Oberlandesgericht Braunschweig Beschluss 2 U 85/15 8 O 1240/15 Landgericht Braunschweig

In dem einstweiligen Verfügungsverfahren der B KG, Verfügungsklägerin und Berufungsklägerin, Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte B gegen die A AG, , Verfügungsbeklagte und Berufungsbeklagte, Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte G

hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht X, den Richter am Oberlandesgericht Y und die Richterin am Oberlandesgericht Z am 06. Oktober 2015 beschlossen:

-2Die Verfügungsklägerin wird darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, ihre Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 8. Juli 2015 gemäß § 522 Abs. 1 ZPO durch Beschluss als unzulässig zu verwerfen.

G r ü n d e: I.

1. Die Berufung der Verfügungsklägerin ist unzulässig.

Nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen,

aus

denen

sich

nach

Ansicht

des

Berufungsklägers

die

Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbstständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jede tragende Erwägung angreifen; anderenfalls ist das Rechtsmittel unzulässig (vgl. z. B. BGH, Beschluss vom 27.01.2015 - VI ZB 40/14, MDR 2015, 416; derselbe, Beschluss vom 15.06.2011 - XII ZB 572/10, MDR 2011, 933). Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung der Verfügungsklägerin nicht gerecht. Die Verfügungsklägerin befasst sich in der Berufungsbegründung vom 7. August 2015 unter Ziffer I. mit der grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 83 EEG 2014 auf Bestandsanlagen und unter Ziffer II. mit dem geltend gemachten Verfügungsanspruch. Dabei wird übersehen, dass das Landgericht die Abweisung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung im Urteil vom 8. Juli 2015 nicht nur mit einer Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 83 EEG 2014 auf den Erstanschluss der Anlage, sondern auch damit begründet hat, dass die Verfügungsklägerin nach Erhalt des Schreibens vom 28. April 2015 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung erst am 18. Juni 2015 gestellt habe, so dass die Dringlichkeitsvermutung als widerlegt anzusehen sei (Bl. 9 des Urteils, 3

-3vorletzter

Absatz).

Der

Entscheidungsgründe

diese

beginnt

Ausführungen zwar

mit

enthaltende

Erwägungen

Absatz

dazu,

ob

der ein

Verfügungsgrund nach den allgemeinen Regeln der §§ 935, 940 ZPO zu bejahen sein könnte. Die Ausführungen ab Satz 6 des vorletzten Absatzes auf Blatt 9 des Urteils (beginnend mit „Überdies fehlt ein…“) beziehen sich aber ersichtlich wieder auf die Bestimmung des § 83 EEG 2014, weil sich nur hieraus, nicht aus den Bestimmungen der §§ 935, 940 ZPO eine Dringlichkeitsvermutung herleiten lässt. Im Rahmen der letztgenannten Vorschriften wird die Dinglichkeit nicht vermutet, sondern ist im Gegenteil gesondert darzulegen. Da sich in der Berufungsbegründung keine Ausführungen zu dem Gesichtspunkt der

Wiederlegung

einer

Dringlichkeitsvermutung

sich

finden,

aus der

§

die

83

EEG

Entscheidung

2014

ergebenden

des

Landgerichts

selbstständig trägt, ist die Berufung unzulässig.

2. Unabhängig hiervon wäre die Berufung aber auch unbegründet und unterläge deshalb nach § 522 Abs. 2 ZPO der Zurückweisung. Ein Verfügungsgrund gemäß § 83 EEG 2014 besteht nicht. Insoweit kann dahinstehen, ob alle dort genannten Anspruchsziele verfolgt werden müssen, und ebenso, ob Stromabnahme und die für den abgenommenen Strom zu zahlende Abschlagsvergütung nur kumulativ geltend gemacht werden können, wofür die synallagmatische Verknüpftheit und die Konjunktion „und“ sprechen könnten (vgl. dazu a. Tüngler in: Frenz/Müggenborg, EEG, 3. Aufl., § 59 Rdnr. 41). Jedenfalls dürfte entgegen der von dem Oberlandesgericht Naumburg vertretenen Rechtsauffassung (Urteil vom 08.12.2011 - 2 U 100/11, REE 2012, 27) davon auszugehen sein, dass § 83 EEG 2014 einen Verfügungsgrund nur für die Fälle liefert, in denen Ansprüche im Zusammenhang mit der Neuerrichtung bzw. erstmaligen Inbetriebnahme einer Anlage geltend gemacht werden. § 83 EEG 2014 regelt Fälle des einstweiligen Rechtsschutzes durch Erlass sogenannter Leistungsverfügungen, die grundsätzlich nur zulässig sind, wenn der Antragsteller darlegt und glaubhaft macht, dass er so dringend auf die sofortige Erfüllung seines Leistungsanspruchs angewiesen ist und sonst so erhebliche wirtschaftliche Nachteile erleiden würde, dass ihm ein Zuwarten oder eine Verweisung auf die spätere Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nach Wegfall des 4

-4ursprünglichen Erfüllungsanspruchs nicht zumutbar ist (vgl. z. B. OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.06.1995, NJW-RR 1996, 123; Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., § 940 Rdnr. 6). Hiervon macht § 83 EEG 2014 im Interesse der Beseitigung von Hindernissen für die Einspeisung von Strom aus Erneuerbaren Energien in das öffentliche Versorgungsnetz eine Ausnahme, während das Solvenzinteresse des Anlagenbetreibers vom Schutzzweck nicht umfasst wird (vgl. Tüngler, a.a.O., § 59 Rdnr. 42; derselbe, REE 2012, 33). Die Gesetzesmaterialien zu der gleichlautenden Vorgängerregelung in § 59 EEG 2009 sind insoweit eindeutig. Danach sollte jene Bestimmung es dem Anlagenbetreiber ermöglichen, eine einstweilige Verfügung zu erwirken, ohne darlegen zu müssen, dass die Verwirklichung seines Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte oder die einstweilige Verfügung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung einer drohenden Gefahr oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Nach den Erkenntnissen des Gesetzgebers

hatten

die

Zivilgerichte

die

genannten

Voraussetzungen

überwiegend verneint, was vorläufigen Rechtsschutz ausgeschlossen und dazu geführt hatte, dass Anlagenbetreiber von ihren Vorhaben Abstand nahmen. Darin wurde ein Hindernis für den Ausbau der Erneuerbaren Energien gesehen, welches durch die Regelung beseitigt werden sollte. Weiter wurde mit der damaligen Neufassung eine Regelung eingefügt, wonach das zuständige Gericht bereits vor der Genehmigung oder Errichtung der Anlage eine einstweilige Verfügung erlassen konnte (vgl. BT-Drs. 16/8148 zu § 59 Seite 74). Gerade die letztgenannte Neufassung unterstreicht noch einmal, dass es dem Gesetzgeber mit § 59 EEG 2009 bzw. § 83 EEG 2014 um die Beseitigung von Hindernissen für die Einspeisung von Strom aus neuen Anlagen ging, die er sich mit Blick auf die damalige Neuregelung auch von einer zeitlichen Vorverlagerung des Zugangs zu einstweiligem Rechtsschutz erhoffte. Dieser Gesetzeszweck greift nach - wie hier - geschehener Inbetriebnahme der Anlage nicht mehr ein. Das Argument, auch der Betreiber einer bestehenden Anlage benötige einen Anspruch auf regelmäßige Zahlung, verfängt nicht. Es mag zwar sein, dass Anlagenbetreiber auf einen konstanten Zahlungsfluss angewiesen sind, doch darf nicht übersehen werden, dass dies auf zahlreiche Fallgestaltungen des Wirtschaftslebens außerhalb des Energierechts ebenso zutrifft, ohne dass die 5

-5betroffenen

Gläubiger

ohne

Weiteres

die

Möglichkeit

zur

erfolgreichen

Beantragung einer Leistungsverfügung hätten. Entscheidend ist, dass der Gesetzgeber mit der Bestimmung des § 83 EEG 2014 und den einschlägigen Vorgängerregelungen eine Ausnahme geschaffen hat, Ausnahmeregelungen eng auszulegen sind und deshalb anhand von Wortlaut und Gesetzeszweck eine präzise Ermittlung der Grenzen dieses Ausnahmetatbestands erfolgen muss. Zweck der Regelung ist indes nicht, das Solvenzinteresse des Anlagenbetreibers zu sichern, sondern den Ausbau der Erneuerbaren Energien zu fördern. Dagegen gibt es keinen Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber die Klärung - unter Umständen

komplizierter

und

umfangreicher

-

Abrechnungsstreitigkeiten

hinsichtlich bereits betriebener Anlagen unter Aufgabe des sonst geltenden Grundsatzes

der

Rechtschutzgewährung

durch

einen

„normalen“

Hauptsacheprozess in das dafür nicht geeignete einstweilige Verfügungsverfahren verlagert wissen wollte.

II.

Es besteht für die Verfügungsklägerin binnen zwei Wochen Gelegenheit zur Stellungnahme oder Berufungsrücknahme. Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass

sich

die

Gerichtskosten

des

Berufungsverfahrens

im

Falle

einer

Berufungsrücknahme auf die Hälfte ermäßigen (Nr. 1222 KV GKG).

X

Y

Z