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medienservice Sonderausgabe Dezember 2004

Europa wagt mehr Demokratie Kompetenzen des Europäischen Parlaments

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So kommt ein Europäisches Gesetz zustande

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Europa wagt mehr Demokratie Die Kompetenzen des Europäischen Parlaments in der neuen Verfassung Am 29. Oktober 2004 wurde der Vertrag über eine Verfassung für Europa in Rom feierlich unterzeichnet. Die Texte sind lang, doch der Geist ist schnell erfasst: Europa wagt mehr Demokratie. Gleich zu Beginn, in der Präambel, klingt das Leitmotiv an: Das nunmehr geeinte Europa will Demokratie und Transparenz als Grundlage seines öffentlichen Lebens stärken. Ausgangspunkt für die Reise in die gemeinsame Zukunft ist der Bürgerwille, erst danach kommen die Mitgliedstaaten. Geleitet von dem Willen der Bürgerinnen und Bürger und der Staaten Europas, ihre Zukunft gemeinsam zu gestalten, begründet diese Verfassung die Europäische Union. Dieser Aufbruch im Zeichen der Demokratie führt auf direktem Wege zur Stärkung des Europäischen Parlaments und seiner direkt gewählten Abgeordneten. In der neuen europäischen Verfassung werden die Kompetenzen des Europäischen Parlaments konsequent ausgebaut, klar umrissen und in einer verständlichen Sprache serviert. Die Kernbestimmung (Artikel 20, Absatz 1) lautet: Das Europäische Parlament wird gemeinsam mit dem Ministerrat als Gesetzgeber tätig und übt gemeinsam mit ihm die Haushaltsbefugnisse aus. Es erfüllt Aufgaben der politischen Kontrolle und Beratungsfunktionen nach Maßgabe der Verfassung. Es wählt den Präsidenten der Kommission. Größere Befugnisse für das Europäische Parlament sind ein zentrales Merkmal des Verfassungsvertrags. Mit der Aufwertung der Volksvertretung erfüllte der Konvent den Auftrag, die Europäische Union auf eine festere demokratische Grundlage zu stellen. In einer großen Gemeinschaft mit über 450 Millionen Unionsbürgern lässt sich das demokratische Leben nicht mit einer Vielzahl von Volksentscheiden, sondern nur mit einer gewählten Volksvertretung organisieren. Deshalb heißt es im Kapitel über „das demokratische Leben der Union” ausdrücklich: Die Arbeitsweise der Union beruht auf dem Grundsatz der repräsentativen Demokratie. Dieses Prinzip findet seinen Ausdruck in einem Zweikammer-System: Das Europäische Parlament als Bürgerkammer, der Ministerrat als Staatenkammer. Auch das wird in der Verfassung einfach und präzise beschrieben: Die Bürgerinnen und Bürger sind auf Unionsebene unmittel-

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bar im Europäischen Parlament vertreten. Die Mitgliedstaaten werden im Europäischen Rat und im Ministerrat von ihren jeweiligen Regierungen vertreten, die ihrerseits den von den Bürgerinnen und Bürgern gewählten nationalen Parlamenten Rechenschaft ablegen müssen. Dreh- und Angelpunkt der demokratischen Innenausstattung für die erweiterte Europäische Union sind die Gesetzgebungskompetenzen des Europäischen Parlaments. Wie kommen europäische Gesetze zustande? Für die Bürger war das in der Vergangenheit häufig ein Buch mit sieben Siegeln. In der neuen Verfassung ist es – Ausnahmen bestätigen die Regel – mit erfreulicher Klarheit geregelt (Artikel 34): Europäische Gesetze und Rahmengesetze werden … auf Vorschlag der Kommission vom Europäischen Parlament und vom Rat gemeinsam erlassen. Gelangen die beiden Organe nicht zu einer Einigung, so kommt der betreffende Gesetzgebungsakt nicht zustande. Jedoch sind auch Vorkehrungen getroffen, ein Scheitern zu verhindern und Kompromisse zu ermöglichen. Bei abweichenden Standpunkten zwischen Parlament und Rat wird ein Vermittlungsausschuss eingeschaltet, der auf eine Lösung hinwirkt (Artikel 396). Hier kommt zum Ausdruck, dass sich Parlamentarier und Ratsvertreter bei der Gestaltung europäischer Politik auf gleicher Augenhöhe begegnen. Diese Mitentscheidung des Europäischen Parlaments bei der Gesetzgebung ist nicht neu, aber erst jetzt kommt dieses Prinzip auf breiter Basis zum Tragen und wird zum Regelfall. Ein Blick auf folgende Zahlen zeigt, wie das Parlament Schritt für Schritt vorrücken konnte: Weil das demokratische Defizit Regierungschefs wie Bürgern seinerzeit zunehmend Kopfschmerzen bereitete, erhielt das Europäische Parlament 1992 im Maastrichter Vertrag erstmals Mitentscheidungsrechte in 15 ausgewählten Feldern der Gesetzgebung. Diese Zahl wurde in Amsterdam 1997 auf 38 aufgestockt, in Nizza gab es 2001 einen Nachschlag auf 43. In der europäischen Verfassung wird es für 82 Regelungsbereiche gelten, Haushaltsgesetze inbegriffen.

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Diese 82 Kompetenz-Felder, in denen das Europäische Parlament und der Rat gemeinsam als europäische Gesetzgeber wirken, bilden den Schwerpunkt der hier aufgestellten 100-Punkte-Liste. Die übrigen Punkte betreffen hauptsächlich Fälle, in denen das Handeln der EU-Organe an parlamentarische Zustimmung gebunden ist. Das betrifft das Handeln nach innen (Gesetze) und das Auftreten der EU nach außen (z.B. internationale Verträge). Entscheidend für die Stellung des Parlaments im Machtgefüge der Union ist die parlamentarische Legitimation und Kontrolle der Kommission. Alles in allem 100 Punkte, bei denen das Europäische Parlament (mit) das Sagen hat. Hier die parlamentarische Kompetenz-Liste im Überblick.

▼ PARLAMENTARISCHE KOMPETENZEN: DIE 100-PUNKTE-LISTE

Demokratisches Leben Die europäische Verfassung strebt den offenen Dialog mit Bürgern, Verbänden und der Zivilgesellschaft an. Es geht um eine lebendige, partizipative Demokratie in der EU. Besonders das neu eingeführte europäische Bürgerbegehren verdient Beachtung. Dieses Initiativrecht stärkt den politischen Einfluss der Bürgerinnen und Bürger auf die Gestaltung Europas – falls sie in großer Zahl grenzüberschreitend einen gemeinsamen Vorstoß übernehmen. Das könnte in der Praxis auf lange Sicht zur Herausbildung eines europäischen Volkes führen – und damit zu einer neuen Qualität der Demokratie in der EU. 1) „Bürgerinitiative“ – eine Art Volksbegehren auf europäischer Ebene. Mindestens eine Million Unterschriften aus mehreren Mitgliedstaaten sind erforderlich. Alles weitere regelt ein Europäisches Gesetz. Parlament und Rat entscheiden darüber gemeinsam (Artikel 47).

4) Diskriminierungsverbot – Diskriminierungen auf Grund von Staatsangehörigkeit sind untersagt (Artikel 123). Übrigens: ebenfalls verboten sind Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung. Achtung: Bei Letztgenannten beschließt der Rat einstimmig nach Zustimmung des Europäischen Parlaments. 5) Fördermaßnahmen zur Bekämpfung von Diskriminierungen (Artikel 124).

Europäischer Binnenmarkt Wirtschaftlicher Kernpunkt der europäischen Integration ist der europäische Binnenmarkt. Er umfasst einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Personen, Dienstleistungen, Waren und Kapital gewährleistet ist. Diese Freiheitsrechte gehen jedoch weit über die ökonomische Bedeutung hinaus. Ihre Nutzung durch die Bürgerinnen und Bürger bedeutet ein Stück Zusammenwachsen Europas „von unten“ – und ist damit häufig wirksamer als politische Regulierungen „von oben“. Der Binnenmarkt ist im Grundsatz seit 1993 verwirklicht, doch es bleibt noch viel zu tun. Vor allem bei Dienstleistungen und im Verkehrssektor sind die nationalen Märkte noch nicht so stark geöffnet wie im Interesse der Verbraucher gewünscht. Das Europäische Parlament ist – zusammen mit dem Rat – Gesetzgeber auf diesem zentralen Feld der Europapolitik. 6) Freier Personenverkehr und Aufenthaltsrecht der Unionsbürger in allen 25 Ländern der EU (Artikel 125). 7) Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Artikel 134). 8) Freizügigkeit und soziale Sicherheit (Artikel 136).

2) Transparenz – Zugang der Bürger zu Dokumenten (Artikel 50). Übrigens: Die Sitzungen des Europäischen Parlaments sind öffentlich (auch die des Rats als Gesetzgeber). 3) Datenschutz – auf EU-Ebene wichtig für Grundrechte. Die EU erlässt Vorschriften zum Schutz personenbezogener Daten (Artikel 51).

9) Niederlassungsfreiheit als Regel (Artikel 138) sowie Ausnahmen bei hoheitlicher Tätigkeit (Artikel 139). 10) Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit und öffentliche Ordnung, Sicherheit und Gesundheit (Artikel 140). 11) Europaweite Berufsfreiheit für selbständige Tätigkeiten, gegenseitige Anerkennung von Diplomen etc. (Artikel 141). Medienservice Sonderausgabe Europa wagt mehr Demokratie

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12) Freier Dienstleistungsverkehr innerhalb der EU, insbesondere gewerbliche, kaufmännische, handwerkliche und freiberufliche Tätigkeiten (Artikel 144 und 147). 13) Festigung der Zollunion, die sich auf den gesamten Warenaustausch erstreckt, Zusammenarbeit im Zollwesen (Artikel 152). 14) Kapitalverkehr mit Drittländern (Artikel 157).

21) Vorschriften zur multinationalen Überwachung der Wirtschaftspolitik (Artikel 179). 22) Die Europäische Zentralbank ist mit großer Unabhängigkeit ausgestattet und garantiert einen stabilen Euro. Die Satzung kann durch Europäisches Gesetz geändert werden (Artikel 187). 23) Maßnahmen zur Verwendung des Euro als einheitliche Währung (Artikel 191).

15) Kontrolle von Kapitalbewegungen und Zahlungen, z.B. Einfrierung von Geldern zur Terrorismusbekämpfung (Artikel 160). Beschäftigung und Sozialpolitik 16) Harmonisierung von Rechtsvorschriften im Binnenmarkt (Artikel 172). 17) Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen (Artikel 174). 18) Europäischer Schutz der Rechte des geistigen Eigentums (Artikel 176). 19) Grundsätze für Wettbewerb und Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse (Artikel 122). 20) Energiepolitik – Funktionieren des Energiemarkts, Versorgungssicherheit, Einsparungen, erneuerbare Energiequellen (Artikel 256).

Die Union und ihre Mitgliedstaaten verfolgen gemeinsame Ziele: Förderung der Beschäftigung, Verbesserung der Lebensund Arbeitsbedingungen, angemessener sozialer Schutz, sozialer Dialog, hohes Beschäftigungsniveau und Bekämpfung von Ausgrenzungen. Das Europäische Parlament spielt hierbei eine aktive Rolle, jedoch setzen die geringen EU-Kompetenzen bei der Beschäftigungspolitik auch dem parlamentarischen Einfluss Grenzen. Die Verfassung, zu der die Charta der Grundrechte gehört, enthält eine Reihe sozialer Grundrechte, zum Beispiel auf gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen, Schutz bei ungerechtfertigter Entlassung und das Streikrecht. Diese Rechte werden dann vor Gericht einklagbar – und die Entwicklung hin zu einer sozialen Rechtsgemeinschaft in Europa fördern. 24) Förderung der europäischen Zusammenarbeit bei Beschäftigungsinitiativen (Artikel 207).

Wirtschafts- und Währungspolitik Der europäische Binnenmarkt erfordert eine enge Koordinierung der Wirtschaftspolitik mit gemeinsamen Zielen. Wirtschaftliches Leitbild ist die soziale Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb. Hinzu kommt die Währungsunion, die stabile Preise, gesunde öffentliche Finanzen und eine dauerhaft ausgeglichene Zahlungsbilanz anstrebt. Die europäische Wirtschaftsund Währungsunion bedeutet eine neue Stufe der Integration. Euroland umfasst gegenwärtig 12 EU-Staaten, weitere Beitritte sind zu erwarten. Sie startete 1999 mit der Übergabe der geldpolitischen Verantwortung an die Europäische Zentralbank, 2002 wurde der Euro als Bargeld eingeführt. Die Europäische Zentralbank ist nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank mit großer Unabhängigkeit ausgestattet, führt jedoch einen monetären Dialog mit dem Europäischen Parlament.

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25) Förderung der europäischen Zusammenarbeit in der Sozialpolitik, zum Beispiel soziale Sicherheit und sozialer Schutz der Arbeitnehmer, Verbesserung der Arbeitsbedingungen, Gleichbehandlung von Frauen und Männern am Arbeitsplatz (Artikel 210). 26) Festlegung sozialer Mindeststandards in Europa (Artikel 210). 27) Herstellung von Chancengleichheit in Arbeits- und Beschäftigungsfragen, gleiches Entgelt für Frauen und Männer (Artikel 214). 28) Europäischer Sozialfonds zugunsten von Arbeitnehmern im Binnenmarkt – Durchführungsmaßnahmen (Artikel 219).

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Sozialer Zusammenhalt Die Europäische Union betreibt eine Politik zur Stärkung ihres wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts. Sie setzt sich das Ziel, die Unterschiede im Entwicklungsstand der verschiedenen Regionen zu verringern. Diesem anspruchsvollen Ziel in der erweiterten Europäischen Union dienen vier europäische Fördertöpfe: Regional-, Sozial-, Landwirtschafts- und Fischereifonds. Sie werden ergänzt durch den Kohäsionsfonds, der vor allem Umwelt- und Verkehrsvorhaben fördert. Das Europäische Parlament hat hier einen bedeutenden Spielraum, um Schwerpunkte zu setzen für das Zusammenwachsen der größer und vielfältiger gewordenen Europäischen Union.

dungsrecht bei den Agrarausgaben bekommt das Europäische Parlament auch inhaltlich Einfluss auf die Reform der Agrarpolitik. Das Haushaltsrecht ist der neue Hebel für parlamentarische Mitgestaltung. 33) Landwirtschaft und Fischerei – Organisation der Agrarmärkte (Artikel 231). 34) Schutz der Umwelt und der menschlichen Gesundheit, rationelle Verwendung der natürlichen Ressourcen, Bewältigung regionaler und globaler Umweltprobleme (Artikel 234). 35) Umweltpolitische Aktionsprogramme (Artikel 234).

29) Wirtschaftlicher, sozialer und territorialer Zusammenhalt – spezifische Maßnahmen außerhalb der genannten Fonds (Artikel 221).

36) Schutz der Gesundheit, der Sicherheit und der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher (Artikel 235).

30) Organisation und Neuordnung der EU-Strukturfonds (Artikel 223). Verkehr und transeuropäische Netze 31) Kohäsionsfonds für die Bereiche Umwelt und transeuropäische Netze (Artikel 223). 32) Europäischer Fonds für regionale Entwicklung – Durchführungsmaßnahmen (Artikel 224).

Umwelt, Verbraucherschutz und Landwirtschaft In diesen Bereichen erfolgt die Gesetzgebung fast ausschließlich in Brüssel. Zu den wenigen Ausnahmen gehören Ökosteuern, die auch durch die Verfassung nicht europaweit harmonisiert werden. Die Verfassung legt jedoch ein hohes Schutzziel fest: Ein hoher Umweltschutz und die Verbesserung der Umweltqualität müssen in die Politik der Union einbezogen und nach dem Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung sichergestellt werden. Die Europa-Abgeordneten sind wichtige Garanten bei der Erfüllung dieses Verfassungsauftrags. Das Europäische Parlament ist Mitgesetzgeber – und beeinflusst unmittelbar die Lebensqualität der 450 Millionen Bürgerinnen und Bürger in der EU. Während es beim Umwelt- und Verbraucherschutz bereits seit dem Vertrag von Maastricht über eine starke Stellung verfügt, wird dies nun auch in der Agrarpolitik durch die Verfassung nachgeholt. Denn über das neu erkämpfte Mitentschei-

Den Bürgern und Wirtschaftsbeteiligten sollen die Vorteile zugute kommen, die sich aus der Schaffung eines Raumes ohne Grenzen ergeben. Damit in Europa zusammenwächst, was zusammengehört, trägt die EU zum Aufbau transeuropäischer Netze in den Bereichen der Verkehrs-, Telekommunikationsund Energieinfrastruktur bei. Die optimale Organisierung der Waren- und Güterströme im wachsenden europäischen Binnenmarkt ist besonders bedeutsam für Deutschland als großes Transitland im Herzen der Union der 25 Mitgliedstaaten. 37) Europäische Verkehrspolitik – gemeinsame Regeln für den internationalen Verkehr, europaweite Zulassung von Verkehrsunternehmen, Verkehrssicherheit (Artikel 236). 38) Gemeinsame Regeln für Seeschifffahrt und Luftverkehr (Artikel 245). 39) Leitlinien und Maßnahmen zum Aufbau transeuropäischer Netze (Artikel 247).

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Forschung und technologische Entwicklung Wissenschaftlicher und technologischer Fortschritt ist die Triebfeder für eine dynamische Wirtschaft. Es wird ein europäischer Raum der Forschung geschaffen, den das Europäische Parlament maßgeblich mitgestaltet. Insbesondere sollen Forscher ungehindert über die Grenzen hinweg zusammenarbeiten und wissenschaftliche Erkenntnisse frei ausgetauscht werden. Auch wichtig für das Europäische Parlament: Ethische Aspekte des technischen Fortschritts. Die europäische Verfassung enthält erstmals eine EU-Kompetenz für den Griff nach den Sternen. Zur Förderung des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts wird eine europäische Raumfahrtpolitik entwickelt. 40) Mehrjähriges Rahmenprogramm für Forschung – Festlegung der wissenschaftlichen und technologischen Ziele, Maßnahmen und Finanzausstattung (Artikel 251). 41) Maßnahmen zur Verwirklichung des europäischen Raums der Forschung (Artikel 251). 42) Durchführung des Rahmenprogramms für Forschung (Artikel 252).

46) Grenzkontrollen – gemeinsame Überwachung des Grenzübertritts an den Außengrenzen, Abschaffung der Personenkontrollen an den Binnengrenzen (Artikel 265). 47) Europäische Asylregelung (Artikel 266). 48) Gemeinsame Einwanderungspolitik und Integration von Einwanderern (Artikel 267). 49) Zusammenarbeit der Justiz in Zivilsachen (Artikel 269). 50) Zusammenarbeit der Justiz in Strafsachen (Artikel 270). 51) Gegenseitige Anerkennung strafgerichtlicher Urteile (Artikel 270). 52) Definition von Straftaten und Strafen bei schwerer Kriminalität, z.B. Terrorismus, Menschenhandel, Drogenhandel, organisierte Kriminalität (Artikel 271). 53) Angleichung bestimmter strafrechtlicher Vorschriften (Artikel 271). 54) Maßnahmen zur Verhütung von Verbrechen (Artikel 272).

43) Zusatzprogramme für bestimmte Mitgliedstaaten (Artikel 252). 44) Grenzüberschreitende Forschungs- und Entwicklungsprogramme – Beteiligung der Union an Zusatzprogrammen (Artikel 252).

55) Eurojust – Ermittlung und Verfolgung schwerer Kriminalität, gesetzliche Festlegung von Aufbau und Aufgaben sowie Bewertung der Tätigkeit (Artikel 273).

45) Europäisches Raumfahrtprogramm (Artikel 254).

56) Polizeiliche Zusammenarbeit – Datenaustausch, Austausch von Personal, gemeinsame Ermittlungstechniken (Artikel 275).

Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts

57) Europol – Unterstützung der Tätigkeit der Polizeibehörden, gesetzliche Festlegung von Aufbau und Aufgaben sowie parlamentarische Kontrolle (Artikel 276).

Die Europäische Union bildet einen Raum der Sicherheit, der Freiheit und des Rechts. Sie entwickelt eine gemeinsame Politik in den Bereichen Asyl, Einwanderung und Kontrollen an den Außengrenzen. Zur Verhütung und Bekämpfung von Kriminalität sowie von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit arbeiten Polizei und Justiz grenzüberschreitend zusammen. Die europäische Innen- und Justizpolitik war in der Vergangenheit weitgehend eine parlamentsfreie Zone. Die Einführung der Mitentscheidung des Europäischen Parlaments in diesem Bereich ist ein Fortschritt für die Demokratie in der EU.

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Unterstützungs- und Koordinierungsmaßnahmen In ausgewählten Gebieten europäischer Politik verbleibt die Verantwortung in der Hand der Mitgliedstaaten. Nach dem Subsidiaritätsprinzip unterstützt, koordiniert und ergänzt die EU jedoch die nationale Politik. Das eröffnet dem Europäischen Parlament zahlreiche Möglichkeiten, eigene Akzente zu setzen. Dies geschieht in folgenden Bereichen:

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58) Schutz der menschlichen Gesundheit – Fördermaßnahmen (Artikel 278). 59) Industrie – unterstützende Maßnahmen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen (Artikel 279). 60) Kultur – Fördermaßnahmen zur Entfaltung der Kulturen der europäischen Völker, Schutz des kulturellen Erbes, Kulturaustausch, etc. (Artikel 280). 61) Tourismus – Maßnahmen zur Förderung des Fremdenverkehrs (Artikel 281). 62) Fördermaßnahmen zur Entwicklung der europäischen Dimension im Bildungswesen und im Sport (Artikel 282). 63) Berufliche Bildung – ergänzende Maßnahmen zur beruflichen Bildung, Umschulung, Mobilität, etc. (Artikel 283).

67) Entwicklungszusammenarbeit – Bekämpfung der Armut, Mehrjahresprogramme für die Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern (Artikel 317). 68) Wirtschaftliche, finanzielle und technische Zusammenarbeit mit Industrieländern (Artikel 319). 69) Humanitäre Hilfe – Gesetzlicher Rahmen für Hilfsmaßnahmen (Artikel 321). 70) Europäisches Freiwilligenkorps für humanitäre Hilfe mit europäischen Jugendlichen (Artikel 321).

Arbeitsweise der Union

64) Katastrophenschutz – europäische Zusammenarbeit (Artikel 284).

Alle wesentlichen Grundzüge der Arbeit und Aufgaben der EU-Institutionen sind in der Verfassung festgeschrieben. Einzelfragen und besondere Aspekte der Arbeitsweise werden jedoch gesetzlich geregelt. Hier entscheidet das Europäische Parlament mit.

65) Verwaltungszusammenarbeit – Durchführung des Europarechts (Artikel 285).

71) Regelungen für politische Parteien auf europäischer Ebene (Artikel 331). 72) Gerichtshof der Europäischen Union – Einrichtung von beigeordneten Fachgerichten (Artikel 359).

Handelspolitik und Entwicklungshilfe Die Europäische Union wird auf Grundlage der neuen Verfassung eine aktivere Rolle in der Welt spielen. Sie fördert im globalen Maßstab ihre Werte und Interessen. Sie leistet unter anderem Beiträge zu freiem und gerechtem Handel, zur Beseitigung der Armut und zum Schutz der Menschenrechte. Die europäischen Interessen lassen sich mit einer Zahl verdeutlichen: Die 25 Mitgliedstaaten der Europäischen Union beheimaten nur 7 Prozent der Weltbevölkerung, aber sie stehen für mehr als ein Fünftel der globalen Importe und Exporte. Das Europäische Parlament hat sich insbesondere zu einem Anwalt für die weltweite Beachtung der Menschenrechte entwickelt. Bei der Durchführung der gemeinsamen Handelspolitik teilt das Europäische Parlament mit dem Rat die Rolle als Gesetzgeber. 66) Gemeinsame Handelspolitik der EU – Abschluss von Zoll- und Handelsabkommen, Ausfuhrpolitik, Zollunion (Artikel 315).

73) Übertragung der Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs für das geistige Eigentum (Artikel 364). 74) Änderung der Satzung des Europäischen Gerichtshofs (Artikel 381). 75) Europäische Verwaltung – Aufgaben und Organisation (Artikel 398). 76) Statut der Beamten und Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten (Artikel 427). 77) Grundsätze für die Erstellung von Statistiken (Artikel 429). 78) Übertragung der Befugnis zum Erlass von delegierten Europäischen Verordnungen an die Kommission (Artikel 36).

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79) Kontrolle der Kommission bei der Durchführung von EU-Recht (Artikel 37).

Ausführung des Haushaltsplans (Artikel 409). Parlamentsbeschluss, kein Gesetzgebungsverfahren.

Parlamentarisches Haushaltsrecht

Parlamentarische Zustimmung

Das Europäische Parlament übt gemeinsam mit dem Rat die Haushaltsbefugnisse aus. Die Europäische Verfassung schreibt weit reichende parlamentarische Kompetenzen fest. Die geordnete Entwicklung der Ausgaben wird in einem mehrjährigen Finanzrahmen sichergestellt. Hierzu benötigt der Rat die Zustimmung des Europäischen Parlaments. Die Aufstellung des jährlichen Haushaltsplans erfolgt durch Europäisches Gesetz – hier greift die volle Mitentscheidung des Parlaments. Bei unterschiedlichen Standpunkten zwischen Parlament und Rat wird ein Vermittlungsausschuss eingeschaltet (Artikel 404). Ohne das Okay der Volksvertreter gibt es keinen EU-Haushalt. Aus Sicht des Parlaments bringt die Verfassung einen entscheidenden Fortschritt: Es entscheidet nun auch über die Agrarausgaben mit, die den größten Etatposten ausmachen. Das alleinige Entscheidungsrecht des Ministerrats über das Landwirtschaftsbudget gehört damit der Vergangenheit an. Die Praxis der parlamentarischen Haushaltskontrolle wird in der Verfassung festgeschrieben. Sie erfolgt nicht per Gesetz, sondern ist ein wichtiger Anwendungsfall demokratischer Kontrolle und Ausübung der Haushaltsbefugnisse.

Die Kompetenzen des Europäischen Parlaments gehen über den Regelfall, in dem Rat und Parlament gemeinsam als Gesetzgeber agieren, hinaus. In Ausnahmefällen erlässt der Rat Gesetze, braucht aber die parlamentarische Zustimmung. Auch bei diesem Verfahren kommt ein europäisches Gesetz nur mit einem „doppelten Ja“ zustande, nämlich mit einem Beschluss des Rates (meist einstimmig) und der zustimmenden Mehrheitsentscheidung des Europäischen Parlaments. Um es noch klarer zu sagen: Ohne das Okay der Volksvertreter scheitern europäische Regelungen in diesen Bereichen. Neu in der Verfassung: Parlamentskompetenz bei der Gründung einer europäischen Staatsanwaltschaft. Die Liste wird mit diesen parlamentarischen Zustimmungsgesetzen fortgesetzt:

80) Alle Einnahmen und Ausgaben der Europäischen Union werden in den Haushaltsplan der EU eingesetzt. Die Ausgaben werden für ein Haushaltsjahr durch Europäisches Gesetz bewilligt (Artikel 53). Hierzu gibt es ein eigenes Verfahren, in dem die Kompetenz des Europäischen Parlaments als Haushaltsbehörde geregelt ist (Artikel 404 und 412). 81) Die Haushaltsordnung wird durch Europäisches Gesetz aufgestellt, Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans, Rechnungslegung, Rechungsprüfung, Kontrolle (Artikel 412). 82) Verhütung und Bekämpfung von Betrügereien, die sich gegen die finanziellen Interessen der Union richten (Artikel 415). 83) Haushaltskontrolle – Europäisches Parlament prüft EUAusgaben und erteilt der Kommission Entlastung zur

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84) Mittelfristige Finanzplanung – mehrjähriger Finanzrahmen mit jährlichen Obergrenzen für Ausgaben; Rat beschließt einstimmig, Zustimmung des Europäischen Parlaments mit Mehrheit der Mitglieder (Artikel 55). 85) Einnahmen der Europäischen Union – nur parlamentarische Anhörung über das System der EU-Einnahmen, aber Zustimmungspflicht bei Durchführungsmaßnahmen (Artikel 54). 86) Gleichbehandlung und Unionsbürgerschaft – Bekämpfung von Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung (Artikel 124) sowie Ergänzungen der aus der Unionsbürgerschaft abgeleiteten Rechte (Artikel 129). 87) Besondere Bestimmungen über Struktur- und Kohäsionsfonds (Artikel 223). 88) Europäische Staatsanwaltschaft – Bekämpfung von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europäischen Union sowie Ausdehnung der Befugnisse auf die Bekämpfung von schwerer Kriminalität mit grenzüberschreitender Dimension (Artikel 274).

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89) Europawahl – einheitliches Verfahren in allen Mitgliedstaaten (Artikel 330).

Zugehörigkeit zur EU

90) Regelungen und Bedingungen für die Wahrnehmung der Aufgaben der Mitglieder des Europäischen Parlaments (Statut, Diäten, etc.). Ausnahme: Über Steuerregelungen für die Mitglieder beschließt der Rat einstimmig (Artikel 330).

Die Erweiterung der Europäischen Union ist noch nicht abgeschlossen. Im Prinzip steht die EU allen europäischen Staaten offen, die ihre Werte achten sowie die politischen und wirtschaftlichen Bedingungen erfüllen. Ohne Zustimmung des Europäischen Parlaments wird kein neues Mitglied aufgenommen – Vetorecht der Volksvertreter. Auch der umgekehrte Fall, das Wegdriften eines Mitgliedstaats vom gemeinsamen Boden der EU-Verfassung wird in der Verfassung vorausgedacht. Freiwilliger Austritt ist möglich. Einzelne Staaten können aber auch auf dem Weg der europäischen Integration voran gehen und untereinander noch enger zusammen arbeiten als die EU-Verfassung vorsieht.

91) Parlamentarische Untersuchungsausschüsse zur Aufklärung von Missständen oder Verstößen gegen das Europarecht (Artikel 333).

94) Beitritt zur EU – Rat beschließt einstimmig, Zustimmung des Europäischen Parlaments mit Mehrheit der Mitglieder, Ratifizierung in den Mitgliedstaaten (Artikel 58).

92) Regelungen und allgemeine Bedingungen für die Arbeit des Europäischen Bürgerbeauftragten (Artikel 335).

95) Schwerwiegende Verletzung der Werte der Europäischen Union durch einen Mitgliedstaat, Aussetzung bestimmter mit der Zugehörigkeit zur Union verbundener Rechte, Ratsbeschluss nur mit qualifizierter Zustimmung des Europäischen Parlaments (Artikel 59).

Regelungskompetenz des Europäischen Parlaments In drei Fällen ist das Europäische Parlament der Gesetzgeber, jedoch ist die Zustimmung des Rates erforderlich.

Internationale Übereinkünfte Die Union entwickelt besondere Beziehungen zu ihren Nachbarn, um einen Raum des Wohlstands und der guten Nachbarschaft zu schaffen. Dazu kann die Europäische Union spezielle Übereinkünfte schließen. Das ist nach der Osterweiterung der EU bei einer Reihe von Staaten zu erwarten. In der Praxis sind besonders relevant Europa-Abkommen als Vorstufe zur Vollmitgliedschaft oder Assoziierungen mit dem Ziel des freien Welthandels und der Entwicklungshilfe. Auch das Europäische Parlament gestaltet Europas Rolle in der Welt mit, denn internationale Verträge können nur mit seiner Zustimmung abgeschlossen werden. 93) Zustimmung des Europäischen Parlaments erforderlich bei Assoziierungsabkommen, Beitritt der EU zur Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte, Übereinkünfte mit erheblichen finanziellen Folgen für die Union, etc. (Artikel 325).

96) Das Abkommen zum freiwilligen Austritt aus der Europäischen Union erfordert auf EU-Seite einen Ratsbeschluss und die Zustimmung des Europäischen Parlaments (Artikel 60). 97) Verstärkte Zusammenarbeit zwischen einzelnen EU-Mitgliedern in Teilbereichen der Verfassung, Ratsbeschluss mit Zustimmung des Europäischen Parlaments (Artikel 419).

Der Europäische Bürgerbeauftragte Das Europäische Parlament übt demokratische Kontrolle in vielfältiger Form aus. Eine Besonderheit ist die Wahl des Europäischen Bürgerbeauftragten. Dieser nimmt Beschwerden über Missstände bei der Tätigkeit der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union entgegen. Er führt sein Amt unabhängig aus und erstattet dem Europäischen Parlament jährlich Bericht.

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98) Wahl des Europäischen Bürgerbeauftragten (Artikel 49 und 335).

Demokratische Legitimation der Kommission Die Europäische Kommission fördert die europäischen Interessen, sie ist Motor der europäischen Einigung. Sie bildet die exekutive Spitze der EU, führt den Haushaltsplan aus und verwaltet die Programme. Die Kommission übt ihre Tätigkeit unabhängig aus, ist aber dem Europäischen Parlament verantwortlich. Die Parlamentarier wählen in einem dreistufigen Verfahren erst den Kommissionspräsidenten, dann folgt die Anhörung der designierten Kommissare (parlamentarische Praxis), und schließlich stellt sich das Kollegium dem Votum des Europäischen Parlaments. Die parlamentarische Kompetenz ist wie eine Zange mit zwei Backen: Vertrauensvotum bei Amtsantritt, Misstrauensvotum vor Rücktritt. 99) Europäisches Parlament wählt den Präsidenten der Europäischen Kommission – Präsident, Außenminister und die Kommissare brauchen als Kollegium die Zustimmung des Europäischen Parlaments (Artikel 27). 100) Misstrauensantrag gegen die Kommission – schärfstes Instrument parlamentarischer Kontrolle, qualifizierte Mehrheit im Europäischen Parlament erforderlich, Mitglieder der Kommission legen geschlossen ihr Amt nieder (Artikel 340).

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▼ FAZIT: EUROPÄISCHE VERFASSUNG STÄRKT DEMOKRATIE

Diese Liste belegt Punkt für Punkt, dass auf der Grundlage der Europäischen Verfassung von einem Demokratiedefizit in der Europäischen Union nicht mehr die Rede sein kann. Das Europäische Parlament ist in aller Regel gleichgewichtiger und gleichberechtigter Partner des Rates bei der Gesetzgebung. Die Parlamentarier beschließen demnach Gesetze mit, die in allen Mitgliedstaaten der EU gültig sind und das tägliche Leben von 450 Millionen Bürgern betreffen. Die Ausnahmen, in denen die Volksvertreter nur angehört oder konsultiert werden, bedeuten keine Zurücksetzung des Demokratieprinzips. Sie entsprechen dem Stand der europäischen Integration auf dem jeweiligen Politikfeld. Das gilt insbesondere dort, wo nationale Souveränitätsrechte stärker sind als gemeinschaftliche Politik in Brüssel, also die Mitgliedstaaten das Heft nicht aus der Hand geben wollen. Als Beispiele seien die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sowie die hoch sensible Frage der Steuergesetzgebung genannt. Auf die europäische Verfassung trifft eine Erkenntnis des antiken Geschichtsschreibers Thukydides zu: „Die Verfassung, die wir haben, heißt Demokratie, weil der Staat nicht auf wenige Bürger, sondern auf die Mehrheit ausgerichtet ist.“

Klaus Löffler, Leiter des deutschen Informationsbüro des Europäischen Parlaments

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So kommt ein Europäisches Gesetz zustande

Europäische Gesetze und Rahmengesetze werden auf Vorschlag der Kommission vom Europäischen Parlament und vom Rat gemeinsam erlassen. Im Regelfall läuft das Gesetzgebungsverfahren nach der Verfassung in folgenden Schritten ab: 1. Schritt: Initiative. Die Kommission unterbreitet dem Europäischen Parlament und dem Rat einen Vorschlag. 2. Schritt: Erste Lesung. Das Europäische Parlament legt seinen Standpunkt in Erster Lesung fest und übermittelt ihn dem Rat. Billigt der Rat den Standpunkt des Europäischen Parlaments, so ist der betreffende Rechtsakt in der Fassung des Standpunkts des Europäischen Parlaments erlassen. Billigt der Rat den Standpunkt des Europäischen Parlaments nicht, so legt er seinen Standpunkt in erster Lesung fest und übermittelt ihn dem Europäischen Parlament. Der Rat unterrichtet das Europäische Parlament in allen Einzelheiten über die Gründe, aus denen er seinen Standpunkt in erster Lesung festgelegt hat. Die Kommission unterrichtet das Europäische Parlament in allen Einzelheiten über ihren Standpunkt. 3. Schritt: Zweite Lesung. Hat das Europäische Parlament binnen drei Monaten nach der Übermittlung • den Standpunkt des Rates in erster Lesung gebilligt oder sich nicht geäußert, so gilt der betreffende Rechtsakt als in der Fassung des Standpunkts des Rates erlassen; • den Standpunkt des Rates in erster Lesung mit der Mehrheit seiner Mitglieder abgelehnt, so gilt der vorgeschlagene Rechtsakt als nicht erlassen; • mit der Mehrheit seiner Mitglieder Abänderungen an dem Standpunkt des Rates in erster Lesung vorgeschlagen, so wird die abgeänderte Fassung dem Rat und der Kommission zugeleitet; die Kommission gibt eine Stellungnahme zu diesen Abänderungen ab.

Hat der Rat binnen drei Monaten nach Eingang der Abänderungen des Europäischen Parlaments mit qualifizierter Mehrheit a) alle diese Abänderungen gebilligt, so gilt der betreffende Rechtsakt als erlassen; b) nicht alle Abänderungen gebilligt, so beruft der Präsident des Rates im Einvernehmen mit dem Präsidenten des Europäischen Parlaments binnen sechs Wochen den Vermittlungsausschuss ein. Über Abänderungen, zu denen die Kommission eine ablehnende Stellungnahme abgegeben hat, beschließt der Rat einstimmig. 4. Schritt: Vermittlung. Der Vermittlungsausschuss, der aus den Mitgliedern des Rates oder deren Vertretern und ebenso vielen das Europäische Parlament vertretenden Mitgliedern besteht, hat die Aufgabe, mit der qualifizierten Mehrheit der Mitglieder des Rates oder deren Vertretern und der Mehrheit der das Europäische Parlament vertretenden Mitglieder binnen sechs Wochen nach seiner Einberufung eine Einigung auf der Grundlage der Standpunkte des Europäischen Parlaments und des Rates in zweiter Lesung zu erzielen. Die Kommission nimmt an den Arbeiten des Vermittlungsausschusses teil und ergreift alle erforderlichen Initiativen, um auf eine Annäherung der Standpunkte des Europäischen Parlaments und des Rates hinzuwirken. Billigt der Vermittlungsausschuss binnen sechs Wochen nach seiner Einberufung keinen gemeinsamen Entwurf, so gilt der vorgeschlagene Rechtsakt als nicht erlassen. 5. Schritt: Dritte Lesung. Billigt der Vermittlungsausschuss innerhalb dieser Frist einen gemeinsamen Entwurf, so verfügen das Europäische Parlament und der Rat ab dieser Billigung über eine Frist von sechs Wochen, um den betreffenden Rechtsakt entsprechend diesem Entwurf zu erlassen, wobei im Europäischen Parlament die Mehrheit der abgegebenen Stimmen und im Rat die qualifizierte Mehrheit erforderlich ist. Andernfalls gilt der vorgeschlagene Rechtsakt als nicht erlassen.

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Sonderausgabe | Nachdruck kostenlos Belegexemplar erbeten | Redaktionsschluss 13.12.2004 Herausgeber: Europäisches Parlament Redaktion: Anja Fuchs-König, Jens Pottharst Internet: www.europarl.de

Die in diesem Artikel genannten Fristen von drei Monaten beziehungsweise sechs Wochen werden auf Initiative des Europäischen Parlaments oder des Rates um höchstens einen Monat beziehungsweise zwei Wochen verlängert. 6. Schritt: Unterzeichnung. Das verabschiedete Gesetz wird vom Präsidenten des Europäischen Parlaments und vom Präsidenten des Rates unterzeichnet. 7. Schritt: Veröffentlichung. Es wird im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht und tritt zu einem festgelegten Zeitpunkt oder andernfalls am 20. Tag nach Veröffentlichung in Kraft.

8. Schritt: Geltung. Das Europäische Gesetz ist ein Gesetzgebungsakt mit allgemeiner Geltung. Es ist in allen seinen Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Das Europäische Rahmengesetz ist ein Gesetzgebungsakt, der für jeden Mitgliedstaat, an den es gerichtet ist, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich ist, jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel überlässt.

Klaus Löffler, Leiter des deutschen Informationsbüro des Europäischen Parlaments

Informationsbüro für Deutschland Unter den Linden 78 | D-10117 Berlin Telefon 030/22 8010 00 | Fax 030/22 801111

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