Liebe Gemeinde, liebe Jubelkonfirmandinnen und -konfirmanden,

Liebe Gemeinde, liebe Jubelkonfirmandinnen und -konfirmanden, wir gehen 50 Jahre zurück ins Jahr 1967 Kiesinger war Bundeskanzler in Deutschland, Lübk...
Author: Carin Bach
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Liebe Gemeinde, liebe Jubelkonfirmandinnen und -konfirmanden, wir gehen 50 Jahre zurück ins Jahr 1967 Kiesinger war Bundeskanzler in Deutschland, Lübke Bundespräsident, Eintracht Braunschweig Deutscher Meister und in Südafrika transplantierte Christian Bernaard das erste Mal ein menschliches Herz. Der Schah besuchte Deutschland und es gab Protestdemonstrationen bei denen Benno Ohnesorg erschossen wurde. Die Beatles feiern einen Riesenerfolg mit „St. Peppers lonely heartsclub Band“ und der Minirock hatte seinen festen Platz in der Mode gesichert. Am 12. März fanden in West-Berlin Wahlen zum Abgeordnetenhaus statt, in Frankreich der zweite Wahlgang nach dem ersten am 5. März zur Nationalversammlung. Die Wahlen waren mit starken Verlusten für die Gaullisten unter Georges Pompidou, dem amtierenden Ministerpräsidenten, verbunden. Die Tochter des sowjetischen Diktators Stalin, Swetlana Allilujewa, traf in der Schweiz ein. Sie erklärte, nicht mehr in die UdSSR zurückkehren zu wollen. Und hier, in Neidlingen, wurden fern vom großen Weltgeschehen elf Mädchen und sieben Jungs von Pfarrer Ludwig konfirmiert. Mit schicker Frisur und den ersten Perlonstrümpfen unter den schönen Kleidern die Mädchen, ordentlich gekämmt und im ersten guten Anzug die Jungs. Aufgeregt, vielleicht schrecklich aufgeregt, ging es doch darum, das Auswendiggelernte vorzutragen und nicht stecken zu bleiben, oder gar seinen Text zu vergessen. Am Abend vor der Konfirmation war die „Prüfung“ gewesen, wo man euch einfach aufgerufen hat und ihr musstet eine x- beliebige Stelle des kleinen Katechismus aufsagen. Bei der Konfirmation wusstet ihr wenigstens, was auf euch zukommt.

Vielleicht gab es Diskussionen mit den Eltern um Frisuren und Rocklängen, Kuchen wurden ausgetragen, Wohnzimmer um - oder leergeräumt, denn die allermeisten Konfirmationsfeiern fanden zu Hause statt. Aus der Konfizeit, die zwei Jahre dauerte, wurde mir vom Läuten zum Gottesdienst erzählt. War es eigentlich genauso wie in Hepsisau, dass Glockenläuten Privileg und Aufgabe der Jungs war? Als Geschenke gab es Sammeltassen, Tortenplatten, Taschentücher, die ersten Aussteuersachen, eine Armbanduhr, vielleicht kaufte sich der eine oder andere von euch bezuschusst vom Geld zur Konfirmation ein Fahrrad, auch von einer Schreibmaschine war die Rede. Zum Ausflug nach der Konfirmation ging es auf den Hohenzollern, es schneite und die Mädchen froren in ihren dünnen Schuhen und Kleidern. Ich fragte euch spaßeshalber, ob ihr noch irgendetwas von dem wisst, was ihr im Konfirmandenunterricht auswendig gelernt habt? Klar, dass ihr nichts oder kaum etwas behalten habt. Denn bloßes Auswendiglernen ohne Verstehen, wie soll das etwas hängen blieben? Ja, in der Kirche ging es damals um die Lehre und um den Katechismus und was man glauben muss, möglichst ohne zu fragen. Pfarrer waren der verlängerte Arm der Eltern, Zucht und Ordnung sollten herrschen. Kirche war schon ein bisschen die moralische Aufsichtsanstalt. Ich sage das nicht wertend, es war einfach so, und vielleicht würde Pfarrer Ludwig heute auch manches anders machen und wäre erleichtert, nicht so sehr das Amt tragen zu müssen und mehr Mensch sein zu dürfen. Und ihr Jubelkonfirmandinnen und -konfirmanden: Ich glaube ihr wart gar nicht so viel anders als die Konfirmanden von heute.

Was hattet ihr für Träume damals? Was ist aus diesen Träumen geworden? Welche habt ihr verwirklicht? Wie viele musstet ihr aufgeben? War es ein gutes Leben die letzten 50 Jahre? Und in die Zukunft gerichtet gefragt: Was kommt noch? Was erwartet ihr noch vom Leben? Wie wir in die Zukunft gehen, das hat viel mit dem zu tun, wie wir das Vergangene verarbeitet haben, ob wir misstrauisch geworden sind, oder ob wir zuversichtlich sein können. Mit ein paar Worten aus dem Psalm, den wir vorhin gebetet haben, möchte ich mit euch dem jetzt nachgehen. Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat. Der Pfarrer, der mich konfirmiert hat, hob, wenn er die Worte „und vergiss nicht“ zitiert hat, immer den Zeigefinger. Damals war ich da ganz ehrfürchtig und kam mir schrecklich undankbar vor. Heute habe ich mit mir selbst die Erfahrung, dass es Zeiten gibt, in denen ich das Gute in meinem Leben schätzen kann und dankbar dafür bin. Ich kenne aber auch andere, in denen ich mich vergleiche und dabei nicht selten meine, den Kürzeren zu ziehen. Das hört sich dann so an: „Ich habe so viel Arbeit, Immer, wenn die anderen frei haben, muss ich arbeiten. Eigentlich habe ich nie so richtig Feierabend. Immer muss ich meine privaten Bedürfnisse zurückstecken.“ Ihr merkt: Da ist eine ganze Portion Selbstmitleid. Und eins ist klar: gut geht es mir dabei nicht. Im Gegenteil: Ich komme immer mehr ins Jammern und fühle mich immer elender. Doch weiß ich inzwischen, dahinter steckt die eine große Angst, die ich aus meinem Leben so gut kenne: nämlich das, was ich tun muss, nicht zu schaffen. Und vor allem es nicht gut zu schaffen.

Und dann erschrecke ich schon, wie leicht alles, was mein Leben schön und reich macht, absinkt in die Vergessenheit. Allein schon, dass wir in Sicherheit leben, keinen Hunger leiden, die Regale in den Geschäften voll sind von einer riesigen Auswahl und wir uns so vieles leisten können, müsste uns doch freuen und beruhigen. Wir haben eine gute ärztliche Versorgung, kostenlose Schulbildung, können unseren Hobbies nachgehen, in den Urlaub fahren. Im Grunde ist es doch fast zu viel des Guten. Na, jetzt tu aber bloß nicht so, als wäre in unserem Leben alles schön und einfach, könnte jetzt jemand von euch einwenden und die letzten 50 Jahre haben sicher für euch alle, liebe Jubelkonfirmandinnen und – konfirmanden und für viele von uns schlimme und angstmachende Erfahrungen genug bereit gehalten. Dass Menschen verletzend und gemein zu uns waren, dass wir krank wurden, dass wir Menschen hergeben müssen, die wir lieben, dass wir an unserem Arbeitsplatz nicht mehr bestehen konnten, dass uns alles über den Kopf gewachsen ist. Wie sollen wir damit umgehen? Etwa dankbar sein? Sind das alles „Liebesschläge“ von Gott, wie es in einem Gesangbuchlied heißt, mit denen er uns erziehen möchte? Ich glaube schon, dass es wichtig ist, dankbar zu sein, aber nicht, dass wir dazu so erzogen werden könnten. Denn: dass unsere Seele so leicht vergisst, das ist nicht einfach Undankbarkeit. Es hängt vielmehr damit zusammen, dass die Lebensangst, wenn sie kommt, mit dem Anspruch auftritt, als wäre sie das einzig Wirkliche auf der Welt. Und dann sehen wir unser Leben auf einmal als eine Ansammlung von Momenten der Angst und wir finden immer mehr Gründe, warum wir vor allem Möglichen Angst haben müssen – frei nach Erich Kästner: Leben ist immer lebensgefährlich.

Was können wir dieser Angst entgegensetzen? Psalm 103 nennt gute Erfahrungen, die wir genauso machen wie die schlechten. Es gibt nicht nur Verletzungen, es gibt auch die Erfahrung, dass sie wieder heilen. Es gibt nicht nur die Erfahrung, krank zu sein. Wie oft sind wir wieder gesund geworden? Es gibt nicht nur die Erfahrung des Versagens, es gibt genauso die Erfahrung des Gelingens und nach einem Streit gibt es die Möglichkeit der Versöhnung. Wie oft gelingt uns etwas wunderbar, wie viele gute Gaben sind in uns gelegt, wie vielfältig können wir einander bereichern? Wenn wir nun die guten und die schlechten Erfahrungen unseres Lebens, die der letzten 50 Jahre in zwei Waagschalen legen, welche wiegt dann schwerer? Ob sich das Gewicht auf die eine oder auf die andere Seite neigt, hängt vor allem davon ab, ob wir das Gute, das wir immer auch erleben, umwandeln können in Vertrauen. Natürlich kann uns jeden Tag ein Unglück widerfahren. Aber an wie vielen Tagen unseres Lebens gehen wir abends unversehrt ins Bett? Wie viel ging und geht gut in unserem Leben? Wie viel gelingt uns jeden Tag? Was erleben wir alles an Schönem, was uns einfach so in den Schoß gelegt wird, von Gott geschenkt: Ein Mensch, der uns anlacht, ein Kind, das uns anstrahlt, ein lieber Gruß im Briefkasten, eine Tasse Kaffee in der Sonne, eine Hand, die sich uns entgegen streckt, eine Schulter, an die wir uns anlehnen können,

ein lauer Sommerabend im Garten, beim Fahrradfahren den Wind um die Nase, ein Gebet, das wir beten oder das für uns gebetet wird, ein Lied, ein Gottesdienst, ein Sonnenuntergang, ein gutes Gespräch, jeder neue Tag, den wir erleben dürfen.

Auf das alles wollen wir unser Augenmerk richten. Daran denken. Und uns daran erinnern. Und es nicht vergessen, sondern auf der Plusseite unseres Lebenskontos anlegen. Und das nicht nur für schlechte Zeiten, sondern auch, damit es Zinsen trägt und wir immer mehr vertrauen können, dass uns das Leben nicht einfach so zwischen den Fingern zerrinnt. Goldene Konfirmation feiern bedeutet auch: Beruf und Karriere gehen zu Ende oder liegen zurück. Ihr geht auf einem hoffentlich langen Weg den letzten Horizonten des Lebens entgegen. Ihr seid von Gott eingeladen, diesen Weg heiter zu gehen und fröhlich und gelassen. Denn er krönt euch mit Gnade und Barmherzigkeit, wie es in Psalm 103 heißt. Das ist Gottes Versprechen an euch. An uns. Und Gott? Was will er von uns dafür? Dass wir es genießen, dass wir es teilen, dass wir einander anstecken mit Glück und nicht gemeinsam Trübsal blasen darüber, wie schwer das Leben doch ist. Lothar Zenetti hat es ganz wunderbar ausgedrückt: Einmal wird uns gewiss die Rechnung präsentiert

für den Sonnenschein und das Rauschen der Blätter, die sanften Maiglöckchen und die dunklen Tannen, für den Schnee und den Wind, den Vogelflug und das Gras und die Schmetterlinge, für die Luft, die wir geatmet haben, und den Blick auf die Sterne und für all die Tage, die Abende und die Nächte. Einmal wird es Zeit, dass wir aufbrechen und bezahlen; bitte die Rechnung. Doch wir haben sie ohne den Wirt gemacht: Ich habe euch eingeladen, sagt der und lacht, so weit die Erde reicht: Es war mir ein Vergnügen! Amen