Ralf Zahn

Von der Meldung zur Reportage

Journalistisch schreiben Die Basis für professionelle Texte

Das ultimative Lehrbuch für

� � � � �

14

Volontäre Redakteure Online-Journalisten PR-Texter Blogger

Kapitel 1 Acht Fragen warten auf Antwort Informationen zu vermitteln beinhaltet die Pflicht zur Vollständigkeit. Das heißt, dass der Journalist es seinem Publikum schuldig ist, neutral, ehrlich und vor allem gewissenhaft zu sein. Das gelingt ihm am einfachsten, wenn er schon während seiner Recherche zu einem Thema und später auch beim Schreiben von vornherein eine der wichtigsten Grundregeln beherzigt:



Kenne die W-Fragen, beantworte die W-Fragen!

Gehört hat sicher schon mancher von ihnen, sich vielleicht auch schon mehr oder weniger bewusst damit beschäftigt. Was aber sind denn nun diese W-Fragen wirklich und warum sind sie so wichtig? Acht W‘s sind es, die ein guter journalistischer Schreiber zunächst sich, dann seinen Lesern beantwortet. Die Reihenfolge, wann diese W-Fragen in einem Text erscheinen, ist beinahe egal. Als Faustregel lässt sich sagen: In den ersten beiden, spätestens aber mit Ende des dritten Absatzes sollten die Antworten klar sein. Ob nun wirklich alle der acht W‘s aufgegriffen werden, hängt zudem noch von der Darstellungsform ab; denn nicht immer muss zum Beispiel das „Woher“ beantwortet werden. Kennen müssen Sie jedoch auf alle Fälle immer alle acht. Und die heißen:



WAS WER WIE WANN WO WARUM WOHER WEN

15

Kapitel 1 Acht Fragen warten auf Antwort



WAS hat sich überhaupt ereignet? Das ist naturgemäß die wichtigste W-Frage. Der Leser muss ja wissen, über was er etwas erfährt. Bei allen journalistischen Texten steht das WAS darum an erster Stelle, wird zuerst beantwortet. Bereits die Überschrift eines Textes beinhaltet die Antwort und gibt eine direkte Auskunft über den Sachverhalt. In Sekundenbruchteilen entscheidet das Gehirn, ob das Thema von Interesse ist oder nicht (weshalb die Headline einen enormen Stellenwert hat. Mehr dazu in Kapitel 4). Das WAS hält sich strikt an Fakten, das Geschehen wird klar und deutlich beim Namen genannt. Ist im Artikel ein Vorspann, also eine Einleitung vorgesehen (meist bei Zeitschriften, oft auch bei Tageszeitungen), wird dort das WAS schon etwas näher beschrieben. Im Haupttext kommen dann alle Fakten detailliert hinzu. Beispiel: Die Polizei berichtet, dass die Tat am 14. September nachts gegen 4 Uhr geschah. Mit einem Phantombild wird derzeit nach dem Täter gefahndet. Der ca. 30-jährige Mann wird als groß und korpulent beschrieben. Er habe eine Halbglatze und trug zum Tatzeitpunkt braune Cordhosen und Cowboystiefel. Die Polizei sucht nach Zeugen, die etwas zur Aufklärung der Tat beitragen können … Natürlich fehlt hier etwas ganz Elementares: Das WAS. Wir wissen aus diesem kurzen Polizeibericht nur, dass irgendetwas geschehen ist und dass nun nach einem Täter gefahndet wird, haben sogar eine einigermaßen gute Beschreibung des Mannes. Aber was er getan hat, wird erst aus der Headline ersichtlich. Die lautete in diesem Fall: Zweifache Mutter in Dresden schwer sexuell missbraucht

16

Kapitel 1 Acht Fragen warten auf Antwort

Noch deutlicher und genauer wird das WAS im Vorspann beschrieben: Dresden – Eine 35 Jahre alte Frau ist in ihrer Wohnung in Dresden von einem Unbekannten vergewaltigt worden, während ihre beiden Kinder im Zimmer nebenan schliefen. Ohne Headline und Vorspann müsste der Leser also im Dunkeln tappen. Die wichtigste Information bliebe ihm vorenthalten – und er würde den Artikel einfach überblättern, den Fernsehbericht wegzappen …



WER hat etwas getan oder gesagt? Wer handelt, wer ist von einem Ereignis betroffen? Das bedeutet, die Personen werden mit Namen (und zwar mit vollständigem, richtigem und inklusive des Alters sowie ihrer Titel und ihrer Funktionen, die sie innehaben!) genannt, die etwas mit der Geschichte zu tun haben. Würde diese Information fehlen, wüsste der Leser ja gar nicht, um wen es geht. Er könnte beim Lesen kein Verhältnis zur Person aufbauen, nichts für oder gegen diesen Menschen empfinden, ihn sich nicht vorstellen, sich nicht in ihn hineinversetzen. Die meisten journalistischen Texte handeln von Personen. Auch wenn es um einen reinen Sachverhalt geht, erhält die Nachricht erst ein „Gesicht“, wenn über Personen berichtet wird. Andere journalistische Darstellungsformen wie beispielsweise Interviews sind ohne Interviewpartner gar nicht denkbar. Nachrichten aus Politik und Wirtschaft haben ebenfalls so gut wie immer mit handelnden oder etwas sagenden Menschen zu tun. Und Boulevardartikel kümmern sich ohnehin ausschließlich um gekrönte Häupter, Stars und Starletts, Skandalnudeln und Prominente sämtlicher Kategorien – Menschen also, die etwas erzählen, die etwas zu sagen haben (oder auch manchmal nicht …).

17

Kapitel 1 Acht Fragen warten auf Antwort

Selbst reine Sachberichte leben davon, bekommen einen „Unterhaltungswert“, dreht es sich im Text um Menschen. Die Schreckensnachricht vom Tsunami am 26. Dezember 2004 hätte wohl kaum so viel Entsetzen weltweit ausgelöst, wäre lediglich von einer großen Welle die Rede gewesen, die einige asiatische Länder verwüstete. Nein, es waren die Opfer, mehr als 230.000 Menschen, die dieses verheerende Naturereignis nicht überlebten – und die in den Emotionen der Leser und Zuschauer eben jenes unvergleichliche Entsetzen verursachten. In allen Nachrichtenmedien wurde über Betroffene berichtet, die ihr Hab und Gut verloren hatten und verletzt waren. Über vermisste Personen, Helfer, die vor Ort nach Überlebenden suchten, Regierungsmitglieder, die das Gebiet besuchten und schnelle Hilfe versprachen … Nun ist leider genau diese enorme Zahl der Opfer ein Problem für die Gefühlswelt der meisten Menschen. 230.000 sind eine Masse, zu der man kaum Emotionen aufbauen kann, die anonym bleibt, unvorstellbar. Um zu berühren, sollten Sie deshalb auch Einzelschicksale ausfindig machen. Eine Familie, die von der Riesenwelle überrascht wurde zum Beispiel, die ihr Heim, schlimmstenfalls sogar Verwandte und Freunde verloren hat. Noch näher kommt man als Reporter seinem Publikum, wenn es gelingt, diese Einzelschicksale aus dem näheren Umfeld, der gewohnten Erlebniswelt der Leser, Hörer und Zuschauer zu finden. Mit anderen Worten, die vielleicht kaltherzig klingen, für den professionellen Schreiber jedoch unerlässlich sind: Befinden sich Deutsche unter den Opfern, gehen deren Schicksale deutschen Lesern wesentlich näher als die der Betroffenen anderer Nationen. Schaut man sich die Nachrichten im Fernsehen an, wird bei einem Bericht über eine Katastrophe auch immer erwähnt, ob sich Deutsche unter den Opfern befanden und wenn ja, wie viele. Ein Bericht über die Olympischen Spiele erregt uns mehr, wenn ein Deutscher eine Medaille gewonnen hat. Ein Artikel in der örtlichen

18

Kapitel 1 Acht Fragen warten auf Antwort

Zeitung interessiert uns umso eher, wenn darin von jemandem die Rede ist, der in unserer Nachbarschaft wohnt. Das hat nichts mit Voyeurismus zu tun, sondern gibt dem Leser die Möglichkeit, sich mit dem Schicksal der Menschen identifizieren zu können. Und das gelingt nunmal wesentlich leichter mit einer vorstellbaren Anzahl von Menschen als mit einer unüberschaubaren, nicht nachvollziehbaren Menge von Tragödien, mit Nähe eher als mit Ferne. Einen Sachverhalt „herunterbrechen“ nennt man das im journalistischen Fachjargon. Was nichts anderes heißt, als das Ereignis, ist es auch noch so groß, für den Leser in überschaubare „Häppchen“ für ihre Erlebniswelt aufzuteilen, es dadurch verständlich zu machen und mit Hilfe von Personen näherzubringen. Beispiel: Bei einer Verkehrskontrolle in Südengland kam es am Dienstag zu einer Schießerei zwischen einem Mann und Ordnungskräften, bei der ein Polizist ums Leben kam … Diese Nachricht ist an sich ja schon schlimm genug. Noch näher aber wirkt sie, wenn sie allein schon durch den Namen des Polizisten erweitert wird: Bei einer Verkehrskontrolle in Südengland kam es am Dienstag zu einer Schießerei zwischen einem Mann und Ordnungskräften, bei der John Dubbles, ein 34-jähriger Polizist aus Plymouth, ums Leben kam … Wollen wir jetzt noch größere Emotionen bei unserem wahrscheinlich deutschen Publikum hervorrufen, können wir die Nachricht um eine Information erweitern:

19

Kapitel 1 Acht Fragen warten auf Antwort

Bei einer Verkehrskontrolle in Südengland kam es am Dienstag zu einer Schießerei zwischen einem Mann und Ordnungskräften. Dabei kam ein Polizist ums Leben, eine deutsche Touristin aus Offenburg wurde lebensgefährlich verletzt … Dieses Spiel mit der Nähe zur Leserschaft, mit den Gefühlen lässt sich fast endlos ausdehnen. Allzu „dick auftragen“ sollten Sie aber nicht – zumindest dann nicht, wenn Sie für eine Zeitung oder ein Nachrichtenmagazin im Web schreiben. Bei einem reinen Frauenmagazin wiederum können gar nicht genug Emotionen geweckt werden.



WIE ist etwas geschehen, hat sich etwas zugetragen? Hier werden die näheren Umstände eines Ereignisses beschrieben. Beim WIE geht es darum, wie beispielsweise Beteiligte des Ereignisses, Zeugen oder Betroffene reagiert haben, wie sie alles erlebt haben, wie es zu alldem hat kommen können. Ohne das WIE bleibt ein Text distanziert und kühl. Vor allem fehlen dem Leser Hintergrundinformationen, die ihn vieles erst verstehen lassen. Beispiel: Die Polizei meldet, dass es am späten Freitagabend auf der A 8 bei Pforzheim zu einem Auffahrunfall mit zwölf beteiligten Fahrzeugen kam … Was jetzt natürlich jeden interessiert: WIE hatte es überhaupt zu dem Unfall kommen können? Sicher haben nicht alle Fahrer geschlafen … Wie hat der eine oder andere den Crash erlebt? Wie beurteilen Zeugen und Betroffene das Verhalten der anderen, wie den Einsatz der Rettungskräfte und der Polizei …?

20

Kapitel 1 Acht Fragen warten auf Antwort

Um diese Fragen zu beantworten, könnte ein erweiterter Bericht in etwa so aussehen: Wie die Polizei mitteilt, ist es am späten Freitagabend auf der A 8 in der Nähe von Pforzheim bei schwerem Nebel zu einem Auffahrunfall mit zwölf beteiligten Fahrzeugen gekommen … Die Wie-Frage dient der Erklärung. Hier können Sie zeigen, dass Sie gut recherchiert und mit wichtigen Personen gesprochen haben, dass Sie selbst bestens informiert sind. Dem Leser zeigt dies Fachkompetenz. Zum anderen weckt die Beantwortung der WieFrage auch Mitgefühl, Betroffenheit und Verständnis, weil nach und nach sozusagen eine ganze Geschichte rund um ein Ereignis erzählt wird. Ein guter Roman erklärt ja auch, wie es zu den Begebenheiten kommen konnte, die beschrieben werden. Aber Vorsicht: Auch beim WIE kommt es auf die journalistische Darstellungsform an. Im Bericht ist die Frage – und ihre Beantwortung – wichtig. In der Nachricht hat sie eher nichts zu suchen (mehr dazu in Kapitel 3).



WANN hat sich etwas ereignet? Auch dies ist eine extrem wichtige Information für den Leser. Gerade in der heutigen Zeit, in der Nachrichten in Sekundenschnelle um den Globus rasen, ist der zeitliche Aspekt immer zu beachten. Das heißt, dass der Journalist den Zeitpunkt des Geschehens so genau wie möglich zu benennen hat. „Vergangene Woche gab es eine Massenkarambolage auf der A 8“ wäre ein journalistischer Fauxpas, der nicht wieder gutzumachen ist. Zumindest der Wochentag und die Tageszeit, wenn möglich auch die Uhrzeit, wären bei diesem Beispiel Pflicht. Denn für den Leser ist es ja wichtig zu wissen, ob sich ein solcher Unfall während des morgendlichen Berufsverkehrs ereignet hat oder mitten in der Nacht.

21

Kapitel 1 Acht Fragen warten auf Antwort

Bei ausführlicheren Darstellungsformen wie zum Beispiel der Reportage ist es gut möglich, dass weitere Details zum Wann beantwortet werden müssen. Hat sich etwas beispielsweise aufgrund eines zurückliegenden Ereignisses ergeben, wäre es natürlich interessant, die Zeitspanne zwischen Ursache und Auswirkung zu kennen. Bleiben wir als Beispiel bei den nachrichtlich so beliebten Katastrophen. Dass gestern ein Flugzeug gegen 14.00 Uhr plötzlich von den Radarschirmen verschwunden und vermutlich abgestürzt ist, kann nur ein Teil der Meldung sein. Wichtig ist auch, wann es wo abgeflogen ist und wann es wo ankommen sollte. Weitere spannende Details: Seit wann sind die Suchmannschaften unterwegs, wann wird mit dem Auffinden des Wracks gerechnet, wann werden die Angehörigen der Passagiere informiert etc. Beispiel: Wie die Polizei mitteilt, ist es am Freitagabend gegen 21.00 Uhr auf der A 8 in der Nähe von Pforzheim bei schwerem Nebel zu einem Auffahrunfall mit zwölf Fahrzeugen gekommen …



WO ist all das, worüber berichtet wird, geschehen? Auch hier heißt es wieder: Genau arbeiten! Exakte Ortsangaben wecken einmal mehr das Gefühl im Leser, „hautnah am Geschehen“ gewesen zu sein. Viele kennen zum Beispiel den Ort, an dem etwas passiert ist, haben womöglich Bekannte oder gar Verwandte dort oder in der Nähe. Auch Ereignisse, die in Urlaubsregionen stattfinden, erregen Anteilnahme – zumindest bei Menschen, die schon einmal ihre Ferien dort verbracht haben. Nicht zuletzt ist die genaue Ortsangabe natürlich wichtig, wenn es sich um einen Vorfall handelt, von dessen Auswirkungen andere, unbeteiligte Menschen betroffen sein können. „Ein zwölf Kilometer langer Stau in der Nähe von Stuttgart“ wäre eine Information, die

22

Kapitel 1 Acht Fragen warten auf Antwort

keinem wirklich etwas nützt. Stehen die Fahrzeuge jedoch auf der A 8 zwischen Leonberg und Stuttgart, können Autofahrer dieses Teilstück umfahren, wenn sie die Nachricht rechtzeitig bekommen.



WARUM konnte das, was geschehen ist, überhaupt passieren? Diese Frage hat in der Meldung nichts zu suchen. In der Nachricht taucht die WARUM-Frage relativ weit hinten im Text auf. Sie ist – journalistisch gesehen – bei dieser Darstellungsform eher zweitrangig. Reportage, Feature, Glosse oder auch Kommentar hingegen leben regelrecht von der Antwort auf die Frage nach dem WARUM. Hier hat der Journalist die Aufgabe und die Möglichkeit, Hintergründe zu beleuchten, die Ursachen zu erklären und Schlussfolgerungen zu ziehen. Dem Leser, Hörer oder Zuschauer werden Zusammenhänge erläutert, die zum Ereignis führten, auch mögliche Konsequenzen können dargestellt werden. Beispiel: Wie die Polizei mitteilt, ist es am Freitagabend gegen 21.00 Uhr auf der A 8 in der Nähe von Pforzheim bei schwerem Nebel zu einem Auffahrunfall mit zwölf Fahrzeugen gekommen. Immer wieder stoßen Verkehrsteilnehmer an dieser Stelle überraschend auf dichte Nebelbänke, da dort unmittelbar neben der Fahrbahn Feuchtwiesen liegen. Von diesen steige je nach Temperatur „eine Suppe auf, in der man keine zwei Meter weit sehen kann“, so ein Anwohner …



WOHER stammen die Informationen? Das heißt, dass die Quelle des Journalisten angegeben werden muss. Zum einen kann er damit beweisen, dass seine „Informanten“, meist Presseagenturen oder Pressestellen öffentlicher Ämter und

23

Kapitel 1 Acht Fragen warten auf Antwort

Behörden, seriös sind. Zum anderen steht er damit auch fester auf der Seite des Rechtes; handelt es sich um eine nicht nachrecherchierte Fehlinformation, kann ein Schreiber unter Umständen sogar haftbar gemacht werden! Beispiel:

Hawaii: Mann verhindert Selbstmord und stirbt dabei Tragisches Unglück auf Hawaii: Ein 19 Jahre alter Mann will sich mit einem Sprung aus dem 14. Stock eines Studentenheimes das Leben nehmen. Ein zweiter junger Mann will das verhindern – und stirbt dabei. Der 19-Jährige überlebt schwer verletzt. Der 24 Jahre alte Retter habe am Sonntag versucht, den offenbar verstörten 19-Jährigen von einem Vorsprung zu ziehen, nachdem dieser aus einem Fenster gestiegen sei. Dabei seien beide abgestürzt und schwer verletzt in ein Krankenhaus gebracht worden. Dort sei der ältere der beiden gestorben. Der 19-Jährige befindet sich im kritischen Zustand. Keiner von beiden sei Student der Universität von Hawaii gewesen, sagte der Sprecher der Universität, Dan Meisenzahl … (AP/dpa) In diesem Bericht haben wir sogar gleich mehrere Quellen, auf die sich der Verfasser berufen kann: zum einen die beiden Pressebüros Associated Press (AP) und Deutsche Presse-Agentur (dpa). Aber auch ein gewisser Dan Meisenzahl, seines Zeichens Sprecher der Universität wird zitiert – also eine weitere glaubwürdige Quelle, die den Wahrheitsgehalt des Berichtes untermauert. Heutzutage bestehen Pressebüros und Agenturen meist darauf, zumindest in der Fußnote eines Textes als Quelle genannt zu wer-

24

Kapitel 1 Acht Fragen warten auf Antwort

den (wie bei obigen Beispiel). Das ist ihr gutes Recht. So weiß der Leser, dass der Schreiber nicht nur seine Phantasie bemüht hat, sondern wirklich mit Menschen gesprochen hat, die näher am Geschehen waren als er selbst – und sollten es auch „nur“ die Mitarbeiter der Agentur gewesen sein, die quasi in seinem Auftrag die Ereignisse vor Ort recherchiert haben. Handelt es sich dann bei der Nachricht trotzdem um eine sogenannte „Ente“, kann sich der Schreiber wenigstens auf seine Quelle berufen und ihr sozusagen den Wahrscheinlich stammt die Bezeichnung „Ente“ für Schwarzen Peter eine Falschmeldung aus dem Englischen. zuschieben. Und Meldungen, deren Wahrheitsgehalt nicht bewiesen auch der Journalist war und die dennoch gedruckt wurden, bekamen das selbst sollte wenn Kürzel N. T. für „not testified“ – nicht überprüft möglich seinen Namen unter den Artikel setzen, den er verfasst hat. Auf diese Art bringt er sich selbst, seine Person, dem Leser näher – und er trägt eine größere Verantwortung für das, was er geschrieben hat. Ganz nach dem Motto: „Dafür stehe ich mit meinem guten Namen …“



WEN interessiert das überhaupt? Was zunächst wie eine etwas flapsige, vielleicht sogar sarkastische Frage angesichts der heutigen Verbreitungszahlen einiger Medien klingt, gewinnt bei näherer Betrachtung doch enorm an Gewicht. Denn das achte W, WEN, fragt nach der Zielgruppe, für die man schreibt. Die Leser einer wöchentlich erscheinenden Frauenzeitschrift interessiert der Stau am Freitag auf der A 8 nicht. Reine Meldungen oder Nachrichten sind für diese Zielgruppe ebenfalls eher uninteressant. Sie bekommen durch die Erscheinungsweise ihres Mediums

25

Kapitel 1 Acht Fragen warten auf Antwort

die Meldung in aller Regel ja erst, wenn schon alles vorbei ist. Leser von Tageszeitungen hingegen wollen über das Tagesgeschehen informiert werden, Fernsehzuschauer, Radiohörer und erst recht Internetnutzer wiederum nutzen ihr jeweiliges Medium, um schnell, präzise und direkt Informationen über Ereignisse und aktuelle Entwicklungen einzuholen. Bei der Frage nach dem WEN darf deshalb auch auf keinen Fall die Nutzerstruktur nicht außer Acht gelassen werden. Als Leitsatz kann folgende Regel aufgestellt werden:



Das Medium bestimmt die Form!

Das heißt, dass Sie als Journalist wenigstens im Groben Ihre Leser, Zuschauer oder Hörer kennen sollten. Nutzer einiger Medien wollen eher unterhalten als informiert werden. Nehmen wir auch hier das Beispiel der wöchentlichen Frauenzeitschrift. Da kommt es auf gefühlsbetonte Texte an, Interviews mit Prominenten, Features, Hintergründe mit sogenanntem „human touch“. Die Leserschaft ist von ihrer Struktur her eher älter; dementsprechend sind Reportagen und Berichte von bekannten Persönlichkeiten, die ihrem Alter entsprechen, geeigneter als Neuigkeiten von „Big Brother“. Andere Themen gehören in eine Jugendzeitschrift, deren Zielgruppe zwischen zwölf und maximal 25 Jahren liegt. Ein Abonnent des Magazins „Spiegel“ wiederum kann mit „Klatsch und Tratsch“ aus der Welt der Königsfamilien kaum etwas anfangen. Gut recherchierte Reportagen, Kommentare oder Glossen aus Politik und Wirtschaft hingegen befriedigen sein Informationsbedürfnis. Ganz ähnlich verhält es sich im PR-Journalismus. Da wird im Grunde genommen nicht für den Endverbraucher, den Konsumenten geschrieben, sondern für den Redakteur. Dessen Aufgabe ist es, die Informationen eines PR-Artikels zu sondieren und wiederum für sein Publikum aufzubereiten.

26

Kapitel 1 Acht Fragen warten auf Antwort

Für Journalisten aller Sparten ist es deshalb enorm wichtig zu wissen, für wen sie schreiben. Wird an der Zielgruppe, am achten W vorbei getextet, kann das Handwerk noch so geübt sein – der Text wird sein Publikum nicht erreichen. Das bereits erwähnte „Herunterbrechen“, nachvollziehbar, erlebbar machen funktioniert in jeder Textgattung, wenn das WEN bedacht wird. Darum sollte es – wann immer es angebracht und für den Leser nützlich ist – angewendet werden. Nicht nur bei Schreckensmeldungen aus aller Welt, sondern zum Beispiel auch bei Medizintexten. Sie können wie der folgende im Deutschen Ärzteblatt verfasst werden und so auf Ihrem Schreibtisch landen:

Neues Valsalva-Manöver kann supraventrikuläre Tachykardie häufiger stoppen Exeter – Eine einfache Modifikation des Valsalva-Manövers hat in einer kontrollierten Studie im Lancet (2015; doi: 10.1016/ S0140-6736(15)61485-4) den Anteil der Patienten, die eine Kardioversion ihrer supraventrikulären Tachykardie erzielten verdreifacht. Das Valsalva-Manöver ist eine bekannte Methode, um eine Attacke einer supraven­trikulären Tachykardie zu beenden. Die Erfolgsrate ist merkwürdigerweise in klinischen Studien mit etwa 20 Prozent niedriger als in Laborexperimenten, wo die Hälfte der Patienten eine Kardioversion erzielt. Ein Grund könnte die verwendete Technik sein. Meistens liegen die Patienten in der Notaufnahme auf einer Liege, deren Kopfteil um 45 Grad angehoben ist. Sie werden dann gebeten für 15 Sekunden so stark in eine 10ml-Spritze zu blasen, dass sich der Kolben zu bewegen beginnt. In der REVERT-Studie, die Notfallmediziner in zehn Kliniken in

27

Kapitel 1 Acht Fragen warten auf Antwort

England durchführten, bliesen die Patienten stattdessen in ein Aneroid­manometer, um für 15 Sekunden einen Druck von 40 mmHg zu erzeugen. Nach einer anschließenden Ruhepause von 60 Sekunden, wurde ein EKG abgeleitet. Wie Andrew Appelboam vom Royal Devon & Exeter Hospital berichtet, erzielten mit diesem konven­tionellen Valsalva-Manöver nur 37 von 214 Patienten (17 Prozent) eine Kardioversion. Deutlich höher war die Erfolgsrate bei 214 weiteren Patienten, die auf eine modifizierte Variante des Valsalva-Manövers randomisiert wurden. Die Patienten erzeugten auch hier für 15 Sekunden einen Druck von 40 mmHg in dem Blutdruckmessgerät. Danach wurde jedoch die Rückenlehne flach gestellt und beide Beine des Patienten vom Hilfspersonal in gestreckter Haltung um etwa 45 Grad angehoben … Jetzt liegt es an Ihnen, dieses für Laien absolut unverständliche Fachgesimpel für Ihre Leser „herunterzubrechen“. Vielleicht so:

Neue Maßnahme kann Herzrhythmusstörungen stoppen Exeter – Eine einfache Abänderung des sogenannten ValsalvaManövers hat in einer Studie den Anteil der Patienten, die ihre Herzrhythmusstörungen in den Griff bekamen, verdreifacht. Das Valsalva-Manöver ist eine bekannte Methode, um akute Rhythmusstörungen des Herzens zu beenden. Dabei halten sich die Betroffenen die Nase zu und pressen den Mund zusammen, wobei sie versuchen, stark auszuatmen. Dadurch wird ein Druck im Kopf- und Brustbereich aufgebaut, der das Herz wieder gleichmäßiger schlagen lässt. Meistens liegen die Patienten in der Notaufnahme auf einer Liege, deren Kopfteil um 45 Grad

28

Kapitel 1 Acht Fragen warten auf Antwort

angehoben ist. Eine aktuelle Studie des Royal Devon & Exeter Hospitals hat jetzt jedoch nachgeweisen, dass Patienten ihre Rhythmusstören mit einer anderen Methode viel besser in Griff bekommen. Dabei legen sie sich nach dem Pusten flach hin, während ihre Beine vom Krankenhauspersonal in getreckter Haltung um etwa 45 Grad angehoben werden. Laut Andrew Appelboam, Leiter der Studie, zeigt diese einfache Maßnahme bei 43 Prozent der Patienten beste Erfolge … Versuchen Sie also immer, Ihre Informationen leicht verständlich für IHR Publikum zu präsentieren. Die Beziehung zwischen Drehmoment, Leistung und Drehzahl interessiert Leser von einem Fachmagazin für Bohrwerkzeuge – die eines Boulevardmagazins eher nicht. Selbst dann nicht, wenn darin zum Beispiel die neueste Bohrmaschine auf dem Markt verlost wird. Und Abonnenten der „BRAVO“ wollen wahrscheinlich nicht wissen, dass man für einen Mürbeteig 200 g Mehl mit 1 TL Backpulver, 75 g Margarine, Zucker usw. miteinander verrühren muss …

29

Kapitel 1 Acht Fragen warten auf Antwort

Übung: Sind in der folgenden Nachricht die acht W behandelt worden? Schreiben Sie alle W‘s heraus, die Sie finden, auch wenn sie mehrfach vorkommen. Ein Tipp: Das achte W kann nicht immer eindeutig identifiziert werden … Suche nach Air-France-Flieger im Atlantik wird intensiviert Nachdem Gewissheit über den Absturz der Air-France-Maschine vor Brasilien herrscht, werden die Bergungsbemühungen ausgeweitet. Marineschiffe wurden in dem Seegebiet erwartet, weitere Flugzeuge der brasilianischen Luftwaffe sollen nach Wrackteilen und Leichen suchen. Brasiliens Verteidigungsminister Nelson Jobim erklärte, geortete Trümmerteile stammten von der vermissten Maschine. Ein Awacs-Radarflugzeug soll die Region überfliegen und die Trümmerspur kartografieren. AFP WAS WER WIE WANN WO WARUM WOHER WEN

30