Musikland Niedersachsen

Musikvermittlung & Konzertpädagogik Um ein genaueres Bild über das Musikvermittlungsangebot in Niedersachsen zu erhalten, führte Musikland Niedersachsen eine Internetrecherche durch. Wir haben 148 Festivals, Theater, Orchester, sonstige Ensembles, Netzwerke (z.B. Musik 21 Niedersachsen), Hochschulen, Meisterkurse mit Festivalcharakter, Wettbewerbe und Konzertveranstalter untersucht. Nicht berücksichtigt wurden in der Recherche Organisationen wie Jugendorchester, Jugendzentren, Laienorchester, Einzelpersonen, Kantoreien, Hauptsache Musik. Zunächst einmal stellten wir fest, dass Musikvermittlung zum Tätigkeitsprofil zahlreicher Musikanbieter in Niedersachsen zählt. Von den 148 untersuchten Organisationen betreiben 90 Musikvermittlung (61%). Bei 39 Organisationen sind auf den Websites dagegen keine musikvermittelnden Aktivitäten erwähnt. Bei 19 Organisationen konnte keine eindeutige Aussage getroffen werden. Hauptzielgruppe dieser Aktivitäten sind Kinder und Familien. Das Angebot für diese Gruppen liegt um fast 50 Prozent über dem für ein reines Erwachsenen-Publikum. Die Mehrzahl der Angebote sowohl für das junge als auch für das erwachsene Publikum haben Darbietungscharakter, es handelt sich meist also um Kinder-/Familienkonzerte bzw. um moderierte Konzerte für Erwachsene. Neuere, interaktive Veranstaltungsformate sind in der Minderzahl. Dass nur knapp zwei Drittel der Musikanbieter in Niedersachsen musikvermittlerische Aktivitäten entfalten, lässt bereits erkennen, dass hier noch Entwicklungsmöglichkeiten bestehen. Innerhalb der Gruppe der Musikvermittlungs-Anbieter sind es wiederum nur 36 Prozent, die der Musikvermittlung nach eigener Aussage einen „hohen oder sehr hohen Stellenwert“ beimessen. Selbst unter den Festivals beschäftigt sich weniger als die Hälfte mit Musikvermittlung. Die aller Bekenntnisse zum Trotz randständige Position der Musikvermittlung drückt sich auch in der Qualifikation der Kräfte aus, die sich in den Organisationen mit Musikvermittlung beschäftigen: Von neun Institutionen mit zwanzig Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern sind insgesamt nur drei speziell für den Bereich Musikvermittlung zuständig. Alle haben dabei entweder außerdem noch andere Zuständigkeitsbereiche oder ihr Schwerpunkt liegt in der Theater- bzw. Musiktheaterpädagogik.

Musikland Niedersachsen Musikvermittlung & Konzertpädagogik November 2008, kgk / mbz


 Der Dienst für Musikvermittlung arbeitet, wie auch die anderen Tätigkeitsfelder unserer Organisation, am Ausbau, an der Modernisierung, der Profilierung und der Etablierung des Musiklandes Niedersachsen. Voraussetzung für eine solche Positionierung der niedersächsischen Musikkultur ist es, Niedersachsen als wegweisendes Bundesland im Bereich Musikvermittlung zu entwickeln. Dies auch im internationalen Vergleich, denn die Unverzichtbarkeit musikvermittelnder Arbeit für den nachhaltigen Aufbau eines vielfältigen und gesellschaftlich breit verankerten musikalischen Lebens hat sich in vielen Ländern gezeigt. Aus der Analyse des Ist-Zustands im Bereich Musikvermittlung und der Aufgabenstellung von Musikland Niedersachsen folgen für den Dienst für Musikvermittlung drei Hauptanliegen: •

Weitere Verbreitung musikvermittlerischer Angebote



Qualitätsschub auf der Angebotsseite: Mehr Angebote, zielgruppenspezifischere Angebote, modernere, interaktive Angebote, Sicherung der Nachhaltigkeit



Professionalisierung und Entmarginalisierung der Akteure. Die Anliegen der Musikvermittlung müssen zur Chefsache in den Musik-Organisationen werden. Musikvermittlung muss zum gleichberechtigten Tätigkeitsfeld neben den klassischen Darbietungsformen werden bzw. mit ihrem Geist der Partizipation die klassischen Darbietungsformen weiter entwickeln.

Erreicht werden können diese Ziele durch die weitere Professionalisierung vorhandener Projekte und Projektkräfte, durch die Initialisierung neuer Angebote, durch die Vernetzung vorhandener Initiativen und potenzieller Partner. Auch die konstruktive Diskussion von Qualitätskriterien, Zielgruppenorientierung und Eigenverortung mit Veranstaltern im Land trägt zur Steigerung von Qualität und Angebotsmenge bei. Deshalb ist der Aufbau eines Netzwerks für Musikvermittlung und Konzertpädagogik zentraler Bestandteil der Arbeit von Musikland Niedersachsen. Musikland Niedersachsen schlägt folgenden Weg vor: • • •

Vorhandenes weiterentwickeln Neue Kompetenzen erarbeiten Innovative Projekte auf international konkurrenzfähigem Niveau durchführen

Das Musikvermittlungsangebot in Niedersachsen werden wir gemeinsam mit den Partnern im Land ausbauen und verbessern. Dies geschieht durch die Bündelung von Ressourcen und die Aktivierung von gemeinsamen Kräften. Ausgehend von den regionalen und veranstalterbezogenen Besonderheiten gilt es, übergreifende Qualitätsstandards zu entwickeln und zu kommunizieren. Überdies arbeiten wir an einem „Empowerment“ der Akteurinnen und Akteure. Wir wollen in den Organisationen Lernprozesse befördern mit dem Ziel einer Entwicklung und Etablierung professioneller Musikvermittlungsarbeit. In allen Fällen wird die weitere Professionalisierung der Musikvermittlung das eigenständige Profil der Musikanbieter stärken, die Publikumsbasis verbreitern und die soziale Akzeptanz erhöhen. 2


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 Vor diesen Zielsetzungen entwickelt das Musikland Niedersachsen vier Servicebereiche im Bereich Musikvermittlung: I. II. III. IV.

Informieren & beraten Vernetzen Initiieren & entwickeln Betreuen & durchführen

Im Detail können wir uns vorstellen: I.

Informieren & beraten •

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Sammlung relevanter Informationen über Musikvermittlung im Musikland Niedersachsen (Erstellung von Datenbanken mit Musikvermittlungsprojekten in Niedersachsen sowie der Akteurinnen und Akteure), zugänglich auf unserer Website Datenbank mit musikvermittelnden Institutionen, Partnern und Projekten in Deutschland und international, zugänglich auf unserer Website Internationale Literaturliste, zugänglich auf unserer Website Newsletter mit aktuellen Highlights aus dem Musikvermittlungsbereich in Niedersachsen Beratung der Organisationen, Orchester und Ensembles in Fragen der Konzeption, Gestaltung, Präsentation und Didaktik Beratung zum Thema Fundraising und Sponsoring Fortbildungen und Tagungen für Zielgruppen wie Musikvermittlerinnen und Musikvermittler oder Musikerinnen und Musiker Informationsangebote für Erzieherinnen und Erzieher bzw. Lehrerinnen und Lehrer Konzeption eines Aufbaustudiengangs Musikvermittlung in Nds

II. Vernetzen •

Vermittlung und Vernetzung von Kooperationspartnern

III. Initiieren & entwickeln • •



• •

Schaffung eines Netzwerks von Musikvermittlerinnen und Musikvermittlern bzw. Konzertpädagoginnen und Konzertpädagogen Gründung eines Musikvermittlungsteams mit Musikvermittlerinnen und Musikvermittlern (Ziele: Erfahrungsaustausch, gemeinsame Entwicklung innovativer Musikvermittlungsprojekte für Nds) Initiierung von Musikvermittlungsprojekten (Musikmobil, interaktive Musikausstellung „Musikland Niedersachsen“ in Museen, Kindermusikfestival, reisende Gemeinschaftsproduktionen, langfristige Patenschaften zwischen Kulturinstitutionen und Schulen) Zusammenarbeit mit Wirtschaftsunternehmen (z.B. Musikprojekte mit Lehrlingen in ihren Werkstätten) Durchführung eines internationalen Symposiums zur Musikvermittlung, das mit einem Wettbewerb niedersächsischer Musikvermittlungsprojekte gekoppelt ist 3


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 •

Konzeptionelle Zusammenarbeit mit Akteurinnen und Akteuren aus den Regionen (Veranstalter, Festivals, Ensembles)

IV. Betreuen & durchführen •

Betreuung und Durchführung ausgewählter neuer Projekte

Der Bereich der Musikvermittlung findet spätestens seit dem Kinohit „Rhythm is it“ der Berliner Philharmoniker mit Sir Simon Rattle großes Interesse in Öffentlichkeit und Medien. Immer mehr Orchester, Konzerthäuser und Musiktheater national und international richten Stellen und ganze Abteilungen für Musikvermittlung ein. Dennoch fragen wir an dieser Stelle noch einmal genauer nach: Was gehört eigentlich zum Bereich der Musikvermittlung? Welche Organisationen betreiben Musikvermittlung? Warum muss Musik überhaupt vermittelt werden und worin unterscheiden sich Musikpädagogik, Konzertpädagogik und Musikvermittlung? Warum muss Musik überhaupt vermittelt werden? Spricht die Musik nicht für sich? Hinter der Frage nach dem Sinn von Musikvermittlung steht oft eine Auffassung von Musik als einer universellen Sprache, die sich jedem unmittelbar erschließt. Das ist aber nicht für jeden so. Der riesige Bedarf und die Nachfrage nach qualitativ hochwertigen Angeboten im Bereich der Musikvermittlung und Konzertpädagogik national wie international zeigen, wie erfolgreich gute Musikvermittlungskonzepte aufgehen können und welche nachhaltige Wirkung sie auf das Musikleben eines Landes haben. Der Begriff der Konzertpädagogik knüpft dabei etwas enger an traditionelle Konzertformate an, während Musikvermittlung zudem auch die Settings selbst verändert und damit neue Kompetenzen bei Veranstaltern und Künstlerinnen und Künstlern einfordert. Betreffend das Verhältnis von Musikvermittlung und Musikpädagogik versteht sich Musikvermittlung immer als ein Zusatzangebot zum Musikunterricht in den allgemeinbildenden Schulen und Musikschulen. Im Unterschied zu dem kurrikularen und grundlegenden Angebot der Bildungseinrichtungen agiert Musikvermittlung projektbezogener. Kulturinstitutionen und Bildungseinrichtungen sind deshalb gefordert, hier als Partner zusammenzuarbeiten, voneinander zu profitieren und voneinander zu lernen. Die Vernetzung beider und die Berücksichtigung der teilweise sehr unterschiedlichen Bedürfnisse dieser Partner stellt eine wichtige Voraussetzung für eine Intensivierung und Verbesserung des Musikvermittlungsangebots in Niedersachsen dar. Musik ist eine ganz besondere Sprache, ein Ausdrucksmedium und elementares Medium der Kommunikation. Im Kontext der ästhetischen Bildung ist Musik zu sehen als ein fundamentaler Bestandteil von Bildung im Sinne einer umfassenden Persönlichkeitsentfaltung. Gerade Kinder sollten deshalb auch so viele unterschiedliche Genres und musikalische Stilrichtungen wie möglich kennen lernen können. Sie erschließen sich selbst ihre Welt. Deshalb stellt Musik einen wichtigen Bestandteil von Welt und ihrer Identitätsfindung dar. Musikvermittlung bedeutet für uns vor allem, dass wir verschiedenen Zielgruppen Zugänge zu unterschiedlichen musikalischen Genres ermöglichen möchten. Einerseits bricht sie mit altetablierten Verhaltens- und Benimmregeln eines „klassischen Konzerts“ frei nach dem Credo „Musik ist zum Anfassen“: keine Berührungsängste, mach’ dir die Musik zu 4


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 eigen, fange etwas mit ihr an und suche einen eigenen Zugang. Außerdem kann sie bedeuten, den Anspruch von sogenannter Unterhaltungsmusik neu zu entdecken. Ob Klassik, Jazz oder Pop: Musik ist eine sinnliche Erfahrung. Zusätzlich zum klassischen Konzertpublikum möchten wir unterschiedliche und neue Zielgruppen ansprechen. Wir bauen das Angebot für Schülerinnen und Schülern und für Familien aus. Außerdem planen wir integrative Projekte mit behinderten Menschen, Projekte für und mit Jugendlichen, interkulturelle Ansätze und Angebote für junge Eltern. Ein besonderes Feld musikvermittlerischer Innovation stellt für uns die Zusammenarbeit mit Unternehmen der Wirtschaft dar. Durch Angebote wie musikalisches Teambuilding, Managerseminare oder Lehrlingsprojekte wollen wir Unternehmen Möglichkeiten der Teilhabe an der musikalischen Kultur ihres Landes schaffen. Auf diese Weise planen wir, Modelle der finanziellen Unterstützung zu entwickeln, die über das derzeit oft beziehungslose Spenden- und Sponsoringwesen hinausgehen. Dabei ist es uns ein elementares Anliegen, einen hohen Standard bezüglich der musikalischen und der musikvermittlerischen Qualität zu kommunizieren. Musikland Niedersachsen steht als Gütesiegel für besondere Qualität und Kreativität im Bereich der Musikvermittlung. Für die nächsten zwei Jahre hat sich Musikland Niedersachsen einen straffen Zeitplan gesetzt. Eine Internetrecherche zur Bestandsaufnahme von Organisationen in Niedersachsen mit Musikvermittlungsangebot ist bereits abgeschlossen. In Gesprächen mit vielen Organisationen ermitteln wir Bedürfnisse und Rahmenbedingen, es findet Ideen- und Erfahrungsaustausch statt, konkrete Projekte werden initiiert. In den nächsten Wochen wird sich ein Kompetenzteam Musikvermittlung mit Musikvermittlerinnen und Musikvermittlern aus ganz Niedersachsen erstmals treffen, um Erfahrungen auszutauschen, Kooperationen einzugehen und wenn möglich auch innovative neue Musikvermittlungsprojekte gemeinsam für Niedersachsen zu entwickeln. Viele Organisationen haben bei der Auftakttagung Musikland Niedersachsen in Wolfenbüttel ihr Interesse bekundet, in diesem Team dabei zu sein. Projekte wie ein ein internationales Symposium zu Musikvermittlung, die Aufstellung einer zunächst beispielhaften längerfristig angelegten Patenschaft zwischen einer Kulturinstitution und einer Schule, ein Ideenpreis Musikvermittlung, ein Musikvermittlungsprojekt mit Lehrlingen als Kooperationsprojekt zwischen Kultur und Wirtschaft oder eine interaktive Musikausstellung „Musikland Niedersachsen“ in Museen mit eigens dafür entwickelten Exponaten, die eine spezifische niedersächsische Musikkultur „greifbar“ machen, stehen auf unserem Programm. Zur Umsetzung dieser Ideen benötigen wir starke finanzielle und personelle Unterstützung und Partner aus Kultur und Wirtschaft. Unsere Gespräche haben gezeigt, dass Interesse, Wohlwollen und Lust zur Zusammenarbeit bei vielen vorhanden sind und eine Aufbruchstimmung erkennbar ist.

Klaus Georg Koch / Maike Berndt-Zürner 5