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Author: Günther Busch
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Jahrbuch für die Geschichte des Herzogtums Oldenburg Oldenburger Landesverein für Altertumskunde und Landesgeschichte Oldenburg, 1892

Bd. 10. 1901

urn:nbn:de:gbv:45:1-3240 Visual I^Library

Schriften des Oldenburger für Altcrtumskunde Jahrbuch

Vereins

und Landesgeschichte. XXII .

für die Geschichte des Herzogtums Oldenburg, von dem Oldenburger Verein

herausgegeben

für Altertumskunde und Landesgeschichte.

X.

1901

Oldenburg. Gerhard Staling.

Redaktionskommission: (Mieimcr .fiir(l)vnml Ha »eil, Oberbil'lwthckar Dr. Mosen, Privatdozent Dr. C tiefen. Aeitriiqe und Zusendungen mcrbeii erbeten an dm Redakteur. Privatöoccnt Dr. Oncken, 25criin N., Auguststraße 6*.

BIJBLIOTHECA OLDENBVRGENSI

Inhaltsverzeichnis. Seite

I. Matthias Claudius und Oldenburg.Von Staatsminister a D. Jansen Exc. in Weimar 1 II. Aus der oldenburgisch-müsterländischen Fehde von 1538 .... 6 III. Jeverland bis zum Jahre 1500. Mit einer Karte. Von Eisenbahndirektor z. D. O. Hagena in Groß-Lichterfelde bei Berlin 7 IV. Die Verschuldung und Not des Bauernstandes im Amte Vechta nach dem dreißigjährigen Kriege. Von K. Willoh, kathol. Seelsorger an den Strafanstalten in Vechta 31 V. Münsterländische Sage. Mitgeteilt von F. Kleyböcker . . . 66 VI. Oldenburgs erste Recognoscierung in Birkenfeld 1816. Mitgeteilt von Staatsminister a. D. Jansen Exc.. in Weimar. 67 VII. Ein Gegenstück zur Bremer Taufe von 1464 94 VIII. Forschungen zur Verfassungsgeschichte der Stadt Oldenburg. Erster Artikel. Über fünfundzwanzig neu aufgefundene Urkunden von 1411—1643 aus dem Rathause zu Oldenburg. Von Oberlehrer Dr. Dietrich Kohl in Oldenburg 95 IX. Kleine Mitteilungen. 1. Heinrichs von Meisten Lobspruch auf den Grafen Otto von Oldenburg. Von Oberbibliothekar Dr. R. Mosen. . . . 133 2. Aufenthalte des Herzogs Friedrich August in Oldenburg (nach dessen eigenhändigem Journal). Mitgeteilt von Staatsminister a. D. Janusen Exc. in Weimar 135 X. Neue Erscheinungen: Darunter an längeren Besprechungen: G. Rüthning, Landeskunde des Großherzogtums Oldenburg (H.Oncken). J. Bröring, Das Saterland II. Teil (W. Ramsauer); I. Gierke, Die Geschichte des deutschen Deichrechts I. Teil (F. Bucholtz}); F. Ruhstrat, OIdenburgisches Privatrecht (Burlage); E. F. S. Lund, Danske maledee Portraiter (R. Mosen); E. Pleitner, Oldenburg im 19. Jahrhundert II. Band (H. Oncken); Briefe aus Rom und . . . . 138 Athen von Frhr. Reinhard v. Dalwigk (H. Oncken) XI. Nachruf 175

I.

Matthias Claudius und Oldenburg. Von G. Jansen. n den „Erinnerungen an Johann Gottfried von Herder" — herausgegeben von seiner Witwe und einem Freunde des Haderschen Hauses Johann Georg Müller — findet sich gelegentlich einer Charakteristik des Grafen Wilhelm von Schaumburg-Lippe die Äußerung: „Amtspflichten zu erfüllen hielt er für ein Geschäft subalterner Menscheu". Damit ist nur ausgedrückt, was in weiten Kreisen des achtzehnten Jahrhunderts eine verbreitete Meinung war, und eng mit derselben zusammen hängt die Auffassung öffent­ licher Ämter als Pfründen und Versorgungen, die erstrebt und ver liehen wurden, ohne das; man viel darnach fragte, ob der betreffende Mann auch für das betreffende Amt tauge. Erst die strengere und höhere Auffassung des modernen Staates, wie sie zuerst im preu­ ßische» Staatswesen zur Geltung durchdrang, hat darin Wandel geschaffen und einen idealeren Begriff des^Staatsdienstes ausgebildet. Die Geschichte des oldenburgischen Staatsdienstes bietet zwei merkwürdige Beispiele jener Art, welche deshalb ein besonderes Interesse für sich in Anspruch nehmen dürfen, weil in beiden Fällen die befürwortenden Gönner wie die empfohlenen Schützlinge den vordersten Reihen der Träger der großen Litteraturepoche des achtzehnten Jahrhunderts angehören. Der eine Fall ist bekannt; es handelt sich in demselben um den Versuch des Grafen Friedrich Leopold Stolberg, seinem Freund und Genossen aus der Göttinger Hainbundzeit, Gottfried August Jahrb. f. Clbcitfr. Gesch. X. 1

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G. Jansen.

Bürger, zu einer Oldenburger Amtmannsstelle zu verhelfen.') Bürger war ein großer Balladendichter, als Mensch niindestens eine fragwürdige Persönlichkeit und als Beamter nach den Proben, welche er in seinem Wirkungskreise im Dienst der Familie von Uslar in Gelliehausen abgelegt hatte, so gut wie unbrauchbar. Gleichwohl legte sich Stolberg in immerhin begreiflichem mensch­ lichen Mitleid, aber doch wohl reichlich wenig beachtend, was man heute bureaukratisch das „Interesse des Dienstes" nennt, lebhaft für ihn ins Zeug, scheiterte jedoch mit seinen Bemühungen an dem nüchternen Urteil und dem kühlen Menschenverstände des Herzogs Peter Friedrich Ludwig. So wurde zum Glück für den oldenburgischen Dienst aus der Sache nichts. In dem zweiten Falle war der befürwortende Gönner kein Geringerer als Herder, und der warm empfohlene Schützling Matthias Claudius, der Wandsbecker Bote. Es wird auf diesen Fall etwas näher eingegangen werden dürfen, weil das Material zum Teil bis dahin unbekannt ist. Als Herder im Jahre 1770 den Ruf an die Stelle eines Begleiters des Prinzen Peter Friedrich Wilhelm von HolsteinGottorp für dessen Studienzeit und Reisen angenommen hatte, hielt er sich auf der Reise nach Eutin einige Wochen in Hamburg auf. wo er dein Lesfingschen Kreise nahe trat und freundschaftliche Beziehungcn mit Matthias Claudius anknüpfte, die sich während seines ganzen Lebens erhielten.2) Matthias Claudius, der Wandsbecker Bote — von hervorragender Begabung als volkstümlicher Schriftsteller und Dichter, eine harmlose fröhliche Seele und ein Mann von vortrefflichem Herzen, aber geringem Talent für die praktischen Dinge dieser Welt — lebte in Wandsbeck in knappen äußeren VerHältnissen, die sich noch dürftiger gestalteten, als er im Jahre 1772 „feine Rebecka" — nach den Zeugnissen der Zeit eine durch Anmut, Geist und Charakter ausgezeichnete Frau — heimführte und ') ?l. Stiobtmanii, Briefe von nnd an Gottfried August Bürger. Bd. 3 8.175 ff. Wolfgang von Wurzbach, Gottfried August Bürger. Leipzig 1900. •) Über Matthias Claudius und seine Beziehungen zu Herder: Wilhelm Herbst, Matthias Claudius, der Wandsbecker Bote. Gotha 1857. — Rudolph Hayin, Herder nach seinem Leben und seinem Wirken. Bd. I. Berlin 1P80.

Matthias Claudius und Oldenburg.

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eine Familie gründete. Der schwache Verdienst, den das litterarische Unternehmen „Der Wandsbecker Bote" abwarf, reichte auch bei bescheidensten Ansprüchen für den Unterhalt eines Hausstandes nicht aus, Überfetzungsarbeiten für Hamburger Verleger wurden auch nur kärglich bezahlt, die Ausgaben wuchsen mit wachsender Familie und so ward der Wunsch mich irgend einer festen Anstellung, sei sie wie sie sei, bei Claudius begreiflicher Weise immer reger. Hierfür trat Herder als allezeit bereitwilliger Vermittler ein; allein seine Ver­ suche, durch seine Verbindungen in Cnrland, in Darmstadt und mit dem Allerwelts-Freund und Gönner Gleim in Halberstadt den trefflichen Claudius unterzubringen, ergaben einstweilen keinen Erfolg. So wendete er sich denn im Jahre 1775, als die Not immer dringender ward, au einen einflußreichen Vertrauensmann des Herzogs Friedrich August, den Justizrat Georg in Eutin, mit dem er durch die gemeinsamen Beziehungen zu dem Prinzen PeterFriedrich Wilhelm bekannt und befreundet geworden war, mit folgendem in der überschwenglichen Tonart jener Zeit gehaltenen Schreiben (ohne Ortsangabe und Datum): „Heute nichts vom Prinzen, auf dessen kurzen stumpfen Brief ich freilich Nichts zu antworten vermag, sondern von einem andern armen Geschöpf, dem Sie vielleicht helfen können, hochgeschätzter menschenfreundlicher Freund. In Wandsbeck bei Hambürg lebt ein Gelehrter Namens Claudius, der durch seine Talente, auch durch die Sammlung des Wandsbecker Boten, rühmlich bekannt ist, dabei ein weites, edles, außerordentlich lauteres und zartes Menschenherz hat, das^seine Geschicklichkeiten und Talente weit übertrifft. Und der Mann mit Weib und Kindem ist jetzt ohne Brod und wünscht sich eine massige, ruhige, thätige aber ja keine gelehrte Stelle, Rechnen, Schreiben, Aufsehen u. A. — neue Sprachen weiß er viel, außer Französisch, Englisch. Italienisch auch Holländisch, Spanisch, Schwedisch. Dänisch etwas, ein sehr brauchbarer Mann, wo nicht blos; Staat zu machen wäre — kurz, lieber edler G., in den Gebieten Ihres Herrn sind Stellen und Locher genug, die einen so vortrefflichen, ewig dankbaren und geschickten Menschen glücklich machen können. Versuchen Sie also etwas und spannen die Segel an, die, l*

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G. Jansen.

wie Sic wissen, am meisten dazu dienen. Ich würde selbst an des H. G. R. und Oberlanddrosten Exc. geschrieben haben, weis; aber nicht, ob mein Bild bei ihm gut schwebt und mein Brief also wirke. Sie aber könnens! könnens! könnens! Vom AmtsVerwalter bis zum Secretair von Geschäften sind alle Stellen für ihn, und welche Reihe von Stellen, deren geringste er nicht aus­ schlägt. Isis Beweggrund, liebster Fr., so verbinden Sie meine Frau, seine beste und entschlossenste Freundin, unsäglich und unendlich, wenn Sie etwas für ihn thun können und mich seinen alten Fr. zu geschweige!,. Ich knüpfe ihn auf Ihre Seele. Sehen Sie ihn, ober vielmehr, warten Sie nicht bis Sie ihn sehen können, sondern schreiben, mühen sich — Heil! wenn Sie das Glück hätten, was ich schon nicht haben soll, die lauterste Familie unter der Sonne zu versorgen, die's Ihnen gewiß ewig danket. Herder." Auch dieses Schreiben hatte keinen Erfolg; wenigstens wurde Matthias Claudius nicht in oldenburgischen Diensten angestellt. Ob das seinen Grund in mangelnder Gelegenheit oder in wohl nicht unberechtigtem Mißtrauen in feine praktischen Fähigkeiten ge­ habt haben mag, kann dahin gestellt bleiben; denn die Angelegenheit erledigte sich für Oldenburg-Eutin, ohne daß in der Sache ein endgültiger Entschluß gefaßt zu werden brauchte, dadurch, daß Herder um dieselbe Zeit in Darmstadt, wohin er sich in Claudius' Interesse gleichfalls von neuem gewendet hatte, diesmal zum Ziele kam. In Darmstadt weilte Herder von Bückeburg aus im Sommer 1775 einige Wochen, und diese Anwesenheit konnte er benutzen, dem berühmten hessischen Minister Friedrich Carl von Moser, der eben im Begriff war in Darmstadt eine Behörde zu errichten, deren allgemeine Aufgabe im Geiste des Zeitalters der Aufklärung die Förderung des Volkswohlstandes und der Volksbildung im hessischen Lande auf allen Gebieten fein sollte — ein etwas vages Pro­ gramm, das später auch gründlich Fiasko machte —, Matthias Claudius als eine für eine solche Behörde vorzüglich geeignete Persönlichkeit zu empfehlen. Claudius Berufung erfolgte mit dem prunkvollen Titel eines Oberlandkommissarius in der That und im April 1776 siedelte die Familie von Wandsbeck nach Darmstadt

Matthias Claudius und Oldenburg.

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über, unterwegs glückliche Tage im Haderschen Hause in Bückeburg verlebend. Aber die Freude war nur eine kurze. Claudius genügte weder den Anforderungen der hessischen Regierung, noch sagte ihm selbst sein neuer Beruf zu, so daß er schon im Frühjahr 1777 — auf Herders Verwendung von der Herzogin Luise von Weimar mit Reisegeld ausgestattet — nach Wandsbeck zurückkehrte, das er nunmehr — den Kampf mit der Notdurft des Lebens von neuem aufnehmend — bis zu seinem Tode (1815) nicht mehr verlassen sollte. Der Minister von Moser hatte wegen dieses Mißgriffs bittere Kritik zu erfahren, sein Endurteil über Claudius lautet: „Seine herzliche und populäre Schreibart schien die Erwerbung eines solchen Mannes bei einer Anstalt schätzbar zu machen, wo so wenig auf Befehl und so viel aus Überzeugung ankommt. Er war aber zu faul, mochte Nichts thun als Vögel singen hören, Klavier spielen und spazieren gehen, konnte die hiesige Luft nicht vertragen, verfiel in eine tödliche Krankheit und ging von selbst zu seinen Seekrebsen wieder zurück." Bei aller menschlichen Teilnahme wird man das OldenburgEutinische Staatswesen nicht beklagen können, daß ihm diese ErWerbung ebenso wie ein Jahrzehnt später diejenige Bürgers entging. Freilich wäre bei anderem Ausgang die Geschichte der Be­ ziehungen Oldenburgs zu der großen Litteraturbewegung der Zeit um zwei berühmte Namen bereichert worden.

II.

Aus der Oldenburgisch-mümsterschen Fehde von 1538. Wir

haben schon früher auf die für die allere Baugeschichte des Landes sehr ergiebigen Schadenersatzrechnnngm auftilerkfam gemacht, die der Bischof von Münster nach dem Einfall der Oldenburger im Jahre 1538 ausstellen ließ, und daraus im Jahrbuch Bd. 8, 78 („Aus alten Kircheninventaren") die Einbuße der Kirche zu Sutten mitgeteilt. Hier mögen die wichtigsten Verluste der Weltlichtn und geistlichen Gebäude der Stadt Vechta Platz finden; vielleicht mag das einen Geschichtsfreund anregen, einmal das ganze Register zum Abdruck zu bringen. „Item de kerche tor Vechte binnen und Baven verbrent, de weifte (Gewölbe) ingefallen, bat clockhucs verblaut mit V clockeu, dar to alle clenodie als monstmntie, cibaria, XI feite, inissewende, koerkappcn und ander golt- und sulvenvark danit genoinen sanpllich und andere gülden stucke; wort daewor geachtet, bat men de fulcher gestalt weddemmb nicht folde reftitucreu mit entfrombder baerschap, so in der kerchcu begraben und tobehort .... 2500 gülden." „Item bat rauthues, IUI Porten, porthuseren, geschutte, loit, fruit und was tont brande nodich im emmerett und anders, so im gründe afgebrant und eniuech genomen, tnjert geringe genoich uf 1500 gülden." „Item der stobt reg gen mit den gemeinen allemissen (Almosen) und der gemeinen allemissen und den gildepannen lagert up . . . 200 guldeu " „ I t e m A n t h o n i i C a p e l l e , unser leven Fioiiwen C a p e l l e m i t atief t c m cligen docken und clenodien, ttoich des billigen Cruces Capelle und clenodie u t der C a p e l l e n d e c e m m i l i u m m a r t i r u m , i n a l l e s tosainende laxert up 2500 guldeu." „Item cloft er mit X timmer to gnmbe verbrant, lagert ttp . 1000 guldeu." (Über diese vier Kapellen und das Augustinerinnen-Kloster Marienthal in Vechta vgl. Willah, Geschichte der katholischen Pfarreien. Bd. 4.) H. 0.

III.

Jeverland bis zum Jahre 1500. Mit einer Karte.

Von O. Ha gen a. Mic nachstehenden Untersuchungen sind ihrem wesentlichen Inhalte cy nach angeregt und veranlaßt worden durch Friedrich von Thunens „Begründung der deichrechtlichen Zustände in der Herr­ schaft Jever." Oldenburg, 1847 —. Während eines sechsjährigen Aufenthalts in Jever hat der Verfasser sich angelegen sein lassen, dasjenige, was von Thünen über die Entstehuugs- und Bedeichnngsgeschichte Jeverlands — weist nur in kurzen Andeutungen — sagt, durch Befragen landeskundiger Freunde') lind durch Beobachtung an Ort und Stelle zu ergänzen nnd zu vervollständigen. Namentlich aber hat er aus dem, was die damalige Litteratur an geeignetem Material bot, alles zn sammeln und zn sichten versucht, was für den Gegenstand verwertbar war. Leider war in dieser Beziehung die Ausbeute zu jener Zeit — Ende der sechziger Jahre — eine verhältnismäßig geringe. Außer der bereits erwähnten Arbeit von Thünens kamen in, wesentlichen nur folgende Schriften in Betracht: 1. „Gesamlete Nachrichten von Jeverland von den ältesten Zeiten bis ans das Jahr 1468, von Hans Christian Bruschius, weiland ersten Prediger zn Minsen. Jever, Trendtel, 1787". — Bruschius hat sein Augenmerk hauptsächlich der politischen Geschichte des Landes nnd der Genealogie seiner Häuptlinge zugewandt. Aber auch das, was die Chroniken des sechzehnten Jahrhunderts ') Insbesondere bin ich seitens der Gemeindevorsteher H. Oelsen zu Reuende und A. Reling zu Relinghausen durch vielfache Ausklärungen über örtliche Verhältnisse in wirksamster Weise unterstützt worden.

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O. Hagena.

über die einstige Gestaltung der alten Gaue Rüstringen. Öftringen nnd Wangerland boten, hat er benutzt und zusammengestellt. Ihn, gebührt namentlich das Verdienst, daß er durch seine Arbeit das Interesse der Jeverländer für ihre heimische Geschichte neu geweckt und angeregt hat. — Anschließend an Bruschius Schrift hat dann 2) der Rektor der höheren Schule in Jever, Professor H. F. Hollmann, in den von 1799 bis 1807 bei Borgeest in Jever und später bei G. Stalling in Oldenburg erschienenen Jeverschen Kalendern eine Reihe von Aufsätzen über die Jeversche Geschichte veröffentlicht, von denen sich speziell mit der Entwickelung der Jeverländischen Marschen die folgenden besassen: a. im Jahrgang 1799 „Geogonie oder Urgeschichte Jeverlands", b. im Jahrgang 1800 „Bedeichnngsgcschichte der Jevcrländischen Marsch", c. im Jahrgang 1801 „Einige Bemerkungen über die Veränderungen, welche Jeverland an der Jadeseite erlitten", d. im Jahrgang 1805 „Gewinn und Verlust der Arealgröße Jeverlands im 18. Jahrhundert", o. im Jahrgang 1805 „Etwas über die östliche Küste Wangerlands". — 3) In dem dreibändigen Werke von Fr. Areuds „Ostfriesland und Jever in geographischer, statistischer und landwirtschaftlicher Hinsicht", Emden nnd Hannover 1818, 1819 und 1820, ist die Ent­ stehung und erste Besiedelung der Nordsee-Marschen einer eingehenden Erörterung unterzogen. Der Verfasser gelangt in seinen Unter­ suchungen zu dem Ergebnisse. — s. Band II S. 193 ff. — daß zwischen dem Dünensaume der Küste und dem Rande der hohen Geest lange Zeit eine breite flache Niederung bestanden haben müsse, zu welcher der Seeflut mir wenige Zugänge offen gestanden hätten, sodaß sich hier im ruhigen Wasser reichliche Niederschläge bilden konnten. Erst später habe dann die Nordsee den Dünenwall teil­ weise zerrissen und zerstört nnd sich breitere Zuweisungen dorthin gebahnt. Diese Vorgänge haben in der neueren Wissenschaft durch die nachgewiesene säkulare Senkung unserer Küste und die Verhältnismäßig späte Entstehung des Kanals zwischen England nnd Frankreich ihre vollgültige geologische Erklärung gesunden nnd diejenigen Schlußfolgerungen, welche der Verfasser ans seinen örtlichen Beob­ achtungen gezogen hat. vollaus bestätigt. Weniger glücklich scheint jedoch seine Annahme zu sein, — s. Bd. II S. 229 —, daß an

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der Stelle des Jadebusens vor dem Einbruch des Meeres ein Land­ see von bedeutender Ausdehnung in der Art des vormaligen Harlemer Meers gelegen habe. Nach der im Jahre 1847 erfolgten Veröffentlichung des eingaugs bereits erwähnten von Thünenschen Buches hat es dann fast 40 Jahre gedauert, bis eine neue Arbeit über die Jeverschen Deiche erschien. In seinem Werke „Der Jeversche Deichband" — Oldenburg. Gerhard Shilling, 1884 — hat der Oberdeichgräfe Tenge die Geschichte der Deiche, Uferwerke und Siele an der Rüstringer, Kniphauser und Wangerländischm Küste seit dem Jahre 1511 auf Grund der im oldenburgischen Staatsarchiv und bei der Gros;herzoglichen Baudirektion darüber vorhandenen Akten dargestellt. Auf die weiter zurückliegenden Vorgänge ist er jedoch nur ganz kursorisch eingegangen, da urkundliches Material über sie nur ver­ schwindend wenig vorhanden ist und die in Chroniken und in münd­ licher Überlieferung erhaltene Tradition unsicher erschien. Doch ist es seinen Ermittelungen zu danken, das; die Örtlich feit der unter­ gegangenen Kirchdörfer Bordum, Ahm und Oldebrügge jetzt zweifel­ los festgestellt ist. — Eingehender sind die vorgeschichtlichen Znstände, die erste Besiedelung und die allmählich erfolgte Bedeichung der Jeverschen Marschen in dem 1896 erschienenen ersten Bande der „Geschichte des Jeverlands" von F. W. Riemann — Jever, C. L. Mettcker & Söhne — behandelt, wo die Ergebnisse der früheren, auf diesem Gebiete gemachten Ermittelungen in über­ sichtlicher Weise zusammmengestellt sind. Jedoch sind in erst allerneuester Zeit durch das Werk des Archivrats l)r. Georg Sello „Studien zur Geschichte von Ostringen und^Rüstringeu" — Varel, Ad. Allmers, 1898 — zahlreiche bisher unbekannte Thatsachen ans Licht gefördert worden, und muß ich daher am Schlüsse meiner Alls­ führungen auf das Ergebnis dieser Forschungen des Näheren zurückkommen. Es ist eine durch die geologische Wissenschaft unzweifelhaft festgestellte Thatsache, das; die Nordsee in vorgeschichtlicher Zeit zwischen Dover und Calais gegen den atlantischen Ozean durch

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O. Hagena.

einen Landriegel verschlossen war. der Frankreich nnd Großbritannien mit einander verband. Damals war also die Nordsee ein Meeres­ becken. das nur zwischen Schottland und Norwegen dem ans dem Ozean kommenden Flutstrom offen lag. Im Süden und Südosten wurde dieser Meerbusen durch ein flaches sandiges Uferland begrenzt. Es bildete sich aber unter der Einwirkung des hier vorherrschenden Nordwestwindes längs derjenigen Grenze, bis zu welcher die Ebbe regelmäßig zurücktrat, eine Dünenkette, die sich allmählich immer mehr erhöhte und zusammenschloß und endlich das südlich und südöstlich von ihr belegene Terrain der Einwirkung des Flutstroms fast völlig entzog. Nur da, wo die dem hohen Binnenlande entströmenden großen Gewässer, — die Scheide, die Maas, der Rhein, die Assel, die Ems, die Weser, die Elbe und die Eider. — sich den Abfluß zur See noch mühsam erzwangen, blieben Lücken und Offnungen in diesem Dünenwall, der sich von Eap Gris-Nez bei Calais an der flandrischen, niederländischen und deutschen Küste entlang bis nach Jütland erstreckte. Zwischen ihm und dem über Fluthöhe liegenden Rande der hohen Geest breitete sich ein weites Flachland aus, das von den in ihrem Abfluß mehr und mehr behinderten Binnenlands-Flüssen versumpft und überschwemmt wurde. So entstand hier eine Süßwasser-Lagune von ungeheurer Aus­ dehnung, und es entwickelten sich in dem flachen, stagnierenden oder doch nur wenig bewegten Gewässer ans der üppig wuchernden Vegetation mächtige Torfmoore. Diese Moore umlagern noch jetzt fast überall in breitem Gürtel den Rand der Geest, doch war ihre Ausdehnung früher eine weit größere, wie aus den unter dein Kleiboden vieler Marschgegendeu vorhandenen Torfschichten — dem sog. Darg — erkennbar ist. Als dann später durch eine langsam wirkende Veränderung im Erdinnern eine allmähliche Senkung der Nordseeküste eintrat, vermochte die Dünenkette tut ihren schwächeren Stellen der Wirkung der Sturmfluten nicht mehr zu widerstehen. An verschiedenen Stellen überspült und durchbrochen, gab sie dem Zudrang der Nordseefluten zu der bislang von ihr beschützten Lagune Raum. Nunmehr konnten sich in dem weiten und ruhigen Becken derselben durch Ablagerung der Sinkstoffe des Meereswassers jene Boden-

Jeverland bis zum Jahre 1500.

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.schichten absetzen, welche unser älteres Marschland bilden. Da die Aufschlickung des Grundes in erheblich rascherein M a ß e fort­ schritt, als die säkulare Senkung desselben, so erhöhte sich der Boden nach nnd nach soweit, daß er das Niveau der regulären Fluthöhe überragte und nur noch von außergewöhnlich hohen Fluten überschwemmt wurde. So hatte sich im Laufe der Jahrhunderte zwischen der Geest und der Dünenkette eine breite grüne, nur von den Flußlänfen und vereinzelten Meeresarmen unterbrochene Ebene gebildet, als die Flutverhältnisse der Nordsee durch die E i n s p ü l n n g d e s K a n a l s z w i s c h e n E n g l a n d u n d Frankreich eine folgenschwere Änderung erfuhren. Das weiche Kreidegestein, welches einst die Verbindung zwischen jenen beiden Ländern herstellte, hatte dem immerwährenden Anstürme des Ozeans auf die Dauer nicht Stand halten können, nnd durch die gebrochene Lücke strömte das Flntwasser jetzt auch von Südwesten her in die Nordsee ein, mit sich hier mit der von Norden kommenden Flut­ welle zu verbinden. Dem Anprall dieser vereinigten Gewässer ver­ mochten die noch erhaltenen Reste der Dünenkette nicht zu wider­ stehen. Aus der ganzen Strecke vom Helder an der Nordspitze der Provinz Nordholland bis nach der jütischen Insel Fanve ward der Dünenwall an vielen Stellen durchbrochen und das hinter ihm liegende Marschland wurde zerrissen und weggespült. Nur auf kurzen Strecken blieben die Dünen bestehen, die uns noch jetzt auf den holländischen und friesischen Inseln sowie an der Westküste der Halbinsel Eiderstedt erhalten sind. Es ist also die Dünen­ kette auf der Halbinsel Eiderstedt in gleicher Weise landfest geblieben, wie dies an der Westküste der Provinzen Aord- und Südholland und in Flandern der Fall ist. Sonst sind längs der nieder­ ländischen Nordküste und längs der deutschen Küste die Dünenreste überall von dem dahinter liegenden Marschlande durch ein b r e i t e s Wattenmeer und meistens auch durch tiefe Secarmc getrennt. Nachdem sich so der Flutstrom neue Betten gegraben und dadurch allmählich einen regelmäßigeren und gleichmäßigeren Ver­ lauf genommen hatte, traten für das von ihm verschont gebliebene hohe Marschland wieder ruhigere Zeiten ein. So ist dasselbe sicherlich schon in sehr früher Zeit der Schauplatz menschlicher Ansiedelung

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O. Hagcna.

geworden. Denn als die Römer im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung bis an die Nordseeküsten vordrangen, fanden sie die­ selben von einer zahlreichen und tapferen Bevölkerung bewohnt. Die blutigen Kriege, welche sie mit den Batavern und Friesen zu bestehen hatten, geben von der Widerstandskraft und kriegerischen Tüchtigkeit jener Stämme ein rühmliches Zeugnis nnd lassen zugleich darauf schließen, das; ein gewisser Grad von Kultur sich mich bei ihnen bereits heimisch gemacht hatte. Freilich schildert uns der gleichzeitige Schriftsteller Plinins das Leben der damaligen Marschenbewohner in wenig verlockenden Farben: „Hier steigt nnd fällt der Ozean zweimal binnen Tag nnd Nacht, einen unermeßlichen Landstrich überflutend, so daß man bei diesem ewigen Kampfe der Natur nicht weiß, ob die Gegend zum festen Lande oder zum Meere gehört. Hier haust das elende Volk auf Hügeln oder auf künstlich gebauten, über der höchsten Flut erhabenen Warfen, auf die sie ihre Hütten setzen, Schiffenden ähnlich, wenn die Flut alles um sie her bedeckt, Schiffbrüchigen aber, wenn sie zurückweicht. Auf die dann mit dem Meere zurückgehenden Fische machen sie um ihre Hütten Jagd. Sie haben kein Vieh, noch ernähren sie sich von Milch wie ihre Nachbarn, ja sie können nicht einmal der Jagd obliegen, weil das Gebüsch fehlt. Ans Seegras und Binsen flechten sie Stricke zu Netzen, und mit den Händen gegrabeneu Schlamm, den sie mehr beim Wind als in der Sonne trocknen, gebrauchen sie zum Kochen ihrer Speisen und zum Erwärmen ihrer vom Nordwinde erstarrten Glieder. Regenwasser, welches sie in lüsternen in dein Vorhaufe ihrer Hütten bewahren, ist ihr ein­ ziges Getränk. Und diese Völker, wenn heute vom römischen Volke besiegt, sagen, sie seien Sklaven". ES ist ja sehr erklärlich, das; dem verwöhnten Großstädter die Lebenshaltung jener Küstenvölker in äußerst bedauernswertem Lichte erschien. Gleichwohl aber sehen wir, das; noch heutzutage die Bewohner der Halligen und der übrigen Nordsee-Jnselu mit warmer Liebe an ihrer Heimat hängen, — ein Beweis da­ für, daß gerade diese Art des Lebens in der unmittelbaren Nachbarschaft des Meeres einen hohen und eigenartigen Reiz hat.

Jeverland bis zum Jahre 1500.

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Aus der Schilderung des Plinius, deren Lebhaftigkeit darauf schließen läßt, das; er unser Küstenland ans eigener Anschauung kannte, geht für das hier erörterte Thema jedenfalls soviel mit Sicherheit hervor, das; damals eine Eindeichung unserer Nordseemarschen noch nicht begonnen hatte. Die Behausungen der Bewohner befanden sich auf den erhöhten Stellen deS durchweg ebenen Landes, den sog. Warfen und Wurtheu, die behufs besserer Sicherung gegen die Sturmfluten teilweise noch künstlich durch Aufbringung von Erde anfgehöht Worden waren. So findet man denn hie und da noch jetzt in unmittelbarer Nähe der Warfen niedrige Stellen — sog. Mirren —, aus denen vermutlich der zur Aufschüttung verwandte Bode» gewonnen wurde. Von diesen Wohiistätten aus betrieben die Ansiedler jedenfalls schon in sehr früher Zeit die Viehzucht. Die Benutzung des Landes zur Ackerbestellnng verbot sich ihnen vorerst noch, da jede außergewöhnlich hohe Flut sie um den Ertrag ihres Fleißes bringen mußte. Nur da, wo eine besonders hohe Lage eine hinreichende Sicherheit zu gewähren schien, wurde auch der Anbau von Feldfrüchten gewagt, und die Bezeichnung „Ollacker", welche wir in verschiedenen Orts­ namen. — Wiefel ser-, Tettenser-, Seng ward er-Ol lack er, — wiederfinden, deutet noch jetzt auf einen frühzeitigen Feldbau an der betr. Stelle hin. Wann zuerst in größerem Umfange mit der Eindeichung des Marschlandes begonnen wurde, ist geschichtlich nicht nachweisbar. Gewöhnlich nimmt man an, das; im ersten Jahrtausend unserer Zeitrechnung in dieser Beziehung nur sehr wdnig geschehen sei. Die Richtigkeit dieser Annahme vorausgesetzt, muß in dem Zeitraume vom Jahre 1000 bis zum Jahre 1200 das große Werk mit Energie in Angriff genommen und rüstig gefördert worden sein. Denn die Berichte der Chroniken über die Sturmfluten des dreizehnte u Jahrhunderts lassen erkennen, das; damals die meisten Ortschatten unseres Marschlandes mit Deichen geschützt waren. Die Art und Weise, in welcher sich die ersten Bedeichnngen im Jever lande vollzogen haben, bedarf nun zunächst einer ein­ gehenderen Erörterung. Gegenwärtig ist das ganze Gebiet von der ostfriesischen Grenze bei Carolinen siel bis zum Anschlüsse au die

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O. .(tagend.

altoldenburgischen Teiche bei Ellenserdamm von einem gemeinsamen Teiche umschlossen, durch den die sämtlichen Gewässer des dahinter liegenden Binnenlandes in zahlreichen Sielen ihren Ansflufj haben. Die ersten Anfänge der Bedeichuug gewährten aber ein von dem gegenwärtigen Zustande wesentlich verschiedenes Bild. Das von der Geest herabströmende Wasser hatte sich damals noch in dem iinbedeichteii Marsch lande breite Rinnsale offengehalten, in welchen es dem Meere zufloß und die auch untereinander durch verschiedene Querrinnen in Verbindung standen. Da diese Rinnen der Flut- unt> Ebbe-Bewegung des Meeres offen lagen, so muß die in ihnen herrschende Strömung auch da eine recht erhebliche gewesen sein, wo das ihnen zugeführte Binnenwasser verhältnis­ mäßig gering war. Betrachtet man nun den Lauf der heutzutage das Jeverland entwässernden Sieltiefe und größeren Wasserzüge, so fallen deren vielfache Windungen und Krümmungen unwillkürlich auf. Im Gegensatze zu den meist geraden Linien der von MenschenHand hergestellten Gräben, welche die Abgrenzung der einzelnen Hamme bilden, gewähren fast alle Sieltiefe noch gegenwärtig das Bild natürlicher Wasserläufe, und schon dieser Umstand legt die Vermutung nahe, daß in ihnen die von alters her bestehenden Rinnsale und Seearme noch jetzt erhalten sind. Diese Annahme findet aber dadurch eine augenfällige Bestätigung, daß die größeren Binnentiefe Jeverlands fast ausnahmslos die Grenze zweier oder mehrerer Gemeinden bilden. So ist das Hohenser-Ties die Grenze der Gemeinden Hohenkirchen, Wiarden und St. Joost einerseits und Oldorf bezw. W üppels andererseits. Die Südgrenze letzterer beiden Gemeinden gegen Waddewarden und Pakens wird durch das Crildnmer Sieltief gebildet. Südlich au den Gemeinden Waddewarden und Pakens entlang fließt das Hooks-Tief, welches die Nordgrenze von Sillenstede und Sengwarden bildet. Die Gemeinden Sengwarden und Sillenstede werden durch den Laus der Sillensteder Grenzleide von einander geschieden, welche sich auch südwärts an der Fedderwarder Grenze bis gegen Moorsum hin noch fortsetzt. Ferner trennte ein in unmittelbarer Nähe der Stadt Jever beginnender iiiib au die drei erstgenannten großen Siel­ tiefe anschließender Wasserlauf die Gemeinden Weftrum, Oldorf und

Jeverland bis zum Jahre 1500.

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Hohenkirchen von bat westlich davon belegenen Gemeinden Wiefels und Tettens, wie durch v. Thünen (S. 26) durch Bodenuntersllchungeu ermittelt und festgestellt ist. — Die Nordgrenze der Gemeinden Sande und Reuende wird durch den alten MaadeFluß gebildet, der noch im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts ein offener Strom war. Die Gemeinden Neuende und Heppens sind im Mittelalter vermutlich durch den alten Heete-Fluß getrennt gewesen, in dessen Bette jetzt das Kopperhörner Tief seinen Lauf nimmt. Es liegt hiernach die Annahme nahe, das; zur Zeit der Ein­ führung des Christentums im achten und neunten Jahrhundert unserer Zeitrechnung die alten Landschaften Wangerland, Oftringen und Rüstringeu in zahlreiche Inseln zerspalten waren, deren Verbindung untereinander namentlich zur Winterzeit schwierig genug gewesen sein mag. Dies hat dann die Bewohner der einzelnen Inseln veranlaßt, mit dem Bau von Kirchen möglichst selbständig vorzugehen und demgemäß haben sich auch die Grenzen der einzelnen Kirchengemeinden gebildet. Diese Kirchen wurden in der Folgezeit Don den zu ihnen gehörigen Geiueindegenossen befestigt, um bei Fehden und räuberischen Überfällen der Normannen als Schutzbürgen zu dienen, und bildeten auf diese Weise für die Landes­ bewohner die Kernpunkte ihrer politischen Zusammengehörigkeit und Selbständigkeit. Bald nach der Einführung des Christentums kam in den Nordseemarschen der Deichbau in einem bis dahin nicht gekannten Umfange in Aufnahme. Naturgemäß suchten sich nun die Bewohner jeder einzelnen Insel durch besondere Deiche zu schützen. die sie längs der sie umgebenden Seearme und Binnenströme aufführten. — Als dann später im Laufe der Jahrhunderte die einzelnen Wasseradern zwischen jenen bedeichten Inseln immer mehr zuschlickten und gleichzeitig die mit den Deichbanten und Siel­ bauten erzielten Erfolge zu immer neuen und gewagteren Unternehmnngen lockten, wurden die Wasserläufe des Jeverlandes nach und nach sämtlich durchschlagen und mit Sielen verschlossen. Wann sich diese wichtige Veränderung vollzogen hat, ist jedoch nur beim Maade-Fluß geschichtlich nachweisbar. Bei de» übrigen in betracht kommenden Stromrinnen war sie bereits vor dem Jahre 1500 zur vollständigen Durchführung-gelmigt.

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O. Hagena.

Nachstehend soll mm in kurzein dasjenige mitgeteilt werden, was sich über die Gestaltung Jeverlands bis zum Jahre 1500 hat ermitteln und feststellen lassen. Die Westgrenze Jeverlauds wurde von jeher gebildet durch das Flußgebiet der alten Harle, welche in den Hochmooren des Amts Wittmund ihren Ursprung nahm und nördlich von Middoge und Berdum in eine breite, tief einschneidende Seebucht mündete. Der Name der Harle lebt noch heutzutage fort in der Bezeichnung des die Inseln Wangeroog und Spiekeroog trennenden Seearms. Auch führt ihr Gebiet bekanntlich noch jetzt den Namen Harlingerland. — Gegen diesen Fluß ist Jeverland unzweifelhaft schon in sehr früher Zeit bedeicht gewesen, und der alte Deich besteht noch gegenwärtig aus der ganzen Linie von der Sandeler Geest bis Middoge fort in der alten „Siet­ wendung"'), welche die Wasserscheide zwischen Jeverland und Harlingcrland bildet. Daß die Harle noch lange Zeit nach Legung dieses Deiches ein offener Strom gewesen ist. geht aus dem Umstände hervor, das; das östlich von der Sietwcndnng belegene Land überall und namentlich ans der Strecke zwischen Wiesels und Middoge lim mehrere Fuß niedriger liegt, als das westlich daranschließende Terrain. Es muß also nach Herstellung dieses Deichs das außerhalb desselben belegene Gebiet noch Jahrhunderte lang dem Flutstrom und der Auffchlickung offen gelegen haben. Übrigens ist auch die Harle bereits in früher Zeit durch den AUberdmner-Siel verschlossen worden, über dessen Legung und spätere Wiederaushebuug die Chroniken keinerlei bestimmte Daten an die Hand geben. Nach v. Thünens Annahme — s. die obenangeführte Schrift S. 24 — soll übrigens die Harle ursprünglich auf der Strecke von Wittmund bis Berdum auch längs ihres westlichen Users durch den sog. „Oeverdiek" bedeicht gewesen sein. Während von dem hohen Geesthügel, auf welchem die Stadt Jever gebaut ist, gegenwärtig nur das Hooks-Tief eine schiffbare ') Der Allsdruck „Sietwendung" bezeichnet zwischen zwei Abwässerungsgebieten und kommt in den Urkunden des 12. und 13. Jahrhunderts vor. bedeutet, so ist das Wort vielleicht durch „Schutz Landes" zu erklären.

von jeher die Scheidung dieser Bedenliing schon in Da „fiel" niedrig, tief, (Wandung) des niedrigen

Jeverland bis zu», Jahre 15()o.

Wasservabiiiduug nach der Jade herstellt, behauptet v. Thüueu — wie bereits bemerkt — das; in vorgeschichtlicher Zeit eine gleiche Verbindung auch durch das (Srildiimer und Hohenser-Sieltief be standen habe nnd das; diese alten Wasserläufe noch gegenwärtig durch die Grodenforinativii der betreffenden Bvdcnstrecken erkennbar nnd nachweisbar seien. — Weiter giebt v. Thnnen an. das; von Jever auch nach der Harle eine Wasserverbindnng vorhanden gewesen sei, und es wird aus diesen Punkt weiter unten noch des Näheren eingegangen Vierden. Der Umstand, das; fiel) auf diese Weise mehrere schiffbare Wasserläufe an einein tief in das Marschland vorgeschobenen GeestHügel vereinigten, hat hier sicherlich schon in uralter Zeit eine größere Ansiedelung und Handelsniederlassung entstehen lassen, aus welcher sich im Lause der Jahrhunderte die Stadt Jever eutwickelt hat. Mit dieser Annahme steht die von dem Jeverschen Chronisten (Silcrt Springer, einem Zeitgenosse» Fräulein Marias, ausgezeichnete Überlieferung im Einklänge, über die er mit folgenden Worten berichtet: „Jever, welcker vormahls ein grot begrip gewesen hadde, und insuudciheit eine Kapstadt, behalven se hadde »ich vast gewesen, snnder vele Schepe der iim und »th gesegelt". Auch soll da Ort ein ihm angeblich von Karl deut Großen ver­ liehenes Stapel recht besessen haben, und ferner wird Jever — in gleicher Weise wie die Seestädte Stavoren und Emden — als Ausgangspunkt einer der freien Strassen der Friesen erwähnt. Das; dort schon in ältester ßeit eine Münze bestanden Hat, ist von Strackerjan in seinen „Beiträgen zur Geschickte der Stadt Jever" (Bremen, 1936) nachgewiesen und durch neuere Funde bestätigt. Bemerkenswert ist noch, das; in jener Gegend eine mündliche Überlieferung besteht, nach welcher der Berkehr zwischen den Ge meinten Westrum und Tettens in uralter Zeit durch eine Fähre vermittelt sein soll; das Fährhaus habe der Ortschaft Schreicrsort gegenüber gestanden und es habe diese Ortschaft von dem Deusen der von dort aus die Überfahrt Begehrenden ihren Namen erhalten. Das; die im Ho Heuser-Tief erhaltene Stromrinne in westlicher Richtung mit der alten Harlebucht in Verbindung gestanden habe, erwähnt v. Thi'meii nicht. Jedoch giebt Araid*, Ostsriesland und Jnlirli. f- Clbcnb. Geich. X. 2

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O. Hageim.

Jever, Bd. 11 S. 279, an, das; zwischen den Gemeinden Tettens nnd Hohenkirchen bei Ziallerns nnd Groß-Werdlim ein alter Strom lauf erkennbar sei, dessen Breite zwischen 150 und 500 Ruthen schwanke. Ter vielfach gewundene Lauf des Sielticss, welches von Altgarmssiel in südwestlicher Richtung die Verbindung mit dem Hohenser Tief herstellt nnd durchweg die Grenze der Geineinden Tettens nnd Hohenkirchen bildet, scheint diese Angaben zu bestätigen. Doch wird die Möglichkeit einer natürlichen Verbindung auf Grund der betreffenden örtlichen Verhältnisse bestritten, — s. Riemann, Geschichte des Jeverlands. Bd. I S. 20 ff. —. Betreffs dieser Wasserader lebt im Volksinnnde die Überlieferung, das; sie zn Edo Wiemkens des Älteren Zeit — also um das Jahr 1400 — eilt breiter Seearm gewesen sei, aus welcher die Schiffe der mit dem Häuptlinge verbündete» Seeräuber (Vitalienbrüder?) geankert hätten und daß damals der Altgarmssiel noch nicht gelegen habe. Ferner soll vor Jahren bei einer Schlötung des Tiefs - wann, wird nicht gesagt — in der mit „Bangeneset Ttimte" bezeichneten großen Krümmung westlich vom DorfeHohenfirchcn ein schwerer Schiffs­ anker zu Tage gefördert sein. Nordwestlich von Altgarmssiel stand dieser Strom durch die „Kapte Balje" mit dem Harleflusse in Verbindung, während sich von dort in nordöstlicher Richtung ein anderer Seearm nach dein Punkte hinzog, wo später der Friederikenfiel gelegt wurde. Das Hohenser-Tief wird auf seinem weiteren Laufe au der Nordgrenze der Gemeinden Oldorf und Wüppels von der Oldorfer und Wüppelser Nvrder-Sietwendung begleitet, einem alten Deiche, von welchem noch zu Ende der sechziger Jahre des vorigen JahrHunderts bedeutende Reste vorhanden waren. Ans dem Umfange dieser Reste war ersichtlich, das; es sich bei Legung dieses Deichs um Herstellung einer Schutzwehr gegen das Außenwasser gehandelt hat und nicht etwa um einen bloßen Binnendeich oder eine Grenzscheide zwischen zwei Sielachten. Ebenso luic im Norden durch die Norder-Sietwenduug waren die Gemeinden Oldorf und Wüppels im Süden gegen das Erildumer Tief durch die „Süder Sietwendung" eingefaßt Da beide Sietwenduiigen im Osten an den Wüppelser21Itei,deich und im Westen an de» hohen und geräumigen Warf

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anschließen, auf welchem Oldorf belegen ist. so haben sich hier die Spuren eines malten, in sich geschlossenen Jnseldeiches bis in die neueste Zeit erkennbar erhalten. Von Jever aus in östlicher Richtung bildete eine dem Laufe des Heutigen Hooks-Tiefs folgende offene Wasserrinue die Ver­ bindung mit dem Meere. Längs des Nordufers derselben sind in der Gemeinde Waddewarden bislang Reste von alten Deichen nicht nachgewiesen. Dagegen sind dieselben auf dieser Strecke am Süd user in der Gemeinde Sillenstede noch jetzt mit voller Deutlichkeit erkennbar, und es soll auf diesen Punkt weiter unten noch des Näheren eingegangen werden. Bereits in sehr früher Zeit und jedenfalls lange vor dem Jahre 1500 ist diese Stromrinne jedoch durch einen bei Rüschenstedc in der Gemeinde Pakens gelegten Siel geschlossen worden. Von Hier zieht sich auf dem südlichen — dem Seiigwarder — Ufer des Hooks-Tiefs entlang eine alte Bedeichnng bis nach Bohnenbnrg; längs des Nordnfers war jenes Tief durch einen in seinen Resten noch jetzt erkennbaren Deich eingefaßt, der sich bis zum Hook hinzieht und Hiev au dein in rechtem Winkel abbiegenden Pakenser Altendeich anschloß. Es bildete also der „Hook" — gleichbedeutend mit Haken, Winkel — zu jener Zeit eine ausbringende Deichecke, die den auf dem Außen tiefe ankernden Schissen gegen den Nordwestwind sicheren Schutz gewährte. Und da sich das Außentief an diesem Punkte fast unmittelbar an den alten Deich heranzog, so fanden die Schiffer hier eine so günstige Ladestelle, wie sie sich ihnen an der Wangerläiidischeu Küste sonst nirgends bot. Es walteten also hier — wenn auch in wesentlich verkleinertem Maßstabe — ganz ähnliche Verhältnisse ob, wie sie gegenwärtig am „Hoek von Holland" bestehen, und demgemäß hat sich auch auf dem „Hook" im Mittelalter ein reger Schiffs- und Handels-Verkehr entwickelt. Derselbe gestaltete sich um so lebhafter, weit die Stadt Jever zu jener Zeit dm Seeschiffen nicht mehr zu­ gänglich war und daher alle ihre seewärts kommenden Waren auch über beii „Hook" beziehen mußte. Die Bedeutung der hier ent­ standenen Ortschaft hob sich dann noch mehr, als Graf Johann XVI. von Oldenburg im Jahre 1588 den Siel von Rüschenstedc dorthin verlegte und zugleich eine Zollstätte und ein Salzwerk errichtete. 2*

O. Hagenü.

Die »ach v. Thünens Annahme — s. die obenaageführtc Schrift S. 2G — vorhanden gewesene Verbindung zwischen dein Hooks-Tief bei Jever nnd der Harle soll in den letzteren Fluß ehedem bei der Ortschaft Schlnis eingemündet haben. Es mar diese Stromrinne an ihrer Nordseite längs der Wiefelser Fuleriege nnd a» ihrer Südseite längs des Ottenibnrger Weges mit Deichen ei» gefaßt. Eine Bestätigung hat die u. Thünensche Behauptung da­ durch gesnnden, daß vor etwa 25 Jahren bei Herstellung der Fundamente des Hauses aus Lükeushos westlich von Jever ein altes sandiges Flußbett bloßgelegt worden ist. Südöstlich vom Kirchhofe Waddewarden mündete in die Stromrinne des Hooks-Tiefs ei» alter Wasserlauf ei», welcher »och jetzt unter dem Namen der Sillenstede Grenzleide die Scheidung zwischen der Gemeinde Sillenstede einerseits »iid de» Gemeinden Sengwarden n»d Fedderwarden andererseits bildet. Gegen ihn »nd gegen das Hooks-Tief war das Marschland der Gemeinde Sillenstede in ältester Zeit durch einen Deichzug geschützt, welcher a» die hohe Geest nordöstlich vom Kirchdorfe Sillenstede bei der Häuslingsstelle i'iigficrei anschloß nnd dort im Jahre 1871 »och deutlich erkennbar war. Von hieraus führte er zunächst i» nördlicher Richtung bis zur Silleusteder Mühlenreihe. Sodann folgte er dein Laase der letzteren i» östlicher Richtung, setzte sich durch das Relinghauser Land, wo ci» Hamm noch jetzt das .. Tiefstück" heißt, bis zur Sillenstedes Warfreihe imd weiter i» südöstlicher Richtung fort und schloß i» der Nähe von Eon»Hansen an den sog. Totenweg an. Dem Lause des letzteren folgend verband er sich in der Gegend vo» Wnlfswarfe mit dem Sillenstedes Sudermarschwege. Dieser stellt sich vo» Zielens südwärts »och jetzt unverkennbar als der Rest eines alten Deiches bar, der bei Moorsum an die hohe Geest seinen rückwärtige» Anschluß hatte. Auch die Ortsnamen „Mühlen reihe" nnd Warfreihe würden ganz abgesehen von den dort vorhandelten Teichreste» a»s das frühere Borhandenseiii dieser Bedcichnng hinweise», da die Bezeichnung „Reihe" oder „Riege", wo sie im Jever und Harlingerlmtde vorkommt, — Neiiender-Kirchreihe, Alteitgrodeiier--Riege, Ebkeriege, Berdtniter Große Riege — stets auf das Vorhandensein eines alten Deiches schließe» läßt.

Jevcvlnnd bis zum Jahre 1501).

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Mit der Jade stand übrigens die Sillenstcdcr Grenzleide vermutlich noch durch einen anderen Stromlanf in Verbindung, der auf der Grenze der Gemeinden Sengwarden und Fedderwarden entlang führte und ursprünglich in eine tiefe Bucht zwischen dem Sengwarder-Altendeich und dem Feddenvarder-Mitteldeich einmiin bete. Nördlich von Steindamm ist aber dieser Wasserlauf bereits in sehr früher Zeit — vielleicht gleichzeitig mit der Leguug des Sieles bei Rüscheustede — durchschlagen und mit einem Siele verschlussen worden. Alis das frühere Vorhandensein dieses Sieles deutet nicht blos; die ganze Crtlichfeit mit Sicherheit hin, sondern dasselbe wird auch durch eine im Nolksmuude lebende Überlieferung bestätigt. Während die bislang besprochenen Stromrinnen um das Jahr 1500 bereits sämtlich an ihren Mündungen mit Sielen verschlossen waren und die ihrem Lause parallelen Deiche demgemäss ihre ur­ sprüngliche Bedeutung verloren hatten, mar der Maade Fluß, welcher die alten Landschaften Östringen und Rüstriugeu von einander schieb, damals noch ein offener Strom. Es ist mm eine historisch beglaubigte Thatsache, das; Niistriugen um das Jahr 1500 eine größere Ausdehnung hatte, als heutzutage, lind das; erst infolge der Sturmfluten vou 1509 und 1511 die alten Kirchspiele Oldebrügge, Ahm. Bockum und Havermönniker-Kloster ganz, sowie die Kirchspiele Bant und Seediek zum größten Teile verloren gegangen sind. Die Lage der alten Kirchen ist — abgesehen von Havermönniken — in Tenges bereite eingangs gedachter Schrift nachgewiesen. Uber die Lage der ehemaligen, zu jener Zeit unter­ gegangenen Jade-Deiche läßt sich dagegen Bestimmtes und Zuver­ lässiges nicht mehr feststellen. Der Maade-Flnß nahm von Horsten und Gödens zunächst einen durchweg nördlichen Lauf in der Richtung der heutigen Landes grenze bis in die Nähe von Roffhausen. Hier bog er nach Osten ab und floß dann längs der Nordgrenze der Gemeinden Sande und Nciicnbe der Jade zu, in welche er in der Gegend des heutigen Rüstersiels einmündete. An ihrem Nordufer war die Maade zu jener Zeit mit einem Deiche eingefaßt, der aus der Gegend von Coldewei im Kirchspiele Fedderwarden an der Burg Kuchhausen

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£. Hagena.

vorbei und weiter durch Langewerth lind Roffhausen geführt war, wo er westlich an den Dykhauser Deich anschloß. Die alten Rüstriliger Kirchspiele Sande, Seediek und Jnsinerhave (das heutige Neu ende) sind gegen die Maade ebenfalls schon in sehr früher Zeit durch Deiche abgeschlossen, die in ihrem Verlaufe größtenteils noch jetzt erkennbar find. Teilweise wird auch ihre ehemalige Lage durch Ortsnamen wie Schaardeich nnd Nenender-Kirchreihe be­ zeichnet. Die Maade war gegen Ende des Mittelalters noch ein breiter, wasserreicher, auch für größere Seeschiffe zugänglicher Strom, der in jener ersten Blütezeit des deutschen Seehandels jedenfalls von einem bedeutenden Schiffsverkehr belebt war. Beim Dorfe Schaar tritt das Flußufer unmittelbar an einen hohen und gerälimigen Warf heran, und die Schiffer fanden hier somit eine günstigere Ladestelle als vielleicht sonst irgendwo am Rüstringer Ufer. Demnach wird in jener Zeit die Bedeutung von Schaar für Rüstringen eine ähnliche gewesen sein, wie der „Hook" sie damals für Ostringen nnd Wangerland hatte. Freilich ist in Schaar jetzt jede Erinnerung und Überlieferung betreffs der früheren Zustände längst erloschen, nachdem sich aller Schiffsverkehr und Handel von dort seit 1571 nach Rüstersiel und Mariensiel verzogen hat. Gleich­ wohl aber sind nicht alle Spuren dieser Vergangenheit in den seitdem verflossenen drei Jahrhunderten ausgelöscht und verwischt worden. Denn bei dem vor etwa 30 Jahren erfolgten Bau der Neuendc-Hooksieler Chaussee wurde durch den Baurat 91 h tilig am nordwestlichen Ende von Schaar mehrere Fuß unter dem damaligen Kleiwege ein altes Straßenpflaster und der Belag einer alten .Hafenfaje aufgefunden. Ferner deutet das Bestehen des Schaar­ marktes. eines alljährlich im August dort stattfindenden Krammarktes, darauf hin. daß die Bedeutung der Ortschaft Schaar vor Zeiten eine größere gewesen ist als gegenwärtig. Zudem aber ist es auch geschichtlich nachweisbar, daß Schaar im Mittelalter von größeren Seeschiffen besucht wurde. Im Jahre 1388 hatte sich der Häupt­ ling Edo Wiemken der Ältere durch seine Seeräubereien die Niederländer zu Feinden gemacht. Damals landete zu Schaar ein nieder­ ländischer Kapitän und wußte sich in das Vertrauen des Häupt­ lings einzuschleichen, indem er seine Heimatsangehörigkeit geschickt

Jcverlaiid bis zum Jahre 1500.

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verheimlichte. Edo Wieinke» bewirtete ih» mehrfach auf seinem Schlöffe Sibethsburg und leistete schließlich einer Einladung des Kapitäns, auf sein Schiff zu komme», arglos Folge. Hier wurde er bei einem ihm bereiteten festliche» Gelage von der Mannschaft überfallen und in Fesseln geschlagen, während gleichzeitig das Schiff vom Lande abstieß. Er wurde als Gefangener nach Stavoren ge­ führt nnd dort vier Jahre in Haft gehalten. Erst im Jahre 1392 wurde er gegen ein Lösegeld von 15 000 bayerischen Gulden wieder freigelassen. Während hiernach die Maade bis gegen Gödens hinauf »och im Allfange des sechzehnte» Jahrhunderts ein offener Strom war. hat sich Do» diesem Zeitpunkte ab ihre ?lbschlies;u»g mit Deiche» und Sielen i» einer verhältnismäßig kurze» Frist vollzöge». — Die int Jahre 1511 nach Zerstörung der Oldebrttgger und Ahmer Deiche und Einspülung des sog. „Bracks" entstandene Sachlage schildert der zeitgenössische Chronist mit folgenden Worten: „Und is also (de Maade) ei» gewaldig infloieiide Seebalge gewesen bin­ nen Landes, also bat man mit einem besetteden Kail offte ein ander Schip van Ellens, van Goedcns und va» Horsten binnen Landes mochte vare», weilte a» dat Schare »iid wedder tho dee Jade heruth." — Um das Jahr 1571 war dagegen die Maade in Goedens einerseits, sowie in Rüster- und Knyphauser - Siel andererseits durch Siele abgeschlossen und außerdem war ihrem oberen Stromgebiete durch den u»i dieselbe Zeit von Fräulein Maria neuangelegte» Mariensiel noch anderweit Borflut »ach der Binnenjade geschafft. Die einzelnen Thatsache», durch welche sich diese Änderungen vollzogen haben, liegen außerhalb des Rahmens dieser Darstellung, die sich — wie gleich eingangs bemerkt wurde — auf die Jeverschen Deichverhältnisse vor dem Jahre 1500 be­ schränke» soll. Die Gei» ei »de Heppens scheint nach den in ihr Vorhaltdenen älteren Deichresten ursprünglich eine bedeichte Insel ge­ wesen zu sein, die im Norden vom Altemarks-Deiche »nd den sudöstlich und südwestlich daran anschließenden uralten Deichen, gegen Süden aber vom sog. STön»deiche eingefaßt wurde. Im Weste» war Heppens von Neuende (Jnsmerhave) und Bant damals ver­

'24

C. .txiflciia.

mutlich durch eine alte Seebalge getrennt, die etwa dem Laufe des Kopperhönter Tiefs folgte und sich weiter nördlich durch den Weit­ ender Groden zog, wo vor reichlich zwanzig Jahren eine mit dem Namen „Heete" bezeichnete Niederung noch deutlich als altes Strombett kenntlich war. Dieser Wasserlauf ist aber jedenfalls schon vor dein Jahre 1500 abgedämmt ltitd das Kirchspiel Heppens dadurch an das Deichsystem der anderen Rüstringer Gemeinde» angeschlossen. Spure» der alte» Teiche, durch welche diese Durch­ schlagung vermutlich gleichzeitig a» der Nordwestecke des Tön»deichs mit» weiter nördlich bet der sog. Heppeiiser Reihe erfolgte, solle» »och heute erkennbar sei». Über die geographische» Verhältnisse des altsriesische» Gaues „Rüstringen", wie sie vor der Einspüliiitg des JadcbuseitS bestände» habe», wäre» bislang mir ganz unklare Vorstellungen verbreitet. Es ist das Verdienst des Archivrats Dr. G. Sello. das; er i» seine» oben erwähnte» „Studien zur Geschichte Cftriugens und Rüstriugeus" alles Material, welches über diese Frage i» liljroliifeu und Akten zerstreut war, auf trns Sorgfältigste gesammelt und zur Darstellung gebracht Hut — s. S. 55 bis 64 daselbst. — Nach SelloS Ermitteliiitge» ist durchaus wahrscheinlich gemacht, deß der jetzt vo» de» Watten »»d Seearmen des inneren Jade­ busens eingenommene Raunt von Dangast und Schweiburg bis gegen Wilhelmshaven und Eckwarden früher festes Land war, wel­ ches einen Teil des Gebiets der Nüstringer Friese» bildete. Die Landschaft Riistringcit umfaßte in der zweite» Hälfte des ersten Jahrtausends unserer Zeitrechnung außer dem »och jetzt unter diesem Namen bekannten Landstriche auch den jetzt oIbettburgifchen Teil der Friesischen Wede, nämlich die Gemeinden Varel, Zetel, Bockhorn nitb Neuenbürg, ferner das jetzt vom inneren Jadebusen eingenommene Gelände, sodann das Butjadittgerland*) und das Weserufer bis oberhalb Golzwarden. Die Südgrenze Rüstringens gegen die zum Herrschaftsgebiete der sächsischen Herzöge gehörige Grafschaft Oldenburg bildete von Altersher die palus Wapelinga,2) ') Sello, Ostniigeii und Rüstringen S. 55. In der Vita s. Willehad! Ijeifst es von Blexen (Pleucazze), „c. Thesing, Liicking, Ribbeking, Niemann, Middendorf. Helliiia»», Meier, Wichmann; als Halberbe»: Thöle, Lammers, .Huntemann, Varlcmanu, Langeland, Calvelage. Tabcling, Willing; als Koller: Kohl, ?lka, Diling: als Brinksitter: Busse, Windhaus, Brünes, Hnrleberg, Lntnia»», Cloppenbürg, Tiemann, Sanders, Rötepoel, Bergniait», Bogelpoel, Kitellmann. Tazu kamen 8 .Heuerleute (1660 10 Heuerleute).

Tie Verschuldung und Not im ?li»tc Vechta nach dem 30jäl)V. Kriege.

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Daß vorgenannte in großer Armut lebe» und die Schätzung »ach altem A»schlage nicht praestiren könne», bezeuge»') Pastor Gcrh. Dominikus Meier, >»id die Kirchräthe Dnmnm» imd Kohl." (Vogt Joh. Borchers hat nicht unterschrieben.)

Verzeichnis; der „verwüstete» imd verdorbene» Erbe»" in den Kirchspiele» Bakum und Vestrup. S c h l e d e h a u s e n mit E l m e l a g e u. s. tu. Rthr. Schi«. Nagel, ist wegen Kriegswesens »»d neugeßonte» Hauses tu große Schuld getomme», gebraucht 2 Maltersaat 1V4 — Plumb-Weihe, gebraucht 18 Schesselsaat. das andere ihm zugehörige Land ist vom vorigen Besitzer in der große» Kriegsbedräilgllis versetzt 1 L i i b b e n , J o h a n u , ein ungesunder gebrochener M a n u , hat nur 1 Kuh, gebraucht 7 Schesselsaat, das Erb­ hans verwüstet und verkommen, das nicht benutzte Land ist infolge schwerer Kriegslasten versetzt. . . 11 4 Busse»' Tebbe, gebrauchet 6 Schesselsaat, ist wegen Unglück des Viehes und wegen großer Kriegs­ 8/< — beschwerden in Nachteil gekommen H o f f m a n n , alter ungesunder Manu, gebrauchet 21/, Maltersaat, ist vor 30 Jahren wegen Kriegswesens in 400 Rthr. Schulde» gerathen (für 300 Rthr. ist Land versetzt. 100 Rthr. muß er verrenken), muß dabei seinem Gutsherrn die nöthige Pacht jährlich ll/2 Rthr. entrichten2) 2 ') Nachher ist hinzugekommen als arm: Fortmann. 1662 werden 1Ü pauperes beziv. nicht steuerfähige Stelle» gezählt: Bögen mm, Sunnnmt ohne Haus, Holsteiikamp wüst, Heiinck arm, Holtingh an». Frese arm, Fortmann ohne Haus. Kärlich wüst, Schmedes wüst, Nienaber tum, Hesse arm. Dammann arm, Schnieder an». Oktober 1660 sind in Sutten gezählt: 38 Familien (101 Perjonen), 18 Halberben, t Kötter die Pferde holten, 6 Brinksitter, 10 Henerlente. Im Sommer 1661 unterscheidet man Erbe», Halberben, Brinksitter. Henerlente. *) Bo» Schild! in Hanne heijit c5 16r>2: Verstorben, uermüstet, ver­ fallen (Ossizialatsarchiv).

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ti. Willoh

W e s t e r b a k u m m i t Büschel. Rthr. Schill. V e h o r n . gebrauchet 2 ' / , Maltersaat, d a s übrige Land ist vom vorigen Besitzer versetzt, hat einen Solin 2 Jahre und V/2 Jahre vor den Arzt (in ärztlicher Behandlung) gehabt, wodurch er in grossen Nachteil gekommen \l/2 W i l k e L o h m a n i i , gebrauchet 6 Schcffelsaat, hat feine Pferde, das Hans verbrannt, verschuldet .... 1 '/2 P o l l e m a n i i , gebrauchet 2 Maltersaat, hat nur 1 altes Pferd, verschuldet l'/2 S t r i e d e r , gebrauchet 2 Maltersaat, ist neulich auf das Erbe gekommen, hat dort kein Haus gefunden, bat sofort einen Spieker und ein neues Hans zimmern lassen müssen, wodurch in große Schulden gerathen') Haustette mit Vestrup. T a b e l i u g , des Fürsten Eigenhöriger, gebrauchet (i Scheffelsaat, hat ein neues Haus zimmern lassen, dasselbe aber ivegeu der großen Schuld (800 Rthr.) wieder verlassen. Das zugehörige Land ist versetzt. 2 Marquarding, gebrauchet 5 Scheffelsaat, Hans iit Kriegszeiten verkommen, die zugehörigen Ländereien und Wiesen versetzt 2 W e h a g e , gebrauchet 2 Maltersaat, wegen große» Unglückes beim Vieh »nd wegen Kriegsbedrängnisse verschuldet 2



') Das Schcchmigsregister vom Oktober 1660 von Bakum zählt in Westerbakum 29 Familien, darunter 12 Leibziichter uud Heuerleute. in Büschel 22 Familien, darunter 5 Heuerleute, im Kirchdorf 16 Familien, in Molkenstraße 20 (Table». Meincrding und Stnllmmm wüst), Märscheudorf 13, danmter 3 Leib­ ziichter und 3 Heuerleute, Canim 25 Familie», danmter II Leibziichter und 2 .Heiierleute. Im Schatzungsregister 1662 ist Jobst zur Weihe an» („hat 3 blinde Aliud«"), im Schatzungsregister 1665 wird mich Debriug in ISanim als arm bezeichnet. Das Schatzungsregister von 166!) führt außer den im obigen Register namentlichAufgeführten noch ans nl-> Steiienmsähige: Pungehorst, Creupmauii, Wichum»» und Hoppe.

Die Verschuldung und 9?o( im Amte Vechta nach dem 'tOjfiftr.

liege.

4h

Rthr. Schill.

T o b e n , gebmlichct 5 Schesfelsaat, die er geheuert hat. Die Stelle ist ganz wüst. Läudereien und Wiesen alle versetzt. 1000 Rthr. Schulden S c h l o t m a n i i . gebrauchet 8 Scheffelsaat, Hof ist wüst. muß seine Wohnung von Benachbarten heuern, das zugehörige Land, 4 Maltersaat, versetzt W c stemm i m , im Lcibdieust des Fürsten, hat Fein eigen Land als nur 1 Garten H o l ) e r , Wittib mit drei kleinen Kindern, gebrauchet 2 Maltersaat, das andere ist wegen Armut versetzt . Schicrholt, wohnt iit einem Spieker, gebrauchet 5 Scheffelsaat, der Hof ist wüst, alles verkommen, das Land wegen Armut versetzt K u h l m a n n , gebrauchet 6 Scheffelsaat, d a s übrige Land (9 Scheffelsaat) wegen Brandschadens versetzt. Meier, gebrauchet 1 Maltersaat, das andere Land wegen Armut versetzt W e r n e r , ist Briefträger, hat nur einen kleinen Garten Ellemann in Lüsche. Land und Wiesen alles in Kriegs­ zeiten versetzt, Haus hat der Rentmeister für 4 Rthr. Heuer ausgethau, welche 4 Rthr. der Fürst zum Herbstschatz bekommt Hermann Spille. Vogt.') Unvermögende im Kirchspiel Lohne') B n l h o p , besamt nur 3 Maltersaat Land

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') Das Schatzungsregister vom Oktober 1G60 bezeichnet in Vestrup Hoyer und Meier als arm, Sundermann, Schierholt, Niemann als wüst, in Haustette Schlotmann, Marqnarding, Tabeling als wüst, das Schatzungsregister vom 25. Juni 1661 in Haustette Wehage als arm, die Erben Thobe, Tiemering, Schlotmann, Marquardiug, Tabeling als wüst, in Lüsche Ellemann als wüst, in Vestrup Hoyer und Meier als ann. Sundcnnann, Riemann, Moonnann und Schierholt als wüst. Viele Eingesessene halten sich in Holland aus. Das Schatzungsregister von 1660 führt ausser den im obigen Register Genannten »och Rieste als ann auf. •) Das Lohner Schatzungsregister vom Oktober 1660 zeigt eine ganze Reihe von Leibzüchtern, viele Familien wohnen in Scheunen, Backhäusern, Spielern:

4f>

Willah. Rthr. Schill.

W o t i e f e , Schellohnr, Hauo steht leer, der Heuermann bebaut 7 Scheffel A l b e r t » Schellohne, H a u s verbrannt, in einem Schuppen wohnt ein Henennanit W i c h e l m a n n , verarmt O t t e n B e r n d , tot, H a u s dachlos, darin eine arme WiNve H a c k m a n n . arm. besamt 3 Scheffelsaat B e r n d G a n t e , bettelt H e i i i r . D c h c . hat weder H a u s noch sonst etwas . . 3 o h . . t t v l d e h o f , bebaut 3 Maltersaat J o h . N o r t l o h n e , krank, bebaut 3 ' / 2 Malter . . . R o c h t c L ü b b e , bebaut ungefähr l 1 / , Malter . . . Aschern, Witwe mit kleinen Kindern, bebaut 18 Schesfelsaat P u r n h a g e n , Witwe, bebaut 1, / 2 Maltersaat . . . Pagenstert, Witwe, bebaut 1 Maltersaat mit Roggen und iy2 Maltersaat mit Korn • Lücke S t a g g e n b o r g , bebaut 1 Maltersaat. . . . T e t e r d i n c k . arm. bebaut ungefähr 1 4 Scheffelsaat . R ö s e n e r , arm, bebaut 1 Maltersaat R o l e f f W a s s e n b e r g , bebaut I V , Malter . . . . H e n k e n J o h a n n , lahm, bebaut 7 Scheffel. . . . R o l e f f - S ü t l o h n e bebaut 2 ' / , Maltersaat') . . . Sacellanus Johannes Süttholt und Bogt Philipp

2 3/t — 23/t



2

G — — 7 7 — — —

% — — — 2 3 /« 2 3 /« 2s/4

23/4 — 2 2 3 /i

— 2 3 /< — 2 8 1 2 /« — 2Vi — 2'/? — Gieseke.

viele Häuser, die vor Jahren abgebrannt sind, liegen noch am Boden. Das Schatzungsregister vom 25. Juni 1661 nennt Ording, Detherding, Bahlendieck, Pagenstert in Bokern, sowie Heseding und ?iemesmann in Brokdorf ann. In den Steuerregistern des 16. Jal>rl>. (1535 und 1549) lesen wir statt Brokdorf Ealvelage. ') Das Steuer»cgister vom 14. Rov. 166!» führt nutzer den im Register Genannten noch auf als arm: Bofsing-Bokern. eingeschätzt 2 Rthr. 8 Schill. Gert zum Kroge. 2'/, „ — Joh. Kaiser, .. '/« .. — Buscherhof, „ 23/t „ — „ Sütkamp. „ 2 — Harbediiick „ 2 8 „

Die Verschuldung und Not im 9lmte Vechta nach beut 30jä()v. Kriege.

47

Zur Kennzeichnung der Nothlage der Vorgenannten lassen wir hier einige Bittschriften ans dein Kirchspiel Lohne folgen. Unter dein 27. März 1069 bittet Frau Katharina des Johann zu Nortlohne in einer Zuschrift an den Drosten von Galen um Moderation, weil ihr Mann mit der Fallsncht behaftet, sinnlos, zu keiner Arbeit tauglich sei, Pferde und Kühe heftig abfielen, wo durch sie in die äußerste Armut gerathen seien. Fran Wittib Talke Pnrnhagens, Kirchspiels Lohne, schreibt 27. März 1(569 an den Drosten: „Ew. Gnaden kann ich Endtsgeschriebene Wittib ans hochantringender Noth unterthänigst nicht verbergen, daß mein Sahl. abgelebter Ehemann Kerstien Pnrn Hagen in vorgelaufenen beschwerlichen Kriegszeiten unter andern für das Kirspcll Lohn zur Cloppenborgh 16 Wochen langh gefenglich weckgeführt, und bis hiehin das geringste zu dessen erlittenen Schaden imb Unkosten vorn Kirspcll nicht genossen, dann auch durch v i e r v e r s c h i e d e n e B e l a g e r u n g e n (Vechta) d a s unsere dergestalt r u i n i r t u n d verdorben, daß nichts bei unsern Häusern übrig geblieben, da durch die Ländereien und Wiesen versetzet u n d v e r a l i e u i e r t , zudehine dieses geheele Jahr wieder leider Gottes wegen Mißwachsung das Brotkorn kaufen müssen. Ist dahero an Ew. Gnaden mein nnterthänigst flehentlich Bitten, dieselbe belieben aus obigen Ursachen, wo nicht ganz, dennoch in etwa die auferlegte Schätzung gnädigst moileriren, dieses wird der allmögende Gott hinwiederumb reichlich belohnen, und ich bin es mit meinem geringen Gebet herz­ innigst zn verdienen stets bereit und willigst. Ew. Gnaden hiermit zu allen selbst wünschenden Aufnahmen dem höchsten Schutz Gott Um christlich empfehlend."!) Wittib Anna Pagenstertß, Kirchspiels Lohne, richtet 27. März 1669 folgende Supplik an den Drosten Galen: „Ew. Gnaden gebe ich Eudtsgesetzte Wittib aus fast hart entringender Noth in tiefster llntcrthänigfeit demüthigst zu erkennen, wasgestallt mein säliger ab­ gelebter Ehemann bei entwichenen Kriegszeiten unter andern f ü r d a s g e h e l e K i r s p e l l L o h n 1 6 W o c h e n g e f a n g e n gesessen, ') 1652 hattr es bezgl. Pumliagens gehechm: Petit ostiatim eleemosynam (Offijialatsarchw).

48

Sit Willah.

und) die geringste Erstattung dafür nicht erhalten, mich durch ver­ schiedene Belagerungen das »»einige dergestalt ruinirt und verdorben, das; nicht das geringste übrig behalten. Wann dann auch mein seliger abgelebter E h e m a n n n i c h t o h „ l ä n g s t gestorben und mein ältester Sohn gleichfalls (zu welchem mein Trost und Zuflucht allein geseyet) drei Woche» lang danach d i e s e W e l t v e r l a s s e n , und also mit g r o ß e n S c h u l d e n , da das meinige zumahlen veralienirt und versetzet, ganz betrübt im Witwettstand nachgeblieben, also ist au Ew. Gnaden mein unterthänigst demüthigst flehentlich Suchen und Bitten, dieselbe geruhe» gnädigst. meinen jetzigen betrübten Zustand zu consideriren, mich etwa ein Jahr der Schätzung zn befreien ober aber dieselbe meinem Vermögen nach aus obangezogenen Ursachen zu moderiren. Ein solches wird der allmögende Gott hinwiederumb belohnen, und ich werde mit meinem geringen Gebet Tag und Nacht zu Gott mich beflissen halten, Ew. Gnaden hiemit den gnädigsten Schill; Gottes langfristlich empfehlend." „Designatio deren unvermögenden und freien Erben, Halberben lind Kötters Kirspels Stcinfeld Harpendorf. S c h ü r m a n n , Erbe, der vorige Heuermann ist wegen Armut vor 1 Jahr darab gezogen, jetziger Heuermann. gebrochener Mann, gebrauchet 2^/, Maltersaat schlechtes Land H e ickmann. Erbe, ist wüst und will keiner bei diesen schweren Zeiten die Stelle annehmen, gehören dazu 2 Maltersaat. so ein künftiger colonus ungefähr findet Pölling, Erbe, seit 30 Jahren wüst, kein Gezimmer, die Ländereien gebrauchen die creditores ad 4 Malter West er man n. Halberbe, wüst, der Henermaun ob paupertatem davon gelaufen. Haus steht leer, bau fällig, die Läudereien gebrauchen die creditores ad 4 Malter

Rthr.

3 3 3

ls/4

Schill.

Tic Verschuldung und Not im Amte Vechta nach dem 30jäfjr. Kriege.

Nthr. Schill.

W u I s k u h l e . gebrauchet 2 1 / , Maltersaat J o h . 3 t i i u e , alter gebrochener Manu, gebrauchet 1 0 Scheffel H o h n k a m p f . 3 0 J a h r e wüst gelegen, nun vor 1 J a h r ein Heuermann in die alte Leibzucht gezogen, gebraiichet 1 Maltersaat und 1 kleinen Garten . . Wegestette, tenuis conclitionis, gebraucht 11/2 Malter schro (unfruchtbares) Land, hat feine Pferde . . . Heim. Stensei, hat keine Pferde, ein Heuerinanu bewohnt ad interim das baufällige Haus . . . . Arndt Schröder, hat mir Garten, ist Unteruogt1) . W i l k e 93riimc 11, wüst, nur ein kleiner Garten in Gebrauch2) Mühlen. S c h o c k e m o l 1 e r , hat im ganzen J a h r seinen Schatz nicht bezahlt, hat ungesunde Pferde, gebrauchet 1 Maltersaat Sche r b r i n g t , auf der Stelle 2 unverheirathete Söhne, halten feilt Dienstvolk. gebrauchen 1 Malter 3 Scheffel zu Koru und Roggen J a c o b s J o h a n n zu Ondrup, eine verbrannte Stelle von 30 Jahren her; im verflossenen Jahre ist ein Häuslei» wieder aufgerichtet, dach los; gebrauchet 11 Scheffelsaat auf hohem Berge W e l l e r d i n g h . wüste Stelle, Wohnhaus baufällig, darin eine alte arme Frau, die Almosen genießt. Die Ländereien bebauen die (Srebitoieu © t e11e it p 0 e l, ganz ruitiirt, alles verkauft »ud versetzt. Ein Heueratann wohnt im Schoppen, hat 4 Schesfelsaat 9(iberbiugf, verdorbene Stelle, darauf ein .Heuermann, der feine Pferde hält, gebrauchet J/2 Maltersaat .

l3/4 — I1/, — ls/4 — 1'/2 — V/2





3



3



3



3 3 3

') War als Untervogt von der Schottinn) frei. 8l Oktober 1660 werden in der Stenerliste die Erben Hoiikamp, Stiive, Pölling und 9iic6cibing in Harpendorf alS wüst bezeichnet, im Juni 16l!l in ynvpcnboij die Stellen Niebrrding, Arabber, Pölling, Zti'we n»d Honkamp. Jahrb. s. Dlbcub. Äcsch. X. 4

50

K. Willoh.

Rthr. Z

L u t t m c r jetzt D i r ich zu Ondrup, verbrannte Stelle, dadurch vor 2 Jahren ganz arm gemacht, gebrauchen V/g Maltersaat T i m p h u e ß , von 4 0 Jahre» her wüst, die Creditoreu gebrauchen 1 Malter 10'/, Scheffel und 1 Garten St rot in ey er. Vor 5 Jahren ist ein Heuermann darauf gezogen. Kein Wohnhaus. (Gebrauchet von der Stelle 17 Schesfelsaat. 4 Schesfelsaat sind zur Contribution von mir verkauft') V o g t H e n r i c h , ein Heucrmann darauf, Stelle lauge wüst gelegen, dieser erst vor 3 Jahren darauf gezogen ail Interim, gebrauchet 1 Malter 3 Schesfelsaat schlechtes Land T y m a u n , darauf jetzt der 7. Heuermann, gebrauchet 1 Maltersaat geringes Land B e r n d R n w e , ein alter gebrechlicher Mann, gebrauchet 14 Schesfelsaat Vikarienland Schwerst ('?), Witwe, arm, gebrauchet 5 Scheffelsaat. P i l l e , weil Uutervogt, frei gewesen P e p e r f a r f , d e s Fürsten Briefträger, muß T a g und sJ?acht aufwarten, frei

3 l

3

I8/« 11/2 s/< l/

3

3

H o l t h a ii} e ii. S a l e f e l d t , früher Erbe gewesen, jetzt Kotten, gebrauchet 1 Maltersaat 3 L u h r , ist einige J a h r e ein Htm ermann ohne Pferde darauf gewesen, fein Haus, nur eine Leibzucht. Weil er den vollen Schatz zu geben befürchtete, ist er in das Backhaus gezogen bei andern Heuerlingen, ge­ brauchet 1 Maltersaat schlechtes Land 3 L ü b b i n g , vor 4 Jahren ein Heuermann darauf ge­ kommen. will wieder abziehen, wenn er den vollen Schatz zahlen soll, gebrauchet 2 Malter 3 Scheffel schlechtes Land 3 ') Bemerkung des Rezeptors, der diese Liste ausgestellt hat.

t

Sic Verschuldung und No> int Amte Vechta nach dem 30jLhr. S\ liege.

51

Rthr. Schill.

P i l l e , gering vermögend, hat 1 ' / , Malter schlechtes Land, aus dürrer Heide gebrochen1) D e r M e i e r , darauf eine Witwe mit S o h n zur Heuer, hat feine Heuerleute zu Hülfe, gebrauchet 21/, Malter saat, aus der Heide gebrochen D h n b r i n f , eine ganz verdorbene wüste Stelle, kein Wohnhaus, nur ein baufälliger Schuppen da, ge­ brauchet 11 Scheffelsaat schlechtes Heidland, da? übrige ist Heide H a r p n o e h (?), ein alter Witmnnn, gebrauchet 8 Scheffel saat schlechtes Heidland, kein Dienswolk .... Ruwe, der allcrfchlechteste Erbmann, 80 Jahre alt, gebrauchet 5 Scheffelsaat schlechtes Land, so keiner begehrt vor halbe Einsaat J o h . K r u s e , bebaut 1 Maltersaat schlechtes L a n d . . Milse Haskamp, hält fein Dienstvolk, hat so lange gegeben Schätzung, das; er nicht mehr sann, gebrauchet 8 Scheffelsaat, habe sein seist Land alles verkauft und davon bezahlt (Bemerkung des Receptvrs), kein Sieh2) H e r m a n n O s t c r h u s . gebrauchet 1 ' / , Malter schlechtes Land, unvermögend H e i n r . kleine H o l t h a u s , verdorbene Stelle ohne Wohnhaus, nur eine Scheune, gebrauchet 18 Scheffel schro Land3) A r n d t B a g g e . wird von kleinen Häuslingen bewohnt, die 9 Scheffelsaat gebrauchen, kein Wohnhaus . . B e l h h a u f z i ? ) . ganz unvermögend, gebrauchet 6 Scheffelsaat schlechtes Heid land J o h . Wiekenbusch, a l s Untervogt frei gewesen, hat Garten

3 3



3 3 3 2

— —

3 3



2



l'/2 —

l'/2 — 7t —

') Pille in Schemde im Sommer 1001 „wüst". *) Cctobcr 1060: iKolf Haskamp, verlaufen; 25. Juni 1001: „»iol s Hatkamp, verlaufen, wohnt im ,, die keine Pferde halten. 8) Personen-SchaHung 25. Juni 1661: Hohnhorst und Brokhans in Höne und Kainphueß und Sextw in Langivege ann. Tas LchapungSregister von 1669 nennt arm: Langehorst, Sextro, Joh. Bünnemeyer, Arndt Bünnemtl)ei', Thoinaiiii, Entmann, Hilgesort, Schiiver, Hartwich, Hülskamp. Es werden die Eingesessenen unterschieden: Einvfliigige, Pserdekötter, Pserdekölter lind Bnnksitter, so keinen völligen Pflug führe», Brinksitter, die keine Pserde haben, Heuerlentc und Leibzüchter. Henerleute und Leibzüchter giebt es viele im Kirchspiel: sie wohnen in Ställen, Backhäusern und Spielern. Dazu kommen XoflflLWmcr, auf dem Hofe wohnend. 3) Tie Höhe des Schatzes ist nicht angegeben.

60

St. Willoh.

T o n i c s L i n i n g , Heuennann, hat ein Maltersaat, gebrauchet 6 Scheffel, das übrige verkauft. Hierauf folgen 4 „Gärtner", d. i. solche, die mir Gärten besitzen. Ost erd am nie. J o h . B o v i n g , geheeles Erbe, hat 5 Maltersaat. ge­ brauchet nur 3. das übrige versetzt. Joh. usm Kampe. Halberbe, hat 31/, Maltersaat. gebrauchet 2, übrige versetzt. B u l t Hop, Kötter, hat 2 Maltersaat. in 8 0 Jahre» nicht bewohnt. xS o l). Ofling, hat 12 Maltersaat, gebrauchet!) Scheffel, übrige versetzt. B o l e k e , hat 3 Maltersaat, gebrauchet 1 Malter 6 Scheffel, übrige versetzt. H i l l e m a n n , hat 3 Maltersaat, gebrauchet 3 Malter. J o h . G o t t b e h ö b e , hat 3 Maltersaat, gebrauchet 1 Malter 6 Scheffel, übrige versetzt. W e r u c k e S n i n g . hat 2 1 /, Maltersaat, gebrauchet 1 Malter, übrige versetzt. L ü b b e P u t t h o f , hat 2 1 / , Maltersaat. gebrauchet 1 Malter, übrige versetzt. A r n d t z u H a v e r b ecke, hat 2 Maltersaat. gebrauchet 0 Scheffel. T o b e Rüsche, liegt wüst. Reselage. J o h . B o v i t t g . Halberbc, hat ungefähr 3 Malter, ge­ brauchet 9 Scheffel, übrige versetzt. Folge» 2 „Gärtner". Ihorst. E y h o r s t . seit vielen Jahren kein H a u s . E a r n p o e l . verdorben. B l o m e k e r , Kötter. H a u s . Garten und 4 Scheffelsaat Ackerland.

Rlhr. Schill.

Tie Versch»ldi»isi und Not im 9(mtr Vechta nach dem 30jähr. Kriege. S e p e , wie Bloineker. RthrB r » min e r , wie Blonieker. Holdrup. V o l k a r d i n g , Heinr. Ortmcnin, J o h . Schwer, Arndt iif der Heide Ijabcii mir Hans und Garten, keine Ländereie». Rtlschendorf. V a h l e k i n g . Arndt Wcmpe, Heinr. Brokamp, Harteke Lange mir Haus nnd Garten, keine Ländereien. Joh. Heinr. Brüning, Richter. Neuenkirchtn.'» H e i n r . z u r Becke, kein Dienstvolk, gebrauchet nur schro Heitland ad 2 Scheffel Lüdeke W e s t e r t ) a u s , gebrauchet 2 Maltersaat . . Tobe Anewehr. Stelle lag wohl 20 Jahre lang wüst, kein Wohnhaus, eine Feuerstelle davon verkauft. . Joh. Brockmann. darauf wohnen Heuerleutc, 1 Maltersaat und 1 Garten Joh. Schwietering, Vogt."

C>1 Schi».

3 23/4 — 23/4 — 23/4 —

In der Stadt Vechta zählt man 1669 122 Häuser ohne die geistlichen, armen und adligen Wohnungen (alte Stadt 32, Achternstraße 19, neue Stadt 55. Burgstraße 16). Nur einige Wohlhabende fanden sich uittcu bcii Eingesessene», der größte Teil schlug sich recht und schlecht durchs Leben oder war arm. Nach den alten Steuerregistern waren 142 Häuser verschwunden, wie eine 1(369 übergebene „Specificatio deren in .der stadt Vechte vor diesen vorhanden gewesen und nieder ge­ rissen Häuser, auch was; aus jede» hause a» schatzung gangen", darthut (Klingenhagen 92. im Vohrde 18, Altenstadt 9. Neuestadt 23,.*) ') In diesem Kirchspiel wenig Münstersche. ') 1660: 136 HanSstätte» mit 42!) Einwohnern ohne adlige, geistliche it. s. w. Wohnlillgen. Auf Hage» 3 Halberben: Bröring, Kröger, Pnlsfvrt und 1 Kötter: Gudeukaus. 3 Heuerleute. 1663: 30 panpeves in der Stadtgemeinde auf dein Hage» Pulssvrt, jept Harbers, pnuper.

K. Billoli.

Als letztem Kirchspiel mag Twistriugcn (omnicn. „Spccifica designatiu bchrcit im Kirspcll Twistrilig gany vmmiibteii Erb luib Wohnungen, was Selbige vor Alters hero vermag registri zur geheclen schätzn»gh zu zahlen schuldig sey», wovon ober nun»,ehr wegen großer armuth nichts zn bekomm ist." Hansche M e i e r , geht betteln T j ö l k e B r a t t d e h o s , wahnsinnig, viel J a h r e in Ketten, wie annoch angeschlossen, verarmt E i l e r s J o h a n n , vidua, bettelt R o l f R o l f e s , vidua, bettelt Herrn. P a p e s o h a » n . lebt von Alinose» . . . . B e r n d L ü t e r s , ebenfalls A r i i b D i e p h a n s , Gerichtsfwhne, frei J o h . K e t t e l f ü h r e r , vidua, lebt von Almosen . . . (iort Bebeler, vidua, ganz unvermögenb . . . . Luke Bntjenters. Hans verbrannt, nicht wieber auf­ gebaut A r c n b K iii khorst, H a u s verbrannt, nicht wieder o»fgebaut C o r d t D a h m e n , mendicirt H e r r n . K r ä m e r s , Wittib, verarmt K l a u s H e i t m a n n , für seine eigene Kate, ganz verarmt Item Heitmann, wegen Brnnkhorst. Leute verstorben, Haus verbrannt, nicht wieder aufgebaut . . . . Cort Kiene, alter tauber Mann, so bettelt. . . . Joh. Bokelmann, jetzt Alweken fiuer, geht betteln . Liier Dirkes Cort, vidua, geht betteln . . . . C o r b t W e l t m a n n , Mendicant H e i n r . H i l g e n b o r g , Mcnbicont A b b c n Hilsts che, vidua, geht betteln T h i k e n M e t t k e , vidua, geht betteln J o h . B o i k e n , 80jähriger M a n n , lebt von Almosen . H e r r n B r u n s , jetzt Führer L u e r s A l b e r t , Leute verstorben, H a u s wüst unb eingefallen

Dir Verschuldung und 9?ot im Amte Vechta und) den, SOjfifjv. Kliege.

63

Rthr. Schill.

H e n r i c h i m B n s c h e , Leute verstorben, H a u s verbräunt, nicht wieder aufgebaut N o b i s k r u g . incndicirt A r e n d t M o e r i u a u n , incndicirt L a m m e rs H a r m , meudicirt H i l l e m a n n P i l s t e r , ohnvermögend L a m p e L u l l e m a n n . lebt von Almosen A l b e r t B u t l e r , lebt von Almosen C o r d t M e y e r , lebt von Almosen J ü r g e n T a b i n k , Leute verstorben, H a u s wüst und unbewohnt J o h . S c h m i t t , bettelt B u t j e n t e r , H a u s banfällig B e r n d M ü l l e r , H a u s verbrannt, nicht wieder aufge­ baut, bettelt F r e r i c h s H e n r i c h , bettelt Heinr. Brinkmann, bettelt, krank D e b k e H ü l l e , bettelt, Häuslern ungedeckt . . . . A l b e r t ( 9 r e u e , Witwe, lebt von Almosen . . . . H ä r m e n S u e r s , ebenfalls H ä r m e n B ö t h e , 2 ungesunde alte Leute, leben von Almosen C o r d e s A r c n t , ebenfalls, jetzt Lampe Schmitt . . H e i n r . N i e n a b e r , bettelt, Wohnung ungedeckt. . . A l b e r t G r e v e , bettelt H e i n e n T r i n e . Witwe von 8 0 Jahren, lebt von Almosen A n n a B o i k e n , Leute verstorben, H a n s verbrannt, nicht wieder anfgebant L a m p e G r a v e n , Leute verstorben, H a u s verbrannt, nicht ,wieder aufgebaut J o h . S c h u m a c h e r , Bettler J o h . jetzt L a m p e S c h m i t t , Bettler D i r k S c h r ö e r , Bettler H e i l i f e b e i d e r R i e d e n , Bettler

1 — — — — 1 — 2

— 7 7 7 14 — 7 14

— 1 —

21 — 7

— — — — 2 2

14 7 7 7 14 14

— 1 1 1

7 7 7 —

1

7

1

7

1 V« — — —

7 — 7 7 7

64

K, Willoh.

Rthr. Schill.

T h i e s D i r k . Bettler — M a r i s k e L a n d w e h r , lahmer Mann, bettelt . . . — Arnt vor in Damme, Haus verbrannt, nicht wieder ausgebaut 1 A l b e r t L e h m k ü h l e , lahmer alter Mann, bettelt. . — A l b e r t M o e r m a n n . vidua, lebt von Almosen . . — B e r n d t R a s c h e , vidua, blind, lebt von Almosen. . — B e r n d t H e l l e m a n n , H a u s verbrannt — H e n r i c h S t o v e r . durch vor etlichen Jahren entstandene Streitigkeiten mit den Diepholzern wegen geschehenen Einfalls und gewaltthätiger Abnehmung seines Vieh, Pferde und Früchte ganz zurückgekommen') .... 2 Joannes Wandtschercr, pastor, testatur de veritate Leute zahlten, weil sie nicht als zahlmigsnnsähig dastehen wollten, obwohl sie sast nichts besaßen, beweisen die Bemerkungen über Ostniaiin in Calveslage (S. 39) und Haskamp Holthausen: (S. f>l) „schämt sich seilte Noth zu entdecken."

Sie Verschuldung und Not im Amle Vechta nach dem AOjcihr. Knegc.

65

mihi uni panis ater. Sein Frühstück habe einige Male aus Schwarzbrot und Wasser bestanden, wird zu der Frage nach dem Einkommen der Pfarre bemerkt. Der Pastor von Löningen antwortet ans die Frage, ob von den Eingesessenen die Fasten- und Abstinenzgebote beobachtet würden, darüber werde genug gepredigt, „seil proilolor, rusticus mens, qui vix aliquando panem habet, satis abstinens est" Der Pastor in Barssel sagt: Fasten uud Abstinenz beobachten die Leute, weil sie nolens volens faste» müssen, da ihnen das Fleisch fehlt.1) Die Notlage hörte auch mit dem Jahre 1669 nicht auf. 1682 berichtet der Bakumer Pastor: „Westerbakum (jetzt ein blühen­ des Dorf) ist mehrenteils in Armut geraten"; und 1703 der Cappeler Pastor: „Die Bauern können augenblicklich nichts leisten." So gehts fort durch das ganze 18. Jahrhundert. In Lastrup war 1783 ein Pfarrverwalter ad Interim angeordnet. Im März 1784 schreibt er nach Münster: „Ich kann nichts von den Leuten bekommen, es mögen sein jura majoris aut minoris. Es ist hier eine solche Zeit, das; die guten Leute diesen Winter hindurch selten Brot im Hause gehabt haben." Das war die gute alte Zeit. ') Übrigens herrichtn damals auch Not, wo der Krieg nicht gewütet hatte. Pastor Epping in Waddens hielt 1900 einen Vortrag im Rüstringer Heimatbund über die totale Verarmung der Gemeinde Waddens um 1680.

Aihrb. j. Cltit'iili. Vcjch. X.

J

V.

Mttnsterländische Sage. Iii ganz aulen Tiien esse den Buur Tebben-Meyer ton Hinnmtamp b. Damme cj" jien Ackerland, wat „Inn Cekholte" hett, noch'n grautet Holt ivöiir. ivoonde in neu Hügel, bee noch to secinen iS un denn je „Erdmännkens-Knapp" heetet, een aulcn lütten Zwerg, van de Binnen schlichtweg „het Erdmännlen" nöoniet. Diit Erdinnnnken harr neu langen griijen Boart und was van Handwerk 'n Schmed, bee Buuren siäcn ein imu, hee wöör fecn Christ, sonbern 'n Heeide, wicl hec sien Liiewedage nig nor'n Klärten goiik, luiel hee awer feeiieii Minsken wat däe und socke inoje Ploogiisens inaakede, lvvten je ein in Ruhe. Wenn nu eene sie« Piärd beschlaun lauten »voll, bann büunt hee het tili neu Baum vor n Crdinännken siene Hütte im gong na Huus, ower 2 Stunne Iroeim he roier, beim was bat Piärb kloar, bat Geld liä upn Bauinstuuken un göng siine Weeze, Ploogiisens undergl. liäen sc auf up den Stunken un'n oimern Dag roöören se repereert, un'n Zettel leig der die, wat het kostede, iiieii Schmed in der ganzen Giigend maafebe Hintere Arbeed esse het Erbinäniiken un boarbii was lie recht billig, bee Buuren stönncn sick also recht goot boarbii. Dnt Erdniännken harr eene Tochter bii sick van 7—8 Jonhren, bat feig uiit esse olle Kinn er, bloot bnt se mächtig langet Hoar harre, bee Höngen eer bett np be Hacken un loopen tonn se esse 'n Reh. Tüt Wicht gong saate nau Tebben-Meyers K inner uii spiielde mit beei, was au wer nig to bewegen inn't Huus too gnun, sonbern blees jiimmer bleuten; höchstens bett ant Diiiirtierfe hveim se boar feit je biiiir, wann see beim bee Kinner nig seeg, denn lööp se loier nau HuuS. Cenes DageS tibbelbc be Tüwel bee Meherschen, bat se in'n Kopp kreig unb siäe too eere Juugens „fanget mir baut Erdmännken siine Dochter es, beim will ick ehr bee langen Hoare mit ber Schüren afschnienes bat jiiinb nu es wier kweini um too jpiielen. greipen Meyers Jnngens bat Wicht, schliiepenben ber mit in t Huus un de Me>>ersche schneit cm be Hoare aj, bat Kiind lööp grünend na HuuS un esse bee Aule höört harre wat passeert wöör. wöört he ganz vergrellbe un lööp bet nau Tebben-Meyers Huus, stellbe sick Dort Hecke un rööp: Wiel bat Ii hebbt micii Kind geschooren Weese Ine Glucke up siewen Minskenliiewedaage uerlooren! Van bee Tiid au gönkt up'ii Meierhiioive tröflfleuut, nix woll gelingen, tocerSt stüüörwen de Piäre, dann be Kööje. de Kinner wööreii baut un wecke bliinb un nix woll helpen. Bann t Erdmännlen un siine Dochter Hess nie« Minske roat roier höärt oss seehn. — Hiiüle geet het den Meyer »ix schlechter un nix biäter esse olle Buuren, de siiewen Minskeliiewedage schi'iööll woll iimme roeseii. Mitgeteilt von F. Kley Dörfer. —KS'tt»»«

VI.

Oldenburgs erste Rekognoszierung in Birkenfeld 1816. Von G. Jansen.

Alsim Verlauf des Wiener Kongresses die Hoffnungen zu Wasser geworden waren, welche sich auf eine umfängliche terri­ toriale Entschädigung Oldenburgs in unmittelbarem Anschluß an das Gebiet des Herzogtums (Erwerb von Ostfriesland) gerichtet hatten, standen aus der großen Länderverteilung bekanntlich nur noch gewisse Ueberreste des früheren französischen Saar Departeinents auf dem linken Rheinufer zur Verfügung, auf welche nach den Beschlüssen des Kongresses nunmehr die noch nicht befriedigten An spräche verschiedener deutscher Fürsten verwiesen wurden. In diesen zwischen dem künftigen Preußen »»dBayern eingekeilten Komplex, welcher aus zahlreichen vor der Auflösung des alten Reiches selbständig gewesenen Territorien oder Teilen solcher bestand, sollten sich jetzt nach dem Verhältnis einer gewissen Seelenzahl der Herzog von Oldenburg, der Herzog von Coburg und der Landgraf von Hessen Homburg teilen. Oldenburg war ein Bevölkerungszuwachs von 20000 Seelen an dieser Stelle zugedacht. Koburg sollte St. Wendel. Hessen-Homburg Meisenhenn erhalten. Bei dem Bekanntwerden dieser eigenartigen Lösung der lange hingehaltenen Eutschädigungsfrage in Oldenburg hatte man dort natürlich von den Verhältnissen und Zuständen jenes fernen Land striches nahe den Grenzen Frankreichs, welcher fortan wohl oder übel einen Bestandteil des oldenburgischen Staatswesens bilden sollte, keine Ahnung und es war deshalb begreiflich, daß man sich zunächst unanffällig darüber zu unterrichten wünschte, um was für

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ein Objekt es sich eigentlich handelte. Für eine solche Rekognoszierung erschien als eine besonders geeignete Persönlichkeit der da­ malige Legationssekretär Ludwig Star klof. der dem oldenburgische» Bundestags-Gesandten Präsidenten von Berg beigegeben war. und es erhielt derselbe deshalb im Oktober 1816 den Auftrag, von Frankfurt aus — ausgerüstet zwar mit Empfehlungen Wilhelm von Humboldts. des preußische» Bundestags Gesandten, aber möglichst unter dein vorsichtigen Jncognito eines harmlosen Touristen — die Gegend von Birkenfeld zu bereisen und die dabei ihm zu­ fließenden Materialien für die Beurteilung der dortigen politischen, finanziellen und sonstigen Verhältnisse nach Oldenburg einzuberichten. Starklof entledigte sich dieser Aufgabe in einem Reise-Journal, welches wir im Nachfolgenden mitteilen und dessen Inhalt auch jetzt noch allerlei im Rückblick Interessantes darbieten mag. nach dem die politische Zusammengehörigkeit Birkenfelds mit Oldenburg seit mehr als achtzig Jahren eine vollendete Thatsache ist, in welche man sich beiderseits eingelebt hat. Journal meiner Reise nach Birkenfeld. O k t o b e r 1 2 . A m 12. Oktober nachmittags, nachdem ich den vom Hrn. v. Humboldt verheißenen Brief an de» Kreisdirektor Hensner i» Birkenfeld erhalten hatte, begab ich mich auf den Weg über M a i n z und B i n g e n nach K r e u z n a c h , wo ich gegen 2 Uhr nachts eintraf­ est ober 13. Um 6 Uhr morgens setzte ich meine Reise fort, und kam. immer am Nahesluß. der bei Bingen i» deu Rhein fällt, hinauffahrend, ihn auch hinüber und herüber einige male passierend, um Mittag »ach Kirn. Bis Kirn »»d vorzüglich i» der Gegend vo» Sobernheim und Monzingen ist das Nahe thal ungemein fruchtbar, schön angebaut und besonders reich an Wein- und Wiesenwachs. Tie Nahe ist ein mäßiger Flnß (etwa so breit wie die,S>u»te), sehr seicht, steinigt und sowohl wegen dieser Eigenschaften als auch wegen verschiedener Wasserfälle, welche der Fluß in seiner ganzen Breite bildet, nicht schiffbar. Von Kirn aus fuhr ich auf der rechten Seite der Nahe, also im Hessen-Homburgischen Gebiet, weiter. Schon in Kirn hatte ich

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mich im allgemeinen und mit der unverdächtigen Neugier eines Reisenden nach dein Zustande des Landes ;c. erkundigt und immer zur Antwort erhalten: Der Landgraf von Hessen-Homburg habe bereits Besch genommen, für Kobnrg werde eben heute in St. Wendel gehuldigt; nur die Unterthanen von Birkenseld wüßten noch nicht, wann und wie ihr provisorischer Zustand sich endigen würde. Es habe zwar immer geheißen, sie würden an den Herzog von Oldenbürg kommen, allein bis jetzt schiene feine Anstalt dazu gemacht zu iverdeu. Da mein Pas; (vom preuß. Geschäftsträger Baron von Otterstedt) mir meinen Namen. ohne Anzeige des Vaterlandes :c. enthielt, lind ich das Ansehen eines besonderen Interesse möglichst zu vermeiden suchte, so ward es mir nicht schwer, über manche Gegenstände die Ansichten und Wünsche der Unterthanen kennen zu lernen, welche sich fast allgemein in das Resultat zusammenfassen ließen: Das Verlangen nach einem endlichen definitiven Zustand ist ungeteilt, besonders scheint man die Abstellung der noch be­ stehenden französischen Einrichtungen, beS Steuerwesens, der unver hältnismäßig großen Strafen bei Forst- und Feld-Freveln :c. zu wünschen. Ohne gerade eine Anhänglichkeit an Preußen zu habe», sind die Unterthanen mit der gegenwärtigen provisorischen Ver­ waltung ziemlich gut zufrieden; indessen setzen sie jedesmal hinzu: es ist alles beim Alten geblieben. und wir zahlen soviel als vorhin. Von Kirn bis Oberst ein ist der Charakter des oldenburgischen Distrikts rauh, die Berge sind hoch. Fahl und felsensteil. Etwa eine halbe Stunde vor O b er stein führt eine Brücke über die Nahe in das oldenburgische Gebiet. Oberstein ist ein langer, schmaler, am Felsen hingebauter Fleeten vou etwa 300 Häusern (beim Herein­ fahren bemerkte ich an einigen Wohnungen die Nummern 271, 273 2C.). Die Nahe fließt mitten durch lind wird von hier aus zum Holzflößen benutzt. Eine auffallende Merkwürdigkeit ist die Kirche von Ob er st ein, welche hoch über dem Ort in eine Felsen­ höhle hineingebaut ist und einen tiefen Felsenbrunnen in sich faßt. Über der Kirche noch stehen die Reste eines alten Schlosses, welches zu französischen Zeiten verkauft worden und gegenwärtig die Wohnung eines Landmanns ist. Hier fangen die Berge auf der oldenlmrgischen Seite an sich mit Wald zu bedecken, welcher

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aus Buchen und Eichen besteht. In und bei Oberstein (vorzüglich ans dein Wege nach Idar) sind sehr viele Achatschleifercien. die in der That bewundernswerte Arbeiten liesern und ehemals einen außerordentlich bedenkenden Handel nach Frankreich. Italien und Spanien getrieben haben. Tic Kunstfertigkeit der Obersteinischen Arbeiter war so berühmt, t>oß ihnen aus den entferntesten Ländern fremde, z. B. egyptische. sibirische ?c. Steine znm Schleifen zugeschickt worden sind. Dieser Handel hat aber jetzt (nach der Bemerkung des Bürgermeisters von Oberstem) sehr abgenommen, seitdem diese Waren bei der Ausfuhr nach Frankreich hin sehr schwer verzollt werden müssen, und der Ertrag, den man ehemals auf den Frankfurter und Leipziger Messen gewann, durch die Konkurrenz der Engländer mit geschliffenen Kristallen. Glasfluß ?c. ungemein beeinträchtigt worden ist. Anstatt mehr denn 500 Arbeiter, welche sonst in den Schleifereien beschäftigt lonvcti, zählt man jetzt kaum 120. Das Material wird vorzüglich in dem jetzt koburgischen Anteil gewonnen, indessen trifft man es mich in der Gegend von Göttschied (Oldenburg) und zwar immer nestcrweise. Der Bürger­ meister (Moire) in Oberstem, zugleich Gastwirt, äußerte, als meine Bemerkung, daß man hier preußisch sei, ihn veranlaßte zu erwidern, es werde viel von der Abtretung an Oldenburg gesprochen, zugleich die Besorgnis: daß die Etablierung so vieler kleiner Länder unter verschiedenen Regierungen leicht wieder jene Hemmungen und Sperrungen herbeiführen könnte, von welchen die Unterthanen elie inals sehr gedrückt worden wären, als Tricrisches, Zweibrückisches, Badisches, Grumbachisches :c. Gebiet sich in dieser Gegend so oft und durch einander liegend berührt und damit zu unzähligen Belästigungen in Ansehung der Gewerbe ?c. Anlaß gegegen hätte. Auf meine weiteren Fragen sagte er mir nur: Die Verwaltung des Landes sei noch ganz auf französischem Fuße beibehalten, nur die Namen verändert; die ehemaligen Uuterpräfekteu wären die jetzigen Kreisdirektoren, die Maires hießen nun Bürgermeister: auch die Friedensrichter, die Steuereinnehmer ?c. wären alle geblieben, mitunter seien auch Stellen, z. B. Maire und Notar, in einer Person vereinigt worden. Mancher sei in einer Gemeinde Moire und zugleich in der andern Steuer-Eiunehmer; indessen wären die

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llntcitf)aiicn im Ganzen mit dieser gewohnten Einrichtung nicht unzufrieden; wenn nur die Steuern minder schwer nnd die Justizpflege nicht so kostspielig und unbequem wäre. DaS einzige Tribunal aber, an welches in erster Instanz alle Prozeßsachen, die nicht beim Friedensrichter abgemacht worden sind, gebracht werden müßten, sei in St. Wendel, von Ivo die Appellation nach Trier gehe, was denn freilich sehr viel Beschwerliches habe, nnd Kosten und Zeitverlust herbeiführe. Hinter Oberstein wird die Gegend freundlicher und der Anbau des Landes breitet sich über die Berge aus. Das Nahethat bis gegen Idar hat schöne Wiesen; das Bich ist von einem sehr guten Aussehen und die Einwohner sollen wohlhabend sein. Äußerlich bemerkt mau dies nicht, am wenigsten an ihren Wohnungen, die auch in Ob er st ein sehr unbedeutend sind. Die Straßen in Ober st c i u sind eng, schlecht gepflastert und schmutzig. Der ganze Weg durchs Land, von Kirn bis Birkenfeld, ist gut und an einigen Stellen der besten Chaussee zu vergleichen. Unter den Laudesfrüchten bemerkte ich vorzüglich Hafer und Kartoffeln. Die Gegend ist durchaus gebirgig; das Klima soll schon wegen der Berge bedeutend rauher sein, als in der Gegend von Kreuznach. Um 8 abends langte ich in Birkenfeld au. Das Straßen­ pflaster schien mir weit besser als in Oberstein, auch waren die Straßen breiter und heiterer als dort. Um kein Aufsehen zu erregen, lind den neugierigen Fragen, die mich schon ohnehin genug quälten, wenigstens so lang als möglich auszuweichen, vermied ich es. noch denselben Abend zum Kreisdirektor zu gehen; da ich indessen das Gespräch durch eine beiläufige Erkundigung nach der heutigen Huldigung in St. Wendel auf die beabsichtigte Bahn gelenkt hatte, so erfuhr ich. daß der Kreisdirektor Heusner, an welchen meine Adresse vom Hrn. v. Humboldt lautete, nicht mehr hier, sondern bereits im Julius nach Kaiserslautern in bäuerischen Dienst gekommen sei. Der Gastwirt, welcher mir als ein sehr verständiger Mann geschildert worden war, befand sich nicht zu Hause, und ich mußte mich mit sehr oberflächlichen Erkundigungen nach der Einwohnerzahl (die etwa auf 1200 angegeben wurde) und nach der Landesregierung, a l s welche man g e g e n w ä r t i g

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P r e u ß e n und „dem Gerücht nach" f ü r d i e Z u k u n f t O l d e n ­ burg bezeichnete, für heute begnüge«. O k t o b e r 1 4 . Nachdem ich — in Zeit von einer halben Stunde — nur einen sehr flüchtigen Augenschein von einem Teil des Städtchens und der Umgegend genommen hatte, welch letztere mir ringsherum vortrefflich angebaut schien, begab ich mich zn dem gegenwärtig hier anwesende» Kreis-Kommifsarins Gerhards. Ich fand a« demselben einen freundlichen, gutmütige» Mann, und lieft mich — ohne gleich anfangs einer Adresse vom Hrn. v. Hnmdoldt zu erwähnen — mit ihm in ein Gespräch ein. in welchem ich ihm sagte, daß bei der Möglichkeit einer Abtretung von Birkenfeld an Oldenburg eS der oldenburgischen Regierung natürlich von Wichtigkeit sein müsse, die etwaige» Wünsche bei Unterthanen aus dem unmittelbarsten Wege zn erfahren, sich mit deren vorzüglichsten Interessen nnd Bedürfnissen bekannt zu machen, uud sich in de» Stand setze» zu können, das sehr freundschaftliche Verhältnis, welches zwischen den preußischen und oldenburgischen Regierungen herrsche, vorzüglich zu Stipulationen und Verträgen zu benutzen, welche ja unumgänglich abgeschlossen werden müßten, wenn die Abtretung zn stände käme. Ter Beamte antwortete mir darauf sehr freundlich und zu­ traulich, sagte mir, daß er früher i» Koblenz i» Dienst gewesen, nachher in Trier angestellt nnd seit de»i Juli hierher geschickt worden, mit den hiesigen Lokalitäten :c. ziemlich genau bekannt und sehr geneigt sei. mir über alles, was ich zu wissen verlangte, die genaueste Auskunft zu geben. Meiner Instruktion, dem Verlangen des Herrn v. Humboldt und der ganzen Sache gemäß bat ich ihn, mich ja nicht als einen Kommissanus zu betrachten, sondern nur als einen Dienet des Staats, mit welchem es sich vielleicht von der Abtretung dieses Landes handeln werde, und mich nur von allein dein genau zu unterrichten, was den Bedürfnissen und Wünschen der Unterthanen angemessen und zu deren Befriedigung erforderlich sein könnte. Da er sich hierauf gefällig äußerte, so hielt ich es für zweck mäßiger, diese günstige Stimmung des Mannes zu benutzen, als mit bei» oben erwähnten Brief des Herrn von Humboldt hervor­

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zutreten, dessen Inhalt nur unbekannt war, und möglicherweise doch immer geeignet sein konnte, eine den zu erreichenden Absichten un vorteilhafte Wirkung zn äußern. Ich hatte keine Ursache, dies Verfahren zu beraten. Seine Äußerungen waren so wohlwollend und enthielten einen so unverkennbaren Ausdruck von gutmütiger Teilnahme am Wohl der Unterthanen, daß ich nach wenig allge­ meinen Erkundigungen, bei welchen ich jedoch die Ungewißheit, ob die Abtretung zustande kommen werde, glaubte hervorheben zu müssen, mich auf spezielle Fragen einließ und diese nach Anleitung der mir von Herrn von Berg aufgegebenen Fragen stellte: ad 1. Was die Grenze betrifft, so ist diese nördlich durch den Haltebach (ftinibnch) bestimmt, welcher bei S t i n t in die N a h e füllt. Diese trennt min den Oldenburger Strich vom Koburger bis in die Gegend von Wey erb ach. nnd läßt also bis dahin die Grenze keinem Zweifel unterworfen sein; bei Weyerbach nbei­ tritt unsere Grenze über den Fluß hinüber und umfaßt die Landesteile, welche von den Kantons S t . W e n d e l und B a u m h o l d e r zur Komplettierung der 20 000 Seelen zugelegt worden find. Hier könnte es sich freilich nun fragen, wodurch die Grenze, welche auf dieser Seite von der Natur nicht mehr bezeichnet wird, unbestritten festgesetzt werden könne? Nach der Äußerung des Kreisdirektors aber richtet sich die Grenze allenthalben, sowohl in der Gegend von Wolfersweiler, Ausweitet, Hirstein ?c., als auch bei S t e i n b e r g . N e u n k i r c h e n , I m s b a c h , S c h w a r z e n buch, A c h t e l s b a c h . R i n z e n b e r g , S c h w o l l e n , K i r s c h w e i l e r . Mörscheid. Ober-Hosenbach und Pontenbach, lediglich nach dem bestehenden und durch Grenzsteine bemerkten Gemeindebann. Bei allen Teilungen sind die Gemeinden durchaus unzerrissen geblieben; von den Bürgermeistereien hingegen sind einige geteilt worden, wie z. B. Rhaunen (wovon an Oldenburg die Gemeinde P o n t e n b a c h fällt). N o h f e l d e n . W i l s h a u s e n , N e u n kirchen, die aus den Kantons Wadern. St. Wendel und Baumholder teilweise an Oldenburg kommen.1) ') Auf dein Verzeichnis des Kreisdirektors von den an Oldenburg zu überweisenden Ortschaften war auch Nollenbach genannt; allein später aus­ gestrichen worden, weil es nur irrtümlich hineingekommen sei. Die Seelenzahl

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ad 2. Im ganzen ist die Einteilung der Gerichtsbezirke so. das; vier Bürgermeistereien zu einem Friedensgerichte gehören, welches bei mißlungenem Vergleichsversuch in Sachen bis zn 100 Frcs. erkennt, bedeutendere Gegenstände aber nur instruiert und an das Tribunal zn St. Wendel verweiset, von wo die Appellation nach Trier geht. Auf meine Bemerkung, daß die Entfernung dieser Gerichtsstellen den Unterthanen sehr unangenehm sein müsse, er­ widerte der Kreisdirektar: dies sei eine Hauptursache ihrer 11it Zufriedenheit mit der provisorischen Regierung. ad 3. Die Zahl der Pfarren wußte der Kreisdircktor nicht sogleich anzugeben — er verwies mich diescrhalb auf das mir mitzuteilende Verzeichnis des Dienstpersonals —, indessen sagte er mir im allgemeinen, das; ihrer ziemlich viel und die Unterthanen größten­ teils lutherischen Glaubens wären. An Orten aber, wo sich Katho­ liken befänden (z. B. in Birken seid selbst), werde der verschiedene Gottesdienst in einer Kirche verwaltet. In der Regel habe jede Gemeinde ihre Schule, doch sei im ganzen das Schulwesen sehr vernachlässigt. Bon milden Stiftungen habe es seines Wissens nur eine gegeben, die aber in Ansehung des Eigentums und des Zwecks ihres Fonds vielfach bestritten worden sei; der Fonds, der in Obligationen bestehe, sei nach Kreuznach gezogen worden, unti die Sache selbst liege zur Entscheidung der Regierung. ad 4. Die Finanzverwaltung wird durch Einnehmer)teUcn und Rcntmeisteveien besorgt, ist aber von allen Administration^ zweige» derjenige, welcher wegen seines unerträglichen Drucks den Unterthanen das Provisorium ganz vorzüglich verhaßt macht. Die Steuern auf französischem Fuß sind alle beibehalten worden (droits r c u n i s ausgenommen) und bestehen in G r u n d - , Mobiliar-, Fenster-, Thüren-, Personal-Patent-Stener und Enregistrementsgebühren, wozu denn auch die Stempelabgabe gehört. Bei diesem Steucrwesen ist es der Fall, daß gerade daSdieses Verzeichnisses ergab sich auf Pontenbach davon mit . . . .

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abgezogen, bringt die Summe von welche der nnsngen von . . . . nahe kommt.

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jenige Eigentum, welches den Einwohnern nichts einbringt — ihre Wohnnng — am schwersten besteuert wird, weil dasselbe in 4 Rubriken der G r u n d - , M o b i l i a r . F e n s t e r und T h ü r e n Steuer unterworfen ist. T i c Mobiliarstener wird nach dem a n genommenen Mietertrage bestimmt: jedes Fenster wird mit 1 Frank, jede Thür mit 1'/, Frank, ein Thor mit dem doppelten versteuert. Tie natürliche Folge dieser Auflage ist das Vermauern aller entbehrlichen Offnungen. Der Stempel kostet bei allen Kauf­ briefen, Kontrakten ;c., unabhängig von dem Wert der Vertragsobjekte. 24 9&.1) Die Enregistrementsgebühr aber richtet sich nach der verschiedenen Größe der in Frage kommenden Summen und beträgt 4 Proz. Ein besonderer Zweig der Einnahme bestellt noch in den unverhältnismäßigen Geldstrafen, welche auf die nn bedeutendsten Feld- uud Wald-Frevel gesetzt find. Letztere aber finden Hin so häufiger statt, weil für den Holzbedarf der ärmeren Einwohnerklasse sehr schlecht gesorgt ist, nnd dnS Bedürfnis sie zum Diebstahl verleitet. Ehemals hatten die Gemeinden sich verschiedener Begünstigungen in den herrschaftlichen Forsten zu erfreuen: vom Windfall, sog. Raffholz :e., bekamen sie ihren Anteil, sie durften Reiser lesen und Holz sammeln; allein schon unter der französische» Regierung ist dies i» dem Maße abgeschafft worden, daß Gemeinden, welche ihre Berechtigungen (titres) nur aus dem Herkommen ableiten konnten, ihrer ganz verlustig gingen, und andere, welche wirklich Urkunden aufzuweisen hatten, sehr beschränkt worden sind. Die gegenwärtige Finanzadministration leidet übrigens auch noch an dem Gebrechen, daß sie gerade die Reichen schont und die Armen drückt. Eine eigentliche Vermögenssteuer existiert nicht. Wer also keinen Grund und Boden hat, kein Gewerbe oder Handwerk treibt, kein eigenes Hans bewohnt, der ist von allen den oben criustlnitcn Steuern frei, und kann die größten Kapitalien besitzen, ohne einer Abgabe unterworfen zu sein. Eine andere Beschwerde liegt darin, daß von seilen der Vermögenden immer wo möglich dahin gearbeitet wird, alle Lasten und Abgaben, wenn es sein kann, auf die Gemeindegüter zu wälzen. Weil nun an diesen Gütern ') Tie Erbschaftssteuer und die Steuer von Ehestistungen ist abgkjchajjt.

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jeder Gemeinde-Eingesessene ein gleiches Recht hat, so wird auch der Anteil an den Lasten auf gleiche Weijc repartiert; der Unterschied in der Zahlungsfähigkeit fällt weg und der Arme ntus; eben so viel zahlen als der Wohlhabende. Dasselbe ist der Fall bei der Einrichtung der Patentstener, in welcher der größere oder geringere Erwerb keine Klasseneinteilung der Besteuerten veranlaßt hat. Das Patent des Kaufmanns, welcher große Vorräte einzuhandeln im stände ist, hat einen Preis mit dem Patent des kleinen Krämers, welcher von dem ersteren einige Pfund Kaffee und Zucker kauft, um durch deren Vertrieb auf dem Lande einen kleinen Gewinn zu machen. Ob ein Schlachter durch die Lage seines Wohnorts, das größere Bedürfnis einer zahlreicheren Bevölkerung und sein eigenes Kapital in den Stand gesetzt ist. alle Woche ein paar Ochsen aus­ zuschlachten, wenn dagegen ein anderer vielleicht alle 14 Tage ein Kalb verkauft, macht in der Patentstener beider Handwerker nicht den geringsten Unterschied. Die Domain eil des Landes bestehen einzig und ausschließlich in Waldungen, welche nach der allgemeinen Angabe des Kreisdirektors einen Flächeninhalt von beinahe 30000 Morgen Landes enthalten; dagegen die Gemeinde-Waldungen nur circa 6000 Morgen Landes betragen. Der größte und ansehnlichste Teil dieser Forsten liegt nach dem Hochwald hinüber nnd besteht vorzüglich aus Buchen. Wie groß der Ertrag derselben wäre, wußte der Kreisdirektor nicht anzugeben, indessen muß er schon deshalb be­ deutend ausfallen, weil gerade in dieser Gegend ein sehr ansehnliches Eisenwerk (Abenteuer) gelegen ist. welches aus zwei großen Eisenhammern. einem Pochwerk, einer Schmelze und einer Eisenschneidmühte besteht, jährlich au 500 000 Centner Eisen produziert und täglich für den Schmelzofen lohne die Kohlen) 5—6 Klafter Holz verbraucht. Dieses Werk gehört einem Herrn Stumm aus Saar­ brück und wird mit Material a u s der Gegend von S c h w a r z e n b a c h und Buhlenberg (beide Orte sind oldenburgisch, der letzte eine halbe Stunde von Birkenfeld) versorgt. ad 5. DaS Militär betreffend ist im Jahre 1814 nach dem Einrücken der Alliierten eine freiwillige Landwehr gebildet, dieselbe aber nachher wieder aufgelöst worden. Der Stamm der­

Aldenburgs eiste RekognoSziening in Bukcnlcld I hI (1.

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selben ist verteilt und Oldenburg wird einen Hauptmann und vier Landwehrmänner zu übernehmen haben. Der Hauptmann heißt Nöll und ist der Sohn deß Apothekers in Birkenfeld. Der Kreisdirektor meinte, seine Gage könnte sich auf 2000 Franks belaufen. Er soll ein gedienter Mann sein. Die Landespolizei wird von der Gendarmerie wahrgenommen. In Birkenfeld liegt ein Oberleutnant, ein Unterleutnant nnd eine Brigade von G Mann. In Obersten« ist gleichfalls eine Brigade. Diese Gendarmen sind keine Preußen, sondern größtenteils aus der Umgegend. Beim zweiten Feldzug gegen Frankreich hat Birkenfeld keine Truppen gestellt, aber sowohl im ersten als im zweiten sehr viel von Militürdnrchzügen auszuhalten gehabt. Diese Äußerung des Kreisdirektors benutzte ich, um auf den hauptsächlichsten Gegen stand, die Militärstraße, zu kommen. Es scheint mir zweckmäßig — von andern Rücksichten ab­ gesehen — hier vorauszuschicken, welche kostspielige Last der Truppen durchzug für die hiesigen Landeseinwohner ist, welche noch jetzt immer mit teilweisen kleinen Einquartierungen belästigt sind, ohne dafür die geringste Vergütung zu erhalten, die zwar verheißen, aber nicht geleistet wird. Nach dem Tarif soll der gemeine Soldat für seine Zehrnng — an einem geringen Ort 3 Groschen (den Groschen — 4 &r), an einem Ort der mehr als 25000 Seelen enthalt, 4 Groschen bezahlen und dies von seinem Sold abgeben. Es wird konnt der Erwähnung bedürfen, daß der Soldat nicht zahlt. Uber die Beköstigung der Offiziere ist garnichts ausgemacht, und von einer Vergütung nicht die Rede. Ein Vorspann-Pferd wird mit G Groschen u Meile vergütet. Wenn man nun mit obiger Vergütungssumme von resp. 3 nnd 4 Groschen den Beköstignngstarif vergleicht, nach welchem der Soldat: 2 % Brot — ü S 5 37 . . . 10 W l/t T Fleisch — ä % 10 . . b „ Gemüse 5 „ Branntwein 4 „ erhält, so ergiebt sich schon hieraus, daß 24 Xf das wenigste ist, womit die Zahlung eines Infanteristen

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M. Jansen.

bestritten werden samt, hingegen ein Kavallerist allein an Kourage täglich gegen 30 .ÖF kostet Nach dem bestehenden Tarif nämlich bekommt ein Pferd täglich: 12 ff Hafer — daS Malter oder 300 ff ä 9 fo 30 %r- . 24 35? 3 ff Heu — 100 ff ä 2 & . 4 ff Stroh — 100 ff a 1 & 29% 5F Was tum die vollkommene Abwendnng einer solchen Last von den hiesigen Einwohnern betrifft, so läßt sich freilich bei der Ansicht des Landes selbst nicht verkennen, daß seine Lage zwischen Mainz nnd Saarlouis dem Gelingen eines solchen Bestrebens immer große Schwierigkeiten von seilen des preußischen Gouvernements entgegensetzen wird. D e r Weg von K r e u z n a c h bis B i r k e n f e l d ist. wie ich schon oben bemerkt habe, s e h r g u t , und der nächste. E s giebt zwar eine S t r a ß e über A l z e y . Kaiserslautern und Saarbrück nach Saarlouis; allein wettn die Preußen diese zu weit um finden, so wird auf der andern Seite die bairische Regierung dieselbe sehr unbequem finden und sich darauf schwerlich einlassen wollen. Allein es geht auch eine S t r a ß e über B e r n e a s t e l , M o r b a c h , H e r m e s k e i l , W a d e r n und Merz ig nach Saarlouis. Diese kommt freilich auf dem geraden Weg von Koblenz; allein auch von Mainz aus geht eine S t r a ß e über B i n g e n . S i m m e r n und K i r c h b e r g nach B e r n e a s t e l . S i e ist freilich, indem sie ganz um B i r k e n f e l d herumgeht, viel weiter als die projektierte, indessen würden sich die Gründe, welche die preußischen Militärbehörde» daraus für die Notwendigkeit der letzteren herleiten wollten, vielleicht eher wider legen lassen, a l s der U m s t a n d , daß die S t r a ß e über M o r b a c h durch den Hochwald führt und int Winter wohl sehr schwer zu passieren sein dürfte. Übrigens glaube ich, daß die Preußen sich schwerlich mit einer Route zu begnügen geneigt sein werden; denn wen» auch die S t r a ß e von K r e u z n a c h über B i r k e n f e l d nach Saarlouis eingeräumt wäre, so würden sie höchst wahrscheinlich auch eine Straße über Birkenfeld nach Trier verlangen, weil die Überschwemmungen der Mosel in den Wintermonaten die Straße

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über Schweig und Berneastel mich Mainz ganz unbrauchbar machen und keine andere Kommunikation als durch Mrkenfeld übrig lassen. Indem ich es nun dahingestellt sein lassen muß. für jetzt über die Möglichkeit derA b l e l) n n n g dieser Last fernere unter stützende Gründe aufzubringen, scheint mir wenigstens die E r l e i c h ­ terung derselben für die Unterthanen sehr nahe zu liegen. Der Kreisdirektor hat mir darüber verschiedene, ans eigener Erfahrung und der Kenntnis des Landes und der Einwohner geschöpfte Ideen geäußert, welche ich weiter unten bei der Erörterung allgemeiner Administrations-Gegenstände zusammenstellen werde. In Gesellschaft des Kreisdirektors, welcher sich immer gleich artig und freund­ schaftlich bezeigte, besuchte ich den Nachmittag die Eisen Hümmer zu A b e n t e u e r , eine S t u n d e von B i r k e n f e l d . Um B i r k e n f e l d ist das Land sehr gut angebaut. Die vorzüglichsten Produkte sind Hafer, Roggen, Kartoffeln, Flachs. Der Kartoffelbau ist besonders wichtig als Futtererzeugnis für das Birfcufclder Hornvieh, das wegen feiner vortrefflichen Mästung berühmt ist. Es ist nichts Ungewöhnliches, daß ein Paar Ochsen mit 50—70 Ld'or bezahlt wird. Alle 14 Tage ist in Birkenfeld großer Viehmarkt; jetzt in­ dessen nicht mehr so bedeutend als zu franz. Zeiten, wo an einem solchen Markttage an 1300 Stück Vieh beisammen waren. Auf diesen Erwerbszweig verwenden die Einwohner sehr viel Aufmerkfamteit nnd einen Fleiß, der ihnen jedoch im Allgemeinen eigen sein soll. Man beschäftigt sich auch mit Leinen-Webereien und Gerbereien. Zu letzteren liefert die Viehzucht sehr bedeutendes Material und der junge Eichenwuchs die Bearbeitungsmittel. Hin nnd wieder sind Hügel, welche mit niedrigem Eichengebüsch bewachsen sind. Etwa immer ums 12. Jahr werden diese Hügel abgerodet, die Eichenrinden zur Lohe verbraucht und die leeren Plätze alsdann mit Korn besäet, welches in dem Boden, der durchs Verbrennen der Stammwüchse gut gedüngt worden, sehr reichliche Ernten giebt, welcher drei Jahre nacheinander benutzt wird. Alsdann läßt man das Gebüsch (von dieser Behandlung Nodheckm genannt) wieder aufschieße». Der Charakter der Einwohner ist im ganzen betriebsam, gut­ mütig und zufrieden; die lange Dauer des provisorischen Zustandes

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W. Hansell.

aber macht die Leute sehr mißmutig und vorzüglich unangenehm ist co ihnen, ihren Zustand noch immer unentschieden zu sehen, da nun ringsumher alle verteilten Länder in Besitz genommen sind. Das Gespräch kommt sehr häufig auf diesen Gegenstand und auf den künftigen Landesherrn, der ihnen als ein vortrefflicher Fürst geschildert worden ist. Bon der Anhänglichkeit an Preußen, welche mir der Baron v. Humboldt so sehr gerühmt hatte, habe ich keine Spur gefunden; im Gegenteil sollen die Einwohner in Ansehung des preußischen Militärzwangs große Besorgnis hegen. Gegen das Ende meines Gesprächs über alle diese Gegenstände sagte ich dem Kreisdirektor, der mit der größten Freimütigkeit sein Urteil und Wissen mitteilte, das; ich einen Brief des Barons v. Humboldt an den ehemaligen Kreisdirektor HeuSitcr zu übergeben hätte, bei dessen Entfernung von hier aber ihn ersuchte, denselben zu öffnen, was ja kein Bedeuten haben könne, indem der Brief an den Kreisdirektor gerichtet und dessen Name gleichgültig sei. — Er that es und gab ihn mir nachher zu lesen. Der wesentliche Inhalt desselben war eine Anweisung: „mit der einem großen Staat an­ ständigen Offenheit mir die gewünschten Notizen mitzuteilen, mich aber nur als einen reisenden Privatmann anzusehen, der selbst sich von jedem Anschein eines Kommissars gewiß ganz entfernt zu halten suchen werde; in jeder Hinsicht aber der noch obliegenden Pflichten eines preußischen Unterthans und Staatsdieners eingedenk zu seilt, diesen gemäß ztt handeln und namentlich in Ansehung der Militärstrafte sich jedes »nbeikömmlichen Urteils ztt enthalten, weil dies ein Gegenstand sei. der nur der Kompetenz von Militärpersonen überlassen bleiben könne". Nach der Rückkunft von der Eisenschmelze bewog ich den Kreisdirektor. noch ans eilte Stunde zu mir zn kommen, wo lvir dann gemeinschaftlich die Begleichung der zur Überweisung designierten Gemeinden mit der Karte vornahmen, und ich mir die Grenze nach dein Hochwald u n d i n d e r Gegend v o n N e u n k i r c h e n , J m s b a c h . Schwarzenbach, Hirstein, Nohfelden und Weyerbach vor­ läufig bezeichnen ließ, indem ich mir vorbehielt, die näheren Erkundi­ gungen darüber au Ort und Stelle oder durch die Mitteilungen des Forstmeisters, den ich am folgenden Tage aufsuchen wollte, zu erhalten.

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O k t o b e r 1 5 . Ehe ich noch diesen Vorsatz hatte ausführen können, ward ich in der Aufzeichnung der gestern erhaltenen Notizen durch den Eintritt zweier Gendarmen unterbrochen, welche sich im Auftrag ihres Oberleutnants nach meinem Passe erkundigten. Nachdem ich ihnen denselben zur Vorzeigung an ihren Chef mitgegeben hatte, schickte dieser ihn mir zurück, indem er zugleich fragen ließ, wann es mir angenehm sein könnte, ihn bei mir zu sehen. Ich erwiederte diese Höflichkeit durch die Versicherung, das; ich ihm unverzüglich meine Aufwartung zu machen dächte; allein er kam mir zuvor, indem er sich mit einer Entschuldigung über seine Nachfrage iiitroducicrte, welche ihm aber in Ansehung jedes Fremden als Pflicht obliege. Schon von den Gendarmen hotte ich erfahren, daß der Leutnant mit Namen Rosenbacher ein Ungar von Geburt sei. auch bestätigte er dies, jedoch mit dem Zusatz, daß er schon (jetzt dem Anschein nach ein Mann von einigen 40 Jahren) seit seinem 17. Jahre Soldat sei. als Kavallerie-Offizier in einem ungarischen Regiment die früheren Rhein-Kampagnen mitgemacht, darauf in Trier geheiratet, sich daselbst niedergelassen und dort Besitzungen erworben habe. Beim Anrücken der Alliierten im 1. Fcldzuge gegen Frankreich habe er der Aufforderung des Staatsrats Gruner Folge geleistet und zur Bewaffnung und Sicherheit des Landes mitgewirkt, nachher aber die Organisation und das Kommando von 10 Gendarmerie-Brigaden übernommen, welche er nun bis auf 3 an Preußen. Kobnrg und Homburg abgegeben habe. Diese drei ständen nun noch unter seinem Befehl und hätten ihre Stand­ quartiere in Birkenfeld, Oberst ein und Wadern. Im ferneren Gespräch mit ihm über seine ehemaligen und gegenwärtigen Dienst­ verrichtungen fand ich bald Gelegenheit, mich nach den Pflichten der Gendarmen bei Veranlassung von Truppendnrchmärfchen. Desertionen ?c. zu erkundigen und die Unterhaltung auf die Militärftraße zu lenken. Die Beschwerlichkeit derselben, sagte er. sei desto unangenehmer, weil diese Straße für die Kommunikation zwischen Mainz und Saarlonis gar kein Bedürfnis sei. Es gehe eine S t r a ß e von M a i n z über S t r o m b e r g . S i m m e r n , Kirchberg, den stumpfen Turm. Thalfaug. Hermesketl, Wadern uud Merzig nach Saarlouis; diese fei wohl etwas. 3al)i6. f. Clbcub. Besch. X.

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aber kaum 4 Stunden im ganzen weiter, als der Weg über Birkenfeld. und eben auf dieser Straße sei im Winter 1814 der General Henckel von Donnersmark mit A r t i l l e r i e , K a v a l l e r i e und Train durchmarschiert. In Ansehung der Grenzbestimmungen gab er mir dieselbe Auskunft, welche ich vom Kreisdirektor erhalten hatte, daß nämlich der Gemeindebann allenthalben die Grenze bezeichne. Sein Anerbieten, mich durch eigene Ansicht mit einem von den hauptsächlichsten Waldbezirken von Birkenfeld bekannt zn machen, war mir für meinen Zweck der möglichst genauen Instruiernng über alle Gegenstände sehr willkommen, und so ritt ich mit ihm den Nachmittag über Feckweiler und Gillenberg nach dem Sauerbrunnen. Hier ist vor 20 Jahren wirklich eine Brunnenund Bade-Anstalt gewesen: man sieht noch die Spuren eines ziemlich ansehnlichen Gebäudes, welches aber im Jahre 1796 von den Franzosen verkauft, von einigen Birkenfelder Einwohnern erstanden und abgebrochen worden ist. Das Wasser des Brunnens der ganz hart an der Straße liegt, ist eisenhaltig, und scheint ziemlich stark zu sein. Von hier aus geht der fernere sehr wohl unterhaltene Weg (eben der, sagte der Offizier, welchen die Preußen zur Militärstraße machen wollen) auf Hüttgeswasen. Dies ist eine einsame Bauernwohnung, welche in einem waldigen Theile liegt, und als eine verrufene Diebsherberge besonders aus den Zeiten von Schinderhannes berüchtigt, und noch jetzt in gleichem Kredit ist. Etwa einen Büchsenschuß diesseits derselben stehen die ehemaligen badischen Grenzsteine — der Offizier wußte sie mir aber nicht zu zeigen —, welche jetzt den oldenbnrgischen Distrikt vom preußischen trennen. Eine Wolfsgrube erregte meine Aufmerksamkeit und ich erfuhr, daß im Winter der Besuch dieser gefährlichen Tiere gar feine Seltenheit sei. Der Wald schien sehr gut behandelt zu sein, und dehnt sich in dieser Gegend nach allen Seiten aus. Meine frühere Bemerkung, daß der Wohlstand im ganzen Lande verbreitet, der Anbau desselben recht gut, und unter den Einwohnern viel Fleiß und Ordnung sei. ward auch bei dieser Gelegenheit durch eigenes Anschauen und die Bemerkungen des Gendarmerie-Leutnants bestätigt. Der vornehmste Erwerbszweig ist

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die Viehzucht, nach welcher sich die Art des Landbaus, die Lebensweise und alles richtet. Der Viehhandel selbst geht hauptsächlich auf dem Viehmarkt zu Birkenfeld vor sich nnd wird daselbst durch Juden betrieben, welche immer die Mäkler der Käufer nnd Verkäufer sind, nnd das Vertrauen der Leute in einem so hohen Grade besitzen, daß ohne ihre Zuziehung in der Regel gar kein Handel abgeschlossen wird. Die Käufer sowohl als die Verkäufer glauben auf diese Weise ihren Vorteil weit sicherer zn erreichen, als wenn sie selbst von Hand zu Hand kontrahieren. Ehe ich mich von meinem Begleiter trennte, brachte ich das Gespräch noch im allgemeinen auf die Wünsche der Einwohner und ihre Bedürfnisse, und er sagte mir ganz freimütig: Die Unterthanen wären des provisorischen Zustandes nun so überdrüssig, und hätten von den koburgischen Übernahme - Kommissarien und anderen Reisenden so außerordentlich viel Gutes über den ihnen bestimmten Landesherrn gehört, daß eine ordentliche Sehnsucht, oldenburgisch zn werden, entstanden, und allgemein verbreitet, auch durch den Gedanken noch vergrößert worden sei. daß man unter oldenburgischer Hoheit nicht den Militärzwang und ein so ausgebreitetes Konskriptions-System zu besorgen haben werde, wie es von der preußischen Verfassung so ganz unzertrennlich fei. Abends machte ich einen Besuch bei dem Forstmeister Meiling, wo ich den Oberförster Schadt und den Rentmeifter Palmin antraf. Alle drei schienen mir sehr wahldenkende Leute und der Letztere ein vorzüglich gut unterrichteter Mann zu sein. Auch hier sand ich den besten Willen und ein zuvorkommendes Bestreben, mich, soweit es in den Bahnen eines gesellschaftlichen Gesprächs geschehen kann, von manchen Umständen und Verhältnissen, die mir noch nicht ganz klar geworden waren, näher zu unterrichten. Der Forstmeister bestätigte die mir früher gemachte Angabe der Birkenfelder herrschaftlichen Waldungen auf 30 — 32000 Morgen und meinte, der Ertrag könnte sich im allgemeinen wohl auf 40 000 Francs belaufen. Auch erfuhr ich hier, daß außer den Waiblingen noch eine einzige Domäne hier existiere, nämlich: der Holzhäuser Hof bei Nohfelden, welcher ehemals zu einem zwei l,russischen Gestüt gehört habe und eine Revenüe von 2—3000 fi*

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Francs einbringe. Auch ward meine bisher gehegte Idee von den Grenzen des oldenburgischen Distrikts dahin berichtigt, das; östlich nicht immer der Nccheflnß die Grenze macht, sondern diese auch auf dieser Seite sich nach dem Gemeindebann richte und an mehreren Stellen über die Nahe hinübertrete, von Kobnrg aber auf dem linken Naheufer garnichts besessen werde. Diese Ausdehnung ist besonders interessant i n der Gegend von O b e r st e i n , w o cht a n ­ sehnlicher Teil des bedeutendes Waldes, die Winterhaitch genannt, zum oldenburgischen Bezirk gehört. Über die anderen Grenzbezeichnnngen waren diese Herren dahin einverstanden, daß in den Gegenden v o n W o l f e r s w e i l e r , N e u n k i r c h e n . I m s b a c h , Selbach. Schwarzenbach gar kein Irrtum und Streit eintreten könne, indem dieGrenze immer demGemeindebann folge und dieser allenthalben dort herum durch Grenzsteine ganz zuverlässig und anerkannt bezeichnet worden sei. Von Schwarzenbach aus geht die Grenze über die Berghöhe diesseits eines Gehöfts, Neuhof genannt, und ist mich da unbestritten. Dann aber kommt ein Punkt, der schon jetzt zweifelhaft ist, und bei der künftigen definitiven Bestimmung wohl lebhaften Diskussionen unterworfen sein dürfte. Hinter der Schmelze Abenteuer erstreckt sich das an Oldenburg zu überweisende Gebiet noch eine Stunde weit nnd besteht aus lauter Wald, der nach Aussage der beiden Forstmänner eben hier ganz vortrefflich sein soll. Soweit ich verstanden habe, geht nun der ehemalige Gemeindebann bis in die Gegend von Zonneweyer und würde folglich den ganzen Wald bis an die Bergfläche ins oldenbnrgische Gebiet ziehen; auch sind mehrere Gemeinden von Birkenfeld noch bis auf diesen Augenblick mit Berechtigungen in diesem Wald versehen, und H. v. Schmitz-Grollenberg soll denselben auch als an Oldenburg fallend betrachtet haben. Nachher aber sind von der Regierung in Trier einige in diesem Walde liegende Wohnungen (auf der Karte EikschneiderHof und Müllerbaraquen be­ zeichnet) als Gemeinden benannt und als zum preußischen Gebiet gehörig behandelt worden. Inwiefern dies ein Irrtum oder eine absichtliche Operation sei. infolge deren nun diese Waldstrecke hinüberfallen sollte, läßt sich bis weiter nicht darthun, indessen ist die Konstatierung dieses Umstandes auf allen Fall notwendig und die

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Behauptung des ehemaligen GeineindebannS garnicht unwichtig, weil dies bestrittene Objekt nach Angabe der Forstmänner eine Revenue von wenigstens 4000 Francs bringt. Um mich an Ort nnd Stelle mit diesen Lokalitäten bekannt zu machen, nahm ich das Anerbieten des Oberförsters, morgen nachmittag hinüber zu reiten, mit Vergnügen an, besonders, da ich von diesem sehr wohldenkenden jungen Mann noch manche andere nützliche Notizen, vorzüglich in Ansehung der Grenze, des Forstwesens?e. zn erhalten hoffen durfte. Von der bezeichneten Gegend aus läuft nun die Grenze durch den Wald, über jene oben bemerkte Stelle diesseits H ü t t g e s w a s e n am Dreiherrn steine hin. diesseits unterhalb Wildenburg aus M ö r s ch i ed, Weiden und Ober Hosenbach zn. In dieser Gegend ist wiederum eine kleine, jedoch minder bedeutende Differenz, welche daher rührt, daß auf dem Höhenzug, über welchen die Grenze hinstreicht, der Gemeindebann nicht gewiß konstatiert ist. indem zu französischer Zeit die Gemeinden, welche jetzt verschiedene Hoheiten anzuerkennen haben, unter einem Herrn stehend, eine genaue Scheidung nicht als Bedürfnis empfanden und sich mit altherkömmlichen Grenzannahmen aushalfen, die auch für eine definitive Festsetzung zu benutzen sein dürften. Was ich noch in Ansehung der Grenze zu bemerken haben könnte, wäre etwa, daß es auf der Rektifizierung des Ortschaftsverzeichnisses beruhen wird, ob B o l l e n b a ch an Oldenburg fallen solle oder nicht, wo denn im ersten Falle die Grenze jenseits, im letzteren diesseits dieses Ortes an den H e n n e b a c h stoßen und hier wieder dem Gemeindebann bis K i r n nachziehen würde. Der Kirn er Gemeindebann tritt über den Bach herein, sodaß das alte Haus Kirburg noch hinüber gehört und die Grenzscheidung bei dem Dorf Bergen stattfindet. In Ansehung der Militärstraße, zu welcher der Übergang von diesen Grenz-Erörterungen leicht gefunden ward, waren sämtliehe Herren auch der Meinung, daß die Entbehrlichkeit einer S t r a ß e über B i r k e n f e l d allerdings durch jene S t r a ß e über T h a l fang it. an die Hand gegeben, nnd jetzt schon ganz klar dadurch erwiesen werde, daß während des österreichischen Provisoriums, wo es den Birkenfelder Einwohnern verboten gewesen sei. den durchziehenden Truppen nur das Mindeste zu geben, alle Militärzüge

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über Hermeskcil gegangen wären. Jene Straße über Thalfang 2C. sei zwar — das müsse man gestehen — minder gut, indessen habe das Korps des Generals Henckel von Donnersmark sie allerdings im Winter passiert, und einzelne Strecken derselben, die auf einem alten Römerwege angelegt wären, ständen der Birkenfelder Chaussee garnicht nach. Doch äußerte namentlich der Rentmeister sich noch dahin, daß, wenn die Militärstraße nicht ab­ zulehnen sei. dieselbe für die Unterthanen sehr leicht so ein­ gerichtet werden könnte, daß diese, anstatt Beschwerde davon zu haben, ans derselben den nämlichen Votteil ziehen könnten, der ihnen zu allen Zeiten aus den Transpotten und Durchzügen des französischen Militärs zugeflossen sei. Indessen wäre es freilich immer proble­ matisch. ob die Preußen auch die hierüber abzuschließenden Verträge gewissenhaft erfüllen würden, und daß die L a n d e s - R e g i e r u n g in einem solchen Ansinnen nur eine sehr unangenehme Belästigung sehen werbe, ließe sich freilich nicht bestreiten. Je länger ich mich mit diesen Herren unterhielt, desto deutlicher wurde ich gewahr, wie sehr alle, früher mir durch den Kreisdirektor zugekommenen Notizen der Wahrheit streng gemäß gewesen waren: denn mit ihnen stimmte alles, was ich jetzt vernahm, auf das Genaueste überein. Ich erkundigte mich nun nach dein ungefähren Betrag der Landes­ einkünfte, welche der Rentmeister auf 200 000 Francs angab, die ans alten Zeiten her auf den Gemeinden noch lastenden Schulden aber zu 150000 Francs schätzte. Manche Gemeinden, z. B. Birkenfeld selbst, haben sich im Laufe der Zeit von diesen Schulden durch einen kompensierenden Verkauf der Gemeindegüter freigemacht; andere haben wildes Land urbar gemacht und mit dem Ertrage kompensiert. — In den letzten Kriegsjahren fanden die Gemeinden keine Möglichkeit, Schulden zu machen, weil es an Kredit fehlte. Alle Lasten mußten daher von ihnen selbst bestritten werden und daß dies gemeinden weise geschehen ist. hat jetzt die sehr erleichternde Wirkung, daß bei der gegenwärtigen Trennung des Saardepartements von gar keiner Liquidation die Rede ist. deren Weitläufigkeit sonst bei den verschiedenen, wechselseitig zuzulegenden Ausgleichungen ganz unabsehbar sein würde. In Betteff aller dieser Gegenstände siel das einstimmige Resultat dahin aus,

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daß. wenn dies angebaute, bevölkerte, betriebsame Land nur erst einen definitiven Herrn und zwei Jahre Ruhe hätte, von den Folgen der letzten zwanzig schweren Jahre nichts mehr zu spüren sein würde. Hier fiel das Urteil über die Steuern dahin aus. daß über diese der Unterthan sich garnicht beschwerte; die Steuern wären selbst ztt französischer Zeit kaum so hoch als unter den alten Landesherren gewesen, auch rühre von ihnen weder der Unmut der Einwohner, noch die Auswanderung nach Polen (die auch viele Birkenfelder unternommen hätten) her. An der mißmutigen Stimmung der besseren Einwohner habe die Ungewißheit ihrer Zukunft, das Stocken im Handel und das gegenwärtige schlechte Jahr den größten Anteil; was aber die Auswanderer (allgemein Polacfcn genannt) beträfe, so wären das schlechte Wirte, Tagediebe, deren jetzige reuevolle Rückkehr schlimmer sei und nachteiligere Folgen haben werde, als ihr Abziehen, dem man ganz ruhig habe zusehen können. Ganz allgemein sei die Anhänglichkeit an den eignen Boden und die Liebe zur festen Regierung hier im Lande sehr groß und sie werbe sich sehr schnell gegen einen neuen Herrn befestigen, sobald die Einwohner nur ein kleines Zeichen des Anteils und der Fürsorge wahrnehmen. An Gelegenheiten. dem hiesigen Unterthan mit weniger, fast unmerklicher Nachhülfe bedeutende Wohlthaten zu erzeigen, fehle es garnicht. Der Boden bringt alles auf, was der Lebensbedarf erfordert, und selbst in dieser Gebirgsgegend muß es schon eine sehr schlechte Ernte sein, wenn sie den Unterthan nötigen soll, Korn aus Nachbarländern anzukaufen. Dahingegen ist Holz im Überfluß vorhanden, und wenn dessen Absatz nach dem koburgischen Anteil diesen Distrikt nicht aus­ schließlich versorgt, so rührt das mehr daher, daß die Koburger den preußischen Steinkohlengruben näher liegen als den birkenfeldischen Forsten. Allein auch jenes Brennmaterial finbet sich im hiesigen Distrikt. Der Rentmeister selbst hat schon darauf gegraben und diesen Versuch nur aufgegeben, weil er von der Regierung nicht unterstützt wurde. Der Vertrieb der Achatschleifereien in Idar und Ob erst ein nach Frankreich ist selbst jetzt nicht unbedeutend, und es ist auf keinen Fall zu besorgen, daß Koburg, welches das meiste Material

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aus seinem Distrikt liefert, sich dadurch dieses Erwerbszweigs bemächtige« dürfte; Venu einmal sind im Koburgischen die Lokalitäten einer solchen Anstalt gar nicht günstig, und andernteils haben die Leute eine so uubezwingliche Liebe zu ihrem vaterländischen Boden, daß der König von Baiern durch wirklich glänzende Anerbietungen den geschicktesten Achatschleifer nicht Hut bewegen können, seine Hütte, sein Gärtchen und seine kleine Haushaltung zu verlassen. Bei Fischbach hat man ehemals auf Kupfer gegraben und eine ganz vortreffliche, dem schwedischen Kupfer nichts nachgebende reichliche Ausbeute gewonnen. Die Franzosen aber haben an diese Unternehmung nichts gewendet und so ist sie ebenfalls ins Stocken geraten. Die Bearbeitung dieser Mine hat in vorigen Zeiten über 150 Menschen beschäftigt. Die Erzgruben bei Schwarzenbach sind bedeutend und reichen hin, die Eisenwerke zu Abenteuer mit Material zu ver­ sorgen. Eben für diese Werke würde es sehr wichtig sein können, jene Anzeichen von Steinkohlen nicht unbeachtet zu lassen. O k t o b e r 1 6 . I n d e m der Kreisdirektor mein gegen ihn geäußertes Verlange» nach einem Verzeichnis des Birkenfelder Dienstpersonals befriedigte, lud er mich zugleich ein. das Kreis direktorialhaus (ein der Gemeinde gehöriges Gebäude) in Augen schein zu nehmen. Dies Lokal übertraf meine Erwartung. Außer den zum Kreisbureau verwendeten Zimmern fand ich im untern Stock vier in einander gehende Wohnzimmer, ein paar Bedientenstubeu und zwei Küchen: im obern Stock vier recht angenehme, in wohnbarem Stand befindliche Zimmer in einer Reihe, dann vier andere Zimmer, einige Kammern. im ganzen im obern Stock 13 bis 14 Pieyen. Das Hans ist mit zwei Böden, einem Keller, Hofraum und einem ansehnlichen Garten versehen. Bei diesem Besuch fragte ich den Kreisdirektor, welche Sti< pulutionen nach seiner Meinung am zweckmäßigsten sein würden, um die etwaigen Bedürfnisse der Unterthanen zu befriedigen; ob und welche Verträge vielleicht abzuschließen sein dürften, um das gute Vernehmen, in dem man bisher mit den Nachbarn gestanden, auch für die Zukunft zu erhalten. Seine Antwort war: er halte dafür, daß einen durchaus freien Verkehr, wie er bisher gewesen. auch

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künftig zu befördern, das sicherste Mittel sein werde, jede Negierung angenehm und die Unterthanen glücklich zu machen. Die .Haupt ­ punkte wären freilich: — freie Ausführung des Bichs und freie Einfuhr des Salzes, welches den Unterthanen so höchst notwendig und gegenwärtig sehr verteuert sei. Über diese Punkte ober werde man sich mit Frankreich und Preuße« in Einverständnis HU setzen haben; denn gegenwärtig sei die Exportation des Bichs nach der französischen Grenze sehr durch schwere Zölle gehemmt und das Salz durch unverhältnismäßige Abgabe zu einem sehr kostspieligen Artikel gemacht. Dasselbe erwiderte mir der Rentmeister, welcher mir bei dieser Veranlassung die Mitteilung eines Aufsatzes über das Salzbedürsnis versprach, und als er hörte, daß ich den Nachmittag die streitigen Grenzpunkte im Eikscheider Forst besichtigen wollte, mich ermunterte, dies ja nicht zu unterlassen, indem es allerdings inter'«ffant sein müsse, sich über diesen wichtigen Gegenstand mit Lokalkenntnissen zn versehen. In Begleitung des Oberförsters Schadt beritt ich nun von Brücken aus dieses ganze Revier, welches sich auf dem rechten Ufer des Trenobachs. welcher unten im Thal die Hammerwerke zn Abenteuer treibt, über die höchsten Berge wegzieht und aus einem ganz vortrefflichen Hochwald besteht. Wir ritten immer bergan und gelangten nach etwa 11/2 Stunden an die fragliche Stelle. Hier geht eine sogenannte Schneise — Holzschleife. Wald­ weg — quer durch den Forst. Diese, und weiter unten im Thal ein kleiner Bach, der alle Frühjahre seinen Lauf verändern kann, soll jetzt die Grenze machen, welche nach der Natur der Sache und auch nach den Äußerungen des Herrn v. Schinitz-Grollenburg eine halbe S t u n d e weiter oben sein sollte, so d a ß d e r E i k s c h e i d e r F o r s t und mit i h m d e r E i k s c h e i d e r H o f u n d die M ü l l e r barocken innerhalb der oldenburger Grenze zu liegen kämen. Der Oberförster, welcher schon am gestrigen Abend bei dem Gespräch über diesen Gegenstand nicht ganz des Forstmeisters Meinung gewesen war, sagte mir. als ich mich jetzt nach den triftigsten Gründen erkundigte, mit welchen man von Birkenfeld aus eine etwaige Verhandlung über diese Differenz unterstützen könnte — Urkunden,

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mit welchen man ein ausschließliches Recht auf diesen Forst be­ weisen könnte, wären nicht vorhanden; ein Gemeindebann habe gleichfalls im Hochwald nicht stattgefunden und sei auch durch Grenzsteine nicht bezeichnet, und die Berechtigungen der Gemeinden hätten sich nicht allein über diesen Forst, sondern auch auf ganz andere Teile des Hochwaldes erstreckt, welche nie zu Birken­ feld gerechnet worden wären; allein dieser Forst sei immer als zum Birkenfelder Revier gehörig behandelt und auch nach dem Ausspruch des Herrn v. Schmitz - Grollenburg als an Oldenburg fallend betrachtet worden, bis es nun auf einmal der Trierschen Regierung eingefallen sei, jene Baracken, die vor dem Forst liegen, als zu ihr gehörig hinüberzuziehen. Es sei immer möglich und selbst wahrscheinlich, daß hier ein Irrtum und von Seiten der Trierschen Regierung ein Vorschreiten obwalte, von welchem Herr v. Schmiy-Grollenburg nnd auch der mit den Abtretungsgeschäften beauftragte Minister nichts wüßten. Wäre dies der Fall, so würde nach meiner geringen Einsicht alle Kollision am leichtesten zu ver­ meiden nnd die Requisition dieses höchst wünschenswerten Forstes, dessen Besitz für die künftige Grenze so wichtig als für die Revenüen bedeutend ist, am zweckmäßigsten dadurch zu befördern fein, wenn, ohne sich über den streitigen F a l l einzulassen oder jener, i n d e n Wald gehörigen, von der Trierschen Regierung hinübergezogenen W o h n u n g e n zu erwähnen, — i m Abtretungs-Receß n u r der E i k ­ scheider Forst so genannt und bezeichnet würde, daß hinter dem­ selben die preußische Grenze anfinge. Unser Weg führte uns durch schöne Thal-Niederungen und Wiesengründe a m T r a m b a c h auf die Hüttenwerke bei A b e n t e u e r zurück. Die ganze Waldung ist, soweit ich darüber urteilen kann, in einem vortrefflichen Zustand. Der Wildstand hat durch die letzten Kriegs jähre sehr gelitten, indessen stehen doch hin und wieder Rehe, und der Oberförster versicherte, daß, wenn nur ein paar Jahre so fortgehegt würde, wie man jetzt angefangen habe, sich auch das völlig erholen müßte. In der Unterhaltung mit diesem Oberförster, sowie in allen früheren mit anderen Beamten, fand ich ein so herzliches bereit­ williges Entgegenkommen, daß es der zutraulichen Versicherung

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ihres innigsten Wunsches: oldenburgisch zu werden, gar nicht bedurft hätte. Diese Stimmung ist allgemein herrschend und äußert sich nach dem offenen gutmütigen Charakter dieser Wald- und (Gebirgsbewohner auf eine ganz unverhohlene Weise. Der Kreisdirekter und der Rentmeister, bei denen ich den letzten Abend zu­ brachte, sagten mir: aus dem natürlichen Verlangen der Birkenfelder, endlich einen H e r r n zu haben. sei, nachdem d e r B a r o n K o b n r g Hiernach würde also eine Geschichte der Stadtverfassung Oldenbnrgs innerhalb des Rahmens einer Geschichte der Städte bremischen Rechtes ihre Bedeutung für die deutsche Städteforschung zur Geltung bringen können. — ') Ein genaueres Eingehen auf die einschlägige Litteratur behalte ich mir für später vor. *) G. v, Below, Der Ursprung der deutschen Stadtverfafsung, 1892, S. 7. 3) Fr. Philipps, Zur Geschichte der Osnabrücker Stadtverfafsung, Hans. Geschichtsbl, Jahrg. 1889, $. 1 f.

Forschungen zur Verfassungsgeschichte der Stadt Oldenburg. I.

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Das unerklärliche Verschwinden der mutmaßlich ältesten Handschrist des Oldenburger Stadtrechts,^ welche trotz des Oelrichsschen Abdrucks von unersetzlichem Werte ist wegen der darin enthaltenen, in der Bremer Gesetzessammlung nur zum Teil veröffentlichten oldenburgischen Specifica. die Hoffnung, das; sie bei weiteren Nach­ forschungen vielleicht noch wieder zum Vorschein komme, veranlassen uns, mit der Veröffentlichung unserer bisherigen Studien zur ältesten Stadtverfassung noch zu warten und zunächst einer kleinen Vorarbeit Raum zu gönnen, welche durch die Entdeckung einiger neuen Urkünden hervorgerufen wurde. Als wir nämlich vor nicht langer Zeit — mit gütiger Er­ laubnis des Herrn Oberbürgermeisters Tappenbeck — im hiesigen Rathause nach der eben erwähnten Handschrift suchten, fiel uns beim Durchstöbern einer alten, meist mit Akten anscheinend des 17. Jahr­ hunderts gefüllten Kiste außer einigen einzelnen gesiegelten Schriftstücken ein Bündel von Urkunden in die Hände, in welchem zuoberst ein vergilbter Zettel lag mit der etwa dem 17. Jahrhundert ent­ stammenden Aufschrift: „Nr. 2. Einige alte nhrfeden, die aber nichts mehr gelten können." Bei näherer Untersuchung erwiesen sich die Urkunden — 25 an der Zahl — sämtlich als Originale, und ein Vergleich mit den im Großh. Archiv und auf dem NatHanse vorhandenen Verzeichnissen ergabt das; davon eine abschriftlich vorhanden.-) die übrigen bisher unbekannt waren. Wir wollen es daher im folgenden versuchen, von dem Inhalt und der wissenschaftlichen Bedentling dieser Urhmden durch eilte allgemeine Besprechuug sowie Veröffentlichung ihrer Regesten ein Bild zu geben. ') Oldenburgisches Gemeindeblatt 1855, CS. 76 f. und 85 f. enthalten eine Beschreibung des Äußeren und Mitteilungen aus dem Inhalt: „Auf dein hiesigen Rathause befindet sich ein altes sog. Stadtbuch, welches nach dessen Titel im I. 175(5 renoviert und mit Registern versehen ist. Es enthält in Folio 107 Seiten Pergament und 89 Seiten Schreibpapier." IL s. m. Strackerjan und Leverkns haben es noch benutzt und geben an, daß es ans dem Rathause be­ findlich sei. S e i t d e m ist diese H a n d s c h r i f t verschollen. S o l l t e j e m a n d unter den Lesern des Jahrbuchs durch Zufall über ihren Verbleib Nachricht geben können, so würden wir für darauf bezügliche gefällige Mitteilungen sehr dankbar sein. *) S. Nr. 25. Jahrb. f. Oldenb. Vrsch. X.

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Dietrich Kohl.

Es wird manchem Leser dieser Zeitschrift nicht unerwünscht sein, wenn wir über das Wesen der Urkunden nnd ihre geschichtswissenschaftliche Verwertung im allgemeinen einige Bemerkungen vorausschicken. Unter Urkunden im strengen Sinne des Wortes versteht man „schriftliche, unter Beobachtung bestimmter Formen aufgezeichnete Erklärungen, welche bestimmt sind, als Zeugnisse über Vorgänge rechtlicher Natur zu dienen."') Solche Schriftstücke hießen im Mittelalter „Briefe", während „Urkunde" das dadurch gelieferte Zeugnis der Wahrheit bezeichnet und in dieser Bedeutung in der Corroborationsformel (Ankündigung der Beglaubigungsmittel) gewohnlich vorkommt. Seit dem Ende des Mittelalters kommt „Urknnde" in der Bedeutung von bisherigem ..Brief" auf. um schließlich dieses Wort aus seiner Stellung als Simplex zu verdrängen, ihm nur in Zusammensetzungen und formelhasten Wendungen, wie „Freiheitsbrief". „Majestätsbrief", „unter Brief nnd Siegel", seine frühere Bedeutung lassend. Ter ursprüngliche Zweck der Urkunden ist demnach ein juristischer. In den meisten Fällen werden darin Rechtsgeschäfte irgend welcher Art schriftlich fixiert in der Absicht, demjenigen, der sich durch den Vorgang bestimmte rechtliche Ansprüche erworben hat, ein gültiges Zeugnis darüber in die Hand zu geben. Die eine Partei stellt die Urkunde aus. die andere empfängt sie lind nimmt sie in Verwahrung, um jederzeit, falls die Gültigkeit ihrer Ansprüche einmal bestritten werden sollte, den Beweis der Wahrheit antreten zu können. Es ist klar, das; die Urkunde, um im Besitze solcher Beweis­ kraft sein zu können, durch gewisse Äußerlichkeiten sich als ein vollgültiges Zeugnis darstellen muß: sie bedarf der Beglanbigungsmittel. Im Laufe des Mittelalters ist zum entscheidenden Beglanbigungsmittel das Siegel geworden. Am Schlüsse der Urkunde wird von dem Aussteller oder einer anderen Persoll, die er darum gebeten hat, angekündigt, daß er „znr Urkunde der Wahrheit" sein Siegel angehängt oder aufgedrückt habe. Man liebte es. die llr') H. Breslau. Handbuch hev Urkundcnlehre für Deutschland und Italien f. 1889, S. 1.

Forschungen zur Verfassungsgeschichte der Stadt Oldenburg. I.

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künden durch möglichst viele Personen besiegeln zu lassen, besonders durch solche, die in der von ihnen eingenommenen Stellung die Befugnis hatten, auch in fremden Angelegenheiten zu siegeln, also namentlich durch geistliche oder weltliche Fürsten, durch städtische Ratskollegien, wenn es sich um Rechtsgeschäfte von Bürgern, durch Richter, wenn es sich um Dinge handelte, die zu ihren, Gericht gehörten.1) Bon dem Vorhandensein, der Echtheit nnd Unverletzthat der Siegel hing die Beweiskraft des Schriftstücks ab. Im Laufe der Jahrhunderte haben nun die älteren Urkunden ihre juristische Bedeutung verloren.2) Heute verwendet man sie nicht als Zeugnisse vor Gericht, sondern als Quellen für die ge­ schichtliche Erkenntnis. Die ursprünglichen Besitzer, die einst mit Hilfe ihrer Pergamente einen Kaufvertrag, eine Belehnnng, eine Schenkung, ein Vorrecht oder dergleichen beweisen wollten, sind längst dahin, ihre gesiegelten Briefe ruhen in den Archiven gesammelt und geordnet — manchmal auch nicht geordnet —, bis die Hand eines Historikers die halbvergessenen aus ihrem Winkel hervorzieht, um mit ihrer Hilfe Vergangenes zu erforschen. Von dem augenblicklichen Zustand des Siegels ist die geschichtliche Glaubwürdigkeit der Urkunden nicht abhängig; meist ist es gleichgiltig, ob es abgefallen, beschädigt oder noch gut erhalten, ja sogar ob es gefälscht ist (denn die Ur­ kunde kann trotzdem echt sein oder Wahres berichten). Aber daß diese Schriftstücke dereinst mit den besten Bürgschaften ausgestattet waren, welche die Rechtsmittel jener Zeit gewährten, macht sie doch in erster Linie der Geschichtsforschung so wertvoll. Da in ihnen etwas Gegenwärtiges oder nicht lange vorher Geschehenes meist von besonders glaubwürdigen Personen eidlich bezeugt wird, so bieten sie im allgemeinen die denkbar beste Gewähr für die Wahrheit der darin angegebenen Thatsachen. Freilich fixieren sie gewöhnlich nur bestimmte Punkte in der Zeit, selten unterrichten sie uns über größere Zusammenhänge in so fortlaufender Form wie chronistische *) Brchlau a. a. O. 541 f. 3) Vergl. die weiter oben mitgeteilte Aufschrift des Bündels, welche die Urfehden als gegenwärtig ungültig bezeichnet, d. h. im juristischen Sinuc (wegen Ablebens der Aussteller gegenstandslos geworden), während sie ihren historischen 29ci1 damit erst erhalten.

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Dienich Kohl.

und auch annaliftische Aufzeichnungen: sie sind aber ein wichtiges Mittel zur Prüfung des Sachverhaltes, der von diesen berichtet wird, und außerdem besonders für die Erkenntnis von Einrichtungen von hohem Werte. Übrigens hat das Wort Urkunde im historischen Sinne eine Erweiterimg seiner Bedeutung erfahren, indem man heute darunter nicht nur gesiegelte Rechtsaufzeichnungen aller Art, sondern auch Briefe begreift, ja vielfach das Wort im Sinne von historischer Quelle ohne weitere Beschränkung gebraucht. Treten wir nun nach diesen allgemeinen Angaben über das Wesen der Urkunden unserer besonderen Aufgabe näher, so haben wir zunächst das für die Geschichte der Stadt Oldenburg schon vorliegende Urkundeninaterial zu bettachten, um die neu aufge­ fundenen Urkunden dazu in das richtige Verhältnis setze« zu können. Aufbewahrt werden die in oldenburgischem Besitz befindlichen Originale teils in dem Großherzoglichen Hans- und CentralArchive, teils in der städtischen Registratur auf dem Rathause. Diese Verteilung rührt im allgemeinen daher, das; von einem Teil der Urkunden die Regierung, von einem andern die Stadt Empfänger gewesen ist. So sind der Freiheitsbrief des Jahres 1345 und die späteren Bestätigungen von den Grasen für die Stadt, die Urkunden über den jedesmaligen Huldigungseid der Bürgerschast vom städtischen Rat und der Gemeinde für den Grasen aus­ gestellt : erstere liegen daher im städtischen, letztere in dem jetzigen großherzoglichen Archive. Andere wurden doppelt ausgefertigt (die Urkunde von 1592, Jan. 11 über Kompetenzstreitigkeiten der Stadt mit Graf Johann sogar dreifach) und finden sich daher in beiden Archiven. Sehr viele Urkunden wurden auch von ihren privaten Empfängern einem der Archive zur Aufbewahrung anvertraut, be­ sonders solche, die von der betreffenden Behörde selber verfaßt nnd gesiegelt waren.1) Manche sind auch durch Znfall in den ') Von Seiten der Behörden geschah die Ausfertigung gegen eine be­ stimmte Gebühr. Der „Machtspruch" von 1592 (Landesjachen nnd Rathaus) setzt für den Rat der Stadt Oldenburg einen Maximaltarif in diesen Sachen fest: die Preise richten sich nach dem Wertobjekt, über welches die „Verschreibung" ausgestellt wird, und nach dem Siegel, welches zur Verwendung kommt (die

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Besitz des fraglichen Archivs gelangt. Endlich beruht im H.- und C.-A. eine ganze Reihe von Abschriften, die von Original-Urkunden des städtischen Archivs, bezw. auswärtiger Archive genommen sind. Die in auswärtigem Besitz befindlichen Urkunden sind meist auch durch die Urkundenbücher zugänglich gemacht, deren sich nunmehr alle Land­ schaften. welche das Herzogtum Oldenburg umgeben, zu erfreuen habe». Das gesamte Urkuudemnaterial, das an den genannten Orten zu finden ist, läßt sich in etwa vier Gruppen zerlegen. In erster Linie kommen diejenigen Urkunden in Betracht, in denen namentlich das Verhältnis der Stadt zu ihrem Landesherrn zum Ausdruck gelangt, wie der Freiheitsbrief von 1345, seine zahlreichen Be^ stätigungen, die Huldiguitgsbiiefc der Bürgerschaft, Verträge über Kompetenzfragen, gräfliche Verordnungen u. s. w. Zur zweiten Gruppe rechnen wir alle auf die inneren städtischen Angelegenheiten bezüglichen Urkunden, wie Stiftungsbriefe und Willküren der Hand werksämter, Verfügungen des Rates, Beschlüsse der Gemeinde. Eine dritte Gruppe von Urkunde» betrifft die auswärtige» BeZiehungen der Stadt »»d enthält daher Handelsverträge, Geleits briefc für fremde Kaufleute, von auswärts eingeholte Schiedssprüche und dergl. Einer vierten Gruppe endlich wurden diejenigen zuzu­ weisen sein, welche die Rechtsverhältnisse einzelner Bürger berühren, als: Schenknngs- und Verkaufsurkunden betr. Häuser, Grundstücke, Renten, ferner Testamente, Gerichtsscheine und Urfehdebriefe. Dabei ist es natürlich nicht ausgeschlossen, sondern sogar sehr häufig der Fall, daß eine Urkunde in mehrfacher Richtung stofflich zu ver­ werten ist. Diesen Gruppen sind nun die neu aufgefundenen Urkunden einzureihen, nämlich: A) l Gerichtsurkunde betreffend Wiederherstellung guten LeuNluudes, B) 2 Verträge: a) betr. die Baubefugnis eines GrundcigenSladt hatte ein „großes insiegel" und ein „kleines secret"). Ob auch für die Anfbcwahmng eine Gebühr erhoben wurde, ist aus dieser Stelle nicht ersichtlich, aber ivohl anzunehmen.

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tümers mit Beziehung auf das Nachbarhaus, b) betr. den Verkauf eines ländlichen Grundstücks, C) 22 Urkunden über beschworene Urfehden, im ganzen also 25. Diese Urkunden sind — ausgenommen Bb) wovon eine Abschrift int H.- u. C.-A., Grasschaft OldenburgDelmenhorst, Landessachen, bei Urs. 1586 liegt — in keinem der vorhandenen Verzeichnisse aufgeführt und auch älteren Historikern, z. B. L. Strackerjan. nicht bekannt gewesen. Nach unserer obigen Einteilung würden sie sämtlich der vierten Gruppe zuzuzählen sein. Namentlich wird die Zahl der dem Stadtarchiv gehörigen Urfehdebriefe dadurch von 2 auf 24 vermehrt, was um so mehr Beachtung verdient, als diese Klasse auch sonst nicht sehr zahlreich vertreten ist. Die Eigentümlichkeiten der durch A, B und C in sachlicher Beziehung vertretenen Urkundenarten dürften eine genauere (Erörte­ rung verdienen. Die Urkunde vom 27. Oktober 1543 nennt sich selbst einen „richteschyn", sie gehört zu den Gerichtsurkunden, die vom gräflichen Richter, dem Stadtvogt, auf Antrag einer Partei über eine unter seinem Vorsitz im öffentlichen Gerichte stattgefundene Verhandlung unmittelbar nach deren Schluß ausgestellt wurden. Solcher Richtscheine besitzen wir nicht gerade viel. Ihr Zweck ist, dem Empfänger ein unanfechtbares Beweismittel für den in der Gerichtssitznng festgestellten Thatbestand in die Hand zu geben. In der Regel handelt es sich um Civilsachen. insbesondere um EigentumsÜbertragungen, denen man die Form eines (Schein-)Prozesses giebt, eben um die Urkunde zu erhalten.1) Eine solche ist z. B. die Urkunde des Richters Luder van Dungstorpe vom 9. Novbr. 1441. In unserem Falle wird aber von dem sogenannten Kläger die Wiederherstellung seines guten Leumundes beabsichtigt. Er erscheint in der Gerichtssitzung und beantragt die Ladung zweier Bürger, welche dann eidlich bezeugen, daß die bezüglich der RechtMäßigkeit seiner Ehe mit seiner verstorbenen Hausfrau Grete Wichmaus entstandene üble Nachrede auf Unwahrheit beruhe, da sie !) Über die vielseitige Verwendung des Scheinprozesses vergl. H. SBrunner, Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte, 1901, S. 154.

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sich noch der von einem Kaplan nach kirchlichem Brauche vollzogenen Trauung erinnern könnten. Rechtsgeschichtlich ist hier interessant, daß noch ganz das deutsche Gerichtsverfahren üblich ist, mit den Besonderheiten des bremisch-oldenbnrgischen Rechtes. Das Gericht findet statt am Tage. Es wird öffentlich, d. h. im Freien (auf dem Marktplatze) gehegt, die Bank wird geschlossen (es werden vier Bänke rechtwinklig zu einander aufgestellt) nnd mit den ..Kornoten" des Richters, den Beisitzern, besetzt. Wirger bilden den „Umstand". Später werden besondere „Umständet", meist Werkmeister der Handwerksämter, zugezogen. Der Kläger tritt in das so gebildete Gericht und beantragt die Ladung seines Gegners oder der Zeugen. Beweismittel ist in unserem Falle der Eid, der gestabt, d. h. Wort für Wort nachgesprochen wird unter Auflegung der Hände auf ein Reliquienkästchen („Uppen Hilgen gesworu"). „Durch zweier Zeugen Mund wird cillerwegs die Wahrheit kund". Der Richter ist der Frager des Rechtes. Das Urteil findet ein von ihm aufgerufener Bürger, der nicht zu den Beisitzern gehört, sondern dem Umstände entnommen ist. Die beiden unter B) angeführten Urkunden, vom 31. Juli 1641 und 27. Januar 1643, enthalten Abmachungen zwischen Privatleuten, die sich auf Grundstücke beziehen, und gehören zu den zahlreichen Beurkundungen privatrechtlicher Verhältnisse durch die gräfliche Kanzlei oder den Stadtrat, deren bereits oben gedacht ist. Die erstere, von den Räten des Grafen Anton Günther ausgestellt, bezeugt einen Vertrag, durch den sich jemand gegen eine einmalige Geldzahlung verpflichtet, auf seinem Hofe keine Bauten zu errichten, wodurch seinem Nachbarn das Licht entzogen würde. Auch hier haben wir es mit einer Art Gerichtszeugnis zu thun, denn die Sache ist „gerichtlich angezeiget" und vor der Anerkennung des Thatbestandes sind beide Parteien genau vernommen worden, ober nicht in der Form des deutschen Gerichtsverfahrens, sondern bei einer Sitzung der Räte in der gräflichen Kanzlei. Noch weniger ist von einem gerichtlichen Verfahren in der zweiten Urkunde zu bemerken, wo vielmehr der städtische Rat nur den Bericht eines Bürgers beurkundet, der einen außerhalb der Stadt gelegenen Bauernhof verkauft hat und über die dafür empfangene Summe

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quittiert. Derartige Urkunden des Stadtrates über EigentumsVeränderungen, vor allem bei Rentenkauf, kennt schon das älteste oldenburgische Stadtrecht aus dem 14. Jahrhundert (Statut I und XXX), wo sie als „Hanwesten van den ratmannen" bezeichnet werben,1) und von der Mitte des 15. Jahrhunderts ab haben sie sich bei uns in größerer Zahl erhalten. In der allgemeinen Rechtsgeschichte spielen sie insofern eine wichtige Nolle, als an manchen Orten die Beurkundungen in ein dafür gehaltenes öffentlieh cd Buch amtlich eingetragen wurden. worin sie auch ohne Siegel volle Beweiskraft hatten, eine Einrichtung, die sich „aus den Städten auf das flache Land verbreitete und sich in dem Grundbnchsystern unseres heutigen Rechts erhalten und fortgebildet hat".2) Durch die 22 Urfehdebriese tritt, wie schon gesagt, eine Ur knndenklasse in unsere Bestände ein, die daselbst früher nur in wenigen Exemplaren vertreten war : im Archiv aus dem Rathause zweimal, im Haus- und Central-Archiv, Urft der Stadt O., garnicht, unter den Urft „Landessachen" nur 2—3 mal. Auch die jeversche Abteilung enthält nicht mehr. Verhältnismäßig kommen sie überhaupt nicht häufig in den Urkundensainmlungen vor (im Bremer U.-B. I—IV finde ich nur 9), wenn es nicht gerade darauf abgesehen ist, derartige Schreiben zusammenzustellen (vergl. Schenkt, Sammlung der Freiheiten II, worin 12 Urfehdebriefe [nach v. Maurer, Städteverf. III, 634], sowie Datt, Volum, rer. Germ. etc. libri V.). Dem Wort Urfehde wird, wenn es irgendwo auftaucht, im Publikum nicht selten eine falsche Bedeutung beigelegt, indem die Grundbedeutung der Vorsilbe „ur" verkannt wird. Der gotischen Präposition us —aus, aus etwas heraus, von etwas weg. entspricht im Westgermanischen ur, or, er. vgl. urteil, ordel, erteilen: Ursprung, erzielen. Urfehde, mnd. orueibe, bedeutet demnach ein Aufhören der Fehde. Demgemäß wird es von I. PH. Datt, Volumen rer. Germ. etc. libri V, 1698, S. 3 mit pax stipulata Übersetzt. In ') Die Privaturkunde hat nach dem Bremer Stadtrecht bis ins 15. Jahr hundert keine selbständige Beweiskraft. Brunner a. a. C. 153. *) Brunner a. a. £. 173. Mit derartigen „Stadtbiichem" ist übrigens das Oldenburger Stadtbuch nicht zu identificieren.

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lateinischen Urkunden wird es mit securitas, compositio, cautio wiedergegeben.^) Aus diesen lateinischen Ausdrücken ist mich — klarer als aus dem deutschen Worte — zu erkennen, das; nicht eine zufällige, sondern eine vertragsmäßige Beendigung des Streites gemeint ist. Urfehde war demnach das eidliche Gelöbnis, sich fernerhin aller Feindseligkeiten gegen eine bestimmte Persönlichkeit nebst deren An hang und Besitz zu enthalten, auch keine der bis dahin erlittenen Feindseligkeiten vergelten zu wollen. Sie wurde geschworen, wenn eine Fehde durch einen Vergleich beendet wurde, z. B. zwischen den Bremern und ihrem Erzbischof 1217 und wiederholt in den Kämpfen der Bremer mit den Friesen, in der Regel von der unterliegenden Partei, gegen deren Rachegelüste der Sieger sich sicher stellen wollte. Etwas Ähnliches war die „Sicherheit", die der am Boden liegende Ritter im ernsthaften Turnier seinem -Gegner gelobte. Insbesondere aber fand die Urfehde Anwendung bei der Entlassung eines Gefangenen. Nach dem Sachsenspiegel ist die Urfehde der einzige Schwur, der einen Gefangenen bindet, falls er nicht durch eine treulose Gefangennahme erzwungen ist.2) Hierbei waren verschiedene Formen möglich. Entweder der Gefangene wurde überhaupt entlassen, und sein Leib verfiel nur dann wieder seinem Gegner, wenn er eidbrüchig wurde (wie in den meisten unten mitgeteilten Fällen), oder er verpflichtete sich, sich ans Verangen des Gegners jederzeit wieder zu stellen (vgl. unten Nr. 1), oder er erhielt nur einen Urlaub ans bestimmte Zeit (z. B. der 1547 von Graf Anton gefangene münsterische Drost); auch die Verpflichtung, ein bestimmtes Gebiet nicht zu verlassen, konnte damit verbunden sein (vgl. Götz von Berlichingens Urfehde). War die Urfehde eine allgemein landrechtliche Einrichtung, so blieb dieser Begriff auch dem städtischen Rechtsleben nicht fremd. Zwar fehlt in den bremisch-oldenbnrgischen Statuten darüber eine allgemeine Bestimmung, aber in solchen Fällen galten eben die ') Bremer U. B. I., Nr. 109: . . Facta est (1217 zw. d. Erzb. ii. der (Stadt) securitas Landessachen) finde. Vielleicht ist Ctjghen der Aussteller des Richtscheins von 1550 (Abschrift 3t. £>.), der seinen Namen nicht nennt. Z w . A . K . und D . K. erscheinen a n d e r e Richter nicht. SzybeIibo--Sigibold oder Sigibert. *) Wzr. 1513: VI. 36 Michael Tunnebinders (hus). •) Wzr. 1513: VIII, 12 Diderick Knopes hus. 4) 1534 März 31, 1547, Januar 20 als Bürgermeister (L.). •) 1563, März 31 als Totschläger „vor etlichen Jahren" (St. 0.). •) 1550 (St. €.) als „vorspielte", 1554, Mai 9 (St. C.) Bevoll­ mächtigter. *) 1530 (Nr. 8) Bürge. 1551 (Nr. 12) Zeuge. Bemerkenswert ist. dah der UrteilSfinder nicht zu den tiomoten, die auf der Gerichtsbank sitzen, gehört: in Bremen und Oldenburg konnte der Bogt das Urteil auch an einen beliebigen

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Mann aus dem Umstände stellen (mich in Freiberg, G. ü. v. Maurer. G. d. Slüdleverf. III, S. 573).

Nr. 12. 1551, August 1. „ J o h a n R o g g e " bekennt öffentlich, auf Ansuchen („ansockeut") des Grafeu Anton von Oldenburg und Delmenhorst in das Gefängnis des Rates 511 Oldenburg gekommen zu fein, und schwört genanntem Grafen, ferner Bürgermeister und Rat Urfehde, indem er gelobt, sich wegen der erlittenen Haft — bei Strafe völliger Friedund Rechtlosigkeit — in keinerlei Weise zu rächen. Als Bürgen werden genannt „Hinrick Börstken" und „Johan Wubbels", die im Falle eiues von Rogge begangenen Eidbruches dem Rate 100 gute rheinische Gulden zu bezahlen oder de» Übelthäter wieder in seine Gewalt zu bringen haben. Wegen Siegelfarenz des Ausstellers siegeln als Zeugen: „ J o h a n O t t i n g , 1 ) ampts gesivont 2 )" und „ J o h a n S i n e d e ß " „Im jare viffteyu hunderth linde eyn uude vifftich am dage vineula Petre." Niederdeutsch. Pergament. An Pergamentstreisen hangend 2 Siegel: 1) Wappcnsiegel des Johann Osting (in Schüssel; Lilie): 2) Siegel des Johann Sniedej; (in Schüssel; Hausmai-ke). ') «gl. Nr. 11. *) Geschworener eines Haudwei'keranitcs = Werkmeister (der süddeutsche „Zunftmeister").

Nr. 13. 1562, Juli 8. .. T y a s G r e v e " bekennt öffentlich, nachdem er sich „imune ettliche gefastede Vermutungen und argwohn" freiwillig in das Ge­ fängnis der Stadt Oldenburg begeben, daraus „uthbesouderen rath" des Grafen Anton von Oldenburg und Delmenhorst „sampt dem ersamen radt und gemeinen ohrdellsluden"1) wicker entlassen zu sein, und schwört Urfehde, indem er gelobt, sich wegen der erlittenen Haft an niemandem zu rächen. Als Bürgen nennen sich die Bürger „RauWardt Swanß"^ und „Johann Sange".3) Die Bürgen siegeln.

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„Middewcke nach Marie Heimsuchung. welcker is der achtte tagk des monats jnly". Niederdeutsch, einzelne hd. Formen. An Pergamentstreifen hangend 2 Siegel: 1) Siegel des Johann Lange (in Schüssel, Hausmarke); 2) Siegel des Rauwardt Swans; (in Schüssel, quadrat., Winkel abgestumpft: Hausmarke, Aufschrift: R. S.). ') In diesem Falle ist also durch eine gerichtliche Verhandlung die Unschuld des Gefangenen klargestellt. — Tyas --- Matthias. *) 1573 (St.-O.) Werkmeister des Schusteramts. ') Wzr. 1502: I, 9 Lange Johans hus

Nr. 14. 1575, Juni 25, „Gert Brockhoff" bekennt öffentlich, „wegen etzlicher dethlicher Handlung und Verbrechens" in das Gefängnis des Rates zu Oldenburg gekommen und daraus durch Vermittlung seiner Verwandten wieder entlassen worden zu sein. Er schwört „in gott und seinem heiligen evangelio", sich wegen der erlittenen Haft an niemandem zu rächen. Als Bürgen nennen sich „Altman Bene"') und „Heinrich Jpwede"-) und verpflichten sich, wenn G. Br. die Urfehde bricht, ihn tot oder lebendig wieder ins Gefängnis zu bringen oder sich selbst dem Rate auszuliefern. Ter Aussteller und die Bürgen unterschreiben eigenhändig.8) „Den 25. juni anno domini 75". Hochdeutsch, einzelne nd. Formen (vgl. Unterschriften und Aufschrift). Papier. 3 Unterschriften: 1) des Altmann Beue („b"); 2) des Heinrich Jpwede („Ht)iul)cf Wwede"); 3) des Ellert Brockhoff für feinen Bruder Gerd Br. („Ick Eylert brockhoff hebbe dyth van mnnes broben ivegenn fchreuen"). Auf der Rückseite von derselben Hand: „Gert BrockhossS urpheide. Diße urpheide ist beschworen in deiwesen deß Herrn bürgermeisterS Deiterich th or Helle,4) Hintich Storenn,6) Jehan Boden.') Ghriftoffer Weint [en?], der beiden borgen, auch seines broberö Ellert brockhoff uff dato, who darein." ') Wzr. 1513: XJV, 6 Benen hus. a) Heinrid) Jpivede 1515 Bicar (Urkk. Lambertistift). in Nr. 11 unter den Kornoten.

Johann Jpwede

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•) Hier wie manchmal später werden eigenhändige Unterschriften angekündigt, während sie unten fehlen oder ein Stellvertreter unterschrieben bat. *) 1574, April 26 (Akten des Old. Landes-Archivs. Tit. VIII). *) 1587, Jan. 21 Hinrich Stöer. RatSverwandter (St. O.). e) Vgl. Nr. 11, ferner Jehan Bode Werkmeister 1565 (L.). W. des Bäcker­ amts um 1607.

91r. 15. 1575, Dezember 8. ,,Edc Stattlander" bekennt öffentlich, wegen seines „mut­ willigen Verbrechens und gcwaldtsawer dach", die er an dem Pastoren .Hermann Chremeß" „mit gewapenter handt und ungeborlikcn worden up frier )traten" oerübt, in Haft genommen, aber obwohl er eine ernstliche Strafe verdient habe, aus christlichem Mitleiden und durch Vermittlung seiner Freunde wieder aus dein Gefängnis entlassen worden zn sein. Er schwört, solches Gefängnis an dem Rat nicht rächen zu wollen, sondern hinfort mit dem genannten Pastoren und anderen Friede zu holten und in allem so zu handeln, wie es einem gehorsamen Bürger zustehe. Als Bürgeu nennen sich „Hans van Apen",1) „Helmerich Levenow" und „Johann Groitoiv"2) und verpflichten sich, wenn „Stadtlander" die Urfehde breche, entweder ihn lebend wieder in die Gewalt des Rates zu bringen oder selber in das Gefängnis zu gehen und für jeden etwa von St. angerichteten Schaden mit ihrem ganzen Vermögen einzustehen. Der Aussteller („sakewolde") und die Bürgen unterschreiben eigenhändig. „Den 8. decembris anno domini 75." Hoch- und niederdeutsch gemischt. Papier.

3 Unterschriften:

1) des Ede Stadtlander („Dit bekenne ick ede statlander mit niinner egen hanth"); 2) eines Helmerich Meyer („Dyt bekenne ik Helmerck titcuger ml)t nn>ner egen handt"); 3) des Johann Gronow („Didte bekene ick Johann gronow midt micne egen handt"); 4) des Hans van Apen (? Hausmarke ohne Namensunterschrift). ') 1585, Febr. 7 (L.). *) Wzr. 1502: XI. 9 Gronowm hus.

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Vir. IG a).

1575, Dezrmber 17.

„Dithrner Stedinger" und „Hinrich Stumcr" besonnen öffentlich, weil sie nach bestellter Wacht Lärni, ungebührliche» Tanz und „vastellabents spiel" (Mummenschanz) bei nachtschlafender Zeit in der Stadt getrieben, vom Rate der Stadt Oldenburg in Haft genommen, aber obwohl sie eigentlich eine schwere Strafe verdient hätten, ans christlichem Mitleiden und durch Vermittlung ihrer Freunde daraus wieder entlassen zu sein. Sie schwören, sich wegen der erlittenen Haft an niemandem rächen und hinfort derartige Handlungen unterlassen zu wollen. Als Bürgen stellt Stedinger: „Hinrich Stubben" und „Hinrich Hafen"1) — Stumcr: „Johan Barenkamp" und „Hinrich von Deventer".*) Die Bürgen verpflichten sich, mit ihrer Person und ihrem ganzen Vermögen bei einem etwaigen Bruch der Urfehde für den jeweiligen Friedensbrecher einzustehen. Aussteller und Bürgen unterschreiben eigenhändig. „Den 17. (leceinbris anno 75." Niederdeutsch, einzelne hochdeutsche Formen. Papier. 6 eigenhändige Unterschriften: 1) des Hinrich Stubbe („Dyt bekenne l>ck Hynrick stnbbe mydt myner egen hont"); 2) deS Hinrich Hake („Di)l beseite i)rf Hynnick hake »m> immer egen hanth"); 3) des Hinrich van Deventer („D»t bekenne Ick Hynrick dann Deueuter ive vorgeschreuen"); 4) des Johann Barenkamp („Dith bekenne Ick Johaiin Barenkamp midt miner egeim handt"): 5) des Hinrich Stumer („Hyniyck fturncr"): 6) des Detmer Steding („Detrncr stechen«" >.

b) 1575, s. d.

Auf der Rückseite bekennen (mit derselben Hand) „Dirick Dethmer" und „Altman Busing", mit „Hinrich Stnmcr" und „Dithmer Steding" in demselben Verbrechen zu stehen, lind schwören Urfehde, indem der erstere „Altman Kock", „Harnten Reschmen" imb „Balthasar Bonc", der letztere „Marten Renten"8) und „Johan Dithmers" als Bürgen stellt. Aussteller und Bürgen unterschreiben eigenhändig.

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„Anno domini VI4) 5." Niederdeutsch. 4 eigenhändige Unterschriften: 1) unbestimmt (Hausmarke): 2) des Balthasar Bone („balsen bone myne handt"): 3) unbestimmt (Hausmarke); 4) unbestimmt (Hausmarke); 5—7 fehlen. ') Wrz. 1513: XIX, 1 Hinrich Haken hus. 1587, Jan. 21 Hinrich Haken Geschworener in O. (St. O.). *) 1594, Dez. 20 Heinrich von Deventer (R.). 8) 1590, Jan. 7 (St. O.). ') Schreibfehler für VII.

Nr. 17. 1582, April 11. „Johann Schlüter"') bekennt öffentlich, wegen einiger mutwilligen Worte, die er gegen Bürgermeister und Rat der Stadt Oldenburg verbrochen. i»s Gefängnis gekommen, daraus aber durch die Vermittlung guter Freunde wieder entlassen zu sein, und schwört, wegen der erlittenen Haft an niemandem Rache nehmen zu wollen. Als Burgen nennen sich „Eylert Kannengeter" und .Härmen Tepken"-) und verpflichten sich. Joh. Schlüter im Falle eines Eidbruchs lebend oder tot ins Gefängnis zu liefern und ihn nicht eher daraus zu befreien, als bis er allen etwa angerichteten Schaden wieder vergütet hat. Aussteller und Bürgen unterschreiben eigenhändig. „So gegeven im jähr dusend viffhundert twe und achtcntich am 11. aprilis." Niederdeutsch, einzelne hb. Formen. Papier. 3 eigenhändige Unterschriften: 1) des Johann Schlüter („Dith bekenne ick Johan Sinter myt immer egen handt und mores"; Hausmarke); 2) des (£ilert Kannengeter („Di)t bekenne !>ck eler Äonnegetcr myt myner egen haut und mark"; Hausmarke); 3) deS Härmen Tepken („Dith bauen geschreven beten ick Hannen tepkenn mit mincr egen haut und marck": Hausmarke). ') Mehrere Schlüter kommen im 10. Jht. als »Idenburg. Ratmannen vor. ein Johann Schlüter 1550 als Bremer Domherr. *) 1575, Apr. 19 (St. O.).

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Nr. 18. 1592, Januar 11. „ H e r m a n K l c i d a m b" bekennt öffentlich, nachdem er auf Befehl des Grafen Johann von Oldenburg und Delmenhorst wegen des „Reineke Jeddelho"') zugefügten Schadens von Bürgermeiste? und Rat der Stadt Oldenburg in Haft genommen, daraus durch Vermittlung seiner Freunde wieder entlassen zu seilt, und schwört, wegen der erlittenen Haft an genanntem Rat und seinen Dienern keine Rache zu nehmen. Als Bürgen werden genannt „Baltzer Bone"') und „Johan Schniddeker."^)

„Urkundtlich linder unser handt den 11. januarii anno domini 92. Hochdeutsch. Papier. 2 eigenhändige Unterschriften. 1) des Balßer Bone („Kaiser bone"); 2) unbestimmt (Haudmarfc). Auf der Rückseite: „Orfeyde Johan Henninges') anives"(end?>. -) 1590. Jan. 7 (St. €.). 8) Vgl. Nr. 16, b, wodurch zugleich für beide Urkunden das JahrHunden gesichert wird. •) Wzr. 1513: XII, 6 des Suiddekers hus. 4) 1614, Juli 15 Bürgermeister (St. O.).

Nr. 19. 1607, Mai 7. „ A n d r e a s S c h w c r t f e g e r " , Bürger z u Oldenburg, bekennt öffentlich, nachdem er vom Rate der Stadt Oldenburg wegen des von ihm. sonderlich an „Tirich von Braunschweig" und seiner Ehegattin, zu nächtlicher Zeit geübten Mutwillens etliche Tage in Haft gehalten, wieder auf freien Fuß gesetzt zu sein, und schwört, sich wegen der erlittenen Haft an niemandem zu rächen, auch fernerhin „allerhaudt Mutwillen mit vleisse zu verhüten". Ter Aussteller „unterzeichnet" eigenhändig.

„Actum Oldenburg? den 7. mai anno domini 1607". Hochdeutsch. Papier. 2 eigenhändige Unterschriften: 1) des Andreas Schwertseger („onbrefe arens schliert feger"); 2) des Stadtsyndikus Heinrich Kreite zur Beglaubigung („Henr. Kreite M. Syndicus1) in fidem mpp").

') 1605 in den Akten des O. L. A.

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Nr. 20. 1608, Oktober 24

. „Eylerdt Stindt"1) bekennt, nachdem er vom Rate Stadt in Haft genommen, insbesondere deswegen, weil er nndcrtciitc meide und Hove pferde gctribeit und. wie dieselben schlitzet worden, mudtwilliger meiste wegk genommen", wieder freien Fuß gesetzt worden zu sein, und schwört, sich wegen erlittenen Haft an niemandem rächen ;n wollen.

der „in ge ans der

Als Bürgen werden genannt: „Herrnan von Seggern" nnd „Johan Ratoers", die verpflichtet sind, im Falle eines Eidbruchs Eyl. Stindt lebendig oder tot wieder in die Gemalt des Rates zu bringen. Der Aussteller und die Bürgen unterschreiben eigenhändig.

„Geschehen den 24. octobris anno 1608". Hochdeutsch. Papier. 1 eigenhändige Unterschrist: „Heiiricus Kreite M. Syndicus1) in fidem nipp".

Die mtbem Unterschriften fehlen. Bcmcrhing: ,.N. setzt den Bürgen 1 hoff ausser Eversen an bev Hunte »egst Gerdt Schwarling belegen".') ') Wzr. 1502: IX, 23 Stintes hus. 1513: IX, 23 Diderick Stintes hus. 1581 (St. O.) Morip Stindt Raimann. *) Vgl. Nr. 19. *) als Pfand.

Nr. 21.

1624, März 22.

„Gerdt Kopman ans Dem Bmnwinckel" bekennt öffentlich, nachdem er wegen seiner „uberfahrung"') von dem Rate der Stadt Oldenburg in Haft genommen, wieder auf freien Fuß gesetzt zu seilt, und schwört, sich wegen der erlittenen Behandlung an niemandem rächen zu wollen. Der Aussteller unterschreibt eigenhändig.

„Geschehen Oldenburg! den 22. martii anno domini 1624". Hochdeutsch. Papier. 1 eigenhändige Unterschrift: „gert kopmann [mjein Hanl o[n] raarrf"; ') d. h. Gewaltthat. f. Dlbcnb. Geich. X.

Jahrb.

Hausniarke.

en martii anno domini 1627. Hochdeutsch. Papier. 1 eigenhändige Unterschrift: „Jürgen t trief." ') 1(522, Mm 25 (St. £.) Bürger.

Nr. 23.

1627, August 31.

„ A h l e r t W a h n b e c k e " bekennt öffentlich, nachdem er wegen seines „mnthwillens; und unbescheidenheitt" in die Hast des Rates der Stadt Oldenburg geraten, aus sein inständiges Bitten daraus wieder entlassen zu sein, und schwört, sich wegen der erlittenen Hast und Behandlung an niemandem rächen zu wollen, sondern dies als eine geringe Züchtigung für sein strafbares Verhalten anzusehen und fütbcrhiit sich der i()iu gesetzten Obrigkeit gehorsam zu bezeigen. Der Aussteller unterschreibt eigenhändig. „Geschehen Oldenburgs den 31. augusti anno domini 1627." Hochdeutsch. Papier. 1 eigenhändige Unterschrift: „Alerdt wanbeke."

Nr. 24. 1641, Juli 31.

Die Räte des Graseu Anton Günther von Oldenburg und Delmenhorst beurkunden, das; „ S c h w e d e r B u c k h o r s t v o n der N eweiibürgk' und seine Ehefrau „Geschc" bei Ankauf eines dem Schütting1) gegenüber gelegenen Hauses — das sich mit ihrem eigenen unter demselben Dache befand, vorher dem Prediger Oltmann Toltenius in Oldenbrok, daraus dem Buchbinder Arend Brinckmann gehört hatte und damals an „Anton Gunther Billich" verkauft werden sollte — im Jahre 1636 sich gegen Empfang

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einer gewissen Summe Geldes verpflichtet haben, auf dem dahinter liegenden unbebauten Platze kein Gebäude aufzuführen, wodurch dem daneben befindlichen Amtszimmer des nunmehr verstorbenen gräflichen Rentmeisters und Vogtes „im Moryme" „Andreas Cronenberg"') das Licht benommen werden könnte, auch nicht höher zu bauen, als die von gen. Rentmeister gezogene, mit eisernen Spitzen besetzte Mauer reiche, sowie den Abwässern von seinem Grundstück freien Durchgang zu gestatten. Die Räte siegeln mit dem Sekret.3) „Geschehen Olldenborgk am ein und dreißigsten july des sechzehn hundert undt ein undt vierzigsten jahres." Hochdeutsch. Pergament. 2 Unterschristm:

1) des Schiveder Buckhor-st („Euer bochorst vander uienn borch minhandt"); 2) seiner Ehesrau Weichs (..geske bo Gunth meinehant"). An Pergamentstreisen hangend- das Sekretsiegel des Grase» Auto» Günther (rot, Holzkapsel', vollst. Wappen*): Schild geviert, oben: 1. old. Balken, 2. Delmenh. Kreuz, unten: 1. Kreuz. 2. Balken: Herzschild mit dem (ungekrönten] jeverschen Löwen: Krone. Legende: „ANTON GUNTIL COM. IN OLDENB. KT DELMENII., D. IN JEVER ET KNIPH.") Bemerkung. In der 12. Zeile eine Rasur. Auf der Rückseite die Namen späterer Besitzer des Hauses. Vi Berjammlungshaiis der Kaufleute und Handwerksämter, über die Lage i. G. Seiln, Histor. Wanderung durch d. Stadt Oldenburg, Nr. 35. *) 1615, 23. 24. 33. 38. 39 (Akten des O. L. A.). 3) d. h. einem kleineren Siegel, das neben dem großen Hauptsiegel im Gebrauch und wie dieses der Obhut der Kanzleibeamten anvertraut war. 4) Bgl. G. Seilt», Das Oldenburg. Wappen, Jahrb. I. 76 ss.

Nr. 25. 1643, Jaauar 271). B ü r g e r m e i s t e r und R a t der S t a d t Oldenburg beurkunden, das; der Bürger „Jasper Döscher" und feine Ehefrau „Geiche" ihren außerhalb „des heiligen geistes Pforten auf den lemkuhleit2) bey Ar übten Dageraths hoffe" belegenen Hos einschließlich einer an die Stadt zu zahlenden jährlichen Hofrente von 8'/z Grote» gegen eine gewisse Summe Geldes, deren Empfang seitens des

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Dietrich Kohl.

Verkäufers hiermit bezeugt wird, an den Bürger „Ti brich Ulffers" und seine Ehefrau „Gesche" verkauft haben. Bürgermeister und Rat siegeln mit „unser stobt secret insigel". ..Geschehen Oldenburgk den 27tm januarii iinno 1643". Hochdeutsch. Pergament. 1 Unterschrift: „Andreas Fritzius Synd.s) m. propria". An Pergamentstreifen hangend: das kleine Siegel der Stadt Olden­ burg') (dunkelgrün, Holzkapsel; Stadtbild mit gräflichem Wappen­ schild im ?hor. Umschrift: „8. CIVITATIS OLDENBOROENS1S.") ') Eine Abschrift dieser Iiis. liegt bei Uli 1586 St. O. *) Jetzt Lehmkuhleustraße. 3) 1614, März 22, 1632, Mai 2 (9i.), s. auch Akten des O. Ü. A. ') Vgl. G. Seile, Oldenburg. Hahnen und Farben. Old. Nachr. f. , Nr. 214. Für das große und kleine Siegel der Stadl wurden verschiedene Gebühren erhoben („Machtspr." v. I ~>U2, i'. u. R.). Über den städtischen Siegelbeivahrer s. Oelrichs. Bolls,. Sammlung ic. 789, XXIX.

Kleine Mitteilungen 1. Heinrichs von Meißen Lobspruch auf den Grafen Otto von Oldenburg. Heinrich von Meißen, genannt Frauenlob, geboren um 1260, zog als fahrender Sänger durch ganz Teutschland, bis er sich 1311 in Mainz niederließ, wo er 1318 starb und von Frauen zu Grabe getragen sein soll, die seine Gruft im Dome mit Wein begossen. Auf seinen Wanderfahrten war er an viele Höfe gekommen, wie ans seinen Lobsprüchen auf Giselbrecht, Erzbischos von Bremen, Otto, Grasen von Oldenburg, Heinrich, Herzog von Mecklenburg, Wizlav. Fürsten von Rügen ii. a. in. hervorgeht. Graf Otto (gest. im Anfange des 14. Jahr Hunderts) war ein Sohn Johann X. und der Begründer des um 1446 erloschenen Delmenhorster Zweiges der jüngeren Linie des Oldenburger Grafenhauses. Von ihm sagt H. Oncken in seiner Ausgabe der ältesten Oldenburger Lehnsregister (Schriften d. O. B. f. A. u. L. IX. S. 14): „Otto erscheint (in der Bremer Erzbischofschronik) als ein kriegerischer Mann, der an Brand und Raub seine Freude findet und wenig sorgt, wenn ihm mich noch so viel Feinde entgegen treten: in Friedenszeiten ein sparsamer Hanshalter, aber im Kriege seinen Rittern und Knappen mit vollen Händen schenkend. Auch der Minnesänger ging bei ihm nicht leer aus." Frauenlobs Spruch hat allerdings nicht großen poetischen Wert: doch ist er wichtig als ein Beweis, daß die mhd. Dichtung auch im Oldenburger Lande freundlich aufgenommen wurde. Dr. R. Mosen.

Ans Otto, Grasen von Oldenburg. Ich fuoche in fange« frame, vinde ich ein top vi«. 2>ü oo v loivt min tihtes schaz niht gespuret. ez ist so gejüret, 5. daz ich die werden lobe» wil. I uterliche ez klaret, gift in min» sinnes würze ein lop: daz wirt in d-i geschenket. Den ronreS lop ie an tr sinnen fauste tust.

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R. Mosen. der boumc bluot und ouch des ntcicit zicrde 10. sink in kranker Wierde

bi disem ivol gezierten lobe: seht an sin gebiert*, fj gieret vür der snnnen glast noch baz swenn irz bedenkt Ich leite in einer wichteschal Dil inanee lop wol lietgemül 15. diz fundn- ttoäl smvue sich ze tal: des hals in diner tilgende MI, daz niene man von roste val. von Olbenbutt gruti Otte sich, diz lop bin Unheil heutet.1)

Aus Otto, Grasen von Oldenburg. Ich such' in Sanges Krame; find' ich ein Lob fein, Da vor wird mein Dichtungsschap nicht gesparet. Es'ist so gejahret,*) Daß ich die Würd'gm loben will. Lanier es sich klaret,') Währt mir in Sinnes Würz' ein Lob: das wird deut4) da geschenkt, Dem wahres Lob stets an den Sinnen sanfte thut. Der Bäume Bliit' Und auch des Maien Zicrde Steh'u in geringer Würde Bei diesem wohlgezierten Lob; seht an sein' Gebärde:8) Es zieret vor der Sonne Glanz noch mehr, wen» Ihr? bedenket. Ich legt' in eine Wageschal' Biel manches Lob in lichtem Strahl: Dies allzumal Senkt' sich zu Thal: Das schuf ihm deiner Tugend Stahl, Der nimmer ward von Roste sohl. Bon Oldenburg Gras Otto, sich, dies Lob dein Unheil kränkt. ') S. Ettmüllers Ausgabe des ftraurnlob gebracht. *) Kläret. *) Im Original Plnml.

e)

S. 98. Wesen.

') Boa Alters her­

Ausenthalte des Herzogs Friedrich August in Oldenburg.

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2. Aufenthalte des Herzogs Friedrich August in Oldenburg (nach dessen eigenhändigem Journal). Ter Herzog Friedrich August behielt bekanntlich nach der isnvfilmiig Oldenburgs im Jahre 1773 seine regelmäßige Residenz in Eulin bei und nahm in der Hauptstadt seines neuen Herzogtums nur von Zeit zu Zeit einen vor­ übergehenden Aufenthalt. Auster im Dezember 1773 in Aula» der Übertragung der Grafschaften und der Huldigung und im Sommer 1785 (dem Jahr seines Todt») fanden solche Aufenthalte in Oldenburg in den Jahren 1775, 1777. 1780 und 1782 statt. Tie nachfolgenden kurzen Aufzeichnungen über dieselben mögen nicht ohne Interesse sein, weil sie aus dem (in der Grojjherzoglicheu Privat Bibliothek in Oldenburg befindlichen) Tagebuch stammen, welches der Herzog selbst in den letzten vierzig bis fünfzig Jahren seines Lebens eigenhändig zu führen gewohnt war. weil sie mancherlei bekannte Warnen berühren und weil sie zugleich ein Bild fürstlicher Reisedisposilioiien in damaliger Zeit geben. (i. Jansen.

1773 Dezember 7. nach Hamburg. 8. in die Comödie. !>. vom Baumhausc mit der Barke nach Harburg. 10. nach Rothenburg. 11. »ach Bremen. 12. nach Oldenburg. 13. Actus traditionis der Grafschaften und Huldigimg. 17. aus Oldenburg noch Bremen. 18. nach Rothenburg. 19. nach Harburg. 20. »ach Hamburg. 22. nach Segeberg. 23. nach Entin. 1775 Juni 11. Reise nach Oldenburg mit meiner Gemahlin und Suite. Nachmittags um 6 Uhr ans Eutin, um 10 in Segeberg angekommen. Die Wacht durchgefahren: Heidkrug, Tangstedt. M'it frischen Pferden Juni 12. nach Ham­ burg des Morgens um 1) Uhr. Juni 14. auf dem Baumhanse gegessen, »ach mittags um 2 Uhr über die Elbe nach Tostedt?c. Juni 15. Bremen abends ti Uhr angekommen. Juni 17. morgens um 8 Uhr aus Bremen nach Panel­ graben und Delmenhorst, Aalkenburg, Halten, zu Mittage. Oldenburg abends um 8 Uhr. Beim Barrelgraben 36 Eingesessene zu Pferde unter Anführung zweier als Offiziere, Kapitän Joh. Berich. Meyer von Hohenböken. Leutnant Diedrich Plate von Langewifch. dito Bürger aus Delmenhorst, 18 Pferde. Kapitän Klöner. Leutnant Jürgen Sommer und Conrad Voigt. In Hatten waren 250 geputzte Mädchens, so bis Oldenburg mitliefen. Juni 19. die Trauer angelegt auf 6 Wochen für die Königin von Dänemark, Caroline Mathilde. Juni 26. die Witwe Gräfin von Beiitink geb. Thuyl van Scrosfcrfcn. Mijlorb Athlon? und Mr. Thing van Seroskerken. Juli 3. der Session in der Regienmgs - Kanzlei beigewohnt. Juli 13. Räch Barel zur Gräfin von Benlink. Bei der Passienuig von Rastede war der Beamte Justizrat Römer mit 50 Hausteilten zu Pferde entgegen. Bei der Vareler Grenze die zwei jungen Grasen von Bentink, Mylord Athlone. Baron Thm>l van Seroskeckn. 20 Mann aus Varel blau gekleidet zu Pferde und 50 Hausleute dito. Auf der rotour beim General: Kriegs-K ommissar Hendorf zu Hahn soupiert und so nach Oldenburg.

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G. Jansen.

Juli 14. mit der Herzogin nach Elsfleth, wo Nachtquartier, nnd Juli 15. über Brake. Ovelgönne, Großenmeer, Loyerberg nach Oldenburg zuriick. Überall fei, licher Empfang. Juli 18. den Grundstein zum CIbmburger Schlosisliigel gelegt. Juli 20. von Oldenburg nach dem Kloster Blankenburg, Jprunip, Brookdeich. Linteln, Hude (ein Gut, dcni Kainnierjimker von Witzleben gehörig. 50 gepuple Äiädchen). Berne, Campe, Nachtquartier beim Cammerrat Scheel. Juli 21. zu Pferde über die Deiche, Berne, Rantzenbüttel, Warfleth, Ritzenbüttel, Bardenfleth, Lemwerder — die Stediilger Hausleute au die 50 stark blieben mit ihrer Feld musik in Lemwerder —, von da zu Wasser nach Vegesack — retour über Deichs hausen nach Campe. Juli 22. von Campe über Bettingbühren. Huntebrück. Alienhuntorff nach Oldenburg. Juli 25. nach Rastede. Juli 27. von Oldenburg nach Wiefelstede, Bockhorn. Neuenbürg. Juli 28. nach Zetel, Ellenserdamm »e. nnd »ach Neuenburg zurück. Juli 29. von Neuenbürg über Westerstede. Eimen borf, Zwischenahn. Reuenkrug, Alexanders Haus nach Oldenburg zurück. Aug. 14. der Cammerseifioii beigewohnt. Aug. 15. über Großenmeer und Strückhausen nach Hartwarden. Aug. 10. zu Pferde über die Deiche nach Tossens. Aug. 17. weiter nach Jade. Aug. 18. über Jaderberg, Hahn, Rastede nach Olden bnrg. Aug. 29. Bon Oldenburg nach dem Hasbruch. Nachtquartier in Hohenböken. August 30. nach Grüppenbühren, Schönemoor x. durch Sie dingerland und über Altenhuutorf nach Oldenburg zurück. Seplbr. 7. Jagd beim Wildenloh. Mittags in Wehnen. Septbr. 9. nach Loy. Septbr. 17. von Oldenburg nach Bremen. Mittags zu Elmeloh beim Kammerjunker von Witzlkbcu. Scpibr. 21. in Hamburg, 29. in Wandsbek, Okt. 1. in Eutin. — Oldeii burgische Gesellschaft: Madame la Baronne de Wedel nee Biilow, du Danemark, fem ine du Geh. Konf.-Rat, deux Filles dont l'ainee mariee au Baron de Mestmacher — Madame la Comtesse de Schmottau nee Bassewitzen le Mari Chainbellan et Koiif.-Rat, deux de ses Filles — Madauie de Harlingen veuve nee Rumohren du Holstein et une Fille — 4 Filles Vahrendorffe», le pere Kons. Rat — Iran Landräti» Sdireeb eine Peine, 2 Filles dont une mariee ä an Kettler — Etatsrat Bergem geb. Schilden — Regierungsräti» Rössing geb. All Rochau a. d. Osuabrückscheu — .tiammerrat und Oberdeichgraf Schmidt Huntichs Frau, Kanzlei rat Rodens Tochter — Etatsrätin Hendorffen geb. Schombnrgcn — Etatsrätin Sturzen eine Mazanle de la Garde — Frau Sammerherrin Dinklage geb. Hammersteilten ans dem Osnabrückscheu — Major in Blücher eine Breuneck. 1777 Juli 18. aus Eutin. Juli 23 um 8 Uhr morgens ans Bremen nach Delmenhorst, mittags in Dingstedt. Oldenburg abends (> Uhr. August 9. nach dem Amte ?lpen oll eine. Aug. 20 nach Brake und Elsfleth. Septbr. 1. reiset mein Neveii nach Hamburg. Sept. 18. ?lus Oldenburg und) Bremen. Mittags in Nutzhorn bei der Frau von Ompteda. Oberst von der Horst ihr Bruder. Frl. von Ompteda und von Aichftedt. Sept. 30. retour nach Eutin. 1780 Juli 11. aus Eutin. Juli 10. von Bremen nach Delmenhorst. Um 6 Uhr nach Oldenburg. Neue Damens in Oldenburg: Frau Etatsrätin

Altsenthalte des Herzogs Friedrich August in- Oldenburg.

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(Georges geb. zu Darmstadt. Juli 23. Kammerjnnker Holcf. Juli 20. nach Elsfleth gewesen. Juli 31 tarn mein neveu nach Oldenburg. Aug. 3. nach Botkhonl bis Wacht über. Aug. 4. bcii neuen Friedrich-Augusten - Groden besehen, über Barel, Rastede nach Oldenburg. Obersorstmeister von Stralmheim. Aug. IG. nach Motzen im Stebmgcrlanbe, allwo ein Schiff abgelassen, abends «ach Oldenburg. 2 Frl. Witzleben, Chanoinessen zu WenimelSstoft, 5 Frl. Witzleben, Schwestern des Kammerjunkcrs. Aug. 20. Frau von Ompteda Wittwe. Aug. 21. zwei Deputierte der Stadt Bremen, Ratsherr Post und Syndiais ölrich mit mit einem Schreiben. Aug. 25. Gräfin Bentink von Barel. Aug. 26. mittags zu Rastede. Aug. 31. nach Barel. Septbr. 5. Frau Gräfin von Bentink. Septbr. 7. aus Oldenburg gereift, mittags in Delmenhorst bei Kammerherm von Johne» x. Sept. 23 in Eutin. 1782 Juli von Elltin. — Juli 13. ans Bremen nach Tiitgstedt, dort gegessen nnd so nach Oldenburg. Juli 14. Kammerj. von Donop angekommen und in Dienst getreten. Äudemngeu in der Damenwelt. Juli 30. Exeursion noch Ovelgönne, Brake und Elsfleth. Aug. 6. desgl. nach Rothenkirchen (Pastor Westing). Aug. 7. über Strohausen noch Landwührden und nach Rothenkirchen zurück. Aug. 8. nachmittags nach Oldenburg. Aug. 22. noch Wardenburg ?t. Sept. 22. nach Bremen. Okt. 6. in Eutin.

X. Neue Erscheinungen. Die Herren Verfasser ersuchen wir, neue litterarische Erscheinungen zur Landesgeschichte, insbesondere auch Sonderabzüge ihrer in Zeitschriften und Zeitungen veröffentlichten Aufsätze, deren Berücksichtigung an dieser Stelle gewünscht wird, uns freundlichst einzusenden, damit die jährliche Berichterstattung eine möglichst vollständige Litteraturschau zu liefern instand gefetzt wird. Die Redaktion.

Landes- und Volkskunde. Landeskunde des Großherzogtums Oldenburg. Zunächst zur Ergänzung der Schulgeographie von E. von Seydlitz herausgegeben von Professor I)r. Gustav Rüthning in Oldenburg. Mit einem Kartenund Bilderanhang. Zweite, verbesserte Auflage. Breslau. Ferdinand Hirt 1901. 50 Seiten. Preis kartoniert 75 4. Die zum erstenmal im Jahre 189?, erschienene Landeskunde «. Rüthnings liegt in einer verbesserten und um mehr als ein Drittel des früheren Umfangs erweiterten Gestalt vor. Schon die Thatsache bet Notwendigkeit einer neuen Auflage beweist, das; diese Landeskunde in den Schulen des Großherzogtums Oldenburg festen Fuß gesaßt hat, nnd nach der erneuten Durchsicht des Büchleins wirb man sich überzeugen, daß das brauchbare Büchlein diese Verbreitung verdient. Die zugleich historische und geographische Vorbildung des Bs. besähigt ihn gerade zu einer solchen Arbeit in besonderem Maße; nach der historischen Seite hin boten dem Bs. die Studien, die er ans dem Gebiet der Ortskunde zu P. Möllmanns Statistischer Gemeindebeschreibung des Herzogtums Olden­ burg beigesteuert hat, ersichtlich eine gute Ergänzung für die neue Anfinge; gewissermaßen als kartographische Parallelarbeit zu der Landeskunde hat R. unter Zugrundelegung der Meßtischblätter eine Wandkarte des Herzog­ tums im Maßstabe von 1:100000 mit Darstellung der Höhenschichten angefertigt (diese im Text als vollendet bezeichnete Kalle wird übrigens nach gest. Mitteilung des Bf. erst int Januar 1902 ausgegeben werden können).

Nene Erscheinungen.

Das Bnch im einzelnen zu beurteilen muß ich, wenigstens «ach der Seite bei praktischen Nutzbarkeit im Unterricht nnd nach den rem geo­ graphischen Parliern hin, als außerhalb meiner Kompetenz erachten. Nur in Bezug auf den historischen Gel,alt des Büchleins möge noch einiges angemerkt werden, mich dirs weniger in bet Absicht, hier und da etwas „anzustreichen", als in der Envartung, daß eine spätere Auflage vielleicht Gelegenheit geben wird, von diese» Bemerkungen Gebrauch zu machen. Im Vergleich zu ber ersten Auflage sind in bett historischen Notizen allerhanb kleine Versehen ober Ungenauigkeiten bereits richtig gestellt wotben. Es wirb aber auch weitcchin eine sehr sorgfältige Nach Prüfung des Einzelnen stattfinden müssen. Um ein Beispiel heraus­ zugreifen, wühle ich die 3. 2!) mitgeteilte Stammtafel bes Gesaut Ihausen Gras Christian IV. kommt nicht mehr 1235 vor, sondern ist schon 1233, jedenfalls vor dem Stedingerkreuzzug, gestorben: sein Sohn Johann 1. ist nicht „vor 1272" gestorben, sondern genauer schon anscheinend 1264, sicher aber 1266 tot; Konrad I. wird noch lange Zeit nach 1347 enuätiut, zuletzt ttt. W. 1363; bei König Christian I. wäre «ebenso in der (ti< schichtstabeUe 3. 27!) doch unbedingt auch feine Erwählung zum Herzog von Schleswig lind Grafen von Holstein zu nennen; König Friedrich IV., t 1670 lies: Friedrich III.: vor allem sind im 13. Jahrhundert zwei Generationen des Stammbaums ausgefallen: die Söhne Johanns I., Christian V. (1266—85) und Otto 11. (1272—1304), die die (3. 27 enuöhnte!) Trennung der filteren oldenburgiichen und belmenborstijche» Linie herbeiführen, nnd dann der Sohn Christian V., der von ben Aasteder Mönchen so übel beleumundete Johann II. (1272—1306), an beu erst Konrad 1. als Sohn anzuschließen ist. Im ganzen Buche bade ich natürlich die Zahlen nicht nachgeprüft: nur zu 3- 45 bemerke ich, daß die erste Gemahlin des Grasen Dietrich, Abelfeeib, nicht 1401 idas war bo* Jahr der Hochzeit), sondern 1407 gestorben ist. An einigen Steilen läßt auch bie sachliche Präcision bes Ausdrucks noch zu wünschen übrig: Vechta ist nie „der Mittelpunkt bei bischöfliche» Lanbesbehörben des Riebetstists Münster" (3. 43) gewesen, eilte solche Ceutwlbehörde über bett brei nieberftiftischen Ämtern Vechta. Cloppenburg, Meppen bat ei­ nt. W. nie gegeben: von der „Stadt" Wilbeshmtsett kann man nicht wohl sagen, baß sie „früh Mittelpunkt bes christlichen Lebens der Landschaft" gewesen sei, weil eiue städtische Anfiedlnng sich erst nach Jahrhunderte» an die Alexauderkirche angeschlossen hat. ES gehört viel Sicherheit de» Urteils dazu, um für die historischen Ortsnolizen immer bas wichtigste herauszufinden: daß in den Jahren 1666/8 bie Pest entsetzlich in der Gemeinde Westerstede gewütet hat. mag als envähnenswert hingehe» (obgleich sich analoge Notizen bei den meisten umliegeudeu Gemeinden des Landes würben geben lassen), aber baß sie bamals „auch ben Pfarrer nicht Verschonte", ist jirnr bedauerlich, jedoch nicht so denkwürdig, um

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Neue Erscheinungen.

nach 250 Jahren in einer „Landeskunde" notiert zu werde». Bor allem vermisse ich neben de» einzelnen historischen Ortsnotizen furze Angaben über die historischen „Landschaften" des heutigen Herzogtums, aus deren allmählichem Zusammenschluß sich der jetzige Territorialbestand gebildet hat: das ist für den Schüler wichtiger als manche Detailnotiz, und wäre lim io leichter durchzuführen, als diese historischen Landschaften durchweg auch in geographischem Sinne einheitliche Gebiete darstellen. Ich meine, daß gerade hier der historische und der geographische Teil der Landes fünde sich sehr wohl in einer höhereu Einheit der Tarstellung hätten verbinden lassen. Ein weiteres Anschwellen des Inhalts des Büchleins erscheint gerade nicht ratsam, da es schon so wie so eine der umfänglichsten Landeskunden ist. die dem Sendlitzschen Lehrbuche beigegeben werden. Dafür könnte allerhand, was !)\. beibringt, entbehrt werden; besonders in Zahlen, z. B. in der Höhentabelle (S. 7/8), oder in den Angaben über den längsten nud kürzesten Tag in Eutin und Birfeiiselb, in den Pferde- und Rindviehpreisen (($. 21), Schicksale der Stute Ena II in Paris!), Milch ertrügen und bergt, könnte wenigstens etwas gestrichen werden. Einige Streichungen würden die Anordnung des Büchleins vielleicht »er bessern und Wiederholungen (so sind z. B. S. 1 und 3 die an das Herzogtum Oldenburg stoßenden Grenzbezirke der Provinz Hannover doppelt, das eine Mal mit ihren historischen Laudschastsnainen, das andere Mal mit den Namen der modernen Verwaltungsbezirke gegeben worden) ausscheiden. Ein Gewinn für die Übersichtlichkeit des Buches würde es sein, wenn die Abschnitte über die Fürstentümer Lübeck und Birkenseid (S. 24/25) au dieser Stelle herausgenommen und mit der Ortsknnde der Fürstentümer (S. 45/6) zusammengestellt würden; die ganz exceptionelleti Verhältnisse, mit denen die „Landeskunde" hier zu rechnen hat, würden jedenfalls eine Durchbrechung der sonst üblichen Disposition rechtfertigen. Hermann Oncken.

Zouristenführer für Zwischenahn nnd Umgegend von Heinrich Sandstedt, Zwischenahn, 1901, Selbstverlag des Verfassers. Dieser kleine, bei dem Au fschivungc des Zwischenahner Fremdenverkehrs recht zeitgemäße Führer soll den älteren 1875 erschienene» Führer des verstorbenen Majors a. D. von Berg ersetzen. Er enthält alles, was der Badegast und Sommerfrischler wissen muß, um seinen Aufenthalt recht angenehm und nutzbringend zu gestalten, und verbreitet sich dann ausführlich über die Topographie, die Flora und das Tierleben des Meeres und seiner Umgebung. Auch derjenige, der gerne den Spuren alter Zeiten nachgeht, findet in dem Büchlein seine Rechnung. Die ältesten Geschichtsquellen des Landes, die Rasteber Chroniken namentlich in der

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letzten Redaktion des Heinrich Wolters, werfen interessante Streiflichter auf frühere Ereignisse, die sich an den anmutigen Ufern des Sees ab­ gespielt haben. So erzählt Sandstedt von der 1134 zu Ehren des heiligen Bartholomäus erbauten Kapelle zu Elmendorf, deren Fundamente dicht bei den« Wiilshause in Dreibergen der Oldenburgische Altertumsverein hat bloslegen und vermessen lassen, von dem Brudermorde zweier Adeligen aus der Kreuzwiese am Wasser, wo noch bis in die neuere Zeit ein Kreuz gestanden haben soll. Vielleicht hätte er noch hinzufügen können, das; auch das Haus des Hennecke Wulberinck, der 1450 den Pastor Dicdrich Grove zu Zwischenahn erschlug und dadurch Anlas; zu einem Konflikte zwischen dein Grasen und der Bremer Kirche gab, noch im Dorfe unter diesen: Namen nachweisbar ist. Bemerkenswert sind auch die Angaben, welche Sandstedt über bie aus einzelnen Bauernhöfen noch vorhandenen alten Befestigungen, bie sog. Borgfreden. macht. Sie entsprechen den von dein verstorbenen Pastor Niemann beschriebenen sog. Lehms auf beut Münsterlanbe, über bie sich auch das 2. Hest ber Ban- und Kunstdenk mälcr S. 129 verbreitet. Sandstedt zählt solcher ammerländischen Borg Treben aus bei Hots in Aschhausen, welcher noch vollstänbig unberührt zu sein scheint, und bei Heinse unb Delliens zn Edewecht, bie etwas mo­ dernisiert sind. Wer Interesse für unsere alten Geschichtsdenkmäler bat, wird diese kleinen Verteidigungsanlagen, deren Alter aber wohl kaum über das 16. Jahrhundert hinausgeht, leicht in Augenschein nehmen können. B. Das Saterland. Eine Darstellung von Land, Leben, Leuten in Wort und Bild von Dr. Julius Bröring. II. Teil. Oldenburg. Druck von Gerhard Stalling. 1901. 157 Seiten. Preis 2,25 ,H. (Bericht über die Thätigkeit des Oldenbnrgcr Landesvereins für Altertumskunde und LandeSgeschichte, XI. Heft.) Dieser zweite Teil von Brörings Saterland, dem noch ein dritter solgen soll, enthält, was der Versasier an Liedern. Rätseln, Sprichwörtern, Sogen und Märchen im Saterland? sammelte. ES sind 5 Lieder, z. T. nicht ursprünglich saterländisch, 92 Rätsel, 1210 Sprichwörter und Redens arten, 6 Märchen und Sagen. Mit dieser Sammlung hat der Versasser sich den Dank aller einheimischen Geschichts- nnd Volkssrmnde verdient; wir zweifeln auch nicht, daß er damit den Fachgelehrten, Germanisten und Folkloristen, eine will kommene Gabe bietet. Der Reiz ber Sammlung liegt nicht so sehr in dein Gegenstande an sich, auch nicht alleilt in der Sprache, sondern in ber Verbindung von Gegenstand nnd Idiom. Für deS saterichen Idioms Unkundige ist eine Ubersetzung hinzugefügt. Hat bie fleißige Arbeit vorzüglich ihren Wert burch die jotciicheu Sprachproben, kann sie wegen bes Idioms ein Interesse in Anspruch

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Neue Erscheinungen.

nehmen, so gilt damit bie Anteilnahme vornehmlich der Form, allgemein gejagt. Den» Inhalte, der Sache nach — und hier möchte Rez. mit dein Verfasser sich in Widerspruch befinden — bringt die Arbeit nicht gerade viel Neues nnd Bemerkenswertes (wie weiter unten des Näheren dargelegt werden soll), wenn man sich nicht mit dem Resultat zufrieden geben will, das; die hier ausgeführten Materialien mit denen der um liegenden Gegenden durchgängig übereinstimmen. Wenn das Objekt aller Wissenschaft die Erforschung der Wahrheit ist. so sollte man denken, das; dies Resultat immerhin von Wert ist, auch wenn es unserm Wunsche nicht entspricht. ES ist Bröring (s. S. IV unten f.) die vielfältige Übercinftinnnung saterscher Rätsel und Sprichwörter mit denen anderer Ge­ genden nicht entgangen, aber an das natürlichste, gegenseitigen — freilich unkontrollierbaren, aber durchaus notwendigen und unausbleiblichen — Austausch benachbarter Gegenden, wechselseitiges Geben und Nehmen auch bei geistigen Gütern. möchte er nicht glauben. Demi, wie er sich ans drückt, „das Saterland mar bis zu Ansang des 1!). Jahrhunderts von den umliegenden Ortschaften durch undmchdnngbare Moore völlig ob geschnitten; hineingetragen können jene (übereinstimmenden Sprichwörter u. s. tu.) daher nicht sein, und um so weniger als wahrscheinlich ist eine solche Annahme, als es sich doch nur um ganz unscheinbare Dinge handelt. Es bleibt daher nichts anderes übrig, als anzunehmen, entweder, das; Rätsel und Sprichwörter von den alten Völkern beim Suchen nach einem Wohnsitz gewissermaßen als Erbteil aus,der bisherigen Heimat in die neue mitgenommen sind — und dann dürfte es sich wohl auch durch die Wanderung der Angeln und Sachsen erklären, daß wir in England das deutsche Rätsel Nr. 92 antreffen — oder aber das; „derselbe Gedanke bei den verschiedene» Völlen, unter ähnlicher Veranlassung als Sprichwort ins Leben tritt" (Wander, Vorrede zu Bd. I, S. VI)." Von dem letzten sehen wir ob, weil es sich wohl hören läßt. Viele Sprichwörter sind ja nichts anderes als Ausdriicke für eine Erfahrung, die sich immer wiederholt, z. B. das; bejahrte Leute leicht schlecht behandelt werden und deshalb wohlthun, sich nicht zu früh aufs Altenteil zu setzen. Auch andere (Erfahrungen, deren Thatsächlichkeit nicht über jeden Zweisei er haben ist, können sehr wohl unabhängig von einander an verschiedenen Orten sich in eine ähnliche Form gekleidet haben. Z. B. Bröring Sprw. 490: „Alte Häuser, die stehen wohl fest, so daß sie durch den Wind nicht um wehen: wenn eS stilles Wetter ist und die Sonne scheint, dann sinken sie nieder;" dasselbe wird von Wittenheil» bei Westerstede (Strackerjan. Abergl. u. Sagen) berichtet, auch die sgt. Frieseneiche im Stühe wäre bei stillem Wetter und Sonnenschein zusammengesnnken. Oder (Bröring f>8 und 408): „Ein Zigeuner bestiehlt seine Herberge nicht", ober (1131): „Knarrende Wagen halten am längsten" (weil ber Gedanke sich leicht einstellt: wie lange man doch den Wagen schon hätte knarren hören).

Reue Erscheinungen.

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Doch ist bei diesen letzten die Pennulung schon gerechtfertigt, das, Em lchnungen vorliegen, zumal wenn man bedeut!. wie gern gerade einfache Leute Reignng zu fingen Bemerkungen haben („die Bauern waren weise, wie sie es immer sind," sagt Hermes in „Zophieus Reise"). Aber wenn Bröring den saterschen Sprichwörtern und Rätseln ihren durchaus ursprünglichen Charakter zu wahren sucht, indem er auf die vormalige Isoliertheit des Landes hinweist, so ist doch dies Argument sehr zu beanstanden. Wie die Sprichwörter selbst ausweisen, ist diese Isoliertheit niemals so groß gewesen; so kennen die Saterland«- einen Hümniliugschen Bauern ftläne, kennen Harkebrügge und Estenvege, also waren nicht einmal die Moore ein Hindernis, das; sie zum Hümmling und iuS Barßeler Kirchspiel hätten kommen können. Und dazu hatten sie jederzeit die Sater Ems, einen schiffbaren Fluß. Ihr armes Land nährte sie nicht, ein großer Teil von ihnen lag ans dem Wasser und suchte als Schiffer seinen Lebensunterhalt. Das südlich vom Saterland? im Markhaujer Kirchspiel belegene Wirtshaus zu Ellerbrok ist für die saterschen Bovljev von der grössten Bedeutung: hier wecken sie einst, um ein paar prahlerische Cloppenburgei zu beschämen, den am Feuer eiiigeschlafene» Wille Belmaiin, einen gewaltig starken Mann, der sich dann zum Beweis seiner Stärke mit einer fast unglaublichen Kornlast beladen läßt (Strackerjan a. a. £).). Mit ihren Schissen jähren sie nach Ostsriesland, sie sehen ein rriches Land, große Banenthöse, Städte (Leer und Emden), sie kennen ein Wirtshans, in dem die Magd eilten ganzen Schinken auf den Tisch stellt (Bröring Sprw. 244), sie suchen sogar Häuser aus, die nur in einer größeren Hafenstadt, jedenfalls nicht im Saterland?, zu finden waren, und philosophieren nachher über bie Losten ihrer Ausschweifung (Sprw. 506). Als Landleute schon kommen sie nach Ostfriesland, mähen in Mnricnkoer Gras (Siebs im Jahrbuch für Volkskunde III), sie wissen vom Bremer Weinkeller (ebenda), sie kommen als Schmuggler in Gefahr, in Groningen füsiliert zu werden (Minsjen im Fries. Arth.). Dies alles können wir doch nicht eiusach unbeachtet lassen; mögen andere Leute nicht viel zu ihnen gekommen sein, weil das Land ihnen zu wenig zu bieten hatte, und deshalb nicht Sprichwörter und Redensarten frort heimisch gemacht haben, dann haben die Saterland«' sie selbst in die Heimat zurückgebracht und hineingetragen, fast so notwendig, wie sie Geld und materielle Güter heimtrugen. Rez. behauptet geradezu, das; die Satcrlänber weit nicht auch in dem Stücke, worüber wir hier handeln, vom Auslande empfangen, als diesem gegeben haben. Denn einmal ist „des Lebens Reichtum nnd Schönheit", die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen, eine Verschiedenheit der Gebiete (landwirtschaftlich z. B. in Ostfriesland: Geest, Moor und Marsch, religiös: Lutheraner, Reformierte, Menuoniteu, Juden zr.) in diesem Lande nicht zu suchen, in dem es nicht einmal ordentliche Bauern giebt, sondern meist nur kleinen zerstückelten Besitz: mithin konnten die

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umliegenden Landschaften mehr geben. Zum andern hat von jeher Geld die Welt regiert; Leute aus einer reichen Gegend, auch wenn sie selbst arm sind, führen leicht das große 28ort; hingegen die, welche einer armen oder unfruchtbaren Gegend entstammen, müssen, mögen tic persönlich auch wohlhabend sein, zurückhalten und schweigen. Jeder, der in Oldenburg aus einer Soldatenstnbe bekannt gewesen ist, wird zugeben, best da die Münsterländer die stillsten sind, das, sie von zu Hau« am wenigsten rede». Wie oft hat Rcz. dies mit Bedauern empfunden, wenn er einen Mann vor sich hatte, der Voll war von Kenntnissen, z. B. betr. Gemenglage und andere Dinge, die keiner der Leute aus der Marsch wissen konnte, und dabei sich außer stände sah, den Betreffenden mitteilsam zu machen: wie manchmal auch wurde einem solchen, dessen Gegend nicht „in Zell" war, spöttisch begegnet. Auf das Saterland speziell angewandt will dies sagen, daß seinen Bewohnen, auswärts in der Regel die Rolle aufmerksanier Zuhörer zugefallen ist. Und bei der Neigung einfacher Leute, fing sein zu wollen, werden sie eine Weisheit in sprichwörtlichem Gewände, bei der allgemein menschlichen Freude am Lache» werden sie eine drollige oder drastische Redensart sich nicht haben entgehen lassen. — Überall sind größere Orte, Gerichtsstädte, Marktstädte, resp, die Wirtshäuser, in denen man vorher und nachher vcnveilt, die Plätze, denen der meiste Mann seine Anekdoten, Späße und dergl. verdankt. Man achte nur auf die Einleitungen, wenn etwas jum besten gegeben wird. „Lest bi de Kark vertellden je", „mal bi'ii Gemcendcrat harren ttri'n Spaß", „ick wen vor Jahren is bi'n Schwurgericht", „ick seet is bi N. an'n Mack mit. .., dar harren je denn allerlei Norme vor" n. f. iv. (Diez, entsinnt sich, in Oldenburg einst eine Stunde oder mehr Späße, gute Antworten u. a. mit angehört zu haben, wobei die Zuhörer aus dem Braker und Wildeshanser Amte waren, vom Amt Oldenburg abgesehen.) — Um auf das Saterland zurückzukommen, so ist es auch nicht so, als müßten ansschließlich die Bewohner selbst alles hineingetragen haben, und andere Leute wären in vorigen Zeiten dorthin nie gekommen. Es mag genügen, darauf hinzuweisen, daß sie doch Geistliche hatten, daß Kriegsvolk dort gelegen hat, daß Hausierer und Händler zu Zeiten sich eingefunden baben werden, alles Mensche», welche aus andern Gegenden stammten und in der Welt etwas gesehen hatten. Rez. hat gemeint, diese Einwendungen gegen die Behauptung einer vor fremden Einflüssen geschützten Lage des Saterlands vorbringe» zu müssen, um dem ans dieser Isoliertheit hergeleiteten Argument zu begegnen, nämlich daß etwaige Übereinstimmungen der saterschen Sprüche;c. mit denen anderer Gegenden sich nur aus der gemeinsamen Urheimat der verschiedenen Stämme begreifen lassen, daß es so sich vielleicht erklärt, wenn ein faterfches Rätsel auch in England sich findet (f. o., bekanntlich wird die friesische Sprache in nächste Beziehung zur englischen gesetzt).

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Ist bcm Rez. der Nachweis gelungen, daß das Saterland vordem nicht völlig, dir Saterländer aber garnicht abgeschlossen waren, so wäre jener Argumentation Brörings die Grundlage entzogen. Rez. mochte nur »och daran erinnern, daß man eine Zeitlang Übereinstimmungen indischer und deutscher oder nordischer Sagen oder Gebräuche ?c. unbesehens aus den früheren Wohnplätze» etwa a», Hindukusch herleitete. Nachdem Bensn, Übertragungen auf litterarischem Wege nachgewiesen hat. und andere aus die Möglichkeit der allmählichen Wanderung von Volk zu Volk hingewiesen haben, ist jene erste Hypothese als unkritisch in Mißkredit gekommen, und heute gilt das Verhältnis der Abhängigkeit im ganzen für unbestimmt, und ans die Frage: wie kommt es, daß dieselbe Sage sich bei so entfernten Völlen, findet, das Zurückhalten des Urteils bis auf weiteres für das gewiesene. — Soviel haben die sich noch stetig häufenden volkskundlichen Sammlungen schon mit Sicherheit ergeben, daß es keine Sage, keinen Aberglauben, keinen Schwank giebt, dazu sich nicht ein Pendant oft bei den verschiedenartigsten Vollem vorfände. Das Rezept, einen Frosch in einer Schachtel in einen Ameisenhaufen zu setzen, dann eilends zu fliehen, um nicht durch das Jammergeschrei des gequälten Tieres taub zu werden, endlich mit einem bestimmten Knochen des Gerippes eine ge­ liebte Person yeimlich zu berühren, um deren Gegenliebe zu erwecken, findet sich in Oldenburg und in Ungarn (Strackerjan a. a. O., Weiuhvld Jb. IV, 399). Der Schwank, daß ein KürbiS als Pserdeei ausgebrütet werden soll, wird im Oldenburgischen und Rumänien erzählt, hier ist ein Zigeuner, dort ein ammerschcs Dors der Gegenstand des Spottes (Strackerjan a. a. O., Weinhold a. a. O. IX, 85). An dieser Stelle bemerken wir, daß die Erzählung, welche Br. (S. 1>» bolische Handlung bewog, noch einen Versuch zu wagen, wodurch er in ihren Besitz kam. Bei Nr. 803: ..Bald Ocke oben, bald Blocke oben" ist zu bemerken, daß daS Wort bei Strackerjan sich unter den vielen Ge­ schichten findet, die von Howiek berichtet werden. Die Hauptmasse der Sammlung bilden die Sprichwörter, wie schon die Zahl — 1210 Rummern — ausweist. Sie sind alphabetisch nach Stichwörtern geordnet. Wiederholungen ließen sich nicht ganz vermeiden «Rez. hat sich 38 Nummern als solche gemerkt). Statt einer wörtlichen Übertragung ist das dem Saterländischeu entsprechende Sprichwort in seiner hoch- oder plattdeutschen Fassung aus Wanders deutschem Sprich wärter-Lexikou angeführt, wobei die beigesetzten Zahlen ans die Nummern unter dem Stichwort bei Wander hinweisen: die wenigen nur dem Sater ländischen eigentümlichen Sprichwörter sind allerdings notgedrungen wört­ lich übersetzt. „Wenn der Hinweis aus Wander fehlt, so kann ich nicht immer bestimmt dafür bürgen, daß daS Sprichwort dort wirklich fehlt" (da ein übersehen bei der Größe der Sammlung leicht möglich ist). Es sind der Sprichwörter, die nicht auf Wander oder sonst jemand verweisen, so wenige nicht: von 1210 Nunmein sind 512 ohne einen Hinweis. Wenngleich nun in einzelnen Fällen, wie der Vers, auch sagt,

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ein Übersehen möglich ist, so »ms, doch die Mehrzahl für echt saterländisch augmommen Iverden. Das mögen diese Sprichwörter ja mich immerhin sein: Rez. ist nur daran gelegen, zu zeigen, daß sie auch anderwärts sich finden, das, sie Allgemeingut sind. Es werden zunächst eine Reihe von Sprichwörtern ausgewählt, bei denen man erwarten sann, daß diejenigen gebildeten, welche mit dem Bolle in Berührung gekommen sind, sie als ihnen bekannt anerkennen werden. Die Beispiele sind jenen 512 Nummern ohne Hinweis entnommen, die Zahlen geben dir Nummern bei Bröriitg an, der Kürze halber ist nur der hochdeutsche Text gesetzt. 181: Erhoffter Tod lebt lange. 192: Ein Dummer kann mehr fragen als 10 Kluge beantworten können. 201: Wo der Teufel nicht kommen kann, da schickt er ein altes Weib. 202: Der Teufel geht zwischen zwei alten Weibern und dann sagt er: das beste in der Mitte (Strackerjan: „Best in de Mitte, sä de Diiiucl, dar gung he twüjcheii tivcc Papen"). 208: Gwß Geschrei und wenig Wolle, sagte der Teufel, da schor er ein Schwein. 245: Das war nur ein Übergang, sagte der Fuchs, da hatten sie ihm das Fell über die Ohren gezogen. (Man sage nur bei Regenwetter: 't is man n Overgang, so kaun matt überall hören: harr de Boß ok seggt ?c.). 207: Er erzürnt kein Kind. (Auch „he deit kin Kitrd roat".) 299: Da .zeigte ich ihm, wie die Forke aus dem Stiele sitzt. 345: Der da gut sitzt, der lasse das Rücken („de lat sin Ersrucken"). 358: Wenn's auf's Große ankommt, dann kann die Kuh auch wohl neu Hasen fangen ( „thut's nicht allein, sonst Holle die Äuh den Hajen ein"). 429: Zum Heiraten gehören zwei. 432: Er läßt kein gutes Haar an ihm. 527: Das ist Jungheit, das verwächst (zu allen Jngendthorheileii gesagt). 348: Er geht darum herum wie die Katze um den heißen Brei. 77: Hinterher ist man allezeit am klügste» (oder: „naher wäl'l wi't all 100I"). 018: Er bekommt den Kuckuck auch nicht mehr zu hören (vgl. Hebel: Der geheilte Kraule). 0811: Wenn da gut was im Leibe ist, das hält Leib und Seele zusammen. („Essen und Trinken hält —"). 753: Er ist so schnell wie eine Maus. 813: Die Alten müssen sich nicht eher ausziehen, als bis sie zu Bette gehen. 858: Sie prozessieren um Kaisers Bart (vgl. Geibels Gedicht). 986: Er sieht aus, als wen» er keine Fünf zählen sann (vgl. 1024). 1013: Alles mit Maß, sagte der Schneider, da schlug er fein Weib mit einer Elle tot („um die Ohren" viel besser: überhaupt sind die saterläudischeu Wendungen gegen die sonstigen platt und hochdeutschen genommen vielfach schwächer, welches auch gegen die UiiPri'mglichfeit derselbe» zeugen könnte). 1020: Spare zur Zeit, dann hast du ivas in der Not. 1038: Der da stirbt, wird gerühmt, wer da heiraten will, der wird verachtet (bekürt und besprochen!. (Überall be kannter Erfahruiigssatz.) 1047: Das geht, daß es staubt, sagte der Junge, da saß (ritt) er ans einem Schweine. 1099: Unrecht Gut gc beibet nicht. 1135: Wenn man den Wogen gut schmiert, dann läuft er

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148 leicht („de good schmert, de good fährt". manchmal auch beim Anfeuchten der Kegelkugel vor den, Wurf gebraucht). 1136: Wer den Wagen nicht gut schmiert, der mich den Pferden die Rippen schmieren (beim Mähen: ..wer nid) good haart (= gedengelt) het, de mot naher mit de Rippm haaren"). 1154: In einem solchen Wetter sollte man keinen Hund hinausjagen (ähnlich bei Pestalozzi: der Vogt zu Marx ab der iKeuti; aber auch sonst ganz allgemein üblich). 1155: Er ist so viel wert als das 5. Rad am Wagen. 1156: Alle Dinge haben einen Wert, sagte Antje Mutter, da blies sie die Lampe mit dem .... aus. („Dnt hei all sine Wetenscup" — man darf diese Worte manchmal nicht aussprechen, wenn man Leute nicht verlegen machen will, weil sie an die Fortsetzung des Worts denken.) 1175: Ich habe ein Loch in den Wind gelaufen. Noch einleuchtender aber wird es. das; der Verfasser de» Sprichwörtern einen viel zu engen Bezirk zuweist, wenn wir diejenigen ins Auge fassen welche seltener gehört werden. Bei ihnen gerade kommt der, welcher sie zum erstenmale hört, leicht in Versuchung, ihnen einen durchaus lokalen Charakter zuzuschreiben. Und doch sind auch die ungewöhnlicheren Redensarten und Sprichwörter der Broringschen Sammlung durchweg auch anderswo als im Saterland? nachzuweisen. Einige Beispiele mögen geniigen. 43. dl jüngste bädler mo«t de püt drege. Der jüngste Bettler muß den Beutel tragen. Bröring macht hierzu die Bemerkung, das; dies Sprichwort von den Fastuachtsgebräuchen hergenommen ist. Bei diesen trug im Saterland einer der Gaben sammelnden Burschen einen Aschensack. Es soll demnach durch diesen Hinweis das Sprichwort als ein eigentümlich saterschcs hingestellt werden. Aber auch sonst im Olden­ burgischen hört man wohl: de jüngste Bädler drägt de Krücken, und dies Wort bringt den Sinn, daß der Jüngste die meiste Arbeit thun mufe, noch drastischer zum Ausdruck. Wir wollen „an Commando rühren", sagen die Bettler ihrem Wirt, d. h. wir gehen jetzt unserm Gewerbe nach, kommen aber heute abend wieder, und wenn sie ihr Tagewerk hinter sich haben, muß der Jüngste die Krücken tragen (oder auch den Tag über; gehen können sie alle). 128. „Wo es dampft, ist auch Brand, jagte Eulenspiegel, da wollte er seine Pfeife an einem Roßapfel anzünden." Ein längst verstorbener und durch unterschiedliche Eulenspiegeleien bekannter Zeller aus dem Kirchspiel Oythe bei Vechta soll sich durch diese Worte und durch den Versuch, sich so Feuer zu verschaffen, geholfen haben, als er beim Schmuggeln abgefaßt wurde: die Beamten hätten ihn als eilten Unsinnigen lausen lassen. 203. „Der mit 'nein Teufel gut steht, der braucht nicht zu sorgen, daß er in die Hölle nicht kommen kamt." Mit diesen Worten schlug ein Bauer aus dem Kirchspiel Vestrup (A. Vechta) auf den Tisch, als bei der Aufteilung der sgt. Kittelwiesen ein Placken, der sich ohne weitere Arbeit zu Wiesenland qualifizierte und den er darum gern gehabt hätte, einem kleinen Mann zufiel. 939. „Ich mag gerne reine Werke

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leiben, sagte das Weib, da schlug sie das Schwein mit nein Sleef (Äoch löffei) vor die Schnauze." Ans einen größern einständigen Hos in bei Gegend von Osterholz-Scharmbek, dessen Bewohner für unordentlich galten, hätte die Hansfrau daS Schwein mit dem Schleef vom Eßtopf vertrieben mit de» Worten: Wal >vi heft, bat ivöl wi rein hebbe». Manche Sprichwörter verraten einen lokalen Charakter, so daß man sie aus diesem Grunde für echt und allein satersch halten könnte. Wir wählen als Beispiel Nr. 144: „Ter Buchweizen ist nicht eher sicher, als bis er im Magen ist, sagte der Bauer, da fiel ihm der Pfannkuchen in die Asche." Aber es müßte seltsam zugehen, wenn dies Sprichwort nicht auch in anderen Buchweizengegeuden begegnete; es ist unzweifelhaft, daß z. B. in Lorup, Hcrrcnftettc, Lahn, Spahn und Wahn, furz auf dem ganzen Hümmling dies Bort bekannt ist: wahrscheinlich sogar, weil e4 „ein ganz guter Schnack" ist, daß es auch in Gegenden gekommen ist, die sonst von der Unsicherheit des Biichweizenbanes nichts wissen. — In dem Rez. feine Meinung hinsichtlich der Sprichwörter dahin zusammen saßt, daß von den echten Sprichwörtern wohl keins dem Saterlande ans schließlich angehört, bemerkt er noch, daß einzelne Ausdrücke, wie Nr. 162: ;.>r ben tk (lüge nö«g to«, mons nu"g tu" (überall: dar bin ik düge — oder dannig — nog to. dal bin ik däge Manns) doch wohl kaum unter „Sprichwörtern und Redensarten" mit verzeichnet iverdeti müßten, wenn man nicht einer unermeßlichen Weitschweifigkeit anheimfallen roill. Denn warum sollten bann nicht mit gleichem Recht Ausdrücke folgen, wie etwa „den kan ik mntlit mauen" (gemächlich bewältigen, eigtl. mit den Annen umfassen z. B. bei Baumstämmen) oder negativ: „Dar höiv' ik mi finett Bruch bi to beugen ?" Die Verzeichnung solcher selteneren Ausdrücke gehört in ein Wörterbuch, matt darf nicht alles unter de» Begriff „Redensarten" bringen. Der Verfasser hat in diesem 2. Teile anscheinend verschiedentlich U» verständliches oder nicht leicht Erklärliches ohne weiteres in den Text aufgenommen. Rez. gesteht z. B., daß er Spnv, 95: „Dem will ich heute zahlen, sagt Teile Gerd, da hatte er einen Hund von Haskebrügge zu feinem geholt, der dem Fuchs schon zweimal weggelaufen ivar" weder in dieser Uebersetzung noch in der saterschen Mundart versteht. So auch 333: gisjen is misjen. „Gissen ist Missen. Gissen 2;" trotz dieses Verweises auf Wander weiß Rez. nicht, ivas Gissen ist. Rez. hält aber diese Art, die darauf verzichtet, überall verständlich zu sein bezw, Himer ländliches zu erklären, für sehr bedenklich: hier kann auf Klarheit und Verständlichkeit nicht verzichtet werden, dam sonst ist es von Dunkelheit tum Irrtum und zur Unrichtigkeit nicht weit. Es zeigt dies sich auch in dieser fleißigen und im übrigen durch Sachkunde bemerkenswerten Arbeit. 157. wir 'n buxe is, der jÄt nen wenkon. „Wo 'ne Hofe ist, da gilt kein Winken. Bnxe 4." Wenngleich die Übersetzung von

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Neue Erscheinungen. Wander entlehnt ist, wird man doch berechtigt sein, die Erläuterung vom Berf. zn erwarten, zumal da er sich auf ein viel engeres Gebiet beschränkt und dämm UM so exakter seil, muß. Weshalb soll mau eilt solches Wort lesen mit dem Gedanken: ant subesse aliquid arcani, aut dictum ut plane absonum esse rejiciendum ? Wense ist, wie Vers. ohne Zlveisel in Schiller-Lübbeu, Bind. Wb. hätte finden können und wie schon Dürfen, Älteste Lehusregister gelegentlich bemerkt, ein Kleidungsstück be­ stimmter Art oder von bestimmtem Stoffe. Im spätem Plattdeutsch ist es immer ein Stück der weiblichen Bekleidung. Eine „Wense" erhielten früher die Mägde mit als Lohn („1770 de» 22. Jan. hat Meine Frau Lena Catriua gewonnen vor 8 Rthr. in gold 2 Paar Schn 1 par Tuffein 18 Ellen Linnen I Wense 1 Böuelschiirze und 1 schaasf Graß nebst 48 gr. Miethgeld J fiien zu säen". Dies ist nur ein Beispiel aus einem Hausbuch ber 4 Marschvogteien, in welchem sich beim Dingen der Mägde jedesmal Wenken finden.) Der Sinn öcv Sprichwortes ist demnach ein ganz guter: Wo eine Hose ist, da gilt kein Weiberrock. — Unter ben Rätseln lautet Nr. 43 (durch einen Stent als ausschließlich satersch charakterisiert): „Bann tragen die Zchafe die »leiste Wolle?" wau di röm bim sprinkt. „Wenn das Fett ihnen springt." Auch diese Übersetzung muß unrichtig sein. Rez. übersetzt: „Weitn ber Bock sie springt", vgl. Rani bock, rammeln. Das .Rätsel gehört also zu denen, welche die Wissenschast nur bannn verzeichnet, weil sie alt sinb, somit bei einer wahrheits­ gemäßen Darstellung be>? Volkes nicht entbehrt werben können. Sonstige kleinere Ausstellungen des Rez.: Sprw. 244: — — un fisten gimge lette und 838: — 'n fasten — — übersetzt der Verf. fisten (fasten) mit „einen Tüchtigen", denkt also dabei an „fest, tüchtig". Es ist aber das franz. un pet, nchb. „ein sist". („Wenn einem wip ein fist entget — ir hunbeliit si darum slet — und spricht: far hin, dn bist vcmiaffcn — du hast hinden offen gelassen"). Bei Mulm und Schwan,, Norbb. Sagen und Rick). Anbrce, Braunschw. Volkskunde, kommt bei den Volksbelustigungen der brannschweiger Gegend ber sgt. Fuftjcmcicr ober Fiftjcmeier vor. — 834: „Er ist durch die Riffel (de repe) gefüttert (sagt man von einem hagern, dürren Menschen)". Es muß heißen: durch die „Röpe" Pferberaufe; „riffeln" ist ein technischer Ausdruck bei ber Bearbeitung des Flachses. — Ist ..Eishammer" (stl. isjukel) eine Be­ zeichnung für „Eiszapsen" ? Jsjökel sagt man übrigens auch im Amte Vechta, Jsschökel im Bramischweigischeii. — 3. 289 ist lepper als Kom­ parativ von leip (böse, schlimm) Rez. verdächtig. — 3. 294 f. ist von einer pitske die Rede. mit der der Gefangene vor sich hin und her schlägt und dadurch aus dem Gefängnis kommt. Die Übersetzung 3. 299 spricht von einer Rute. Es wäre nicht wohlgethan, wenn der Ausdruck „Rute" der Mythologie zu Liebe gewählt wäre. Aber wenn auch gegen diese Erinnerungen keine Einwendung und

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Widerlegung vorgebracht werden könnte, so ist doch Rez- weit davon entfernt, ihnen gerade viel Gewicht beizulegen. Worum es dem :liez. zu thun war. hat er oben weitläufig auseinander zu setzen versucht. Er möchte die Frage: erstreckt sich die Eigentümlichkeit der Vaterländer — abgesehen von den eigenartigen Lautverhältnissen, die ihre Sprache einem (ungebildeten oder wenigstens nicht sprachkundigen) Niederdeutschen un­ verständlich machen —, auch auf den Wortschatz, den Inhalt ihrer Sagen lind Sprichwörter, sind die Saterländer durch intellektuelle oder körperliche Eigentümlichkeiten ohne weiteres von ihren Nachbarn unterschieden? — diese Frage möchte Rez. nur mit allem Borbehalt bejaht wissen und er kann sich des Eindrucks nicht erwehren, als ob die. welche bislaug über das Saterland gehandelt haben (mit Ausnahme Von Sello), nur zu sehr geneigt wären, das Saterland in jeder Hinsicht als etwas Aiiszerordentliches hinzustellen. Wird überall durch die Beschäftigung mit der Wissen schast nach einem Worte I. G. Försters das Auge leicht an eine betrübte Myopie gewöhnt, so gilt das ganz besonders vom heutigen Spezialismus. Das Saterland bietet durch seine Sprache etwas Eigentümliches, nun ist die Gefahr, das; auch sogleich alles daraus gemacht wird. Man meint einen Fund gethan zu haben und aus Freude darüber vergißt man ganz, sich auch in der Nachbarschaft genügend umzusehen, oder auch, »in die Eigentümlichkeit des Saterlandes mehr hervorzuheben, meidet man die vergleichende Forschung, die in den meisten Fällen zn dem Resultat führen würde: auch aus dem Hümmling, aus dem Ammerlande, im Münsterland, in ganz Nieder,achsen. Die Saterländer sind freilich Katholiken, aber «nach Minssen) sind diese Katholiken Von einem Freisinn und einer Aufgeklärtheit, die ihres Gleichen nicht haben. Gerade Siebs weist vielfältig mif Entlehnungen bin: das satersche Haus ist sächsisch, die Namen der saterschen Beamten, das Landmaß desgleichen, Mas; und Gewicht find teilweise Ostsriesland entlehnt. Aber auch sollst noch: die Flurnamen sind sächsisch, die Sagen und der Aberglaube bieten nichts besonders seltsames (Bröring Spnv. 551: „Sie hat die Katze nicht gut gefüttert" wird in Moorriem (Paradies, Huntort) und über die Grenzen des Herzogtums hinaus im Bergischen (Weinhold, Jahrb. X, 103) von der Bmut gesagt, wenn es am Hochzeitstage regnet: vgl. Weinhold a. «. 0. VH, 116, „Wetterkatze" bei Grimm, Deutsche Myth., „de Werkallen spält", Delmenh. Geest, wenn es am Horizont in brütender Sommerhitze flimmert, auch bei Bröring I, 11: sumerkatte). Anderseits glaubt Siebs sich nicht zu irren, wenn er — als etwas besonderes — daS durchschnittliche Minimalmaß der männlichen Bevölkerung des Saterlands ans 1,75 in schätzt: in Wirklichkeit aber entspricht die Größe der Saterländer (ca. 1,71 m) ber ber übrigen Bewohner des Amts Friesoythe, die Brustweite (unaufgeatinet 82 cm) der miinsterländischen allgemein: beide, Mröße und Brustweite, sind hingegen bei den Ammcrltinbcm ver

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schieden. Bor allem ist es aber der Wortschatz, der hinsichtlich seiner Eigentümlichkeit leicht überschätzt wird. Zwar geben alle, die über das Saterland geschrieben haben, zu. daß viele plattdeutsche Wörter in das Satersche eingedrungen sind, aber schwerlich machen sie sich eine Bor stellung davon, in welchem Umfange Übereinstimmungen austreten. Darum können die betreffenden Wörter allerdings friesisch sein, wenn sie auch im benachbarten Sächsischen sich finden: das Verhältnis zu bestimmen, bleibt Sache ber Fachgelehrten. Jedenfalls hat das Saterland (nach dem ge legentlicheu Ausspruch Jean Pauls: daß je höher hinaus, je besser aus­ gesprochen, aber nicht eben gesprochen wird) als eine einfache Gegend viele Wörter behalten, welche m dem vulgären Plattdeutsch anderer Distrikte nicht mehr begegnen (und wenn sie noch lebendig sind, von dem Gelehrten zuletzt gehört werden) ober welche nur noch in Urkunden vor kommen, mithin doch früher gewöhnlich waren. Tiefe vielen anderwärts ausgestorbenen oder doch mehr oder weniger unbekannten Wörter werden, wenn sie im Soterschen begegnen, ohne weiteres meist als spezifisch satersch angesehen, wenigstens von dem gebildeten Laien. Rez. beabsichtigt ge legentlich in einem Aussätze diese Thatsache, daß weitaus die meisten saarländischen und befremdlich klingenden Wörter auch im Plattdeutschen sich finden oder fanden, des Nahem zu beweisen. Ist die Besprechung schon über ihren Rahmen hinausgegangen, so ist damit zugleich gegeben, daß die sachlichen Bedenklichkeiten aus der Ge jamtanfdjauimg des Rez. durchaus nicht gegen die Arbeit von Bröring speziell sich richten, vielmehr aus Gelegenheit des Erscheinens derselben zur Äußerung kommen. Wenn auch nach der Meinung des Rez. mehr als nur einiges der Sammlung in weiteren Kreisen besannt ist, so giebt er dein Verf. doch völlig Recht, daß die Veränderungen, die namentlich nach Form im Saterland? vorgenommen sind. immerhin für die Ber öffentlichung hinreichenden Grund geben. So dürfen wir auch. trotz unserer prinzipiellen Abweichung, betn ,j. Teile der Veröffentlichung Br.'s mit Interesse entgegensehen uud eine weitere Ausdehnung der Volkskunde unseres Landes mit Zuversicht von ihm erwarten. Rodenkirchen. Wilhelm Ramsauer. Wilhelm Ramsauer, Dat geit mit'» Snellert (an? Vielstedt, Ksp. Hude). Zeitschrift des Vereins für Volkskunde, herausgegeben von K. Weinhold. X (1900) S. 228/9. Johan Winkler, Studit-'n in nederlaiidsche Namenkunde. Haarlem, H. D. Ijenf Willink & Zoon, 1900. 328 3. In der ersten der Hier gesammelten Abhandlungen „Spotnameu van Steden ett Dörpen" wird S. 88 f. ein Spruch über die friesischen Inseln angeführt, der anhebt: „Wrangero de jfoone, Sptferoog de

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Krone" -c. Aus der von W. für altsriesisch erklärte« Form Wraugerv ivgl. über die verschiedenen NamenSfonnen G. Sello, Wangerooge? Wan geroge? Wange wog? im Generalanzeiger vom 5. Dezember 1896) er schlicht er die Namen der „Wrangcr-Friezen" (?) vergl. dazu Korrcspon denzblatt des Vereins für nieder!. Sprachforschung 1901 S. 79. In da fünften Abhandlung „Fnesche Namen" wird mit großer Belesenheit und Kritik ein Thema behandelt, das in unserm Lande früher K. Stracterjau (Die jeverläudischen Perfonciiuamen mit BeiÄcksichtigimg der Ortsnamen. Jever 1864) und A. Liibben (Einiges über friesische Namen, Zeitschrift für deutsches Altertum 1856) beschäftigt hat, und ganz neuerdings wiederum aufgegriffen wird von Sundermann, Friesische und niedersächsischc Bestandteile in den Ortsnamen Ostfrieslands. Ein Beitrag zur Sied lungsgeschichte der Nordseeküste (Emden 1901). Wir hoffen auf diese letztere Erscheinung im nächsten Bande des Jahrbuches noch zurückzukommen. H. 0. I. Mattiii, Über die geologische Aufgabe einer geologisch-agronomischen ßarticraitfl des Herzogtums Oldenburg. Abhandlungen des natur Wissenschaft!. Vereins zu Bremen. 1900, S. 424 — 430.

Rechtsgeschichte. Die Geschichte dev deutschen Deichrechts (I. Teil) von Ur. Julius Gierte, 03. Hest der Untersuchungen der deutschen Staats- und Rechts geschichte, herausgegeben von Dr. Otto Gierte, Professor der Utechte an der Universität Berlin. Breslau, M. und H. Marcus, 1901. Das vorliegende Werk des Göttinger Privatdocenten füllt eine von dem Juristen wie dem Historiker gleich schmerzlich empfundene Lücke aus. ES stellt die geschichtliche Entwickelung des Teichrechts von einem umfassenden Standpunkte aus dar und wirft neues Licht auf ein von der Wissenschaft seither recht kümmerlich behandeltes Gebiet. Es zieht zur Erklärung der hier vorliegenden eigenartigen Rechtsinstitute, die auf ur­ alten deutschen Anschauungen sich gründen, eine Fülle von Material aus der Topographie der Marschländer, ihren Siedelnngs- und Agrarverhält­ nissen heran, das auch dem Geschichtsschreiber willkommen sein wird, weil es mannigfach aufklärend auf das Verständnis der Staats- und .«tiiltmgeschichte zurückwirkt. Da das Deichrecht sich unter dem Einflüsse der Lokalität und unter der Herrschaft vieler kleiner Rechtsgebiete und «monomischen Verbände äußerst verschieden gestaltet hat, so war für den Verfasser die Verarbeitung eines umfänglichen, aber teilweise recht zerstreuten Onelleninaterials erforderlich, um die überreiche Entwickelung aus Elvisse allgemeine Grundzüge zurückzuführen. Weuu der Verfasser sich zum ^iele gesetzt hat, auf der so gewonnenen historischen Grundlage

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demnächst eine dogmatische Darstellung des geltenden DeichrechteS aufzubauen, so war allerdings eine derartige Mühe unerläßlich und wird sich lohnen durch die hellere Beleuchtung, die durch eine solche, grade beim Deichrechte so wichtige geschichtliche Untersuchung aus die einzelnen Rechtsinstitute fällt. In dieser Zeitschrist kaun natürlich das Gierkesche Werk nicht vom juristischen Gesichtspunkte aus gewürdigt werden, wohl aber werden sich einige Bemerkungen an den Inhalt desselben knüpfen lassen, soweit sich derselbe auf den Deichbau a» der Wesermiiudung und der Rordseeküste bezieht. Durch ihn ist es erst möglich geworden, die fruchtbaren Marschen, jetzt an Steuerfreist iiiid Betriebsamkeit ein wesentliches Fundament unseres Staates, den ältesten Bestandteilen desselben aus der hohen Geest anzugliedern. Jahrhunderte lang hat bei- Kamps zwischen deut Menschen und dem übermächtigen Elemente gedauert und eine Reihe von bitteren Ersahnmgen waren notwendig, um Technik und Organisation des DeichschutzeS auf ihre jetzige Höhe zu führen, so das; wir glauben dürfen, eine für alle Wechselfälle hinreichende feste Grenze gegen See und Fluß ausgerichtet zu haben. Die gewöhnliche Annahme ist, daß von den an den oldenburgischen Uferstrecken seit dem 13. Jahrhundert weggeschwemmten 7 Quadratmeilen ungefähr 6 wieder gewonnen sind. Die ältesten planmäßigen Bebeichungen werden von den Lokalschiiststellen, ans 'das Vorgehen des Bremer Erzbischofs in dem Sumpflande der Unterweser zn Beginn des 12. Jahrhunderts zunickgeführt und insofern gewiß mit Recht, als in dieser geschützte». bis zur Ochtum hinaufreichenden Einbuchtung des Weserdeltas die Verhältnisse günstiger lagen, als an den gefährlichen, dem Anpralle der Nordsee unmittelbar ausgesetzten Küstenstrecken Butjadingens und Jeverlands. Auch wenn Gierte hiergegen den dänischen Schriftsteller Saxo GrammatimS anruft, der für Nordfriesland das Dasein eines starken Meerdeiches um die Mitte des 12. Jahrhunderts bezeugt, dessen Entstehung dann weiter zurückliegen müßte, so fehlen doch alle Anzeichen dafür, um für die Mündung der Weser den gleichen Schutz bereits damals als vorhanden anzunehmen. Der Anteil der Holländer, mit denen Erzbischos Friedlich den ersten Kolonisationsvertrag um das Jahr 1106 abschloß, an der Bedeichung ist nicht leicht richtig abzuschätzen. Daraus, daß hier nur von Wegen und Wasserzügen, nicht aber von der Errichtung von Deichen die Rede ist. wird man mit Gierte wohl schließen dürfen, daß Deichanlagen thatsächlich schon existierten. Aus der anderen Seite stellte die zugleich mit der Eindeichung notwendig gewordene, technisch viel schwierigere Entwässerung in diesem niedrigsten, ehemals dem Überlaufe jeder Flut ausgesetzten Teile ber Marsch so viele Anforderungen, daß erst mit dem Auftreten der Fremden, die damals wie jetzt als erste Wasserbautechniker galten, eine ordentliche Bodenkultur erreicht zu sein scheint. Dazu kommt die Einwirfung der holländischen Anschauungen

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auf die Gestaltung des Rechtes, unter denen das trocken gelegte Land zu Hufen eingeteilt und im die von allen Seiten herbeiströmend« Ansiedler ausgegeben wurde. Die Bedeichung der nördlicher an dein Unterlaufe der vielen Fluß­ arme und an der See belegenen Flächen knüpft, nachdem eine Benutzung der höheren Weiden von der Geest aus zur Sommerszeit wohl schon seit Jahrhunderten üblich gewesen war, an die Sutten an. Diese waren teils natürliche Diluvialrücken, Neste des Urbodeits, wie Dangast. Accum, Blexen x., teils künstlich von den ersten Ansiedlern zum Schutze des Weideviehs und der menschlichen Wohnungen ausgeworfene Hügel. Sie werben jetzt der Ausgangspunkt für den sich stetig erweiternden Ring der Binterdeiche, hinter denen mich der Anbau des Getreides möglich wurde. Klng in der stcdingischen Landschaft die kolonisatorische Thätigkeit aus­ schließlich von dem Grundherrn, dem Erzbischofe von Bremen aus, ber feine Gerechtsame wieder an geistliche oder weltliche Herren, Kirch« und Klöster ober auch'Privatleute übertrug, so waren in den friesischen Küstenstrichen wohl hauptsächlich kleine Gemeinden oder selbständige Genossen­ schaften Träger deS Unternehmens. Im Laufe ber Zeit behüten sie ihr Gebiet durch neue Eindeichungen immer weiter anS ober es wurden auf dem angeschwemmten Lande neue Gemeinden gegründet, bie mit den alten im politischen Zusammenhange blieben und gemeinsame DeichverbLnde bildeten, wie es z. B. von den jeverschcn Landschaften Rüstringen, öftring« ttnb Bangerland bezeugt ist. Wirksam war für bitfe Tendenz vor allem der feit dem 13. Jahrhundert zur allgemeinen Anerkennung gelangte Grundsatz ber Beihülfe, bie ursprünglich nur aus Freundschaft geleistet, jetzt zum Rechtsprinzip und zur Grundlage eines gemeinsamen Verbandslebens erhoben wurde. Wie sich im einzelnen die Entwickelung vollzog, wie sich von ber bie gesamte wirtschaftliche Thätigkeit umfassende» Gemeinde ber bis an seine natürliche Begrenzung sich ausdehnende Zweck verband, ber Deichverband, loslöst und verschiedene Formen annimmt, wie der einzelne unter das harte Gebot des DeichzwangeS gebeugt wird und aus ber ursprünglich rein persönlichen Gruublage die Dinglichkeit ber Deichlast sich ausbaut, wie bie Organisation bes Deichverbanbes sich vervollkommt und ein eigenes Beamtentum entsteht. das sinb mühevolle Einzelstudien bes Verfassers, bereu allgemeine Ergebnisse jedoch auch für dav Deichrecht Ostfrieslands und bes Herzogtums maßgebend sein werbet«, obgleich, wenn man von dem immer noch wertvollen Buche Friebrich uoii ThitnmS über bie Entwickelung bes Deichrechts in ber Herrschaft Jever absieht, bie Quellen nicht reichlich fließen lmb in ber lokalgeschicht­ lichen Forschung eine selbstänbige Bearbeitung noch nicht erfahren haben. Immer wichtiger wirb seit bent Ausgange bes Mittelalters ber Ein­ fluß, bcn bie Lanbesherrfchaft über baS Deichwefen gewinnt. Sic über­ trägt ihren Beamten bie Sorge für die Deichverwaltung oder entsendet

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für die Schauung eigene Aufsichtspersonen. Sie macht die Ausführung größerer Werke, namentlich von Einlagen und Neubedeichungen, von ihrer Erlaubnis abhängig und wendet den staatlichen Zwang gegen den Remteilten an, sodass die Erfüllung der Deichpflicht fast wie eine Unterthanen Pflicht erscheint. Von der weittragendsten Bedeutung aber war der Anspruch, den sie auf das vor den alten Deichen entstehende Vorland, den Außengroden, erhob. Bei der ersten Anlage von Deichen hatte man gewöhnlich einen Strich Landes außerhalb Deichs liegen lassen, der die zur Unterhaltung desselben erforderliche Erde lieferte. Dieses Außen deichsland verblieb im Eigentume und in der Nutzung des Deichbandes, soweit derselbe nicht etwa bei der Verteilung der Unterhaltungslast über die einzelnen Dorfschaften auch diesen das vor ihren Pfändern liegende Außendeichsland zur Nutzung überwiesen hatte. Wie Gierke darstellt, macht sich jetzt ein von Westen nach Osten langsam fortschreitender, mächtiger Umschwung geltend, dessen erste Spuren in Flandern und Holland schon im 12. Jahrhundert bemerkbar find. Der Landesherr erhebt den Anspruch auf das neu angeschwemmte Vorland und seine Beamten bezeichnen dies Recht als ein Außendeichsregal, wobei die juristische Konstruktion mit einigem Grunde auf die Herrenlosigkeit des AnwachfeS und das Recht am Meeresufer hinweisen konnte. Bei den großen Eindeichungen, welche die oldenburgischen Grafen in dem Lause des westlichen Weserarmes von Elsfleth bis zur Jade ausgeführt haben, ist dieses Recht schon anerkannt und findet seine Analogie m dem Eigentumsrechte, das für die wüsten Heiden und Moorflächen in den alten Grafschaften behauptet und durch gesetzt wurde, während in dem Osnabrücker- und Münsterlande bei schwächer gestalteter Regierungsautorität das formale Eigentum der Ge »offen an der Mark sich zu behaupten Devmochtc. Dieses Recht auf den Anwachs mar eine der Grundlagen für den Reichtum des alten gräflichen Hauses und hat auch dem späteren staatlichen Domanialbesitze seine wert vollsten Bestandteile zugeführt. In allen Wandelungen der Gesetzgebung hat es der Staat gegenüber den Deichbänden festgehalten, dafür aber auch seine Pflicht zur Beihülfe anerkannt, falls in Notlagen die Kräfte derselben nicht zureichen sollten. Weniger berechtigt aber waren die Miß brauche, welche die gräfliche und die dänische Regierung bei der Verteilung der Deichlast einführte, indem sie ihre eigenen Domänen und die adeligen und geistlichen Güter mehr oder weniger eximierte. Diesen Zustand, der zu lauter Unzufriedenheit Anlaß gab, hat gründlich erst die Deichordnung von 1855 beseitigt. Bis soweit ist der vorliegende erste Band des Gierte'schen Werkes noch nicht gelangt. Ein in Aussicht genommener zweiter Band wird die erste Periode beschließen und mit der Schilderung der zweiten Periode endigen. Von neuereu Quellen, die Gierte noch nicht benutzen konnte, märe rnohl aus den Seiloschen Studien zur Geschichte von Ostringen und

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Rüstringen das Kap. XX zu erwähnen, das namentlich ein interessantes SpatenrechtS-Wcistum von 1566 abdruckt. Ungern vernicht man bei der Aufführung der Werke über einzelne Deichlande die Tengeschcn ?lr= betten über den Bntjadinger und den Jeverschm Deichband. F. Bucholt/..

His, Das Strafrecht der Friesen im Mittelalter. Leipzig, Dieterich 1901. Eine Besprechung wird im nächsten Bande des Jahrbuchs erscheinen. Hagena, O., Eisenbahndirektor z. D. Das friesische „Doumenrecht". Deutsche Juristenzeitung. VI. Jahrgang 1901. Nr. 3 (S. 6H). Franz Rnhstrat, DaS Oldenburgische Landesprivatrecht. Oldenburg. G. Stallingsche Buchhandlung (Max Schmidt). 1900. 178 Seiten. Das Bürgerliche Gesetzbuch für das deutsche Reich, das am 1. Januar 1900 in Krast trat, bildet, wie im Reichstage mit Recht gesagt worden ist, einen Markstein in der vaterländischen Rechts- und Bolksgeschichte. Das neue Gesetzbuch zog aber auch in der Rechtsgeschichte der einzelnen Bundesstaaten eine scharfe Grenzlinie; cs steht auch Hier an der Schwelle einer neuen Zeit. Auf weiten Gebieten des Landesprivatrecht« machte das Gesetzbuch reine Bahn und stellte sich selbst an die leere Stätte, auf anderen Gebieten beseitigte es das Landesrecht nur bruchstückweise und überließ kraft der Bestimmungen des Einsührungsgesetzes der Gesetzgebung der Bundesstaaten einen erheblichen, hier und dort vielleicht allzu großen Spielraum. Es war nun die Ausgabe der Landesgesetzgebiiiig, die Reste des Landesrechts in geordnete Beziehung zum B.G.B, zu bringen, soweit cs nicht den Vorzug verdiente, an Stelle der teilweise außer Kraft tretenden Landesgesetze neue mit den Vorschriften des B.G.B, im Ein klänge stehende Gesetze zu erlassen. Zugleich machten zahlreiche Bcstimmungen des B.G.B, es erforderlich, Einrichtungen und Organe zu schaffen, welche das neue Reichsrecht voraussetzte. So kam ein reges Leben in die Gesetzgebung der Bundesstaaten, und die Sonne des 1. Januar 1900 beschien nicht allein den neuen Palast des Reichs Privatrechts, sondern zeigte auch in den Einzelstaaten mehr ober minder große neue Rechtsgebäude. Die einzelnen Teile des für dasHerzogtum Olden­ burg errichteten neuen Gebäudes vorzuführen, sie unter stetem Hinweise aus das neue Reichsrecht in das richtige Licht zu setzen, sodann die noch übrig gebliebenen Trümmer der alten Landesgesetze mit Einschluß des römischen Rechts offen zu legen und aus diese Weise einen Überblick über das ganze alte und neue noch geltende Landesprivatrecht zu gewähren, das ist die Ausgabe des oben angezeigten Buches. Es brachte zur Lösung der zahlreichen Rechtsfragen, welche sich bei der großen Rechts-

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unnväizung aufwarten, die erste sehr willkommene Hilfe. Selbstverständ­ lich mußte sich der Verfasser eine gewisse Selbstbeschränkung auferlegen und bei der Erörterung von Einzelfragen sich in verhältnismäßig engen Grenzen halten. Die Grundlinien sind aber überall scharf herausgearbeitet, «nappe Bündigkeit und eindringende Genauigkeit sind die charakteristischen Kennzeichen des Buches. Die größeren Landesgescye, insbesondere die neue Gesindeordnung, das Enteignungsgesetz, das umgestaltete Grunderbrecht, haben eine eingehende Würdigung erfahren. Aber nicht weniger in Ansehung der zahlreichen in der Gesetzsammlung zerstreuten Einzel Vorschriften und sonstigen Rönnen privatrechtlichen Inhalts hält das Buch, was das Vorwort verspricht: „eine übersichtliche und möglichst voll­ ständige systematische Darstellung des gesamten kodifizierten und nicht kodifizierten oldenburgischen Landesprivatrechts zu geben". Ein sorg­ fältig gearbeitetes ausgedchntes Sach und Gesetzesregister erleichtert wesentlich die Handhabung in der Praxis. Das Buch zu schreibe», war der Verfasser — der bekanntlich jetzt die höchste Stelle in der oldenburgischen Justiz bekleidet — um so eher berufen, als er von Ansang an bei den Vorarbeiten für die Umgestaltung und Ergänzung des Landesrechte sowie bei der Einführung des neuen Rechts in hervorragendem Maße beteiligt war. — Das Buch wird in Gelelirteukreisen seinen Weg auch über die oldenburgifcheu Grenzen hinan» finden, nachdem der Altmeister der deutschen Rechtswissenschaft, Professor Den,bürg in Berlin, es als ein „gediegenes" bezeichnet hat. Vor allem aber darf dem Wunsche Ausdruck gegeben werden, daß das Werk im Oldenburger Lande nicht nur fleißig benutzt werbe, sondern auch zu neuen Einzelarbeiten anrege. Burlage.

Dänische Zeit Lund. E. F. S., Daiiske malede Portraeter. En beskri vende Katalog udgivet utider medvirkning af Konservator ved den Kgl. .Malerisaniling C. Chr. Andresen. Preis des Heftes 3 bis 6 Kronen. Gyldendalske Boghandels Forlag. 1895 ff. Dies schöne Werk, von dem hier I. Bind, 1.—8. Hefte, II. Bind, 1.—8. Hefte, VI. Bind, 1. Hefte und VII. Bind, 1. Hefte vorliegen, hat den löblichen Zweck, alle dänischen gemalten Porträts genau zu katalogisieren und zu beschreiben, damit sie nicht, wie mit so manchem alten ^amilienpoNrät schon geschehen, cinst zu gleichgültigen Aiiitionsgegenständen loerbeii, sondern sich an der Hand dieses sorgfältigen Kataloges möglichst leicht in Hinsicht der dargestellten Person und des Künstlers bestimmen lassen. Dies Riesenwerk, dem viele Nachbildungen in Heliogravüre und Holzschnitt beigegeben werden, hat von dem Königlich dänischen Kultusministerium und dem dänischen Reichstag ftördenmg und Unterstützung gesunden und es

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i(i iijiii in jeder Weise ein glückliches Gelingen zu wünschen, da es schr uii'l Jnlcresjaiileö bietet und sicher manches Porträt vor Vernachlässigung und Berschleudemng erretten wird. Von den bereits vorliegenden Bildern und Aussätzen seien hier folgende ausgeführt: 1. Christian IV. «ach dem bekannten Bilde von Karl von Mander in Heliogravüre sowie als Bruststück nach dein großen Reiterbild in Eutin und Oldenburg in Holzschnitt. (II, 1.—4. Rosenborg. Aast ganz Christian IV. und seiner Zeil gewidmet). II, 1.—4. VI. (Rosenborg.) •2. Graf Anton Günther mit seiner Gemahlin Sophie Katharine von Zchlesivig-Holstein-Sonderburg und wahrscheinlich Graf Anton I. von Aldenburg. Heliogravüre nach einem Olbildc von dem taub­ stummen Maler Wolsgang Heimbach (16G7). Ganze Figuren. Mit Text. II, 5.—8. (RosenborgV 3. Anton I. von Aldenburg, Heliogravüre nach de Baen 16ö4. Original im Besitz des Grafen Wilhelm von Bentinck aus Weldam. 4. Charlotte Amalie, Princesse de la XtemoVUc, Gräfin von Alden­ burg. Bnlstbild. Heliogravüre. Gras v. Bentinck. Anton I. und Anton II. von Aldenburg. Holzschnitt nach den Ölbildern im Waisenhans zu Barel. «». Charlotte Anteile de la Trömoillc. Holzschnitt nach einer Miniatur im Besip der Gräsi» Bentinck in Indio, Devonshire. 7. Deren Mutter, Emilie Princesse de Tarente geb. Prinzessin von Hessen-Kassel. Gras v. Bentinck. 8. Ailhelmine Marie. Gräsin v. Aldenburg geb. Prinzessin von Hessen-Homburg in Jugend und Alter. Graf v. Bentinck. fl. Gräfin Charlotte Sophie von Bentinck. Dieselbe. KinderPorträt. Holzschnitt. Gras v. Bentinck. Es ist noch hervorzuhehen, daß sich im II. Bd., 5 S. 294 auch noch ein kleiner, unklarer Holzschnitt findet, Anton Günther aus dein Kranich darstellend. Ten Schweis des Pferdes trägt hier ein Page. Ferner findet sich in II, 1.—4. die Nachbildung einer alten Karte von Dänemark aus der Zeit Christian IV. mit kleinen Ansichten von Oldenburg und Entin. Außerdem sind für uns die Porträts vieler dänischer Könige und Königinnen aus dem 17. und 18. Jahrhundert von Interesse, die sich meist in den dem Schlösse Rosenborg gewidmeten Heften finden, und es ist zu erwarten, daß das schöne Werk noch viele für die vldenburgische Landesgeschichte interessante Porträts bringen wird. Dr. Reinhard Mosen.'

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Aage Frlis, Andreas Peter BernstorlT og Ove Höegli («uldberg. Bidrag til den Guldbergske Tids Historie (1772—1780), Köbenhavn, Det nordiske Forlag. 1899. VIT, 287 Seiten.

Herzogliche Zeit bis zur Gegenwart (feit 1773). Staatsminister a. D. G. Jansen, Herder und Prinz Peter Friedrich Wilhelm von Holstein-Gottorp. Deutsche Revue, herausg. u. Richard Fleischer. 26. Jahrgang (1901) Novemberheft, S. 193—208. Deccmbcrhest. Der langjährige Minister des vechorbenen Großherzogs benutzt erfreulicherweise seine Muße, die er in Weimar verlebt, um seine Studien znr Heimatgeschichte, denen wir aus der Zeit seiner Amtsthätigkeit unter anderem das schöne Buch „Aus vergangenen Tagen" verdanken, mit Eifer wieder aufzunehmen, z. T. in Anknüpfung an seine älteren, zugleich den litterarische» und politischen Verhältnisse» zugewandten Arbeiten, z. T. aus dem reichen Schatze seiner persönlichen Erinnerungen, seines eigenen Anteils an mannigfachen großen Ereignissen des letzten Memckenalters schöpfend. So sind wir schon in dem vorliegenden Bande des Jahrbuchs in der Lage, einige Beiträge aus der Feder J.'s zu veröffentlichen und werden ihm auch in dieser landesgeschichtlichen Übersicht an verschiedenen Stellen begegnen. Der obige Aufsatz ist bestimmt, eine Reihe (7) bisher unbekannter Originalbriese Herders an den Prinzen Peter Friedrich Wilhelm, den einzigen Sohn des ersten .Herzogs Friedrich August, dein er von Mörz bis Oktober 1770 vorübergehend als Jnsonnator und Reiseprediger bei­ gegeben war, bekanntzugeben; die Briese sind aus dem Nachlaß des Prinzen an den oldenburgischen Justizrat I. K. Georg, einen entfernten Ver­ wandten Herders, gelangt und befinden sich »och im Besitz von dessen in Oldenburg lebenden Nachkommen. I. hat dem Abdruck der Briefe, von dem mir z. Z. nur die erste Hälfte vorliegt, eine kurze Skizze des traurigen Lebens vorausgeschickt und insbesondere die bekannten Ereignisse aus­ führlicher behandelt, die während der Brautreise des Prinzen nach Darmstadt 1774/5 zur Lösung der Verlobung, zur Enthüllung seiner Vorliebe für die katholische Kirche und im weiteren Verlans 1777 zu seiner Ausschließung von der Regiernngsnachsolge führte: das ganze ein psychologisches oder schon mehr pathologisches Probien«, das mit tiefen: Mitleiden erfüllt. Anscheinend ging die äußerst dürftige geistige Ver­ anlagung der Prinzen auf körperliche Abnormitäten zurück. Tic Briefe Herders setzen im November 1771 ein und reichen bis in das Jahr 1773, brechen also noch vor dem Tannstädter Skandal ab; sie zeigen, daß Herder auch nach der Lösung feines näheren Verhältnisses zum

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Prinzen doch eine gewisse Stellung in dem Vertrauen und in der Neigung bes nach AnHall iiiib Aussprache sich sehnenden Jünglings behauptet Hat. Schon der erste ber Briese greif! die Frage ans, die bereits damals die schivachen Geisteskräfte des Prinzen irritirte, bie innerliche Auseinander­ setzung mit ber katholischen Milche, mit ber Reformation und der Person lichkeit LutherS. Indern Herder ihn von biesen Wegen abzubringen, aus seinen schlössen Traumziistäiiben zu einer festen und regelmäßigen Be­ schäftigung zu führen sucht, findet er Worte, deren herzlicher Ernst und beredter Eifer dein Briefschrciber ein vortreffliches Zeugnis ausstellt. Und auch' in das Innere seines Zöglings blicken wir hinein: „Aber nun, gnäbiger Herr, lassen Sie uns noch etwas näher auf den buufleit Grund bei" Seele kommen, ans dem das Alles quillt. Sie wissen vielleicht noch, wie manche halbe Tage ich vor Ihnen, wie ein Maler vor seinem Bilde, gesessen, um Ihnen aus dem grossen, dunkeln Abgrunde in Ihnen Hie und da Einen Zug zu erhaschen, und wie oft ich endlich nach solcher schweren, dunkeln Äußerung verwundert ausgerufen: „sonderbare Seele".

H. 0. Albert Pick, Aus der Zeit der Not 1806 bis 1815. Schilderungen zur Preußischen Geschichte aus dem brieflichen Nachlasse des FeldMarschalls Neidhardt von Ohl eisen au. Berlin, E. S. Mittler & Sohn. 1900, XVIII, 390 Seiten. Diese Veröffentlichung ist hier zu nennen wegen der darin besprochenen Versuche des .Herzogs Peter Friedrich Ludwig von Oldenburg, Gneisenati zum Eintritt in die unter der Leitung des Herzogs gebildete russisch-deutsche Legion zu gewinnen. Zwei Schreiben des Herzogs an Gneisen cm vom 7./19. Dezember 1812 und vom 22. Februar 1813 sind S. 225 f., 220 s. abgedruckt und dienen dazu, unsere bisher wesentlich ans das Buch von V. o. Qinstorp, Die Kaiserlich Russisch - Deutsche Legion (Berlin 1860) gegründete Kenntnis dieser Dinge zn ergänzen. H. 0. G. Jansen, Lldenbnrger Beziehungen des Grafen Reinhard. zeitung, Nr. 19607/8 (1901 Juni 15/6).

Weser-

Der iviirtteinbergische Pfarrerssohii, der eS zum Diplomaten der französischen Republik, des napoleonischen Empire, der Restauration und schließlich «och des Julikönigtums brachte, ist bei zwei zeitlich weit auseinanderliegenben Gelegenheiten in Berührung mit Oldenburg getreten. Der erste Besuch in Oldenburg sand im September 1796, während R. französischer Gesandter in Hamburg war, statt, in der Absicht, den Oldenburger litterarischen Kreis und insbesondere G. A. v. Halen, persönlich lernten zu lernen. Zu dieser letzteren Begegnung kam es damals nicht doch erwuchs daraus ein höflicher Briefwechsel der beiden Männer, aus dem hier einiges abgedruckt ivird: R. versuchte Halems „Blüten ans Jahrb. f. Oldenb. »esch, X. H

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Trümmern" in das französische zu übersehen. Ter zweite Besuch galt im Jahre 1837, kurz vor R.'S Tode, einem wiirilembergischen Landsmann, Günther Heinrich von Berg (1765—1843), der als Gvtlinger Professor und Reichsjurist 181.") in die Dienste des Herzogs Peter von Oldenburg getreten war. Bnndestagsgesandter in Frankfurt (aus dieser Zeit des ZusaminenarbeilenS datierten die Beziehungen zu R.) und danach Staats­ und Kabinettsininister wurde: in die Erzählung dieses zweiten Besuchs vermag Bs., ein Enkel v. Bergs, bereits Erinncnmgen seiner Knabenzeil zn venveben. H. 0.

Emil Pleitner, Oldenburg im neunzehnten Jahrhundert. Zweiter Land. Bon 1848—11)00. Oldenburg, B. Schars. 1 1)00. XX, 360 Seiten. Im allgemeinen kann ich nach der Lektüre des zweiten Bandes von PI.'s Buch das über den ersten Band an dieser Stelle (Jahrb. 9, 171 bis 174) abgegebene Urteil nur wiederholen, sowohl die Anerkennung des auf die Zusammenstellung verwandten Eifers, als auch die Bedenken, die ich schon damals gegen die Arbeitsweise des Bf. äußern mußte. Allerdings scheint mir der zweite Band die Bedenken noch in höherem Maße zu rechtfertigen als der erste. Das liegt zunächst schon an der erheblich größere» Schwierigkeit, die Geschichte des letzte» halben Jahr­ hunderts in ihrem tiefem Gehalte und in der Vielfältigkeit ihrer uns heute noch so nahen Bestrebungen mit kräftiger Bemeiftennig des Stoffes darzustellen: die Quellen sind sehr ungleichartig, bald lückenhaft, bald durch die Maffenhaftigkeit des Stoffes erdnickend, sie stellen immer größere Anfordennig an ein sicheres Augenmaß in der Beurteilung; es mangelt dem Kompilator für die letzten Jahr-zchntc immer mehr die Leitung durch gesicherte und urteilsfähige Vorarbeiten; die immer intimere Verflechtung der heimische» Dinge mit de» allgemeinen Angelegenheiten des deutsche» Vaterlandes setzt in steigendem Maße eine Erweiterung des historisch politischen Horizontes voraus, um das, was sich unseren Augen als „Lvkalgeschichtc" darstellt, verständlich z» machen. Auch eine größere lind gereiftere (iOpacität würbe diese Schwierigkeit empfunden habe». Sieht man auf die ernste Mühe. die auf die Arbeit venvaudt ist, so fällt es einem ja schwer, in der Hauptsache ein vom wissenschaftlichen Standpunkt ablehnendes Urteil über die Leistung PI.'s auszusprechen; gerade im Interesse des Bf. hätte man wünschen mögen, daß dieses fleißige Bemühen mit einer richtigeren Einsicht in die Anforderungen, welche die Aufgabe an die Fähigkeiten des Autors stellte, gepaart gewesen wäre; es wäre ihm bann der Vorwurf erspart geblieben. verfrüht sich an ein zu schweres ?Heina gewagt unb aus den Erzählungen, bis im Zeilnngs feniUeton ihre gute Stelle hatten, ein unausgeraftes Buch gemacht zu haben.

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Es wäre eine seine »nd lockende Ausgabe gewesen, die immer intensivere Beeinflussung der heimischen Entwicklung durch den großen Gang der gemeindeutschen Geschicke und zugleich die Wechselwirkung, in der die Tendenzen des kleinen Kreises ihre» bescheidenen Einschlag in die vater ländische Arbeit weben, im Zusammenhange aufzuzeigen. Wie sich das in der Entwicklung der Dynastie und insbesondere im Leben des Groß Herzogs Peter darstellt, habe ich selber unlängst zu begreifen gesucht; in dem Buche PI.'s, zumal im zweiten Bande, musste das auf allen Ge­ bieten des Lebens, vom politischen ausgehend, dann aus das wirtschaftliche und das geistige überspringend, aufgezeigt werde». Und das erforderte ein tieferes Einbringen in die deutsche Geschichte. als sie PI. als Bor arbeit seines Buches für nötig geHallen hat. Das zeigt sich schon am Anfang dieses Bandes, in der — hinsichtlich der herangezogenen Quellen wie der Gesamtauffassung — unzureichenden Geschichte der Revolution in Oldenburg. Diese Arbeit ließ sich nicht auf die Lektüre der damaligen Tageszeitungen. vereinzelter Druckschriften und einige ad hoc unternommene Orientierung über die allgemeinen Dinge begründen. In dem so obenhin gesehenen Bilde kommen weder die politischen, wirtschaftlichen und socialen Unterströmungen im Lande, welche die Revolution trugen, noch die be­ sondere Haltung der einzelnen historischen Landschaften des GroßHerzogtnmS (wie interessant ist die Beobachtung, daß — gerade wie in den uapoleonischen Staatengründungen des Südens und Westens — auch in Olden­ burg die neuerworbeuen Territorien, Barel und Jever, im Radikalismus vorangehen), noch schließlich die Verbindung, die starke innere Abhängigkeit von der deutschen Bewegung zum genügenden Ausdruck. Ich sehe von einzelnen Mißgriffen ab; etiva daß von den drei Fraktionen der Linken im Frankfurter Parlament gesagt wird, sie hätten eine gewaltsame sociale (!) Umwälzung in ganz Europa (!) erstrebt (S. 45), ober daß von einem Abgeordnete» Meserip gesprochn« wird, wo der Abgeordnete Kerst aus Meserip in Posen zu verstehen ist; die Hauptsache ist. daß das eigentliche Problem der Revolution, wie eS für Oldenburg im Innern, sowie für fein Verhältnis zum Reich und für die Gestaltung des Reiches selbe» bestand, an keiner Stelle ernsthaft angefaßt wird. Es ist PI. ja un­ benommen, das unitarische Bersassnngsprogramm der Sieben« Jloui Mission kurzweg als „ebenso berechtigt wie gemäßigt" zu bezeichnen (S. 35), aber man darf doch verlangen, daß er für sein Thema sich auch mit de» Konsequenzen dieses Programms für Oldenburg beschäftigt hätte. Aber bei feiner Neigung, vorwiegend den äußerlichen Gang der Dinge mit allerhand begleitendem Detail (bis aus die Logis der Landtags abgeordneten in der Stadt) zu erzählen, erfahren wir kaum, was diese» Lorgängen an treibenden Kräften zu Grunde lag. Bas bestimmt bie politische Haltung des oldenburgischen Staates in der Revolution? Wo liegen inmitten der deutschen Reichs- und Territorialpolitik die Lebens11*

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Interessen, von denen er seine Richtung empfing? Welche Faktoren enl scheiden über die (von PI. sehr oberflächlich behandelte) Gestaltung der Verfassung? Welche socialen Gruppen des Landes fordern in dein allge­ meinen Umsturz Auteil an der politischen Gewalt oder luiitsätaflliche Fürsorge? TaS sind Fragen, die doch vor alle» Dingen erörtert werden »lichten. Stall dessen hat man andauernd die Empfindung, das, der Gedankenkreis des Pf. sich i» steter Abhängigkeit von dem Zufall be­ findet , der ihm bald ausführliche Quelle» in die Hand gab und sie ihm bald versagte; die Sprengung des Stuttgarter Rumpfparlamentes hat gar kein Anrecht darauf, ausführlich erzählt zu werden, nur weil PI. darüber der Brief eines oldenbnrgische» Berichterstatters vorlag. Von dem Eintritt Oldenburgs in de» preußischen Zollverein aber, von seiner Vorgeschichte und seinen wirtschaftlichen Folgen, hören »vir nichts; soviel ich finde, haben nicht einmal die vier (!) dürftige» Zeilen, in denen i» Bd. 1 (5. 380) über den Stciicrvereiii gesprochen wurde, in diesem Baude ein Gegenstück erhalten. Wirkliche Ökonomie nud sichere Disposition eines BiicheS ergeben sich eben mir aus der geistigen Durchdringung des Stosses: hier lassen sie beide zu wünsche» übrig. Selbst wer heimischen „Dichtern" gegenüber sehr weitherzig ist, wird die Verewigung solcher Machwerke ivie etwa der „eines ungenannten Delmenhorster Dichters" (S. 257) für überflüssig im Rahmen der sonst dankenswerten litterarischen Überfichten halten. Der .Historiker mich gerade nach diesem zweiten Bande damit schlichen, da» sich wenig aus dem Buche lernen läßt, wenn man daraus mehr mache» niöchte als ein mit mannigfachem Material und den verschiedensten Lesesrüchteu angefülltes Lesebuch, das gelegentlich auch wegen feines vielfaltigen stofflichen Inhalts, zumal in den mit hingebender Sorgfalt zusammengestellten Persmialnotizen, mit Nutzen nachgeschlagen werden mag; und ich bezweifle doch, ob der Vf. seine Absichten ursprünglich nicht höher gerichtet hatte. Aber auch bei Festhalttmg dieses bescheidenen Zieles liesse sich noch manches für das Buch thun, wenn dem Vf. die im Vorwort von ihm erwähnte „günstige Aufnahme" Gelegenheit zu einer Neu­ bearbeitung geben sollte; auch die Beschaffenheit des Druckes würde dahin gehören. H. 0. G. Jansen, Königin Amalie von Griechenland, geborene Herzogin von Oldenburg. Altoldenbnrgcr Erinnerungen. Weserzeitung Nr. 19702/3, 19705, 19712/3. 1901 September 18/9, 21, 28/9. Ein sehr ansprechendes und inhaltreiches Feuilleton, von persönlichen Erinnerungen des Vf. durchwoben, der schon als sechsjähriger stuabe au der Vennähliingöfeier der Königin (1837) teilnehmen durfte und später als Kabinettssekretär des Großherzogs in den Jahren 1868/9 die finan­ zielle Auseinandersetzung der verwitweten Königin mit dein griechischen

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und bainscheu Hofe ZU betreiben hatte. Das tragische Schicksal der schönen und stolzen Frau steigt in dieser anmutigen Plauderei wieber aus: bie glückverheißende» Ansänge in beut halbbarbarischen Laube. in dem das Unumgänglichste erst mühevoll für bas Herrschelpaar geschaffen werden mußte, dann die allmähliche Wendling seit den Unruhen von 1843, bie Griinbe, ans benen bas hellenisch bairische Königtnm wieder zusammenbrach, bis v-i zu dem Putsch vom Oktober 18(52 kam. In der Katastrophe hatte bie Königin, im Gegensap zu ihrem Gemahl, ihre stolze unb mutige Haltung bewahrt; innerlich kennte sich ihre Willenskraft nicht so bald mit der Resignation abfinden, mit der sie in dein Exil zu Bamberg auf die gescheiterten Hoffnungen einer glänzenden Jugend zurückblicken mußte. H. O. Briefe aus Rom und Athen (1850 — Ol) von Freiherrn Reinhard v. Dalwigk zu Lichtenfels. Herausgegeben von feiner Tochter. Oldenburg und Leipzig. Schulze'fche Hofbuchhaudlnug und Hofbiichvriickerei, A. Schwartz. VIII, 132 Seiten. Die vorliegende Sammlung von Briefen, die Freiherr Reinhard v. Dalwigk als Reisebegleiter des ErbgroßhctzogS Peter aus Italien und Griechenland von Ende November 1850 bis Juni 1851 schrieb, ist in besonberent Sinne als ein letzter Nachruf für ben hochfeligen Groß, herzog zu bezeichnen und baruni mit gutem Rechte seinem Anbenfen gewidmet worden. Man hat bei bem Hingange deS GroßherzogS von allen Seilen bas hohe Maß von ffunftlennerfchaft unb Kunstsreube anerkannt, das seiner innersten Neigung bei vorschreiteudein Alter eine immer ausgesprochenere Richtung gab und ihn noch bis zuletzt fast alljährlich über bie Alpen in das Land seiner Liebe hinüberführte: biese Reifebriefe aber stammen eben aus dem entscheidenden Jahre dieser geistigen Entwickelung. Auf dieser ersten Reise »ach dem Süden hat der dreiundzivanzigjährige Prinz den Grund zu dem gelegt, was seinem Leben später einen reichen Inhalt und eine wahrhafte Befriedigung gab. Der Schreiber ber Briefe. Freiherr Reinharb v. Dalwigk, ist neben dem Oberkammerherrn v. Alten einschieben berjenige gewesen, ber in der Umgebung bes Hofes bieten Neigungen bes Großherzogs am nächsten staub, ein Mann von feinem Geschmack unb griinblichcr Bilbung, von vielseitigen künstlerischen Interessen unb Fähigkeiten; 1818 geboren, ist er nach bieser Reise 1851 in ben Hofdienst getreten, zuerst als ftommerherr unb Schloßhauptmann, dann als Ches der Hoskapelle und besonders von 1868 bis 1893 als Intendant des Großherzoglichen Theaters (in dieser Stellung ist er 1881 auch litterarisch mit der „Chronik des alten Theaters in Oldenburg von 1833—1881" hervorgetreten), bis er in hohem Alter sein Amt niederlegte unb in seiner hessischen Heimat 1897, wenige Jahre vor seinen, Herrn, starb.

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Seine Briese würden schon an sich eine anziehende Lektüre bilden, sie gewinnen für ein oldenburgisches Lesepublikum naturgemäß eine be­ sondere Anziehungskraft, obwohl die Persönlichkeit des Prinzen selten unmittelbar und ausdrücklich in ihnen hervortritt, was wohl mit der Diskretion des Briefschreibers oder nachher geübten Rücksichten zu­ sammenhängt. Die Reise fehl in einem kritischen Moment der deutschen Geschichte ein. Kurz zuvor, im September 1850, hatte der Erbgroßherzog die Ablehnung der ihm — für den vorauszusehenden Fall des Ausslerbens der dänischen Königslinie — angetragenen Thronfolge im dänischen Gesamtstaat ausgesprochen oder vielmehr die Annahme an Bedingungen geknüpft, die einer Ablehnung gleichkamen: nun mochte beim Antritt der Reise als Nebenabsicht mitspielen, das, der junge Fürst eine zeitlang aus dem Bereiche dieser gescheiterten politischen Kombinationen sich entsenile. (So hängen die Dinge wenigstens chronologisch zusammen. In dem bekannten Nachruf der Weserzeituiia, der auch iii das Jahrbuch Bd. IX übernommen ist, sind die Vorgänge der dänischen Thronkandidatur irrtümlicherweise zeitlich nach der ilalienisch-griechischen Reise verlegt worden.) Gerade als die Reifenden ausbrachen, schienen die deutschen Dinge einer kriegerischen Entscheidung entgegenzutreiben, da die preußische Unionspolilik, in deren Lager auch der alte Großherzog standhaft ausharrte, Österreich zu den ernstesten militärischen Drohungen veranlaßte; so heißt es gleich im ersten Briese (Ende November): „In Nördlingen machte der Anblick österreichischer TiUppen einen traurigen Eindruck: sog. deutsche Bundestruppen, die ungarisch, italienisch oder irgend ein Kauderwelsch sprachen". Ganz gelegentlich dringt auch noch in spätern Briefen ein ernsterer Ton aus dem düstern politischen Hintergründe des Vaterlandes durch, so noch im März 1851 (aus Athen): „Unser Großherzog schrieb neulich einen herrlichen Brief an den Prinzen, er sei zu jedem Opfer bereit, sobald die Opser gleich seien und sobald sie die Einigung Deutschlands zum Zweck und zur Folge Ijöttcn"; in der Hauptsache aber sind die Sorgen der deutschen Gegenwart den Reisenden auf dkm klassischen Boden des Südens weit abgerückt. Für den künstlerischen Genuß lag der ergiebigste Teil der Reise in Italien: er nimmt in den Briefen den größten Raum (S. 3—75) ein. Und von Italien fällt wiederum die längste Zeit, sieben Wochen, und der reichste Ertrag auf Rom; von ben Städten, die der Großherzog später bevorzugte, ist Venedig gar nicht berührt worden und Florenz nur in einem Aufenthalt von wenigen Tagen. Es liegt uns fern, den Briefen einen bestimmten Platz in der überreichen Jtalien-Reifelitteratur anzuweisen, uuisoiuehr als sie von Hnud aus keinen litterarischen Allfpruch erheben >md ohne derartige Nebengedanken geschrieben worden sind; man bemerkt nichts von dem Störenden, das häufig mit solchen

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Absichten verbunden ist, von der Sucht, etwas Neues und Besonderes zu sagen oder geisi reich Anempsuudenes iu gespreizter Art vor sich beantragen. Die Briese geben in schlichter Form die Eindrücke des Tages wieder, sie geben nirgends besonders in die Tiefe, aber sie ver­ raten feine Gaben eines offenen Auges und einer ausdrucksvollen Schilderung, eines Sinnes für Schönheit, der dem Genossenen doch auch in Worten gerecht zu werden versteht, einer Vielseitigkeit lebendigen Interesses, das durch ernsthafte Studien sich zu bereichern sucht. ES ist natürlich, baß die Reisenden schon infolge ihres Standes die günstigste Gelegenheit ballen, ihre Zeit zu nutzen. Kein Gebiet des Lebens wird vernachlässigt; Papst Pius IX. erteilt dem jungen Fürsten mehrfache Audienzen; viele interessante Persönlichkeiten aus der römischen Gesellschast (z. B. der -spätere Kardinal Prinz Gustav Hohenlohe S. 30 s. •r>5), aus ber Kiinstlerwelt, aus der Fremdenkolonie, unter ber die Engländer noch gewaltig dominieren, werden aufgesucht. Die meiste Seit wird dem Kunstgenuß gewidmet, der Kunst des Altertums und ber Renaissance, dem Besuch ber Paläste unb der Galerien, der Kirchen und der Pracht des katholischen Kultus (@. 62: „Der Prinz hat Heute einen großen Kauf von Rosenkränzen gemacht, die ihm der Papst dann eingesegnet und mit Gebrauchsanweisung ,zugesendet Hat; wir stehen sehr in Gnaden, da wir bei allen Kirchenfesten zu finden find"), schließlich der Ateliers der lebenden Künstler, in denen besonders der oldenburgische Landschaftsmaler Ernst Willers den Führer macht; zwischendurch gehen Ausflüge in die Campagna, in das Albanergebirge, Einblicke in das Volksleben, Besuche der Theater unb geistlichen Konzerte, in denen D. die Entrüstung der meisten Jtalienreisenden über die namenlos schlechte Musik nicht unterdrückt. Am 13. Februar 1801 brachen die Reisenden von Rom aus unb fuhren nach wenigen Tagen von Ancona zu Schiff nach Athen zum Besuch der älteren Stiefschwester des ErbgrvßherzogS, der Königin Amalie von Griechenland. Dieser zweite Teil der Reise trägt einen etwas anderen Charakter als der erste. Zwar nehmen Natur und Kunst noch einen breiten Raum in der zweiten Hälfte der Briefe (S. 76—126) ein, aber sie stehen doch nicht mehr so ausschließlich im Mittelpunkt. Die Reifenden können nicht mehr die genießende Freiheit des Privatmannes fortsetzen, saubern sind durch das gebundene Leben des Hofes in ihrer Bewegung beschränkt; oft zu D.'s stillem Kummer, ber manchmal lieber sich mit feinem Skizzenbuch auf der Akropolis niedergelassen hätte. Dafür erhält der Leser aus diesen Briefen den lebendigsten Einblick in die Verhältnisse des griechischen Hofes. Vor allem die Persönlichkeit der Königin Amalie tritt in den Vordergrund, die Gemahlin des Wittelsbachers Otto, von der man mit Recht gesagt hat: „Sie war der König", wie sie thatsächlich für ihn während feiner

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Reisen nach Deutschland, auch in jenen Monaten, häufig die Regentschaft mit voller Energie geführt hat. Besonders auf den Ritten, in denen das halbwilde Land durchstreift wird, ist die junge Königin, die nach ihrer Aussage in ihrem bewegten Leben nie müde gewesen war, allen voran zu Pferde, mit einer unruhigen Lebhaftigkeit, die oft ihrer Um­ gebung das Leben nicht leicht macht; „alle Monat", sagte scherzend der preußische GeschKststiäger, „ging ein Pferd daraus, alle drei Monat ein Adjutant und alle sechs Monat eine Hofdame". Sv begleiten wir die Reisenden nach Ägina, Pichle, Kap Sunium, Nauplia, Argos, Mykenä, Korinth, durch ein Land, das nur die Trümmer der alte« unsterblichen Kultur ausweist und zugleich eine armselige Wildnis mit halbbarbarischen Verhältnissen darstellt, über die die nette Kultur nur wie der oberflächlichste Firnis hingestrichen ist. - Der Höhepunkt der Ausflüge ist Marathon, um D. selber reden zu lassen: „Es war ein einfaches aber ein großartiges Bild; auf bebuschten, schlössen Hügeln gruppiert die Reste von Beseitigungen und Tempeln, zwischen dunlclm Laubgrün Marmorblöcke, Architrave und Säulentambours; unmittelbar zu den Füßen das leise wallende Meer von einigen lateinischen Segeln belebt, und gegenüber die imposante Kontur der Insel Euböa von dem beschneiten Daphni im Norden bis zum Ochaberg im Süden Herunter; dazu der vom Meer ctivaS gekühlte südliche Lusthauch." Bon Athen aus wird ein lekter Abstecher nach Konstantinopel mit dem üblichen Besuche des Sultans unternommen. Gleich nach der Rückkehr, am 12. Jnni 1851, erhält der Prinz aus der Heimat die väterliche Einwilligung zu seiner Verlobung mit der Prinzessin Elisabeth von Altenburg: wegen dieses Ereignisses wird der geplante Besuch Sieiliens ausgegeben, die Rückreise ivird eilends angetreten und auch »vir müssen von dem liebenswürdigen und fein gebildeten Briefschreiber Abschied nehmen.

Hermann Oncken.

Unter Friedrich Wilhelm IV. Denkwürdigkeiten des Ministerpräsidenten Otto Frhrn. von Manteuffel. Herausgegeben von Heinrich von Poschinger. D r e i Bände. B e r l i n , E. S . M i t t l e r und Sohn. 1900/1. Aus dem reichen Inhalt dieser siir die Geschichte der preußischen Reaktionszeit hochwichtigen Publikation (vergl. meine Anzeige in den Forschungen zur Brandenburg-Preuß. Geschichte XIV, 2. S. 292—303) sei hier nur auf diejenigen Aktenstücke aufmerksam gemacht, die auf die Beziehungen zwischen Preußen und Oldenburg in dieser Periode, insbesondere aus die Vorgeschichte der Kriegshasengründung ein helleres Licht werfen. II. a. wird hier (Bd. 2 , 251 f.) der B r i e f d e s G r o ß Herzogs August an König Friedrich Wilhelm IV. vom

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2 . S e p t e m b e r 1 8 " > - j ( d . V i o l u ) , a n s d e m d i e i m J a h r b u c h B d . t» veröffentlichte Geschichte des KriegShafcnvcrlrageS von Geheimrat Erd­ mann bereits einzelne (6. 15) mitgeteilt hat. zum ersten Mal vollständig bekannt gemocht; als Ergänzung jener Ausführungen mag er hier wiederholt werben. „(rm. Majestät haben mir in diesen Tagen durch einen Abgeoiducten Anträge machen lasse», welche sich ans Erwerbung eines Terrain» zur Begründung einer Flollenslation beziehen. An denselben kiiiipst jid| ein Plau thu. Majestät, den Bentinckschen Prozesi, dessen Schlichtung schon so lange vergeblich erstrebt ist, endlich. in einer befriedigenden Weise zu Ende zu blingen. Bereitivillig bin ich ans die Vorschläge eingegangen, und wenn auch der Abtretung von Hoheitsrechten im Herzen nie in cd Landes manche Bedenken entgegenstanden, so habe ich doch den Standpunkt festgehalten, welcher meine Politik Preußen, Ew. Majestät gegenüber stets geleitet hat. Tie feste Hoffnung, das; das, tua« riiefsichtlich der Entwickelung der maritimen Bedeutung Teutschlands in jetziger Zeit nicht erreicht werden konnte, durch Ew. Majestät in der Zukunft angestrebt werden wird, hat meinen Enlschlusi wesentlich erleichtert. Die Mniineftotioii in der Nordsee wird den Ausgangspunkt bilden, um das sich Größeres schart. Ew. Majestät werben in dem vertrauensvollen Eingehen aus die mir gemachten Vorschläge nur eine Konsequenz der Überzeugung finde», welche ich so oft Höchstdenselben gegenüber ausgesprochen habe. Das neue Band, welches zwischen Preußen und Oldenburg geknüpft werben soll, wird, das hoffe ich, zum Segen beider Länder gereichen, es ivird das Wohl Deutschlands fördern und dadurch das Opfer rechtfertigen, was ich wenigstens in den Augen mancher meiner (Mitsürftm ?) zu bringen mich bereit erklärt habe. Es ist mir ein Bedürfnis gewesen, mich in dieser so wichtigen Angelegenheit gegen Ew> Majestät selbst auszusprechen unb auch bei dieser Gelegenheit Höchstihnen bie Gesinnungen laut werden zu lassen, die mich bewogen, aus diesen Wunsch Preußens einzugehen und dadurch die Gesinnungen von Neuem zu bestätigen, die mich gegen Ew. Majestät beleben und mit denen ich die Ehre habe zu verharren Ew. Majestät ganz dienstwilligster treuer Bruder und Vetter A u g u st." H. 0. Denkwürdigkeiten des Preußischen Generals der Infanterie Eduard von Franfecky. Herausgegeben und nach a n d e r e n M i t t e i l u n g e n und Quelle« ergänzt von Walter von Bremen, Oberstleulnant z. D. Bielefeld und Leipzig, Velhag cn und Klasing 1901.

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Berichtet S. 265—272 über die vldenburgische Dienstzeit de« Generalmajors von Fransecky, bei- im März 1860 aus besonderen Wunsch des Großherzogs Peter aus dein preußischen Dienst ausschied, um an die Spitze des oldcnbnrgischcil Kontingents zu treten und es nach preußischem Vorbilde zu reorganisieren. G. Jansen, Versailler Erinnerungen aus dem Kriegswiuter 1870/71. Deutsche ih'cuitc, herausgegeben von Richard Fleischer. J a h r g . 1901. A p r i l liest. Der Vers., der den Großherzvg Peler während des Krieges als Kabinettssekretär, zugleich zur Vermittlung des Verkehrs mit den, Ministerium in Oldenburg begleileie, flieht in der Hauptsache persönliche Erinnerungen an das äußere Bild des Bersailler Lebens, unter Ver­ zicht aus die häufig dargestellten politische» Verhandlungen, in farben­ reichen Zügen wieder. Er betont mit Recht den Wert, den diese An von permanentem Fürstenkongreß während des Versailler Winters mit seinen steten, unter anderen Verhältnissen unmöglichen Berührungen der Souveräne und deren dadurch erleichterten persönlichen Anknüpfungen auch für die Geschälte hatte, und erzählt ausführlicher von dein Anteil des GroßHerzogs an diesem Zusammensein. Hinsichtlich der politischen Haltung des Großherzogs seien hier die Sätze wiederholt: „Der Großherzog war schon zur Zeit der Verhandlungen über den Entwurf der Verfassung des Norddeutschen Bundes für die Kaifcridcc eingetreten, von der Annahme geleitet, daß den bis dahin souveränen Fürsten die Unterordnung unter einen Kaiser, an die Überlieferungen deS allen deutschen Reiches anknüpfend, leichler fallen und von ihnen als naturgemäßer werde empfunden werden als unter ein blutloses BundeSpräsidiuin: allein damals erwies sich aus naheliegenden Gründen die Frage als noch nicht reif. Nach de» entscheidenden deutscht» Ersolgen im Kriege gegen Frankreich drängte sich alsdann im Hinblick aus die künstige politische Gestaltung Deutschlands die Kaisersrage wiederum aus und ward in den Kreisen der deutschen Fürsten von neuem erörtert: der Großherzog von Oldenburg entsendete im September von der Belagcrungsarnice vo; Metz aus einen Vertrauensmann in das Hauptquartier des Großherzogs von Baden in Lampertheim vor Straßburg, um wegen der in dieser Richtung zu unternehmenden Schritte Fühlung zu gewinnen." 11. 0.

Kirchen- und Schulwesen. Auö der Geschichte der Gemeinde Goldenstedt. Oldenburgisches K i r c h e n b l a t t . J a h r g a n g > 9 0 1 . N r . 7 , 8 , 1 0 . ( @ . 3 9 f . , 4 3 — I G , 5 5f . ) Enthält den vollständig bisher noch nicht gedruckten Bericht des

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Superintendenten Schorcht in Wildeshausen an bad Herzogliche Konsistorium in Oldenburg vom -8. Oktober 1805 über die Geschichte uiib Entwicklung des SiiuultaneumS in Goldenstedt. R. Vikar Klostermauu, Das St. Maricnhospital in Vechta. Oldcndurgischc Volkszcitn n g (iit Vechta). Jahrgang 11)01. Nr. 117—121. Geschichte be-J 18.01 gegründeten Krankenhauses, das am 7. November 1901 sein fünfzigjähriges Jubiläum feierte. Es war das erste Krankenhaus im oldenburgifcheu Miinfterlande, während es jetzt dort deren 8 giebt, außer in Vechta in Dinklage (1852), Lohne (1856), Damme (1861), Cloppenburg (186:1), Lüllingen (1861), Friesoythe (1867) und Essen (1896). W. Sammlung her Gesetze, Verordnungen, Vekanutmachungcu ?e., welche das eoangclischc Volksschulwefe» des Herzogtums Oldenburg betreffe». H e r a u s g e g e b e n vtfit Friedrich L a h r ß e n , H a u p t l e h re r a . T . Fünfte verbesserte und vermehrte, bis auf die Jeytzeit fortgeführte Auflage. Oldenburg, Gerhard S t a l l i n g , 190 1. •130 S e i t e n . Preis 10 Mark. (Subskriptionspreis bis 1 . J a n u a r 1 90 2 : 8 , 5 0 M a r k . )

Volkswirtschaft. Mitteilungen über die Oldenburgische Pferdezucht. Im Auftrage des Vorstandes der Landwirtschastskammcr verfaßt von Fr. Cetfen, Generalsekretär. Oldenburg, 1901. Diese im Austrage des Vorstandes der LandwirlschaflSlainmer von dessen rührigem Generalsekretär verfaßten Mitteilungen über die oldenburgische Pferdezucht enthalten in übersichtlicher Form atle-i, ma-j der Fremde braucht, um sich über unser Pferd und seine ZuchlverhSltnisse zu orientieren. Die eiste derartige Darstellung hat, wenn wir uns recht erinnern, der verstorbene Geh. OberregicrungSra t Hofmeister für die erste Hamburger Ausstellung versaßt. Hofmeister war seiner Zeit der beste Kenner unserer Pferdezucht und hat, als er bereits in den Ruhestand getreten war, nach sorgfältigen Studien die Geschichte derselben geschrieben. Auch Oelkeu wirst einen Blick auf die Entwickelung dieses EnverbszweigcS, seitdem zuerst Anton Günther den im Lande vorherrschenden alten friesischen Schlag durch Einfuhr fremden ausgezeichneten Blutes verbessert hatte. Im Jahre 1819 beginnt nach langem Verfalle wieder die staatliche Einwirkung durch die Einführung des KörungszwangeS für Hengste und bestimmter Prämien für dieselben und die ©tuten. Diese Grundlage hat sich bewährt und dein Laude besser genutzt, als wenn cd sich damals wie

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andere ©tonten der kostspieligen Einrichtung eines LandcsgestütcS zugewandt hätte. Alle diese nach und nndi ergangenen Bestimmungen wurden durch das Landesgesetz vom IP. Aiignsl 1861 codificiert, dem nunmehr dasjenige vom 9. April 1807 gefolgt ist, welches die staat­ lichen Maßnahmen erweitert und verschärft und mehrfach in die Freiheit der Züchter recht lief eingegriffen hat. In der Weiterentwicklung des durch dieses Gesetz geschaffenen Zustandes sind wir augenblicklich begriffen. Oelsen giebt eine recht anschauliche Darstellung von der Aufzucht der jungen Hengste und Stuten inmitten der bäuerlichen Wirtschaft und verweilt dann unter Beigabe reichlichen statistischen Materials bei den Erfolgen, die unsere zu einer Hochzucht ausgestiegene Pferdchaltuiig auf den landwirtschaftlichen Ausstellungen und nicht zun, »lindesten aus der Weltausstellung zu Paris errungen hal. Für diejenigen, die sich mit diesem wichtigen Zweige der oldenburgischeu Laudwirtschast näher beschäftigen wollen, fjnd die Oetkcn'fchcn Mit­ teilungen unentbehrlich. Ii. Das Oldenburger Wcscrmarschrind, im Austrage des Vorstandes des Oldenburg er Wcfermarsch-Herdbnchsvcrcius verfaßt von Th. I. Tantzen Heering. 1901. Wie die Oetken'fche Schrift von der Pferdezucht, so beabsichtigt die vorliegende kleine, mit Bildern und Karten recht gut ausgestaltete Broschüre ein Bild von der Nindviehzuchl zu entwerfen, wie sie sich aus den üppige» Wcidcdislriklcii des oldnib. Wefermarsch-Herdbuchsvercins entwickelt bat. Wirtschasllich übertrifft die Bedeutung der Rindviehzucht in unserem Lande weit diejenige der Pferdezucht, die mehr Sache der Liebhaberei des Einzelnen und spezieller Kenntnisse ist. Dies war auch schon zu Zeilen Anton Günthers so, obgleich ja der historische Hins desselben an jene übermäßige, die Kräfte seines Ländchens erheblich übersteigende Gestüthaltung geluüpst ist. Die Tantzen'fche Schrift wird eingeleitet durch eine vorzügliche Schilderung der WirlschastsVerhältnisse in de» Marschen des linken WesernserS. Hier bildet die Biebzncht die Haupteriveibsquelle, über 75 °/„ sämtlicher zum Verkauf gelangender Produkte stammen aus der Viehzucht, zu deren sorgfältiger Pflege gerade der Umstand beiträgt, daß die Landwirtschaft treibende Bevölkerung sich zumeist aus Kleinbauern zusammensetzt. Die staatliche Einwirkung aus die Rindvieh;ucht begann erst 1862 mit Einführung der Stierkörnng, bei der zum erstenmale ein Zuchtziel sich durchbrach, das nunmehr der 1880 gegründete Wesermarsch-Herdbuchverein ausgegrifien und weiter entwickelt hat. Der Verein war der erste dieser Art im ganzen Norden Deutschlands. Ihm sind vor allen Dingen die letzten Erfolge aus de» großen Ausstellungen zu verdanken. Zu gleicher Zeit beginnt mit der Gründung der Sammelmolkereien ein

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»euer Abschnitt in dcr ganzen milchwirtschastlichen Produktion. Die Molkerei Rodenkirchen soll jetzt die größte Deutschlands sein. Durch eine sorgsältige Zuchtwahl hat man eS erreicht, daß der Knochenbau sich verfeinert hat und die schwarzbunte Farbe das charakteristische Kennzeichen geworden ist. Der durch den Weidegang hervorgerufene vortreffliche Gesundheitszustand hat dann schließlich noch weiter dazu beigetragen, den Ruf des Weseriuarschvieheö zu heben und zu verbreiten. B. G e h e i m e r R e g i e r n n g s r a t von Heimburg: Die Lileinliahu CloppenburgLindern, ausgeführt auf rein kommunaler Grundlage. Zeitung d e s Vereins Deutscher Eisenbahn-Verwaltungen. XI,. J a h r g a n g (1900) Kr. 81. 6 . 1219—1222. Statistische Beschreibung dcr Gemeinden des Fürstentums Lübeck. Im Auftrage des Großherzoglich oldenburgischcn StaatSministeri ii »iS bearbeitet und herausgegeben von Dr. Paul Kollmanu, Großh. oldbg. Geh. RegiernngSrat, Vorstand des Statistischen Bureans. Mit einer Karte. Oldenburg, Ad. Littmann. 1 9 0 1. VIII, 367 Seiten. DaS erst kurz vor Beendigung des Druckes des diesjährigen JahrbnchS ausgegebene Werk, das sich der 1897 erschienenen Statistischen Beschreibung des Herzogtums Oldenburg in gleicher Bchandluugsweise anschließt, wird im nächsten Bande des Jahrbuchs eingehend gewürdigt werden.

Vermischtes. B i b l i o t h c k - R e g i s t r a t o r B e r ge r , G e s c h i c h t e d e r G r o ß h e r z o g l i c h e n v f f e n t lichen Bibliothek zu Oldenburg s e i t i h r e r G r ü n d u n g u m d a s J a h r 1792 bis je tu (1900). Generalanzeiger f ü r Oldenburg und Ostfriesland. Jahrgang 1901. Nr. 16, 19, 22, 28, 33, 37, 44, 52, 60. Enthält eine BibliothekSgeschichte wesentlich nach der äußeren Seite hin: Zusammensetzung dcr Bücherbestände, Personalien der Bibliothekare und sonstigen Beamten. Unterbringung und Katalogisierung dcr Bücher, Geschichte des Bibliothcksgebändes, Bcnutzuugsordiiuiig u. dergl. Die wissenschaftliche Verwertung der Gemeinde- und Pfarrarchive von G(eorg) H(oltzinger). G e n e r a l a n z e i g e r f ü r O l d e n b u r g u n d Ostfriesland. Jahrgang 1901. Nr. 137. Erörtert neben dcr Frage der Kassation von Akte», welche dcr Aufbewahrung unwert erscheinen, auch den Gedanken der Verwertung der in den Pfarr- und Gcincindcarchiven des Landes beruhenden Archivalien

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f ü r die Heimatgeschichte, und erblickt i n dcr Verzeichnung beziv. A u s beulung dieser Bestände eine dankenswerte Erweiterung dcr Thäligkeil des oldenburgischen Lcindcsvcrcins für Altertumskunde und Landes geschichte. Tast für die Verzeichnung dcr kleinen Archive, die in einer ganzen Reihe dcntscher Staaten beziv. Provinzen gioBe Fortschritte gemacht und zu günstigen Erfolgen geführt hat, auch bei uns etwas geschehen i»usj, ist unbedingt anzuerkennen: die Notwendigkeit einer solchen Arbeit erhält durch den in diesem Bande veröffentlichten Aussap von D. Kohl über die neu aufgefundenen Urkunden im Nathans zu Oldenburg einen neuen Beleg. Für die lutherischen Psarrarchive des Landes sind vor einigen Jahren Anordnungen des Oberkirchenrates zur Verzeichnung und Konservierung dcr Akten und Urkunden erlassen worden; über dic Bestände der katholischen Psarrarchive orientiert wenigstens das sünfbändige Werk von K. Willoh. Ob dcr Verein allein bei seiner jetzigen losen Organisation zu dcr Ausgabe hinreichend geeignet erscheint, möchte ich allerdings bezweifeln: eine fachmännische Oberleitung und Anleitung nach einem einheitlichen Plane dürfte doch nicht zu entbehren sein und eine nur vom Haus- und Eentralarchive zu leistende Aufgabe darstellen. H. 0.

Heil Dir, o Oldenburg. Aufsätze und Gedichte zu einer würdigen Ausgestaltung der Feier von Großherzogs Geburtstag und zur Belebung des Unterrichts in der Heimats künde. Herausgegeben von Emil Pleitner. Gerhard Stalling, Oldenbürg 1901. 168 S e i t e n . P r e i s l,4G Mark. Das obige Werk des in dcr letzten Zeit mit der Sammlung von Oldenburgicis recht fleißig beschäftigt gewesenen Verfassers ist zunächst für die Zwecke der Schulen und Vereine berechnet, die in ihm ein reichliches Material zur angemessenen Ausstattung von Festakte» zu Großherzogs Geburtstag oder anderen Gedenktagen der Landesgeschichte finden. Der Zweck ist wahlberechtigt. Denn in der gemütlichen Anhänglichkeit an die engere Heimat wurzelt das Interesse an den, größeren Verbände, der die verschiedenen Glieder des Vaterlandes umschling». Als leichte anregende Lektüre mag das Büchlein nebenbei manchem willkommen sein. Dic mitgeteilten Poesien sind natürlich nicht überall von gleichem Werte. Neben den wiederhcrvorgeholten, mit Unrecht vergessenen Liedern Carl August Mayers, dcr aus dem heiteren Schwaben in das nebelige Oldenburg verschlagen wurde und mit gefälliger Anmut dic Zustände seiner neuen Heimat besang, neben größeren Kompositionen Julius Mosens finden sich manche Versisiziernngen geschichtlicher Ereignisse oder Sagen, bei denen man die patriotische Absicht siir dichterischen Gehalt hinnehmen muß. Die geschichtlichen

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Abhandlungen des Herausgebers sind »liilinasilich mit Absicht etwas knapp gehalten und könne» nicht immer dir vermittelten Verhältnisse, aus denen unser Staat emporwuchs, mit genügender Deutlichkeit erkläre». Das; 1803 das Fürstentum Lübeck als ein erbliches weitliches Lehn an Oldenburg gekommen |ci, wie die Zeittafel angiebt, ist nicht verständlich. Das; die Flut von 1825 im Herzogtum? 8 Quadrat­ meilen Landes überschwemmt habe, sann ich nicht anerkennen, obgleich sich diese Angabe bei Runde findet. B.

XI. Nachruf. Am 27. Dezember 1900 starb zu Cloppenburg der Vikar Gerhard Heinrich Becker. Geboren I8ß0, wurde er nach Absolvierung seiner theologischen Studien 1883 Deservitor der Kapelle zu Kol Horn (Gem. Essen), 1890 Primissar und Kooperator zu Goldenstedt und war seit 1899 Vikar in Cloppenburg, zugleich Lehrer au der dortigen, mit der höheren Bürgerschule verbundenen Ackerbauschule. Durch seine Stellung in der konfessionell gemischten Gemeinde Goldenstedt wurde er zur Beschäftigung mit der Lokalgeschichte geführt. Er veröffentlichte zuerst 1895 eine kurze Broschüre „Das ehemalige Simultanen»! in Goldenstedt" (Vechta, 53 ©.), der er 1897 einige Nachträge folgen liefe kurz vor seinem Tode faßte er seine ganzen Studien zusammen in einer „Geschichte Goldenstedts" (Cloppenburg, 1900, 239 S.. vergl. darüber die Anzeige ti. toillohs im Jahrbuch V, 16«—171), die durch das »«ehrsach neue Material und besonnenes Urteil beachtenswert ist.

Druckfehler Berichtigung. Auf dcr dem Aufsatze von O . Hagena, Jevcrland bis zum Jahre 1500 bcigrgrbcncii Karte ist am linken Rande (ivcstlid) von Middoge) zu verbessern: Altberdumersiel statt Altgarmssiel. I m J a h r b u c h B a n d i« i A n s s a p v o n D . K o h l ü b e r „ D a s s t a a t S rechtliche Verhältnis dcr Grasschast Oldenburg zum Reiche im ersten Drittel des HS. Jahrhunderts") ist zu verbessern: S. 107. Anm. 3. Lies: ..Schiphowcrs Bericht, s. Anm. 1." S. 110. Anm. 1. LieS: „S. 303;" Anm. 5. Lies: „Jahrbuch II,