Nationale Impfkonferenz 8. - 9. Februar 2011

Haus der Wirtschaft, Stuttgart

Impfen Wirklichkeit und Vision

Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familien und Senioren

Abstractband www.nationale-impfkonferenz.de www.nationale-impfkonferenz.de

Inhaltsverzeichnis Vorträge Impfziele für Deutschland – Wo stehen wir heute – was wollen wir erreichen

S.3

Maserneliminierung S.4 Impfkampagnen – Zielgruppenspezifische Aufklärung der Bevölkerung S.4 Ethische Aspekte des Impfens

S.5

Die Rolle der Medien am Beispiel von A/H1N1

S.5

Finanzierungsmodelle für öffentlich empfohlene Impfungen

S.6

Imfpung und Schwangerschaft S.7 Impfrävention bei Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund

S.9

Innovative Ansätze zu Impfstoffen - Neuartige Prinzipien bei der Impfstoffentwicklung

S.10

- Vom Pockenimpfstoff zum modernen Biopharmazeutikum – Was sind Impfungen heute und in der Zukunft wert?

S.11

- Intradermale Applikation

S.11

Zielgruppenspezifische Kommunikation - Zielgruppenspezifische Kommunikation zum Impfen mit Eltern

S.12

Kommunikation mit der Fachöffentlichkeit

S.12

Impfkritische Postitionen im Dialog - Zulassung und UAW´s - Impfungen und kindliches Immunsystem

S.13 S.14

Rolle des ÖGD - Impfziele – Welche Rolle spielt der ÖGD - Was können Impfkampagnen durch den ÖGD leisten?

S. 15 S. 15

Poster Postersession 1 Strategien zur Anhebung der Impfquote P1 – P14b

S. 17

Postersession 2 Allgemeine Konzepte, Projekte/Studien P15 – P26c

S. 25

Postersession 3 Impfstatus und Impfquoten, Seroprävalenz P27 – P41

S.35

Postersession 4 Immunologie; Wirksamkeitsstudien, UAW, Surveillance und Risikokommunikation P42 – P50

S. 44

Autorenverzeichnis

S. 50

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Vorträge „Impfziele für Deutschland - Wo stehen wir heute – Was wollen wir erreichen“

R. Burger Robert Koch-Institut, Berlin

Die Impfquoten bei den Schulanfängern steigen kontinuierlich. Dennoch besteht beim Impfschutz der Bevölkerung in Deutschland noch deutlicher Handlungsbedarf und Verbesserungen sind erforderlich. Dies gilt nicht nur für Jugendliche und Erwachsene, sondern auch bei den Standard­impfungen für Kinder gegen Masern, Mumps, Röteln, Pertussis und Hepatitis B sind die Impfquoten noch ungenügend. Im Bereich der Vakzinologie ist eine zunehmende Dynamik nicht zu übersehen. Ihre Kennzeichen sind die Entwicklung neuer Impfstoffe und die Nutzung komplexer Wirkmechanismen. Nicht nur vor diesem Hintergrund ist eine evidenzbasierte und transparente Prüfung ihres Nutzens erforderlich als Voraussetzung für eine gerechte und effiziente Verteilung der begrenzten Res­sourcen im Gesundheitswesen. Ein wesentliches Element wissenschaftlich fundierter Handlungsweisen im Gesundheitswesen ist die Definition von Gesundheitszielen. In einem föderal und sektoral stark gegliederten Gesundheitssystem wie in der Bundesrepublik ist es besonders wichtig, dass die verantwortlichen Akteure im Gesundheitswesen gemeinsam Probleme erkennen und eine gemeinschaftliche Lösung anstreben. Nur dann lassen sich begrenzte Ressourcen effektiv nutzen. Die Definition verbindlicher Ziele in der Impfprävention ist eine zentrale Voraussetzung nicht nur für die Planung und Umsetzung, sondern auch für die Entwicklung und Evaluation von Impfprogrammen. Mögliche Impfziele können die Reduktion von Morbidität und krankheits­ assoziierten Komplikationen sein. Die Elimination oder gar Eradikation eines Erregers kann ein derartiges Ziel darstellen. Auch der Schutz von Personen, die nicht geimpft werden können, oder die Reduktion von Kosten für das Gesundheitssystem und die Gesellschaft sind legitime Ziele. Die Ständige Impfkommission (STIKO) veröffentlicht seit 2004 in ihren ausführlichen, Be­gründungen der jährlich aktualisierten Impfempfehlungen jeweils die Impfziele, die erreicht werden sollen. Die Empfehlungen der STIKO können als fachliche Impfziele verstanden werden, ohne dass ihnen unmittelbare rechtliche Verbindlichkeit zugeschrieben wird. Bundesweite, von Bund und Ländern gemeinsam getragene Impfziele, sind bisher nur das Masern, Mumps, Röteln-Eliminationsprogramm und ein 2010 eher allgemein formuliertes Ziel zur Impfförderung im Rahmen des Nationalen Gesundheitsziels ‚Gesund aufwachsen’. Die Bundesrepublik hat sich jedoch auch den Gesundheitszielen der WHO und EU verpflichtet

im Hinblick auf impfpräventable Erkrankungen. Hierzu gehören die Masernelimination, die - öffentlich kaum bekannte - Elimination der Röteln und des kongenitalen Rötelnsyndroms, die Polioeradikation und die Erhöhung der Influenza-Impfquoten. Einzelne Bundesländer haben landesspezifische Impfziele definiert. Insgesamt fehlt jedoch ein zielorientiertes, wissenschaftlich fundiertes, gesundheitspolitisch breit unterstütztes Gesamtkonzept zur Impfprävention. Hier ist zusätzliche Abstimmung erforderlich. Der Entwurf des Nationalen Impfplans bildet jedoch einen wichtigen und ersten Rahmen für ein übergreifendes Konzept. Verbindliche gemeinsame Impfziele sollten in erster Linie für solche Impfungen definiert werden, die im öffentlichen Interesse liegen. Ein wichtiges Impfziel ist die Erreichung einer ausreichenden Immunität in allen Alters­gruppen. Bei vielen Krankheiten spielt nicht nur die Höhe der erzielten Impfquoten eine große Rolle für die Herdenimmunität, sondern auch der Zeitpunkt zu dem der Impfschutz erreicht wird. Dies gilt etwa für Pertussis, Pneumokokken und Haemophilus influenzae Typ b, da hier Erkran­kungen im Säuglingsalter besonders schwer verlaufen können. Bei anderen Krankheiten, für die das Ziel in einer regionalen Eliminierung besteht, wie bei Masern und Röteln, müssen die dafür notwendigen, sehr hohen Impfquoten (95%) flächendeckend erreicht werden. Dies gilt wohlgemerkt nicht nur in jedem Bundesland, sondern auch in jedem Kreis und jeder Stadt. Aber auch bei Krankheiten ohne Eliminationsziel ist gleichermaßen eine möglichst hohe Impfquote anzustreben. Bei ihnen steht jedoch primär der Schutz für den einzelnen Geimpften im Vordergrund, obwohl Aspekte des Drittschutzes (z.B. Influenza, Pertussis) oder des Nestschutzes (Tetanus, Influenza) auch hier eine Rolle spielen können. Die Entwicklung von Impfzielen ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Impfziele können geplante Aktivitäten bündeln und harmonisieren. Dabei können die unterschiedlichen Impfquoten in den Bundesländern auch zu unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen führen. Impfziele müssen realistisch und konkret sein. Sie sollten Empfehlungen für zeitnah umsetzbare Maßnahmen enthalten, Prioritäten festlegen und Verantwortliche benennen. Die Impfziele müssen regelmäßig evaluiert und aktualisiert werden. Hierzu müssen jedoch die Surveillance der impfpräventablen Erkrankungen, des Impf- und Immunstatus und möglicher Impfkomplikationen deutlich verbessert werden. Für die Förderung des Impfgedankens sind auch verstärkte Kommunikationsaktivitäten notwendig, die an den Zielgruppen ausgerichtet sind und aus Akzeptanzgründen industrieunabhängig entstanden sein sollten. Schließlich müssen die Finanzierungsmöglichkeiten diskutiert werden.

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„Maserneliminierung“

O. Wichmann, Robert Koch-Institut, Berlin

Die Eliminierung von Masern und Röteln in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Region durch Impfprogramme ist ein erklärtes Ziel des WHORegionalkomitees für Europa. Unter der Eliminierung dieser Erkrankungen wird die Unterbrechung der einheimischen Übertragung des Masern- und des Rötelnvirus verstanden. Diese ist möglich, wenn mindestens 95% der Bevölkerung vor einer Infektion geschützt sind. Durch diesen hohen Anteil Geimpfter kommt es auch zu einem Herdenschutz von Säuglingen, die aufgrund ihres Alters zwar noch nicht geimpft werden können, aber besonders anfällig für Masernassoziierte Komplikationen sind. Darüber hinaus lassen sich Rötelnembryopathien sicher verhindern. Weltweit konnte durch die Impfung die Zahl der Masern-Todesfälle zwischen 2000 und 2008 um mehr als 75% reduziert werden. Masern gelten seit 2002 in den Ländern Amerikas als eliminiert. Das ursprüngliche Ziel, die Masern in Europa bis 2010 zu eliminieren, wurde aufgrund weiter stattfindender Ausbrüche und Transmissionsketten in mehreren europäischen Ländern, inklusive Deutschland, nicht erreicht. Während der 60. Tagung des WHORegionalkomitees für Europa im September 2010 wurde sowohl die Erneuerung des Engagements für die Eliminierung von Masern und Röteln als auch die Prävention der Rötelnembryopathie beschlossen. Als Zeitrahmen für das Erreichen dieser Eliminierungsziele wurde das Jahr 2015 neu abgesteckt. Die Eliminierung wird anhand von mehreren von der WHO definierten Indikatoren zertifiziert. Dazu gehören: 1) Die Inzidenz der Masern wie auch der Röteln durch entsprechende Impfprogramme auf 1 Fall pro 1 Millionen Einwohner pro Jahr zu senken; 2) Eine Impfquote von mindestens 95% mit zwei Masern/Röteln-Impfstoffdosen zu erreichen und aufrechtzuerhalten; und 3) Eine laborgestützte Surveillance mit einem Anteil von mindestens 80% laborbestätigten Erkrankungen unter den gemeldeten Masern/Rötelnfällen durchzuführen, da bei sinkender Inzidenz die Spezifität einer rein klinischen Diagnose deutlich abnimmt. Aktuell erarbeitet die WHO EURO einen Plan zur Dokumentation und Verifizierung der Masern- und Rötelneliminierung für Europa. Die Strategien stützen sich auf Erkenntnisse und Erfahrungen, die bei der Eradikation von Pocken und Poliomyelitis gewonnenen wurden. Das Regionalbüro plant, einen regionalen Verifizierungsausschuss zu etablieren und die Mitgliedstaaten zu ersuchen, nationale Verifizierungsausschüsse einzurichten, um ihre Fortschritte auf dem Weg zur Eliminierung zu dokumentieren. Eine Elimination kann erst erklärt werden, wenn die Unterbrechung einheimischer Viruszirkulation in allen Mitgliedstaaten über drei Jahre nach festgelegten Kriterien nachgewiesen worden ist.

Zu den Strategien der Masern-Eliminierung gehört, dass allen nicht-immunen Personen eine „zweite Chance“ zur Masern-Impfung durch ergänzende Impfmaßnahmen gegeben wird. Die IfSG-Daten und in Ausbrüchen gewonnene Erkenntnisse belegen, dass es über die letzten Jahre in einigen Regionen Deutschlands zu einer sukzessiven Akkumulation von Empfänglichen aufgrund steigender Impfquoten bei Kleinkindern mit daraufhin abnehmender Viruszirkulation gekommen ist. Dies äußerte sich darin, dass verhältnismäßig mehr Jugendliche und junge Erwachsene an Masern erkrankten als vor 10 Jahren. Aus diesem Grund hat die Ständige Impfkommission (STIKO) ihre Empfehlung zur Masern-Impfung 2010 angepasst und empfiehlt nun zusätzlich zur zweimaligen Impfung von Kindern und Jugendlichen bis zum 18. Lebensjahr auch allen nach 1970 geborenen Personen älter als 18 Jahre eine einmalige Impfung, wenn sie bislang nicht oder in ihrer Kindheit nur einmal gegen Masern geimpft sind. Eine Herausforderung wird es in Deutschland sein, die Eliminierung der Röteln nach den aktuellen Plänen zu dokumentieren, da die Erkrankung nicht bundesweit nach IfSG meldepflichtig ist und epidemiologische Daten aktuell nur aus den östlichen Bundesländern aufgrund landesspezifischer Meldeverordnungen vorliegen. Nach den Plänen der WHO ist jedoch für den Verifizierungsprozess die fall-basierte Meldung von Röteln in allen Mitgliedsländern eine „Conditio sine qua non“. Neben der epidemiologischen Analyse aller Rötelnfälle sowie der Genotypisierung des zirkulierenden Virus soll auch die Qualität des Surveillance-Systems in Bezug auf die Effizienz zur Erfassung von sporadischen Rötelnfällen beurteilt werden. Die WHO ist aufgrund des bisherigen Erfolgs und der bestehenden Surveillance-Infrastrukturen überzeugt davon, dass die Eliminierungsziele in sehr naher Zukunft erreicht werden können. Dazu sind jedoch zusätzliche, forcierte Maßnahmen erforderlich. Zu diesen gehören ergänzende Impfmaßnahmen zur Schließung von Immunitätslücken wie auch das Erheben und Auswerten weiterer nötiger Daten als Grundlage für Entscheidungen. Sowohl die Motivation der Öffentlichkeit zu Impfmaßnahmen als auch die Verwirklichung der Eliminierungsziele in Bezug auf Masern und Röteln bedürfen politischer Unterstützung auf kommunaler, Bundesland- und Bundesebene.

Impfkampagnen – zielgruppenspezifische Aufklärung der Bevölkerung

E. Pott Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), Köln

Im Mittelpunkt des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) stehen vorbeugende Maßnahmen und die Unterstützung eigenverantwortlichen Handelns durch Information und Aufklärung. Doch wie müssen Aufklärungskampagnen konzipiert sein, um erfolgreich zu sein? Eine Grundvoraussetzung ist die Anknüpfung an bestehendes

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Wissen sowie vorhandene Einstellungen und Verhaltensweisen, denn nur so können Interventionen die Zielgruppen erreichen und dann in Richtung der geforderten Zielstellungen motivieren. Verschiedene Zielgruppen erfordern dabei unterschiedliche Interventionsstrategien. Bei der Aufklärungsarbeit zu Impfungen im Kindesalter sind Eltern die wichtigste Zielgruppe. Um den gegenwärtigen Wissenstand, die Einstellungen und das Verhalten der Eltern zu erfassen, hat die BZgA eine repräsentative Erhebung von Oktober bis November 2010 durchgeführt. Befragt wurden insgesamt 3002 Eltern von Kindern im Alter von 0-13 Jahren aus dem gesamten Bundesgebiet. Neben der Analyse von Impfquoten und möglicher regionaler oder sozialer Einflussfaktoren war insbesondere das Informationsverhalten der Eltern mit Blick auf ihren Wissensstand, Informationsbedarf und die bevorzugten Informationskanäle Gegenstand der Untersuchung. Unter Berücksichtigung der verschiedenen Informationsgewohnheiten und -bedürfnisse, wählt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) bei ihrer Impfaufklärung verschiedene Zugänge. Neben massenmedialen Kommunikationsinstrumenten (wie Internet, Anzeigen/Pressearbeit, Spots, Plakate), die primär Aufmerksamkeit für das Thema erzielen, werden zielgruppenspezifische Informationsmedien (wie Flyer, Broschüren) angeboten, die Multiplikatoren in ihrer personalkommunikativen Aufklärungsarbeit und Beratung einsetzen können. Insbesondere die impfenden Ärzte nehmen eine Schlüsselrolle bei der Impfaufklärung ein; dies unterstreichen auch die aktuellen Ergebnisse der Elternbefragung. Zur Unterstützung der Ärzte als Multiplikatoren vor Ort werden daher von der BZgA spezifische Medienpakete und Arbeitshilfen bereitgestellt. Wichtig für den Erfolg von Impfkampagnen sowie für eine glaubwürdige Kommunikation mit den Zielgruppen ist zudem eine fachliche Konsentierung innerhalb der zahlreichen Akteure bei der Impfaufklärung. Für eine bessere Übersicht der bereits bestehenden Impfaufklärungsmaßnahmen der verschiedenen Akteure in Deutschland ist hierfür auch die Veröffentlichung einer kommentierten Medienübersicht geplant.

Ethische Aspekte des Impfens U. Wiesing, G. Rothenberger, Universität Tübingen, Institut für Ethik und Geschichte der Medizin, Zentrum für Medizin, Gesellschaft und Prävention

Obwohl das Prinzip der Schutzimpfung zur Krankheitsvorbeugung aus ethischer Sicht grundsätzlich zu begrüßen ist, ergeben sich bei genauerer Betrachtung einige Punkte, die in der ethischen Fachliteratur kritisch diskutier werden. Dies betrifft vor allem die Rechtfertigung zur Einschränkung der Autonomie des

Einzelnen, den Umgang mit Interessenskonflikten und die praktische Umsetzung in Form von Impfempfehlungen z.B. durch Anreizsysteme.

In der Diskussion um Nutzen und Schaden sind zwei Ebenen zu beachten: die des Individuums und die der Gesellschaft. Möglicher Nutzen und Schaden für ein Individuum unterscheiden sich von denen der Gesellschaft. Eine Vernachlässigung individueller Risiken oder gar Schäden durch ausschließliche Betrachtung des gesellschaftlichen Gesamtnutzens im Sinne einer utilitaristischen Perspektive ist ethisch derzeit nicht zu rechtfertigen. In unserer Gesellschaft genießt die Selbstbestimmung des Einzelnen einen sehr hohen Stellenwert. Sie schließt auch ein Abwehrrecht jenseits utilitaristischer Erwägungen ein. Deshalb sind Zwangsimpfungen, auch bei nachgewiesenem hohem Gesamtnutzen, derzeit gesellschaftlich schwerlich durchsetzbar. Dies gilt auch für die Entscheidung von Eltern, ihr Kind nicht impfen zu lassen, sofern die Eltern zum (vermeintlichen) Wohl des Kindes handeln. Interessenskonflikte innerhalb oder zwischen unterschiedlichen Akteuren des Impfwesens (z.B. Staat, Politik; pharmazeutische Industrie, Arzt und Bürger) können ebenfalls zu ethischen Dilemmata führen. Hier ist die Vermeidung oder zumindest Minimierung der Konflikte durch sachgerechte Aufklärung und frühzeitige Partizipation aller Betroffenen, vor allem aber eine Transparenz und Fairness der Prozesse ethisch zu fordern. Dies gilt insbesondere für Anreizsysteme als Maßnahme zur Erhöhung von Durchimpfungsraten. Adäquate Anreizsysteme zum Wohle des Einzelnen und der Gesellschaft sind ethisch prinzipiell geboten. Allerdings muss im konkreten Fall die Grenze zwischen ethisch angemessenen und unangemessenen Anreizen kritisch diskutiert werden. Transparenz erscheint daher als eine ethische Hauptforderung.

Die Rolle der Medien am Beispiel A/H1N1

V. Stollorz, freier Wissenschaftsjournalist, Köln

  Die erste Influenza-Pandemie im 21. Jahrhundert ist ein Paradebeispiel, wie öffentliches Vertrauen in Expertenempfehlungen erodieren kann, wenn deren Prognosefähigkeit plötzlich in Zweifel steht. Eine zunächst hohe Konsonanz des Pandemie-Alarms in den Massenmedien verursachte im weiteren Verlauf eine zunehmende Resonanz der Zweifel an seiner Angemessenheit. So kam es zu einem paradox anmutenden Effekt, bei dem sogar ein und dasselbe Medienprodukt zunächst ein überriskantes Bild der gesellschaftlichen Gefährdungslage zeichnete, um

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kurze Zeit später genau dieses Bild als übertrieben zu brandmarken. Ist das ein Defekt des Journalismus? Der Vortrag diskutiert drei Risikolagen, in denen solche mediale Dynamiken vermehrt auftreten: Mangelnde Transparenz zentraler Entscheidungen, eine fehlende Thematisierung von Unsicherheit der Expertenurteile sowie eine verzögerte Anpassung der Maßnahmen an die tatsächlich beobachteten Risikolagen. Werden solche Grundsätze in der künftigen Pandemie-Kommunikation beachtet, könnte dies langfristig öffentliches Vertrauen in Expertise sichern helfen.

Finanzierungsmodelle für öffentlich empfohlene Impfungen U. Dietz, Bundesministerium für Gesundheit Die Ausführungen geben die persönliche Meinung des Verfassers wieder

Schutzimpfungen sind Vorsorgemaßnahmen und nicht Teil der Krankenbehandlung. Sie waren daher lange Zeit nur freiwillige Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Erst seit 2007 ist die gesetzliche Krankenversicherung verpflichtet, die Kosten für Schutzimpfungen zu tragen. Grundlage sind die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission, die vom Gemeinsamen Bundesausschuss in aller Regel übernommen und damit für die GKV verbindlich werden. Weitere Impfungen können die Krankenkassen als freiwillige Satzungsleistungen anbieten. Schutzimpfungen für private Auslandsreisen werden in der Regel nicht von der GKV bezahlt. Impfungen werden als Sachleistung erbracht. Zuzahlungen werden nicht erhoben. Damit ist die Finanzierung von Impfungen durch die gesetzliche Krankenversicherung garantiert. Mit dem Gesetz nur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung (AMNOG) sind zum 1. Januar 2011 zwei neue Regelungen zum Impfungen getroffen worden. Impfstoffe werden erheblich preisgünstiger. Gesetzliche und private Krankenversicherungen zahlen ab sofort keine höheren Preise für Impfstoffe mehr als der Durchschnittspreis in den vier Nachbarländern mit den nächst folgenden Bruttonationaleinkommen. Eine Preisdifferenz wird durch Hersteller-Rabatte an die Krankenversicherungen ausgeglichen. Entsprechende Preisobergrenze gelten für Arzneilieferverträge über Impfstoffe zur Versorgung von Arztpraxen. Außerdem können einzelne Krankenkassen ab sofort Impfstoffe direkt beim Hersteller einkaufen und dieser Impfstoffe exklusiv für Impfungen über Apotheken an Arztpraxen liefern. Impfstoffanbieter könnten als Reaktion hierauf künftig ihre Beiträge zur Impfaufklärung einschränken. Um so wichtiger wird die Aufklärung durch die Gesundheitsbehörden und die Einbeziehung von

Patienten- und Verbraucherorganisationen. Neu ist auch, dass die Impfvereinbarungen der Krankenkassen mit Ärzten über die Durchführung von Impfungen schiedsfähig werden. Bei Nichteinigung entscheidet eine Schiedsperson innerhalb von drei Monaten, die von den Vertragsparteien benannte Schiedsperson wird. Bei Nichteinigung über die Schiedsperson entscheidet die für die Krankenkasse zuständige Aufsichtsbehörde. In der privaten Krankenversicherung fehlen für solche Vereinbarungen bisher die Voraussetzungen. Die PKV hat Impfleistungen noch nicht in ihren MusterBedingungen vorgesehen. Außer im Basis-Tarif, der dem Leistungskatalog der GKV folgt, hängt die Übernahme von Impfkosten somit von der Tarifgestaltung des jeweiligen Unternehmens ab. Häufig sind in ambulanten Tarifen Impfleistungen wie in der GKV vorgesehen. Hierbei bleibt es aber beim Individualanspruch ohne Option für eine personenübergreifende Organisation von Impfschutz für Privatversicherte. Die im Jahre 2009 vorgesehene Fonds-Lösung mit pauschalen Finanzierungsbeiträgen von gesetzlichen und privaten Krankenversicherung war eine Sonderregelung für den Pandemiefall aufgrund von § 20 Absatz 4 Infektionsschutzgesetz. Regelfall für die Finanzierung von Impfungen auf die gesetzliche Krankenversicherung bleibt eine Leistungspflicht, die entsprechend der Logik der GKV als Individualanspruch von einzelnen Versicherten gegenüber ihrer jeweiligen Krankenkassen ausgestaltet ist, auch wenn die Krankenkassen Impfvereinbarungen mit Ärzten zur Durchführung von Impfungen und Arzneilieferverträge mit Apotheken über die Versorgung von Arztpraxen mit Impfstoffen schließen. Diese Individual-Anspruch passt schlecht zu dem bevölkerungsbezogenen Ansatz, der für wirksamen Impfschutz erforderlich ist. Die Finanzierungsgarantie der GKV für Impfungen sichert somit allein noch keine funktionsfähige Impforganisation für einen umfassenden Impfschutz der Bevölkerung. Die Krankenkassen bleiben auf die Strukturen der ambulante Versorgung insbesondere durch niedergelassene Ärzte angewiesen. Das mag ausreichen für diejenigen Impfungen, die im Säuglingsoder Kleinkinderalter bei den U-Untersuchungen durchgeführt werden können. Impflücken und Defizite bei Impfschutz können so nicht beseitigt werden. Es ist nicht zu erwarten, dass die Krankenkassen aus eigener Kraft eine Organisation zur Gewährleistung von Impfschutz für die gesamte Bevölkerung aufbauen können. Dies bleibt wesentlich eine öffentliche Aufgabe. Die gesetzlichen Neuregelungen durch das AMNOG eröffnen dafür neue Chancen. Der Öffentlichen Gesundheitsdienst hatte schon bisher die Option,

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Impfvereinbarungen mit Krankenkassen zu schließen. Durch die neue Schiedsregelung hat er jetzt jedoch die Möglichkeit, solche Verträge herbeizuführen. Der öffentliche Gesundheitsdienst hat es damit jetzt selbst in der Hand, die Neuorganisation von Impfschutz in Kindergärten, Schulen, an Arbeitsstätten und in Heimen in Kooperation mit den Krankenkassen herbeizuführen. Vielleicht kann auch der Nationale Impfplan hierzu einen Beitrag leisten.

Tabelle 1: Impfungen mit Totimpfstoffen während der Schwangerschaft (CDC) Impfstoff Hepatitis B Influenza

M. Knuf, Klinik für Kinder und Jugendliche, Dr. Horst Schmidt Klinik, Pädiatrische Infektiologie, Universitätsmedizin Mainz

Zum Thema „Impfung und Schwangerschaft“ gehören die korrekte, zeitgerechte Durchführung von empfohlenen oder sinnvollen Impfungen vor der Schwangerschaft, möglicherweise in der Schwangerschaft (strenge Indikationsstellung) sowie die Vakzination von Angehörigen und Mitarbeitern im Gesundheitsdienst. Vor einer Schwangerschaft sollte der Impfstatus überprüft werden. Es gilt Impflücken, insbesondere bei Lebendimpfungen mit Relevanz in der Schwangerschaft und für das Neugeborene (Röteln, Windpocken, Masern, Mumps) sowie Totimpfungen gegen Erkrankungen, die nach der Entbindung eine Rolle spielen können (z. B. Pertussis) zu schließen. Die ständige Impfkommission (STIKO) stellt bezüglich der Thematik „Impfungen in der Schwangerschaft“ fest: „Nicht dringend indizierte Impfungen sollten während der Schwangerschaft nicht durchgeführt werden. Dies gilt vor allem für Impfungen mit Lebendimpfstoffen gegen Gelbfieber, Masern, Mumps, Röteln und Varizellen“. Dennoch kann es notwendig sein während der Schwangerschaft zu impfen. Hierzu gehören eventuell die Auffrischung von Routineimpfungen bzw. Indikationsimpfungen (Tetanus, Diphtherie, Influenza, Pneumokokken), die postexpositionelle Impfung (Tollwut, Tetanus, Hepatitis B, Varizellen, Masern), ggf. Reiseimpfungen (Hepatitis A, Hepatitis B, Typhus, Gelbfieber, Japanische Encephalitis, Tollwut) oder Impfungen mit arbeitsmedizinzischer Indikation (Hepatitis B, Influenza, Tollwut).

KI

Abwägung 

 Empfohlen

Polio (IPV)



Pneumokokken Tetanus/Diphterie

„Impfung und Schwangerschaft“

Bei Indikation

Hepatitis A

 

CDC 5/2007, Advisory Comitee on Immunization Practices (ACIP)

Tabelle 1 gibt die amerikanischen Empfehlungen der CDC zur Verwendung von Totimpfstoffen während der Schwangerschaft wieder.

Die Rationale für die Empfehlung der Influenza-Impfung während der Schwangerschaft ist der schwere Verlauf der Influenza in der Schwangerschaft und der postnatale Schutz durch die Impfung für das Kind bei weitgehendem Fehlen von unerwünschten Wirkungen. Die Schwangerschaft bedingt eine „physiologische“ Einschränkung der mütterlichen Immunfunktion, insbesondere im Bereich der spezifischen Immunität (T- und B-Zellen). Infolge dessen besteht im Verlauf der Schwangerschaft ein zunehmend erhöhtes Risiko für (systemische) Infektionen mit (intrazellulären) Erregern, wie z.B. Viren. Tabelle 2 fasst verschiedene Publikationen zur Influenza-bedingten Hospitalisierung von gesunden Schwangeren zusammen. Tabelle 2: Influenza-bedingte Hospitalisierung von gesunden Schwangeren

aus: Skowronski et al.; Vaccine 27 (2009) 4754–4770

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Abbildung 1 und Frauen post partum im Alter von 1544 Jahren: Odds Ratio und 95% Konfidenzintervalle für kardiopulmonale Ereignisse während einer Influenzasaison bei Schwangeren, Nichtschwangeren

aus: Epidemiologisches Bulletin; Nr. 31; 2010

Aus Tabelle 3a und 3b ist der überproportional hohe Schwangerenanteil bei Hospitalisierungen und Pneumonien während der H1N1-Pandemie 2009 ersichtlich. Tabelle 3a: Hospitalisierungen bei Frauen mit laborbestätigter A-(H1N1)-Infektion

aus: Epidemiologisches Bulletin; Nr. 31; 2010

Tabelle 3b: Pneumonien bei Frauen mit laborbestätigter A-(H1N1)-Infektion

Tabelle 4: Einfluss der maternalen Influenza-Impfung auf das Neugeborene (nach Eick et al.; 2010) - 1160 Mutter-Kind-Paare - 193 (17%) Säuglinge wurden mit Influenza-ähnlichen Symptomen (ILI) hospitalisiert - 412 (36%) wurden wegen ILI ambulant versorgt (48%) hatten keine ILI-Episode - die ILI-Inzidenz-Rate betrug 7.2 und 6.7 pro 1000 Personentage für Säuglinge von ungeimpften bzw. geimpften Müttern - 41% Risikoreduktion für eine labor-bestätigte Influenza Virus-Infektion (RR 0.59; 95% CI 0.37-0.93) und - 39% Risikoreduktion für eine ILI-Hospitaliserung (RR 0.61; 95% CI 0.45-0.84) der Kinder geimpfter Mütter Folgende Todimpfstoffe können nach sorgfältiger Abwägung eventuell während der Schwangerschaft gegeben werden: 1. Hepatitis A: Die Sicherheit in der Schwangerschaft ist bislang nicht hinreichend untersucht, das Risiko jedoch „theoretisch sehr niedrig“. 2. Poliomyelitis-Impfung: Bislang sind keine unerwünschten Wirkungen bei Schwangeren oder Neugeborenen aufgetreten, aber „theoretisch denkbar“. 3. Pneumokokken: Auch hier sind bislang bei der versehentlichen Impfung in der Frühschwangerschaft keine unerwünschten Wirkungen aufgetreten; dennoch ist aus grundsätzlichen Erwägungen heraus Vorsicht während der Impfung im ersten Trimenon geboten. Lebendimpfungen sind grundsätzlich kontraindiziert während der Schwangerschaft; eine mögliche Alternative ist die passive Immunisierung (sofern verfügbar) mit Hyperimmunglobulin oder mit polyspezifischem Immunglobulin. Tabelle 5 fast die Zusammenhänge einer versehentlichen Rötelnimpfung während der (noch nicht bekannten) Schwangerschaft zusammen. Tabelle 5: Verlauf nach versehentlicher Rötelnimpfung in der Schwangerschaft

aus: Epidemiologisches Bulletin; Nr. 31; 2010

Neben dem Schutz der Schwangeren führt die Influenzaimpfung während der Schwangerschaft zu einer deutlichen Risikoreduktion bezüglich der InfluenzaInfektion und einer konsekutiven Hospitalisierung beim Neugeborenen (Eick et al.; Arch Pediatr Adolesc Med.; 2010)

Land

Impfung: +/- 3 Monate ~Konzeption

-2 W/ +6 W Konzeption

IgM im Nabelschnurblut

Rötelnembryopathie

USA

324

113

6/222 (3%)

0/324

Deutschland

314

188

7/139 (5%)

0/314 1*/75

GB

75

25

4/52 (8%)

Schweden

5

?

0/5

Canada

94

?

0/5 0/94

Iran

106

?

0/106 (0%)

Brasilien

171

?

10/171 (7%)

0/107 0/171

Gesamt

1089

326

27/695 (3,9%)

1*/1090

Enders, 2005; Bar-Oz, 2005, Namaei 2008, Minussi, 2008

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Bezüglich der Indikationsimpfungen mit einem Lebendimpfstoff in der Schwangerschaft ist die Gelbfieber-Impfung herauszuheben. Bei der GelbfieberErkrankung handelt es sich um eine Erkrankung mit biphasigem Verlauf und ca. 200. 000 Fällen pro Jahr. Aktuelle Ausbrüche wurden aus Guinea, dem Sudan, Mali und der Elfenbeinküste gemeldet. Wegen der hohen Sterblichkeit (bis zu 50 %) müssen Reisende in Endemiegebiete konsequent geimpft werden. Kleinere, tetrospektive Studien aus Brasilien, Trinidad und Europa mit retrospektivem Design konnten Hinweise dafür geben, dass nach der Gelbfieber-Impfung in der Schwangerschaft keine erhöhte Fehlbildungsrate gegenüber der Normalbevölkerung auftrat. Mangement vor der Schwangerschaft: Totimpfungen können ohne zeitliche Einschränkung auch vor einer Schwangerschaft verwendet werden. Nach Lebendimpfungen sollte vier Wochen lang eine Schwangerschaft verhütet werden. Diese Empfehlung ist vor allem dem Fehlen von Studien geschuldet und weniger der Tatsache, dass beispielsweise eine Rötelnimpfung bei unbekannter Schwangerschaft zu einer Rötelnembryopathie durch den Impfstoff führen könnte (Tabelle 2). Liegt vor der Schwangerschaft ein Röteln-Titer von 1:8 oder 1:16 im HHT-HAH-Test vor, so sollten maximal zwei Rötelnimpfungen durchgeführt werden. Wenn bereits zwei Impfungen dokumentiert sind, aber Zweifel an der Korrektheit der Impfung bestehen, sollte noch einmal mit Titer-Kontrolle nachgeimpft werden. Wenn sich auf eine korrekte Impfung kein TiterAnstieg einstellt, ist dieses der Beweis für Immunität. In jedem Falle ist es also anzustreben, vor einer Schwangerschaft den Impfschutz zu vervollständigen. Eine Titer-Kontrolle ist nur in Ausnahmefällen angezeigt. Gegen Impftiter-Kontrollen spricht deren Verwendbarkeit als „Surrogatmarker für Immunreaktion“, jedoch nicht „Protektion“. Darüber hinaus sind die Testverfahren sind oftmals nicht standardisiert. Zusammenfassend ist es in jedem Fall besser, einer Impfung von Schwangeren die vollständige Immunisierung vor der Schwangerschaft und die Impfprävention von Angehörigen und medizinischen Mitarbeitern vorzuziehen. Die besonders effektive Immunantwort nach intradermaler Gabe von Impfstoffen lässt sich durch verschiedene Wirkmechanismen erklären. Zum Einen können die verschiedenen, in der Dermis befindlichen DC das Antigen/ den Impfstoff besonders effektiv aufnehmen und verarbeiten. Darüber hinaus können die dermalen DC sehr leicht über Lymphbahnen in die regionären Lymphknoten wandern, wo sie dann den Kontakt zu den T-Zellen herstellen und so das adaptive Immunsystem aktivieren. Zudem können Impfstoffe über das umfassende dermale lymphatische Netzwerk auch direkt zu den drainierenden Lymphknoten wandern, wo sie von dort befindlichen DC (sog. lymphoiden DC) aufgenommen und den T-Zellen präsentiert werden. Schließlich löst der in die Dermis applizierte Impfstoff über seine Adjuvanzien eine (ge-

ringe) örtliche Entzündungsreaktion aus, die besonders effektiv die DC aktiviert und damit die Antigenpräsentation verstärkt und verbessert. Zudem werden durch diese Entzündung weitere Zellen des Immunsystems aus dem Blut rekrutiert. Interessanterweise werden bei der intradermalen Vakzinierung oft geringere Impfdosen benötigt als bei anderen Applikationswegen. Da der menschliche Körper auf eine intradermale Impfung mit einer besonders ausgeprägten Immunantwort reagiert, kann hier oft sogar auf die Zugabe von Adjuvanzien verzichtet werden. Diese Applikationsart spielt möglicherweise nicht nur bei Impfungen gegen Infektionserreger, sondern auch z.B. bei Impfungen in der Krebstherapie eine wichtige Rolle.

Impfprävention bei Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund G. Pfaff, Stuttgart

Im Jahr 2009 hat die Bevölkerung mit Migrationshintergrundin Deutschland durch Zuzug und Geburtenerstmals den Wert von 16 Millionen überschritten.Hierzu zählen Personen mit Zuwanderung auf das Gebiet der heutigen Bundesrepublik ab 1950und ihre in der Bundesrepublik geborenen Nachkommen. Davon waren 4,59 Millionen unter 20 Jahre alt. Unter den Personen mit einem Migrationshintergrund im engeren Sinne überwiegen jedoch 2,92 Millionen Deutsche und 881.000 Ausländer/-innen ohne eigene Migrationserfahrung. Sie gehören mehrheitlich derso genannten zweiten oder dritten Migrantengeneration an.Eigene Migrationserfahrung haben 345.000 Deutsche und 392.000 Ausländer/-innen der unter Zwanzigjährigen. Unter 6,7 Millionen Ausländer, die Ende des Jahres 2009 in Deutschland lebten, wurde jede fünfte Person (19,4 %) in Deutschland geboren. Vor allem die türkischen Staatsangehörigen weisen mit 33, 3% einen überproportional hohen Anteil an in Deutschland Geborenen auf. Bei Italienern beträgt der entsprechende Anteil 30,3 %, bei Griechen 27,7 %, bei polnischen Staatsangehörigen nur 3,8 % (Quellen: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Ausländerzentralregister, Statistisches Bundesamt, Bevölkerungsfortschreibung, Mikrozensus 2009). Die Bevölkerungsstatistik verdeutlicht, dass Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund nicht als homogene Gruppe verstanden werden dürfen. Zu berücksichtigen sind ebenso Unterschiede in der Verteilung nach Bundesländern sowie in verdichteten und städtischen Räumen. In Deutschland Geborene haben überwiegend von Geburt an guten Zugang zur Infrastruktur der medizinischen Versorgung und Prävention. Entsprechend zeigen Auswertungen der bei Schuleingangsuntersuchungen eingesehenen Dokumente einen zunehmenden Trend der Inanspruchnahme von Früherkennungsun-

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tersuchungen sowie bei den Impfquoten. Häufig übersteigen die bei der Schuleingangsuntersuchung von Ausländer/-innen erhobenen Impfquoten den Durchimpfungsgrad bei Deutschen. Anders sieht es bei Kindern und Jugendlichen aus, die erst vor kurzer Zeit zugezogen sind. Spärliche Daten deuten darauf hin, dass Impflücken bestehen. Insbesondere bei Asylbewerbern muss regelmäßig davon ausgegangen werden, dass ein den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission entsprechender Impfstatus nicht vorliegt. Ende des Jahres 2010 verzeichnete Ausbrüche von Masern in Aufnahmeeinrichtungen für Asylbewerber in Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg stützen dies. Impflücken sollten zeitnah nach Einreise geschlossen werden. Hierzu gehört auch die Unterstützung der Impfaufklärung durch fremdsprachige Beratung. Soweit im Einzelfall nach rechtlicher Prüfung keine Aufenthaltsberechtigung festgestellt wird, dürfen aus ethischen Überlegungen keine Personen ausgeschafft werden, bei denen kein adäquater Impfschutz besteht. Neuartige Prinzipien bei der Impfstoffentwicklung

M. Pfleiderer Paul-Ehrlich-Institut, Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, Langen

Die erfolgreiche Entwicklung neuer Impfstoffe hängt von einer Reihe wichtiger Überlegungen ab die in erster Linie die herstellenden Unternehmen anstellen. Diesebeinhalten natürlich ökonomische Aspekte, z.B. in welcher Größenordnung sich neue Marktsegmenteergeben, aber auch die bisherigenErfahrungen bezüglich der Akzeptanz neuer Impfkonzepte seitens der Bevölkerung, der Medien und der Fachkreise bestimmen maßgeblich mit, ob neue Impfstoffe einem bestimmten Markt zur Verfügung gestellt werden können. In Deutschland und in vielen anderen Industrienationen ist seit geraumer Zeit ein bedenklicher Trend betreffend die öffentliche Akzeptanz von Impfstoffen zu beobachten. Nachdem viele Infektionskrankheiten gerade dank des jahrzehntelangen Einsatzes von Impfstoffen ihren Schrecken verloren haben wird das Interesse anetablierten und neuen Impfstoffenzunehmend geringer. Die Erfolgsgeschichte der Impfstoffe präsentiert sich also zunehmend alsihr eigener Nachteil. Mit wachsender Unkenntnis welchen individuellen und kollektiven Schaden Infektionskrankheiten anrichten können wird auch die Bedeutung der Impfstoffe immer mehr verkannt. Dieses zunehmende Misstrauen wird durch eine übersteigerte Erwartungshaltung hinsichtlich der Nebenwirkungsprofile von Impfstoffen weiter vertieft. Von Impfstoffen wird gefordert, dass sie praktisch nebenwirkungsfrei sind. Selbst unvermeidbare und somit normale Impfreaktionen, wie etwa Schmerzen an der Einstichstelle oder systemische Reaktionen die mit der sich entwickelnden Immunantwort in Verbindung zu bringen sind werden nicht mehr toleriert und als schädigende Effekte fehlinterpretiert. Somit wird es immer schwieriger eine sachgerechte Diskussion zum Thema Impfstoffe zu führen.

Trotz alledem ist der Ruf nach neuen und/odervermeintlich besseren Impfstoffen noch nicht ganz verhallt. Demzufolge wird immer wieder und allerorten– paradoxerweise gerade dort wo die etablierten Impfstoffe sonst kritisiert werden - über neue und erfolgsversprechende Konzepte berichtet, die eine breite Palette von Konzepten, vom Schutz vor neuen, seltenen oder bisher nicht präventiv zu behandelnden Infektionskrankheiten, bis hin zur Behandlung von Suchterkrankungen oder Krebserkrankungen abdecken. Entsprechende Forschungsprogramme werden weltweitfinanziell großzügig gefördert. Die Akzeptanz neuer Impfstoffe wird aber, wie eingangs schon erwähnt, nahezu ausschließlich von der Schwere des öffentlich wahrgenommenen Krankheitsbildes bestimmt. Während für Präventionsprogrammezum Schutz vor als bedrohlich wahrgenommenen Infektionskrankheiten oder für Therapieformen zur Behandlung schwerer Erkrankungenim Allgemeinen kaum Akzeptanzprobleme bestehen, werden die gesundheitspolitischen Inhaltedes sogenannten Impfgedankens, also die Vermeidung der Entstehung und Ausbreitung aller für eine Region relevanten Infektionskrankheiten in der Öffentlichkeit kaum mehr verstanden. Die Einführung der HPV Impfung sowie die pandemischen Impfprogramme sind beste Belege dafür. Diese stetig wachsende Fehlinterpretation hinsichtlich der Leistungsfähigkeit, d.h. des Nutzen-Risiko-Verhältnisses moderner Impfstoffe liegt sicherlich an der enormen Komplexität der Zusammenhänge die mit der Entwicklung, Herstellung, Prüfung und Zulassung von Impfstoffen verbunden sind. Auf der anderen Seite könnenalle diese Schritte aber von der Öffentlichkeit und den Fachkreisen mit begleitet werden, d.h. sie sind auf den Internetportalen der Hersteller oder der zuständigen Behörden einsehbar und nachverfolgbar. Paradoxerweise ergibt sich aber gerade aus dieser Transparenz oftmals die Grundlage für die Entstehung und Ausbreitung gezielter Fehlinformationen. Diese Sachverhalte bringen Hersteller und zuständige Behörden gleichermaßen in eine Zwangslage. Die Ernsthaftigkeit mit der neue Impfkonzepte oder Programme vorangetrieben werden istder Öffentlichkeit und teilweise auch den Fachkreisen kaum mehr überzeugendzu vermitteln. Immer wieder werden von anerkannten Experten unternommenen ernsthaften Kommunikationsbemühungendurch unsachgemäße Berichterstattungen öffentlich konterkariert. In diesem Vortrag soll aus der Sicht einer in einem globalen Netzwerk operierenden nationalen Zulassungsbehörde – dem Paul-Ehrlich-Institut -an einigen Fallbeispielen geschildert werden welche wissenschaftlichen und regulatorischen Anforderungenfür Impfstoffe im Allgemeinen gelten, wie diese umgesetzt werden und mit welchen gemeinsam zu tragenden Risiken Impfstoffentwicklung-, Zulassung und Anwendung immer verbunden sein werden.

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Vom Pockenimpfstoff zum modernen Biopharmazeutikum – was sind Impfungen heute und in der Zukunft wert? J. Vollmar.1, O. Thomas.2, K. Schlüter.3 1 GlaxoSmithKline GmbH & Co KG, München 2 Novartis Vaccines and Diagnostics GmbH, Holzkirchen 3 Sanofi Pasteur MSD GmbH, Berlin

Wissenschaftlich belegt wurde das Prinzip der Impfung im Jahre 1796, durch den englischen Landarzt Edward Jenner als dieser einen Jungen zuerst mit Kuhpocken und wenige Wochen später mit den Pocken infizierte. Im Jahre 1926 galten die Pocken in Deutschland als besiegt. Der weltweit letzte Fall von Pocken trat 1976 auf und seit 1980 gilt die Krankheit als ausgerottet. Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts konnten aber nur gegen wenige Erkrankungen Impfstoffe entwickelt werden. Der eigentliche Durchbruch in der Impfstoffentwicklung kam erst nach dem 2. Weltkrieg. . Insbesondere die Entwicklung neuer Kulturmedien zur Vermehrung der benötigten Bakterien- oder Virusstämme, die Verbesserung der Zellkulturtechniken und die rasant fortschreitende Technisierung der industriellen Herstellungsstätten ermöglichten die Produktion von immer komplexer werdenden Einzel- und Kombinationsimpfstoffen. Aber auch heute ist die Entwicklung von neuen innovativen Impfstoffkonzepten nur wenigen Herstellern vorbehalten. Dies liegt u.a. daran, dass es wesentliche Unterschiede zwischen Impfstoffen und klassischen Arzneimitteln gibt, Zum einen dienen Impfstoffe – anders als klassische Arzneimittel – nicht der Therapie, sondern der Prävention einer Erkrankung und werden dabei millionenfach bei gesunden Menschen angewendet. Darüber hinaus sind Impfstoffe keine chemisch definierten Substanzen die sich einfach definieren und herstellen lassen, sondern biologische Produkte, deren Grundlage Mikroorganismen oder ihre Bestandteile sind. Beide genannten Faktoren führen dazu, dass an Impfstoffe – was den Studienumfang vor Zulassung und die pharmazeutische Qualität betrifft – weit höhere Anforderungen gestellt werden als an klassische Arzneimittel. Konnte vor 30 Jahren ein Impfstoff noch mit Studie von wenigen hundert Teilnehmern eine Zulassung erhalten, schließen heutige Entwicklungsprogramme teilweise mehr als 60.000 Teilnehmer ein. Diese Faktoren tragen dazu bei, dass die Entwicklung eines Impfstoffs komplexer und aufwändiger ist, als die eines üblichen Arzneimittels und nur wenige Firmen bereit sind den hohen Aufwand und die damit verbundenen Risiken zu tragen. Die hohen Anforderungen machen aber moderne Impfstoffe gleichzeitig auch zu den bestgeprüften und sichersten Arzneimitteln die wir heute haben. Trotz dieses ständig steigenden Entwicklungsaufwands,

gibt es auch heute viele neue Impfstoffkandidaten in den Pipelines der Hersteller. Entscheidende Faktoren für die Entwicklung dieser neuen Kandidatimpfstoffe sind dabei die ständig wachsenden Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung über Erkrankungen und Erreger und der Einsatz moderner Technologien. So gelingt es heute, neue Impfstoffe gezielter zu entwickeln. Während in der Vergangenheit neue Impfantigene eher zufällig aus abgeschwächten Erregern gewonnen wurden, erlaubt es der Einsatz moderner Technologien heute, im gesamten Erbgut eines Erregers gezielt Gene herauszusuchen und sich auf dieser Grundlage für ein Impf-Antigen mit der besten Immunisierungswirkung zu entscheiden. Durch dieses gezielte Vorgehen und die Anwendungen gentechnologischer Methoden wurde die Impfstoffentwicklung entscheidend vorangetrieben. So wurde beispielsweise jetzt die Zulassung eines Meningokokken-B Impfstoffes mit breiter Stammabdeckung beantragt, ein Impfstoff gegen Staphylokokken wird derzeit in klinischen Studien untersucht. Beides Erkrankungen für deren Schutz ein hoher medizinischer Bedarf besteht. Bedingt durch die Möglichkeiten der Gentechnologie, werden die heute in Impfstoffen enthaltenen Impf-Antigene immer kleiner und spezifischer, was zwar dazu beiträgt, dass Impfstoffe immer sicherer und zielgerichteter werden, aber zum anderen dazu führt, dass es schwieriger wird, eine gute Immunantwort zu induzieren. Als sinnvoller Ansatz zur Überwindung dieses Problems hat sich dabei der Einsatz innovativer Adjuvantientechnologien erwiesen. Dabei wird die Immunantwort in bestimmte Richtungen gelenkt und verstärkt. Diese Technologien dürften künftig wirksame Schutzimpfungen ermöglichen, wo ältere Impfstoff-Kandidaten nicht ausreichend wirksam waren oder wirkungslos bleiben. So gelingt es, maßgeschneidert auf Erkrankung und Impfantigen geeignete Adjuvantien zur Verfügung zu stellen. Auf dieser Grundlage wird z.B. ein Kandidat für einen Malariaimpfstoff sowie ein therapeutischer Impfstoff gegen Lungen- und Hautkrebs derzeit klinisch (Phase III) geprüft. Intradermale Applikation von Impfstoffen

E, von Stebut-Borschitz Hautklinik, Universitätsmedizin, Mainz

Bei der intradermalen Impfung erfolgt die gezielte Applikation von Impfstoffen mit definierten Nadeln, die die Substanzen direkt in die Dermis einbringen. Im Gegenzug dazu bestehen gebräuchliche Impfwege oft aus der subkutanen oder meist intramuskulären Injektion des Antigens in den Körper (mit oder ohne Adjuvanz). Dendritische Zellen (dendritic cells, DC) spielen eine Schlüsselrolle in der Auslösung der folgenden immunologischen Aktivierungskaskade, denn sie bilden das Bindeglied zwischen angeborener und erworbener Immunität. In der Haut, aber auch im Muskelgewebe findet man sehr viele unterschiedliche DC mit z.T. speziellen Funktionen

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(epidermale Langerhanszellen, dermale DC). Interessanterweise hat sich in den letzten Jahren herausgestellt, das die verschiedenen DC der Haut unterschiedliche T-Zell Immunantworten auslösen: sie induzieren und stimulieren Effektorzellen, können aber ebenso das von exogen aufgenommene Antigen kreuzpräsentieren, d.h. CD8+ T Zellen aktivieren. Neueste Forschungsergebnisse zeigen auch, das epidermale Langerhanszellen vermutlich im Wesentlichen regulatorische T-Zellen induzieren. Die Aktivierung des adaptiven Immunsystems induziert auch die Ausbildung des immunologischen Gedächtnisses. Intradermale Impfungen machen sich die immunologischen Besonderheiten der Haut zu Nutze. Studien der letzten Jahre haben gezeigt, das intradermale Impfungen meist der subkutanen oder intramuskulären in ihrer Effektivität deutlich überlegen ist. IDie intradermale Antigengabe induzierte auch präferentiell T-Zellen mit sog. skin-homing Rezeptoren und nicht solche T-Zellen, die bei einem Entzündungsreiz in die inneren Organe wandern. Die besonders effektive Immunantwort nach intradermaler Gabe von Impfstoffen lässt sich durch verschiedene Wirkmechanismen erklären. Zum Einen können die verschiedenen, in der Dermis befindlichen DC das Antigen/ den Impfstoff besonders effektiv aufnehmen und verarbeiten. Darüber hinaus können die dermalen DC sehr leicht über Lymphbahnen in die regionären Lymphknoten wandern, wo sie dann den Kontakt zu den T-Zellen herstellen und so das adaptive Immunsystem aktivieren. Zudem können Impfstoffe über das umfassende dermale lymphatische Netzwerk auch direkt zu den drainierenden Lymphknoten wandern, wo sie von dort befindlichen DC (sog. lymphoiden DC) aufgenommen und den T-Zellen präsentiert werden. Schließlich löst der in die Dermis applizierte Impfstoff über seine Adjuvanzien eine (geringe) örtliche Entzündungsreaktion aus, die besonders effektiv die DC aktiviert und damit die Antigenpräsentation verstärkt und verbessert. Zudem werden durch diese Entzündung weitere Zellen des Immunsystems aus dem Blut rekrutiert. Interessanterweise werden bei der intradermalen Vakzinierung oft geringere Impfdosen benötigt als bei anderen Applikationswegen. Da der menschliche Körper auf eine intradermale Impfung mit einer besonders ausgeprägten Immunantwort reagiert, kann hier oft sogar auf die Zugabe von Adjuvanzien verzichtet werden. Diese Applikationsart spielt möglicherweise nicht nur bei Impfungen gegen Infektionserreger, sondern auch z.B. bei Impfungen in der Krebstherapie eine wichtige Rolle.

Zielgruppenspezifische Kommunikation zum Impfen mit Eltern

U. Münstermann Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Köln

Die Entscheidung für die Durchführung der empfohlenen Grundimmunisierung im Kindes- und Jugendalter liegt bei den Eltern. Sie sind daher die zentrale Zielgruppe bei den Bestrebungen zur Steigerung der Durchimpfungsraten von Kindern in Deutschland. Eine zielgruppengerechte Aufklärung zum Impfen ist ein entscheidender Ansatz zur Schließung bestehender Impflücken, denn Studien belegen, dass ein Informationsmangel der Eltern über Impfungen häufig mit einem unvollständigen Impfstatus der Kinder assoziiert ist. Einfluss auf die elterliche Impfentscheidung haben dabei unter anderem auch regionale und soziale Faktoren. Die Erfassung der Einflussfaktoren auf die Impfentscheidung sowie auf das spezifische Informationsverhalten der Eltern war Gegenstand einer aktuellen, repräsentativen Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zu Wissen, Einstellung und Verhalten der Eltern zum Kinderimpfen. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse unterstützen die Weiterentwicklung der Aufklärungs- und Motivationsarbeit zur Erhöhung der Impfbereitschaft. Unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Informationsbedürfnisse der Eltern bietet die BZgA ein umfassendes Medienangebot zur massenmedialen und personellen Kommunikation (z.B. Ärzte und Lehrer) an. Wie die aktuellen Daten unterstreichen, erfolgt die Stärkung der Elternkompetenz im Feld Impfen insbesondere durch Gespräche Ärztinnen und Ärzten. Ihre Schlüsselrolle im Prozess einer Impfentscheidung ist eindrücklich belegt. Zur Unterstützung der Arbeit der impfenden Ärzteschaft werden von der BZgA umfangreiche Medienpakete (Innenraumplakate, Broschüren, Vorträge für Eltern) zur Verfügung gestellt. Im Kommunikationsprozess müssen auch die Vorbehalte der Eltern gegenüber dem Impfen ernst genommen werden. So verschaffen beispielsweise die Internetplattformen der BZgA zum Impfen (www. kindergesundheit-info.de; www.impfen-info.de) auf Basis fundierter wissenschaftlicher Erkenntnisse eine seriöse Orientierungshilfe für ratsuchende Eltern, damit diese eine verantwortungsvolle Entscheidung für das Impfen treffen können. Kommunikation mit der Fachöffentlichkeit

G. Krause, Robert Koch-Institut, Berlin

Niedergelassene Ärzte sind zentrale Multiplikatoren für die Umsetzung von die Impfprävention betreffenden Maßnahmen. Sie besitzen die erforderliche Fachexpertise und haben im direkten ArztPatienten-Kontakt eine oft über Jahren aufgebaute Vertrauensbasis. Sie sind dadurch für Patienten

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ein Ansprechpartner mit hoher Glaubwürdigkeit. Studien zeigen übereinstimmend den Einfluss der ärztlichen Empfehlung zur Impfung auf eine positive Impfentscheidung des Patienten. Mit zunehmenden individuellen Informationsmöglichkeiten über das Internet oder neue Medien, wird es für Fachkräfte wichtiger das vorhandene, oftmals widersprüchliche Informationsangebot so zu ergänzen und ihre Patienten und Impflinge so zu beraten, dass letztere eine gut informierte und rationale Entscheidung treffen können. Dies betrifft nicht nur ärztliche Fachgruppen sondern auch andere Fachkräfte wie z.B. Hebammen. Die Kommunikation mit Fachkräften hat dabei zwei Ebenen im Blick. Zum einen müssen impfende Ärzte optimal über den aktuellen wissenschaftlichen Stand zur jeweiligen impfpräventablen Erkrankung und die gegen diese Erkrankung gerichtete Impfung informiert sein. Hierzu sind z.B. die ausführlichen evidenzbasierten Begründungen der Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) richtungweisende Dokumente. Zum anderen muss der Arzt optimal befähigt werden, den Impfling aufzuklären und umfassend zu beraten. Hierzu können beispielsweise qualitätsgesicherte Materialien zur Patienteninformation wertvolle Hilfsmittel sein. Im Auftrag des Robert Koch-Instituts (RKI) und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) hat das Institut für angewandte Sozialwissenschaft (infas) von Oktober bis Dezember 2010 1.590 niedergelassene, impfende Ärzte zur Akzeptanz und Umsetzung von Impfungen, insbesondere der Grippeschutzimpfung, befragt. Es zeigte sich, dass impfende Ärzte zu 76% Patienteninformationen von Pharmaherstellern zur Information ihrer Patienten nutzen. Mit 61% folgten Patienteninformationen der Kassenärztlichen Vereinigungen, bzw. der BZgA (58%), des RKI (53%) und des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (47%). Etwas mehr als ein Drittel greift jeweils auf Informationsmaterialien von reisemedizinischen Anbietern und Krankenkassen zurück. Zur Information der Ärzte selbst ergab sich, dass z.B. nur 10% angaben keinen weiteren Informationsbedarf zur STIKO Empfehlung zu haben. Von den 2/3 die gerne aktiv darüber informiert werden wollten, wollten dies 75% über Beiträge in der Ärztepresse. Als sehr wichtig wurden mit 70% auch Anschreiben zur Information durch ärztliche Organisationen bewertet. Die Internetseiten des RKI oder des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) bzw. Newsletter wurden von etwas über 50% der Befragten als weitere wichtige Informationsquelle angegeben. Die Befragten sahen kaum Bedarf darin über neue Medien, Fortbildungsveranstaltungen oder Pharmavertreter über die STIKO Empfehlungen informiert zu werden.

Die Ergebnisse der Befragung verdeutlichen die zentrale Rolle der Fachöffentlichkeit und die Erwartungen der impfenden Ärzte. Die Institutionen des ÖGD auf allen Ebenen und die ärztlichen Fach- und Standesvertretungen müssen noch stärker als bisher zusammenarbeiten um Fachkräfte im Gebiet der Impfprävention sachgerecht und zeitnah zu informieren. Kommunikationsmaßnahmen müssen zudem darauf zielen, Fachkräfte zu befähigen, dieses Wissen auch zielgruppenspezifisch an die zu impfenden Personen weiterzutransportieren, um das Ziel der Verbesserung der Impfquoten in Deutschland zu erreichen. Impfkritische Positionen im Dialog – Zulassung und UAW

S.Stöcker, Paul-Ehrlich-Institut, Langen

Diskussionen über das Für und Wider von Impfungen werden zunehmend im Internet geführt. Eine Untersuchung an der Universität Erfurt hat gezeigt, dass impfkritische Seiten dabei sehr viel stärker wahrgenommen werden als neutrale oder impfbefürwortende Inhalte. Als Grund wird eine starke Präsenz impfkritischer Positionen angegeben, die untereinander stark vernetzt und im Internet sehr aktiv sind. Thema solcher Internetauftritte sind häufig Berichte über angeblich schädigende Wirkungen von Impfstoffen, Zweifel an der ausreichenden Prüfung im Rahmen der Zulassung oder an den Zulassungskriterien. Sowohl im Internet wie auch in Zeitungsberichten, die sich mit der Frage von Impfnebenwirkungen auseinandersetzen, wird häufig mit Einzelfallbeispielen von schweren Schädigungen nach Impfung gearbeitet. Berichte darüber, dass eine Impfung gut vertragen wurde, sucht man meist vergebens. Eltern, die sich zur Frage, ob sie ihr Kind impfen lassen sollen informieren wollen, müssen zwangsläufig den Eindruck gewinnen, dass Impfungen mit hohen Risiken verbunden sind. Nun ist es nicht erstaunlich, dass Dinge, die man erwartet, nicht extra betont oder veröffentlicht werden. Wenn etwas Ungewöhnliches, Erschreckendes passiert, liegt es dagegen in der Natur des Menschen, diese Erfahrung mit anderen zu teilen. Insbesondere zu (angeblichen) Impfnebenwirkungen existieren zahlreiche Theorien, die letztlich ohne einen Beleg liefern zu können die Impfungen bzw. bestimmte Impfstoffe für Krankheiten wie Diabetes, Autismus, Multiple Sklerose oder generell für Entwicklungsstörungen eines Kindes verantwortlich machen. Dabei werden auch Argumente, die schon lange widerlegt sind, immer wieder eingebracht, wiederholt und mit persönlichen Erfahrungen (Einzelfallberichten) untermauert. Ein typisches Beispiel, wie eine angebliche Impfnebenwirkung geradezu zum Mythos werden kann, ist die Wakefield-Studie, nach der die MMR-Impfung Ursache für Autismus sein sollte. Selbst nachdem nahezu alle Autoren von den Ergebnissen zurück

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getreten waren, wurde dieses Argument von Impfgegnern immer noch verwendet. Ein zunehmendes Problem ergibt sich aus der Tatsache, dass im Fahrwasser solcher Berichte unbeeindruckt von wissenschaftlichen Forschungsergebnissen Theorien verbreitet werden, die jeder wissen¬schaftlichen Grundlage entbehren. Zur Frage Impfung und Diabetes/Impfung und Multiple Sklerose, Thiomersal in Impfstoffen, Sicherheit von Impfstoffen (u.a. im Hinblick auf Inhaltsstoffe und unerwünschte Nebenwirkungen) bietet das Paul Ehrlich Institut auf seinen Internetseiten unter www.pei.de/impfpublikationen zahlreiche Texte und Publikationen an, die sich mit den Argumenten der Impfkritiker und Impfgegner auseinandersetzen. Im Workshop sollen einige der häufigsten Beispiele über angebliche Impfnebenwirkungen sowie auch Fragen, wie Impfstoffe bei der Zulassung überprüft werden, diskutiert und erläutert werden. Impfungen und kindliches Immunsystem V. Wahn Charité, Berlin

Die Erfolge der Impfungen sind unbestritten: Pocken gelten als ausgerottet, Erkrankungen wie Diphtherie, Tetanus, Polio, Masern, SSPE u.a.m. sind jüngeren Ärzten kaum noch bekannt. Aber: Schutz, den wir mit Impfstoffen induzieren wollen, braucht eine aktive Leistung des Immunsystems. Was, wenn ein Immundefekt vorliegt? Die Probleme sollen am Beispiel Primärer Immundefekte (PID) verdeutlicht werden. Unter PID verstehen wir derzeit knapp 200 genetisch unterscheidbare Erkrankungen. Gemäß aktueller internationaler Klassifikation werden diese zu Gruppen zusammen gefasst: - B/T-Zell-Defekte - B-Zell-Defekte - Gut definierte Defekte - Defekte der Immunregulation - Phagozytendefekte - Defekte der innate Immunity - Komplementdefekte Die Konsequenzen dieser Defekte für unsere Impfstrategie sind teils erheblich. Die STIKO hat 2005 versucht, dazu Empfehlungen zu formulieren, die aber präzisierungs- und verbesserungsbedürftig sind: So ist der Begriff „immunologische Restfunktion“ kaum definierbar. Impfungen, die als „indiziert“ angegeben werden, werden eher aus dem Bauch heraus empfohlen, als dass es Daten gäbe, dass mit den Impfungen wirklich Schutz erzeugt wird. Bei „Einzelfallentscheidungen nach Rücksprache“ bleibt ebenfalls unklar, um welche Fälle sich das handelt und mit wem Rücksprache genommen werden soll.

Die offenen Fragen lassen sich wie folgt zusammenfassen: - Ein Schutz kann wegen des Immundefekts nicht erzeugt werden (betrifft Lebend- und Totimpfstoffe) - Der Impfstoff erzeugt eine echte, möglicherweise gefährliche Infektionskrankheit (betrifft nur Lebendimpfstoffe) - Patienten mit Antikörpermangel erhalten regelmäßig Immunglobuline, sind dadurch gegen die meisten impfpräventablen Infektionen geschützt (Ausnahmen!). Muss da überhaupt geimpft werden? - Was wissen wir über die Wirksamkeit von Impfungen unter Gabe von Immunglobulinen? Gibt es dann adäquate Impfantworten? Alle Punkte werden kurz andiskutiert, insbesondere Impfrisiken, wenn Lebendimpfungen bei Patienten mit PID vorgenommen werden. In Anbetracht von Migration müssen dabei nicht nur deutsche, sondern internationale Impfstrategien berücksichtigt werden. Folgende Riskien lassen sich identifizieren: Impfstoff Komplikation Defekte BCG Disseminierte BCGitis T, G, Innate Typhus oral ? G, Innate Polio oral Paralytische Polio B, T/B Rotaviren Protrahierte Diarrhoe T/B Masern Enzephalitis, Pneumonie B, T/B Varizellen Enzephalitis, Pneumonitis T/B, NKT(?) Zu den bekannten Risiken ist also das Problem mit der Rotavirusimpfung hinzu gekommen. In einer Publikation der CDC wird bei schwerem kombiniertem Immundefekt die Rotavirusimpfung als kontraindiziert angegeben. Allerdings war die Diagnose SCID bei keinem der publizierten Fälle zum Zeitpunkt der Rotavirusimpfung bekannt. Somit ist die Rotavirusimpfung ein „SCIDScreening“. Wenn immer es nach Impfung zu einer protrahierten Diarrhoe oder Dystrophie mit Virusausscheidung > 15 Tage kommt, muss ein SCID ausgeschlossen werden. Todesfälle durch die Rotavirusimpfung wurden bisher nicht publiziert. Daher kann es im Einzelfall für ein Kind mit SCID besser sein, über eine derartige Impfinfektion entdeckt zu werden als über eine foudroyant verlaufende PCP. Es wird verdeutlicht, dass unser Kenntnisstand hinsichtlich Immunantworten und Schutz durch Immunglobuline, aber auch durch Impfungen unzureichend sind. Zudem wissen wir kaum etwas zu Immunantworten auf Impfstoffe bei Immunglobulinsubstituierten Patienten. Fazit: Die aktuelle Datenlage lässt zwar Risiken bei Lebendimpfungen erkennen, belastbare Evidenzbasierte Empfehlungen zu Impfungen bei PID, belegt durch Daten, sind jedoch nicht möglich. Die STIKOEmpfehlungen sollten in dieser Hinsicht zurückhaltender formuliert werden.

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Impfziele – Welche Rolle spielt der ÖGD?

F. Feil Ministerium für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration, Hannover

Ausgangslage: Impfen als Maßnahme des Infektionsschutzes gehört zu den grundlegenden, auch historisch gewachsenen Aufgabengebieten des Öffentlichen Gesundheitsdienstes. Dies wird sowohl im Infektionsschutzgesetz (IfSG) als auch in fast allen Ländergesetzen über den Öffentlichen Gesundheitsdienst in besonderer Weise berücksichtigt. Vom Öffentlichen Gesundheitsdienst wird dieses Aufgabengebiet jedoch in unterschiedlicher Weise und mit unterschiedlichen Schwerpunkten ausgefüllt. Auch Impflücken werden flächendeckend nur noch im Einschulungsalter identifiziert, da dies gesetzlich vorgeschrieben ist. Impfbücher in höheren Altersgruppen werden nicht mehr in jeder Kommune kontrolliert. Gerade im Einschulungsalter lassen sich hohe bzw. in den letzten Jahren ansteigende Impfquoten feststellen. In dieser Altersgruppe sind zahlreiche bevölkerungsmedizinische Ziele bereits oder nahezu erreicht. Dies ist der niedergelassenen Ärzteschaft zu verdanken, die im Zusammenhang mit den unterschiedlichen U-Untersuchungen die Impfungen anbietet. Gleichzeitig sind mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) Impfleistungen in die Leistungspflicht der GKV übernommen worden. Darüber hinaus haben die Krankenkassen Schutzimpfungen ihrer Versicherten zu fördern. Neben dem öffentlichen Gesundheitsdienst gibt es damit wichtige weitere Partner im Impfgeschehen mit einem gesetzlichen Auftrag. Defizite lassen sich vor allem bei Jugendimpfungen und bei Impfungen im Erwachsenenalter feststellen. Wenn neue Ziele definiert werden, sollten sie diese Altersgruppen berücksichtigen. Ein Beispiel hierfür ist die HPV-Impfung. Diese Impfungen sind nur schwer durch den ÖGD in seiner jetzigen Ausrichtung zu fördern. Im Rahmen des Workshops sollen anhand einzelner Fragestellungen bestehende Initiativen und neue Ansätze diskutiert werden. Fragestellungen:  Koordinieren oder selber impfen: Die Rolle des ÖGD im Zusammenspiel mit weiteren Verantwortlichen.  Die Bevölkerung oder der Versicherte – zwei Zielgruppen ein Ziel: Die gesetzliche Krankenversicherung als ausbaufähiger Partner des ÖGD.  Komm-Strukturen oder aufsuchende Arbeit: Zugangswege des ÖGD für neue Impfungen und besondere Zielgruppen.

Was können Impfkampagnen durch den ÖGD leisten?

A. Kaunzner Gesundheitsamt Aschaffenburg

Schon kurz nachdem durch Edward Jenner 1798 die Impfungen durch die vorbeugende Übertragung von Kuhpocken, der Vaccination, Einzug in die Medizin gehalten haben, wurde unter dem Druck der hohen Krankheitslast der verheerenden Pockenepidemien und anderer Krankheiten, die Impfprävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe gesehen. Schon am 02.06.1806 wurde im Fürstentum Aschaffenburg die erste “fakultative“ Impfpflicht eingeführt, beim Besuch einer Schule musste der Schüler gegen Pocken geimpft sein. Im Jahr 1807 wurde dann eine obligatorische Impfpflicht im Großherzogtum Hessen, kurz darauf im Königreich Bayern und in den folgenden Jahren vielen anderen deutschen und Europäischen Ländern eingeführt. Die Impfungen wurden oft von den Stadt- und Landesphysici durchgeführt, den Vertretern des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD). Am 1. Januar 1967 startete die Weltgesundheitsorganisation das „Intensified Smallpox Eradication Programme“. Durch die weltweiten Impfungen und die Impfpflicht gelang es die Pocken, als bisher einzige Impfung zu eradizieren. Seit 1979 ist die Welt frei von Pocken. Ab den 60er Jahren des letzten Jahrhundertes wurden Impfkampagnen gegen Poliomyelitis durchgeführt. Praktisch jeder kennt auch heute noch den Slogan: „Schluckimpfung ist süß. Kinderlähmung ist grausam!“ Auch diese Impfkampagnen im großen Stil wurden in Deutschland durch verschiedene Akteure wie z.B. das Deutsche Grüne Kreuz und den ÖGD durchgeführt. Die Impfaktionen in den Schulen und Gemeindehäusern sind vielen älteren Bürgern noch gut im Gedächtnis. Durch diese und weltweite freiwillige Impfkampagnen gelang es die Ausbreitung der Kinderlähmung zu reduzieren. Auf diesem Weg gab es jedoch immer wieder Rückschläge. So wurde Europa erst am 21. Juni 2002 für poliofrei erklärt, weltweit liegt dieses Ziel noch vor uns. In den 70er Jahren kam es zu einer zunehmenden pädiatrischen Versorgung in der Bundesrepublik. Auch die Hausärzte entdeckten die Impfungen als Aufgabe. Impfungen wurden zunehmend durch die Kinder- und Jugendärzte sowie die Hausärzte durchgeführt. Der ÖGD übernahm es subsidiär die Lücken, beispielsweise im Rahmen der schulärztlichen Tätigkeit durch Impfaktionen in den Schulen und bei Impfkampagnen, zu schließen. Neben den Gesundheitsämtern, die vor Ort impfen und Informationen sowie Beratung als gesetzlich fixierte Aufgabe (IfSG) anbieten, sind hier auch die Informationen und Kampagnen durch die Bundeszentrale

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für Gesundheitliche Aufklärung, die Landesministerien und -ämter sowie die Landesgesundheitszentralen zu nennen. In den letzten Jahren hat sich der, fast bundesweit kommunalisierte, ÖGD in jedem Bundesland und auch innerhalb der einzelnen Bundesländer sehr unterschiedlich entwickelt. Die Personaldecke wurde deutlich reduziert. Derzeit gibt es z.B. in den Gesundheitsämtern für alle Aufgaben des ÖGD eine Amtsarztstelle auf etwa 20.000 bis 50.000 Einwohner. Dabei können längst nicht mehr alle Stellen besetzt werden. Der Personalreduzierung steht keine entsprechende Aufgabenkritik gegenüber, nur wenige Aufgaben wurden reduziert. Andere Aufgaben (Stichworte: Hygiene, Trinkwasser, Aufsicht über Pflegeeinrichtungen, Kindswohlgefährdung etc.) sind neu oder sollen in einer höheren Intensität wahrgenommen werden. Durch diese Rahmenbedingungen sind Impfaktionen im Stile der 60 er Jahre, ja noch wie vor 15 Jahren, heute nicht mehr durchzuführen. Die Gesundheitsämter müssen die verschiedenen Aufgaben, je nach Bedarf sowie lokalen Gegebenheiten und Ressourcen, wahrnehmen. Aktuelle stellt sich Situation im Bereich der Impfungen so dar, dass durch den ÖGD unterschiedliche Strategien verfolgt werden: Beratungen zu Impfungen für alle Altersgruppen sind Dienstaufgabe, die über das IfSG gesetzlich verankert sind. In praktisch allen Bundesländern ist in den entsprechenden Gesundheitsdienstgesetzen das Impfen im Rahmen des Kinder- und Jugendgesundheitsdienstes und der schulärztlichen Tätigkeit geregelt. Bundesweit erfolgt nach § 34 Abs. 11 Infektionsschutzgesetz (IfSG) die Erfassung des Impfstatus im Rahmen der Schuleingangsuntersuchung. In der Regel wird in mindestens einer höheren Klasse der Impfstatus nochmals erfasst; hier ist durch eine einheitliche Ausrichtung und Untersuchung einer Jahrgangsstufe auch die Chance für eine belastbarer Datenbasis gegeben. Die festgestellten Impflücken werden teils im Rahmen eigener Impfaktionen, soweit ein Einverständnis der Eltern vorliegt, geschlossen. Teilweise wird eine individuelle Impfberatung mit -empfehlung gegeben und auf die Niedergelassenen verwiesen. Impfungen selbst werden durch den ÖGD nur subsidiär durchgeführt. In Bayern wird derzeit für die Empfehlungen im Rahmen der Schuleingangsuntersuchung ein Recall System etabliert. Es werden die niedergelassenen impfenden Ärzte gebeten, mitzuteilen welche Impfungen aus den Impfempfehlungen resultieren bzw. evtl. schon früher erfolgt sind. Bei fehlendem Rücklauf werden die Eltern angeschrieben und nochmals auf die ausstehenden

Impfungen erinnert; dies geschieht bis zu 2 mal. Hierdurch wurde im Pilotprojekt z.B. die Impfquote der zweiten MMR-Impfung von 77,98% auf 85,13% erhöht. Auch der zweite Recall führte nochmals zu einer Steigerung der Impfraten. Sinnvoll ist es sicherlich, Kampagnen aller Beteiligten wie den Ärztekammern, der KV, Krankenversicherungen, Berufsverbanden und dem ÖGD abzustimmen und zu koordinieren. Dieser Ansatz ist nicht neu. Er wird beispielsweise durch die Bayerische Landesarbeitsgemeinschaft Impfen (LAGI) verfolgt, die im November 2006 gegründet wurde und dieses Ziel verfolgt. Eine Koordination von Impfkampagnen sollte aber nicht nur regional, sondern idealerweise bundesweit erfolgen. Dies kann ein Ziel der Nationalen Impfkonferenz sein.

17 Poster Postersession 1 Strategien zur Anhebung von Impfquoten P1 Aktivitäten zur Steigerung der Durchimpfungsraten in Mecklenburg-Vorpommern (MV) M. Littmann Gesundheit, Landesamt für Gesundheit und Soziales M-V, Rostock

Es wird über zwei aktuelle Aktivitäten zur Steigerung der Impfraten im Land MV berichtet: ·  die zertifizierte Impffortbildung aller impfenden Ärzte in MV, ·  eine Pilotaktion zur Steigerung der Teilnahme an der J1-Untersuchung und damit indirekt eine Möglichkeit zur Erhöhung der Durchimpfungsraten von Jugendlichen in MV. Ein wichtiger Baustein ist die Impffortbildung möglichst vieler impfender Ärzte in MV. Ziel dieser Fortbildungen ist es, Kenntnisse und Wissen auf dem Gebiet des Impfens zu erwerben bzw. zu festigen und zu aktualisieren. In enger Zusammenarbeit mit der Ärztekammer MV und der Kassenärztlichen Vereinigung MV besteht in unserem Bundesland seit 1998 die Regelung, dass ein erworbenes Impfzertifikat Voraussetzung für die Durchführung von Impfungen ist. Es wird über die Organisation, Durchführung, Zahlen und Trends dieser Fortbildungen berichtet. Während bis zum 6. Lebensjahr noch sehr gute bis gute Teilnahmeraten an den Vorsorgeuntersuchungen U1 bis U9 zu verzeichnen und auch die Durchimpfungsraten positiv zu bewerten sind, machen die Jugendlichen im Hinblick auf die Inanspruchnahme der präventiven Gesundheitsmaßnahmen Sorge. Nicht einmal jeder zweite Jugendliche in MV verfügt über einen altersgerechten Impfstatus und dieser Trend ist sogar teilweise noch rückläufig. Die J1-Vorsorgeuntersuchung im Alter von 12-14 Jahren wird sogar nur von weniger als 40 % der Jugendlichen in Anspruch genommen. Um diesen Zustand zu verbessern, wird in MV eine zweigeteilte Pilotaktion gestartet. Dazu sollen im ersten Teil alle Schüler der 6. Klassen aus drei ausgewählten Kreisen an die J1-Vorsorgeuntersuchung bzw. die empfohlenen Impfungen erinnert werden. In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Grünen Kreuz (DGK) wurde ein Flyer für die Jugendlichen entwickelt und ein Informationsbrief an die Eltern erstellt. Beide sollen an die J1 erinnern und Eltern sowie Jugendliche zur Durchführung dieser Vorsorgeuntersuchung animieren. Im zweiten Teil dieser Pilotaktion werden in drei weiteren Kreisen Elternbriefe zur Erinnerung an die J1 an die Haushalte aller Kinder verteilt, die aktuell ihren 12. Geburtstag feiern. Genutzt wird dazu die Servicestelle des LAGuS MV, die im Rahmen der Erfassung der Kindervorsorgeuntersuchungen U2 bis U9 fungiert.

Die erforderlichen Daten werden nach Absprache mit dem Landesdatenschutzbeauftragten über die Einwohnermeldeämter zusammengetragen. Durch Auswertung der bei der KV abgerechneten J1Untersuchungen soll der Erfolg dieser Aktion verglichen und ausgewertet werden. Ziel soll es sein, durch beide Aktionen die Durchimpfungsraten aller Altersgruppen in MV weiter auf einem möglichst hohen Stand zu halten bzw. kontiniuerlich zu verbessern. P2 Ein Impferinnerungssystem (Impf-Recall) bei der Schuleingangsuntersuchung zur Verbesserung der Durchimpfungsraten –  Ergebnisse aus den ersten drei Pilotphasen

L. Angermayr, M.-S. Ludwig, M. Wildner, B. Liebl, A. Sing, U. Nennstiel-Ratzel Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Oberschleißheim

Einleitung Zur Verbesserung der Impfraten in Bayern, auch in Hinblick auf das Ziel der Masern-Elimination, wurde vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit eine Pilotstudie initiiert. Mit Hilfe der bayerischen Gesundheitsämter wird seit 2006 im Rahmen der Schuleingangsuntersuchung ein Impferinnerungssystem (sog. Impf-Recall) erprobt und schrittweise ausgedehnt. Die dargestellten Ergebnisse stammen aus den ersten drei Pilotphasen. In der ersten Pilotphase führte ein Amt den Impf-Recall durch, in der zweiten Phase vier Ämter und in der dritten Pilotphase zwölf Ämter. Material und Methoden Im Rahmen der Schuleingangsuntersuchung durch die Gesundheitsämter wurden bei allen untersuchten Kindern mit Hilfe des Impfausweises Impflücken auf Grundlage der STIKO-Empfehlungen erfasst. Die Impflücken wurden dokumentiert und die Eltern über die Wichtigkeit der fehlenden Schutzimpfungen aufgeklärt. Die Eltern konnten freiwillig an dem Impf-Recall teilnehmen, bei dem sie in zwei Stufen an die Vervollständigung der Impfungen erinnert wurden. Die erste Erinnerung erfolgte durch mitgegebene Unterlagen. Die jeweilige Impflücke wurde auf einem Vordruck markiert. Dieser sollte bei erfolgter Impfung vom Arzt an das Gesundheitsamt zurück geschickt werden. Erfolgte auf die ausgegebenen Unterlagen hin keine Reaktion, so wurden die Eltern in einer zweiten Stufe brieflich oder telefonisch nochmals an das Schließen der Impflücken erinnert. Ergebnisse In den Pilotphasen legten insgesamt 23744 Kinder bei der Untersuchung ihr Impfbuch vor. 4952 Kinder hatten Impflücken. Ihnen wurde eine Teilnahme am Impf-Recall angeboten. 2372 Eltern lehnten die Teilnahme am ImpfRecall noch während der Schuleingangsuntersuchung ab, so dass 2580 Kinder (11% der Untersuchten bzw. 52% der Impflücken) am Impf-Recall teilnahmen. Im gesamten Impf-Recall wurden 868 Kinder (34% der

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Teilnehmer) geimpft, davon bekamen 410 Kinder (16% der Teilnehmer) eine Masernimpfung. Von den 410 durchgeführten Masernimpfungen entfielen 74 auf die erste Masernimpfung und 336 auf die zweite Masernimpfung. Nach der ersten Erinnerung wurden insgesamt 276 Masernimpfungen durchgeführt, nach der zweiten Erinnerung 134. Diskussion Es ist davon auszugehen, dass nicht alle impfenden Ärzte die Unterlagen an die Gesundheitsämter weitergeleitet haben und somit die Wirksamkeit des Impf-Recalls unterschätzt wird. Weiterhin ist vorstellbar, dass das Ansprechen der Eltern auf den Erinnerungsservice sowie eine Impfberatung bei der Schuleingangsuntersuchung auch bei Nicht-Teilnehmern einen Einfluss auf das Schließen der Impflücken hatte. In der weiteren Fortsetzung wird das Impf-Recall ab den Schuleingangs­untersuchungen zum Schuljahr 2010/11 flächendeckend an allen bayerischen Gesundheitsämtern angeboten. P3 Steigerung der Bereitschaft zur Impfung gegen onkogene humanpathogene Papillomviren (HPV) in Deutschland A. M. Kaufmann1, L. Gissmann2, A. Schneider3 1 Gynäkologische Tumorimmunologie, Gynäkologie mit Hochschulambulanz, Charité Universitätsmedizin Berlin, Campus Benjamin Franklin und Mitte, Berlin; 2 Angewandte Tumorvirologie, DKFZ Heidelberg, Heidelberg; 3 Gynäkologie, Campus Benjamin Franklin und Mitte, Charité Universitätsmedizin, Berlin

Die Inzidenz des Zervixkarzinoms in Deutschland liegt bei 14/100,000 p.a, entsprechend etwa 6500 jährlichen Neuerkrankungen mit etwa 2700 Todesfällen. Dieser Tumor wird durch Infektionen mit bestimmten humanpathogenen Papillomviren (HPV), in 70% der Fälle durch die HPV Typen 16 und 18, verursacht. Impfstoffe gegen diese Viren stehen zur Verfügung, wodurch die Rate der hochgradigen Krebsvorstufen und dadurch auch der daraus resultierenden Zervixkarzinome signifikant verhindert werden kann. Aktuelle Studiendaten mit dem AS04 adjuvantierten Impfstoff zeigen in einer HPV naiven Kohorte einen Impfschutz der 93% aller hochgradigen Krebsvorstufen (CINIII) verhindert und in der Gesamtpopulation vor 30% aller hochgradigen Krebsvorstufen schützt. Die Antikörpertiter sind langlebig und in hoher Konzentration nachweisbar und die hervorragende Sicherheit der Impfstoffe hat sich in allen Analysen bestätigt. Nach anfänglich sehr guter Akzeptanz beträgt die Durchimpfungsrate innerhalb der von der Ständigen Impfkommission (STIKO) empfohlenen Altersgruppe der 12-17 jährigen Mädchen und jungen Frauen in Deutschland nur noch etwa 30%. In einigen Europäischen Ländern ist sie hingegen signifikant höher. Dies liegt zum großen Teil an Fehlinformationen in den deutschen Medien und an Veröffentlichungen von einigen

Gesundheitswissenschaftlern, die bisher nicht korrigiert werden konnten, obwohl die aus den klinischen Studien zugänglichen Daten deren Argumente widerlegen. Durch gezielte Kampagnen, auch nach dem Beispiel anderer Länder, sollte die Bereitschaft zur HPV Impfung in Deutschland entscheidend zu steigern sein. Eine Strategie ist „HPVpower“, die Aktivierung von ehemaligen Zervixkarzinompatientinnen als Mediatorinnen für korrekte Information und Anwältinnen für die HPVImpfung. P4 „Pimp jour life“: Neue Wege in der Impfprävention von Jugendlichen

G. Ellsäßer1, D. Berndt1, T. Weinke2, B. Schneeweiß3 1 Gesundheit, Landesamt für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz, Zossen; 2Infektionsepidemiologie, Gastroenterologie, Pneumologie, Klinikum Ernst von Bergmann gGmbH, Potsdam; 3UNICEF, Berlin

Hintergrund: Die verfügbaren Daten zu Impfquoten bei Jugendlichen zeigen bundesweit, länderbezogen und kommunal erhebliche Impfdefizite. Im Gegensatz zu kleinen Kindern können Jugendliche direkt angesprochen werden, da sie mit 16 Jahren selbst entscheiden dürfen, ob sie sich impfen lassen wollen oder nicht. Zielsetzung: „Pimp your life“ richtet sich direkt an Jugendliche in den 10.Klassen. Ziel ist, die Impfmotivation durch eine altersgerechte Information unter Einsatz moderner Medien (schuetzdich.de, facebook und twitter) zu erhöhen, in Schulen die Impfausweise zu überprüfen und dort Impflücken zu schließen. Methodik: Auf der Grundlage einer Analyse der höchsten Impfdefizite, definiert als fehlende Auffrischimpfung gegen Pertussis und fehlende Hepatitis B-Grundimmunisierung, wurden auf Basis der Ergebnisse der Schulabgangsuntersuchung 2008/2009 die Regionen des Landes Brandenburg mit den geringsten Immunisierungsraten ermittelt und für das Pilotprojekt ausgewählt (ca.1000 Jugendliche). Als weiterer Schwerpunkt wurden Förderschulen identifiziert, die schultypbezogen die höchsten Impfdefizite aufweisen. Die Evaluation der Ziele des Pilotprojektes erfolgt parallel zur Umsetzung: 1. Standardisierte Kurzbefragung der Jugendlichen zu ihrer Einstellung zum Impfen, zum Informationscharakter der eingesetzten Medien und des Unterrichts zum Thema Infektionsschutz sowie zur Impfmotivation. 2. Ärztliche Bewertung der Impfdokumente, Impfempfehlungen und durchgeführte Impfungen. Aktion: „Pimp your life“ ist ein Kooperationsprojekt im Bündnis Gesund Aufwachsen des Landes Brandenburg unter Leitung der Abteilung Gesundheit im LUGV. Bestandteile sind eine Impfkampagnenwerbung über die Internetplattform www.schuetzdich.de, eine Plakataktion in den Schulen, Buswerbung vor Schulen sowie Kurzinformationen für Jugendliche (Flyer/Broschüren). Die Impfbereitschaft (Motivation) der Jugendlichen soll

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ergänzt werden durch eine altersgerechte Impfaufklärung im Biologieunterricht oder im Rahmen von Projekttagen und über Impfangebote in der Schule. Eine individuelle medizinische Impfberatung durch die vor Ort tätigen Ärzte der Gesundheitsämter soll die Jugendlichen bei der Entscheidungsfindung zum Nachholen von Impfungen unterstützen. Die Ergebnisse der Aktion, durchgeführt im Zeitraum Oktober - November 2010, werden vorgestellt. Es wird insbesondere auf folgende Fragestellungen eingegangen: Was fördert die Impfakzeptanz bei Jugendlichen und was steht dem entgegen? Wie ist die Akzeptanz der Impfprävention in den Schulen? Welche Erfahrungen sind nützlich für eine Ausdehnung der Aktion auf Landes- oder Bundesebene. P5 Influenza: Steigerung von Impfungsraten auf Praxisebene bei gesetzlich versicherten älteren Menschen und Patienten mit Risikodiagnose durch praxisbezogene Versorgungskennzahlen aus Routinedaten

F. Antonini1, G. Schmidt2, J. Maurer1 1 Stabsstelle Hausärztliche Versorgung und Strategie, Kassenärztliche Vereinigung Bayerns, München; 21. stv. Vorsitzender des Vorstands, Kassenärztliche Vereinigung Bayerns, München

Durch den Abschluss von Impfvereinbarungen zwischen gesetzlichen Krankenkassen und einer Kassenärztlichen Vereinigung stehen im Rahmen der Quartalsabrechnung Routinedaten auch zur Influenzaimpfung von gesetzlich Versicherten zur Verfügung. Im Rahmen einer Studie wird untersucht, ob die teilnehmenden Ärzte die angebotenen Kennzahlen als hilfreiches Instrument zur Verbesserung der internen Qualitätstransparenz bewerten und ob diese Transparenz im zeitlichen Verlauf zur Steigerung der Impfungsrate bei den Teilnehmern beiträgt. Material und Methode In der ersten Projektphase wurde in Kooperation zwischen hausärztlichen Praktikern und Datenspezialisten der Kassenärztlichen Vereinigung die Feinspezifikation von zwei Kennzahlen zur Influenzaimpfung erarbeitet und technologisch pilotiert: 1. Bei welchem Anteil der ab 60-jährigen Patienten eines Arztes wurde im Zeitraum Juli bis Dezember eine Grippeimpfung abgerechnet? 2. Bei welchem Anteil der Risikopatienten (gemäß der Definition des RKI) eines Arztes wurde in diesem Zeitraum eine Grippeimpfung abgerechnet? Für die zweite Phase wurden freiwillige Studienteilnehmer unter den Hausärzten rekrutiert, für diese die praxisbezogenen Kennzahlen ermittelt und zur Verfügung gestellt. Anschließend wurden die Teilnehmer zu Nutzen, Praktikabilität und Grenzen der gelieferten Kennzahlen strukturiert befragt.

In der dritten Phase wird anhand der Bildung einer zufälligen Vergleichsgruppe untersucht werden, ob sich bei der Gruppe der Studienteilnehmer eine Wirkung der Versorgungstransparenz einer zurückliegenden Impfsaison auf die Impfungsrate der aktuellen Saison (Juli bis Dezember 2010) statistisch nachweisen lässt. Die Analyse der zweiten Phase bestätigt den methodischen Ansatz:  Alle Studienteilnehmer halten die eigenen Werte der Kennzahlen für realistisch.  Über 80 % sind der Meinung, dass ihr eigenes Handeln Einfluss auf die Kennzahlen hat.  Zwei Drittel melden zurück, dass sie für sich Folgen oder Maßnahmen tatsächlich ableiten konnten. Die Nutzung von Routinedaten ist schon allein aus Gründen des geringen bürokratischen Aufwands nahe liegend. Es besteht aber im hohen Maß die Gefahr von Fehlinterpretationen: Abgesehen davon, dass nicht jede Grippeimpfung über die GKV abgerechnet wird, gibt es viele Faktoren, die den Wert der Kennzahlen auf Praxisebene beeinflussen (z.B. räumliche Nähe zu Betrieben, die ihren Mitarbeitern die Grippeimpfung anbieten). Daher liefern die entwickelten Kennzahlen keinen absoluten Wert für die Durchimpfungsrate, sondern wertvolle Hinweise auf deren zeitlichen Verlauf. Die Interpretation des eigenen Kennzahlenwertes im Vergleich zum Landesdurchschnitt muss jeder Arzt für sich vornehmen und seine Schlüsse daraus ziehen. Die Verfügbarkeit von Impfversorgungskennzahlen aus Routinedaten ist für den niedergelassenen Arzt ein gutes, mit minimalen Aufwand verbundenes Mittel zur Verbesserung der internen Transparenz mit dem Potenzial, positiv auf die Grippeimpfrate zu wirken. P6 Gesetzliche Vorsorge- und Impfangebote besser nutzen: Ansatzpunkte für Arztpraxen

U. Kramer1, K. Wenk2 1 Initiative Präventionspartner, Freiburg; 2Duale Hochschule Lörrach, Health Care Management, Freiburg

Einleitung, Fragestellung: Vorsorge- und Impfangebote zählen zum Leistungskatalog der Krankenkassen. Viele Anspruchsberechtigte nutzen sie nicht. Die Studie untersucht Ansatzpunkte, die zu einer besseren Nutzung beitragen. Methoden: Ärzte (500), Apotheker (500) und Patienten (Facebook) wurden zu 5 Fragekomplexen befragt: 1. Gründe für die geringe Nutzung auf Seiten der Patienten. 2. Informations- und Entscheidungsverhalten von Patienten. 3. Ansprache in Arztpraxen und Apotheken. 4. Maßnahmen zur verbesserten

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Nutzung. 5. Regionale Netzwerke. Ergebnisse: Als Haupthinderungsgrund nennen Patienten (207), Apotheker (45) und Ärzte (42), dass Patienten zu wenig informiert sind [Mittelwerte: 2,3 (Patient); 2,1 (Arzt); 2,0(Apotheker)]. (1= trifft voll und ganz zu, 5= trifft gar nicht zu). Die Skepsis von Patienten Impfungen [3,5; 3,0; 2,8] oder Vorsorgeuntersuchungen gegenüber [4,0; 3,3, 3,0] wird von Ärzten und Apothekern überschätzt. Die Mehrzahl der befragten Ärzte (83,3%) gibt an, Patienten häufig anzusprechen, wenn sich dies ergibt, bzw. aufgrund von Zeitmangel häufig ganz darauf zuverzichten (23,8 %). Die meisten Ärzte dokumentieren den Impf- (59,5%) bzw. Vorsorgestatus (69 %) mittels Praxis-EDV. Über die Hälfte der Praxen  (57,1%) erinnert häufig schriftlich (40,5%) bzw. telefonisch (28,6%) an fällige Impf- bzw. Vorsorgetermine, während Patienten angeben, noch nie auf Impfungen (35,7 %) bzw. auf Vorsorgeuntersuchungen (55,6%) angesprochen und nie, weder schriftlich (81,6%) noch telefonisch (80,7%), erinnert worden zu sein. Die Ärzte nutzen häufig Broschüren (83,3%) und Poster (64,3%), um Patienten anzusprechen. Auf der Praxiswebsite haben viele Ärzte noch nie Impf- (52,4%) bzw. Vorsorgeangebote (42,9%) kommuniziert. Dabei geben Patienten dem Internet als Informationsquelle in Sachen Gesundheit [2,7] den höchsten Stellenwert. Nur wenige der Ärzte führen häufig mit anderen Praxen (29,3%), Apotheken (19%), Selbsthilfegruppen (19%), Gesundheitsämtern (11,9%) sowie Kindergärten, Schulen und Seniorenheime (9,5%) gemeinsame Präventionsaktionen durch. Patienten, Ärzte und Apotheker bewerten die fachliche Fortbildung des Praxisteams [1,6; 1,6; 1,7] als wichtigstes Mittel zur Optimierung, gefolgt von Fortbildung für Praxis- und Apothekenteams zur Wissensvermittlung [2,1; 1,7; 1,9] sowie Prämienanreizen der Kassen für Versicherte [1,8; 2,1; 2,3]. Diskussion und Fazit: Patienten, die die für sie relevanten Präventionsangebote kennen, werden diese auch nutzen. Die am Informationsverhalten der Patienten orientierte Ansprache bzw. verständliche Vermittlung des Nutzens von Impf- und Vorsorgeleistungen unter Einbeziehung neuer Medien und eingebettet in eine feste Praxisroutine, werden als geeignete Ansatzpunkte identifiziert. P7 Impf- und Vorsorge-Uhr erleichtert die Ansprache und Aufklärung und erhöht die Nachhaltigkeit der Impfberatung U. Kramer Initiative Präventionspartner, Freiburg

Im Beratungsalltag erschweren eine Reihe von Hürden die Ansprache und Aufklärung zu Vorsorge- und Impfangeboten. Eine Kommunikationshilfe, die Impfund Vorsorge-Uhr, soll dazu beizutragen, die folgenden Herausforderungen besser zu meistern: •

Zeitdruck. Die Ansprache soll schnell und auf den Patienten zugeschnitten möglich werden.



Komplexität des jährlich aktualisierten Impfwissens. Das Impfwissen soll einfach abrufund kommunizierbar werden.



Vergessen. Präventionswissen soll so aufbereitet werden, dass es Aufmerksamkeit wecken und nachhaltig vermittelt werden kann.

Material und Methode Bei Fortbildungsveranstaltungen zum Thema Impfen wurden von 2005 bis 2007 Hürden identifiziert (s. o.), die die geringe Nutzung von Vorsorgeund Impfangeboten aus Sicht niedergelassener Allgemeinärzte und deren Mitarbeiterinnen erklären. Dies gab den Anstoß für die Entwicklung der Impfund Vorsorge-Uhr. Ziel war es, die Informationen der STIKO-Empfehlungen, beschränkt auf die häufigsten Patientengruppen in der Hausarztpraxis, soweit zu vereinfachen, dass die Ansprache schnell, ohne Computer und für den Patienten verständlich und reproduzierbar möglich wird. Um Synergien zu nutzen,sollte die Uhr auch die Ansprache auf gesetzliche Vorsorgeuntersuchungen erlauben. Ergebnisse Auf der Impf- und Vorsorge-Uhr sind die empfohlenen Impfungen bzw.Vorsorgeuntersuchungen nach Altersklassen einstell- und ablesbar. Die Uhr unterstreicht visuell, dass der Impf- und Vorsorgeschutz zeitlich begrenzt ist und regelmäßig überprüft werden muss. Der Impfschutz ist für sechs Patientengruppen ablesbar (Abb. 1). Impfungen, die im jeweiligen Lebensalter laut STIKO-Impfkalender zu impfen sind, sind mit einem Stern gekennzeichnet. Impfungen, die bereits in einem früheren Lebensalter angezeigt waren, werden ohne Stern dargestellt, um so an etwaige Impflücken zu erinnern. Die Vorsorgeuhr ist aufgeteilt in sechs Altersklassen (Abb. 2) gemäß dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen. Sie zeigt altersabhängig an, wie häufig eineVorsorgeleistung in Anspruch genommen werden kann und skizziert knapp den Hauptgegenstand der Untersuchungen. Diskussion. Die Impf- und Vorsorge-Uhr erleichtert den Einstieg in das Gespräch und weckt Aufmerksamkeit. Wird sie dem Patienten nach der Beratung mitgegeben, so kann dieser in seinem Bekanntenkreis den Vorsorge- und Impfstatus spielerisch prüfen. Die leichte Reproduzierbarkeit der vermittelten Informationen erhöht die Nachhaltigkeit des Beratungsgespräches. Die Uhr ist kein Ersatz für die ärztliche Beratung. Auf wichtige Details, z. B.Impfabstände, Dauer des Impfschutzes etc., wird zugunsten der Handhabung und Übersichtlichkeit verzichtet. Schlussfolgerung. Die Kombination von Impf- und Vorsorgewissen, visuell aufbereitet und intuitiv anwendbar, vereinfacht die Aufklärung breiter Bevölkerungsschichten unterschiedlichen Alters in

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Sachen Gesundheitsvorsorge.  Über Fachdisziplinen hinweg unterstützt die Uhr Ärzte, Apotheker, den öffentlichen Gesundheitsdienst, die Krankenkassen sowie Lehrer in Schulen und ermöglicht dem Beratenen selbst,  im Familien- und Freundeskreis als Präventionsbotschafter aktiv zu werden. P8 „Mach mit – bleib fit“ Aktion zur Erhöhung der Akzeptanz der J1 und damit Steigerung der Impfraten bei Jugendlichen

H. Roggendorf Kinder-und Jugendgesundheitsdienst, Gesundheitsamt, Essen

Einleitung und Fragestellung Die Jugendgesundheitsuntersuchung J1 (12-14 Jahre) ist eine wichtige präventive Maßnahme zum Schutz und Erhalt der Gesundheit bei Jugendlichen. In diesem Rahmen werden auch die notwendigen (Auffrisch-) Impfungen durchgeführt. Die Ergebnisse des Nationalen Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS 2007) zeigen eine viel zu niedrige Beteiligung der Jugendlichen am kostenlosen Vorsorgeangebot. Nur ca. 38% der Jugendlichen nehmen die J1 in Anspruch,  wobei laut Statistik die Migranten hier mit knapp 26% nochmals deutlich unterpräsentiert sind. Aufgrund der sehr unbefriedigenden Inanspruchnahme dieser wichtigen Untersuchung hat der Kinderund Jugendgesundheitsdienst (KJGD) der Stadt Essen eine breit angelegte Aktion initiiert, um die Akzeptanz und Inanspruchnahme dieser kostenlosen Vorsorgeuntersuchung für Jugendliche zu fördern. „Mach mit – bleib fit“ soll die Jugendlichen zur Teilnahme an der J1 motivieren. Als Anreiz wird in Zusammenarbeit mit dem Cinemaxx Essen und verschiedenen Sponsoren ein Gutschein für einen Kinobesuch in Aussicht gestellt. Kann die Inanspruchnahme der J1 und somit die Impfraten durch eine Prämie (Kinogutschein) gesteigert werden? Material und Methoden Schüler(innen) von Förder- und Hauptschulen sowie Gesamtschulen (n =2000) erhalten ab November 2010 bei der jährlich stattfindenden Impfberatung durch den KJGD (1) außer dem Impfberatungszettel, eine Broschüre der  BzGA (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung) zur J1 Untersuchung und ein persönliches Anschreiben mit einem Kinogutschein. Dieser wird durch das Cinemaxx Essen und eine Pharmafirma finanziert. Nach der J1 Untersuchung beim Kinder- und Jugendarzt wird von diesem die J1 bestätigt und der Kinogutschein kann an der Kinokasse eingelöst werden. Anhand des Rücklaufs der Kinogutscheine kann ermittelt werden, wie viele Schüler an der Aktion teilgenommen haben. Erste Ergebnisse liegen voraussichtlich im Januar 2011 vor. Diskussion und Schlussfolgerungen folgen im Januar 2011 nach Vorliegen der Ergebnisse. und können bei der 2. Nationalen Impfkonferenz 2011vorgestellt werden.

(1) Roggendorf, H, et al, Erfolgreiche Strategien zur Verbesserung der Impfraten bei Jugendlichen  . Das Gesundheitswesen, 2010 Kinder- und Jugendgesundheitsdienst, Gesundheitsamt Essen Adam, U, Bäuerle, C, Bierenfeld, I, Breu, C, Dembinski, K, Eickholt, B, Engels, S, Freynik, P, Gertz B, Harder, U, Hebebrand, K, Herzog, A, Knode, U, Langen-Schmidt, H, Marzina, U, Ophoff, J, Powalla, B, Roggendorf, H, Rubbert-Lauterbach, F, Schleier, M, Schmieder, G, Somplatzki, C, Sonderkötter, H, Westhues, R. P9 Akzeptanz und Auswirkungen der generellen Varizellenimpfung im Raum München - Ergebnisse aus dem Bayerischen Varizellen-SurveillanceProjekt 2006-2010

A. Streng1, K. Seeger1, S. Hanke1, V. Grote2, J. Liese1 Forschungsgruppe Infektionsepidemiologie, Universitätsklinikum Würzburg, Kinderklinik und Poliklinik, Würzburg; 2Dr. von Haunersches Kinderspital, Universität München, München

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Fragestellung: Seit 2004 besteht die generelle Empfehlung der STIKO, alle Kinder zwischen 11 und 14 Monaten gegen Varizellen (Windpocken) zu impfen (seit 2009 mit zwei Dosen innerhalb des zweiten Lebensjahres). Da Varizellen keine meldepflichtige Erkrankung sind, fehlen populationsbezogene Daten zur Häufigkeit (Inzidenz) weitgehend. Ziel des Bayerischen Varizellen-Surveillance-Projektes (BaVariPro) war es, in einer definierten Region die jährlichen Durchimpfungsraten sowie deren Auswirkung auf die Varizellen-Epidemiologie zu erfassen. Methode: Durchimpfungsraten für Varizellen (und Masern) in München (Stadt und Landkreis) wurden jeweils Ende 2006, 2007, 2008 und 2009 durch Befragungen von Eltern mit 18-36 Monate alten Kindern (Zufallsstichproben von je 600 Kindern) ermittelt. Parallel dazu wurde von ca. 2/3 aller Münchner Kinderarztpraxen im Beobachtungszeitraum (Oktober 2006 bis September 2010, d.h. 4 Varizellen-Saisons) monatlich die Anzahl der Praxispatienten 50%, von durchschnittlich 6,0 Fällen pro Monat und Praxis in der 1. Saison (Okt 2006-Sep 2007) auf 3,8 Fälle in der 2. Saison, und einen weiteren Rückgang in den Folgesaisons (auf 3,3 bzw. 2,0 Fälle). 61,3% aller Fälle waren Kinder