Magische und magiforme Zeichenkonstitution Beispiele aus dem brasilianischen Spiritismus 1

Magische und magiforme Zeichenkonstitution Beispiele aus dem brasilianischen Spiritismus1 Horst H. Figge 1. Das Wort Magie als Abwertungsetikett Das W...
Author: Frank Klein
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Magische und magiforme Zeichenkonstitution Beispiele aus dem brasilianischen Spiritismus1 Horst H. Figge 1. Das Wort Magie als Abwertungsetikett Das Wort Magie ist eins der Wörter, bei denen die Übereinstimmung in bezug auf die Ablehnung des Gemeinten größer ist als die Übereinstimmung in bezug auf das Gemeinte selbst. Das heißt, das Wort fungiert weitgehend als abwertendes Etikett. Wenn ein Erwachsener 'Verdammter Motor' sagt, ist das scherzhaft gemeint, wenn ein Kind 'Böser Tisch' sagt, ist das magisches Denken. - Wenn ein Europäer am Grab einen Kranz niederlegt, ist das Pietät, wenn ein Afrikaner einen Teller Essen ans Grab stellt, ist das Magie. - Wenn ein Priester die Wandlung der Hostie vorbereitet, ist das ein heiliger Akt, wenn ein sogenannter Schamane einen Geist in einen Stein ruft, ist das Magie. - Wenn ein Mediziner Bestrahlungen mit Infrarotlicht vornimmt, ist das Therapie, wenn ein sogenannter Medizinmann einen Kranken anbläst, ist das Magie. Betrachtet man die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Magie-Begriff unter dem Gesichtswinkel seiner Funktion als Diffamierungsinstrument und damit als Mittel der Stärkung des eigenen Selbstwertgefühls, so wird verständlich, weshalb bestimmte wissenschaftliche Veröffentlichungen auch von einer breiteren Leserschaft so überaus dankbar rezipiert worden sind und noch werden. Eindeutig ist besonders die dabei verwendete Sprache mit Ausdrücken wie: primitiv, akausal, alogisch, prälogisch, irrational, abweichend, Wilde, Eingeborene, Naturmenschen, Urmenschen usw. In semiotischen Veröffentlichungen jüngsten Datums finde ich im Zusammenhang mit Magie Bezeichnungen wie Aberglaube, Anomalie, Fehleinschätzung, Mißbrauch, Irrtum. Es stellt sich deshalb die Frage, ob wertneutrale Aussagen unter Verwendung des Magie-Begriffs überhaupt möglich sind, d. h. ob der

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Zuerst veröffentlicht in: Lange-Seidl, Annemarie (Hrsg.): Zeichen und Magie, Stauffenburg Verlag, 1986.

Begriff jenseits gesellschaftlicher Etikettierung eine Existenzberechtigung besitzt. Falls er trotz allem nützlich sein sollte zur Charakterisierung einer bestimmten Form des Umgangs mit Realität, so muß die Untersuchung jedenfalls den Untersucher selbst und sein soziales und geistiges Umfeld einbeziehen, um der Gefahr der Selbstgerechtigkeit und Ethnozentrizität zu entgehen. Und dementsprechend werden dann Aussagen über Magie so formuliert sein müssen, daß sie auch von den Menschen, auf die sie sich in erster Linie beziehen, als zutreffend akzeptiert werden können. 2. Ein Beispiel für magischen Zeichengebrauch in der Umbanda Bei Anhängern der brasilianischen Umbanda-Religion meine ich gute Gesprächspartner zu einem neutralen Zugang zum Thema Magie gefunden zu haben. Sie sagen von sich selbst in einer europäischen Sprache und auf dem Hintergrund europäischer Tradition aus, daß sie ein magisches Weltbild vertreten und magische Handlungen vollziehen. Es handelt sich bei ihnen um normale, gesunde, respektierte Menschen. Sie sind dem europäischen Untersucher in seiner eigenen Denkweise und Emotionalität nahe genug, ihre Aussagen auf persönlichem Hintergrund reflektieren zu können. Die magische Sichtweise der Umbandisten, so wie ich sie verstanden habe, möchte ich an einem metallenen Wohnungstürschild erläutern, das ich an einem Strand in Rio de Janeiro zwischen Opfergaben gefunden habe.

Abb. 1 Vorderseite eines Türschildes, das vom Autor zwischen Opfergaben an einem Strand in Rio de Janeiro gefunden wurde.

Die Vorderseite (Abb. 1) bietet trotz der vielschichtigen Gestaltung wissenschaftlich orientiertem Zugang keine Probleme. Das Türschild ist die Attrappe einer Visitenkarte. Eine Ecke ist so gestaltet, daß sie wie nach vorn umgeknickt aussieht. Das hat mit der brasilianischen Sitte zu tun, bei der Übergabe eine Ecke der Visitenkarte umzuknicken; was gegen Mißbrauch

schützt, weil die Karte so nicht zum zweiten Mal verwendet werden kann. Die umgeknickte Ecke einer Visitenkarte ist also ein Indiz dafür, daß sie gebraucht ist. Mit den normalen Zeichen der brasilianischen Handschrift ist ein Name darauf graviert worden. Als reine Schmuckteile finden sich am Rand ein Zickzackmuster und an Buchstaben kleine Häkchen. Und die beiden Löcher sind schlicht zum Anschrauben notwendige Bestandteile. Große Schwierigkeiten bereitet dagegen die Rückseite (Abb. 2). Sie ist aufwendig gestaltet, obwohl sie, solange das Türschild seine Funktion erfüllte, von niemandem gesehen werden konnte, ja offenbar überhaupt niemals von einem Fremden gesehen werden sollte. Daraus läßt sich ableiten, daß bei der Herstellung Intentionen im Spiel gewesen sind, die auf der Grundlage naturwissenschaftlicher Axiomatik nicht verstanden werden können.

Abb. 2 Rückseite desselben Türschilds.

Historisch gesehen steht die Figur in Zusammenhang mit ähnlichen in europäischen Zauberschriften. Ich weise als Beispiel auf eine Abbildung aus einem 1686 gedruckten Buch (Abb. 3) und auf Sigillen des 16. Jh. hin (Abb. 4). Über die historischen Quellen erschließt sich aber nicht die Absicht, mit der das Türschild in der Mitte dieses Jahrhunderts so gestaltet worden ist. Hierzu sind die konkret beobachtbaren Verhaltensweisen und abfragbaren Meinungen der Menschen zu beachten, die im kultischen Alltag der Umbanda ganz ähnliche Figuren verwenden und die sich gegebenenfalls ein solches Türschild selbst anfertigen lassen würden. Es gibt, soweit ich das sehe, zwei mögliche Erklärungen für die Gestaltung. Die wahrscheinlich zutreffende ist, daß an eine Art Fluiden-Akkumulator gedacht worden ist. Das Türschild wäre dann mit einem Amulett vergleichbar. Am einfachsten sind Fluiden vielleicht durch den Unterschied zwischen Leitungswasser und Weihwasser zu erklären. Weihwasser ist aufgeladen mit positiven Fluiden, die auf die Menschen oder Sachen

übergehen, die damit in Berührung kommen. Entsprechend gibt es andere Materialien, Formen, Gegenstände, in denen sich Fluiden besonders gut ansammeln. Und Fluiden lassen sich manipulieren, indem man ihre Träger manipuliert. Auf eine so verstandene magische Gestaltung könnten Einzelheiten der Figuren hinweisen. Ich will den Versuch einer Analyse hier nur andeuten. Es ist anscheinend eine Assoziation der Kreuzigung intendiert: In der Mitte das Kreuz Christi, umgeben von einer Aureole; die Wellenlinie zwischen den Kreisen könnte für die darin enthaltene Energie stehen, die Pfeile und kleinen Wellenlinien für deren Strömen. In der linken Ecke wäre das Kreuz des bösen Schächers, in der rechten das des guten angedeutet.

Abb. 3 Aus Drucken von 1686; nach Peuckert, 1956, S. 344.

Abb. 4 Aus einer Magia naturalis Mitte 16. Jh.: nach Peuckert 1956, S. 142.

Die zentrale Figur steht zugleich für Jesus selbst und damit für Gott. Gott ist der dreieinige Gott, was in den drei miteinander verbundenen Kreuzen aus gedrückt ist. Der Mensch ist nach dem Bild des dreieinigen Gottes geschaffen. Die Kreuze der Schächer stehen zugleich für die Menschen. Der Pfeil, der vom Bösen durch die Aureole dringt, endet in einer Spirale womit gemeint gewesen sein kann, daß die von ihm ausgehenden Kräfte gefangen werden. Die Spirale ist in der Umbanda Symbol der Auswegslosigkeit. Der vom guten Schächer ausgehende Pfeil dagegen weist auf die Leiter, die als Symbol des Aufstiegs, als Himmelsleiter verstehbar

ist. Derartige Assoziationen sind naheliegend, belegen aber selbstverständlich nicht, daß sie dem Auftraggeber oder Hersteller auch bekannt gewesen sind. Nun werden also Amulette, Ketten und anderes in Ritualen der Umbanda gewissermaßen aufgeladen. Zusätzlich zur in den Figuren schon vorliegenden Kraft wären dann über Gebete bei Kerzenlicht, Waschungen mit Weihwasser weitere positive Fluiden hineingebracht worden. Neben der Eingangstüre hätte das Schild Schutzfunktion gehabt, insbesondere auch, weil die christlichen Assoziationen böse Geister abschrecken. Die Figuren auf dem Türschild mögen aber auch die Funktion gehabt haben, von Besuchern ausgehende positive Fluiden aufzufangen, um sie für den namentlich Genannten nutzbar zu machen. Dies würde übrigens im Rahmen der Umbanda der schwarzen Magie zugerechnet. Eine völlig andere Erklärungsmöglichkeit für die Figur auf dem Schild ist die, daß es sich um eine Art Geistersitz gehandelt hat. Geister können durch magische Praktiken wie Gesänge, Gebete, insbesondere durch Opfergaben veranlaßt werden, sich mehr oder weniger lange an einem bestimmten Ort aufzuhalten. Sie befinden sich im Fall der Besessenheit im Kopf eines Mediums, sonst in Statuetten oder anderen Gegenständen oder eben auch in graphischen Figuren. Wenn man sie dann regelmäßig mit den verlangten Opfergaben versorgt, bleiben sie diesem Ort treu und verteidigen ihn und denjenigen, der über diesen Sitz verfügt. Bei der Entwicklung der Figur könnten natürlich trotzdem die vorhin genannten Momente mitgespielt haben. Zusätzlich wäre die Figur aber als eine Art Namenssubstitut eines bestimmten Geists verstanden worden und parallel dazu als ein materieller Aspekt des Geistes selbst. Die Relation zwischen einer bestimmten Figur und dem in ihr anwesenden Geist entspricht nämlich der der Seele zum Körper eines Menschen. Wer Macht über die Figur hat, hat damit auch wenigstens partiell Macht über den Geist, solange der spirituelle Zusammenhang besteht. Im Rahmen einer Kultveranstaltung könnte ein solcher Geist nicht nur in die Figur, sondern auch in den Kopf eines Mediums gerufen worden sein und der Wohnungsinhaber könnte dann mit diesem Geist einen Vertrag geschlossen haben, in dem die beiderseitigen Verpflichtungen festgelegt wurden; etwa "Gibst du mir Licht (d. h. brennende Kerzen), schütze ich dir dafür deine Wohnung". Wie gesagt, läßt aber die Figur selbst meines Erachtens nicht erkennen, wie sie einmal tatsächlich verstanden worden ist. Jedenfalls ist der Mann dann offenbar, kurz bevor ich das Schild fand, gestorben und Erben oder Wohnungsnachfolger machten beim Abschrauben

des Schildes die für sie unheimliche Entdeckung. Sie dürften sich dann an einen Umbanda-Priester gewandt haben, der ihnen wie üblich riet, den Gegenstand im Freien auszusetzen. Obwohl die Figur auf dem Türschild in klassischer Weise ein "magisches Zeichen" zu sein scheint, stellen sich dieser Bezeichnung hier schwerwiegende Definitionsprobleme entgegen. Wenn Zeichen Wahrnehmungsgegebenheiten sind, die unter dem Aspekt der Funktion als Auslöser bestimmter psychischer Inhalte gemacht worden sind, dann ist die graphische Figur bei keiner der beiden genannten Sichtweisen insgesamt oder in ihren Teilen als Zeichen verstanden worden. Zwar sieht der Magier in solchen Gebilden unter anderen Umständen auch Zeichen: hier liegt aber keine Zeichenfunktion vor. Die Figur diente nicht der Kommunika tion, nicht der Kennzeichnung, nicht als Erinnerungsstütze. Entweder sie war Träger von Fluiden oder sie war potentieller Sitz eines Geistes, aber sie hat das nicht bedeutet. Sie ist nicht für etwas anderes gesetzt worden, als sie materiell war. Auf diesem Hintergrund fragt sich selbstverständlich, ob der Begriff 'magisches Zeichen' überhaupt sinnvoll verwendet werden kann. Für den Magier handelt es sich in einem konkreten Fall nicht um ein Zeichen im wissenschaftlichen Sinn des Wortes, und für den Wissenschaftler gibt es überhaupt nichts eigentlich Magisches (zumindest solange er sich am naturwissenschaftlichen Weltbild orientiert). 3. Der Magie-Begriff auf dem Hintergrund des Selbstverständnisses von Magiern Wenn ich im folgenden die Wörter "Magie" und "magisch" verwende, tue ich dies als Psychologe in der Bedeutung, die ich in der brasilianischen Umbanda glaube angetroffen zu haben. Danach ist Magie der Versuch, ein Ziel mit übernatürlichen, d. h. natürlicherweise nicht adäquaten Mitteln zu erreichen. Demzufolge ist jede religiöse Praktik gleichzeitig magisch, wenn durch sie irgendwelche konkreten Ziele angestrebt werden. Zu entsprechendem Ergebnis kommt E.S. Magnus: "Unter Religion verstehen wir die spontan, von Natur aus vorhandene Verbindung des Menschen mit dem nicht-materiellen Teil der Wirklichkeit, welche als Originator, Superior und damit Determinante der materiellen Welt angesehen wird ...". Zu unterscheiden sind "die zwei Haupterscheinungsformen der Religion, nämlich die Divination und die Magie. Beide können entweder ganz spontan, bis zum ekstatischen Zustand gesteigert zum Ausdruck gebracht werden, oder in einer gesetzteren Form

durch die innerhalb der Mythen der Religion gebrauchten Rituale, Symbole, Instrumente, heiligen Plätze, Zeiten usw. erscheinen ... Die Priesterschaft (kann) sie als Divinator bzw. als Magier abwechselnd gebrauchen. Hiervon ausgehend verstehen wir demnach unter Divination den passiven Kommunikationsaspekt der Religion mit der übernatürlichen Welt ... Unter Magie verstehen wir ... den aktiven Aspekt der Religion, eine aktive Kommunikation mit der übernatürlichen Welt." Diese Aussage muß ich aus der Sicht der Umbanda nur insofern berichtigen bzw. ergänzen, als Magie sich nicht in magischer Kommunikation erschöpft. Von magischer Kommunikation kann m. E. nur dann gesprochen werden, wenn sich die magische Handlung an ein geglaubtes personales Gegenüber (eine Gottheit, einen Geist) wendet. Ein großer Teil magischer Handlungen richtet sich aber auf die Manipulation geglaubter apersonaler Sachverhalte (Fluiden, übernatürliche Substanzen oder Strukturen). Der Magier denkt genauso logisch und ist in gleichem Maß an der Realität orientiert wie der Wissenschaftler. Nur wird eben im magischen Weltverständnis das Übernatürliche als integraler Bestandteil der Realität angesehen. Jede natürliche Gegebenheit hat übernatürliche Aspekte. Jede Einwirkung auf natürliche Sachen oder Umstände bringt notwendigerweise eine Einwirkung auf deren übernatürliche Seite mit sich. Im engeren Sinn magisch genanntes Verhalten unterscheidet sich deshalb aus religiös-magischer Sicht von alltäglichem nur dadurch, daß der Magier in ihm eine gezielte, absichtliche Einwirkung auf den übernatürlichen Teil einer natürlichen Gegebenheit vorzunehmen glaubt. In magischen Praktiken wird der Versuch unternommen, indirekt auf natürliche Gegebenheiten einzuwirken, die aus irgendwelchen Gründen nicht direkt veränderbar sind. Die immer wieder von Wissenschaftlern vertretene Meinung, Magie ziele auf direkte konkrete Veränderungen, geht aus magischer Sicht auf fehlendes Verständnis für die tatsächlichen Zusammenhänge zurück. Da die "Magie gerade auf der Grundlage ihres Hauptcharakteristikums an die Götter glaubt, das Vorhandensein der oberen Welt, eine nicht-empirische Wirklichkeit akzeptiert und deren Kräfte, bzw. die daraus gewonnene Macht gebraucht, so können wir ohne Befangenheit urteilend nur konstatieren, daß man Magie keineswegs als eine 'vorwissenschaftliche Wissenschaft', als 'eine Vorläuferin der Wissenschaft', als 'eine Vorläuferin nicht der Religion, sondern der Naturwissenschaft', als eine 'auf Abwege geratene Physik' bezeichnen kann, sondern daß ihr Platz gerade ausschließlich innerhalb der Religion sein muß." Magische Handlungen und magisches Denken beruhen also auf einer von

der naturwissenschaftlichen abweichenden Axiomatik. Magie kann nur auf dem Hintergrund der Annahme der realen Existenz von Geistern und der realen Existenz von spirituellen Fluiden verstanden werden. Es kommt ein weiteres Axiom hinzu, das sich aber möglicherweise von den beiden anderen ableiten läßt, nämlich das der letztlich totalen Kausalität. Die Magie kennt das wissenschaftliche Konstrukt des Zufalls nicht. Ereigniszusammenhänge, die für den Naturwissenschaftler zufällig auftreten, sind für den Magier materieller Ausdruck spiritueller Kausalbeziehung. Wer nun explizit oder implizit naturwissenschaftlich, also von einer anderen Axiomatik her argumentiert und diese möglicherweise sogar für die notwendige Grundlage vernünftigen Denkens hält, kann von magischem Denken und Handeln sozusagen nur die Oberfläche wahrnehmen. Die naturwissenschaftliche Interpretation etwa eines Heilzaubers entspricht dann, unter dem Aspekt der Qualität der Aussage, der magischen Interpretation einer medizinischen Behandlung. Verhaltensweisen, die äußerlich Charakteristiken magischen Verhaltens aufweisen, aber keine magischen Interpretationen erfahren, möchte ich hier magiform nennen. 4. Definition magischer Zeichen Von einem Zeichen ist dann zu sprechen, wenn jemand einen Wahrnehmungsgegenstand unter dem Aspekt gestaltet, daß er im Wahrnehmenden beabsichtigte Assoziationen aktualisiert, oder dann, wenn in jemandem zu einem Wahrnehmungsgegenstand Assoziationen auftreten, von denen er annimmt, daß sie in ihm auftreten sollten. Zeichen sind also definiert 1. durch das Vorliegen einer bestimmten Wahrnehmungsgegebenheit und eines damit verknüpften Assoziationsfeldes bei 2. grundsätzlicher Unabhängigkeit der beiden Aspekte voneinander und 3. tatsächlicher oder vermeintlicher Intentionalität der Verbindung. Die m.E. konstitutive Intention bezieht sich auf die Funktion des Zeichens, die darin liegt, bei der Wahrnehmung des Gegenstands die Assoziationen (die Bedeutung) zu aktualisieren. Diese Kriterien gelten selbstverständlich auch für magische Zeichen. Es gäbe nun keinen Grund, bestimmte Zeichen als magische Zeichen hervorzuheben, wenn diese nicht zusätzlichen Forderungen genügten. Allein die Tatsache, daß Zeichen im Rahmen magischer Praktiken verwendet werden, kann nicht ausreichen, sie magische Zeichen zu nennen.

Es rnuß in der Magie, zumindest in der Magie der Umbanda, unterschieden werden zwischen Zeichen, die zwar in magischen Zusammenhängen verwendet werden, dort aber ihren alltäglichen Zeichencharakter völlig behalten (z. B. ein Wort der Alltagssprache in einer Beschwörungsformel). 2. Zeichen, bei denen im magischen Gebrauch die alltägliche Zeichenfunktion in den Hintergrund tritt zugunsten angenommener übernatürlicher Aspekte (wie beim besprochenen Türschild). Nur diese sollten "magische Zeichen" genannt werden. Den Unterschied zwischen normalem Zeichengebrauch im Rahmen der Magie und dem Gebrauch magischer Zeichen möchte ich an folgendem Beispiel illustrieren: Wenn in einer magischen Formel an dafür vorgesehenen Stellen der Name eines Menschen eingesetzt wird, auf den sich der Text dann inhaltlich irgendwie bezieht, handelt es sich um magischen Gebrauch dieses Namens, aber nicht um magische Zeichen. Wenn dagegen in einer magischen Präparation dieser Name z. B. zweimal als Balken eines Kreuzes übereinandergeschrieben wird, tritt die Funktion der Benennung bzw. Erwähnung des betreffenden Menschen zugunsten der Funktion des manipulierbaren Objekts in den Hintergrund. Es handelt sich dann bei dem Namen um ein magisches Zeichen. Zu diesen beiden Zeichenarten kommen in der Magie noch 3. Divinatorische Zeichen als Sachverhalte, die nur im (magisch-)religiösen Denken Zeichencharakter besitzen (z.B. die Handlinien), 4. Magisch verwendete Pseudozeichen, d. h. Sachverhalte, die in der Magie als Zeichen angesehen werden, aber keine Zeichenfunktion besitzen (von niemandem verstandene oder interpretierte Sachverhalte, die nichtsdestoweniger als Geisterbotschaften o. dgl. angesehen werden). Winfried Noth schreibt im Kapitel 'Magische Kommunikation" seines Handbuchs der Semiotik: "Beurteilt man Magie nach Kriterien, die für normales kommunikatives Handeln gelten, beruht magischer Zeichengebrauch ... auf einer semiotischen Pathologie, einer Fehleinschätzung der Wirkungsweise und der Objektrelation des Zeichens, während die Formen der Motivation des magischen Zeichens nicht magiespezifisch, sondern von allgemein semiotischer Natur ist." (1985a, S. 244) Dem kann ich auf dem eben dargelegten Hintergrund nur sehr bedingt zustimmen. Zunächst einmal kann Magie nicht insgesamt nach Kriterien kommunikativen Verhaltens beurteilt werden, weil magisches Handeln nicht nur in magischer Kommunikation besteht. Verhaltensweisen und Manipulationen an und mit Objekten sind nicht einfach deshalb magische

Kommunikation, weil sie im Rahmen der Magie eingesetzt werden oder weil magische Wirkungszusammenhänge postuliert werden. Das heißt, die Motivation von Zeichen entspricht in der Magie nur dann der semiotischen Motivation, wenn sie tatsächlich kommunikativ eingesetzt werden. Zweitens unterscheidet sich magische Kommunikation zumindest über weite Strecken nur dadurch von "normaler" Kommunikation, daß der Kommunikationspartner nicht ein Mensch, sondern eine Gottheit, ein Geist ist. Für den Ungläubigen hat dies (wie z. B. auch ein Gebet) die Qualität eines Selbstgesprächs. Bei magischer Kommunikation kann von einer Fehleinschätzung der Wirkweise nur insofern gesprochen werden, als ein Zeichenempfänger angenommen wird, dessen Existenz der Ungläubige leugnet. Das heißt aber, in eine solche Beurteilung fließen außerwissenschaftliche, nämlich religiöse Erwägungen ein. Tatsächlich wird die Zeichen-Objekt-Relation von Magiern etwas anders gesehen als von Semiotikern, eben weil sie magische Axiome einbezieht. Die magischen Ansichten können aber auch hier m. E. nicht als Fehleinschätzung bezeichnet werden, weil sie sich auf die Begründungen semiotischer Sachverhalte beziehen; wobei gesehen werden muß, daß es sich bei den Begründungen auch in der Semiotik nur um Postulate handeln kann. Nur beim instrumentellen Gebrauch von Zeichen im Rahmen der Magie, also magischen Zeichen im engeren Sinn (z. B. als Akkumulator von "Kraft") kann m. E. von anomalem Zeichengebrauch gesprochen werden. Denn dann treten Qualitäten in den Hintergrund, die für den Zeichenbegriff konstitutiv sind. 5. Abgrenzung magischer Zeichen von magischen Objekten und magischen Handlungen Nach Winfried Nöth ist "das Verbrennen eines Hundekopfes als Therapie gegen Kopfschmerzen . . . (ein Beispiel) für magische Handlungen. Sie stellen einen semiotischen Akt dar, nämlich (in diesem Fall) ein nonverbales Ikon des Zerstörens" (1985a, S. 245). Eine derartige Definition führt aber m. E. zu einer Inflation des Begriffs des semiotischen Aktes, die letztlich zur Identität mit dem Begriff der Handlung überhaupt führt. Auch in der Umbanda ist das Verbrennen eines Hundekopfs gegen Kopfschmerzen denkbar. Es gibt dafür, grob gesprochen, zwei mögliche Erklärungen. Die eine ist, daß es sich schlicht um ein Opfer handelt, das den Kopfschmerz verursachenden Geist befriedigen soll. Ein Geist sagt z. B. durch den Mund eines Mediums aus, daß er einen Menschen von

Kopfschmerzen befreit, falls ihm ein Hundekopf verbrannt wird. Der Vollzug des Opfers hat dann ebenso wenig oder ebenso viel Zeichencharakter wie eine Vorauszahlung für Dienste. Eine andere Erklärung wäre: es handelt sich um eine "Kopfwechsel" genannte Prozedur, bei der die spirituelle Ursache des Kopfschmerzes vom Menschen auf den Hundekopf transportiert und dann durch Verbrennen seiner materiellen Grundlage beraubt wird. Auch dabei liegt kein semiotischer Akt vor, sondern eine Manipulation, die einem chirurgischen Eingriff vergleichbar ist. Ohne Berücksichtigung der Intention kann aber beispielsweise auch der chirurgische Eingriff als "nonverbales Ikon des Zerstörens" bezeichnet werden. So wie ein Schirm, der vor Regen schützt, zunächst einmal ein schlichtes Objekt und kein Zeichen ist, ist beispielsweise ein Amulett, das gegen böse Geister schützt, zunächst einmal ein (magisches) Objekt und kein (magisches) Zeichen. Genauso wie das Verbrennen eines Stücks Holz zur Beseitigung von Kälte kein Zeichengebrauch ist, ist auch das Verbrennen eines Hundekopfs zur Beseitigung von Kopfschmerzen an sich kein (magischer) Zeichengebrauch. Den magischen Therapieversuch als semiotischen Akt zu bezeichnen, beruht - nun drehe ich den Spieß um - auf einer gegenwärtig noch immer verbreiteten wissenschaftlichen Fehleinschätzung. Die Handlungen des Magiers werden dabei mit denen des Gauklers verwechselt, der Priester wird (ausschließlich) als Schauspieler gesehen. Eine in der Umbanda beliebte magische Behandlung besteht in den sogenannten Passes. Ein Medium in Trance umfährt dabei die Körperkonturen des Patienten mit den Handflächen, was den Eindruck des Abstreifens macht. Nach der Überzeugung aller Beteiligten werden dadurch negative Fluiden aus dem Körper des Patienten gezogen, die der Geist im Körper des besessenen Mediums unschädlich machen kann. Es bietet sich für einen Ungläubigen an, in den Passes ein Als-ob-Verhalten zu sehen; für ihn tun die Medien so, als ob sie den Patienten reinigten und aufgrund dessen hat dieser den Eindruck, tatsächlich gereinigt zu werden. Es wäre also von einem Ikon des Reinigens zu sprechen, also von einem magischen Zeichen. Nun entsprechen Methode und Erklärung der Umbanda-Passes dem ehemals medizinisch angewendeten und wissenschaftlich diskutierten Mesmerismus. Der im Mesmerismus postulierte tierische Magnetismus konnte durch naturwissenschaftliche Methoden nicht nachgewiesen werden, sodaß die Hypothese offiziell als falsifiziert angesehen wird.

Das würde nun auf die magischen Passes bezogen bedeuten, daß die Frage, ob sie als Ikon der Reinigung zu bezeichnen sind, davon abhängt, was gegenwärtig von der vorherrschenden naturwissenschaftlichen Meinung für wahr gehalten wird. Nur leicht überzeichnet, müßte dann jedes Händewaschen plötzlich ein Ikon des Reinigens genannt werden, wenn Mediziner der Meinung sind, daß es nicht den angenommenen Effekt hat. Daraus ergibt sich, daß die Grundlage semiotischer Aussagen über magische Handlungen nicht in irgendwelchen von Naturwissenschaftlern gegenwärtig für objektiv gehaltenen Aussagen bestehen kann, sondern nur in den Intentionen, die bei den jeweils Beteiligten selbst anzutreffen sind. In bezug auf die Passes würde ich dementsprechend von magischen Handlungen sprechen, die den Eindruck eines Ikons der Reinigung machen; in bezug auf Winfried Nöths Beispiel vom Verbrennen eines Hundekopfes entsprechend höchstens von einer magischen Handlung, die Charakteristiken eines Ikons des Zerstörens zeigt. 6. Zur Frage der Anomalie des magischen Zeichengebrauchs Es muß beim Zeichengebrauch der Magie, wie gesagt, unterschieden werden zwischen dem kommunikativen und dem instrumentellen Aspekt. Das zweite Beispiel, das Winfried Nöth in seinem bereits erwähnten Handbuchartikel für eine magische Handlung nennt, ist "die an das Fieber gerichtete Aufforderung, vom Sprecher fern zu bleiben" (1985a, S. 245). Er bezieht sich damit auf den andernorts von ihm besprochenen Brauch englischer Schulkinder, beim Anblick eines toten Tieres auszuspucken und zu rufen: "Fever, fever, stay away, / Don't come in my bed today." (1985b, S. 136). Dabei ist aber m.E. ohne Befragung der Sprecher nicht eindeutig aussagbar, was gemeint ist, ob der Spruch kommunikativ oder instrumentell verwendet worden ist. Wenn die Meinung bestehen sollte, daß mit dem Spruch eine "Fieber" genannte Entität angesprochen wird, so liegt ganz normaler Zeichengebrauch im Rahmen magischer Kommunikation vor. Wenn dagegen die Meinung besteht, daß der Spruch ohne ein ansprechbares Gegenüber an sich wirksam ist, so liegt instrumenteller Gebrauch vor, der allein nicht der üblichen Zeichenverwendung entspricht. Winfried Nöth meint: "Im Vergleich zu normalen Formen des Zeichengebrauchs weisen diese magischen Akte eine Anomalie in ihrer pragmatischen und in der semantischen Dimension auf." (1985a, S. 245). "Unter pragmatischen Gesichtspunkten liegt das Spezifikum der Magie in dem Versuch des Sprechers, durch Zeichen unmittelbar auf die nicht-

semiotische Welt einzuwirken" (1985a, S. 245). Diese immer wieder in wissenschaftlichen Veröffentlichungen vertretene Meinung ist falsch, wie jede Befragung eines gebildeten Magiers belegen dürfte. In der Umbanda gibt es approbierte Ärzte, die gegebenenfalls Fieber besprechen würden. Sie wenden sich aber, ungeachtet der möglicherweise mißverständlichen Ausdrucksweise, selbstverständlich nicht an das Krankheitssymptom Fieber, sondern an die übernatürliche Ebene des Fiebers bzw. an seinen spirituellen Verursacher. Das heißt, sie beabsichtigen keinen direkten Einfluß ihrer Worte auf physiologische Prozesse. Wenn eine unmittelbare Einwirkung auf das Fieber intendiert wird, so gibt oder nimmt jeder Umbandist selbstverständlich ein Medikament. Magische Einflußnahmen sollen ja gerade auf dem Umweg über die spirituelle Ebene dort greifen, wo nur mittelbare Veränderungen für möglich gehalten werden. Ein Umdandist geht unter Umständen wegen desselben Leidens zum Arzt und (!) zum Magier; ein umbandistischer Arzt gibt wegen derselben Krankheit Medikamente und (!) magische Behandlung. Wenn jemand tatsächlich der Meinung ist, über einen Fiebervers das Fieber auf direktem Weg angehen zu können, ist das nicht Magie, sondern einfach Irrtum - und zwar auch aus der Sicht der Magier. Ich setze einmal den Fall, daß im Rahmen der Umbanda der Fieberspruch verwendet wird. Dann kann sein, daß damit eine transzendente Entität angesprochen wird, die "Fieber" genannt wird. In diesem Fall liegt eine dem Gebet entsprechende Kommunikation vor, also normaler Zeichengebrauch. Ein Gespräch mit einem Geist kann schlechterdings nicht einfach deshalb als anomale Kommunikation bezeichnet werden, weil der klassifizierende Wissenschaftler nicht an die Existenz des Gesprächspartners glaubt. Der Spruch kann aber auch wegen einer in ihm vermuteten besonderen Kraft gebraucht werden. Nur in diesem Fall kann zu Recht von anomalem Zeichengebrauch gesprochen werden. Normalerweise werden Zeichen wegen ihrer gesetzten oder tradierten Bedeutung verwendet, nicht wegen einer ihnen innewohnenden Kraft. Magische Zeichen werden aber gegebenenfalls nur wegen der in ihnen vermuteten, für real existent gehaltenen magischen Kraft gebraucht, was dann anomal genannt werden kann. 7. Das magische Verständnis von Zeichen Die Magie hat ein etwas anderes Verständnis von Zeichen als die Semiotik. Aus der Sicht der Magie besteht eine Beziehung zwischen Zeichen und außersemiotischem Objekt, die weitgehend unabhängig von menschlichen

Einflüs sen ist. Dieser Zusammenhang wird jedoch wohl selten so schlicht gesehen, wie gelegentlich dargestellt worden ist. Zumindest nach meiner Erfahrung sehen Magier ebenso wenig (oder eben so viel) einen natürlichen, direkten Zusammenhang zwischen Zeichen und bezeichnetem Objekt wie jeder normale Ungläubige auch. Der von Magiern postulierte Zusammenhang zwischen materiellem Aspekt des Zeichens und materiellem Objekt liegt im letztlich unzugänglichen Übernatürlichen. Ich halte es für selbstverständlich, daß jeder Magier über die alltägliche Erfahrung verfügt, daß z. B. auf das Aussprechen eines Gebets hin ein damit angestrebtes Ziel nicht direkt zu erreichen ist. Es kann im Einzelfall schwer sein, magisch zwischen semantischer Bedeutung und spiritueller Kraft zu unterscheiden. Das macht sich, nebenbei gesagt, selbst noch in unserer Umgangssprache bemerkbar, wo unter der "Bedeutung" eines Zeichens ja auch seine Wichtigkeit, sein Wert verstanden wird. Eine Aussage wie "Die Bedeutung eines Zeichens liegt nicht in seiner Bedeutung" ist deshalb nicht paradox, sondern mißverständlich. Eine entsprechende Zweideutigkeit ist auch im Wort "Sinn" gegeben, das einmal die semantische Seite, zum anderen die Wirkungsseite meint. Wenn jemand sagt "Welchen Sinn hat deine Aussage", meint er damit im allgemeinen nicht "Was meinst du", sondern "Was bezweckst du". Wie jedes andere Objekt auch besitzen Zeichen mehr oder weniger von einer Kraft, die in der Umbanda Fluidum genannt wird. Diese Kraft fließt, sammelt sich, verströmt von selbst, kann aber durch magische Handlungen auch manipuliert werden. Sie ist nicht direkt wahrnehmbar, sondern nur an den Folgen ihres Vorhandenseins oder Fehlens zu erkennen. Was damit gemeint ist, dürfte auch jedem Nichtgläubigen bekannt sein. Ein Stein oder eine Muschel aus dem Urlaub, ein altes Schulheft, ein materiell wertloses Erbstück u. dgl. hat unter Umständen "Kraft", ganz gleich wie man diesen Sachverhalt nun nennen oder erklären mag. Zeichen, die solche "Kraft" besitzen, ohne daß dies magisch interpretiert oder eingesetzt wird, können magiforme Zeichen genannt werden. Magischem Verständnis zufolge kann diese Kraft Zeichen, wie irgendwelchen Gegenständen auch, zuwachsen oder sie können damit aufgeladen werden. Die Aufladung kann durch gezielte Manipulationen vorgenommen werden, indem man die Zeichen absichtlich mit anderen Kraftträgern zusammenbringt. Ein Pentagramm hat mehr Kraft, wenn es mit geweihter Kreide gezeichnet wird, wenn dabei ein Vaterunser gebetet wird, wenn dabei Kerzen brennen usw.

Wer über Zeichen verfügt, verfügt über deren Kraft. Man braucht also beispielsweise den Inhalt eines Amuletts nicht zu kennen; ja, es kann sogar besser sein, ihn nicht zu kennen. Und es erklärt dem Magier beispielsweise, weshalb Zeichen, die sich irgendwann einmal aus irgendwelchen Gründen einer gewissen Wertschätzung erfreut haben, ihre numinösen Qualitäten auch dann behalten können, wenn niemand mehr weiß, was sie einmal bedeutet haben. Eine Veränderung der materiellen Gestalt von mit Kraft aufgeladenen Zeichen kann bei gleicher Bedeutung einen Schwund der innewohnenden Kraft bedeuten. Um beim gerade verwendeten Ausdruck zu bleiben: Der traditionelle Gebetsanfang "Vater unser" hat (einstweilen noch) mehr Kraft als der moderne Gebetsanfang "Unser Vater". Ich kenne einen Magier, der im Alltagsgespräch bestimmte Wörter absiehtlich falsch ausspricht, anscheinend um sie nicht zu profanisieren, d. h. ihrer Kraft berauben. 9. Faszinierende Zeichen und Suggestivzeichen als magiforme Zeichen Bestimmte Zeichen üben wegen ihrer äußeren Gestalt und nicht oder weniger wegen ihrer Bedeutung eine besondere Wirkung auf mehr oder weniger alle Menschen aus, und zwar völlig unabhängig von der theoretischen Begründung dieses Sachverhalts. Sofern diese Zeichen primär aufmerksamkeitsfesselnd sind, kann man von faszinierenden Zeichen sprechen, sofern sie primär verhaltenssteuernd wirken von Suggestivzeichen. Solche Zeichen können magiform genannt werden, was der Tatsache entgegenkommt, daß populärer Weise von ihrer "magischen" Anziehungskraft u. dgl. gesprochen wird. Faszinierende und suggestive Zeichen eignen sich selbstverständlich von vornherein besonders zu magischem Gebrauch. Denn für den Magier haben sie per se "Kraft". Die ihnen innewohnende spirituelle Kraft macht ihre Faszination bzw. suggestive Wirkung aus. Manche Autoren, die mehr oder weniger vehement gegen Magie, z. B. Magie der Sprache, zu Felde ziehen, äußern sich, wie aus ihren Beispielen hervorgeht, eigentlich gegen suggestiven Sprachgebrauch. Demagogie hat an sich überhaupt nichts mit Magie zu tun, wenngleich es für die Wirkung von Demagogen selbstverständlich auch magische Erklärungen gibt. Suggestivzeichen im Rahmen der Magie liegen vor, wenn z. B. der Magier dem Patienten (als magischem Laien) erklärt, sein Kopfschmerz verschwänden parallel oder in Entsprechung zum Verbrennen eines

Hundekopfes. In einer solchen Aussage liegt aber keine magische Handlungsbegründung, sondern eben eine suggestive Prognose. Suggestive Wirkungen werden sicherlich von Magiern ebenso erkannt wie von Wissenschaftlern, nur eben anders erklärt. Suggestivzeichen sind z. B. die in der Medizin Placebo genannten Medikamenten-Attrappen. Ein Placebo-Präparat ist keine wirksame Chemikalie, sondern sie wird als solche mißdeutet. Der Wirkungsmechanismus eines Placebos und einer magischen Präparation mag, psychologisch gesehen, derselbe sein. Die Wirkung des Placebo beruht aber auf einem Irrtum, die der Magie dagegen auf durchaus bewußter spezifischer Interpretation von Realität. Ein Arzt, der einen Patienten mit einem Placebo behandelt, muß ihn täuschen, damit die Wirkung zustandekommt. Sobald der Patient weiß, daß er keine an sich wirksame Substanz erhält, sondern z. B. eine Tablette aus Kartoffelstärke, ist der mögliche Erfolg gefährdet. Einem Patienten dagegen, der von einem Umbanda-Priester mit Wasser behandelt wird, ist in jedem Moment völlig klar, daß es sich um Wasser handelt. In Umbanda besorgen nicht selten die Gläubigen die zur Herstellung z. B. eines Amuletts erforderlichen Gegenstände selbst und sie beobachten die Details der magischen Handlungen. Obwohl selbstverständlich auch im Rahmen der Magie mit Täuschungen gearbeitet wird, hat sie als solche nichts mit Täuschung oder Irrtum zu tun (sofern man nicht die magischen Grundannahmen aus materialistischer Sicht als Irrtum bezeichnet). 10. Divinatorische Zeichen Wie schon gesagt, bestehen jeweils parallel zu magischen divinatorische Praktiken. Divinatorische Zeichen sind irgendwelche Sachverhalte, die im Rahmen des Glaubens an kommunizierende übernatürliche Wesen als Zeichen dieser Wesen angesehen werden. Dabei handelt es sich entweder um Zeichen, die im religiös orientierten Denken zusätzliche spezifische Bedeutungen haben oder um natürliche Objekte oder Geschehnisse, die überhaupt nur aus dieser Sicht Zeichencharakter besitzen. Zeichen können sie deshalb genannt werden, weil sie nach der Art der alltäglichen Zeichenkonstitution mit mehr oder weniger klar definierten Bedeutungen belegt werden. 11. Magische Pseudozeichen Es gibt schließlich Sachverhalte, die in magischem Rahmen wie Zeichen verwendet und Zeichen genannt werden, für die aber niemand irgendeine

konkrete Bedeutung angeben kann. Ich besitze Zettel, die von Medien in Trance mit "Geisterschrift" "beschrieben" worden sind. Es handelt sich um buchstabenähnliche Figuren, die weder einzeln noch insgesamt in irgendeiner Weise sinnvoll sind. Weder das Medium selbst, noch irgendjemand anders weiß, was sie bedeuten sollen. Sie werden als geheime Offenbarungen, Anweisungen an übernatürliche Mächte o. dgl. aufgefaßt und dementsprechend in Amuletten verwendet, Opfergaben beigegeben usw. Literatur Figge, Horst. H.. 1972: Zur Wirkweise magischer Praktiken, in: Ethnomedizin, Z. interdisz.Forschung, II, 1/2, S. 113-132. - 1973: Geisterkult. Besessenheit und Magie in der Umbanda-Religion Brasiliens. Ernest Stephan, 1975: Die Divination, Ihr Wesen und Ihre Struktur, besonders in den sogenannten primitiven Gesellschaften (Diss. theol.). Nöth. Winfried, 1985a: Handbuch der Semiotik. - 1985b: Semiotik der Magie in der Folklore englischer Schulkinder, in: Grazer Linguistische Studien 23: 135-147. Peuckert, Will-Erich, 1956: Pansophie. Ein Versuch zur Geschichte der weißen und schwarzen Magie.