Jahresempfang der Akademie

Jahresempfang der Akademie Kein Weltfriede ohne globale Umweltpolitik Kein sauberes Trinkwasser, keine Sanitäranlagen, Armut und Hunger in vielen Län...
Author: Wolfgang Geier
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Jahresempfang der Akademie Kein Weltfriede ohne globale Umweltpolitik

Kein sauberes Trinkwasser, keine Sanitäranlagen, Armut und Hunger in vielen Ländern weltweit - über 1,2 Milliarden Menschen auf diesem Globus leben mit weniger als 1 US-Dollar am Tag, täglich sterben rund 6.000 Kinder in der Folge von Wassermangel und Unterernährung. Die Welt ist gespalten in arm und reich. Wie müßte eine globale Umweltpolitik gestaltet sein, die zukünftige Kriege zu vermeiden hilft?

Auf dem Jahresempfang der Akademie hielt Professor Klaus Töpfer, Executive Director des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (Nairobi), ein leidenschaftliches Plädoyer für den Erhalt der Umwelt als Grundvoraussetzung für einen dauerhaften Weltfrieden. Vor rund 400 geladenen Gästen aus Staat, Kirche und Gesellschaft erörterte der ehemalige Bundesumweltminister, welche Maßnahmen von der Weltgesellschaft ergriffen werden müßten, um einen gerechten Ausgleich zwischen arm und reich zu bewirken. Lesen Sie nachfolgend einen Auszug aus seinem Eröffnungsvortrag und Auszüge aus den Grußworten von Landesbischof Johannes Friedrich und Akademiedirektor Friedemann Greiner:

Klaus Töpfer -------------------------------

Die Umwelt ist der Reichtum der Armen Der Artikel 1 der Charta der Vereinten Nationen lautet: „Aufgabe der Vereinten Nationen ist es, effektive und kollektive Maßnahmen zur Vorsorge vor und zur Beseitigung von Bedrohungen des Friedens zu ergreifen.“ Mit Blick auf das Jahr 2003 sind wir diesem Artikel der UN Charta nicht gerecht geworden, denn das Jahr war durch blutige Kriege gekennzeichnet, die nicht durch

kollektive Entscheidungen der Vereinten Nationen legitimiert waren. Immer wieder müssen wir die gleiche erschütternden Bilanz von Kriegen ziehen: Zerstörungen, Verwüstungen, ungezählte Tote, ausgebrannte Städte und Dörfer, zerschlagene, verrohte Menschen. Immer wieder gibt es die Hoffnung auf ein Ende des Krieges, den Wiederaufbau zerstörter Landschaften und Städte, auf neuen Wohlstand. Aber leider gibt es immer wieder Enttäuschungen, Niederlagen der Humanität, Eskalationen der Gewalt und Konfrontationen. Das Vertrauen auf die „eigene Stärke“ hat zu häufig das Übergewicht – eine Stärke, die nicht in den gewichtigen Argumenten, sondern in den Gewichten von Bomben und Granaten definiert wird. Die Sprache des Krieges kann sehr leicht gesäubert werden: Wir kennen die Unwörter wie „Kollateralschäden“, „friendly fire“ oder auch „smart bombs“. Aber die Schäden, die körperlichen und die geistigen Verletzungen, bleiben ungezählt und sind unerbittlich. Sie werden durch beschönigende Worte oder durch die Abstrahierung in das Generelle, durch die Beschwörung hehrer Werte nur noch schmerzhafter, noch giftiger, noch bleibender, sobald sie als vordergründig, als kaschierend der eigentlichen Motive entlarvt werden. Haben Kriege eigentlich jemals Probleme bleibend gelöst? Oder haben sie nicht immer wieder über scheinbare Lösungen neue Probleme geschaffen? Müssen nicht die gesellschaftlichen Strukturen so verändert werden, dass die Ursachen dieser Teufelskreise endlich in Angriff genommen werden können? Ist eine Welt nicht kriegsgefährdet, in der über 1.2 Milliarden Menschen mit weniger als 1 US$ am Tag leben, in der täglich rund 6000 Kinder daran sterben, dass es für sie kein sauberes Wasser, keine Sanitäranlagen gibt? Ist eine Welt nicht kriegsgefährdet, in der die Globalisierung den Unterschied zwischen Arm und Reich nicht verringert, sondern weiter erhöht? Kofi Annan fasst das wie folgt zusammen: „Es wird weder Frieden noch Sicherheit geben, selbst für die privilegierten Menschen unter uns, in einer Welt, die geteilt bleibt zwischen extremem Wohlstand und hoffnungsloser Armut, zwischen Gesundheit und Krankheit, zwischen Wissen und Ignoranz, zwischen Freiheit und Unterdrückung.“ Ist die Friedenspolitik der Zukunft, ja bereits der Gegenwart, nicht der Einsatz für „nachhaltige Entwicklung“, also für die entschlossene Bekämpfung der Armut? Eine wirtschaftliche Entwicklung also mit sozialem Ausgleich, gesellschaftlicher Stabilität und Offenheit, die ja gerade durch Toleranz erst wertvoll wird! Kofi Annan sagt dazu: „Toleranz ist natürlich notwendig, ist essentiell. Aber Toleranz ist noch nicht genug. Nach meiner Überzeugung müssen wir weiter gehen. Wir müssen positive, aktive Anstrengungen unternehmen, mehr voneinander und übereinander zu lernen, um herauszufinden, was das Beste im anderen Glauben, in der anderen Tradition ist.“ Er hat für die Vereinten Nationen zwei Hauptziele für das Jahr 2004 festgelegt: „Unsere erste große

Aufgabe für 2004 besteht darin, dass wir die Aufmerksamkeit der Welt wieder auf die Entwicklung konzentrieren. Die zweite Aufgabe besteht darin, unser System der kollektiven Sicherheit wieder aufzubauen.“ Bekämpfung von Armut, Hunger und Unterentwicklung Armut muss auch durch den Erhalt der Leistungsfähigkeit der Natur, die Bewahrung der Schöpfung bekämpft werden. Ausbeutung und Raubbau, die keine Rücksicht nehmen auf die Bedürfnisse der zukünftigen Generationen, werden uns auch heute schon in eine Sackgasse treiben. Nicht nur als ethischer Imperativ der Rücksicht, des Respekts vor der Schöpfung! Die Natur ist das Kapital, auf dem unser Wohlstand, unser aller Leben aufgebaut ist! „Nachhaltige Entwicklung ist für mich persönlich ein moralischer und humanitärer Antrieb“, schrieb Colin Powell in UNEPs Magazin „Our Planet“ in einem Artikel unter der Überschrift „Only one Earth“. Und er fährt fort: „Aber Nachhaltige Entwicklung ist auch ein Sicherheitsimperativ. Armut, Umweltzerstörung und Hoffnungslosigkeit für Gesellschaften, für Nationen. Diese unheilige Dreifaltigkeit kann Staaten destabilisieren, ja sogar ganze Regionen.“ Jacques Chirac weist eindrücklich darauf hin, dass wir nicht gleichgültig sein können ob der wachsenden Ungleichheit, gegenüber den Realitäten der Unterernährung, des Hungers, die mehr als eine Milliarde Menschen betreffen. Viele hochentwickelte Länder predigen das „Neue Testament“ des „Handels ohne Schranken“, aber sie führen diese Liberalisierungsmantra selbst ad absurdum, indem sie ihre Märkte aus nationalen politischen Interessen und wirtschaftlichen Gründen protegieren. Die Entwicklungsländer lassen sich dies immer weniger gefallen und haben aus diesem Grund die Verhandlung der Welthandelsorganisation in Cancun im letzten Jahr scheitern lassen. Zu Recht wird gesagt, die Umwelt sei der Reichtum der Armen. Die intakte Natur stellt Medizin bereit, Nahrungsmittel, Baumaterial, Energie, spirituelle Werte, klares Wasser und Luft. Das Naturkapital ist entscheidend, da Finanzkapital fehlt und Humankapital noch nicht ausgebildet wird oder abwandert (brain drain). Ich habe diese Zusammenhänge einmal ganz unmittelbar erlebt. Im Anschluss an eine Umweltministerkonferenz in Kolumbien fuhr ich mit einigen Ministerkollegen in die Sierra Nevada de Santa Marta, einer abgelegenen und unzugänglichen Bergregion in Kolumbien. Dort lebt das Volk der Kogi-Indianer, das eigentlich von der Zivilisation noch völlig unberührt ist. Diese Kogi-Indianer lebten bislang in einer intakten Natur, die ihnen lieferte, was sie brauchten. Sie hatten reines Wasser, Nahrung, Holz und Tiere. Als wir zu ihnen kamen, waren sie jedoch verzweifelt. Die Kogis waren überzeugt, dass sie ihre Götter beleidigt hatten, denn das Wetter hatte sich gewandelt. Der Regen blieb aus oder kam in großen Mengen und zur falschen Zeit. Die Produktivität der Landwirtschaft änderte sich drastisch. Die Vorratslager wurden leerer und leerer. Es war der Klimawandel, der die Kogis arm gemacht hatte. Dies ist vielleicht ein besonders drastisches Beispiel, aber es gibt noch viele weitere. Vor allem die Entwicklungsländer, die zum Klimawandel am wenigsten beitragen, haben unter extremen

Wetterbedingungen oder fortschreitender Wüstenbildung zu leiden. Dies ist ein zutiefst unmoralisches, ein ethisches Problem. Ich nenne das eine ökologische Aggression, da unsere Wohlstandskosten auf die Ärmsten der Armen abgewälzt werden. Und zwar nicht nur im Klimabereich. Lebensgrundlage: Wasser! Viele reden über die Konflikte um Wasser. Wasser ist ja nicht eine Ressourcen-Frage, sondern Wasser ist eine Investitions- und eine Verwaltungsfrage. Weltweit werden nur etwa 10 bis 12 Prozent des gesamten Wassers in einen Kreislauf geführt, also geklärt. Wenn es möglich wäre, mehr zu investieren, ließen sich Spannungen abbauen, die sich etwa in Wassereinzugsgebieten eines Flusses ergeben. Wir haben auf der Welt mehr als 300 gemeinsam genutzte Flusseinzugsgebiete. Die Menschen, die am Oberlauf eines Flusses leben, haben ganz andere Vorstellungen von der Nutzung des Wassers als die, die am Unterlauf sind. Daher kommen Verhandlungen über rechtlich verbindliche, als gerecht empfundene Veträge einer Abrüstungspolitik gleich. Die Wahrscheinlichkeit, dass Flüsse nur noch als Abwasserkanäle das Meer erreichen, wird immer größer. Dies hat natürlich gewaltige Konsquenzen für die Unterlieger und für die hochproduktiven Küstenregionen. Die Mehrheit der Menschen dieser Welt leben an Küsten. Am Schatt el Arab z.B., vor der Küste Kuwaits, gibt es ein massenhaftes Fischsterben. Wie soll die Proteinversorgung von Millionen von Menschen in Zukunft gewährleistet werden? Wasserregelungen sind daher Investitionen in eine friedliche Zukunft. Wir brauchen naturnahe Konzepte zur Abwasserreinigung, wie sie das von UNEP verwaltete Global Programme of Action anbietet, unsere Feuchtgebiete müssen dringlich geschützt werden. Dies hat nichts mit Emotionalität zu tun, sondern mit den unmittelbaren ökonomischen Erfodernissen unserer Zeit! Nicht Kriege um Wasser sind also die Lösung, sondern Verhandlungen, Dialoge, Investitionen für Recycling und zum Wassersparen besonders in der Landwirtschaft sowie Frühwarnsysteme. Erhalt der Umwelt als oberstes Gebot zur Friedenssicherung Letztlich ist neben den Menschen die Natur die Hauptleittragende eines Krieges und verlängert damit das Leiden für die Menschen über die militärischen Konflikte hinaus. Jedes Jahr gemahnt uns am 6. November „Der Internationale Tag zur Verhinderung der Ausbeutung von Umwelt und Natur in Krieg und bewaffneten Konflikten“, dies nicht zu vergessen. Nur zu oft wird die Umwelt in Geiselhaft genommen. Brennende Ölfelder, abgeholzte Wälder, vergiftete Quellen, versandete Böden und Flüsse und durch den Einsatz von Chemiewaffen verschmutzte Luft und Ökosysteme gehören zu den traurigen Folgen. Kriege bewirken kurz- und langfristige Schäden an der Umwelt und damit bleibende Desaster für Menschen. Meine Organisation, das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP), führt daher seit 1999 Umweltbestandsaufnahmen in Ländern durch, in denen Kriege oder bewaffnete Konflikte stattgefunden haben. Wir haben bereits Berichte für den Balkan, Serbien und Montenegro,

Palästina, Afghanistan und Irak vorgelegt und haben diese Arbeit mit einer Bestandsaufnahme über Liberia nun auch in Afrika in Angriff genommen. Zwar gibt es die vier Genfer Konventionen von 1949, die das Recht der Kriegsgefangenen und der Zivilgesellschaft im Kriege beachten sollen. Artikel 35, des „Geneva Protocol I“ besagt: „Den Kriegsparteien ist untersagt, für die Kriegsführung solche Methoden anzuwenden, die darauf ausgerichtet sind oder bei denen erwartet werden muss, dass großräumige, langfristige und schwere Schäden in der Umwelt entstehen.“ Es müssen aber zusätzliche rechtlich bindende Grenzen für die kriegerische Zerstörung von Natur und Umwelt gezogen werden und Aussagen über die Auswirkungen auf die Umwelt gemacht werden. Auch die Probleme der Flüchtlinge, die ebenso irreversible Schäden durch Abholzungen und Bodendegradation verursachen können, gehören dazu. Wir brauchen ganz sicher eine auf Recht und die Achtung der Menschenrechte begründete Allianz gegen den Terror. Aber mindestens ebenso dringend brauchen wir eine Allianz für nachhaltige Entwicklung im Kampf gegen Armut, Hunger, Aids und Hoffnungslosigkeit besonders der jungen Menschen in den Slums dieser Welt. Schaffen wir es, die gleichen Beträge für diese Allianz der Entwicklung aufzubringen, wie sie so selbstverständlich im Krieg gegen den Irak verfügbar waren? Ich werde nicht müde, immer und immer wieder zu sagen, dass unsere Arbeit die vorsorgende Friedenspolitik für die Zukunft ist. Die Vereinten Nationen dürfen sich eben nicht nur damit begnügen, Blauhelme dorthin zu schicken, wo Konflikte sind, sondern müssen Grünhelme zum Einsatz bringen, bevor die Konflikte auftreten. In der Generalversammlung ist die Bekämpfung der Armut als unsere wichtigste Aufgabe ein weitgehend gemeinsamer Nenner. Dies ist in verantwortlicher Weise der Imperativ jeder internationalen Politik für Frieden und Stabilität. Deshalb müssen die Vereinten Nationen entscheidend gestärkt werden. Die Zeit ist reif für einschneidende, ja radikale Reformen.

Johannes Friedrich -----------------------------Eine globale Politik, egal in welchem Bereich, kann nur dann Erfolg haben, wenn auch eine gemeinsame Überzeugung – zumindest unter den Verantwortungsträgern – für die betreffende Sache existiert. Für diese gemeinsame Überzeugung können die Religionen viel tun. Denn die These von der „säkularen Gesellschaft“, einer Gesellschaft also, die ihre Wertüberzeugungen und damit auch ihre Politik losgelöst von den Religionen entwickelt, ist so nicht wahr geworden. Sicher: Die Rolle der Religion hat sich in den Gesellschaften Mitteleuropas gewandelt. Die Zeiten, in denen die staatlichen Gesetze in einem festgelegten Turnus sonntags von allen Kanzeln verlesen wurden, damit die Bürgerinnen und Bürger wussten, worin der von ihnen erwartete politische Gehorsam bestand, sind vorbei – Gott sei Dank. Heute erwartet weder der Staat noch die Gesellschaft, dass man sich zu einer bestimmten Religion bekennt. Wie aber in unserem Staat diese Religionsfreiheit im Alltag zu leben ist, darüber entsteht immer wieder Streit. In seiner Wolfenbütteler Rede hat der Bundespräsident sich dazu aus Anlass des 275. Geburtstags Lessings geäußert. Er sprach zum Thema „Religionsfreiheit heute – zum Verhältnis von

Staat und Religion in Deutschland“ und hat dabei natürlich an Nathan den Weisen und seine Ringparabel erinnert. Ich habe vor zwei Wochen im Münchner Residenztheater die beeindruckende Aufführung mit Rudolf Wessely als Nathan gesehen. Dabei wurde mir wieder deutlich: Lessing sagt darin nicht – wie er oft interpretiert wird – dass alle Religionen gleich wahr seien, sondern – wie es der Bundespräsident richtig zusammengefasst hat: „Menschen unterschiedlichen Glaubens – Christen, Juden, Muslime – können gleichberechtigt miteinander leben, und das ist gut für alle.“ Und er zieht die richtige Schlussfolgerung, wenn er sagt: „Der Staat schützt die Freiheit jedes Einzelnen, seinen Glauben zu leben, solange er nicht gegen das Grundgesetz verstößt. Der Staat hat aber nicht die Aufgabe festzustellen, welche Religion die bessere ist oder gar eine Religion zu bevorzugen.“ Dies ist richtig. Und für den Religionsfrieden unabdingbar. Von der Realität nicht gedeckt ist es m.E. jedoch, für diese richtige Feststellung nun den Streit um das Kopftuch heranzuziehen, wie er es tut. Denn es ist ja unbestritten: natürlich gehört es zur vom Grundgesetz geschützten Religionsfreiheit, dass Schülerinnen im Unterricht aus religiösen Gründen ein Kopftuch tragen können – ebenso wie die Verkäuferin im Kaufhaus und meinethalben sogar die Richterin. Natürlich muss eine muslimische Lehrerin im Unterricht einen Halbmond oder ein anderes schmuckähnliches Zeichen ihrer Religionszugehörigkeit tragen dürfen – wie Christinnen ein Kreuz. Das Kopftuch aber – das zu tragen für Musliminnen nur im Iran und in Saudi-Arabien Pflicht ist – ist eben nicht (nur) ein Symbol für eine Religionszugehörigkeit, sondern zugleich und darüber hinaus das Symbol für ein Frauenbild, das mit der in unserem Grundgesetz gewährleisteten Gleichberechtigung von Mann und Frau nicht zu vereinbaren ist. Es strahlt für Schülerinnen und Schüler aus muslimischen Ländern diese Bedeutung aus, unabhängig von der inneren Haltung der Trägerin des Kopftuches. Sie kann emanzipiert sein und voll auf dem Boden des Grundgesetzes stehen - was das von ihr getragene Kopftuch ausstrahlt, kann etwas ganz anderes sein. Deshalb ist es adäquat und von unserem Grundgesetz her geboten, von einer Staatsbeamtin zu verlangen, im Unterricht sich dieses Symbols zu entledigen. Wenn wir die Integration von jungen Musliminnen und Muslimen nicht erschweren wollen, müssen wir an dieser Stelle ganz klar sein. Hören wir doch auf die Stimmen der Frauen, die es besser wissen müssen als wir: auf die jungen türkischstämmigen muslimischen Abgeordneten der Grünen aus Berlin, die sich für diese Verbot einsetzen oder auf die Christin aus Deutschland, die seit 30 Jahren in einem arabischen Land lebt, wo sie seit 30 Jahren das Kopftuch tragen muss und die uns händeringend mahnt: erlaubt es nur ja nicht, dass das Kopftuch getragen wird. Der Bundespräsident schließt mit der aus meiner Sicht zu begrüßenden Feststellung, dass auch Lehrerinnen und Lehrer ihren Glauben in der Schule nicht verstecken oder verbergen sollen. Wir wollen keinen laizistischen Staat. Muslimische Lehrerinnen müssen sich auch im Unterricht zu ihrem Glauben bekennen können. Der Rat der EKD, dem anzugehören ich die Ehre habe, hat während dieser Rede zeitgleich getagt und hat diese Feststellung in einer Pressemitteilung des Ratsvorsitzenden positiv gewürdigt. Daraus resultierte eine Zeitungsschlagzeile: „Kirchen loben Raus erneute Ablehnung des Kopftuchverbotes“. Dies ist nicht zutreffend und auch der Pressemitteilung nicht zu entnehmen. Das Treffen der Leitenden Geistlichen in der EKD, das am Wochenende folgte, machte vielmehr

deutlich, dass fast alle Leitenden Geistlichen aus den von mir genannten Gründen im Prinzip für ein Verbot des Kopftuches für verbeamtete Lehrerinnen an allgemeinbildenden Schulen eintreten. Denn wir wollen, dass die Schülerinnen und Schüler durch das Verhalten der Lehrkräfte dazu hingeführt werden, die Grundrechte zu leben, die unsere Verfassung prägen. Dazu gehört auch, die Religionsfreiheit zu achten, Menschen anderer Religionen freundlich und offen gegenüber zu treten. Es ist die Grundvoraussetzung für einen Religionsfrieden, dass alle Beteiligten die Werte der anderen achten und respektieren.

Friedemann Greiner -----------------------------------Verehrte Gäste: Mit dem offiziellen Gruß an die kirchlichen Repräsentanten stellt sich die Frage, wie es um den Einfluss der christlichen Tradition, der Religion in unserem Land bestellt ist. Wir erleben Widersprüchliches! Religion wird wieder entdeckt und intelligent aufbereitet. Kirchen beteiligen sich erfolgreich an Filmproduktionen. Millionen von Kinobesuchern sind beeindruckt vom Revival Martin Luthers und seinem Eintreten für die Sache des Glaubens. Unsere Gesellschaft, alle Bürgerinnen und Bürger sind herausgefordert und nehmen Stellung im Streit um das Kopftuch und erfahren, welche enorme Bedeutung religiöse und kulturelle Prägekräfte für unser Zusammenleben, für unser eigenes Leben haben. Präsenz von Glaube und Religion ist gegeben, auch auf dem hart umkämpften Werbemarkt. „Wo Glaube ist, ist Hoffnung, und wo Hoffnung ist, geschehen Wunder“, so der Werbespruch für eine Gesichtscreme gegen Falten. Die dahinter stehende Firmenphilosophie, gerissen und raffiniert zugleich: Appelliere an das, was potentiellen Kunden heilig ist, und du wirst sie für deine kruden Heilsversprechen gewinnen! Oder es sind die Glaubenden selbst, die für ihre Überzeugung werben. In Deutschland gab es einmal große Plakate mit dem Spruch: „An Gott kommt keiner vorbei!“ Ein Schalke-Fan soll darunter geschrieben haben: „Außer Stan Libuda!“ Das war zwar eine pfiffige, aber nicht die erhoffte Reaktion! Meine Damen und Herren: Die Präsenz des Christlichen durch religiös aufgeladene Werbespots oder gutgemeinte flotte Sprüche – das wäre wohl zu wenig, um den christlichen Glauben und andere religiöse Traditionen für unser Leben als bedeutsam zu unterstreichen. Eindrucksvoll sind hingegen die Einlassungen des Philosophen Jürgen Habermas im Gespräch dieser Tage mit dem Theologen und Kardinal Joseph Ratzinger: Religion und christlicher Glaube halten die Fragen offen nach den Quellen und vorpolitischen Bedingungen einer liberalen Gesellschaft; nach einer gemeinwohl-orientierten Solidarität, die nicht verordnet werden kann, nach

einem Leben in christlichen Gemeinden, die die Sensibilität für verfehltes Leben, für das Misslingen individueller Lebensentwürfe wachhalten, eine Sensibilität, die andernorts in unserer Gesellschaft verloren gegangen ist, ohne die jedoch ein Gemeinwesen nicht wirklich gelingen kann. Diesen Fragen müssen wir nachgehen und mit unserem christlichen Reden und Tun ein Beispiel wacher Zeitgenossenschaft geben, die den Nöten und den Chancen unserer Welt zugewandt bleibt. Meine Damen und Herren: Ein Wort zur Verortung dieser Akademie in Kirche und Gesellschaft. Die Regionalbischöfin von München und Oberbayern, Frau Breit-Kessler, stellte in ihrem Bericht an die Synode fest: „Weit über die Grenzen Bayerns hinaus, in ganz Deutschland und auch im europäischen Ausland, genießt die Tutzinger Akademie den Ruf, ein hervorragender Ort des Gesprächs über Fragen der Zeit und Fragen an die Zeit zu sein“. In Respekt vor der kirchlichen Obrigkeit wollen wir diese Einschätzung nicht korrigieren, vertrauen vielmehr auf entsprechende Urteilskraft und freuen uns über dieses Zeugnis. Wenn die Akademie als produktiver Katalysator in unserer Gesellschaft segensreich wirken kann, dann habe ich das meiner hochmotivierten Studienleiterschaft zu danken, denen ich ein erkleckliches Mehr an Arbeit und Leistung abverlangen muss. Ständig das Ohr am Puls der Zeit zu haben, um die wichtigsten Fragestellungen herauszufiltern und sie punktgenau als Tagung zu plazieren, das ist der Anspruch an meine Kolleginnen und Kollegen, den sie erfolgreich einlösen. Darüber hinaus gilt es, markante Signale zu setzen, um politische und kulturelle Anstöße für unsere Gesellschaften, national wie international, zu geben: Im Mai wird zum drittenmal der „ToleranzPreis“ verliehen. Henning Mankell, der schwedische Bestsellerautor, wird ihn entgegennehmen. Die Laudatio hält Bischof Desmond Tutu aus Südafrika, die Verdienste des Preisträgers um Afrika und die dort lebenden Menschen würdigend. Im Juni laden wir zu einem Festakt anlässlich des 50-jährigen Bestehens des Politischen Clubs, dessen Impulse für die Politik in diesem Land beachtlich waren und sind. Dr. Heiner Geißler, derzeitiger Leiter des Clubs, wird dafür sorgen, dass dies so bleibt. Schließlich, meine Damen und Herren: Arbeit und Zuschnitt der Evangelischen Akademie Tutzing sind, wenn Sie so wollen, zu einem „Exportartikel“ geworden. Die Bedeutung kirchlicher Akademiearbeit für die Gestaltung eines Gemeinwesens wird dadurch anerkannt, dass wir im letzten Jahr maßgeblich an der Gründung einer Akademie in Kapstadt beteiligt waren.