Die Rechtfertigung aus Glauben

Die Rechtfertigung aus Glauben Eine exegetische Untersuchung von Römer 3,28 Inhaltsverzeichnis: 1. EINLEITUNG UND METHODIK ............................
Author: Benjamin Weiner
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Die Rechtfertigung aus Glauben Eine exegetische Untersuchung von Römer 3,28

Inhaltsverzeichnis: 1.

EINLEITUNG UND METHODIK ................................................................................... 1

2.

DER HISTORISCHE KONTEXT .................................................................................... 1 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5

3.

Verfasserschaft, Abfassungsort und Datierung.............................................. 2 Die Textart und die heilsgeschichtliche Einordnung ..................................... 3 Die Kontroverse um christliche Judaisten ..................................................... 3 2.3.1 Exkurs: Die Gegner von Paulus.......................................................... 4 Die Briefmotive des Paulus ........................................................................... 5 Schlussfolgerungen aus dem historischen Kontext........................................ 7

DIE TEXTANALYSE ................................................................................................... 7 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5

Der literarische Kontext des Römerbriefs ...................................................... 7 Der literarische Kontext von Römer 1,18 - 5,1 .............................................. 8 Die Untersuchung von Römer 3,21-31 .......................................................... 9 Eine grammatikalische Untersuchung und Gliederung von Römer 3,28 .... 11 Die Untersuchung der Hauptbegriffe von Römer 3,28 ................................ 12  λογίζομαι (zum Schluss kommen) .................................................... 12 3.5.2 δικαιόω (gerechtfertigt werden) ....................................................... 13 3.5.3 πίστις (Glauben) ............................................................................... 14 3.5.4 ἔργα μο (Werke des Gesetzes) .................................................... 16

4.

ZUSAMMENFASSUNG DER EXEGESE ....................................................................... 17

5.

ERKENNTNISSE FÜR DEN PASTORALEN DIENST....................................................... 18 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5

Erkenntnisse für die Verkündigung ............................................................. 18 Erkenntnisse für die Seelsorge ..................................................................... 19 Erkenntnisse für das Verhindern von Gesetzlichkeit ................................... 19 Erkenntnisse für die Evangelisation............................................................. 19 Erkenntnisse für das Miteinander in der Gemeinde ..................................... 20

6.

SCHLUSSWORT: VON GLAUBEN UND GERECHTIGKEIT ........................................... 20

7.

BIBLIOGRAPHIE ...................................................................................................... 21

1

1.

EINLEITUNG UND METHODIK

Wie wird der Mensch vor Gott gerecht? Was muss er tun, um gerettet zu werden? Martin Luther entdeckte im Römerbrief, dass der Mensch allein aus Glauben und nicht aus Werken gerechtfertigt wird. Dies war ein Grund für den Erfolg der Reformation. Doch was ist unter der Rechtfertigung aus Glauben und nicht mittels der Werke des Gesetzes zu verstehen? Ziel dieser Arbeit ist es, die „Rechtfertigung aus Glauben“ nach Römer 3,28 herauszuarbeiten. Die Methodik des Verfassers wird wie folgt sein:1 Ausgehend von der Lehre der Ganzinspiration2 der Bibel, wird der Text von Römer 3,28 exegetisch untersucht. Im ersten Teil wird der Verfasser den historischen Kontext untersuchen. Die hier zu untersuchenden Gebiete betreffen die Verfasserschaft, den Abfassungsort und die Datierung, aber auch die Textart und die heilsgeschichtliche Einordnung des Römerbriefes sowie die Untersuchung der Kontroverse um christliche Judaisten3. Zusammen mit diesen Informationen wird der Verfasser die Briefmotive des Paulus in Bezug auf die Rechtfertigungslehre darlegen. Im zweiten Teil folgt die Textanalyse von Römer 3,28. Hierzu wird im ersten Schritt der literarische Kontext des Römerbriefes untersucht. Anschliessend folgt die Untersuchung des Kontexts von Römer 1,18 - 5,1. Im dritten Schritt wird der Gedankengang von Römer 3,21-31 dargelegt. Es folgt die nähere Untersuchung von Römer 3,28 sowie die Untersuchung der griechischen Hauptbegriffe. Im dritten Teil werden die Erkenntnisse der Exegese zusammengefasst. Der vierte Teil reflektiert diese gewonnenen Erkenntnisse auf die Arbeit in einem pastoralen Dienst. Abgeschlossen wird die Arbeit durch ein Schlusswort.

2.

DER HISTORISCHE KONTEXT

Um den historischen Kontext aufzuzeigen, wird der Verfasser im Folgenden die Verfasserschaft sowie den Abfassungsort und die Datierung des Römerbriefs untersuchen. Hierauf folgt die Bestimmung der Textart und dessen heilsgeschichtliche Einordnung. Darauf hin wird die Kontroverse um die christlichen Judaisten sowie die Gegner von

1

Zur Notwendigkeit dieser einzelnen Schritte siehe: Helge Stadelmann, Thomas Richter, Bibelauslegung praktisch (Witten: SCM R.Brockhaus, 2009), 64-73; 77-80; 89-131; 164-165. 2 Der Verfasser schließt sich hier dem evangelikalen Schriftverständnis von Gerhard Maier an. Gerhard Maier, Biblische Hermeneutik, 4.Auflage (Wuppertal: R.Brockhaus, 2003), 100-105. 3 Der Verfasser bezeichnet mit dem Begriff „christliche Judaisten“ gläubig gewordene Pharisäer, welche das Gesetz für Heiden einführen wollten (Apg 15,5, siehe auch Apg 21,20ff).

2 Paulus beschrieben. Im Weiteren wird der Verfasser die Briefmotive des Paulus untersuchen. Ziel dieser Untersuchung ist die Beantwortung der Fragen, wann, warum und gegen welche andere Position Paulus die Lehre der Rechtfertigung im Römerbrief dargelegt hat. 2.1

Verfasserschaft, Abfassungsort und Datierung

Das innere Zeugnis des Römerbriefs sprich für Paulus als Verfasser, er ist als Absender genannt (Röm 1,1). Ebenso spricht das äussere Zeugnis für Paulus.4 Seine Verfasserschaft gilt als unumstritten.5 Paulus schrieb den Römerbrief gegen Ende seiner dritten Missionsreise6. Korinth ist aus folgenden Gründen als Abfassungsort zu sehen: Paulus war drei Monate in Achaja, dessen Hauptort Korinth ist (Apg 19,21; 20,2-3). Des Weiteren empfiehlt er die Diakonin Phöbe (Röm 16,1-2) aus Kenchrä, einem östlichen Hafens Korinth.7 Demnach ist der Brief auf das Jahr 57 n. Chr. zu datieren.8

4

Mauerhofer zeigt auf, dass in altkirchlichen Überlieferungen Paulus als Autor des Römerbriefs anerkannt war. Erich Mauerhofer, Einleitung in die Schriften des Neuen Testaments, Band 2 (Nürnberg: VTR, 2004), 105; im Folgenden zitiert als: Mauerhofer, Einleitung NT. 5 Mauerhofer, Einleitung NT, 105. Thomas Weißenborn, Apostel, Lehrer und Propheten (Marburg: Francke, 2012), 230; im Folgenden zitiert als: Weißenborn, Apostel, Lehrer und Propheten. Die Verfasserschaft des Paulus wird auch in der historisch-kritischen Theologie anerkannt. Vergl. Eduard Schweizer, Theologische Einleitung in das Neue Testament (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1989), 79; im Folgenden zitiert als Schweizer, Einleitung und Johannes Behm, Paul Feine, Einleitung in das Neue Testament (Heidelberg: Quelle & Meyer, 1963), 225. Die Einheitlichkeit des Römerbriefes wird dagegen von Schweizer hinterfragt. Schweizer, Einleitung, 79-81. Entgegnung: Von dieser Diskussion ist die Stelle in Römer 3,28 nicht betroffen. Zu dieser Diskussion siehe Mauerhofer, Einleitung NT, 106-111. 6 So beschreibt Paulus seine zukünftigen Reisepläne, wie er nach Jerusalem (um die Kollekte zu übergeben) und anschließend über Rom nach Spanien reisen möchte (Röm 15,22-29). Es scheint, als ob Paulus seine Aufgabe im Osten des römischen Reiches als beendet ansieht (Röm 15,19-20). Donald A. Carson, Douglas J. Moo, Einleitung in das Neue Testament (Gießen: Brunnen Verlag, 2010), 477-478; im Folgenden zitiert als: Carson, Moo, Einleitung NT. 7 Carson, Moo, Einleitung NT, 477-478. Weißenborn, Apostel, Lehrer und Propheten, 233. Weißenborn sieht Phöbe als Überbringerin des Briefes. Für Korinth spricht auch Gaius (Paulus taufte ihn in Korinth, vergl. 1Kor 1,14), welcher die Gemeinde in Rom grüßt (Röm 16,2). Auch der Steuerverwalter Erastus, der die Gemeinde in Rom grüßt (Röm 16,23), ist ein Hinweis für Korinth als Abfassungsort. Er könnte zur Gemeinde in Korinth gehören (2Tim 4,20). Mauerhofer, Einleitung NT, 111. 8 Paulus war am Passahfest in Philippi (Apg 20,6), somit musste sein Aufenthalt in Achaja im Frühjahr stattgefunden haben. Wenn die Ablösung des Prokurators Felix durch Festus im Herbst des Jahres 59 stattfand, war Paulus seit dem Jahr 57 n.Chr. in der Gefangenschaft. Somit ist der Brief an die Römer im Frühjahr 57 n.Chr. entstanden. Weißenborn, Apostel, Lehrer und Propheten, 233.

3 2.2

Die Textart und die heilsgeschichtliche Einordnung

Der Römerbrief weist die Grundmerkmale eines Briefes auf.9 Carson und Moo sehen im Römerbrief ein theologisches Traktat in Briefform.10 Der Römerbrief wurde in der heilsgeschichtlichen Zeit des Neuen Testaments geschrieben, in der durch den Tod und Auferstehung Jesu ein neuer Bund zwischen Gott und den Menschen geschlossen wurde (vergl. Hebr 8,6-13). Somit hat der Brief für jeden Christen volle Gültigkeit. 2.3

Die Kontroverse um christliche Judaisten

Gegen die „gesetzesfreie“ Verkündigung von Paulus formierte sich, besonders von Judenchristen aus Jerusalem, Widerstand. Sie versuchten ein Korrektiv zu bilden und lehrten in den von Paulus gegründeten Gemeinden, sie müssten sich noch beschneiden lassen und den jüdischen Festkalender übernehmen. Sie sahen die Beschneidung und den Gesetzesgehorsam als notwendig für die Errettung. Besonders in Galatien gab es diesbezüglich heftige Auseinandersetzungen.11 Gegen diese Position vertrat Paulus im Galaterbrief12 die Rechtfertigungslehre. Er zeigte auf, dass weder Beschneidung noch rituelle Handlungen Bedingungen zur

9

Hierzu gibt es 6 Merkmale: 1.Die Nennung des Absendernamens, 2.Nennung der Empfänger, 3.Gruß, 4.Gebet oder Danksagung, 5.Hauptteil, 6.Abschiedsgruß. Gordon Fee; Douglas Stuart, Effektives Bibelstudium (Asslar-Berghausen: ICI, 2003), 57-58; im Folgenden zitiert als: Fee, Stuart, Bibelstudium. Paulus entwickelte für seine Briefe eine eigenständige Briefform. Es war eine Mischform von einem orientalischen und griechischen Präskript. Weißenborn, Apostel, Lehrer und Propheten, 198-199. 10 Die Gründe hierfür sind, dass der Römerbrief, auch wenn er in konkrete Umstände hineingeschrieben worden ist, einen grundsätzlichen Argumentationsstrang des Evangeliums enthält und nicht, wie z. B. in den Korintherbriefen, auf konkrete Situationen oder Personen eingeht (nach Carson und Moo können auch Kap. 14 und 15 eine allg. Abhandlung sein). Carson; Moo, Einleitung NT, 487-488. 11 Adolf Pohl, Der Brief des Paulus an die Römer, Wuppertaler Studienbibel (Witten: R.Brockhaus, 2011), 18-19; im Folgenden zitiert als: Pohl, Römerbrief. Ulrich Wilckens, Der Brief an die Römer, Evangelisch-Katholischer Kommentar zum Neuen Testament (Neukirchen-Vluyn: Neukirchner, 2010), 44; im Folgenden zitiert als: Wilckens, Römerbrief. Die Vermutung, dass Petrus und Jakobus auf der Seite der Judaisten standen ist als abwegig zu sehen (vergl. Gal 2,7-10), H. Günther, „Galaterbrief,“ Das grosse Bibellexikon, 403. Die Judaisten waren von der pharisäischen Richtung beeinflusst (vergl. u. a. Apg 15,5) O. Betz, „Judenchristen,“ Das grosse Bibellexikon, 739. 12 Für das Verständnis der Rechtfertigung in Römer 3,28 ist der Galaterbrief und dessen Kontext in sofern wichtig, dass hier diese Lehre zum ersten Mal ausführlich behandelt wird. Von daher sind die Gegner des Paulus auch noch zu untersuchen, da sie der Schlüssel sind, wenn man verstehen will, gegen welche falsche Lehre sich Paulus mit der Rechtfertigungslehre wendet. Robert W. Yarbrough, „Korintherbriefe und Galaterbrief,“ in Studienbuch Altes und Neues Testament (Witten: R.Brockhaus, 2008), 229; im Folgenden zitiert als Yarbrough, Galater. Vergl. zu den Parallelen von Römer und Galaterbrief Schweizer, Einleitung, 81.

4 Rechtfertigung sind. Der Glaube ist einzige Voraussetzung zur Erlangung des Heils.13 Das Zentrum des Galaterbriefes ist, dass die Erlösung nicht verdient werden kann.14 Hinzu kommt der Bericht in der Apostelgeschichte,15 dass eine Gruppe von Judäa kam und in Antiochien lehrten, dass die Beschneidung zur Errettung notwendig sei (Apg 15,1). Sie stießen mit ihren Forderungen bei Paulus und Barnabas auf deutlichen Widerstand. Diese Streitfragen sollten nun auf einem Konzil der Apostel und Ältesten in Jerusalem diskutiert werden (Apg 15,2). Es wurde beschlossen, dass den Heidenchristen keine weitere Last aufgelegt werden solle, als dass sie sich von Götzen, Unzucht und ersticktem Fleisch fernzuhalten haben. Diejenigen, die das Gesetz und die Beschneidung für die Heiden als heilsnotwendig lehren,16 sind nicht von der Gemeindeleitung/Konzil in Jerusalem bevollmächtigt worden (Apg 15,24-25). 2.3.1

Exkurs: Die Gegner von Paulus

Es stellt sich nun die Frage, wer die Gegner des Paulus waren und welche Ansichten sie bzgl. der Rechtfertigung hatten. Hierzu wird der Verfasser zuerst die Ansicht der Pharisäer17 aufzeigen und dann die Beschreibung der Judaisten. Die Frage ist nun, ob die Pharisäer eine Rechtfertigung aus Werken lehrten. Während die eine Position die Pharisäer und das Judentum als Religion der Werksgerechtigkeit sehen, lehrte E.P. Sanders18, dass man im Judentum das ewige Leben nicht aufgrund der Werke, sondern aufgrund der Erwählung gab, da Gott seine Gnade umsonst gibt.19 Beyer und Thiessen argumentieren, dass aufgrund der jüdischen Texte kla-

13

Klaus Haacker, “Hat Luther Paulus missverstanden? Zur „neuen Perspektive“ der Paulusauslegung,“ theologische beiträge 13-4/5 (2013), 227-228. Im Folgenden zitiert als: Haacker, Paulus. Vergl. u.A. Galater 3,11.24. 14 Yarbrough, Galater, 300. 15 Der Verfasser ist der Ansicht, dass diese Situation nach Abfassung des Galaterbriefes entstanden ist. Vergl. Mauerhofer, Einleitung NT, 38-43. 16 Vergl. Apg 15,5 (diese Gruppe wird auch in Apg 21,20ff erwähnt). Petrus führt als Argument gegen ihre Ansicht an, dass Gott die Echtheit der Heiden Glauben durch die Ausgießung des Heiligen Geistes bestätigte. Er hat sie aufgrund ihres Glaubens gereinigt. Sie wurden allein durch die Gnade gerettet (Agp 15,8-11). 17 Die Ansicht der Pharisäer darzulegen ist notwendig, da (zumindest einige) Judaisten, aus den Reihen der Pharisäer stammten (vergl. u. a. Apg 15,5). 18 Diese Sicht löste die „Neue Paulus Perspektive“ (NPP) aus und legte das Fundament für deren Rechtfertigungsverständnis. Da Paulus nicht gegen einen Proto-Pelagianismus (Rettung durch gute Werke) kämpfte, sei die Rechtfertigungslehre neu zu deuten. Siehe hierzu: Tom Wright, Worum es Paulus wirklich ging (Giessen: Brunnen, 2010), 157-168. Im Folgenden: Wright, Paulus. 19 Guido Baltes, Jesus, der Jude (Marburg: Francke, 2013), 95-96. Im Folgenden zitiert als: Baltes, Jesus. Zu den „Werken des Gesetzes“ siehe 3.5.4.

5 re Tendenzen zur Werksgerechtigkeit herauszulesen sind.20 So war es das Anliegen der Pharisäer gerecht zu sein und Gott durch das Einhalten der väterlichen Überlieferung zu gefallen.21 Es gilt somit festzuhalten, dass eine gesetzliche Richtung im Judentum des ersten Jahrhunderts sehr wohl auch existierte.22 Der Verfasser wird sich im Folgenden mit den von den Pharisäern geprägten Gegnern des Apostel Paulus befassen. Lehrten sie die „Werke des Gesetzes“ als Heilsweg? Ihre Forderung an die Adresse der Heidenchristen (Apg 15,5) passt tatsächlich in dieses Schema. Den Nichtjuden fehlte die Voraussetzung des Bundes, den Gott mit Israel geschlossen hatte. Sie haben nicht die Verheißungen,23 die Gott ihren Vätern gegeben hatte. Somit ist es für die Auslegung von Römer 3,28 letztendlich entscheidend, dass christliche Judaisten innerhalb der Gemeinde das Gesetz als Teil des Heilswegs erklärten. Sie taten es in dem Sinn, dass sie die Beschneidung und das Gesetz zu heilsnotwendigen Sakramenten erklärten. Somit schrieb Paulus gegen diese Position die Rechtfertigungslehre.24 2.4

Die Briefmotive des Paulus

Was veranlasste Paulus, den Brief an die Römer mit den Ausführungen über die Rechtfertigungslehre zu schreiben?

20

Hans Beyer, Das Evangelium des Markus (Witten: R.Brockhaus, 2008), 155-157; im Folgenden zitiert als: Beyer, Markus. Jacob Thiessen, Gottes Gerechtigkeit und Evangelium im Römerbrief (Frankfurt: Peter Lang, 2014), 48-54; im Folgenden zitiert als: Thiessen, Römer. Diese Tendenzen werden sowohl in rabbinischen Texten, in den Texten von Qumran und in frühen jüdischen Texten deutlich, ebenso in den Apokryphen (vergl. Tob 12,9; Sir 3,3.30). Der Verfasser sieht allerdings diese Tendenz nicht in den Texten des Alten Testaments, welches keine Werksgerechtigkeit lehrt (vergl. u. a. Römer 4). 21 Thiessen, Römer, 48. Beyer, Markus, 156. D. Schneider, „Pharisäer,“ Das grosse Bibellexikon, 1190-1191, ein ausgeprägtes Verdienstdenken vor Gott konnte bei der religiösen Grundhaltung der Pharisäer nicht ausbleiben. 22 Nach Baltes sind beide Positionen zu einseitig. Die Wahrheit liegt demnach zwischen der Lehre vom Gesetz als Weg zum Leben und der Gnadenwahl Gottes, Baltes, Jesus, 96. Das Judentum zur Zeit Jesu war keine uniforme Größe, so ist es auch nicht verwunderlich, verschiedene Ansichten nebeneinander zu finden. Vergl. Thiessen, Römer, 43-54 und F.F. Bruce, Zeitgeschichte des Neuen Testaments (Wuppertal: R.Brockhaus, 1976), 85. 23 Von daher legte Paulus auch dar, warum die Heidenchristen geistliche Nachkommen Abrahams waren (vergl. u.A. Röm 4,11-12). Haacker, Paulus, 227. 24 Haacker, Paulus, 227. Die Judaisten bestreiten allerdings nicht die Heidenmission. Jesus und Beschneidung war ihr Grundsatz, sieh hierzu auch: Werner de Boor, Die Apostelgeschichte, Wuppertaler Studienbibel (Witten: R.Brockhaus, 2011), 269-271.

6 Der Römerbrief wurde nach dem Galaterbrief und der judaistischen Kontroverse (beschrieben in Apg 15) verfasst.25 Als Briefmotive kommen mehrere Gründe in Frage. Auf der einen Seite ist es das missionarische Anliegen von Paulus. Er möchte Rom als Ausgangsbasis für seine Spanienmission. Des Weiteren hat der Brief ein apologetisches und ein pastorales Anliegen.26 Die Frage ist, welche Briefmotive für Römer 3,28 ausschlaggebend sind. Aufgrund der judaistischen Kontroverse27 gab es gegen Paulus und seine gesetzesfreie Verkündigung Befürchtungen. Es existierten falsche Vorstellungen,28 dass er Juden den Abfall von Moses predige und gegen die Beschneidung sei (Apg 21,20ff). Möglicherweise hat der Kampf gegen die Judaisten in Galatien zu diesem falschen Bild beigetragen, sodass seine Worte verdreht wurden (Röm 3,8). Paulus setzt sich mit den Argumenten seiner Gegner auseinander (Röm 3,1), sodass ein Teil des Briefes wie ein Dialog mit dem Judaismus klingt. Die gründliche Darlegung der Rechtfertigungslehre kann somit darin begründet sein, dass sich Paulus auf der einen Seite herausgefordert sieht, gegen die falschen Vorstellungen Antworten zu geben. Da er Rom als Ausgangsbasis für künftige Missionstätigkeiten haben möchte, war es auch notwendig, den grundlegenden Teil seiner Theologie darzulegen, welcher im Osten des Reiches für Spannungen sorgte. Möglicherweise hoffte Paulus auch, dass der Brief vor ihm Jerusalem erreicht, um dort entstandene Spannungen abzubauen.29 Gegebenenfalls hatte dieser Brief auch zum Ziel, die Gemeinde in Rom für Kontroversen mit der judaistischen Position vorzubereiten.30

25

Zur Datierung des Römerbriefes vergl. 2.1. Mauerhofer datiert den Galaterbrief auf 48/49 n. Chr. und das Apostelkonzil anschließend im Jahr 49 n. Chr. Mauerhofer, Einleitung NT, 12, 43. 26 Ein einziges Anliegen kann nicht den ganzen Brief erklären. James D.G. Dunn, „Romans, Letter to the,“ Dictionary of Paul and his Letters, 839-840. Carson, Moo, Einleitung NT; 493. 27 Siehe 2.3 und 2.3.1. 28 Wie ausgeprägt diese Vorstellungen insgesamt waren, zeigt sich, dass Paulus aufgrund des (unrechtmäßigen) Vorwurfs Heiden in den nur Juden zugänglichen Teil des Tempels gebracht zu haben, in Jerusalem beinahe gelyncht wurde (Apg 21,27-21). Weißenborn, Apostel, Lehrer und Propheten, 234. 29 Wilckens, Römerbrief, 44. Weißenborn, Apostel, Lehrer und Propheten, 234-236. Carson, Moo, Einleitung NT, 492-493. Douglas Moo, The Epistle to the Romans (Grand Rapids Michigan: Eerdmans, 1996), 11; im Folgenden zitiert als: Moo, Romans. Klaus Haacker, “Römerbrief” Das grosse Bibellexikon, 102; im Folgenden zitiert als: Haacker, Römerbrief. 30 Pohl, Römerbrief, 19.

7 2.5

Schlussfolgerungen aus dem historischen Kontext

Aufgrund des historischen Kontexts kann man darauf schließen, dass Römer 3,28 auf die Frage eingeht, wie der Mensch gerettet wird. Hier wird die Frage aus den Kontroversen31 beantwortet, ob der Glauben zur Rettung ausreiche oder ob Gesetze wie die Beschneidung für die Errettung von Juden und Heiden notwendig seien.

DIE TEXTANALYSE

3.

Nachdem der historische Kontext nun dargelegt wurde, befasst sich der folgende Teil mit der Analyse des Bibeltextes. Das Ziel ist es, die Aussage von Römer 3,28 und den Argumentationsweg, der diesen Vers umgibt, nachzuvollziehen. Da der Vers 28 nicht isoliert zu betrachten ist, wird der Verfasser im ersten Schritt den literarischen Kontext des Römerbriefes untersuchen. Anschließend folgen die Untersuchung des literarischen Kontexts von Römer 1,18 - 5,1, sowie die Untersuchung der Argumentation in Römer 3,21-31. Hierauf folgen die Gliederung sowie die Untersuchung der Hauptbegriffe von Römer 3,28. 3.1

Der literarische Kontext des Römerbriefs

Im Folgenden wird der Verfasser einen inhaltlichen Überblick über den Römerbrief geben. Der Lehrabschnitt des Römerbriefes ist von dem Briefeingang (1,1-17) und dem Briefschluss (15,14 - 16,27) umgeben.32 Folgende Gliederung schlägt der Verfasser für den Lehrabschnitt (1,18 - 15,13) vor:33 Der Text umfasst zwei Hauptteile: A. Argumentative Entfaltung des Evangeliums – Heil für Juden und Heiden

(1,1 - 11,36)

1. Rechtfertigung – das Herz des Evangeliums

(1,18 - 4,25)

2. Das neue Leben in der Rechtfertigung

(5,1 - 8,39),

3. Zukunft und Rechtfertigung Israels

(9,1 - 11,36)

B. Praktische Auswirkungen der Rechtfertigung

(12,1 - 15,13)

31

Vergl. 2.3 und 2.3.1.

32

Vergl. Haacker, Römerbrief, 1301. Der Verfasser orientiert sich an den Gliederungen folgender Autoren: Michael Theobald, „Römerbrief,“ RGG, 612; Moo, Romans, 90; Francis Schaeffer, Allein durch Glauben (Holzgerlingen: Hänssler, 1999), 8; Heiko Krimmer, Römerbrief, Edition C (Holzgerlingen: Hänssler, 2003), 6-7; im Folgenden zitiert als: Krimmer, Römer. Mauerhofer, Einleitung NT, 102. 33

8 Es wird deutlich, dass die Rechtfertigungslehre einen zentralen Stellenwert im Römerbrief einnimmt. Sie wird zu Beginn entfaltet und legt das Fundament für die weiteren Ausführungen im Römerbrief. 3.2

Der literarische Kontext von Römer 1,18 - 5,1

Der Verfasser wird nun Römer 1,18 - 5,1 als näheren Kontext von Römer 3,28 untersuchen. Es fällt auf, dass diese Texteinheit mit dem Zorn Gottes über die Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen (Röm 1,18) beginnt. Dem entgegengesetzt endet sie mit dem Frieden mit Gott durch Jesus Christus (Röm 5,1). Es stellt sich die Frage: Wie kam es vom Zorn Gottes zum Frieden mit Gott? Der Zorn Gottes wird aufgrund der Ungerechtigkeit der Menschen hervorgerufen. Es wird dargelegt, dass die Heiden vor Gott der Sünde schuldig sind (Röm 1,1832). Das gerechte Urteil ist der Tod (Röm 1,32). Auch die Juden sind trotz der Kenntnis des Gesetzes34 schuldig (Röm 2,1-29) und werden aufgrund des Gesetzes verurteilt (Röm 2,12-13). In Römer 3,1-8 führt Paulus aus, dass Gott in seinem Gericht gerecht ist. Das Ergebnis vom all diesem ist, dass alle, sowohl Heiden als auch Juden, ohne Unterschied unter der Sünde und vor Gott schuldig sind und dass durch „Werke des Gesetzes“ keine Rechtfertigung möglich ist (Röm 3,9-20.23).35 Vor Gott werden sie nicht aus Leistungen gerecht, sondern durch Gottes Gnade, auf der Grundlage der Erlösung mittels Jesu Sühnetod durch den Glauben (Röm 3,21-31). Dies wird durch das Gesetz und die Propheten bezeugt (Röm 3,21). Als Beispiel wird aufgeführt, dass Abraham vor der Beschneidung und dem Gesetz aus Glauben gerechtfertigt wurde (Röm 4,1 - 5,9-25).36 Ebenso wird David aufgeführt, da er den glückselig preist, für den Gott für die Gerechtigkeit ohne Werke anrechnet (Röm 4,6-7). Die Folgerung aus dieser Argumentation ist, dass die Gerechtigkeit Gottes denen angerechnet werden soll, die an den glauben, der Jesus aus den Toten auferweckte (Röm 4,23-24). Zusammengefasst wird es darin, dass Jesus für die Sünden starb und um der Rechtfertigung willen von den Toten auferstand

34

Obwohl sie sich auf das Gesetz verlassen, werden sie dadurch nicht gerechtfertigt. Vergl. zu den Werken des Gesetzes 3.5.4. 35

Vergl. 3.5.4 und Thiessen, Römer, 127-128.

36

Douglas Moo weißt darauf hin, dass die Darlegung in 3,27-31 Parallelen zu Kapitel 4 aufweist. Moo, Romans, 244-245. Dies macht deutlich, wie die Erkenntnisse in 3,27-31 im Kapitel 4 anhand des Beispiels von Abraham und David vertieft werden.

9 (Röm 4,25). Die Auswirkung ist, dass die aus Glauben Gerechtfertigten „Frieden mit Gott“37 haben (Röm 5,1). Somit schafft die „Rechtfertigung aus Glauben“ den Übergang vom Zorn Gottes zum Frieden mit Gott. Sie basiert auf Jesu Sühnetat. Die „Rechtfertigung aus Glauben“ ist keine Neuerfindung des Paulus, sie wird bereits im Alten Testament bestätigt.38 3.3

Die Untersuchung von Römer 3,21-31

Im Folgenden wird die Struktur von Römer 3,21-31 untersucht. Das Ziel ist die Argumentation, zu der auch Röm 3,28 gehört, sichtbar werden zu lassen. Dem Abschnitt geht voraus, dass alle Welt vor Gott schuldig ist, und dass kein Mensch mithilfe von „Werken des Gesetzes“ vor Gott gerecht werden kann (Röm 3,1920). Darauf folgt Römer 3,21-31. Hier wird zuerst die Offenbarung der heilsbringenden Gerechtigkeit Gottes beschrieben (21-26). Daraufhin wird argumentiert, dass der Stolz auf die Gesetzeswerke des Feldes verwiesen wurde, da Heiden und Juden ausschließlich auf der gleichen Grundlage des Glaubens gerechtfertigt werden können (27-31). In Römer 3,21-26 wird die Gerechtigkeit Gottes samt ihren Auswirkungen aufgezeigt. Gott offenbart seine eigene Gerechtigkeit (21).39 Diese Gerechtigkeit zeigt sich in der Vergangenheit und Gegenwart. In der Vergangenheit zeigt sie sich darin, dass Gott die Sünden ungestraft ließ (25-26). In der Gegenwart zeigt sie sich darin, dass Gott gerecht ist und denjenigen rechtfertigt, der an Jesus glaubt (26). Die Rechtfertigung kommt somit dem Glaubenden zugute (22). So bekommt die Gerechtigkeit Gottes einen soteriologischen Charakter. Sie ist ein Heilshandeln Gottes. Dieses Heilshandeln geschieht aus Gnaden, auf Grundlage der durch Jesus geschehenen Erlösung (24). Diese beinhaltet, dass Jesus zum Sühneort ( λαστ ριο ) von Gott bestimmt wurde (25). Die Sühne wird durch den Glauben an sein Blut wirksam (25). Als Konsequenz dessen und in Berufung auf das Gesetz und die Propheten wird die Gerechtigkeit Gottes ohne das Gesetz offenbart (21). Da alle Menschen (Juden und Heiden) ohne Unterschied durch

37

Unter „Friede mit Gott“ versteht man das neue Verhältnis mit Gott. Es ist der Friedenschluss Gottes mit dem Menschen. Krimmer, Römer, 136. 38

Vergl. 3.3.

39

Im Vers 21 steht die Gerechtigkeit Gottes (δικαιοσ

ο ) im Genitiv.

10 ihre Sünde Gottes Herrlichkeit nicht erreichen (22-23), ist die Rechtfertigung nicht von Leistungen abhängig (24).40 Hieraus folgt, dass die Rechtfertigung christologisch begründet ist. Ihr Thema zielt auf Gottes Heilswirken durch Jesu Tod, als Grundlage von Gottes Gerechtigkeit.41 Des Weiteren wird deutlich, dass die Rechtfertigung des Sünders ausschließlich Gottes Tat ist. Alle Voraussetzungen, die der Mensch mitbringt, sind nichtig. Keine menschliche Leistung führt zum Heil.42 Somit verweist die Rechtfertigungslehre auch das Rühmen (vergl. Röm 2,17ff).43 In Römer 3,27-31 wird deutlich, dass sowohl der Selbstrum aufgrund der Rechtfertigung aus Glauben und nicht aus Werken ausgeschlossen ist (27-28 vergl. mit Röm 2,17ff) als auch, dass Gott in der Rechtfertigung von Juden und Heiden das Gesetz bestätigt (29-31)44. Vers 27 schließt an der Argumentation der vorgehenden Verse an.45 Es wird nun im Rückblick auf die Argumentation gefragt, welchen Platz der Stolz (bzw. das Rühmen), bzgl. der „Werke des Gesetzes“ noch hat. Dieser wurde des Feldes verwiesen (27a). Der Grund hiervon ist, das „Gesetz des Glaubens“, welches meint, dass das Gesetz so zu verstehen ist, dass es zum Glauben an Jesus führen will (27b).46 Die Folgerung hieraus ist, dass Rechtfertigung (allein) durch Glauben geschieht (28).47 Eine weitere Folge ist, dass sowohl Juden (als Beschnittene) und Heiden (als Unbeschnitte-

40

Vergl. zur Entfaltung der Gerechtigkeit Gottes auch Klaus Grünwaldt, „δικαιόω, …“ TBLNT, 736; im Folgenden zitiert als: Grünwaldt, TBLNT. Vergl. auch 3.4 und 3.5.2. 41

Wilckens, Römerbrief, 201.

42

Wilckens, Römerbrief, 199. Da alle Menschen ohne Ausnahme Sünder, sind ist die Rechtfertigung aufgrund von Werken ausgeschlossen (Röm 2,13). Auch auf die Zeichen der Erwählung Israels, wie Gesetz und Beschneidung, kann sich ein Jude nicht berufen. Der heidnische und der jüdische Sünder sind in gleichem Maß auf die Gnade angewiesen (Röm 3,23-24). Vergl. auch 3.5.3 und 3.5.4. 43

Wilckens, Römerbrief, 199. Adolf Schlatter kommentiert hier, dass an einer solchen Gnade die Eitelkeit und der leere und hochmütige Stolz endgültig zu sterben hat. Adolf Schlatter, Römerbrief (Berlin: Evangelische Verlagsanstalt, 1952). 44

Thiessen, Römer, 99-112.

45

Vergl. Dierk Starnitzke, Die Struktur des paulinischen Denkens im Römerbrief (Stuttgart: Kohlhammer, 2004), 157; im Folgenden zitiert als: Starnitzke, Struktur. Dies wird durch die Konjunktion „ο “ (daher) deutlich. 46

Wenn das Gesetz richtig ausgelegt bedeuten würde, dass man durch dessen Einhaltung gerecht zu werden hat, hätte man bei Einhaltung Grund zum Stolz/Rühmen. Thiessen, Römer, 102. 47

Vergl. auch Pohl, Römerbrief, 91. Dieser Vers fasst sowohl die Verse 21-26 zusammen, begründet aber auch, warum der Selbstruhm ausgeschlossen ist (V27 beruht auch auf der Argumentation von den Versen 21-26).

11 ne) auf derselben Weise gerechtfertigt werden, nämlich durch Glauben48 (30). Wäre dies nicht der Fall, wenn die Rechtfertigung nicht ohne Werke, wie die Beschneidung möglich wäre, dann müssten die Heiden erst Juden werden. Gott wäre dann nicht ein Gott der Juden und Heiden, sondern allein der Juden (29).49 Diese Argumentation des Paulus steht nicht im Widerspruch zum Gesetz. Der Glaube bestätigt es (30).50 Da die Rechtfertigung nicht auf Werken ruht, müssen die Heiden, um gerecht zu werden, nicht erst zum Judentum konvertieren (Beschneidung, Gesetzeswerke, etc.). Das Heil steht Juden und Heiden auf der gleichen Basis zur Verfügung auf der Grundlage des Glaubens.51 Aufgrund dessen ist Gott sowohl ein Gott der Juden als auch der Heiden. 3.4

Eine grammatikalische Untersuchung und Gliederung von Römer 3,28

Der Verfasser wird nun Römer 3,28 auf einzelne grammatikalische Besonderheiten und bzgl. der Gliederung des Verses untersuchen. Das Ziel ist die Textaussage(n) weiter zu entfalten. Der Begriff „γ ρ“ (denn) begründet das Vorangegangene. Somit gehört Vers 28 geschlossen zu den vorherigen Versen dazu. Es geht somit um die Frage des Freispruchs von der Sünde vor Gott.52 Der Begriff „δικαιο σ αι“ (Hauptform: „δικαιόω“ vergl. 3.5.2) zeigt an, dass die Rechtfertigung eine Handlung in der Heilsgegenwart ist und dass der Mensch während des „Rechtfertigungsvorgangs“ passiv ist.53 Somit kann die Rechtfertigung nicht erarbeitet, sondern nur angenommen werden.54

48

Die verschiedenen Präpositionen in V 30 („aus Glauben“ und „durch Glauben“) machen keinen Unterschied in der Sache aus. Wilckens, Römerbrief, 248. 49

Vergl. hierzu 2.3 und 2.3.1.

50

Dies liegt nicht nur daran, dass das Gesetz den Glauben bezeugt (vergl. Gen 15,5; Röm 4), sondern daran, dass die Glaubensgerechtigkeit durch den kommenden Erlöser in AT verheißen wurde und hierin bestätigt wird. Thiessen, Römer, 111. 51

Vergl. Pohl, Römerbrief, 91. Dies wird auch in 22b-25 deutlich. Vergl. Ausführungen in Thiessen, Römer, 153-174. Vergl. 3.5.2 und 3.5.4. 52

Starnitzke, Struktur, 158.

53

Die Hauptform von „δικαιόω“ ist „δικαιο σ αι“ (wird in 3.5.2 näher beschrieben). Es ist ein Verb, dass im Passiv, Präsent, und Infinitiv steht. Starnitzke, Struktur, 158. Gottlob Schrenk, „δικαιόω, …“ ThWNT, Bd 2, 219; im Folgenden zitiert als: Schrenk, ThWNT. Vergl. auch 3.5.2. 54

Vergl. 3.3 und 3.5.3 und Starnitzke, Struktur, 158.

12 Der Freispruch von den Sünden geschieht an den einzelnen Menschen (ἄ ρωπος) und nicht am Kollektiv.55 Vers 28 ist im Griechischen ein abgeschlossener Satz, ohne Nebensätze und kann somit nicht weiter untergliedert werden.56 So hat Vers 28 folgende Aussage: „Man kommt zum Ergebnis, dass der Mensch gerechtfertigt wird. Dies geschieht durch Glauben und ohne Gesetzeswerke.“ Was ist unter den jeweiligen Begriffen zu verstehen? Dies zu untersuchen, ist die Aufgabe im nächsten Schritt. 3.5

Die Untersuchung der Hauptbegriffe von Römer 3,2857

Um die Bedeutung der Begriffe in Römer 3,28 zu verstehen, wird der Verfasser nun die Begriffe λογίζομαι (zum Schluss kommen), δικαιόω (gerechtfertigt werden), πίστις (Glaube) und ἔργα

μο (Werke des Gesetzes) näher untersuchen. Hierzu wird der

Verfasser jeweils im ersten Schritt einen Übersetzungsvergleich58 ausführen, anschließend wird der Verfasser den Begriff näher definieren und die Bedeutung für Römer 3,28 darlegen. 

λογίζομαι (zum Schluss kommen)

Der Begriff „λογίζομαι“ wird in den formal-äquivalenten Übersetzungen als ein „Urteilen“ (Elb), ein „Dafürhalten“ (LU 84) und ein „zum Schluss kommen“ (SLT) bezeichnet. In den kommunikativen Übersetzungen wird es als eine „Überzeugung“ (Basis), als etwas, das „feststeht“ (Hfa, GNB) und als etwas, wovon „ausgegangen“ wird (NGÜ) definiert. Der Begriff „λογίζομαι“ wird oft, wenn es um Gottes Gerechtigkeit und deren Anrechnung im Glauben geht gebraucht.59 Es bedeutet, zu einem Urteil bzw. zu einer

55

Die grammatische Form (ἄ ρωπο ) steht im Singular Akkusativ. Es geht um den einzelnen Menschen vor Gott. Starnitzke, Struktur, 159. 56

Römer 3,28: „λογιζ μ α γ ρ δικαιο σ αι π στ ι ἄ ρωπο

ωρ ς ἔργω

μο .“

57

Nicht dargelegt wird der Begriff Mensch. Siehe hierzu Walter Bauer, Wörterbuch zum Neuen Testament (Berlin: Alfred Töpelmann, 1958), 134-137. 58

Folgende Bibelübersetzungen werden hierzu verwendet. Als Vertreter der formaläquivalenten Übersetzungen: Elberfelder 2006 (Elb); Luther 84 (LU 84); Schlachter 2000 (SLT). Als Vertreter der kommunikativen Übersetzungen: Hoffnung für Alles (Hfa); Neue Genfer Übersetzung (NGÜ); Gute Nachricht Bibel (GNB); Basis Bibel (Basis). 59

22mal kommt der Begriff in diesem Zusammenhang im Römerbrief vor. Thomas Söding, „λογίζομαι,“ TBLNT, 264-266, im Folgenden zitiert als: Söding, TBLNT.

13 Meinung zu kommen, eine Schlussfolgerung ziehen und etwas beschließen.60 Ebenso kann es bedeuten, im Disput ein Urteil zu fällen.61 Es gilt zu beachten, dass „λογίζομαι“ immer eine These oder Schlussfolgerung von göttlichem Handeln ist und somit eine nachfolgende Haltung einleitet.62 Hinzu kommt, dass „λογίζομαι“ in diesem Zusammenhang eine bestimmte Rechnungsweise bedeutet, welche der menschlichen Rechnung Entgegensetzt. Es geht um die Rechnungsweise, dass der Mensch nicht aufgrund seiner Taten sondern aufgrund des Glaubens freigesprochen wird.63 Somit zeigt „λογίζομαι“, dass Römer 3,28 die Schlussfolgerung und Feststellung der im Römerbrief vorangehenden Darlegung64 ist. Aus der Sündhaftigkeit aller Menschen und ihre Unfähigkeit, durch Werke vor Gott gerecht zu werden, wird ab Römer 3,21 aufgezeigt, dass nur durch Glauben aufgrund von Gottes Heilshandeln, die Rechtfertigung geschehen kann. Da das Rühmen aufgrund des „Gesetzt des Glaubens“ und nicht aufgrund der Werke ausgeschlossen ist (27), folgert Paulus hieraus die in Römer 3,28 festgehaltene Überzeugung. 3.5.2

δικαιόω (gerechtfertigt werden)

Der Mensch wird „δικαιόω“, also „gerechtfertigt“ (Elb, SLT), als „für gerecht erklärt“ (NGÜ), bzw. er „wird gerecht werden“ (LU 84)/ als „gerecht gelten“ (Basis), er wird „von der Schuld freigesprochen“ (Hfa) und „Gott nimmt ihn an und lässt ihn vor seinem Urteil als gerecht bestehen“ (GNB). Der Begriff „δικαιόω“ meint ein rechtfertigen, im Sinne eine Person als gerecht hinstellen. Die Person wird freigesprochen und für gerecht erklärt, bzw. gerecht gemacht.65 Es geht bei „δικαιόω“ um einen Gnadenakt.66

60

Söding, TBLNT, 264-266. Wilfried Haubeck, Heinrich von Siebenthal, Neuer sprachlicher Schlüssel zum griechischen Neuen Testament (Gießen: Brunnen, 2007), 911, im Folgenden zitiert als: Haubeck, Siebenthal, Sprachschlüssel. Elberfelder Studienbibel (Wuppertal: R.Brockhaus, 2005), 2173; im Folgenden zitiert als: Elberfelder. 61

Wilckens, Römerbrief, 247.

62

Söding, TBLNT, 264-266.

63

Starnitzke, Struktur, 158. Ähnlich: Karl Barth, Der Römerbrief, 1922, 18.Abdruck (Zürich: TVZ, 2012), 93. Der Übergang der Rechenweise ist in Jesus begründet. Vom Standpunkt Jesus muss neu gerechnet werden. 64

Vergl. 3.2. und 3.3.

65

Elberfelder, 2066; Haubeck, Siebenthal, Sprachschlüssel, 908 und 911. Schrenk, ThWNT, 215 und 219. So hat „δικαιόω“ursprünglich eine juristische Bedeutung. Im forensischen Sinn meint es ein Freispruch im Sinne einer richterlichen „für gerecht Erklärung“.

14 Auf Grundlage der Gerechtigkeit Gottes, welche Gottes Heilshandlung mit sich bringt, basiert die „δικαιόω“. Die „δικαιόω“ geht somit von zwei Grundwahrheiten aus. Zum einem, dass alle Menschen vor dem Urteil Gottes ewig verloren sind (vergl. Röm 1,18 - 3,20). Jesus wurde aber zum Sühneort ( λαστ ριο ), durch ihn geschah Sühne. An Jesus wurde das Gericht über die Sünden als Stellvertreter vollzogen (Röm 3,25). Auf der Grundlage diesen Heilshandelns, im Tod und der Auferstehung Jesu, dürfen alle Menschen von Gottes Gerechtigkeit „gerechtfertigt“ leben (Röm 3,24-25; 4,2425).67 So ist „δικαιόω“ ein ein Sichtbarwerden der Gerechtigkeit Gottes.68 Die Auswirkung von „δικαιόω“ ist, dass Gott den Menschen aus Gnaden gerecht macht (Röm 3,24).69 Dieses „gerecht machen“ erfolgt an dem, der glaubt (Röm 3,22.24.26.28).70 Aufgrund der grammatikalischen Form von „δικαιόω“ in Römer 3,28 (δικαιο σ αι) wird deutlich, dass sie hier Gottes Handeln in der Heilsgegenwart ist.71 Bei „δικαιόω“ geht es darum, wie der Mensch trotz seiner Sünden vor Gott als gerecht gilt und frei- bzw. gerecht gesprochen wird. Somit bietet Gott sowohl Heiden als auch Juden den Freispruch von ihren Sünden an. Dies basiert auf seiner Gnade und Erlösung.72 Dieses „gerechtmachen“ wird durch Glauben in Anspruch genommen. Was unter Glauben zu verstehen ist, wird im nächsten Punkt ausgeführt. 3.5.3

πίστις (Glauben)

Gerechtfertigt wird der Mensch durch „πίστις“. Dieser Begriff wird fast durchweg mit „Glauben“ wiedergegeben; so wird der Mensch „durch“ (Elb; Slt); „allein durch“ (LU 84); „aufgrund“ (NGÜ) und „allein aufgrund“ (Basis, GNB) des „Glaubens“ gerechtfer-

66

Trotz der forensischen Wortnähe ist ein gerichtlicher Vergeltungsakt ausgeschlossen. Schrenk, ThWNT, 219. 67

Schrenk, ThWNT, 219; Siegfried Kettling, „Rechtfertigung,“ Biblisches Wörterbuch, 444; im Folgenden zitiert als Kettling, Wörterbuch. 68

Vergl. Römer 3,21-26 (besonders V 22.26). Grünwaldt, TBLNT, 766. Elberfelder, 2066. Weitere Ausführungen hierzu unter 3.3. 69

Grünwaldt, TBLNT, 736. Elberfelder, 2066.

70

Grünwaldt, TBLNT, 736-737. Kettling weist darauf hin, dass Rechtfertigung aufgrund dessen nicht zu erarbeiten ist, sondern nur angenommen werden kann. Er gebraucht das Bild einer Freikarte, sie muss nur angenommen und vorgezeigt werden. Siegfried Kettling, Wörterbuch, 445. 71

Schrenk, ThWNT, 219. Vergl. 3.4.

72

Vergl. Ausführungen unter 3.5.3, 3.2, 3.3.

15 tigt. Des Weiteren ist „πίστις“ als ein „Vertrauen allein auf Jesus setzen“ (Hfa) zu sehen. Der Begriff „πίστις“ meint Glauben und ein Überzeugtsein. Er ist eine feste Zuversicht, ein unerschütterliches Vertrauen, dass Gott seine Zusagen einlösen wird.73 Er beinhaltet eine Erkenntnis und die Zustimmung und das Vertrauen zu den göttlichen Wahrheiten.74 Des Weiteren geht es um ein inneres Überführtsein für die Wirklichkeit der Welt Gottes.75 Im Alten Testament bezeichnete der Glauben vor allem die Beziehung Israels zu Gott.76 Bei Abraham war der Glaube eine Grundhaltung des Vertrauens auf Gottes Verheißungen.77 Der Glaube bezieht sich auf Gott und sein Evangelium des Heilswegs in Christus.78 Gerecht wird der Mensch somit nicht durch Passivität; also dadurch, dass es seinen Willen durch eigene Leistung gerecht zu werden aufgibt, mit dem Entschluss sich die Gerechtigkeit schenken zu lassen. Die Rechtfertigung durch „πίστις“ geschieht dadurch, dass der Sünder seine Erlösung von der Sünde in der sühnenden Tat im Tod Jesu als für ihn persönlich geschehen erkennt und annimmt. Er vertraut dieser Heilstat der Gerechtigkeit Gottes, mit allen dessen Zusagen, sein Heil und Leben vollauf an.79 So gehört die Abkehr von toten Werken dazu.80 Die Hinwendung des Menschen zu Gott

73

Hebräer 13,1. Vergl. Fritz Laubach, Der Brief an die Hebräer, Wuppertaler Studienbibel (Wuppertal: R.Brockhaus, 2000), 224-225; im Folgenden zitiert als: Laubach, Hebräer. 74

Elberfelder, 2240.

75

Hebräer 13,1. Dies kann, wie „πίστις“ im Allgemeinen, nur durch den Heiligen Geist geschehen. Laubach, Hebräer, 225. 76

Arnold Falkenroth, „Glauben“ Biblisches Wörterbuch, 231;im Folgenden zitiert als: Falkenroth, Wörterbuch. 77

Vergl. Gen 15,5-6; Röm 4,1-5.9-22. Otto Michel, Klaus Haacker „πίστις, …“ TBLNT, 789; im Folgenden zitiert als: Michel, Haacker, TBLNT. 78

Elberfelder, 2240; Rudolf Bultmann, „πίστις, …“ ThWNT, Bd 6, 218-219; im Folgenden zitiert als: Bultmann, ThWNT. Dies schließt die Anerkennung eines geschichtlichen Sachverhalts mit ein, vergl.: Michel, Haacker, TBLNT, 791. 79

Wilckens, Römerbrief, 247-248. Falkenroth, Wörterbuch, 231. Ähnlich: Nach Bultmann, ThWNT, 218-219, ist mit dem Glauben die Annahme des Kerygmas (Verkündigung), die Anerkennung und Unterwerfung unter Gottes Heilsweg der Gnade und das Bekenntnis von Jesu als Herrn verbunden. 80

Michel, Haacker, TBLNT, 791. Hebräer 6,1. Mit toten Werken ist das ganze Sein des Menschen ohne Gott gemeint, es ist tot. Von diesem Leben ohne Gott ist nun zu Gott hin umzukehren. Laubach, Hebräer, 116.

16 ist ein „zum Glauben kommen“.81 Die Inanspruchnahme der Rechtfertigung ist keine menschliche Leistung. Eigene Werke oder Eigenleistung sind hier fehl am Platz.82 3.5.4

ἔργα

Die „ἔργα

μο (Werke des Gesetzes)83

μο “ werden im Sinn von „Gesetzeswerken“ (Elb; SLT; LU 84), als ein

„Einhalten von Gesetzesvorschriften“ (NGÜ), als ein „Gesetz befolgen“ (Basis), als „vom Gesetz geforderte Leistungen“ (GNB) und als „gute Taten“ (Hfa) übersetzt. Mit „ἔργα

μο “ sind Taten, Handlungen, eine Arbeit oder ein Werk gemeint,

welche durch das Gesetz vorgeschrieben sind. Die Regelungen des Gesetzes, samt Inhalt und Forderungen, sind eingeschlossen.84 Paulus versteht unter den „ἔργα

μο “

ein Mittel, um die eigene Gerechtigkeit zu begründen. Daher geht es hier um ein überhebliches Streben des Menschen nach Selbstgerechtigkeit.85 Da das Gesetz in erster Linie zu denen spricht, die unter/im Gesetz sind, zeigt sich, dass mit den „ἔργα

μο “ nicht etwas gemeint ist, das die Juden allein von Hei-

den erwarteten. So ist unter den Werken des Gesetzes nicht eine einzelne Grenzmarkierung86 gemeint.87 Ohne die Rolle des Glaubens zu leugnen, beharrten Juden zur Zeit des Paulus auf Werke, welche eine Bedeutung für die Rechtfertigung haben sollten.88

81

Michel, Haacker, TBLNT, 792. Vergl. auch Römer 10,4-13. Der Glaube äussert sich mit der Bitte um Hilfe; Falkenroth, Wörterbuch, 232. Die Hingabe an Gott ist als Antwort auf Gottes Heilstat zu sehen. Sie ist eine alles bestimmende Grundhaltung des Lebens; Bultmann, ThWNT, 221. 82

Im Bilde gesprochen geht es um eine völlige Fremdfinanzierung aus Gottes Kasse, ganz ohne einen eigenen Unkostenbeitrag (sonst könnte der Mensch nie wissen, ob seine Eigenleistung ausreicht); Kettling, Wörterbuch, 446. Vergl. 3.4. 83

Vergl. Ausführungen unter 2.3, 2.3.1, 2.4, 3.2, 3.3.

84

Elberfelder, 2108; Haubeck, Siebenthal, Sprachschlüssel, 910-911. Nach Thiessen, Römer, 130, geht es bei dem Begriff „ἔργα μο “ grundsätzlich um die Werke, die das Gesetz vom Menschen verlangt. 85

Klaus Haacker, „ όμος, …“ TBLNT, 648, daher sieht Haacker „ἔργα μο “ nicht als Ausdruck der Forderung Gottes (diese ist das Gesetz). Thiessen, Römer, 130, ist der Ansicht, es spiele für Paulus keine Rolle, ob nun allgemein gute Werke ohne Besitz des mosaischen Gesetztes oder solche welche auf der Tora basieren, Rechtfertigung bringen können (vergl. Röm 2,12ff). 86

Vertreten wird diese Ansicht von James D.G. Dunn, Romans 1-8, WBC 38a (Dallas: Word Books, 1988), 152-156, 158-160. Die Thesen Dunns werden bei Moo, Romans, 213, wie folgt zusammengefasst: Paulus schrieb gegen die, welche für Nichtjuden das Gesetz einführen wollten. „Werke des Gesetzes“ ist der Gehorsam zum Gesetz als zur Herstellung einer Grenze um das jüdische Volk. Die Werke bringen nicht in die Beziehung zu Gott, dienen aber zur Aufrechterhaltung ihrer nationalen Gerechtigkeit. Paulus argumentiert somit gegen die Annahme eines begünstigten Status vor Gott, auf dem man sich ausruhen kann. Ähnlich schreibt Wright, dass auch wenn das Gesetz zur Abgrenzung gebraucht wurde, kein Schutz vor Gottes Gericht bot und stattdessen das Gegenteil bewirkte. Das Gesetz klagt seinen Besitzer an, da dieser das Gesetz trotz seines Bundesstatus brach. N.T. Wright, Paulus für heute, Der Römerbrief 1-8 (Gießen: Brunnen, 2014), 73-74.

17 Mit „ἔργα

μο “ kann kein Mensch vor Gott gerechtfertigt werden (Röm

3,20)89, da hierzu das Einhalten des ganzen Gesetzes notwendig wäre (Röm 2,1390). Aufgrund der Sünde des Menschen ist dies ausgeschlossen (Röm 3,9-20.23.27).91 Da die „Werke des Gesetzes“ dem Sünder nicht zur Gerechtigkeit verhelfen, erfolgt Rechtfertigung allein aus dem Glauben92 und ohne die Gesetzeswerke. Der Mensch ist somit ganz auf Jesu Erlösungswerk angewiesen.93 Wäre dies nicht der Fall, dann müssten bekehrte Heiden zur Rechtfertigung noch zum Judentum übertreten und sich beschneiden lassen.94

4.

ZUSAMMENFASSUNG DER EXEGESE

Es geht im Römer 3,28 um die Frage wie der Mensch gerettet wird. Der Hintergrund dieser Frage ist die Kontroverse, ob Werke wie die Beschneidung für die Errettung notwendig sind. Die Rechtfertigung nimmt einen zentralen Stellenwert im Römerbrief ein. Sie legt das Fundament für die weiteren Ausführungen. Die Rechtfertigung führt vom Stand unter Gottes Zorn zum Frieden mit Gott. Die Rechtfertigungslehre ist keine Neuerfindung des Paulus, sondern sie wird bereits im Alten Testament bestätigt. Die Rechtfertigungslehre ist christologisch begründet. Sie zielt auf Gottes Heilswirken durch Jesus. Ihre Grundlage ist Gottes Gerechtigkeit. Aufgrund der Sünde hat der Mensch Gottes Urteilt verdient. Jede menschliche Leistung reicht nicht aus um 87

Thiessen, Römer, 127.

88

Moo, Romans, 215-216. Vergl. auch 2.3.1. Gemäß Thiessen ist unter „Werke des Gesetzes“ das Bestreben, durch das Halten der Tora, die Rechtfertigung vor Gott zu erreichen, gemeint. So ist der Grund für die Betonung der Beschneidung nicht als ein abgrenzendes Merkmal zu sehen, sondern als eine Leistung, welche schlussendlich vor der Höllenstrafe bewahren soll. Zu beachten ist, dass durch die Beschneidung die Proselyten gleichzeitig in die Verpflichtung zum Einhalten der Tora einwilligten. Vergl. die Ausführungen in Thiessen, Römer, 127, 129-130. 89

Vergl. 3.5.2.

90

Auf die Diskussion was unter dem „Gericht nach Werken“ in Römer 2,13 gemeint ist, kann nicht eingegangen werden. Der Verfasser verweist auf die Ausführungen in Wilckens, Römerbrief, 127133 und 142-146. 91

So bewirkt das Gesetz Erkenntnis der Sünde (Röm 3,20), Thiessen, Römer, 128. Klaus Haacker, „ όμος, …“ TBLNT, 635. Das Wissen um das Gesetz reicht nicht zur Rechtfertigung aus, Walter Gutbrod, „ όμος, …“, ThWNT, Bd 4, 1064. Die komplette Erfüllung des Gesetzes wurde auch im Judentum als Unmöglichkeit angesehen, Georg Bertram, „ἔργο , …“ ThWNT, Bd 2, 643. Moo, Romans, 217. 92

Vergl. hierzu 3.5.3.

93

Vergl. hierzu Wilckens, Römerbrief, 248 und Thiessen, Römer, 128.

94

Vergl. Klaus Haacker, „ όμος,…“ TBLNT, 636. Vergl. auch 3.3.

18 vor Gott als gerecht dazustehen. Die Rechtfertigung des Sünders ist ausschließlich Gottes Tat. Somit schließt die Rechtfertigung jeglichen Stolz auf eigene Leistung aus. Sie geschieht nicht aus Gesetzeswerken. Daher müssen die Heiden um, vor Gott gerecht zu werden, nicht erst zum Judentum konvertieren und sich beschneiden lassen. Die Rechtfertigung steht Juden und Heiden auf der gleichen Basis zur Verfügung. Allein auf der Basis des Glaubens kann die Rechtfertigung angenommen werden. Römer 3,28 ist die Schlussfolgerung dieser Argumentation. Ihre Folgerung ist: „Die neue Art zu Rechnen/Schlussfolgern ist, dass der Mensch gerechtfertigt wird. Dies geschieht aus Glauben und ohne Gesetzeswerke.“ Die Rechtfertigung gilt dem einzelnen Menschen. Bei der Rechtfertigung geht es darum, wie der sündige Mensch von Gott frei- bzw. gerecht gesprochen wird und als gerecht gilt. Der einzelne Mensch muss die Rechtfertigung im Glauben in Anspruch nehmen. Glaube ist wenn der Sünder erkennt, dass Jesu Sühnetat ihm persönlich gilt und der Mensch sich dieser Heilstat anvertraut. Dies beinhaltet eine Abkehr von der Lebensweise ohne Gott. Der Glaube ist eine Hinwendung des Menschen zu Gott und ein „sich unter seinen Herrschaftsbereich stellen“. Die Werke des Gesetzes können nichts zur Rechtfertigung beitragen. Sie sind Handlungen welche das Gesetz vorschreibt und zur Zeit Paulus als Mittel verwendet wurden um vor Gott als Gerecht zu gelten. Somit geschieht die Rechtfertigung nicht auf der Leistung des Menschen, sondern aufgrund der Annahme der von Gott geschenkten Erlösung im Glauben.

5.

ERKENNTNISSE FÜR DEN PASTORALEN DIENST

Im Folgenden wird der Verfasser die aus der Exegese gewonnenen Erkenntnisse auf einen pastoralen Dienst reflektieren. 5.1

Erkenntnisse für die Verkündigung

Die dargelegten Aussagen über die Rechtfertigung zeigen die Wichtigkeit, dass in der Predigt deutlich wird, dass die Rechtfertigung aus Glauben das Fundament, allen christlichen Handelns ist. Gerade wenn über das Thema der Heiligung gepredigt wird und wenn Bibeltexte mit Imperativen ausgelegt werden, muss das Missverständnis vermieden werden, dass diese (wichtigen) Werke nichts zur Rechtfertigung beitragen und auch nicht zu einem gerechten Stand vor Gott verhelfen. So hat der Verkündiger deutlich zu machen, dass die Heiligung auf der Rechtfertigung basiert. Die Rechtfertigung führt zur

19 Heiligung und nicht die Heiligung zur Rechtfertigung. Die Rechtfertigung ist das Fundament und von diesem Stand aus wirkt Gott alles Weitere. 5.2

Erkenntnisse für die Seelsorge

Die Rechtfertigung aus Glauben hat auch eine seelsorgerliche Dimension. Hier gilt, in seelsorgerlichen Gesprächen die Betonung zu setzen, dass der Glaube an Christus und sein Erlösungswerk ausreichen. Selbst wenn ein wichtiges Bekenntnis, wie das der Taufe (noch) nicht durchgeführt wurde, ist die Person dennoch gerettet, da die Rechtfertigung allein aus Glauben geschieht.95 Dies gilt ebenso bei einer Person, die aufgrund einer sich wiederholenden Sünde Zweifel an der eigenen Errettung bekommt. Auch wenn die Person ihr Leben nicht als heilig bzw. als gerecht bezeichnet gilt, dass die Gerechtsprechung nicht aufgrund der Heiligung erfolgt. Nicht die Heiligung macht den Menschen gerecht, sondern allein der Glaube an Jesus Christus. 5.3

Erkenntnisse für das Verhindern von Gesetzlichkeit

Die Gesetzlichkeit erscheint in heutiger Zeit in vielen Fassaden.96 Die Formel ist, wenn auch ungewollt oder unterschwellig, Jesus und menschliche Leistung ist für die Errettung/Rechtfertigung notwendig.97 So weißt die Rechtfertigungslehre jede Aussage in die Schranken, die weitere Bedingungen, wie das Halten gewisser Traditionen, mit der Errettung verknüpft.98 Durch die Betonung der Rechtfertigungslehre, dass die Errettung allein durch die gläubige Annahme des Erlösungsgeschehen Jesu möglich ist und ggf. indem man denn Fall der Beschneidung auf die heutige Zeit überträgt, ist der Gesetzlichkeit entgegenzutreten. 5.4

Erkenntnisse für die Evangelisation

Römer 3,28 fasst das Evangelium zusammen. Für die Evangelisationen sind 3 Punkte entscheidend. Der Mensch ist ein Sünder und schuldig vor Gott. Die eigenen Leistungen 95

Vergl. Haacker, Paulus, 228.

96

Siehe Thomas Schirrmacher, Gesetz und Geist (Hamburg: RVB, 1999), 98-103.

97

Vergl. Werner de Boor, Die Apostelgeschichte , Wuppertaler Studienbibel (Witten: R.Brockhaus, 2011), 269. Dies wird in der plakativen Formel sicherlich von den wenigsten Gemeinden gelehrt, es geschieht eher unbewusst, durch das Überbetonen gewisser Regeln oder Formen. 98

Dies sieht der Verfasser dann als gegeben, wenn gelehrt wird, dass wer in den Himmel kommen möchte, diese oder jede Form einzuhalten hat (auf Beispiele werden bewusst verzichtet), oder auch wenn Ausschlussmerkmale der Errettung genannt werden, welche nicht direkt auf die Bibel zurückzuführen sind.

20 reichen nicht aus. Für jeden ist Rettung nur durch den Glauben an die, von Christus erbrachte, Erlösung möglich. Somit gehören diese Punkte, aus Sicht des Verfassers, zu jeder evangelistischen Verkündigung dazu. Aus Sicht des Verfassers liegt in der Betonung dieser drei Punkte, ein Schlüssel zur „erfolgreichen“ Evangelisation. 5.5

Erkenntnisse für das Miteinander in der Gemeinde

Die Rechtfertigungslehre hat Auswirkungen für das Miteinander in der Gemeinde. Gleichwie Juden und Heiden auf derselben Grundlage, allein aus Gnaden und durch Glauben, gerechtfertigt wurden, ist die Situation auch in der heutigen Gemeinde. Jeder Wiedergeborene wurde auf dieser Grundlage vor Gott gerecht. Wenn dies in einer Gemeinde realisiert wird, kann dies zur Demut führen. Es kann verdeutlichen, dass es keine „besseren Christen“ gibt, sondern das alle auf derselben Stufe sind. Jeder in der Gemeinde ist auf derselben Basis vor Gott gerecht geworden Alle wurden aus Gnaden gerechtfertigt.

6.

SCHLUSSWORT: VON GLAUBEN UND GERECHTIGKEIT

Wie wird der Mensch vor Gott gerecht. Was muss er tun um von Gott gerecht gesprochen zu werden. Die Antwort ist, gerecht wird der Mensch nicht durch Leistung. Gerecht wird der Mensch nur durch das Werk Gottes. Alles was zur Gerechtsprechung des Menschen notwendig ist, wurde von Gott vollbracht. Der Mensch muss es nur durch den Glauben annehmen. Diese Wahrheit stimmt dankbar und motivierend. Es lässt den Verfasser Gott gegenüber dankbar werden, dass er die Rechtfertigung dem Menschen schenkt. Sie motiviert aber auch anderen Menschen auf diese Wahrheit aufmerksam zu machen. Sie motiviert zum hoffen und beten, dass viele weitere Menschen dieses Geschenk der Rechtfertigung annehmen. Des Weiteren motiviert diese Wahrheit, auf der Grundlage der Rechtfertigung und in der Kraft des Geistes zu leben.99 Die Gerechtsprechung des Menschen ist Gottes Werk. Allein der Glaube führt zu dieser Gerechtigkeit. Somit gehört allein Gott die Ehre, Dankbarkeit und Anbetung.

99

Wie das Leben auf der Grundlage der Rechtfertigung aussieht kann in dieser Arbeit nicht behandelt werden. Andere Autoren haben sich damit beschäftigt wie: Markus Liebelt, „Rechtfertigung und Heiligung – Wege und Irrwege im Verständnis von Heil, Heiligung und Heilung,“ in Leben zur Ehre Gottes, Hg Christian Herrman (Witten: R.Brockhaus, 2010), 366-383. Ernst Käser, Die Rechtfertigung des Lebens (Herbligen: Verlag der Gemeinde für Christus, 2011).

21

7.

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