aus den abgekühlten Brennelementen in der Wiederaufarbeitungsanlage weiter verwertbares Uran und Plutonium herausgelöst. Der nicht verwertbare hochradioaktive Atommüll-Rest wird in Stahlbehältern trocken zwischengelagert. Diese Zwischenlager schützen aber nicht ausreichend gegen äußere Einwirkungen wie Erdbeben, Flugzeugabstürze oder Bombardierung. Darum ist

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es wichtig, den Abfall möglichst bald in ein besser geschütztes Endlager zu überstellen. HUGO Und wo ist das Endlager genau? SOPHIE Es ist unglaublich aber wahr: Für den stark radioaktiven Abfall gibt es das noch gar nicht! HUGO Es laufen schon über 400 Reaktoren, und es gibt noch kein Endlager? Für wie lange strahlt denn der Atommüll? SOPHIE Eine unvorstellbar lange Zeit. Die Atomindustrie spricht gerne von nur Tausenden Jahren, manche Bestandteile des Atomabfalls strahlen aber für mehrere Millionen Jahre! HUGO Das hört sich aber lang an. SOPHIE Ja, das ist sehr lange. In so vielen Jahren wissen die Menschen dieser Welt nicht mehr, wer ihnen den Abfall vererbt hat.

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HUGO Und was machen die Konzerne, die die Atomkraftwerke betreiben, jetzt mit dem Atommüll? SOPHIE Hm. Das ist das Problem. Man weiß es nicht! Man hat überlegt, die radioaktiven Reste im antarktischen Eis zu vergraben, auf oder unter den Meeresgrund oder sogar in den Weltraum zu befördern. Es ist paradox, aber obwohl die Menschen schon seit mehreren Jahrzehnten stark radioaktiven Abfall produzieren, gibt es dafür noch kein Endlager. HUGO Aber die Verantwortlichen müssen doch irgendwelche Ideen haben, was mit dem Müll passieren soll? SOPHIE Wie immer wird heftig gestritten. Die einen wollen den Atommüll gut schützen und daher in versiegelten Lagerstätten tief in der Erde vergraben. HUGO Juhu, aus den Augen … SOPHIE … aus dem Sinn! Die anderen fordern, dass der Abfall kontrollierbar und erreichbar bleibt, für alle Fälle. HUGO Mhm. SOPHIE So oder so, man muss erst einmal eine Gesteinsformation finden, die auf jeden Fall für Millionen Jahre unversehrt bleibt! HUGO Was soll denn so weit unter der Erde passieren? SOPHIE Unsere Erde verändert sich ständig! Man muss über Millionen Jahre die Bewegung der Erdschichten, unterirdische Wasserwege, Vulkanismus oder Ausschürfungen von zukünftigen Gletschern genau voraussagen. Sonst könnte sich der radioaktive Abfall unkontrolliert in der Biosphäre ausbreiten.

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HUGO Hmm, eine Million Jahre, wie viele Fußballweltmeisterschaften sind das? SOPHIE Aber du musst gar nicht so weit voraus denken! In Deutschland ist das Versuchslager für schwach radioaktiven Abfall in Asse schon jetzt akut einsturzgefährdet, seit Jahren dringt unkontrolliert Wasser ein. Die Naturwissenschaft stößt hier einfach an die Grenzen der Vorhersagefähigkeit. HUGO Habe ich das also richtig verstanden? Die einen wollen den Müll vergraben und unerreichbar machen, die anderen wollen, dass der Müll zugänglich und kontrollierbar bleibt? SOPHIE Genau! Und beides hat seine Vor- und Nachteile! Deshalb fällt eine Entscheidung auch nicht leicht! HUGO Aber was genau macht man nun mit dem vorhandenen Atommüll? SOPHIE Keine Ahnung! Wir haben ein Atommüll-Problem, weil die Menschen Atomenergie nutzen. Ungefähr seit 50 Jahren, und vielleicht noch weitere 50 Jahre. Danach wird davon nichts überbleiben außer der Müll. Spätestens dann werden die Menschen auf alternative Energiequellen umsteigen müssen. Doch denk einmal an die unzähligen Generationen von Menschen der nächsten Million Jahre! Ihnen bleibt von der Atomenergie nichts, aber wirklich nichts, außer unser Atommüll! Ich bin der Meinung, dass der bereits erzeugte Atommüll rund um die Uhr sicher gelagert und überwacht werden muss. Das ist aber sehr unangenehm. Daher sollten die Menschen so bald wie möglich keinen weiteren Atommüll mehr erzeugen. HUGO Warum versucht der Mensch eigentlich, sein Energieproblem auf die komplizierteste Art zu lösen, wenn er es schon längst besser kann? SOPHIE Du meinst jetzt erneuerbare Energien? HUGO

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Und Energiesparen! SOPHIE Effizientere Nutzung der Energie nicht zu vergessen! HUGO Zeigst du mir mal, wie ein Sonnenkollektor funktioniert? SOPHIE Alles der Reihe nach. Hab ich dir schon erzählt …

ENDE

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