Kritik der Integration und einige Ergebnisse der TIES-Studie

Kritik der “Integration” und einige Ergebnisse der TIES-Studie Jens Schneider Institute for Migration and Ethnic Studies (IMES) Universiteit van Amst...
Author: Guido Voss
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Kritik der “Integration” und einige Ergebnisse der TIES-Studie

Jens Schneider Institute for Migration and Ethnic Studies (IMES) Universiteit van Amsterdam

„Integration lässt sich allgemein als ein gegenseitiger Prozess der Angleichung zwischen Menschen mit Migrationshintergrund und der schon ansässigen Bevölkerung beschreiben.“

„Von erfolgreicher oder gelungener Integration wird hier jedoch erst dann gesprochen, wenn Migranten sich in allen Bereichen dem Durchschnitt der Einheimischen annähern.“ (Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung, Januar 2009)

„Eine kulturelle Annäherung zwischen Zuwanderern und Einheimischen ist für eine erfolgreiche Integration nicht unbedingt erforderlich, erleichtert sie aber ungemein.“

„Die Tatsache, dass jemand die deutsche Staatsbürgerschaft annimmt, deutet auf eine Identifikation mit der Bundesrepublik und damit auf den eigenen Integrationswillen hin.“ (Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung, Januar 2009)

Normative Vorannahmen Beispiel IIMLA-Studie (Los Angeles): Erfolgreiche Integration = moving to White-Anglo neighbourhoods Gute Perspektive = Dritte Generation “Mexicans” spricht kein Spanisch mehr Europäische Pendants: Grad der Religiosität, Kopftuch, Intermarriage (aber nur: Migranten mit “Einheimischen”!)

‘Überdehnte’ Modelle? Beispiel John Berry’s “Modes of Acculturation”

Grad der Anpassung an die nationale Kultur

Grad der Bewahrung der ethnischen Kultur

separation

integration

marginalisation

assimilation

Beispiel ICSEY-Studie "Immigrant Youth Acculturation" (Berry, Phinney, Sam & Vedder 2006) „Akkulturationsprofile“ (= Kombination aus 13 interkulturellen Variablen; Altersgruppe 13-18 Jahre, G1+2): - „Integration Profile“: hoher Bezug sowohl zur ethnischen als auch der nationalen Kultur - „Ethnic Profile“: klare Orientierung auf die eigene ethnische Gruppe, starke ethnische und schwache Nationalidentität - „National Profile“: starke nationale Identität und „Assimilation“, schwache ethnische Identität

Alternativen?  Die zweite Generation ist nicht neu hier, sie muss sich nicht zurechtfinden und anpassen.  Die Gesellschaft ist kein Ganzes, in das man sich integrieren könnte (container concept of society; cf. Glick-Schiller & Wimmer).  ‘Ethnische Gruppen’ (oder ‘Migrantengruppen’) sind keine Einheiten, deren ‘Integrationsstatus’ gemessen werden kann (cf. ethnol. Theorien zu ethn. Gruppen + ethn. Identität). Stattdessen: → Integration in spezifische Domänen und “soziale Organisationen”, z.B. Schule, Arbeitsplatz oder Nachbarschaft/Stadtteil. → das gilt für alle, unabhängig vom ethnischen oder Migrationshintergrund.

Die TIES-Studie • Eine Umfage in 15 Städte in acht europäischen Ländern • Zielgruppe: Nachkommen von Einwanderern aus der Türkei, Marokko oder dem ehemaligen Jugoslawien → Definition zweite Generation: Alle Personen geboren und mit Wohnsitz im Land der Umfrage mit einem oder beiden Elternteilen geboren in der Türkei, in Marokko oder im ehemaligen Jugoslawien.

• Vergleichsgruppe ohne Migrationshintergrund (= beide Eltern geboren im Land der Umfrage) • Altersgruppe 18 bis 35 (repräsentative Stichprobe) • Methode: einheitlicher Fragebogen, persönliche Interviews

INTERVIEWS Türkisch

“Jugoslaw.”

Marokkan.

Vergleichsgruppe

Deutschland: Berlin

255

202

-

250

707

Frankfurt

250

204

-

253

707

Frankreich: Paris

248

-

-

174

422

Strasbourg

252

-

-

177

429

Niederlande: Amsterdam

237

-

242

259

738

Rotterdam

263

-

251

253

767

Schweiz: Zürich

213

252

-

202

667

Basel

252

200

-

266

718

Österreich: Wien

252

253

-

250

755

Linz

206

242

-

234

682

Belgien: Brüssel

250

-

257

271

778

Antwerpen

358

-

312

303

973

Schweden: Stockholm

250

-

-

250

500

Spanien: Madrid

-

-

250

250

500

Barcelona

-

-

250

250

500

3.286

1.353

1.562

3.642

per Stadt und Gruppe

TOTAL

TOTAL

9.843

Hauptthemen • • • • • • • •

Bildungsverläufe und Abschlüsse Arbeitsmarkt Identitäten Soziale Beziehungen Transnationalismus Partnerwahl und Familienbeziehungen Religion Diskriminierung

Bildungsniveau türkische G2 mit Eltern mit höherer Bildung Brussels

4,7

Antwerp Paris

63,6

6,0

58,1

4,0

Strasbourg

68,7 52,4

9,5

Zürich

35,9

27,3

6,4

Stockholm

31,8

41,3

52,0

38,5

10,3

Basel

77,3

17,8

Linz

12,4

68,3

8,6

13,9

59,1

32,3

Vienna

15,9

67,1

17,1

Frankfurt

16,3

67,4

16,3

Berlin

21,1

Rotterdam

63,2

25,4

Amsterdam

38,8

18,4

0%

lower secondary or below

15,8 35,8

36,7

20%

40%

44,9

60%

Upper secondary and vocational orientated

80%

100%

Post Seocndary & Tertiary education

Bildungsniveau türkische G2 mit Eltern mit niedriger Bildung Brussels

15,1

Antwerp

60,3

10,1

Paris

64,5

12,5

Strasbourg

51,1 51,6

7,0

Zürich

24,6

56,1

36,8

19,0

Basel

25,4

36,4 23,8

Stockholm

24,7

63,8

22,1

Linz

17,2 66,3

32,8

Vienna

11,6

49,2

40,0

Frankfurt

18,0 47,1

34,1

Berlin

63,8

36,8

Rotterdam

lower secondary or below

3,0

42,5

31,0 0%

2,2

60,2

37,2

Amsterdam

12,9

20,4

43,0 20%

40%

26,0 60%

Upper secondary and vocational orientated

80%

100%

Post Seocndary & Tertiary education

„Parallelgesellschaften“ oder Diversifizierung?

In der Stadt aufgewachsen… 100 80 60 40 20 0

Berlin

Strasbourg Stockholm

2nd generation Turks in %

96

89

83

Comparison group in %

91

66

55

In der Stadt aufgewachsen… 100 80 60 40 20 0

Madrid

Antwerp

Amsterdam

2nd generation Moroccans in %

93

91

88

Comparison group in %

98

66

35

Starkes Zugehörigkeitsgefühl zum Stadtteil

100,0 90,0 Turks 80,0 70,0

Moroccans/ex-Yugoslavian Comparison Group

Moroccans

60,0 50,0 40,0 30,0 20,0 10,0 Comparison Group

0,0 Amsterdam

Moroccans/ex-Yugoslavian Berlin

Paris

Wien

Turks Zürich

Stockholm

Zusammensetzung des Viertels = relevant? Korrelation zwischen Verbundenheit mit dem Viertel und dem Anteil der eigenen “ethnischen” Gruppe im Viertel Berlin

Türkische G2 “Jugoslawische“ G2 Vergleichsgruppe

0,012 (N=232) 0,066 (N=174) 0,322** (N= 221)

Frankfurt

Türkische G2 “Jugoslawische“ G2 Vergleichsgruppe

0,073 (N=233) 0,031 (N=181) 0,480** (N=237)

Zürich

Türkische G2 “Jugoslawische“ G2 Vergleichsgruppe

0,054 (N=198) -0,103 (N=231) 0,268** (N=196)

Basel

Türkische G2 “Jugoslawische“ G2 Vergleichsgruppe

0,024 (N=247) -0,077(N=186) 0,171* (N=258)

Wien

Türkische G2 “Jugoslawische“ G2 Vergleichsgruppe

-0,015 (N=241) -0,328**(N=242) 0,197* (N=238)

Linz

Türkische G2 “Jugoslawische“ G2 Vergleichsgruppe

-0,233** (N=200) -0,260**(N=233) 0,262** (N=220)

Alle Studis Alle

49.9

32.6

türkische G2

7.7

69.4

türkische G2

36.8

60.6

0%

20%

11.5

24.2

40%

indifferent/neutral/ambivalent

60%

6.0 15.5

34.6

53.8

türkische G2

3.0

24.7

47.7

Vergleichsgruppe

3.8

18.2

78.8

Vergleichsgruppe

2.8

17.5

88.5

Vergleichsgruppe

stark

16.9

80.3

Vergleichsgruppe türkische G2

Studis

...Berlin/Frankfurt

...Deutschland

Gefühl der Zugehörigkeit zu...

15.2

80%

schwach oder gar nicht

100%

Beste Freunde m. anderem ethn. Hintergrund Vergleichsgruppe

26.4

13.9 1.2

Alle

58.4

keine türkische G2

36.2

24.7

27.2

11.9

eine/r zwei alle drei

Vergleichsgruppe

13.0

4.3 0.0

Studis

82.6

türkische G2

10.0

0%

46.7

20%

30.0

40%

60%

13.3

80%

100%

Schlussfolgerungen I Integration = strukturelle Teilhabe – Bsp. Bildung:  Bildungserfolge der zweiten Generation gegenüber den Eltern  No “downward assimilation” or “second generation decline”!  Schulsystem hat großen Einfluss – besonders bei sowieso schon schwierigeren Startbedingungen (Sprache, Eltern)  Schwierige Startbedingungen ≠ Hindernis für Schulerfolg

Schlussfolgerungen II Integration = Zugehörigkeit:  keine “Parallelgesellschaft”  Integration in soziale Organisationen und spez. Domänen  Zunehmende Hybridisierung städtischer Alltagserfahrung, auch: demographischer Wandel  Rephrasing the question: wer oder was ist eigentlich das “Integrationsproblem”?

Danke! www.TIESproject.eu