OBERLANDESGERICHT OLDENBURG

Im Namen des Volkes Urteil 12 U 46/14 12 O 1813/13 Landgericht Osnabrück

Verkündet am 22.07.2014 ……………………..

In dem Rechtsstreit B … K … , ……………………,

…… O …. , Beklagter und Berufungskläger,

Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt G … R …… , ………………., ……….O …. , Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. H …………& Partner, ………………, …… O …… , gegen 1. I …. K ….. , ………….., …… O ……. , 2. F …… K ….. , ………………., ….. O …… , Kläger und Berufungsbeklagte, Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte P …… & Partner, ……………., …… O …. ,

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hat

der

12.

Zivilsenat

…………………………….,

des

Oberlandesgerichts

Oldenburg

durch

……………………………………und

den

den den

……………………………… auf die mündliche Verhandlung vom 08.07.2014 für Recht erkannt:

Die Berufung des Beklagten gegen das am 07.04.2014 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 12. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück wird zurückgewiesen. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn die Kläger nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I. Die Kläger wenden sich mit ihrer Klage gegen die Zwangsvollstreckung eines in einer notariellen Urkunde titulierten Räumungsanspruchs.

Entsprechend der Nachtragsvereinbarung vom 14.07.2005 zum Mietvertrag vom 25.07.1995 haben die Kläger von dem Beklagten das Wohn- und Geschäftshaus ………………………………….gemietet. Nach dem Mietvertrag erfolgte die Vermietung dabei zu Wohnzwecken und gewerblichen Zwecken, wobei die Wohnfläche des Objekts unsteitig 277,75 qm und die Geschäfts- und Lagerfläche 717,62 qm beträgt. Durch notarielles Schuldanerkenntnis vom 12.07.2005 unterwarfen sich die Kläger gegenüber dem Beklagten wegen eines Mietrück-standes aus den Jahren 2004/05 in Höhe von 25.000,- € der sofortigen Zwangsvollsteckung. Ferner unterwarfen sich die Kläger in der Urkunde des Notars …………………………….., vom 08.11.2012 (UR-Nr. ……………….) wegen Mietrückständen aus dem Jahre 2009 in Höhe eines Betrages von 12.000,- € sowie wegen eines Anspruchs auf Räumung des Mietobjekts der sofortigen Zwangsvollstreckung. Auf die Urkunde vom 08.11.2012 (Bd. I, Bl. 35ff d.A.) wird insoweit wegen der Einzelheiten Bezug

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genommen. Mit Schreiben vom 04.04.2013 kündigte der Beklagte wegen (unstreitiger) Nichteinhaltung der notariellen Vereinbarung vom 08.11.2012 durch die Kläger und darüber hinaus aufgelaufener Mietrückstände das Mietverhältnis fristlos. Des weiteren ließ er sich eine vollstreckbare Ausfertigung der Urkunde vom 08.11.2012 erteilen und beauftragte den Gerichtsvollzieher mit der Zwangsräumung des Mietobjekts.

Mit ihrer Klage haben die Kläger u.a. geltend gemacht, dass die Zwangsvollstreckung aus der Urkunde vom 08.11.2012 bezogen auf den Räumungsanspruch für unzulässig erklärt wird. Zur Begründung haben sie vorgetragen, dass der Räumungstitel das gesamte Objekt, also Wohn- und Geschäftsräume, umfasse, also den Bestand eines Mietverhältnisses über Wohnräume betreffe, und damit nach § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO unwirksam sei. Der Beklagte ist demgegenüber der Ansicht, dass der Räumungstitel wirksam sei, da er ein Mischmietverhältnis mit gewerblichem Schwerpunkt betreffe. Das Landgericht hat sich der Aufassung der Kläger angeschlossen und die Zwangsvollstreckung aus dem Räumungstitel für unzulässig erklärt. Gegen das Urteil wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung, in der er sein erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 07.04.2014 abzuändern und die Klage abzuweisen. Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Kläger treten der Berufung nach Maßgabe ihrer Erwiderung entgegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die angefochtene Entscheidung und die gewechselten Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.

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II. Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Die

Vollstreckung

des

Beklagten

aus

der

Urkunde

des

Notars

……………………….., vom 08.11.2012 war für unzulässig zu erklären, weil der titulierte Räumungsanspruch auch ein Mietverhältnis über Wohnraum betrifft und damit nach § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO nicht Gegenstand einer vollstreckbaren Urkunde sein kann.

Gemäß § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO findet die Zwangsvollstreckung aus einer Urkunde statt, die von einem deutschen Notar innerhalb der Grenzen seiner Befugnisse in der vorgeschriebenen Form aufgenommen wurde, wenn sich der Schuldner in der Urkunde der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen hat und die Urkunde über einen Anspruch errichtet ist, der einer vergleichsweisen Regelung zugänglich (…) ist und der nicht den Bestand eines Mietverhältnisses über Wohnraum betrifft. Ansprüche, die den Bestand eines Wohnraummietverhältnisses, gemeint sind insoweit vorrangig Räumungs- und Herausgabeansprüche (vgl. BT-Drucks. 13/341 v. 27.01.1995, S. 20ff), können demnach nicht wirksam in einer notariellen Urkunde tituliert werden. Unter welchen Voraussetzungen der § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO auf ein (hier unstreitig vorliegendes) sog. Mischmietverhältnis über (nicht trennbare) Wohn- und Geschäftsräume Anwendung findet, ist umstritten. Gestützt auf die höchstrichterliche und obergerichtliche Rechtsprechung zur Anwendung von Wohn- oder Gewerberaummietrecht in Mischmietverhältnissen (vgl. u.a. BGH Urt. v. 09.07.2014, VIII ZR 376/13; NJW 2008, 3361; NJW-RR 1986, 877; NJW 1977, 1394; OLG Köln ZMR 2001, 963; OLG München ZMR 1995, 295; OLG Karlsruhe MDR 1988, 414; OLG Hamm ZMR 1986, 11) ist nach der herrschenden Auffassung (vgl. Zöller/Stöber ZPO, 30. Aufl. § 794, Rn. 26 a.E.; Münch-Komm (Wolfsteiner) ZPO, 4. Aufl. § 794, Rn. 214; Baumbach/Lauterbach/ Hartmann ZPO, 72. Aufl. § 794, Rn. 22 a.E.; Bub/Treier (Drettmann) MietR, 4. Aufl., I. Rn. 168/175; Wolf/Eckert/ Ball, Handbuch des gewerbl. MietR, 10. Aufl., A I. Rn. 16/19; jeweils m.w.Nachw) entsprechend der sog. Schwerpunkttheorie zu differenzieren und eine Titulierung nach § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO (nur) dann ausgeschlossen, wenn nach den vertraglichen Grundlagen des betroffenen Mietverhältnisses die Nutzung

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des Objekts zu Wohnzwecken den Schwerpunkt bildet. Auf das streitgegenständliche, nach den vertraglichen Grundlagen und dem Wohn- und Nutzflächenverhältnis vorrangig auf gewerbliche Zwecke ausgerichtete Mietverhältnis der Parteien wäre danach Gewerberaummietrecht anzuwenden, mit der Folge, dass hier ein Räumunganspruch im Rahmen des § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO tituliert werden könnte.

Die insbesondere in Streitfällen über den Gerichtsstand, Wertsicherungsklauseln und Kündigungsfristen entwickelte Schwerpunkttheorie kann jedoch, wie das Landgericht zu Recht festgestellt hat, im Rahmen des Vollstreckungsrechts, namentlich in Bezug auf die Bestimmung des § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO (ebenso wie auf § 721 Abs. 1 ZPO) keine Anwendung finden (so auch: Musielak/ Lackmann, ZPO, 3. Aufl. § 794, Rn. 32; Prütting/Gehrlein (Scheuch), ZPO, 5. Aufl., § 794, Rn. 51 a.E.). Im Vollstreckungsrecht muss vielmehr aufgrund des mit den Vorschriften bezweckten Schutzes des Mieters vor einem kurzfristigen Verlust seines Wohnraums und der damit verbundenen Gefahr der Obdachlosigkeit eine generelle Absicherung in allen, also auch in nur anteiligen Wohnraummiet-verhältnissen gewährt werden. Die Bestimmungen der §§ 794 Abs. 1 Nr. 5 und 721 Abs. 1 ZPO sind daher entgegen der herrschenden Meinung bei Mischmiet-verhältnissen über Wohn- und Geschäftsräume auch dann anzuwenden, wenn das Mietobjekt vertragsgemäß nur teilweise bzw. untergeordnet zu Wohnzwecken genutzt wird.

Für eine solche umfassende Anwendung des § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO auf alle Wohnraummietverhältnisse, also auch auf Mischmietverhältnisse über (nicht trennbare) Wohn- und Gewerberäume, spricht dabei neben dem Mieterschutz insbesondere die tatsächliche Umsetzung im Vollstreckungsverfahren. Im Falle der Vollstreckung eines Räumnungstitels aus § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO bei einem Mischmietverhältnis würde die Anwendung der sog. Schwerpunkttheorie dazu führen, dass es grundsätzlich dem mit der Vollstreckung beauftragten Gerichtsvollzieher obläge, im Vorfeld einer Räumung zu klären, ob das betroffene Objekt nach dem Vertrags-zweck überwiegend zu Wohn- oder zu gewerblichen Zwecken genutzt wird. Da die Entscheidung über die vorrangige Nutzungsart eines Mietobjekts nach der Recht-sprechung des Bundesgerichthofes (vgl. BGH Urt. v. 09.07.2014, VIII ZR 376/13) eine umfassende, alle auslegungsrelevanten Um-

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stände berücksichtigende Einzel-fallprüfung erfordert, müsste der Gerichtsvollzieher im Rahmen der Vollstreckung daher eigenständig einen sich nicht aus dem Titel selbst ergebenden Sachverhalt ermitteln. Derartige Aufgaben gehören unzweifelhaft nicht in das Vollstreckungsverfahren, sondern in ein gerichtliches Erkenntnisverfahren (vgl. insoweit Zöller/Stöber, aaO. § 704, Rn. 5 a.E.). Das Erfordernis eines eindeutigen und hinreichend bestimmten Vollstreckungstitels gebietet daher eine uneingeschränkte Anwendung des § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO auf alle Wohnraummietverhältnisse.

Im Ergebnis ist nach alldem davon auszugehen, dass die Titulierung eines Räumungsanspruches in einer notariellen Urkunde nach § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO generell unzulässig ist, wenn sich der Anspruch im Rahmen eines Mischmietverhältnisses auch nur teilweise auf (von den Gewerbeflächen nicht abtrennbaren) Wohnraum bezieht. Der sich sich unstreitig (auch) auf Wohnraum erstreckende Räumungstitel in der Urkunde des Notars ……………..vom 08.11.2012 ist daher nach § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO unwirksam und scheidet als Grundlage einer Räumungs-vollstreckung aus.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 ZPO wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Die Frage, wann § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO auf Mitschmietverhältnisse über Wohn- und Geschäftsräume Anwendung findet, ist höchstrichterlich nicht entschieden.

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