Perspektiven: Eine Standortbestimmung. der Arbeits- und Organisationspsychologie. In

Perspektiven: Eine Standortbestimmung der Arbeits- und Organisationspsychologie 1. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ....
Author: Helmut Kuntz
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Perspektiven: Eine Standortbestimmung der Arbeits- und Organisationspsychologie

1. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 2. Gegenstand, Perspektive und Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 3. Neue Theorienschwerpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

Walter Bungard und Gerd Wiendieck *

1. Vorbemerkung Wer der alten anthropologischen Frage nachgeht, was den Menschen zum Menschen macht, wird auf vielfältige Antworten stoßen. Bei aller Unterschiedlichkeit finden sich jedoch immer wieder Hinweise auf seine Lernfähigkeit, sein Antriebspotential, seine soziale Natur und seinen Gestaltungswillen. Menschen sind »weltoffen und instinktunsicher« (Portmann, 1969). Für sie gibt es keine feststehende Umwelt, der sie sich nur geschickt anzupassen brauchen. Sie müssen sich die Welt erst verfügbar und verwendbar machen, um das zu gewinnen, was sie zum Leben brauchen. Ihnen fehlt der »kurze Weg des Tieres« (Gehlen, 1978). Menschen haben damit die Chance und das Risiko, die * Dieser Beitrag ist ebenfalls erschienen unter: Bungard, W. & Wiendieck, G. (2001). Eine Standortbestimmung der Arbeits- und Organisationspsychologie. In R. Silbereisen & D. Frey (Hrsg.). Perspektiven der Psychologie (S. 174 - 193). Weinheim: Beltz.

Welt nach ihren Vorstellungen zu verändern. Gestaltung statt Anpassung ist die spezifische Form der menschlichen Lebensbewältigung. Es ist offenkundig, dass diese Form der Lebensführung unsere Welt teils erfreulich teils bedrohlich, auf jeden Fall jedoch gravierend verändert hat. Dies ist das Ergebnis menschlicher Arbeit. Bei dem Begriff »Arbeit« denken viele Menschen wohl eher an die Mühen der fremdbestimmten Erwerbsarbeit, als an diese weltverändernden Wirkungen. Unter dem Einfluss gesellschaftlich geprägter Deutungsmuster hat sich unser Arbeitsbegriff verengt. So wird leicht übersehen, dass Arbeit eine ganz elementare Tätigkeit des Menschen ist, die ihn zu allen Zeiten, wenn auch auf unterschiedliche Arbeit und Weise und zu unterschiedlichen Bedingungen begleitet und bestimmt hat. Der Mensch sichert sein Dasein durch planvoll vorsorgendes Tun. Arbeit ist damit ein »Grundzug menschlicher Existenz« (Hoyos, 1995), das »innerste Wesen des Lebendigseins« (Jahoda, 1983, S. 25).

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Arbeit dient dabei nicht nur der bloßen Existenzsicherung. Sie ist nicht lediglich ein Gebot der Notwendigkeit, denn dann kämen wir wohl mit erheblich weniger Arbeit aus. Ihre Bedeutung geht weit darüber hinaus: Arbeit eröffnet neue Möglichkeiten der Lebensführung und dient damit der Daseinsbereicherung. Dies darf weder in einem auf das Materielle verkürzten, noch in einem glorifizierenden Sinn verstanden werden, sondern erinnert daran, dass Arbeit dem Leben Sinn und Wert verleihen kann und darauf gerichtet ist, die Lücke zwischen Lebenshoffnung und Lebenswirklichkeit zu schließen. Arbeitsmühe und Schaffensfreude sind zwei Gesichter, in denen uns die Arbeit begegnet (Lewin, 1920). Zwei Merkmale der menschlichen Arbeit sind besonders wichtig: Der Mensch bedient sich selbstgeschaffener Werkzeuge und er arbeitet in aller Regel nicht allein, sondern im Rahmen eines arbeitsteiligen Systems. Beide, Werkzeuge und Arbeitsteilung erweisen sich als nützlich, weil sie der Leistungssteigerung dienen. Die Fähigkeit zur Werkzeugherstellung hatte schon Aristoteles mit der Besonderheit der menschlichen Hand in Verbindung gebracht, die selbst ein vielseitig einsetzbares Werkzeug ist. Die Hand kann zeigen, berühren, greifen, formen, werfen und schlagen; und über allem kann dieses universelle Werkzeug selber Werkzeuge herstellen. Es ist freilich nicht die Hand alleine, die diese produktive Umweghandlung zustande bringt, sondern das Zusammenwirken von Hand und Verstand, das physiologisch auf einer engen Verbindung zwischen Hirn und Hand beruht. Selbst die einfachste Werkzeugherstellung ist damit bereits ein »Akt der technischen Intelligenz« (Popitz, 1989, S. 64).

Neben der Werkzeugproduktion findet sich ebenfalls bereits sehr früh in der menschlichen Entwicklungsgeschichte eine weitere nützliche Umweghandlung: die Arbeitsteilung. So erfüllen Jäger und Treiber unterschiedliche, aber aufeinander bezogene Aufgaben. Wenn Jäger und Treiber unabhängig voneinander und ohne Abstimmung untereinander zur Jagd aufbrächen, so würden sie zwar »arbeiten«, aber vermutlich ohne nennenswerten Erfolg. Erst die Koordination der spezialisierten Teiltätigkeiten ermöglicht und erleichtert die Erreichung des Jagdziels und schafft damit einen gewaltigen Vorteil gegenüber den Bemühungen eines Einzelnen. Jäger und Treiber sind aufeinander angewiesen, wenn sie ihr Jagdziel erreichen wollen. Ihre Teiltätigkeiten werden durch ein Organisationsprinzip geordnet und verbunden. Damit kann auch die Organisation als janusköpfig beschrieben werden. Dem sachlichen Leistungsvorteil der Arbeitsteilung steht die soziale Abhängigkeit gegenüber. Es ist weiterhin einleuchtend, dass Jäger und Treiber in ihren Teiltätigkeiten unterschiedliche Erfahrungen sammeln und unterschiedliche Fähigkeiten ausbilden. Vermutlich entwickeln sie auch unterschiedliche Lebensauffassungen, Selbstbilder und Weltbilder. Arbeit verändert nicht nur die Welt, sondern zugleich den Menschen. Sie hat eine identitätsbildende Funktion, deren psychisch stabilisierende Wirkung insbesondere heutzutage beim Verlust der Arbeit deutlich wird. Arbeit ist also durch Werkzeuge und Arbeitsteilung organisiert. Dies produziert Leistungsvorteile, prägt den Menschen und schafft soziale Abhängigkeiten. Angesichts dieser fundamentalen Bedeutung ist nicht verwunderlich, dass

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Arbeit, ihre Organisation und ihre Effekte zentraler Gegenstand sehr unterschiedlicher Disziplinen sind: Medizin, Ökonomie, Rechtswissenschaft, Soziologie und Psychologie beschäftigen sich mit der Analyse und Gestaltung menschlicher Arbeit. Innerhalb der Psychologie hat sich die Arbeits- und Organisationspsychologie entwickelt, die sich als interdisziplinär orientierte Gestaltungswissenschaft versteht.

2. Gegenstand, Perspektive und Zielsetzung Es scheint auf den ersten Blick klar zu sein, dass sich die Arbeits- und Organisationspsychologie mit der Arbeit des Menschen und der Organisation seiner Arbeit beschäftigt. Dies ist grob betrachtet auch richtig. Aber – wie so oft – liegt auch hier der »Teufel im Detail«, oder präziser gesagt, in der Definition dieser beiden Kernbegriffe. In Anlehnung an Neuberger (1999) sei zunächst einmal gefragt: Wird denn nur in Organisationen und in Organisationen nur gearbeitet? Eine Eingrenzung des Gegenstandes auf »Arbeit in Organisationen« würde Arbeit außerhalb von (institutionellen) Organisationen, etwa die Nachbarschaftshilfe, die Hobbyarbeit oder die Schwarzarbeit ebenso ausschließen wie viele Verhaltensweisen innerhalb einer Organisation, die nur schwerlich als Arbeit bezeichnet werden können, aber aus Organisationen nicht wegzudenken sind, wie die Entwicklung von Freund- und Feindschaften, Klatsch und Tratsch, Sabotagen oder Mobbing. Der Arbeitsbegriff ist schwer zu fassen, allein

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deswegen, weil er so fundamental und existentiell ist und in unterschiedlichen Zeiten mit unterschiedlichen Deutungen und Wertungen verbunden war. Die Spanne reicht von einem sozial differenzierenden Arbeitsbegriff, der den Sklaven vom freien Bürger unterschied (Aristoteles, 1879) bis hin zu einer Glorifizierung der Arbeit als gottgefälliges Werk, das vom liederlichen Müßiggang abgegrenzt wurde (Weber, 1920). Zwei Aspekte des Arbeitsbegriffs tauchen jedoch in unterschiedlichen Zeiten und Kulturen immer wieder auf: Einerseits die Differenzierung von Hand- und Kopfarbeit, sowie andererseits die Dichotomie von Last und Wert. Die Trennung von Hand- und Kopfarbeit begründet, legitimiert und perpetuiert meist auch die Trennung von Hand- und Kopfarbeitern. Soziale Stellung, Macht und Privilegien korrespondieren mit der Arbeitsform. Der Hinweis darauf, dass Arbeiter und Manager unterschiedliche Aufgaben haben, unterschiedlich entlohnt werden und in unterschiedlichen Welten leben klingt fast schon banal. Es ist jedoch außerordentlich interessant und zunehmend Gegenstand der arbeitspsychologischen Forschung, dass dieser sozialen Trennlinie auch eine psychische entspricht. Merkmale der Arbeit finden sich wieder als Merkmale der Persönlichkeit. Monotone, kurzzyklische und zerstückelte Arbeit behindert die kognitive Entwicklung, beeinträchtigt das Selbstwertgefühl und hemmt eine aktive Lebensorientierung. (Ulich 1994, S. 413ff). Hier wird eine Kausalität angenommen und inzwischen durch zahlreiche empirische Befunde bestätigt, dass neben der einleuchtenden Deutung, wonach sich Menschen den Beruf suchen, der ihren Orientierun-

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gen und Fähigkeiten entspricht auch die Aussage richtig ist, dass die beruflichen Tätigkeiten selbst wieder persönlichkeitswirksam sind. Die Dichotomie von Last und Wert ist ebenso alt und bedeutsam wie die Trennung von Handund Kopfarbeit. Die biblische Geschichte von der Vertreibung des Menschen aus dem Paradies verbindet Arbeit mit Mühe und Schweiß. Sie ist auferlegte Last, der sich der Mensch nicht entziehen kann. Auch bei Marx (1969, S. 827 ff.) findet sich diese Deutung: »Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zwänge bestimmt ist, aufhört.« Auch heutzutage wird Arbeit insbesondere mit Hektik, Zeitdruck, Hetze und Belastung assoziiert, wie Stengel (1997, S. 13) in einer semantischen Begriffsanalyse herausfand. Dieser negativen Färbung des Arbeitsbegriffs steht die positive Wertung, allerdings eher als Forderung denn als Beschreibung, gegenüber. Demnach sollte Arbeit sinnvoll, bereichernd und selbstbestimmt sein. Wenn Willy Brandt (1983) über Arbeit spricht, so ist dies wohl vor allem programmatisch gemeint: »Menschliche Arbeit hat nicht nur einen Ertrag, sie hat auch einen Sinn. Für die Mehrzahl der Bürger ist sie Gewähr eines gelingenden Lebensprozesses: Sie ermöglicht soziale Identität, Kontakte zu anderen Menschen über den Kreis der Familie hinaus und zwingt zu einem strukturierten Tagesablauf.« Die Gegensätzlichkeit dieser Beschreibungen drückt sich psychisch als Ambivalenz aus. Der Verlust von Arbeit, oft als »Freisetzung« verharmlost, wird ja keineswegs als Befreiung vom Joch, sondern als sozialer Absturz und persönliches Versagen erlebt. Umgekehrt gilt auch, dass die Last der Arbeit

zu tragen und dem Stress der Anforderungen zu trotzen stark und stolz, teils sogar süchtig machen kann. Wenn wir die beiden Aspekte der Trennung von Hand und Kopf sowie der Dichotomie von Last und Wert miteinander verbinden, so erschließt sich ein normativer Arbeitsbegriff, dem sich die Arbeits- und Organisationspsychologie verpflichtet fühlt. Arbeit sollte so gestaltet sein, dass die Trennung von Hand- und Kopfarbeit überwunden und Anforderungen nicht aversiv sondern als Anreiz erlebt werden. Die Förderung der Entwicklungspotentiale des Menschen ist eine wesentliche Forderung an die humane Arbeitsgestaltung. Die bloße Abwesenheit schädigender oder unzumutbarer Bedingungen reicht dazu nicht aus (vgl. Ulich, 1998, S. 141). Auch der Organisationsbegriff scheint auf den ersten Blick klar zu sein, wenn darunter ein Unternehmen, eine Partei oder ein Verband verstanden wird, also eine Institution, die Mittel und Mitglieder umfasst und damit von ihrer Umwelt abgegrenzt werden kann. Hier werden Organisationen als Ressourcenpool gedeutet (Coleman, 1979), dessen wesentlicher Vorzug darin besteht, mächtiger oder leistungsfähiger zu sein als ein Einzelner. Die Organisation erweitert die Handlungsmöglichkeiten des Menschen und bietet ihm Schutz, allerdings um den Preis des partiellen Verzichts auf eigene Handlungsziele und -optionen. Organisationen sind nämlich auch Regel- und Interpretationssysteme, die die Einstellungen und das Verhalten des Einzelnen steuern. Diese Systeme sind freiheitsbeschränkend, entlasten aber auch von Unsicherheit und Entscheidungsdruck. Zugleich machen sie die Organisation vom einzel-

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nen Individuum unabhängig und verleihen ihr eine eigene Struktur. Diese Eigenständigkeit der Organisation und ihrer Funktionsmerkmale wird betont, wenn von der Persönlichkeit einer Organisation oder ihrer Lernfähigkeit gesprochen wird. Neben dem institutionellen Organisationsbegriff steht der instrumentelle, der den Prozess und die Ziele des Organisierens hervorhebt. Hier geht es um Führungsfragen, die nicht auf die unmittelbare Interaktion von Führungskräften und Mitarbeitern begrenzt werden können, sondern auch andere Steuerungsinstrumente umfassen wie Regeln und Standards, aber auch technische bedingte Abläufe, etwa Reihenfolge der Arbeitsschritte in Montageprozessen oder die menugeführte Dateneingabe in IT-Systemen. Schließlich stellt auch die Organisationskultur mit ihren Werten und Normen ein System der Verhaltenssteuerung dar, das ebenso wirksam wie unbemerkt funktioniert, allerdings auch nicht so beliebig gestaltbar ist wie der Erlass von Regeln oder die Erteilung von Anweisungen. So betrachtet sind Organisationen auch Sinnsysteme kollektiven Handelns. Die Kombination von Leistungszielen und Steuerungssystemen unterstellt unausgesprochen eine Zweckrationalität, die eher in Organisationshandbüchern als in der Realität zu finden ist. Auch wenn Organisationsmitglieder die Absicht haben, sich vernünftig zu verhalten, wird ihnen dies aufgrund unvollkommener Informationen, kognitiver Kapazitätsgrenzen und emotional verankerter Grundorientierungen nur unvollkommen gelingen. (Simon, 1957, S. 33). Im übrigen setzt dies eine hohe Kongruenz der Sichtweisen der Organisationsmitglieder voraus (Weick, 1985; S. 37). Offene

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und verdeckte Konflikte sind jedoch eher zu finden als Konsens und Harmonie. Dies bedeutet nicht, dass Organisationen chaotische Gebilde sind, sondern dass den formalen Regeln auch informale gegenüberstehen und dass neben der rationalen Gestaltung durch »Organisationsherren« auch von einer immanenten Organisationsentwicklung gesprochen werden muss, der eine eigene und von Personen unabhängige »Systemrationalität« zugrunde liegt. Gerade die Abwesenheit formal erlassener, rigider und insbesondere engmaschiger Regelsysteme ermöglicht und begünstigt eine Lebendigkeit der Organisation, die insbesondere heute angesichts der Dynamik der gesellschaftlichen Entwicklungen überlebensnotwendig wird. Diese Akzentuierungen der Organisation als Ressourcenpool, Regelwerk oder Handlungssystem, werden von Türk (1991) begrifflich als Organisat, Organisieren und Organisiertheit differenziert. Für die Organisationspsychologie, deren Gegenstand vielfach als das Verhalten und Erleben von Menschen in Organisationen beschrieben wird (von Rosenstiel, 1992; Schuler, 1993), sind alle drei Organisationsbedeutungen relevant. Aus ihnen ergeben sich zentrale Fragestellungen der Disziplin: • Wie wirkt die Zugehörigkeit zu einer Organisation auf den Menschen aber auch wie beeinflusst der Einzelne die Organisation? • Oder: Wie entwickeln sich Normen und Werte innerhalb einer Organisation, wie werden sie tradiert und wie wirken sie? • Wie wird das Verhalten und Erleben der Mitglieder gesteuert und welche Effekte ergeben sich hieraus? Die Organisationspsychologie betrachtet dabei

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insbesondere die Wechselwirkung zwischen dem Menschen und dem organisationalen Kontext. Das Verhalten von Mitarbeitern und Führungskräften einer Unternehmung ist nur partiell durch ihre jeweiligen Persönlichkeiten erklärbar. Vielfach sind organisationale Regelund Wertsysteme einflussreicher als individuelle Eigenarten und persönliche Ziele. Organisationen sind unterschiedlich. So bedarf es geeigneter Dimensionen um sie zu beschreiben. Wir können sie nach Alter, Größe oder Einfluss unterscheiden, nach ihrer Anpassungsund Überlebensfähigkeit oder ihren Zielen und Werten. Für die Organisationspsychologie sind jene Merkmale wichtig, die die Wechselwirkung von Person und Organisation tangieren. Dies betrifft Fragen der Formalisierung, Zentralisierung und Spezialisierung (Reimann, 1975). Die Formalisierung betrifft den Grad, in dem Zuständigkeiten und Arbeitsabläufe festgelegt und überwacht werden. Die tayloristische Arbeitsorganisation hatte diese Prinzipien so weit perfektioniert, dass Kreativität und Eigeninitiative auf der Strecke blieben und Organisationen entstanden, in denen Regelkonformität wichtiger war als Zielerreichung. Mit dem Dienst nach Vorschrift lassen sich diese Organisationen regelrecht und ohne Gefahr persönlichen Fehlverhaltens lahm legen. Die Zentralisierung betrifft Fragen der Machtverteilung und die Zuordnung von Entscheidungskompetenzen zu verschiedenen Hierarchieebenen. Auch hier hatte die tayloristische Arbeitsorganisation einen Weg beschritten, der steile Organisationen mit vielen Hierarchieebenen begünstigte und Mitarbeiter der unteren Ebenen entmündigte und infantilisierte. Hier beobachten wir ebenfalls eine Abkehr von diesen Prinzipien

und eine Hinwendung zu flacheren Strukturen, in denen die Eigenverantwortung zunehmend weiter nach unten delegiert wird. Die Spezialisierung betrifft den Grad der Arbeitsteilung, also die Frage, wie weit die Gesamtaufgabe in einzelne Teilschritte oder gar Handgriffe zergliedert wird. Hier liegt das Bindeglied zwischen Person und Organisation. Die einzelnen Arbeitsaufgaben ergeben die organisationale Gliederung und ergeben sich auch aus ihr. Die Aufgabe definiert die Tätigkeit und ermöglicht oder behindert die Persönlichkeitsentwicklung. Ulich (1998, S. 177 ff.) spricht daher zu recht vom Primat der Aufgabe. Vollständige Arbeitsaufgaben umfassen nach Hacker (1987) sinnvolle Einheiten, also etwa die Vorbereitung, Durchführung und Kontrolle der Tätigkeit (sequentielle Vollständigkeit) und stellen Anforderungen an Motorik, Wahrnehmung, Denkleistungen und Entscheidungsfindung (hierarchische Vollständigkeit). Die Arbeitsaufgabe kann als Bindeglied zwischen der Arbeitspsychologie und der Organisationspsychologie betrachtet werden, die sich ursprünglich eigenständig entwickelt hatten. Die Arbeitspsychologie war dabei stark naturwissenschaftlich-ergonomisch geprägt und auf die Optimierung der Arbeitsbedingungen (Zeitund Bewegungsstudien, Werkzeuge und Arbeitsmittel, Mensch-Maschine-Systeme oder Anzeige- und Kontrollgeräte zur Arbeitsüberwachung) gerichtet, während die Organisationspsychologie unter der Bezeichnung »Betriebspsychologie« insbesondere Fragen der Arbeitsmotivation und -zufriedenheit von Mitarbeitern in Wirtschaftsbetrieben in den Vordergrund stellte. Die Konzentration auf die inhaltliche Aufgabengestaltung erweitert die

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traditionelle Perspektive und Zielrichtung, indem neben die Abwehr schädlicher Bedingungen die Entwicklung förderlicher ins Blickfeld rückt. Die Optimierung von Arbeitsaufgaben und Arbeitsbedingungen erfordert angesichts der hohen Aufwendungen für die Einrichtung eines Arbeitsplatzes und angesichts der straffen organisationalen Verflechtungen immer größere Vorlaufzeiten. Eine Arbeitsgestaltung nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum ist obsolet geworden. Hieraus folgt die Notwendigkeit der Theorieentwicklung. Nur die solide theoretische Basis erlaubt die Prognose der künftigen Effekte, etwa im Hinblick auf die Bewältigbarkeit der Aufgaben, die Stressfolgen oder Unfallrisiken. Die Arbeits- und Organisationspsychologie hat allerdings kein eigenes oder abgeschlossenes Theoriegebäude entwickelt sondern macht Anleihen bei unterschiedlichen psychologischen und nicht-psychologischen Disziplinen. So bestehen enge Verknüpfungen zur Persönlichkeits-, Entwicklungs- und Sozialpsychologie, aber auch zur Soziologie, zu den Wirtschaftswissenschaften und verschiedenen Ingenieurwissenschaften. Wenn überhaupt von originären arbeits- und organisationspsychologischen Theorien gesprochen werden kann, so ist hier die Belastungs- und Beanspruchungsforschung (Lazarus, 1980) sowie die Handlungsregulationstheorie (Hacker, 1980; Ulich, 1994; Volpert, 1990) zu nennen, die beide stark durch die Anwendungsfragen der Arbeits- und Organisationsgestaltung geprägt wurden. Die Belastungs- und Beanspruchungsforschung fragt nach den Effekten der Arbeit auf den Menschen und die Handlungsregulationstheorie themati-

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siert die Frage, wie der Mensch seine eigenen Handlungen reguliert und Handlungskompetenz entwickelt. Beide Themen sind zwar nicht ausschließlich, aber doch überwiegend im Zusammenhang mit der Technisierung der Arbeit verfolgt worden. Die Werkzeug- und Maschinenentwicklung erweiterte den Radius menschlicher Arbeit, entfernte ihn aber auch gleichzeitig vom Gegenstand seiner Arbeit. Wer ein Stück Holz mit dem Handhobel bearbeitet spürt unmittelbar den Unterschied zum Maschineneinsatz. Die Steuerung komplexer Produktionsprozesse oder Maschinen durch wenige computerunterstützte Arbeitsplätze, etwa in Stellwarten oder dem Cockpit eines Großflugzeugs schafft neue Möglichkeiten aber auch neue Abhängigkeiten. Eine zentrale arbeits- und organisationspsychologische Frage lautet, wer hier leistungsfähiger und/oder zuverlässiger ist, Mensch oder Maschine. Die Antwort hierauf ist von unmitttelbar praktischer Relevanz. So ist beispielsweise die Frage, ob der Pilot oder der Rechner die letzte Entscheidung in einzelnen aber durchaus zentralen Fragen der Flugzeugsteuerung haben soll, bislang nicht eindeutig geklärt. Eine aktuelle Version dieser Frage entzündete sich bei der US-amerikanischen Präsidentenwahl im Herbst 2000. Schließlich entschieden die Gerichte darüber, ob die Handauszählung der Stimmzettel zu valideren Ergebnissen führe als die maschinelle Auswertung. Die Fragen der Aufgaben- und der Organisationsgestaltung bilden gewissermaßen die inneren und äußeren Markierungspunkte der Disziplin. Darin eingebettet liegen so bedeutende Themen wie Führung oder Gruppenbildung. Hier geht es um Interaktionsbeziehungen von

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Menschen, also um klassische Gegenstände der Sozialpsychologie. Die Führungsforschung hat eine lange Tradition, die sehr unterschiedliche wissenschaftliche und gesellschaftliche Orientierungen wiederspiegelt. Aus einer ursprünglich eigenschaftsorientierten Perspektive lautete die Frage, welche Merkmale zeichnen die (gute) Führungskraft aus und wie lassen sich diese Merkmale empirisch fassen. Die Absicht einer einfachen und doch validen Selektion von führungsgeeigneten Personen musste jedoch fallen gelassen werden, als deutlich wurde, dass neben der Person auch die Situation, die Aufgabe und nicht zuletzt die Merkmale der Geführten wichtig sind und über den Führungserfolg, der zugleich ein Gruppenerfolg ist, entscheiden. Diese interaktionstheoretisch geprägte Führungsforschung wurde schließlich zu einer systemischen Betrachtung weiterentwickelt, die nicht nur die unmittelbare Wechselbeziehung zwischen Führen und Folgen untersucht, sondern auch die mittelbaren und eher symbolischen Effekte. So macht es einen Unterschied ob von Atom- oder Kernkraft gesprochen oder die Sozialabgaben in Lohnnebenkosten umbenannt werden. Dies sind keine zufälligen Entwicklungen, sondern durchaus beabsichtigte (symbolische) Führungshandlungen zur Weckung von Verhaltensbereitschaften. Auch die Erforschung von Arbeitsgruppen ist von der Arbeits- und Organisationspsychologie vorangetrieben worden (Bungard & Antoni, 1993), wobei die Frage der Leistungsvorteile und -nachteile im Vordergrund stand. Gruppen haben nicht nur Synergieeffekte im Sinne der Anregung und Ergänzung individueller Fähigkeiten, sondern sie können auch Unsicherheiten

und Belastungen reduzieren. Diesen positiven Effekten stehen allerdings verschiedene bedenkliche Effekte gegenüber, die eher vor dem verstärkten Einsatz von Teams warnen. Hier ist auf das Risikoschubphänomen, die Diffusion von Verantwortlichkeit und die Überschätzung der Gruppenfähigkeiten hinzuweisen, die Schneider (1985) plakativ als »kollektive Dummheit« bezeichnet. Solche leistungshinderlichen Gruppeneffekte sind ebenso wie unzureichende MenschMaschine-Systeme oder Fehlbeanspruchungen durch Monotonie, Stress oder Burn-Out nicht nur persönlich, sondern auch ökonomisch und gesellschaftlich belastend. Schon diese Beispiele machen deutlich, dass sich die Arbeits- und Organisationspsychologie als angewandte Wissenschaft nicht auf Erkenntnisgewinn und Theorieentwicklung zurückziehen kann, sondern eine aktive Rolle im Gestaltungsprozess von Arbeit und Organisation beansprucht. Damit begibt sie sich ins Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen und muss sich – wie von Rosenstiel (1992) formuliert – die Frage gefallen lassen, »wessen Interessen sie dient«. Für die frühen Vertreter der Disziplin war dies keine bewegende Frage. Münsterberg (1912, S. 19) hatte in dieser Hinsicht Abstinenz gefordert. Dies gehe den Psychologen nichts an: »Die Auswahl zwischen den Zielen überlässt er denen, die im praktischen Leben stehen.« Diese Forderung erscheint aus heutiger Sicht als ein ebenso naiver wie untauglicher Versuch, der Frage auszuweichen. In der Tat ist die Disziplin heftig als einseitig und kapitalfreundlich kritisiert worden (Groskurth & Volpert, 1975). Ihre Untersuchungen und Empfehlungen dienten der Arbeitsverdichtung und Systemstabilisierung.

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Von Rosenstiel konzediert, dass dieser Eindruck entstehen kann, da die Forschung bevorzugt praxisrelevante Hinweise zur Steigerung von Leistungsbereitschaft und Arbeitszufriedenheit erarbeitet habe. Er gibt jedoch auch zu bedenken, dass die Früchte der Leistungssteigerungen nicht lediglich den Kapitalinteressen dienten, sondern auch denen zugute kämen, die als Konsumenten die produzierten Güter und Dienstleistungen nachfragen und dass eine prosperierende Ökonomie eher Garant sicherer Arbeitsplätze sei. Zumindest dieser letzte Punkt muss aus heutiger Sicht bezweifelt werden, wenn er nicht lediglich als abstrakter und langfristig wirksamer Zusammenhang, sondern als konkrete und gravierende Veränderung der aktuellen Lebenswirklichkeit vieler Menschen gesehen wird. Wer arbeits- und organisationspsychologisch tätig ist, sei es in Forschung oder Anwendung, kann sich diesen Fragen nicht entziehen. Dies betrifft die Auswahl der Forschungsfrage ebenso wie die Berücksichtigung unterschiedlicher Mitarbeiterperspektiven sowie die Verhandlung zwischen Arbeitnehmerund Arbeitgebervertretern.

3. Neue Themenschwerpunkte Bei den Themenschwerpunkten der Arbeitsund Organisationspsychologie hat es in den vergangenen Jahren einige erhebliche Veränderungen ergeben. Die Ursachen hierfür sind eindeutig identifizierbar. Der Hauptgrund liegt zunächst einmal in dem drastischen Wandel der Arbeitswelt. Aufgrund des verschärften internationalen Wettbewerbs müssen erhebliche technologische Innovationen vorgenommen

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werden, um auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu bleiben. Eine Schlüsseltechnologie ist dabei nachwievor in erster Linie die Mikroelektronik mit all ihren Anwendungsmöglichkeiten. Durch die Einführung der neuen Informationsund Kommunikations-Technologien und den Übergang von Verkäufer- zu Käufermärkten und den damit verbundenen höheren Ansprüchen an die Qualität der Produkte und Dienstleistungen müssen aber auch neue Arbeits- und Organisationssysteme bzw. -strukturen implementiert werden. Die Konfrontation mit den ausländischen Konkurrenten offenbarte sehr schnell, dass die Überlegenheit nicht durch einen technischen Vorsprung oder gar durch protektionistische Manipulationen zu erklären ist, sondern dass primär Organisationsprinzipien bzw. -philosophien dafür verantwortlich sind. Diese Erkenntnis führte dann bei uns in der Bundesrepublik Deutschland zu einer wahren Change-Management-Hysterie, bei der immer neue Arbeits- und Organisationsinstrumente vorschnell zu existenzsichernden Wunderwaffen hochstilisiert werden, ohne die kulturellen Grenzen einer blinden Übertragung zu bedenken. Vor dem Hintergrund dieser Situation ist es verständlich, dass in vielen Branchen die Arbeitswelt im wahrsten Sinne des Wortes auf den Kopf gestellt wurde, und so gut wie alle jahrzehntelang nicht weiter hinterfragten Organisations-Prinzipien diskutiert werden. Für die Arbeits- und Organisationspsychologie hat dieser Prozess extreme Auswirkungen: • »Klassische« Fragestellungen der Arbeitsund Organisationspsychologie, die früher in der Praxis nur tangential beachtet wurden,

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rückten über Nacht ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Teamwork, Gruppenarbeit, Führungsaufgaben, Personalentwicklungsmaßnahmen usw. wurden plötzlich zu Modethemen in der Wirtschaft. • Es wurde sehr bald deutlich, dass Techniker und Ökonomen, die in der ersten Phase sehr erfolgreich diese neue Managementphilosophie propagierten, nur begrenzt als Experten angesehen werden konnten. Eine große Schwäche bei der Einführung der neuen Heilslehren zeigte sich nämlich u.a. auf vielen Gebieten in der unzureichenden Implementationsstrategie. Deshalb entsteht hier eine Nachfrage nach „Realisierungsexperten“, die sich mit konzeptionellen, gleichzeitig aber auch mit Qualifikationsund Akzeptanzfragen auskennen. Zu einem erheblichen Teil kann dies von Arbeits- und Organisationspsychologen geleistet werden. • Veränderungsprozesse müssen sinnvollerweise analysiert, gesteuert und bewertet werden. »Technokraten« stoßen bei der Messung von Soft-Facts schnell an ihre (ansozialisierten) Grenzen, so dass die Nachfrage nach entsprechenden Evaluationsexperten aus dem Bereich der Arbeitsund Organisationspsychologie explosionsartig gestiegen ist. Hierzu zählen auch die in letzter Zeit immer populärer werdenden Mitarbeiterbefragungen, 360°-Bewertungen und Vorgesetztenbeurteilungen, wie sie nicht zuletzt bei allen wichtigen Qualitätswettbewerben gefordert werden (vgl. Modell der EFQM; Bungard, 2000; Jöns, 2000). • Mit dem scheinbaren Wegfall tayloristischer Denkmuster im Zuge der Errichtung

schlanker Fabriken stellt sich in letzter Zeit immer dringlicher die Frage nach einem normativen bzw. arbeitsethischen Standort. Gegenwärtig sind die Firmen noch immer von den Personalabbau-Orgien geblendet, aber die Einseitigkeit derartiger oft phantasieloser Rationalisierungsbestrebungen treten immer deutlicher zutage, so dass sehr bald die klassische Humanisierungsdebatte reaktiviert werden dürfte. Auch hier werden zunehmend Experten aus dem Bereich der Arbeits- und Organisationspsychologie Gehör finden.

Fazit Durch die Veränderungsprozesse der Arbeitswelt hat die Arbeits- und Organisationspsychologie zumindest potentiell schlagartig eine strategisch wichtige Position erhalten: Die theoretischen Konzepte und Modelle, die empirischen Forschungsergebnisse, das Evaluations-KnowHow, die praktischen Trainings- und Moderations-Tools und nicht zuletzt die Fähigkeit, systemisch und weniger technisch-linear zu denken, das sind die Ansatzpunkte für die große Nachfrage nach Experten aus dem arbeits- und organisationspsychologischen Bereich. Diese durch die oben beschriebenen Veränderungen induzierte Aufwertung der Arbeits- und Organisationspsychologie hat natürlich für diese Disziplin weitreichende Konsequenzen: • Zunächst einmal hat sich das Bild des Psychologen in der Arbeitswelt geändert. Früher wurde jeder Psychologe stereotyphaft mit einem klinischen Psychologen gleichgesetzt. Die Nachfrage reduzierte

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sich deshalb darauf, Personalauswahl durch einen Psychologen mit Hilfe dessen Werkzeugkastens, gefüllt mit Tests, durchführen zu lassen. Ansonsten wurden Psychologen zum »wegtherapieren« von Ängsten oder Problemfällen geholt. Es galt eher die Devise, wenn möglich, einem Seelenklempner aus dem Weg zu gehen, um nicht in den Verdacht zu kommen, psychisch auffällig zu sein. Dieses Bild hat sich sukzessive in den letzten Jahren gewandelt. In Kooperation mit Arbeits- und Organisationspsychologen, z.B. bei der Einführung von Gruppenarbeit usw., sind die Einsatzmöglichkeiten und Vorzüge transparenter geworden. Der Psychologe ist damit in vielen Fällen vom Hofnarren zum akzeptierten Gestaltungspartner der Arbeitswelt avanciert. • Mit der größeren Akzeptanz sind zwangsläufig auch die Arbeitsmarkt-Chancen von Arbeits- und Organisationspsychologen in den letzten zehn Jahren boomartig gestiegen. Entsprechende Zahlen belegen diesen Trend eindeutig. Heute sind in nahezu allen größeren Unternehmen und zunehmend auch mittelständischen Betrieben Arbeitsund Organisationspsychologen beschäftigt. Sehr viele Arbeits- und Organisationspsychologen arbeiten auch in der großen Zahl der Unternehmensberatungen, deren Dienste aufgrund der zu Beginn beschriebenen Turbulenzen in der Wirtschaft abgerufen werden. • Mit der institutionellen Expansion der Arbeits- und Organisationspsychologie sind simultan auch die Forschungsmöglichkeiten erheblich verbessert worden. Dies gilt nicht für die Deutsche Forschungsgemeinschaft,

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sondern gemeint ist vor allem die Forschung, die direkt von Firmen finanziert wird, wenn auch gewisse Nachteile solcher Untersuchungen gesehen werden müssen. • Aber nicht nur außerhalb der Psychologie hat die Arbeits- und Organisationspsychologie zunehmend Anerkennung gefunden, auch innerhalb der Psychologie hat sich in den letzten Jahren einiges verändert. In den neuen Prüfungsordnungen wurde die Arbeits- und Organisationspsychologie als vollwertiges Fach in den Pflichtkanon des Anwendungsblockes integriert. Dadurch musste an vielen Hochschulen auch entsprechende Lehrkapazität geschaffen werden. In den psychologischen Berufsverbänden wurde die Arbeits- und Organisationspsychologie nicht zuletzt aufgrund steigender Mitgliederzahlen in den betreffenden Sektionen zunehmend akzeptiert. Und schließlich ist auch die Akzeptanz bei Studienanfängern für die Arbeits- und Organisationspsychologie kontinuierlich gewachsen. Früher stellten sich Studienanfänger der Psychologie meistens ihre Berufszukunft im engen Sinne einer therapeutischen Tätigkeit vor. Im übrigen wurde die Arbeits- und Organisationspsychologie auch von Studenten jahrzehntelang als kapitalistische, einseitig arbeitgeberorientierte Hilfsdisziplin desavouiert, so dass ein entsprechender Berufswunsch in Richtung einer arbeitsund organisationspsychologischen Ausbildung eine negative Außenwirkung gehabt hätte. Heute »outen« sich Psychologiestudenten, indem sie oft zugeben, später in der Arbeitswelt tätig werden zu wollen. Bleibt also festzuhalten, dass sich die Arbeits-

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und Organisationspsychologie sowohl extern in der Wirtschaft als auch intern in der Wissenschaftsgemeinde als fester Bestandteil der Forschungs- und Lehrlandschaft etabliert hat. Bei dieser eher euphorisch ausgefallenen Einschätzung sollten aber dennoch einige Problempunkte nicht verschwiegen werden: • Es stellt sich nämlich u.a. die naheliegende Frage, ob die Arbeits- und Organisationspsychologie all diesen Ansprüchen auch gerecht werden kann. Hier müssen einige Kritikpunkte angemeldet werden. So ist z.B. die universitäre Ausbildung für Arbeits- und Organisationspsychologen noch nicht optimal. Es dominieren an vielen Hochschulen durchgehend grundlagenorientierte methodische Ausbildungsinhalte, die für den Einsatz in der Anwendungsforschung weniger geeignet sind, um nur ein Beispiel zu nennen. • Ein weiteres Defizit in der Ausbildung und Tätigkeit von Arbeits- und Organisationspsychologen resultiert daraus, dass angesichts des beschriebenen Praxisbooms die theoretische Entwicklung arbeits- und organisationspsychologischer Konzepte und Instrumente nicht Schritt gehalten hat. So steht das kritische Hinterfragen und die empirische Überprüfung zahlreicher moderner Konzepte, die in der arbeits- und organisationspsychologischen Praxis zur Anwendung kommen, erst noch an. • Arbeits- und organisationspsychologische Tätigkeit kann weiterhin nur sinnvoll ausgeübt werden, wenn man zur interdisziplinären Zusammenarbeit bereit ist, also z.B. zum Erwerb wirtschaftlicher oder technischer Kenntnisse. Diese Bereitschaft ist lei-

der nicht immer gegeben. Arbeits- und organisationspsychologische Tätigkeit lebt des weiteren von der Praxiserfahrung, auch hier sind noch oft Berührungsängste zu spüren. Mit anderen Worten: Wenn die Arbeits- und Organisationspsychologie ihr Potenzial erfolgreich entfalten möchte, muss in Zukunft die praxisorientierte Ausbildung und interdisziplinäre Ausrichtung noch optimiert werden. Andernfalls wird die Lücke, wie auch bereits in der Vergangenheit, von selbsternannten Psychologen und Scharlatanen gefüllt. • Ein anderer Aspekt betrifft standespolitische Auswirkungen der erfolgreichen Etablierung der Arbeits- und Organisationspsychologie. Wo Erfolge sind, da sind auch Neider, da gibt es Trittbrettfahrer und Denunzianten. Bezüglich der Arbeits- und Organisationspsychologie können alle denkbaren Schattierungen beobachtet werden. Soweit die Einschätzung zur Lage der Arbeitsund Organisationspsychologie. Das Resümee muss anhand der Expansionsindikatoren positiv ausfallen, einige problematische Aspekte sind aber auch erwähnt worden. Was die Zukunft der Arbeits- und Organisationspsychologie betrifft, so kann aus der hier vertretenen Argumentationskette heraus die Prognose nur wie folgt lauten: Solange sich die Rahmenbedingungen nicht grundsätzlich verändern, gibt es keinen Grund anzunehmen, dass sich an dem heutigen Status der Arbeits- und Organisationspsychologie etwas ändern sollte. Sollten die Veränderungsprozesse in der Wirtschaft sogar noch schneller ablaufen, sollte die Instabilität noch stärker zum Dauerzustand werden, dann müsste eigentlich die Nachfrage

Perspektiven: Eine Standortbestimmung der Arbeits- und Organisationspsychologie

nach arbeits- und organisationspsychologischen Erkenntnissen und Interventionen eher noch ansteigen. Im Vordergrund stehen dann immer mehr, so die Prognose, die Fragen der Organisations- und Personalentwicklung, die Evalua-

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tion von Innovationsprozessen, die Planung von Implementierungsprozessen und nicht zuletzt die normative Standortbestimmung im Sinne der Gestaltung humaner Arbeits- und Organisationsstrukturen. 

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