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Mehr Licht, weniger Schatten Umweltfreundlich, reaktiv, leicht zu applizieren: strahlenhärtende Lack- und Klebstoffsysteme [1] haben in den letzten Jahrzehnten weltweit immer mehr Anwendungsfelder erschlossen (Abb. 1). Einsatz finden neben Allyl-ethern und Epoxiden vor allem Acry-late, die 80 % aller strahlenhärtbaren Materialien ausmachen. Urethanacrylate optimieren und ihre Anwendung erleichtern Emmanouil Spyrou Eine besondere Stellung unter den strahlenhärtbaren Rohstoffen nehmen die Urethanacrylate ein. Patente und Veröffentlichungen zu diesem Thema zeigen das stetig steigende Interesse an dieser Rohstoffklasse (Abb. 2). Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Je nach Zusammensetzung können Urethanacrylate für den verwendeten Zweck maßgeschneidert werden: hart aber flexibel, lichtecht, lösemittel- und korrosionsbeständig sowie kratzfest. Bei so viel Licht gibt es auch Schatten: Urethanacrylate gehören zu den hochpreisigen Rohstoffen, da zu ihrer Herstellung Di- oder Polyisocyanate benötigt werden. Zudem erschwert die häufig vergleichsweise hohe Viskosität der Urethanacrylate Applikationstechniken wie die Sprühanwendung. Urethanylacetat ist ein Sammelbegriff Hinter der Bezeichnung Urethanacrylate verbirgt sich ein Sammelbegriff, der alle Stoffe umfasst, die gleichzeitig das Reaktionsprodukt aus einem Isocyanat (NCO) und einem Alkohol sowie polymerisationsfähige Acrylatgruppen enthalten. Ausgangsstoffe sind daher vorzugsweise aliphatische oder cycloaliphatische Diisocyanate und OHGruppen tragende Acrylate, z. B. Hydroxyethylacrylat. In der Regel dienen als Grundgerüst zusätzlich hydroxylgruppenhaltige Polyester oder Polyether, so dass als Endprodukt ein Acrylatgruppen-terminiertes Harz entsteht, das für den Großteil der Eigenschaften eines strahlenhärtbaren Lacksystems verantwortlich ist. Die Reaktion der drei Bestandteile Diisocyanat (D), Hydroxy-acrylat (H) und Hydroxypolymer (P), soll nun etwas genauer betrachtet werden. Bildungsreaktion von Urethanacrylaten Idealerweise sollte die Bildung von Urethanacrylaten folgendermaßen ablaufen: 2 D + 2 H + P ? H-D-P-D-H. In der Praxis entstehen aber auch andere Reaktionsprodukte wie H-D-H oder H-D-P-D-P-D-H, H-D-P-D-P-D-P-D-H oder noch höhere Homologe dieser Polymere (Abb. 3). Während das Di-Addukt H-D-H als eine Art kostspieliger Reaktivverdünner angesehen werden kann, tragen die höhermolekularen Reaktionsprodukte vor allem zu einer

unerwünschten Viskositätserhöhung bei. Auch wenn H-D-H formal zu den Reaktivverdünnern gerechnet wird, ist dieses Produkt in Abhängigkeit vom eingesetzten Diisocyanat nicht niederviskos. Das DiAddukt aus Dicyclohexylmethylendiisocyanat (H12MDI) und Hydroxyethylacrylat (HEA) (also HEA-H12MDI-HEA) ist beispielsweise fest. Im Folgenden werden Di-Addukte und höhermolekulare Anteile vereinfachend als unerwünschte Bestandteile herkömmlicher Produkte tituliert, auch wenn sie durch Strahlenhärtung zur Vernetzung führen und einen Beitrag zur Gesamtperformance eines Lacksystems leisten. Aus Gründen der Anschaulichkeit soll hier für das entstehende komplexe Gemisch an Reaktionsprodukten bei der herkömmlichen Fahrweise diese vereinfachte Schreibweise gewählt werden: 2 D + 2 H + P ? H-D-P-D-P-D-H + H-D-H. Diese Schreibweise trägt der Tatsache Rechnung, dass die Diisocyanat-Menge in dem Diaddukt H-D-H identisch sein muss zu der Diisocyanat-Menge, die zur Molekulargewichtserhöhung (-P-D-P-) führt. Anschaulich kann man sich diese Rechnung folgendermaßen vorstellen: In einem Dorf, in dem genauso viele Damen (D) wie Herren (H) wohnen, steht jeder Dame genau ein Herr zu (D-H). Schafft es aber eine Dame zwei Herren an sich zu binden (H-D-H), geht dafür eine andere Dame leer aus (P-D-P). Selektivität von Diisocyanaten Der Anteil der erwünschten Bestandteile zu den eher unerwünschten Reaktionsprodukten hängt in erster Linie von den verwendeten Diisocyanaten sowie von Katalysatoren und Reaktionsbedingungen ab. So verfügt beispielsweise Isophorondiisocyanat (IPDI) über eine Selektivität in der Urethanreaktion, d.h. eine der beiden Isocyanatgruppen (die cycloaliphatische) ist deutlich reaktiver gegenüber Alkoholen als die andere (aliphatische) [3]. Dies gilt im besonderen Maße bei Anwesenheit zinnhaltiger Katalysatoren und mäßigen Reaktionstemperaturen. Die Selektivität sorgt bei sachgemäßer Anwendung dafür, dass bei IPDI nur etwa 25 % des Diisocyanats in unerwünschten Reaktionsprodukten landet. Bei Hexamethylendiisocyanat (HDI) oder Dicyclohexylmethylendiisocyanat erreicht diese Quote aufgrund fehlender Selektivität dagegen fast 50 %, während Trimethylhexamethylendiisocyanat (TMDI) zwischen diesen Extremen liegt. Tab. 1 zeigt die Selektivitäten. Die Tatsache, dass bei den ansonsten symmetrischen Diisocyanaten HDI und H12MDI überhaupt eine, wenn auch geringe, Selektivität beobachtet werden kann, resultiert aus einer sterischen Hinderung der unreagierten NCOGruppe durch die bereits gebildete Urethangruppe. Die praktischen Auswirkungen sind aber minimal und daher fast zu vernachlässigen. Mit Monoaddukten zum gewünschten Polymer

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Zur Verringerung oder Vermeidung der unerwünschten Reaktionsprodukte wäre es besonders vorteilhaft, das Monoaddukt aus einem Diisocyanat und einem OHGruppen tragenden Acrylat wie Hydroxyethylacrylat zu verwenden, im Folgenden Monoaddukt (H-D) genannt. Lässt man ein solches Monoaddukt mit einem Hydroxylgruppen aufweisenden Polymer reagieren, entsteht allein das gewünschte strahlenhärtbare Harz ohne ungünstige höhere Molekulargewichtsanteile oder Reaktivverdünner: 2 H-D + P ? H-D-P-D-H. Nun stellt sich die Frage, wie ein solches Monoaddukt gezielt herzustellen ist. Es hat dazu in der Vergangenheit nicht an (häufig erfolglosen) Versuchen gefehlt. Der erste Schritt ist noch recht einfach: Ein Überschuss an Diisocyanat wird mit beispielsweise Hydroxyethylacrylat umgesetzt. Im zweiten Schritt muss dann der nicht abreagierte Anteil an Diisocyanat destillativ abgetrennt werden: 5 D + H ? 4 D + H-D ? (Destillation) H-D. Genau hier beginnen die Schwierigkeiten, da zur Destillation von beispielsweise IPDI oder H12MDI hohe Temperaturen notwendig sind, die zur spontanen radikalischen Polymerisation der Acrylatgruppen führen. Hier helfen nur spezielle Apparaturen, Bedingungen und besondere zum Patent angemeldete Inhibitoren die Polymerisation zu vermeiden. Bei sachgerechter Durchführung erhält man so ein niederviskoses monomerarmes Monoaddukt, dessen Anwendungen im Folgenden näher betrachtet werden. Um auf Monoaddukt basierende strahlenhärtbare Harze mit herkömmlichen Produkten zu vergleichen, können verschiedene Wege eingeschlagen werden. Für eine anschauliche Darstellung sollen die verschiedenen Reaktionswege noch einmal nebeneinander gestellt werden: Herkömmliche Urethanacrylate: 2 D + 2 H + P ? H-D-P-D-P-D-H + H-D-H Monoaddukt-basierte Harze: 2 D-H + P ? H-D-P-D-H. Der Ersatz des herkömmlichen Produktgemischs durch das auf Monoaddukt basierende Harz ist zwar möglich, aufgrund der unterschiedlichen Molmassen der entstehenden Moleküle sowie verschiedener Vernetzungsdichten ist dies aber nicht unbedingt die sinnvollste Variante. Vielmehr bietet es sich alternativ an, ähnliche Molmassen und Vernetzungsdichten zu vergleichen. Diese erhält man, wenn für die Umsetzung des Monoaddukts ein Polymer mit etwa doppelter Molmasse (bei Polyestern leicht zu einzustellen) sowie zusätzlich ein handelsüblicher Reaktivverdünner wie Hexandioldiacrylat (HDDA) verwendet werden: 2 D-H + P-P (+ HDDA) ? H-D-P-P-D-H + HDDA Die folgenden Experimente belegen, dass die Lackeigenschaften solcher modifizierten auf Monoaddukt basierenden strahlenhärtbaren Harze vergleichbar gut wie herkömmliche Produkte sind. Dazu wurde aus Gründen der Anschaulichkeit das Monoaddukt aus H12MDI und HEA gewählt. Die Ergebnisse mit IPDI sind ähnlich, die auftretenden Effekte aber aufgrund der Selektivität des IPDI etwas geringer. Experimente Es wurden drei strahlenhärtbare Harze hergestellt:

A) Ein handelsüblicher flüssiger Poly-ester mit OH-Zahl 63 wurde mit 2 Mol H12MDI und 2 Mol HEA umgesetzt (40 °C, 3 h bei 60 °C, DBTL-Katalyse, 0,2 % "Ionol CP" als Inhibitor), so dass titrimetrisch kein NCO mehr nachzuweisen war. Dies entspricht der herkömmlichen Fahrweise. B) Ein handelsüblicher flüssiger Polyester mit OH-Zahl 63 (wie A) wurde mit 2 Mol eines Monoaddukts aus H12MDI und HEA umgesetzt (40 °C, 3 h bei 60 °C, DBTL-Katalyse, 0,2 % Inhibitor wie oben), so dass titrimetrisch kein NCO mehr nachzuweisen war. C) Ein handelsüblicher flüssiger Polyester mit OH-Zahl 35 (ansonsten identisch zu A und B) wurde mit 2 Mol eines Monoaddukts aus H12MDI und HEA umgesetzt (40 °C, 3 h bei 60 °C, DBTL-Katalyse, 0,2 % Inhibitor wie oben), so dass titrimetrisch kein NCO mehr nachzuweisen war. Aus den möglichen Formulierungen wurden stellvertretend drei ausgewählt, diese mit etwa 20 µm auf Bonder-1303Bleche gerakelt, mit UV-Strahlen (80 W/cm) gehärtet und lacktechnisch geprüft (Tab. 2). Diskussion und Zusammenfassung Aus den experimentellen Daten lassen sich folgende Erkenntnisse ableiten (Tab. 3): Auf Monoaddukt basierende Harze senken die Viskosität beträchtlich (Formulierungen 2 und 3). Trotz eines deutlich geringeren Diisocyanatgehalts der modifizierten auf Monoaddukt basierenden Formulierung 3 sind die Lackeigenschaften in Hinblick auf Härte, Flexibilität, Korrosionsbeständigkeit und Chemikalienfestigkeit herkömmlichen Beschichtungen ähnlich. Monoaddukte führen also zu einer effizienteren Nutzung der enthaltenden Diisocyanate und außerdem zu verbesserten Applikationseigenschaften. Literaturhinweise: [1] Glöckner, P. et al. : Radiation Curing, Vincentz Verlag, 2008. [2] SRI Consulting "Radiation Curable Coatings", 2008. [3] a) Spyrou, E.: Farbe & Lack, 106, (2000), 126-130, b) Lomölder, R.; Plogmann, F.; Speier, P.: JCT, 69, (1997), 868, c) Spyrou, E.; Lomölder, R.: XXIV. FatipecKongress, Interlaken, Vol. B, (1998), 159-174. Ergebnisse auf einen Blick - Der Begriff Urethanacrylate umfasst alle Stoffe, die gleichzeitig das Reaktionsprodukt aus einem Isocyanat und einem Alkohol sowie polymerisationsfähige Acrylatgruppen enthalten. - Der Anteil der erwünschten Bestandteile zu den eher unerwünschten Reaktionsprodukten hängt von den verwendeten Diisocyanaten sowie von Katalysatoren und Reaktionsbedingungen ab. Auf Monoaddukt basierende Harze senken die Viskosität. Lackeigenschaften Härte, Flexibilität, Korrosionsbeständigkeit und Chemikalienfestigkeit entsprechen denen herkömmlicher Beschichtungen. - Die Lackeigenschaften modifizierter, auf Monoaddukt basierender ,strahlenhärtbarer Harze sind ähnlich gut wie herkömmliche Produkte. Auf diese Weise kann 25 - 50 % der eingesetzten Diisocyanatmenge eingespart werden. Dr. Emmanouil Spyrou, Jahrgang 1965, studierte Chemie an der Universität Münster und

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promovierte dort im Jahr 1993. Danach folgte ein Forschungsaufenthalt an der University of California Los Angeles auf dem Gebiet der Natur- und Wirkstoffchemie. 1995 trat er der heutigen Evonik-Degussa GmbH in die Forschungsabteilung von Coatings and Additives bei. Seine Hauptarbeitsfelder sind die Strahlenhärtung und die Polyurethanchemie. Seit Mitte 2003 ist er außerdem für die PulverlackForschungsaktivitäten zuständig. Korrespondierender Autor Kontakt: Dr. Emmanouil Spyrou Evonik Degussa GmbH T +49 2365 49-2039 [email protected]

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Abb. 1: Das Volumen der Strahlenhärtung weltweit (kt) [2]

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Abb. 2: Anzahl an Publikationen zum Thema Urethanacrylate weltweit

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Abb. 3: Reaktionsschema für herkömmliche Urethanacrylate

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