Kinder unter drei Jahren betreuen eine herausfordernde und bereichernde Aufgabe!

Kinder unter drei Jahren betreuen – eine herausfordernde und bereichernde Aufgabe! oder: Wie kommen wir bei „aggressiven“ Verhaltensweisen ohne die Di...
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Kinder unter drei Jahren betreuen – eine herausfordernde und bereichernde Aufgabe! oder: Wie kommen wir bei „aggressiven“ Verhaltensweisen ohne die Disziplinierungs-Methode Auszeit aus? Kathy Egli, in: KiTaS-Journal 3/07, Verband Kindertagesstätten der Schweiz

Unterschiedliche Haltungen im Freispiel Betreuerin Melanie leert einen ganzen Korb Babyspielzeug auf dem Teppich aus, legt eine Musikkassette ein und setzt sich inmitten der Babys auf den Boden. Zwei Kinder sitzen auf ihren Beinen, an ihren Oberkörper angelehnt. Sie spielt mit einem Baby, zeigt ihm wie die Rassel tönt. Wenn ein Baby einem anderen ein Spielzeug wegnimmt, sagt sie ihm, dass es dies nicht tun dürfe und gibt das Spielzeug zurück. Sie passt gut auf, dass keines einem anderen weh tut, und wenn ein Baby weint, trennt sie die beiden. Sie fragt das „angreifende’“ Kind, ob es gern habe, wenn man ihm weh tut. Ist es erneut „aggressiv“, setzt sie es auf das Hochstühli, damit das Kind weiss, dass es dies nicht tun darf. Nach zwei Minuten erklärt sie ihm dies nochmals. Dann darf es wieder mit den anderen Kindern spielen. Hat es zuvor gar ein anderes Kind gebissen, so muss es sich zuerst bei ihm entschuldigen. Und so muss die Betreuerin immer wieder Kinder ermahnen und eingreifen… In einer anderen Kindergruppe: Betreuerin Sandra hat die Spielumgebung für die Babys vorbereitet. Aufgrund von Beobachtungen weiss sie, welches Spielmaterial bei ihnen gerade beliebt ist und ihrer Erkundungsfreude entgegen kommt. Sie achtet darauf, dass das Zimmer gut gelüftet und ruhig ist und dass keine grösseren Kinder oder Erwachsenen durch das Spielfeld der Babys gehen, damit sie in ihrem Tun nicht gestört werden. Sie selber setzt sich etwas an den Rand und beobachtet aufmerksam. Ab und zu begleitet sie das Tun eines Babys mit Worten, indem sie seine Absichten, Wünsche oder Gefühle benennt. Vor allem ermöglicht sie den Kleinen, jederzeit über Blicke den Kontakt mit ihr aufzunehmen: Wenn ein Baby zu ihr hinschaut, gibt sie ihm mit Mimik und Gestik Antwort. Wenn sich ein Kind durch ein anderes bedrängt fühlt und weint, so begibt sie sich zu den beiden und vermittelt, indem sie ihre Handlungsabsichten und Gefühle verbalisiert. Wenn nötig setzt sie mit ruhiger klarer Stimme Grenzen oder stoppt heftige Reaktionen durch Handlung. Sie trennt die Kinder jedoch nicht. Aufmerksam und konzentriert beobachtet Betreuerin Sandra die Kinder im freien Spiel: - Sophie (14 Mt) sitzt auf dem Boden und schüttelt heftig mit der linken Hand eine Holzrassel. Lukas (9Mt) liegt nahe neben ihr und könnte getroffen werden. Die Betreuerin Sandra fordert Sophie auf: „Nimm die Rassel in die rechte Hand. Dann hast du mehr Platz zum Schütteln und kannst Lukas nicht treffen.“ Sie unterstützt ihre Worte durch Handlung, indem sie sanft die Hand mit der Rassel anfasst und zur rechten Hand führt. Vielleicht ergänzt sie noch: „Sie tönt schön, deine Rassel!“ und schenkt Sophie einen ermunternden Blick. Sophie spielt zufrieden weiter, ohne Lukas zu stören oder zu verletzen. Hätte sie hingegen eingegriffen und mit den ermahnenden Worten „Pass auf, Du wirst Lukas weh tun“ Sophie die Rassel weggenommen, wäre Sophie in ihrem Erkunden der Rassel unterbrochen worden und unzufrieden hätte sie vielleicht einem anderen Kind das Spielzeug aus der Hand genommen. - Später schlägt die 11 Monate alte Daniela der gleichaltrigen Letizia mit einer gefüllten Petflasche auf den Kopf. Betreuerin Sandra wartet ab. Als Daniela noch heftiger schlägt und Letizia weint, stoppt sie bestimmt mit der Grenzsetzung: „Stopp, das tut Letizia weh. Schau, hier kannst Du drauf schlagen und Töne machen“. Zum „angegriffenen“ Kind sagt sie vielleicht: „Das hat dir aber fest weh getan. Ich glaube Daniela möchte mir dir spielen.“ Einen Moment später machen die beiden Kinder jauchzend zusammen ein Klopfspieli. - Darauf nimmt Betreuerin Sandra wahr, wie Stefan(17 Mt) auf Marco zugeht und ihm durch Beissen ein Spielzeug wegnehmen will. Sie hält ihn ruhig zurück: „Stopp, ich will nicht, dass Du Marco beisst!“ und macht ihn auf den Beissring, den er am Hals trägt, aufmerksam. „Du möchtest dieses Autöli haben. Es gefällt dir. Aber Marco spielt gerade damit.“ Je nachdem sucht sie mit ihm ein Ersatz-Autöli - oder sie versucht, die beiden in ein gemeinsames Geben-Nehmen-Spiel zu begleiten.

- Nun wird Betreuerin Sandra auf Tamara (10 Mt) aufmerksam, die mit einem Metall-Löffel am neuen Gestell hin und her kratzt. Das Kind freut sich sichtlich an den interessanten Geräuschen und den hinterlassenen aufregenden Spuren. Weil sie das Verhalten des Kindes als manuelles Erkundungsverhalten erkennt, rügt sie es nicht und bezeichnet sein Verhalten nicht als ‚kaputt machen’. Sie bietet ihm mit einem weichen Gegenstand oder einer anderen Arbeitsfläche eine Alternative an. Durch ihr Angebot gibt sie dem Kind eine klare Grenze. Ergänzend begleitet sie sein Handeln ermutigend mit Worten: „Das tönt lustig“ . Einem grösseren Kind (ab 18Mt), das bereits das Resultat seiner Handlung (Kratzer) realisiert, würde sie vielleicht sagen: „Du willst herausfinden, was für Spuren das Kratzen macht? Schau, hier kannst du ausprobieren“ und ihm so positive Aufmerksamkeit geben. - Zwischendurch beteiligt sich Betreuerin Sandra am Spiel der Kinder mit Gugus-da-da und VersteckenSpielchen. Oder sie singt ein rhythmisches Liedli. Es bieten sich immer wieder Gelegenheiten, mit den Babys zu lachen und Freude auszutauschen. Mit ihrem pädagogischen Verhalten hat Betreuerin Sandra das Handeln der Kinder als gutartig interpretiert. Sie weiss, dass Kinder in diesem Alter niemals aus Bösartigkeit oder mit der Absicht weh zu tun ein anderes Kind „plagen“. Sie sieht hinter ihrem Verhalten eine altersgemässe Selbstbehauptung und ein Ausprobieren (was passiert, wenn ich dies tue?). Sie hat es vermieden, in strafendem Ton das Verhalten als Aggression zu interpretieren. Auch hat sie die Kinder nicht sofort getrennt. Es ist ihr bekannt, dass schon Babys kurz später da weiter fahren, wo sie von Erwachsenen unterbrochen worden sind! Die Betreuerin Sandra hat sich grundlegendes entwicklungspsychologisches Wissen angeeignet. Und Sie strebt eine professionelle Haltung an, indem sie sich bemüht, die Sicht der Kinder wahrzunehmen und von den eigenen Gefühlen und Ansichten zu trennen. Vor allem liegt ihr sehr daran, zu jedem Kind eine tragfähige Beziehung aufzubauen. Mit ihrer Haltung und ihrem Verhalten trägt sie Wesentliches bei zu einer förderlichen Gruppenatmosphäre.

Weshalb beissen kleine Kinder? Im zweiten Halbjahr beissen Babys, weil ihre Zähne sich melden und deshalb die Gaumen jucken. So ist ihre Beisslust ein natürlicher Impuls und braucht ‚Nahrung’ in Form eines Beissrings oder Veilchensteins (in der Drogerie erhältlich). Ab und zu sollen sie zur Unterstützung des Kauens – wichtig für die Essentwicklung und für die Sprachentwicklung - ein Stück hartes Brot zum Knabbern mit dem Gaumen bekommen, später auch Gemüse- oder Fruchtstückli. Kann sich das Kind selbständig fortbewegen, erfährt es erste Einschränkungen und Verbote. Es reagiert im Moment mit Ärger, der jedoch endet, sobald die Einschränkung aufhört und seine Aufmerksamkeit wechselt. Wegschubsen, Hauen, Beissen sind Mittel Spielzeug zu bekommen und somit Ausdruck von Selbstbehauptung und Neugier. Es ist keineswegs feindselig gemeint und von keiner Verletzungsabsicht begleitet. Wenn ein betroffenes Kind weint, reagiert es meistens erstaunt, verblüfft oder betreten. Babys sollen ausgiebig ihre gegenständliche Umwelt und die Reaktionen anderer Kinder sowie die der Erwachsenen erkunden dürfen – und schon erste Grenzen erfahren können, ohne als „aggressiv“ zurecht gewiesen zu werden. Ab einjährig kann das Baby Freude daran haben zu necken oder foppen. Gelegentlich verhält es sich auch lustvoll aggressiv, wenn es frustriert (unterbrochen und gestoppt) wird. Es lebt jedoch noch ganz im Hier und Jetzt, d.h. wenn die auslösende Ursache beseitigt ist, hat das Kind in diesem Alter seinen Aerger schnell vergessen. Mit ca. 18/20 Monaten macht das Kind in allen Entwicklungsbereichen einen wichtigen Schritt. Der Ärger, der durch Versagungen ausgelöst wird, verschwindet nun nicht mehr mit den Anlässen, sondern dauert an. Erklärungen dafür: - Das Kind hat nun ein Vorstellungsvermögen (innere Bilder) und kann sich einen Anlass immer wieder vorstellen. Somit bleibt der Ärger über die auslösende Situation hinaus bestehen. - Es hat ein Ichbewusstsein und schämt sich, wenn es sich in seinem (bewusst gewordenen) Selbst verletzt fühlt. Es reagiert beschämt mit Rückzug, Ärger oder Feindseligkeit, und zwar regelmässig, wenn die Anlässe sich häufen! (Zusammenfassung aus: Dornes, Martin: „Die frühe Kindheit“. 7.Auflage. Frankfurt am Main. Fischer TBVerlag. November 2002)

Fachleute betonen, dass „aggressive“ Verhaltensweisen eine normale Entwicklungsbegleitung sind: „Aggressive“ Verhaltensformen nehmen im Alter von 12 bis 17 Monaten rasch zu, sie sind mit 17 Monaten bei 80% der Kinder zu finden, erreichen im Alter von 2 Jahren die höchste Rate. Bis zum Alter von fünf Jahren nehmen sie deutlich wieder ab (zunehmende sprachliche und soziale Kompetenzen). Dabei handelt es sich überwiegend nicht um problematisches aggressives Verhalten, das gezielt gegen eine Person oder Gegenstände gerichtet ist, mit der Absicht zu zerstören oder das Gegenüber zu verletzen oder zu ängstigen. Vielmehr stehen die frühen Formen aggressiven Verhaltens meist im Dienst von Neugier, Explorationsdrang, Einfordern von Aufmerksamkeit, Kontaktsuche oder Autonomiebedürfnissen und sind oft nicht mit Ärger verbunden. So ist das Wegnehmen eines Spielzeugs anfangs in der Regel auf das Spielzeug und nicht auf das Kind ausgerichtet.“ (Papousek, M./Schieche, M./Wurmser, H. (Hrsg.): „Regulationsstörungen der frühen Kindheit“. Bern. Verlag Hans Huber. 2004.)

Als wichtige Entwicklungsaufgabe stellt sich dem zweijährigen Kind die langsame Loslösung aus der Abhängigkeit von seinen Bezugspersonen. Es will genau wissen was passiert, wenn es sich weigert, etwas zu tun. Es muss nun die Grenzen testen, ja es wagt sogar, sich in Machtkämpfe mit den allmächtigen geliebten Bezugspersonen einzulassen – trotz der Angst die Zuwendung zu verlieren. „Es wird selbständiger, und die Erwachsenen werden trotzig.“ (Juul, J.: „Das kompetente Kind“. Rowohlt TBVerlag. 2007. S. 23f). Es kann nicht „second hand“ lernen, sondern will alles selber (nun ein wichtiges Wort!) machen. Ichbewusstes Wollen, Selbermachenwollen und Selberhabenwollen – die Selbstbehauptung steht im Vordergrund. Ungünstige erzieherische Eingriffe bringen das Kind in Not: Es weiss nicht mehr ein noch aus und reagiert mit übermässig aggressivem Verhalten. Ein Teufelskreis beginnt. Und wenn nun ein 3- oder 4jähriges Kind stark aggressives Verhalten zeigt, wenn es schlägt und beisst? Es lässt sich nicht mehr so leicht „in die Schranken weisen“ und wird uns bald massive Probleme in die Gruppe bringen. Oft ist das herausfordernde Verhalten des Kleinkindes als Hilferuf (Symptom für ein Problem) zu verstehen. Dann drängt es sich auf nachzuschauen, wozu das Kind sich so verhält, d.h. auf welches seelische Ungleichgewicht es uns aufmerksam machen möchte. Begegnen wir seinem störenden bis gefährlichen Verhalten mit Drohen und Isolation, so verstärken wir sein Verhaltensmuster: Bei Abwehr, Ablehnung und Verbot dem Kind gegenüber mittels Strafe, d.h. Verurteilung und Ausschluss (Auszeit) – ohne Auswege aufzuzeigen – wird das provozierende Verhalten zementiert und die Situation spitzt sich zu…

Disziplinierende Erziehungsmassnahmen sind fragwürdig Jan-Uwe Rogge („Wenn Kinder trotzen“. Rowohlt. 2006) sagt ausdrücklich, dass die Methode Auszeit in die Familie gehört, nur auf der Basis einer tragfähigen Beziehung und nicht unter drei Jahren angewendet werden soll. Und er betont, dass es letztlich eine Technik ist und niemals die Beziehung ersetzen kann. Bisher sind die Krippen ohne Auszeit ausgekommen. Und plötzlich benützen sie als Notbehelf anscheinend diese Methode, die laut Rückmeldungen fast ausnahmslos „gar nichts bringt“ . Die Disziplinierung mit Auszeit ist Ausdruck von erzieherischer Hilflosigkeit und hat keinen Platz in ausserfamiliären Einrichtungen. Tricks und Erziehungstechniken wie Auszeit können allenfalls Kinder einschüchtern oder zeitweise ruhig stellen. Und Ermahnungen wie „Hast du gerne, wenn dir andere weh tun?“ oder „Warum hast du das getan?“ können Kleinstkinder noch gar nicht erreichen. All diese Massnahmen bringen weder den Kindern noch den Erzieherinnen Befriedigung – und schon gar keine gute Gruppenatmosphäre. Es bringt auch nichts, unangepasstes kindliches Verhalten lediglich mit familiären Ursachen zu erklären und dabei stehen zu bleiben… Wird einem Kleinstkind regelmässig böswillige Absicht und aggressives Verhalten unterstellt, und wird es mit strafender Stimme und Ausschluss in seinem Tun unterbrochen, so wird seine Selbstbehauptung ständig gehemmt. Das schafft Ärger und zunehmende Frustration. Schliesslich reagiert das Kind auf kleinste Einschränkungen automatisch sprunghaft mit aggressivem Verhalten – nicht weil dies seine

natürliche Eigenschaft ist, sondern als Ergebnis der vielen unnötigen Frustrationen durch Erwachsene. Das heisst: Dem Kind ist durch unangemessenes erzieherisches Verhalten aggressives Verhalten anerzogen worden. Man kann sagen: Je stärker Betreuerinnen dazu neigen, Neugier und Selbstbehauptung des Kindes als aggressiv zu interpretieren und je mehr sie es dafür bestrafen, desto wahrscheinlicher ist es, dass das Kind sich aggressiv entwickeln wird (Dornes, M.: „Die frühe Kindheit“. Fischer. 2002). Uebrigens ist das Wort ‚Auszeit’ dem Sport entlehnt: Auszeit bedeutet auf die Strafbank sitzen müssen! Mit der Methode Auszeit in der Krippe fühlt sich das störende Kind zurückgewiesen, ausgesperrt und von der Gruppe ausgeschlossen. Er wird traurig und wütend zugleich. Erklärungen versteht es nur ansatzweise. Was besonders folgenreich ist: Seine Gruppenposition wird äussert negativ beeinflusst, weil es zum Täter gemacht wird. So sagen die anderen Kinder bald einmal: „M. ist böse, er muss immer aufs Bänkli sitzen.“ Als Aussenseiter zur Schau gestellt, erlebt das Kleinkind Beschämung und dadurch wird sein Ärger verstärkt, worauf es erneut einen Kanal suchen muss für seine Aggression – oder aber: es „kuscht“, passt sich aus Angst an, nimmt seine Gefühle nicht mehr wahr und spürt sich bald nicht mehr. Dadurch verliert es den lebendigen gefühlsmässigen Kontakt zu sich selber. Erzwungene Isolation in der Kindergruppe grenzt an psychische Gewalt oder kann bereits psychische Gewalt sein. „Viele Eltern und Erziehungspersonen strafen ihre Kinder auch aus Unwissenheit über entwicklungspsychologische Zusammenhänge. Sie wissen nicht, dass kleine Kinder unter drei Jahren nicht ungehorsam sein können, weil sie die Folgen ihres Handelns noch gar nicht abschätzen können. Wird ein Kleinkind dafür bestraft, weil die Eltern glauben, dass es sie absichtlich ärgern wollte, ist es nicht in der Lage, einen Sinnzusammenhang zwischen seinem Verhalten und der Strafe herzustellen. Der von der Erziehungsperson gewünschte erzieherische Effekt tritt nicht ein, dafür Kränkung, Wut und Tränen – nicht selten auf beiden Seiten. Die Gefahr einer Eskalation ist gegeben. Nur wer zum Beispiel weiss, dass ein zweijähriges Kind die Folgen seines Verhaltens nicht voraussehen kann, kann erkennen, dass es nicht ungehorsam ist und dass Strafe nicht angebracht und kontraproduktiv ist.“ (Familienszenen – Wege aus der Gewalt. „Wir wollten doch gute Eltern sein“ – Gewalt gegen Säuglinge und Kleinkinder. Schweizerischer Bund für Elternbildung SBE. 2003)

Kleine Kinder lernen soziales Verhalten schrittweise, täglich… „Häufig überfordern Eltern ihre Kinder. Sie haben Erwartungen an ihre Kinder, die sie noch nicht erfüllen können.“ (R.H.Largo an der Frühlingstagung des Kinderspitals, in: TA vom 21.3.07) Nach und nach, in unzähligen Alltagssituationen lernt das Kind, was seine Bezugspersonen gut finden und was nicht. Kleine Kinder wollen lieb sein, es uns recht machen, um geliebt zu werden und dazu zu gehören. Und oft können sie es nicht, müssen aus innerem Drang nach Autonomie streben, Grenzen erfahren und testen. Während dieser entwicklungsbedingten Krise bleiben sie manchmal in überholten Verhaltensweisen stecken. Oder sie geraten in einen Teufelskreis von Aufmerksamkeit gewinnen durch störendes Verhalten. Im zweiten Lebensjahr brauchen Kleinstkinder klare Grenzen und Anleitung. Anstatt Kinder zu „bespielen“ oder zurecht zu weisen, sollten wir aufmerksam ihr Tun beobachten. Indem wir die Handlungsabsichten und Wünsche eines Babys wahrnehmen und in Worte fassen, z.B. „Es gefällt dir (nicht), dass…“, „Du möchtest gerne dieses Spielzeug“, zeigen wir ihm, dass wir es wahrnehmen und verstehen. Wir versuchen auch, ihm die Bedürfnisse anderer Kinder näher zu bringen: „Ich glaube B. tut das weh!“, „A. ist traurig, wenn du…“, „M. möchte gerne mit dir spielen“. Das zweijährige Kind gehorcht, weil es ziemlich umfassend abhängig ist und die Zuneigung, Aufmerksamkeit und Liebe seiner Bezugspersonen braucht. Es ist nicht so, dass es „genau weiss, was es darf und was nicht.“ Es ist vielmehr so, dass es die Anwesenheit und Kontrolle vertrauter Erwachsener braucht, um Regeln und Gebote einhalten zu können. Dazu ist es ja auch bereit, weil es angenommen werden möchte.

Das dreijährige Kind bemüht sich schon, selbständig Regeln und Vorschriften einzuhalten. Es bekommt zunehmend Schuldgefühle, wenn es Regeln übertritt. Jedoch schiebt es oft ausweichend anderen die Schuld zu, was aber noch nicht als Lügen bezeichnet werden darf: Das dreijährige Kind denkt stark egozentrisch (Piaget) - nicht egoistisch -, was bedeutet, dass es noch nicht fähig ist, die Sicht anderer Menschen einzunehmen. Somit können und sollten dreijährige Kinder noch nicht für unerlaubtes Tun verantwortlich gemacht werden. Das 4jährige Kind kann schon Regeln befolgen ohne genau beaufsichtigt zu werden. Bei unerwünschtem Verhalten bekommt es verstärkt Scham- und Schuldgefühle. Nach und nach entwickelt sich sein Gewissen als innere Bremse. Aus zahlreichen Untersuchungen geht hervor, dass es dem 4Jährigen gelingt, teilweise die Sichtweise anderer Menschen zu verstehen. Damit ist es auch fähig, andere bewusst irre zu führen (d.h. zu lügen). Diese Fähigkeit erlaubt es ihm aber gleichzeitig auch, sich in andere Menschen einzufühlen und auf sie Rücksicht zu nehmen. Die Einsicht in Gründe und Zusammenhänge jedoch muss zuerst noch wachsen. Das Kind wird schrittweise moralisches/soziales Verhalten lernen, vorausgesetzt es verfügt über viele Übungsmöglichkeiten, wie sie grundsätzlich in der Kindergruppe mit guter Atmosphäre gegeben sind. Realistische Erwartungen Erwachsener - zusammen mit klaren Grenzen auf der Basis einer vertrauten Beziehung - bieten dem Kind hilfreiche Begleitung und Unterstützung. Erst vom Schulkind kann zunehmend erwartet werden, dass es die Perspektive anderer Menschen einnehmen und Zusammenhänge erfassen kann, auch dass es Einsicht in Gründe für Verbote hat.

Wie begleiten wir das Kind beim sozialen Lernen: Regeln einhalten, teilen können, Rücksicht nehmen, sich anpassen…? Es gibt keine Zaubertricks und Wundermittel, Kinder gehorsam zu machen. Erzieherinnen sind aufgerufen, mit den Kindern in Beziehung zu treten und eine tragfähige Bindung aufzubauen - und sich fachlich weiter zu entwickeln. „Mit dem Buch (Babyjahre) wollte ich erreichen, dass die Eltern lernen ihre Kinder zu ‚lesen’, also ihr Verhalten besser zu verstehen. Idealerweise brauchten Eltern nämlich keine Erziehungsratschläge, sondern mehr Wissen über die kindliche Entwicklung.“ (R.H.Largo, in: NZZ vom 31.12.05) Kinder denken und lernen anders als Erwachsene. Dies zu wissen ist unsere Aufgabe, damit wir die Sicht des individuellen Kindes einnehmen können. Je nach Alter haben „aggressive“ Verhaltensformen verschiedene Ursachen und Bedeutungen. Deshalb erfordern sie auch unterschiedliches erzieherisches Handeln. Viele Fachleute bieten dazu Unterstützung an, nicht simple Tipps oder banale Forderungen, sondern entwicklungspsychologische Ueberlegungen, die uns die kleinen Kinder verstehen helfen. Die professionelle Betreuerin weiss und beachtet: 1. In der Ablösungsphase demonstriert das Kind mit den Worten NEIN und ICH deutlich seinen Willen. Es testet Reaktionen und Grenzen. Und es sucht klare Grenzen mit altersgemässen Konsequenzen. 2. Die neue Forschung belegt: Kinder lernen viel in den ersten drei Lebensjahren, auch soziales Verhalten – wo besser als in der Kindergruppe und mit nachahmenswerten erwachsenen Vorbildern? 3. Erzieherinnen schenken unerwünschtem Verhalten möglichst wenig Beachtung. Sie zeigen Interesse für die Bemühungen und Anstrengungen der Kinder, und sie drücken Zufriedenheit aus bei engagiertem Tun. 4. Unangemessenes Verhalten beim Kleinkind muss oft als Hilferuf verstanden werden: Ein so genanntes Fehlverhalten kann ein äusserst sinnvolles Signal sein und auf Schwierigkeiten im Leben des Kindes aufmerksam machen. Die Betreuerin bemüht sich deshalb um eine gute vertrauensvolle Beziehung zum Kind als Grundlage, um auf das Kind Einfluss nehmen zu können.

5. Störende Kleinkinder müssen umlernen – aber auch Erzieherinnen sollten umlernen! Verhaltensänderungen setzen voraus, dass mit dem Kind zusammen neue Interaktionsmuster gesucht und ausgehandelt werden. Bei Abwehr, Ablehnung und Verbot dem Kind gegenüber mittels Strafe, Ausschluss und Verurteilung – ohne Auswege aufzuzeigen – wird das provozierende Verhalten zementiert und die Situation spitzt sich zu. 6. Druck und gewaltsames Ausschliessen können anfänglich momentan beeindrucken, sind jedoch langfristig unwirksam und verschlechtern die Beziehung. Das Kind fühlt sich abgelehnt und zurück gestossen. Es kann mit aggressivem Verhalten oder Verweigerung die Erzieherin herausfordern und in eine negative Verhaltensspirale geraten. Wenn die Erzieherin sich hingegen bemüht, eine vertrauensvolle Beziehung zum Kind aufzubauen – durch angenehme, freudvolle gemeinsame Erfahrungen und Erlebnisse getragen -, so wird das Kind auch ein NEIN und Grenzen annehmen können. 7. Erzieherinnen sollten über Gewalt im eigenen sprachlichen Ausdruck und Umgangston nachdenken sowie über organisatorisch-strukturelle Bedingungen, welche Gewalt auf Kinder ausüben: häufiger Erzieherinnenwechsel, kleine überladene Räume, sture Regeln, fixe Abläufe, Reizüberflutung, obligatorische (langweilige oder überfordernde) geführte Sequenzen… 8. Kleine Kinder wollen sich sinnvoll beschäftigen dürfen. Es gilt ihnen günstige Rahmenbedingungen anzubieten und eine förderliche Atmosphäre zu schaffen. Kinder sind auf verständnisvoll begleitende Erzieherinnen angewiesen. 9. Eine Beziehung muss gepflegt werden mit Zuhören, Verständnis und nicht wertenden Mitteilungen in der Ich-Form, damit der Austausch spielen kann und das Kind mit seinen Gefühlen umzugehen lernt.

Professionell erziehen ist anspruchsvoll und herausfordernd – und gleichzeitig äussert bereichernd.

Meiden wir die vermeintliche Abkürzung über die Disziplinierungs-Methode Auszeit! Machen wir uns auf den Weg, Beziehungen zu den Kindern aufzubauen!

Kathy Egli