Nur die Liebe lehrt uns glauben

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Author: Liane Ursler
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NUR DIE LIEBE LEHRT UNS GLAUBEN

Nur die Liebe lehrt uns glauben

EUGEN DREWERMANN

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Eugen Drewermann

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Eugen Drewermann

Nur die Liebe lehrt uns glauben Publik-Forum Streitschrift

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EUGEN DREWERMANN

NUR DIE LIEBE LEHRT UNS GLAUBEN

Eugen Drewermann

Nur die Liebe lehrt uns glauben Impressum Eugen Drewermann Nur die Liebe lehrt uns glauben

Vortrag auf dem Evangelischen Kirchentag 2011 in Dresden

(Tonbandabschrift der frei gehaltenen Rede)

Satz und Layout: Andreas Klinkert Druck und Bindung: Westermann Druck Zwickau GmbH Auflage: 1/2011 © November 2011 Publik-Forum Verlagsgesellschaft mbH Postfach 2010 61410 Oberursel

ISBN 978–3–88095–218–8 2

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Inhalt Teil I: Vortrag

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1. Warum Gott oder: Jenseits der Naturgesetze

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2. Jenseits der ethischen Gesetze oder: Wovon die Menschen leben 3. Soziale Folgerungen in politisch-ethischer Absicht

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4. Hoffnung auf Auferstehung oder: Die Grundlage von allem

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Teil II: Fragen des Publikums

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1. Naturwissenschaft und Religion

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2. Ethik und Religion

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3. Psychotherapie und Religion

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4. Jesus und die Philologie

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Teil I:

Vortrag Liebe Frau Bußmann, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihr Interesse daran, an einem Nachmittag während des Kirchentags zu überlegen, aus welchen Gründen wir glauben und was es in uns selber ändert, wie wir glauben. Diese Frage zu erörtern mit Menschen, die Frau Bußmann eben zu Recht vielleicht kirchenpolitisch als Randgruppenangehörige bezeichnet hat, geht insofern in Ordnung, als auch ohne große statistische Erhebungen jeder sehen kann, wie das offizielle Christentum dahinschmilzt gleich dem Schnee unter der Sonne. Es hat keinen Zweck oder wäre jedenfalls kurzsichtig, dieses schwindende Kreditiv der Kirchen kompensieren zu wollen durch eine scheinbare gesellschaftliche Aktualität. Man muss nicht Christ sein, um gegen die Atomkraft zu sein. Es genügt, ein wenig von Physik zu verstehen und von menschlicher Geschichte, um zu be6

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greifen, dass wir Plutonium mit einer Halbwertszeit von 25 000 Jahren nicht in die freie Natur entlassen dürfen, um Folgewirkungen zu zeitigen, die in 300 000 Jahren noch zu gewärtigen sind. Das ist die Zeit des Homo erectus von Bilzingsleben – Sie können sich das im Museum von Halle anschauen – bis heute! Kein Politiker hat einen Horizont der Verantwortung, der derartige Zeitmaße erlaubt zu projektieren. Und welch ein Leichtsinn dann, was wir da machen. So zu denken ist richtig, muss dann aber nicht für spezifisch christlich gelten. Es sind vielmehr zuvörderst zwei Punkte, an denen sich zeigt, dass sich die offizielle Theologie im Abendland auf einem Kurs bewegt, der die Plausibilität verlieren muss. Im einen geht es um die Gesetze der Natur, im anderen um die Gesetze der Gesellschaft.

1. Warum Gott oder: Jenseits der Naturgesetze Der erste Punkt ist vielleicht am schwierigsten begreifbar, deshalb beginne ich damit. Sie finden, wie Paulus im 1. Kapitel des Römerbriefs, wie Lukas im 17. Kapitel der Apostelgeschichte eine Theologie konzipiert, die ihren Anschluss sucht an die Beweisbarkeit Gottes aus Gründen der Natur. Vorweggenommen wird damit bereits die Argumentationslinie, die im 2. nachchristlichen Jahrhundert bahnbrechend Fuß 7

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fassen wird und der wir bis heute getreulich folgen: Über den Kausalsatz soll Gott bei Betrachtung der Natur als bewiesen, zumindest als beweisbar erscheinen. Dabei nimmt man die Suche nach den Ursachen und Grundstoffen der Welt in der griechischen Naturphilosophie und verbindet sie mit dem biblischen Schöpfungsgedanken: Das Unendliche, das Sein als Grund aller Dinge ist Gott! Die Metaphysik der Griechen nahm man zum Zeugnis der Religion; und es ist diese – letztlich falsche – Synthese, die nach 2000 Jahren endgültig zerbricht. Der Grund dafür ist simpel und einfach. Ein Biologe wie Richard Dawkins konnte sagen, es sei vor Charles Darwin, das heißt vor 1856, völlig unmöglich gewesen, nicht an Gott zu glauben. Und jeder begreift zunächst, dass das so ist. Die Schönheit des Frühlings jetzt, der uns umgibt, die Eleganz eines kleinsten Tieres auch nur, die Augen einer Fliege, die Emsigkeit einer Biene – ist irgendetwas von alldem hervorzubringen ohne einen überlegenden, planenden Verstand? Das war und ist so in die Augen springend und derart überzeugend, dass jeder sagen musste, der bloße Zufall kann und wird derlei niemals ermöglichen. Ich nehme an, dass die meisten, die sich noch Gläubige nennen, diesem Argument folgen. Und man kann dieses Denken noch weiter ausdehnen. Nichts kommt von nichts. Auch das ist entspre8

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chend den Gesetzen der Logik doch augenscheinlich. Woher kommt dann das alles, was uns umgibt? Vom Nagel in der Wand bis zu unserem eigenen Organismus, von den Fixsternsonnen bis zu den Galaxien, bis zur Existenz des ganzen Universums: Von nichts kommt nichts. Am Anfang muss also vermeintlich eine schöpferische Macht gestanden haben, die ihre Vernunft in die Gesetze der Natur eingesenkt hat. So hat noch Isaac Newton geglaubt. So war mehr oder minder auch Albert Einstein gesinnt. Und so gibt es viele, die im Bibelgürtel Amerikas von einem Intelligenten Design träumen. Andere möchten Gott identifizieren mit dem Gang der Natur in pantheistischem Sinne; doch was ist das dann für ein Bild von Gott – personal oder apersonal, und was unterscheidet diesen Denkansatz von klar atheistischen Weltentwürfen? Es sei hier schon gesagt: Leben lässt es sich mit derartigen Erklärbarkeiten Gottes aus der Natur keinesfalls. Denn: Derselbe Richard Dawkins konnte auch sagen: Nach Charles Darwin ist es unmöglich, noch an Gott zu glauben, gestützt auf solche Argumente. Der Grund dafür ist die grenzenlose Einsamkeit der Menschen in den Grundbefindlichkeiten ihrer Existenz angesichts der Größe und der Welteinrichtung des Universums. Die Natur hat uns ermöglicht, aber sie meint uns nicht. Wir sind ihr als Individuen im Prinzip 9

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vollkommen gleichgültig. Biologen zum Beispiel haben über den Egoismus der Gene – in Erweiterung des Erklärungsmodells Darwins – in den letzten zwanzig, dreißig Jahren eine sehr gute Schiene der Erklärung von Komplexität in den Abläufen der Natur zu finden gemeint. Es bedeutet, wie Sigmund Freud sich schon ausdrückte, dass wir als individuelle Existenzen nichts weiter sind als ein Majoratsherr, der ein fremdes Gut anvertraut bekommen hat zur Verwaltung, um es weiterzugeben: Unsere Persönlichkeit gilt da gewissermaßen als bloße Überlebensmaschinerie bei der Weitergabe der Gene. Hört man genau zu, ist es übrigens für viele heute der einzig verbleibende Trost angesichts des Todes: Wir leben ja doch weiter in unseren Kindern. Aber: Das tun wir mitnichten – im Gegenteil: Würden wir bei Fortschritt der Biotechnologie aus dem Körper des Tut Anch Amun einen eineiigen Zwilling klonen, hätten wir biologisch zweifellos eine vollkommen identische Struktur vor uns, aber ganz sicher nicht Tut Anch Amun aus dem 14. Jahrhundert vor Christus. Alles, was im Kopfe dieses geklonten Zwillings vor sich gehen würde, unterschiede ihn radikal von dem, was einmal war. Was Persönlichkeit ist, geht nicht hervor aus der Biologie. Unmöglich daher zu sagen, wir leben in unseren Kindern. Sie müssen verschieden sein von uns. Und wer erwarten wollte durch 10

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die Prägung seiner Erziehung, die Kinder wären wie er selber, würde sie wahrscheinlich bis zum Zerfall ihrer Persönlichkeit zerstören. Er muss die Kinder frei geben, aber wer ist er dann als Mensch – eine Frage, die sich bereits an Abraham richtete: Was, wenn das verheißene Kind, das endlich kommt, Isaak, dir weggenommen würde? Wenn du den Auftrag hättest, es sogar selber fortzugeben? Wer wärst du dann im Gegenüber Gottes (vgl. Genesis 22)? Die Biologie antwortet prinzipiell nicht darauf, wer wir als Personen sind. Sie spielt ein Nullsummenspiel entlang des Energieerhaltungssatzes, erster Hauptsatz der Thermodynamik. Da hat sich lokal Energie verdichtet in lebendigen Strukturen, die individuiert sind, kurzzeitig und vorübergehend. Und dann wird die Natur ohne Zögern uns selber wieder einschmelzen im Gang des Energieerhalts. Mehr ist mit uns nicht vorgesehen. Wir brauchen an dieser Stelle die gigantischen Zeitmaße, in denen die Astronomen auch nur die Strahlungsfähigkeit unseres Zentralgestirns, der Sonne, auf circa 5 Milliarden Jahre kalkulieren, gar nicht in die Argumentation einführen. Selbst unser Kosmos, unser Universum, wird irgendwann des Todes sterben, wahrscheinlich durch ständige Ausdehnung den Kältetod, eventuell aber auch den Hitzetod, indem alles sich wieder zusammenzieht zu ei11

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nem gigantischen schwarzen Loch. Beides ist möglich. Es hat in jedem Fall nichts zu tun mit der Frage, weswegen es uns gibt und warum wir leben. Und nun muss man allein im 19., 20. Jahrhundert mit sich steigernder Beschleunigung sehen, wie die alten Standardargumente der theologischen Begründungen zugunsten des Glaubens an Gott hinweggenommen werden. Der Anfang der Welt etwa: Bis vor Kurzem galt das – wieder nach dem Kausalsatz – als ein »Argument« für Gott; doch inzwischen sehen wir, dass der »Anfang« vielleicht nur ein Durchgang war – wie wenn man auf der Kante eines Möbius-Bandes entlanggeht: Man gerät an einen Wendepunkt, aber an keinen Anfang und an kein Ende; oder wir erklären das Universum als eine von unendlich vielen möglichen Vakuumfluktuationen quantenphysikalisch; wir wenden Darwins Selektionstheorie vom Spiel zwischen Zufall und Notwendigkeit auf die Entstehung und den Verlauf der Evolution des ganzen Kosmos an …! Oder: Die Entstehung des Lebens – bis vor fünfzig Jahren ein schier unlösbares Rätsel, für die Biochemie heute die Diskussion eines Boulevards von Wahrscheinlichkeiten, durch den sich aus anorganischer Materie organische Strukturen, schließlich biologische Formen gebildet haben. Oder: die Entstehung 12

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des Bewusstseins – ebenfalls noch bis vor etwa fünfzig Jahren kaum erfindlich, uns heute aber durchaus begreifbar, indem wir komplexe Systeme betrachten, die auf sich selber zurückgekoppelt sind. Man kann sagen, Bewusstsein entsteht, wenn an die Stelle von mechanischer Kausalität Informationen treten, die selber den Wert von Kausalität haben. Das klingt kompliziert, meint aber einfach dieses: dass in der Natur nur Dinge wirken können, die es wirklich gibt. Informationen aber belieben auch zu wirken, wenn es etwas nicht gibt. Jeder Zeichencode hat zu tun mit der Ziffer Null oder etwas, das gerade nicht gesendet wird. Sie gehen morgens zum Briefkasten, und Sie finden nicht den Brief Ihres Freundes oder Ihrer Freundin. Er ist nicht da. Was das bedeutet, ist unklar. Aber plötzlich erleben Sie, wie gerade unklare Informationen zur Kausalität werden: Das Herz fängt an zu rasen; Schweiß bricht aus. Was ist passiert mit dem Geliebten oder der Geliebten? Hat sie Sie vergessen, nicht mehr an Sie gedacht? Ist sie krank geworden? Alles kann sein. Und wie bekommen Sie Gewissheit? – Wenn Informationen zur Kausalität werden bis in die Psychosomatik hinein, haben wir bewusste Strukturen vor uns. Und dann ist es klar: Nicht einmal unserem Hund zu Hause werden wir absprechen können, dass er sich seiner selbst bewusst ist. Er verfügt über so etwas wie Selbstbewusstsein. 13

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Entscheidend ist in dem Zusammenhang, dass die heutige Neurologie nicht definieren kann, was Person ist. Keine Naturwissenschaft kann das. Neurologen können untersuchen, was zwischen unseren Schläfen vor sich geht. Aber was wir Person nennen, findet nicht in einem Kopf statt, sondern grundsätzlich zwischen den Köpfen, ist angewiesen auf ein interpersonales Geschehen des Dialogs. Und nun sind wir mitten im Kern der theologischen Debatte. Wer wir als Person sind, ist bei aller Erklärbarkeit der Welt, die uns umgibt, mit Mitteln der Naturwissenschaft prinzipiell nicht zu klären. Es definiert sich durch einen Freiheitsraum, der individuell ist, auf der Suche nach einem Sinn, den wir aus der Natur selber nicht beziehen können. Sich fortpflanzen ist in der Biologie hoch erwünscht, für uns aber als Sinnerfüllung nicht ausreichend, wie gerade dargelegt. Wie also dann? Nichts führt theologisch daran vorbei, radikal umzudenken und dort wieder zu beginnen, wo alles begann: bei dem Gottesbild der Bibel, unter Verzicht auf den metaphysizierten Gott im Dogma des christlichen Lehramtes. Die Rückkehr der gesamten christlich-abendländischen Theologie zu dem, was wirklich in der Bibel steht, schreit förmlich nach Notwendigkeit und Unaufschiebbarkeit. Die Bibel denkt nicht kausal, und sie lässt eigentlich nicht zu, dass wir Naturwissen14

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schaft und griechische Naturphilosophie einfügen in die Beweisbarkeit Gottes. Im Gegenteil: »Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde« bedeutet, dass alles, was wir sind, von einer Macht im Hintergrund abhängt, der wir uns wesentlich verdanken. Und das ist ein gänzlich anderer Zugangsweg. Am Beginn der Nachdenklichkeit über den biblischen Stammesgott Jahwe steht nicht die Frage nach dem Woher der Welt, sondern nach dem Wozu des Menschen, dargestellt in der Geschichte eines einzigen Volkes, doch paradigmatisch für die Existenz des Menschen überhaupt. Ein Gott, der redet, ein Gott, der beruft, ein Gott, der leitet und führt; dem, sehr viel später, traut man auch zu, dass er – und nicht Baal – Regen und Fruchtbarkeit spendet. Über den Menschen, nicht durch die Natur findet man Gott. Die Frage lautet von daher, wie wir die Weltwirklichkeit überhaupt erst als Schöpfung entdecken, statt in ihr eine öde Mechanik, eine Tragödie voller Leid und Unglück etwa im Sinne Arthur Schopenhauers wahrzunehmen? Es gibt dazu nur einen Weg: dass wir als Person zu uns selber finden, dass wir mit uns identisch werden und in der Mitte unserer eigenen Existenz so etwas wie Sinn, Auftrag und Befähigung erleben. Das ist: Wir treffen auf die Liebe eines anderen, der uns meint und will. Die Natur erfüllt genau diese Bedingung überhaupt nicht. Sie denkt nicht den Bruchteil einer Se15

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kunde an uns. Genau genommen können dies nicht einmal unsere eigenen Eltern getan haben, selbst wenn sie sich sehr ein Kind gewünscht hätten. An uns, die wir dabei herausgekommen sind, konnten sie durchaus nicht denken. Dafür war wiederum das Spiel des Zufalls viel zu groß. Aber dieses Ergebnis einer radikalen Kontingenz trifft auf die Liebe eines Vaters, einer Mutter, die dieses neugeborene Etwas in die Arme schließen. Das ist der Anfang dessen, was wir wirklich sind. Und diesen Ansatz muss man weiterdenken. Die Liebe einer Mutter oder eines Vaters kann noch so groß sein – manchmal wird sie durchlöchert sein durch andere Sorgen, durch allerlei Belastungen, durch Krankheit oder sogar durch den Tod. Entscheidend ist, dass kein Kind das Licht der Welt erblickt, ohne im Hintergrund ein Vertrauen zu werfen in eine Liebe, die absolut sei. Das im Grunde ist der Anfang aller Religion. Inmitten des schweigenden Universums vernehmen wir leise eine Stimme, die mit uns spricht, indem sie zu uns redet als Person zu Person. Dass wir uns wagen, als Einzelne, ungerechtfertigt und nicht Notwendige in dieser Welt, hängt an dem Vertrauen, es gäbe da eine Macht, die gemocht hätte von Ewigkeit her, dass wir sind. Und das ist untrüglich der eigentliche Gottesgedanke der Bibel, ihre wirkliche Schöpfungsbotschaft. Was 16

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die Griechen nur als ein Spiel von Kausalitäten entdecken konnten und auch die heutige Naturwissenschaft so betrachtet, hat dieses Zentrum in der Bibel: das Gegenüber einer Gottheit, die einen Namen trägt und die uns unverwechselbar benennt nach unserem Namen, ihn einschreibt in ihre Hand und hindurchträgt durch alle Vergänglichkeit. Es ist ein unglaublicher Satz, den Sie finden im Johannesevangelium. Die Jünger fragen Jesus da einmal: »Zeige uns den Vater« – man müsste freier übersetzen: »Zeige uns doch endlich Gott nicht länger als eine anonyme apersonale Macht, sondern als einen gütigen Hintergrund hinter allem, was wir sind.« Und Jesus antwortet: »Was sucht ihr danach? Wer mich sieht, sieht den Vater.« (Johannes 14, 8–9; vgl. 8, 19) Das lässt sich kaum anders wiedergeben, als dass das Johannesevangelium sagen möchte: Wir lernen in der Nähe des Mannes aus Nazareth, wie wir denken sollten über uns selber, über die Welt und über den Ursprung von allem. Nicht über Gesetze der Natur finden wir Gott als den »Vater«, aber im Vertrauen auf eine Liebe, die größer ist als alle ihre Einwände und Gegensätze. Mit einem Wort: Wir lernen zu glauben, indem wir an die Liebe glauben. Und ein anderes Argument haben wir letztlich nicht. Nicht die Notwendigkeit der Natur »beweist« oder «demonstriert« Gott; denn es trifft nicht zu, dass der Kausalsatz über die 17

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gen Formen, über die Anfänge der Wirbeltiere, der FiDer Vortrag »Wir glauben, weil sche, der landbewohnenden Lebewesen, um dann in wir lieben« sowie die Fragen aus einem kurzen Augenblick am Ende des Perms zu über dem Publikum wurden aufge90 Prozent vernichtet zu werden. Und nicht ein Mal zeichnet und verschriftlicht. Für geschieht so etwas in der Evolution, sondern förmlich das vorliegende Buch hat Eugen immer wieder, zum letzten Mal beim Übergang von Drewermann seinen Vortrag der Kreidezeit zum Tertiär, an der KT-Grenze, wie die überarbeitet und ergänzt. In seiGeologen sagen, vor ungefähr 63 Millionen Jahren. nen Antworten auf die PubliDas Mesozoikum bricht zusammen im Feuersturm, kumsfragen vertieft er einzelne die Dinosaurier verschwinden von der Erde. Ein einAspekte seines Themas. ziger Meteorit, der bei der Bucht von Campeche vor Mexiko einschlägt, erzeugt ein einziges gigantisches geologisches Desaster. Eine planende Vernunft, so viel www.publik-forum.de ISBN: 978-3-88095-218-8 scheint evident, darf so etwas nicht geplant haben –

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oder sie hat keine Vernunft; sie spielt im Gegenteil grausam und unverantwortlich mit dem, was sie selber hervorgebracht hat. Mit anderen Worten: Wir müssen die Visierlinie über die Welt abbauen und von rückwärts her, von den menschlichen Bedürfnissen nach Liebe her Gott wiederfinden, um mit ihm gewissermaßen Hand in Hand seine Welt zu betreten und ihr als einer unmenschlich scheinenden menschlich zu antworten.

2. Jenseits der ethischen Gesetze oder: Wovon die Menschen leben Nun sind wir dabei, alles was wir menschlich verantworten sollten, ethisch zu definieren. Und wir kämen damit zu dem zweiten Hauptpunkt, den Gesetzen der Gesellschaft. Was Ethik sei, mag man in vielerlei Hinsicht diskutieren. Es wird auch auf diesem Kirchentag debattiert. Wie gehen wir um zum Beispiel mit der Frage der Sterbehilfe? Oder: Wie gehen wir mit der Präimplantationsdiagnostik um, mit den Anfängen und dem Ende des Lebens? Was machen wir bei der Sozialgesetzgebung in Bezug auf Asylsuchenden, auf Emigranten? Lauter wichtige Fragen. Auf der anderen Seite fehlt in gewissem Sinne, rein ethisch betrachtet, eine Sonderkompetenz des Christlichen in all diesen Dingen. Eine solche kann es auch nicht geben, ist doch

Eugen Drewermann

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»So weit der ganze Himmel ist, spannt dieser Gott seine Arme Hände aus über uns alle. DaAporien der Kontingenz hinweghübe. und Einzig in der ran zu glauben, Suche nach Liebe, wenn sie sich geständig ist ihrer ir- dass er uns liebt, die ganze Grundlage dessen, dischen Unerfüllbarkeit, finden wir imist Hintergrund weswegen wir glauben, und ein von allem uns selber wieder als Geschöpfe Gottes. BeHauptmotiv, leuchten wir diesen wichtigen Punkt der Glaubensbe- unser Leben vollkommen zu ändern vom Zerstögründung einmal durch den Kontrast zwischen Sinnzum Heilenden«, so eierwartung und Welterfahrung an einemrerischen kleinen Beine zentrale spiel der Geologie. Unvereinbar mit jedem GedankenAussage Eugen Drewermanns an die Führung der Evolution durch eine planendein seinem Vortrag vom 3. Juni Vernunft stehen die gigantischen Katastrophen, die 2011, gehalten auf Evangelischen Kirchentag sich auf dem Planeten Erde ereignet dem haben. Über im überfüllten Kinosaal des Jahrhunderte von Millionen Jahren seit dem KambriUFA-Kristallpalasts in Dresden. um quält das Leben sich langsam empor aus einzelliEUGEN DREWERMANN

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