Product Placement in Deutschland

Die Autorin: Anastasia Hermann, geb. 1985, studierte Medienwissenschaft, Politik und Osteuropäische Geschichte in Bonn. 2007 Abschluss als Magistra Ar...
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Die Autorin: Anastasia Hermann, geb. 1985, studierte Medienwissenschaft, Politik und Osteuropäische Geschichte in Bonn. 2007 Abschluss als Magistra Artium, Promotion in Bonn Im Jahr 2010. Zwischen 2007 und 2011 bei der Deutschen Welle in Bonn in der Chefredaktion und OsteuropaRedaktion tätig. Seit 2011 Marketing und Research Managerin mit Schwerpunkt Medien und Telekommunikation bei PricewaterhouseCoopers in Düsseldorf.

Beiträge zur Analyse und Entwicklung der Medien

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Hermann

Inhalt: Stellt Product Placement eine bösartige Fehlentwicklung dar oder löst es erstarrte und verkrampfte Strukturen in unserem Mediensystem? Gehört es rigoros verboten oder kann es gemeinwohlorientiert reguliert werden? Das Phänomen sorgt in zyklischer Abfolge für hitzige Diskussionen, große Hoffnungen und noch größere Skandale. In diesem Buch wird der Problemkomplex Product Placement einer interdisziplinären Analyse unterzogen. Anschließend werden die Möglichkeiten von Governance-Regulierung im Medienbereich am Beispiel von Product Placement untersucht, um schließlich ein praxis- und lösungsorientiertes Regulierungskonzept für Product Placement in der Bundesrepublik Deutschland zu entwickeln.

Product Placement in Deutschland

Anastasia Hermann

Product Placement in Deutschland Einsatz und Regulierung

ISBN 978-3-8329-7575-3

Nomos BUC_Hermann_7575-3.indd 1

15.05.12 09:06

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Beiträge zur Analyse und Entwicklung der Medien herausgegeben von Prof. Dr. Michael Krzeminski Prof. Dr. Andreas Schümchen

Band 2

BUT_Hermann_7575-3.indd 2

14.05.12 11:11

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Anastasia Hermann

Product Placement in Deutschland Einsatz und Regulierung

Nomos

BUT_Hermann_7575-3.indd 3

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© Titelbild: istockphoto.com

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Zugl.: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Univ., Diss., 2010 ISBN 978-3-8329-7575-3

1. Auflage 2012 © Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2012. Printed in Germany. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung

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1 Gegenstandsbereich 2 Aufbau der Arbeit 3 Forschungsstand

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I Das Phänomen Product Placement 1 Begriffsdefinition 1.1 Der Begriff »Product Placement« 1.2 Abgrenzung zur Schleichwerbung 1.3 Arbeitsdefinition des Begriffs »Product Placement«

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2 Geschichtliche Entwicklung 3 Aktuelle Relevanz

37 42

II Das Mediensystem der Bundesrepublik Deutschland 1 Entwicklung des Rundfunks in der Bundesrepublik Deutschland 2 Fernsehwerbung in der Bundesrepublik Deutschland

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III Wirtschaftlicher Hintergrund 1 Marketing als Unternehmensführungsstrategie 1.1 Marketingmix 1.2 Markenkommunikation: »Communication is the foundation of brand relationships« (Percy 2008, 8) 2 Werbung als Kernteil der Kommunikationspolitik 2.1 Definition und Klassifizierung 2.2 Werbewirkung 2.3 Probleme der (klassischen) Werbung 2.4 Sonderwerbeformen

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IV Das Marketinginstrument Product Placement im Einsatz 1 Erscheinungsformen 2 Integrationsmöglichkeiten 3 Operationalisierung 4 Wirkung auf Rezipienten 5 Zusammenfassung: Vor- und Nachteile für Unternehmen und Medien 6 Weiterentwicklung der Werbeform Product Placement

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V Rechtliche und politische Rahmenbedingungen 1 Rechtliche Rahmenbedingungen 1.1 Das Medienrecht 1.2 Das Rundfunkrecht 1.3 Das Werberecht 1.4 Rolle der europäischen Mediengesetzgebung 1.5 Europäische Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste 2 Politische Rahmenbedingungen 2.1 Regulierung 2.2 Governance 2.3 Media Governance VI Rechtliche Einordnung von Product Placement und Neuerungen durch die Europäische Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste 1 Bisherige rechtliche Handhabung 2 Neuerungen durch die Europäische Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste 2.1 Bundesrepublik Deutschland 2.2 Im internationalen Vergleich VII Regulierung von Product Placement 1 Regulierungsmaterie Product Placement 1.1 Umgang der Politik und Öffentlichkeit mit dem Thema Product Placement 1.2 Bisherige Regulierung von Product Placement 2 Governance-Elemente in der Medienregulierung der Bundesrepublik Deutschland 2.1Regulierung des Jugendmedienschutzes 2.2 Werbeselbstregulierung 3 Media Governance im internationalen Vergleich 4 Governance-Regulierung von Product Placement 4.1 Entscheidungsfindung für Governance-Regulierung 4.2 Verortung von Product Placement in Governance-Strukturen 4.3 Governance-Modell 4.4 Governance-Konzept für Product-Placement-Regulierung in der Bundesrepublik Deutschland 4.4.1 Beteiligte Akteure 4.4.2 Governance-Form 4.4.3 Zielsetzung der Regulierung und Regulierungsinhalte 4.4.4 Kontrolle und Sanktionierung 4.4.5 Rolle der Öffentlichkeit 8

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4.4.6 Governance-Konzept für Product Placement-Regulierung

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VIII Schlussbetrachtung 1 Zusammenfassung 2 Ausblick

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Quellenverzeichnis

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Einleitung

Product Placement in den Medien – eine Erscheinung, die ununterbrochen für hitzige Diskussionen, große Hoffnungen und noch größere Skandale sorgt. Stellt Product Placement eine bösartige Missbildung in der Medienlandschaft dar oder löst es die verkrampften und erstarrten Strukturen der Mediensysteme? Soll es rigoros verboten werden oder kann es gemeinwohlorientiert reguliert werden? Solche Fragen beschäftigen die Öffentlichkeit gleichermaßen wie die Wissenschaft nicht erst seit ein paar Jahren. Und trotzdem fehlt es nicht nur an fundierten praxisorientierten Antworten, sondern sogar an elementaren verlässlichen Begriffsdefinitionen. Die Novelle der Europäischen Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste, die eine Klärung der verworrenen Situation um das Phänomen Product Placement bringen sollte, hat die Diskussionen von Neuem entbrennen lassen aber nicht die erhoffte endgültige Lösung herbeigeführt. Der Begriff »Product Placement« ist überdurchschnittlich oft in der Fach- und Publikumspresse präsent, jedoch wird vieles fälschlicherweise als »Product Placement« bezeichnet – eine Vermischung verschiedener Kommunikationsformen entsteht nicht nur in den Köpfen der Rezipienten, sondern auch in der wissenschaftlichen Literatur. Bisher wurde wissenschaftliche Beobachtung und Einordnung des Phänomens Product Placement aus den Perspektiven unterschiedlicher Disziplinen versäumt. Diese Lücke zu schließen ist das erste Ziel der vorliegenden Arbeit. Product Placement als Kommunikationsinstrument und der gesamte damit verbundene Problemkomplex werden identifiziert und einer interdisziplinär angelegten Analyse unterzogen. Aber nur mit Problemidentifizierung ist das Problem noch nicht gelöst. Mit medizinischen Termini ausgedrückt: Eine klare Diagnose ist zwar schon ein wichtiger Schritt zur Heilung, es bedarf aber noch eines geeigneten Therapieansatzes. Die Entwicklung einer Therapie in Form eines praxis- und effektivitätsorientierten Regulierungskonzepts für Product Placement in der Bundesrepublik Deutschland stellt das zweite Ziel dieser Arbeit dar. Product Placement entwickelte sich während des letzten Jahrzehnts zu einem Geschäftszweig mit weltweitem Umsatz von mehreren Milliarden US-Dollar. Obwohl der Löwenanteil an diesen Milliarden bislang in den USA umgesetzt wird, erstarkt die Product-Placement-Industrie auch in Europa. Product Placement ist zu einem Dauergast im Fernsehprogramm und in Kinofilmen geworden, Computerspiel-Entwickler bedienen sich immer öfter des innovativen Gestaltungs- und Finanzierungsinstruments und sogar in der Literatur macht Product Placement bereits seine ersten Gehversuche. Viele Unternehmen machen Product Placement zum festen Bestandteil ihrer Markenkommunikation, obwohl nur sehr 11

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wenige verlässliche Studien zur Wirksamkeit des Instruments vorliegen und die Unternehmen folglich gezwungen sind, praktisch im Dunklen zu agieren. In Europa wurde der Einsatz bisher zusätzlich durch eine unklare bis negative rechtliche Situation erschwert. Die Tatsache, dass Product Placement trotz dieser Probleme im Fokus der Marketingleute liegt und mit einer steigenden Tendenz eingesetzt wird, zeugt davon, dass es sich dabei nicht um eine Modeerscheinung, sondern um ein neues relevantes Element des Mediensystems handelt, womit man sich wissenschaftlich auseinandersetzen muss. Product Placement ist ohne Zweifel eine Form der Unternehmenskommunikation. Ob es sich dabei um eine rein absatzfördernde, rein imageverbessernde oder werbliche Kommunikation im klassischen Sinne handelt, wird noch in dieser Arbeit zur Diskussion stehen. Festzuhalten ist, dass Product Placement sowohl von der Wirtschaftsseite, als auch von den Medien und den Rezipienten dem umfangreichen und komplexen System Werbung zugeordnet wird. Die Rolle der Wirtschaftswerbung im Mediensystem wurde nie ausschließlich positiv beurteilt. Die Werbung stand und steht immer noch unter dem permanenten Verdacht, die Menschen gegen ihren Willen zu bestimmten Handlungen zu bewegen und sie im Sinne von Wirtschaftsunternehmen zu beeinflussen. Diese Ansicht hat der amerikanische Autor Vance Packard bereits im Jahre 1957 in seinem Buch »Die geheimen Verführer« (Packard 1957) eindrucksvoll vertreten. Dabei ist die Wirtschaftswerbung, spätestens seitdem sie mit der ersten Fernsehwerbeausstrahlung im Jahre 1956 auch das Massenmedium Fernsehen erreicht hat, fest im bundesdeutschen Medienalltag etabliert (s. Müller 1997, 64). In den folgenden Jahrzehnten stieg der Anteil der Fernsehwerbung am Gesamtwerbekuchen beträchtlich (s. Heffler/Möbus 2006, 315ff.). Gleichzeitig wuchs auch das Gesamtwerbevolumen, sodass die Werbung als Dauerberieselung in vielen Lebensbereichen empfunden wird. Mit dem wachsenden Volumen (oder gerade wegen des wachsenden Volumens) sinkt aber die Effektivität der klassischen Werbung. Um die entstehenden Lücken zu schließen, müssen die Wirtschaftsunternehmen entweder noch mehr Werbung schalten, was wie ein Teufelskreis zur weiteren Inflation der Werbeinvestitionen führt, oder neue Wege gehen und neue Werbeformen, die bei den Menschen auf weniger Abwehr als die klassische Werbung stoßen, in Anspruch nehmen. Während des letzen Jahrzehnts geschah diese Anpassung vorwiegend auf dem Weg der Integrierung werblicher Botschaften in redaktionelle Kontexte. Angefangen mit der Unterbrecherwerbung, ging der Weg über Integration von Sponsorenhinweisen zur sogenannten »soften« (s. Müller 1997, 92) Werbung, anders bezeichnet als »Werbung-below-the-line« (s. Auer/Diederichs 1993, 11ff.). Darunter werden grundsätzlich alle Formen der integrierten werblichen Kommunikation verstanden, die den »harten« Grundsatz der Trennung zwischen Werbung und redaktionellem Inhalt bzw. Programm auf diese oder jene Weise umgehen. Dadurch sollen höhere Glaubwürdigkeit und geringe12

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re Reaktanz erreicht werden. Zudem hoffen die Werbetreibenden, durch die Integration der Werbung die Werbevermeidungsstrategien der Rezipienten umgehen zu können. Unproblematisch ist eine solche Entwicklung nicht, vor allem vor dem Hintergrund, dass die Werbung seit ihrem Einzug ins Mediensystem als (negativer) Gegenpol zu den (positiven) journalistischen und redaktionellen Inhalten gesehen wird. Die Werbung als Zerstörer der Kultur und Vernichter der Medienvielfalt ist zum festen Stereotypus geworden, der beinahe ausnahmslos jede Diskussion um die Rolle der werblichen Kommunikation im Mediensystem prägt. Dabei ist nicht zu übersehen, dass eine solche dichotome Sichtweise einerseits die Probleme zu sehr vereinfacht. Andererseits macht sie die Probleme erheblich schwerer lösbar, weil Kompromissmöglichkeiten von vornherein ausgeschlossen werden. Bei der Gegenüberstellung zwischen Medien und Werbung oder Journalismus und Werbung wird allzu gerne übersehen, dass ohne die Werbung die Medienvielfalt nicht mehr zu finanzieren und damit erheblich eingeschränkt wäre. Gleichzeitig erteilt man mit pauschalen Beschuldigungen den Werbetreibenden eine Art »Narrenfreiheit«, denn wenn die Unternehmen durch qualitativ schlechte Werbung praktisch keine Imageverluste riskieren, besteht eine wesentlich geringere Bereitschaft, in die Werbeforschung und Entwicklung guter, das Mediensystem bereichernde Kampagnen zu investieren. Beschreitet man den Weg der Kooperation statt Konfrontation und legt man die wertbeladenen Grundsatzkonflikte zur Seite, besteht Hoffnung, einige festgefahrene Probleme praxisorientiert lösen zu können. Bis zum Jahr 2009 (und teilweise auch darüber hinaus) war der Einsatz softer Werbeformen in den meisten Mitgliedstaaten der Europäischen Union untersagt oder streng reglementiert. Jedoch werden die Verbote und Beschränkungen umgegangen. Die Probleme der Werbetreibenden werden folglich auch in dieser Hinsicht zu Problemen des Mediensystems. Wenn die unerlaubten Mittel sich in einem Mediensystem festsetzen, ohne dabei dessen Basisprinzipien und Struktur zu achten, gerät ein solches Mediensystem ins Wanken. Die Leidtragenden einer solchen Entwicklung können Rezipienten, aber auch Medienanstalten und Werbetreibende sein. Die Sichtweise, die jede Veränderung und Installierung neuer, nicht ganz systemkonformer Elemente im Mediensystem grundsätzlich ablehnt, ist falsch und schädlich. Darauf aufbauende Politik bedient sich zur einfachen populistischen Vermittlung der oben genannten dichotomen Problembetrachtung und trägt in keiner Weise zur Problemlösung bei. Neue Elemente des Mediensystems sind in der Regel in hoch komplexe Interdependenznetzwerke eingesponnen und brauchen folglich verträgliche Lösungen aus der Sicht aller Prozessteilnehmer, also Medien, Werbetreibenden und Rezipienten. Anderenfalls verpuffen die Normierungs- und Steuerungsanstrengungen des Staates ins Leere.

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Eine Kombination aus Liberalisierung, Konvergenz, Globalisierung und technologischem Wandel hat in vielen Bereichen (darunter auch in den Medien) eine staatliche Steuerungskrise ausgelöst, die national wie international die Erkenntnis reifen ließ, komplexe politische Probleme von heute bräuchten andere Lösungen als noch vor 20 Jahren. Alternativen zur einseitigen imperativen Steuerung durch den Staat werden seit einigen Dekaden auf theoretischer Ebene entwickelt und diskutiert, aber auch in der Praxis kommen sie in einigen europäischen Ländern bereits zum Einsatz. Eine weitere Dimension bekommt die Regulierungsproblematik durch den steigenden Einfluss internationaler Gesetzgebung. Für die Bundesrepublik Deutschland sind die Gesetzgebungsprozesse der Europäischen Union in vielen politischen Bereichen zur richtungsweisenden Kraft geworden. Die Europäische Kommission beschäftigt sich seit ihrer Gründung mit Fragen effektiver Regulierung und formuliert neben den allgemeinen Regulierungsberichten für ihre Richtlinien Umsetzungsempfehlungen für die Nationalstaaten. Keine Ausnahme in dieser Hinsicht bildet die im Kontext dieser Arbeit relevante Europäische Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste, worin die Europäische Kommission den Mitgliedstaaten rät, sich mit Formen der Regulierungs-Kooperationen mit nichtstaatlichen Organisationen auseinanderzusetzen. Diese auf den ersten Blick verkomplizierenden Prozesse stellen eine Chance dar, auf eine neue Regulierungsebene zu kommen und werden mit dem in Mode gekommenen Begriff »Governance« bezeichnet. Die Einsicht, dass heutige politische Problemlagen nicht mehr vom autonomen Staat, sondern nur noch durch die Kooperation relevanter Kräfte am »runden Tisch« gelöst werden können, setzt sich immer mehr durch. Gleichzeitig klingen Forderungen nach »gemeinsamen Entscheidungsprozessen von Vertretern des Staats, der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft« (Kleinsteuber 2007, 47) zumindest in der Bundesrepublik Deutschland als realitätsfremd und geradezu utopisch. Das Ziel, alle am politischen Problem beteiligten Akteure und in jedem Fall die Zivilgesellschaft kooperativ an einer Regulierung teilhaben zu lassen, soll weniger als direkte Handlungsanweisung, sondern als erstrebenswertes Ideal verstanden werden. Effektive Regulierung erfordert mittlerweile eine multipolare Auseinandersetzung mit Problemen. Analog dazu müssen wissenschaftliche Untersuchungen aktueller gesellschaftlicher Phänomene interdisziplinär angelegt werden, um relevante und valide Erkenntnisse zu bekommen. Mediale Themen und ganz besonders die im Bereich Werbung liegenden Fragestellungen werden jedoch nach wie vor vorwiegend monodisziplinär behandelt. Die Themen werden komplett aus medien- und kulturwissenschaftlicher oder wirtschaftswissenschaftlicher oder juristischer Perspektive behandelt. Unterdessen betreffen die Zusammenhänge in dem Themenkomplex Werbung nicht selten mehrere Disziplinen gleichzeitig. Dieser Tatsache wird in der überwiegenden Anzahl der Arbeiten dadurch Rechnung getragen, dass die Zusammenhänge aus der »fremden« Disziplin anhand 14

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von Literatur skizziert werden und als Tatsachen in die Analyse mit einbezogen werden. Eine interdisziplinäre Behandlung der Problemstellungen findet nicht statt. Jedoch ist eine solche Herangehensweise an die medialen Themen und ganz speziell an das Thema Product Placement dringend geboten. Der Zusammenhang zwischen Politik, Kultur, Wirtschaft und Recht ist hier besonders eng und muss als ein System untersucht werden. Eine monodisziplinäre Fachbetrachtung kann dagegen nur unzureichende Ergebnisse bieten.1 Bei der Umsetzung der Europäischen Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste unternehmen die Nationalstaaten den Versuch, Product Placement so in das jeweilige Mediensystem einzubetten, dass es sowohl für den journalistischen, als auch für den wirtschaftlichen und öffentlichen Interessenkreis Vorteile bietet oder zumindest akzeptabel ist. Diese Problematik kann nur unter Kenntnis der Beweggründe der genannten Interessenkreise verstanden und analysiert werden. Dieser Herausforderung wird in dieser Arbeit mit einer interdisziplinären Forschungsperspektive auf das Phänomen Product Placement und dessen Regulierungsmöglichkeiten begegnet. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die folgende Studie in vielerlei Hinsicht ein Novum in der deutschsprachigen Literatur darstellt: 1. Zum ersten Mal wird eine Studie zum Thema Product Placement interdisziplinär angelegt und nähert sich dem Problemkomplex aus systemischer Perspektive; 2. Die europäische Gesetzgebung im Medienbereich wird in ihrer gesellschaftlichen und praktischen Wirkung beobachtet und analysiert; 3. Die Arbeit bleibt nicht bei der juristischen Umsetzung stehen, sondern geht noch einen Schritt weiter und beschäftigt sich mit Regulierungsoptionen; 4. Theoretische Erkenntnisse zur Governance-Regulierung werden zusammen mit internationalen praktischen Erfahrungen ausgewertet, um schließlich 5. eine Entscheidungshilfe und ein universelles Governance-Modell zu entwickeln und deren Anwendung am Beispiel von Product-PlacementRegulierung zu veranschaulichen.

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Eine Ausnahme hiervon bilden spezifische juristische Abhandlungen.

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1 Gegenstandsbereich

Die vorliegende Untersuchung hat Product Placement im weiten Sinne und Regulierungsmöglichkeiten für dieses Phänomen zum Gegenstand. Die Wahl von Product Placement als Forschungsobjekt und -gebiet hat mehrere Gründe. Zum einen ist das Feld der integrierten Werbeformen sehr weit und noch nicht klar definiert. Die ausführliche Behandlung aller dazugehörigen Werbeformen würde keine tiefer gehende Untersuchung erlauben oder anderenfalls den Rahmen der Arbeit eindeutig sprengen. Jedoch ist der schlichte Platzmangel nicht ausreichend, um eine Forschungsfeldeingrenzung zu begründen. Der zweite und weit wichtigere Grund der Begrenzung ist, dass das Phänomen Product Placement sich hervorragend eignet, um beispielhaft und sogar stellvertretend für das gesamte Problemfeld die neuen integrierten Werbeformen zu untersuchen. Als ein immer populärer werdendes Element der Markenkommunikation weist Product Placement aus Forschungssicht mehrere Vorteile aus. Erstens hat Product Placement zum heutigen Zeitpunkt eine (verglichen mit anderen integrierten Formen der Markenkommunikation) lange Geschichte. Obwohl Product Placement zu den sogenannten »neuen Werbeformen« gezählt wird, kann man seinen Einsatz bereits in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts nachweisen.2 Die Entwicklung dieser Werbeform hat Spuren in der Gestaltung der Werbebotschaft selbst und im Mediensystem hinterlassen, die über die aktuelle Zeit hinaus wirken und auch neue Formen der Markenkommunikation beeinflussen. Zweitens gehört Product Placement, trotz nicht unerheblicher Definitionsschwierigkeiten,3 zu den am deutlichsten identifizierbaren Phänomenen aus dem Bereich der neuen Werbeformen, was das Risiko von Missverständnissen oder invaliden Erkenntnissen minimiert. Drittens vereint Product Placement alle wesentlichen Merkmale und folglich auch alle damit verbundenen Probleme der soften Werbung und steigert damit die Relevanz der gewonnen Ergebnisse. Das Phänomen Product Placement beschäftigt neben Politik und Öffentlichkeit auch Betriebswirtschaftler und Juristen. Während sich die ersten primär für die Wirksamkeit und das Kosten-Nutzen-Verhältnis beim Product-PlacementEinsatz interessieren, wurde in juristischen Publikationen vor allem untersucht, ob Produktplatzierungen in den Medien zulässig sind. Obwohl die Frage nach allgemeiner Zulässigkeit nach der Umsetzung der Europäischen Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste sich erübrigt haben soll, lässt die juristische Dis2 3

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S. Kapitel IV, Teil 5. S. Kapitel I.

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kussion nicht nach. Die Zulässigkeit von Product Placement kann nur im Bezug auf ein Mediensystem mit seinen speziellen politischen, gesetzlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen untersucht werden. Ohne kommunikationswissenschaftliche Betrachtung der historischen, technischen und politischen Entwicklung des Mediensystems ist keine fundierte Analyse eines Kommunikationsphänomens möglich. Wenn die Rede von »einem Mediensystem« ist, ist in der Regel nicht das universelle abstrakte Mediensystem-Konstrukt gemeint, sondern ein konkretes nationales Mediensystem. Diese Arbeit wird in deutscher Sprache und am Standort Deutschland verfasst, weshalb die Wahl des Mediensystems der Bundesrepublik Deutschland als Untersuchungsbasis offensichtlich ist und keiner weiteren Begründung bedarf. Es ist selbstverständlich, dass auf Deutschland bezogene gewonnene Erkenntnisse nicht universell geltend gemacht und angewendet werden können. Jedoch kann man diesem Problem begegnen, indem man in mehreren Forschungsetappen eins oder mehrere andere nationale Mediensysteme als Vergleich heranzieht. Da die folgende Untersuchung eine starke europäische Dimension hat, liegt es nahe, das Mediensystem eines Mitgliedstaates der Europäischen Union als Vergleichsfall zu untersuchen. Durch die Prozesse der europäischen Integration haben die nationalen Medienlandschaften der Mitgliedstaaten der Europäischen Union signifikante Veränderungen erfahren. Die von den europäischen Institutionen ausgehende Gesetzgebung vereinheitlicht und prägt die Medien in den Nationalstaaten in dem Maße, dass bereits zum heutigen Zeitpunkt vom »europäischen Mediensystem« die Rede ist. Bei der Behandlung der Themen Product Placement und Regulierung ist die Beschäftigung mit den europäischen Strukturen in den Medienlandschaften genauso produktiv wie notwendig. Deshalb werden in mehreren Etappen dieser Untersuchung die gewonnenen Ergebnisse in europäische Dimension gesetzt und aus dem europäischen Blickwinkel betrachtet. Besonders häufig werden die Entwicklungen aus dem Mediensystem Großbritanniens als Vergleichsbeispiel herangezogen. Großbritannien setzte nach dem Zweiten Weltkrieg Standards in der Medienpolitik und bleibt bis heute eines der Zugpferde der europäischen Medien. Der besondere Bezug der britischen Medien zum stark kommerzialisierten US-amerikanischen Mediensystem machen sie für eine Untersuchung, die der Werbung im weiten Sinne gewidmet ist, besonders interessant. Schließlich weist Großbritannien eine im europäischen Vergleich sehr fortschrittliche Medienregulierung auf. Deshalb kann das Vereinigte Königreich, das gewiss nicht in allen politischen Bereichen als musterhaft gelten kann, als Beispiel für erfolgreiche Modernisierung der Medienregulierung und Einbeziehung der Öffentlichkeit in die Mediensteuerungsprozesse herangezogen werden. Eine umfassende Untersuchung des Phänomens Product Placement aus den Perspektiven von Medien-, Politik, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften bildet 17

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die erste tragende Säule dieser Arbeit. Die zweite Säule entsteht aus der Entwicklung eines Regulierungskonzeptes für Product Placement unter Berücksichtigung aller genannten Perspektiven. Bereits an dieser Stelle kann gesagt werden, dass es sich um ein Konzept der Governance-Regulierung, also Regulierung in Kooperation zwischen dem Staat und privaten Akteuren oder Institutionen, handelt. Die praktische Entwicklung des Konzepts wird durch eine umfassende theoretische Einführung in das Thema alternative Regulierung untermauert, was auch die Erörterung klassischer Regulierungstheorien voraussetzt. Die Untersuchung wird dabei bewusst auf der Ebene der Regulierungsform und nicht von Regulierungsinhalten gehalten. Die Regulierung von Product Placement stellt ein konkretes Beispiel dar, woran die Anwendbarkeit des entwickelten Konzepts veranschaulicht werden kann, weshalb eine differenzierte Auseinandersetzung mit inhaltlichen Detailfragen an dieser Stelle der Arbeit nicht sinnvoll erscheint. Für den gesamten Verlauf dieser Arbeit rückt das Medium Fernsehen in den Mittelpunkt der Betrachtungen, weil das Fernsehen nach wie vor das Leitmedium für Product Placement darstellt.4 Obwohl Product Placement gegenwärtig auch in den anderen Medien verstärkt eingesetzt wird (zum Beispiel in Computerspielen, Literatur, Musikvideos), entfällt der Löwenteil der Platzierungen aufs Fernsehen. Um die Darstellung nicht unnötig zu verkomplizieren, beziehen sich die Ausführungen, wenn nicht anders angegeben, auf Entwicklungen und Regulierung dieses Mediums.

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Die Produktplatzierungen in den Spielfilmen, die zweifelsohne das ursprüngliche und weiterhin populäre Umfeld für Product Placement sind, erscheinen in den meisten Fällen auch im Fernsehen. Damit werden auch die Placements enthaltenden Spielfilme zum Teil des Fernsehangebots.

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2 Aufbau der Arbeit

Die vorliegende Untersuchung hat mit Product Placement einen vielschichtigen und komplexen Gegenstand zum Thema, dessen Analyse nur auf Basis einer umfassenden Grundlagendarstellung erfolgen kann. Eine erste Voraussetzung für die Analyse wird mit der Definition des Begriffs »Product Placement« gegeben. Kein anderes Element der Unternehmenskommunikation ist derart von Doppeldeutigkeit und Halbwissen geprägt wie Product Placement. Obwohl Product Placement in seiner heutigen Form mindestens seit 20 Jahren im bundesdeutschen Mediensystem permanent präsent ist, gibt es immer noch keine allgemein zufriedenstellende Definition davon.5 Im Kapitel I werden deshalb zunächst die Definitionsversuche für den Begriff Product Placement vorgestellt und vergleichend analysiert. Anschließend richtet sich das Augenmerk auf das zentrale Begriffsproblem der Abgrenzung des Kommunikationsinstruments Product Placement von anderen Elementen der Unternehmenskommunikation und vor allem von dem Begriff »Schleichwerbung«. Auf Basis dieser Erkenntnisse wird eine Arbeitsdefinition für den Begriff »Product Placement« entwickelt, die für die nachfolgende Untersuchung verwendet wird. Product Placement, obwohl zu den »Neuen Werbeformen« gehörend, blickt bereits auf eine beachtliche Geschichte zurück. Die Darstellung der historischen Entwicklung und die Analyse von aktuellen Beispielen in der bundesdeutschen Medienlandschaft schließen das erste Kapitel ab. Product Placement ist ein Phänomen, das seinen Ursprung im wirtschaftlichen Kontext hat und seine Wirkung im medialen Kontext entfaltet. Schon diese vereinfachte Darstellung, die politische und rechtliche Rahmenbedingungen zunächst außer Acht lässt, legt nahe, Product Placement parallel aus den wirtschaftswissenschaftlichen und medienwissenschaftlichen Perspektiven, also interdisziplinär, zu erläutern. Die Darstellung des Mediensystems der Bundesrepublik Deutschland eignet sich bestens für den Einstieg in die Analyse. Im Kapitel II werden dessen Struktur, Funktionsweisen und Entwicklungstendenzen untersucht. Besondere Aufmerksamkeit bei den Ausführungen wird der Entwicklung des Mediums Fernsehen, der Rundfunkorganisation und der Fernsehwerbung gewidmet.

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Die 2010 durch den 13. RäStV ins deutsche Recht eingeführte Definition des Begriffs »Produktplatzierung« kann nicht den Status einer allgemeingültigen Definition beanspruchen und wird in Kapitel I nicht behandelt.

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Kapitel III widmet sich den wirtschaftlichen Grundlagen für den Einsatz und die Entwicklung von Product Placement. In den letzten Jahrzehnten vollzog sich ein Wandel in den Marketingstrukturen der Unternehmen. Der Unternehmenskommunikation wurde eine immer wichtigere Rolle zugeteilt. Der Produktwettbewerb wurde auf den gesättigten Märkten der industriellen und postindustriellen Länder zum Kommunikationswettbewerb der Marken. Unter diesen Bedingungen reichen die traditionellen Konzepte der Kommunikationspolitik allein nicht mehr aus, um im Wettbewerbskampf zu bestehen. Die aktuellen Stichwörter heißen Integrierte Kommunikation, die einen abgestimmten Mix aus klassischen und »neuen« Kommunikationsinstrumenten beinhaltet (Berndt/Hermanns 1993, 14), oder Kontextbasierte Markenkommunikation, Einbettung der Marketingbotschaften in die Lebenskontexte (Baetzgen 2007). Aber nicht nur strategische Konzeptionen haben sich im Laufe der Zeit gewandelt. Auch die Instrumente der Unternehmenskommunikation wurden den Anforderungen der übersättigten Märkte, digitalen Medienwelt und Informationsüberflutung angepasst. Obwohl die klassische Werbung als DAS Mittel der Kommunikationspolitik ihre Königsposition (noch) nicht verloren hat, muss sie mit wachsenden Schwierigkeiten und Ineffektivität kämpfen. Weitere mediale und medienferne Kommunikationstechniken werden entwickelt, die trotz ihrer äußerster Heterogenität immer noch unter dem allgemeinen Schlagwort »Sonderwerbeformen« zusammenfasst werden. Das Kapitel IV beschäftigt sich mit Product Placement als einem Instrument der Marketingkommunikation. Zunächst wird auf die Erscheinungsformen und Integrationsmöglichkeiten von Product Placement eingegangen und anschließend die wichtigsten Studien zu Wirkung und werblicher Wirksamkeit vorgestellt. Die Zusammenfassung der Vor- und Nachteile von Product Placement für werbetreibende Unternehmen und Medienanbieter runden das Kapitel ab und liefern eine erste Ergebnisbilanz. Da die Entwicklung der Werbung und Kommunikationsformen nicht mit der Erfindung von Product Placement aufhörte bestehen heute bereits zahlreiche neuere Werbeformen, die teilweise als direkte Weiterentwicklung von Product Placement gesehen werden können. Diese werden am Ende des vierten Kapitels vorgestellt, auch um einen Ausblick darauf zu bieten, welche medienpolitische Herausforderungen die Zukunft (und unter Umständen schon die Gegenwart) bietet. Bis zu dieser Stelle wurden rechtliche und politische Betrachtungswinkel auf Product Placement in der Arbeit ausgespart. Dabei machen erst die rechtlichen und ihnen folgend auch die politischen Auseinandersetzungen das behandelte Kommunikationsinstrument zum Problemkomplex mit wissenschaftlicher Relevanz. Kapitel V beschäftigt sich mit den rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen für Product Placement. Dabei wird im ersten Teil auf das allgemeine Medienrecht und das Rundfunkrecht in der Bundesrepublik Deutschland eingegangen und dann die Rolle der europäischen Gesetzgebung für das nationale 20

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Medienrecht eruiert. Besondere Aufmerksamkeit wird der Europäischen Richtlinie für audiovisuelle Dienste geschenkt. Die Richtlinie dient zum einen als Beispiel der europäischen Gesetzgebung und hat zum anderen wegen der enthaltenen Regelungen zu Produktplatzierungen höchste Relevanz für den Untersuchungsgegenstand. Gesetze und Normen sind untrennbar mit dem politischen System und der jeweiligen politischen Situation verbunden. Die Medienpolitik ist die Grundlage für die Regulierung des Mediensystems, darunter auch für Product Placement. Die Suche nach einem geeigneten Regulierungskonzept für Product Placement ist eins der beiden zentralen Ziele dieser Arbeit. Um dieses Ziel zu erreichen, werden im zweiten Teil des Kapitels V theoretische Grundlagen der staatlichen Regulierung und alternative Regulierungsformen dargestellt. Es wird darauf eingegangen, warum aktuelle politische Probleme den Einsatz von Governance notwendig machen und welche Umstände diesen Einsatz begünstigen oder überschatten können. Abschließend wird Governance in den Kontext der Medienregulierung eingeführt um zu demonstrieren, welche speziellen Herausforderungen die Aufgabenstellungen aus dem Medienbereich an die Regulierung stellen. Die juristische Auseinandersetzung um das Thema Product Placement nimmt bereits seit Jahrzehnten einen beachtlichen Platz in den Fachpublikationen zum Medienrecht ein. Bis 2010 existierte nicht einmal ein rechtlich definierter Begriff »Product Placement«, was zur Klarheit der rechtlichen Regelung sicherlich nicht beigetragen hat und die Diskussion wenig produktiv machte. Die bisherige rechtliche Handhabung des Phänomens Product Placement wird im Kapitel VI dargestellt und analysiert, bevor ausführlich auf die Product-Placement-bezogenen Neuerungen durch die Europäische Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste und deren Umsetzung in Deutschland und im intraeuropäischen Vergleich mit besonderem Augenmerk auf Großbritannien eingegangen wird. Product Placement kann nicht nur als ein Kommunikationsinstrument, sondern auch als eine Regulierungsmaterie betrachtet werden. Diese Sichtweise absorbiert alle bisher behandelten Perspektiven und kann als eine Vogelperspektive bezeichnet werden. Das erklärt sich dadurch, dass eine effektive Regulierung Sichtweisen und Interessen aller an einem Problem beteiligten Seiten berücksichtigen muss und diese dann anhand der Perspektive und den Zielen des Regulierers einordnet. Der Umgang von Öffentlichkeit und Politik mit dem Phänomen Product Placement sowie die bisherige Regulierung, die im ersten Teil des Kapitels VII thematisiert werden, zeigen sehr deutlich, dass die unternommenen Regulierungsversuche nicht erfolgreich waren und von der Gesellschaft nicht akzeptiert wurden. Es wird die Hypothese aufgestellt, dass rein staatliche Regulierung nach so einem massiven Regulierungsversagen nicht das geeignete Regulierungsmittel ist, um Product-Placement-Probleme zu lösen.

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Die Chancen einer erfolgreichen Governance-Regulierung hängen nicht zuletzt davon ab, welche Erfahrungen die Gesellschaft bisher mit solchen Steuerungsinstrumenten gemacht hat. Governance-Elemente in der Medienregulierung der Bundesrepublik Deutschland werden im zweiten Teil erörtert. Anschließend wird auf weitere praktische Erfahrungen mir Co- und Selbstregulierung eingegangen, wobei in erster Linie Beispiele aus Großbritannien aber auch weitere europäische und außereuropäische Fälle vorgestellt und analysiert werden. Die gesammelten Erkenntnisse aus theoretischer und praktischer Auseinandersetzung mit Governance-Regulierung werden im letzten Teil eingeordnet und zur Anwendung auf die Regulierungsmaterie Product Placement aufbereitet. Ein Kriteriensystem zur Entscheidungsfindung auf dem Weg zur GovernanceRegulierung stellt die Konsolidierung der gewonnenen Erkenntnisse dar. Nach der Verortung von Product Placement in Governance-Strukturen wird ein allgemeines Governance-Modell ausgearbeitet, das unter Berücksichtigung theoretischer Annahmen sowie internationaler praktischer Erfahrungen alle genannten Perspektiven integriert und bei Anwendung auf eine konkrete Regulierungsmaterie zum Governance-Konzept führt. Das zentrale Ergebniss dieser Studie bildet das Governance-Konzept zur Regulierung von Product Placement in der Bundesrepublik Deutschland, das sowohl den speziellen Eigenschaften des Phänomens als auch der gesellschaftlichen und politischen Situation im Land Rechnung trägt. Abgeschlossen wird die Arbeit durch eine Zusammenfassung der Ergebnisse und einen kurzen Blick in die Zukunft der audiovisuellen Werbung und deren Regulierung.

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3 Forschungsstand

Die Quellenlage zum Themenkomplex Product Placement ist vielschichtig und komplex. Auf den ersten Blick gibt es eine Fülle von Arbeiten, die sich dem Thema Product Placement direkt oder indirekt widmen. Wenn man allerdings genauer hinschaut, dann stellt sich heraus, dass ein überwiegender Teil davon Werke sind, die das Thema oberflächlich und rein narrativ behandeln.6 Allgemein lässt sich sagen, dass das Thema Product Placement bisher vorwiegend aus juristischer und wirtschaftlicher Perspektive wissenschaftlich aufgegriffen wurde. Die juristischen Arbeiten thematisieren Product Placement als ein Rechtsproblem und analysieren seine Zulässigkeit unter den in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Gesetzen. In der Diskussion, die aktuell hauptsächlich in der Fachpresse7 geführt wird, spielen die ersten juristischen Arbeiten, die sich in den 1980er und 1990er Jahren dem Thema Product Placement widmeten, immer noch eine wichtige Rolle.8 Diese Tatsache macht deutlich, dass man trotz intensiver Beschäftigung mit dem Thema nicht zu befriedigenden Ergebnissen gekommen ist. Auf den ersten Blick erscheint die ganze Product-PlacementProblematik aus dem juristischen Blickwinkel verhältnismäßig klar, was zur Folge hat, dass die meisten rechtswissenschaftlichen Werke zu dem Thema zu eindeutigen und belegbaren Ergebnissen kommen. Jedoch wird bei einer solchen Betrachtung ausgeklammert, dass die Produktplatzierungen und die damit verbundenen Fragen erst darum an Brisanz gewinnen, weil sie sich außerhalb der geltenden Rechtsnormen abspielen. Eine Ursachenanalyse für die mangelnde Durchsetzbarkeit der Product Placement betreffenden Gesetze findet ebenfalls nicht statt. In eine neue Phase ist die Diskussion seit 2005 und besonders intensiv seit 2007 gegangen, als die Novelle der Europäischen Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste bedeutende Änderungen für Product Placement ankündigte. 6 7

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Unter »narrativ« wird in diesem Zusammenhang eine beschreibende und unkritische Herangehensweise ans Thema verstanden. Die für die Product-Placement-Analyse bedeutendsten Zeitschriften sind ZUM – Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht, AfP – Zeitschrift für Medien- und Kommunikationsrecht (ehem. Archiv für Presserecht), Medien und Recht, Wettbewerb in Recht und Praxis. S. zum Beispiel Bork, Reinhard: Werbung im Programm. Zur wettbewerbsrechtlichen Haftung der Fernsehanbieter für unzulässige Werbung im Fernsehprogramm, München 1988; Dörfler, Gabriele: Product Placement im Fernsehen – unlautere Werbung oder denkbare Finanzierungsquelle im dualen Rundfunksystem? Eine Beurteilung aus dem Blickwinkel des Wettbewerbsrechts unter Berücksichtigung der Mediengesetze, Frankfurt am Main 1993.

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Die aktuellen Publikationen liefern juristische Kommentare zu den geplanten (oder beschlossenen) Änderungen, geben aber nur wenig Auskunft über die Praktikabilität der neuen Regelungen. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die juristische Auseinandersetzung mit dem Thema ein reiches Quellenmaterial bietet, das jedoch unter Berücksichtigung der Fragestellungen dieser Arbeit unbedingt unter Einbeziehung der Quellen aus anderen Disziplinen ausgewertet werden soll. Die wirtschaftswissenschaftliche Betrachtung von Product Placement beschränkt sich vorwiegend auf die Vor- und Nachteil-Analyse dieser Form der Markenkommunikation für die werbetreibenden Unternehmen. Product Placement wird im Marketingmix und Kommunikations-Mix des Unternehmens verortet und es werden die Besonderheiten der Product-PlacementOperationalisierung erörtert. Dabei werden die Ambivalenz und die mit Product Placement verbundenen Risiken allenfalls am Rande behandelt. Es sind nur wenige speziell Product Placement gewidmete Arbeiten verfügbar, in den meisten Fällen wird dem Thema ein Kapitel in Handbüchern zu Werbung beziehungsweise Marketing gewidmet. Die kommunikations- und medienwissenschaftliche Forschung auf diesem Gebiet beschränkt sich auf die Betrachtung einzelner Aspekte in nur wenigen Arbeiten und ist von einem Mangel an kritischer Auseinandersetzung mit dem Thema gekennzeichnet. Indessen ist Product Placement als ein Fall der integrierten Werbekommunikation, die in Zukunft ohne Zweifel an Bedeutung gewinnen wird, ein wichtiger Bestandteil des modernen Kommunikationsflusses, was eine Erforschung aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive unbedingt notwendig macht. Die Abwesenheit interdisziplinärer Analysen zum Thema Product Placement in der Literatur ist offensichtlich und umso erstaunlicher, da in zahlreichen Werken die monodisziplinäre Behandlung eindeutig an ihre Grenzen stößt. Erst durch interdisziplinäre Analyse und Darlegung der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen für das Phänomen Product Placement kann der Komplexität des Themas Rechnung getragen werden, denn nur so können valide sowie praktisch anwendbare Erkenntnisse gewonnen werden. Die Aufgabe, die umfangreichen, aber unstrukturierten und widersprüchlichen Quellen aus den vier oben genannten Perspektiven zusammenzuführen und unter Berücksichtigung der Wechselwirkungen und Schnittmengen auszuwerten, stellt eine Herausforderung dar, der mit dieser Arbeit zum ersten Mal begegnet wird. Der Begriff »Governance« ist in den letzten zehn Jahren in politischen genauso wie in wissenschaftlichen Veröffentlichungen in die Mode gekommen. Die Beschäftigung mit alternativen Regulierungsformen kann in der amerikanischen Literatur bis in die 1970er Jahre zurückverfolgt werden, allerdings erfolgte sie 24

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damals noch auf einem höchst theoretischen Niveau. In den 1990er Jahren haben sich mehrere Strömungen herausgebildet – darunter die zwei wichtigsten, die sich mit Governance als Unternehmensführung (»Good Governance«) und Governance als Alternative zur imperativen staatlichen Regulierung beschäftigten. Die erste Strömung gewann immer stärkeren volks- und betriebswirtschaftlichen Hintergrund, die zweite wurde eher von Politikwissenschaftlern beherrscht. Aktuell wird der Einsatz von Governance in der wissenschaftlichen Literatur weniger abstrakt behandelt, thematisiert werden Regulierungsoptionen für einzelne politische Felder, darunter auch für den Medienbereich. Die Quellenlage wird durch die Tatsache erschwert, dass auf diesem Gebiet eine Begriffsverwirrung herrscht, die durch teils synonymen, teils abweichenden Gebrauch von Begriffen wie »Co-Regulierung«, Selbstregulierung«, »regulierte Selbstregulierung« usw. bedingt wird. Für diese Arbeit sind nicht nur theoretische Überlegungen, sondern auch Publikationen zu den praktischen Erfahrungen mit Governance-Regulierungsinstrumenten relevant. Diese finden sich vor allem in gezielten Auftragsstudien oder Lageberichten von Selbstregulierungsorganisationen und bieten ein reiches Quellenmaterial, das mit besonderer Sorgfalt und unter Berücksichtigung der Auftraggeber bzw. Herausgeberinstitution betrachtet werden soll. Eine systematische Zusammenführung von theoretischen und praktischen Erkenntnissen zu Governance bezogen auf eine spezielle Regulierungsmaterie hat in der deutschsprachigen Literatur bisher nicht stattgefunden. Diese Lücke wird mit der vorliegenden Untersuchung geschlossen, indem relevante Parameter der Regulierungsmaterie und Elemente eines Governance-Konzeptes in eine Entscheidungshilfe und ein Governance-Modell integriert werden.

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