Integration von blinden Kindern in die

Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Zürich Departement 1 Schulische Heilpädagogik Studienschwerpunkt PSB Studiengang 2007 – 2010 Master-Arbei...
Author: David Berger
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Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Zürich Departement 1 Schulische Heilpädagogik Studienschwerpunkt PSB Studiengang 2007 – 2010

Master-Arbeit

Integration von blinden Kindern in die Regelschule Drei Fallbeispiele zweier Schülerinnen und eines Schülers der Schule für Sehbehinderte der Stadt Zürich

Eingereicht von:

Nadja Schneemann

Vera Stössel

Huebbrunnenstrasse 7

Moorschwandstrasse 12

8627 Grüningen

8815 Horgenberg

044 382 34 90

043 244 61 01

[email protected]

[email protected]

Begleitung:

Dr. Ursula Hofer

Eingereicht am:

15.1.2010

„Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: Sie muss zur Anerkennung führen.“ (Johann Wolfgang von Goethe, aus: „Maximen und Reflexionen“)

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Dank Wir danken Susanne Dütsch, Schulleiterin der Schule für Sehbehinderte, für ihre Unterstützung, allen beteiligten Kindern, Eltern, Lehrpersonen und Schulleitern für ihre Bereitschaft, die Interviews durchführen zu können. Unser Dank gilt auch Dr. Ursula Hofer von der Hochschule für Heilpädagogik in Zürich für die Beratung und Begleitung während unseres Studiums und dieser Masterarbeit. Ein besonderes Dankeschön möchten wir unseren Partnern aussprechen: für das Verständnis während der gesamten HfH-Zeit, die moralische und kulinarische Unterstützung.

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Abstract Unsere Masterarbeit befasst sich mit der Integration von blinden Kindern in die Regelschule des Kantons Zürich. Im ersten Teil setzten wir uns mit den ‚Zehn Leitsätzen für die Umsetzung des Sonderpädagogischen Konzeptes‘ auseinander. Diese ordneten wir in den grösseren Zusammenhang der Integrationspädagogik ein und passten sie den Bedürfnissen von blinden und sehbehinderten Schülerinnen und Schüler an. Für den Forschungsteil unserer Arbeit führten wir drei Fallstudien durch. Es handelt sich dabei um zwei blinde Schülerinnen und einen blinden Schüler, welche im Sommer 2008 voll in die Regelschule ihres Wohnortes integriert wurden. Bis zu diesem Zeitpunkt besuchten alle die Schule für Sehbehinderte der Stadt Zürich und waren in die Regelschule teilintegriert. Für unsere Studie führten wir mit den Kindern, den Eltern, den Regelklassen- und B+U-Lehrpersonen sowie den Schulleitungen der jeweiligen Gemeinden Leitfadeninterviews durch. Aus den theoretischen Vorarbeiten und den Zehn Leitsätzen leiteten sich die Fragen der Interviews ab. Die Interviews wurden alle vollständig transkribiert. Die Transkripte liegen dieser Arbeit als CD bei. Mit den Methoden der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring werteten wir die Transkripte aus und leiteten dadurch unsere Kategorien deduktiv von den Zehn Leitsätzen ab. Während der Auswertung führten wir Unterkategorien ein und passten Kategorien und Unterkategorien aufgrund der Resultate induktiv an. Eine wichtige Erkenntnis unserer Forschung war, dass grundsätzlich alle beteiligten Personen der Integration in die Regelschule positiv gegenüberstehen. Bei den Rahmenbedingungen stellten wir Optimierungspotenzial fest. Diese betreffen die Entschädigung der Regelschullehrpersonen für ihren Mehraufwand, die SfS in ihrer möglichen zukünftigen Rolle als Kompetenzzentrum, die intensivere und präzisere Begleitung der Eltern sowie die Organisation der blindentechnischen Unterrichtsmaterialien.

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Inhaltsverzeichnis Abstract ......................................................................................................................................... 4 I Einleitung ..................................................................................................................................... 7 1. Ausgangslage ........................................................................................................................ 7 2. Vorverständnis und persönlicher Bezug ................................................................................ 9 3. Erläuterung und Begründung der Themenwahl .................................................................... 9 4. Forschungsfrage .................................................................................................................. 10 5. Vorgehen ............................................................................................................................. 10 6. Begriffsklärung ..................................................................................................................... 11 II Theoretischer Teil..................................................................................................................... 14 7. Integrationsdiskussion ......................................................................................................... 14 7.1 Von der Separation zur Integration ................................................................................ 14 7.2 Allgemeine Integrationspädagogik ................................................................................. 14 7.3 Schulische Integration in die Regelklasse ..................................................................... 16 7.4 Integration im Kanton Zürich .......................................................................................... 17 7.5 Integration eines blinden Kindes/Jugendlichen ............................................................. 19 7.5.1 Struktur der Didaktik ................................................................................................... 20 7.5.2 Beratung und Unterstützung ....................................................................................... 23 7.5.3 Assistenz ..................................................................................................................... 25 7.6 Sonderschulen ............................................................................................................... 26 7.7 Die Zehn Leitsätze ......................................................................................................... 27 7.8 Das Ziel der Sehbehinderten- und Blindenpädagogik ................................................... 28 7.9 Die Zehn sehbehinderten- und blindenspezifischen Leitsätze ...................................... 29 III Empirischer Teil....................................................................................................................... 31 8. Forschungsdesign ............................................................................................................... 31 9. Methodisches Vorgehen ...................................................................................................... 33 9.1 Qualitative Forschung .................................................................................................... 33 9.2 Erhebungsverfahren des Datenmaterials ...................................................................... 33 9.2.1 Expertenrunde ............................................................................................................ 33 9.2.2 Problemzentriertes Interview ...................................................................................... 34 9.2.3 Anonymisierung .......................................................................................................... 35 9.2.4 Definition der Zielgruppe ............................................................................................. 35 9.2.5 Vorbereitung der Interviewsituation ............................................................................ 36 9.2.6 Durchführung der problemzentrierten Interviews ....................................................... 37 10. Analyse und Auswertung ................................................................................................... 37 10.1 Aufbereitung der Daten ................................................................................................ 37 10.2 Qualitative Inhaltsanalyse ............................................................................................ 38 10.3 Technik und Anwendung der qualitativen Inhaltsanalyse ............................................ 38 10.4 Kategorisierung ............................................................................................................ 39 10.5 Das verwendete Kategoriensystem ............................................................................. 40 10.5.1 Codierung.................................................................................................................. 43 5

10.5.2 Interview mit L3.......................................................................................................... 44 11. Ergebnisse ......................................................................................................................... 49 11.1 Darstellung der einzelnen Kategorien .......................................................................... 49 11.1.1 Kategorie 1: Gesellschaftliche Integration ................................................................ 49 11.1.2 Kategorie 2: Eltern als Experten ............................................................................... 51 11.1.3 Kategorie 3: Integrative Beschulung ......................................................................... 53 11.1.4 Kategorie 4: Verantwortlichkeit des Kantons ............................................................ 57 11.1.5 Kategorie 5: Verantwortlichkeit der Gemeinde ......................................................... 58 11.1.6 Kategorie 6: Zusammenarbeit der Schulen .............................................................. 60 11.1.7 Kategorie 7: Tragfähigkeit ......................................................................................... 66 11.1.8 Kategorie 8: Kompetenzenerweiterte Leistungsaufträge.......................................... 68 11.1.9 Kategorie 9: Weiterbildungen und Kompetenzen ..................................................... 69 11.1.10 Kategorie 10: Ressourcen ...................................................................................... 70 11.2 Umsetzung der Zehn Leitsätze in den einzelnen Gemeinden ..................................... 73 11.2.1 Schülerin 1 (S1) ......................................................................................................... 73 11.2.2 Schülerin 2 (S2) ......................................................................................................... 74 11.2.3 Schüler 3 (S3) ............................................................................................................ 75 11.3 Schlussfolgerungen ..................................................................................................... 76 IV Schluss ................................................................................................................................... 83 12. Diskussion ......................................................................................................................... 83 13. Beantwortung der Fragestellung ....................................................................................... 88 14. Kritische Reflexion ............................................................................................................. 89 15. Ausblick ............................................................................................................................. 90 Literaturverzeichnis ..................................................................................................................... 91 Anhang I ...................................................................................................................................... 93 Anhang II ..................................................................................................................................... 95 Anhang III .................................................................................................................................... 96 Anhang IV .................................................................................................................................... 98 Anhang V ................................................................................................................................... 107

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I Einleitung 1. Ausgangslage „Einzurichten wären die Schulen so, dass die gesamte Jugend dort gebildet wird und allen alles zu lehren sei“, denn „alle Menschen, so sehr sie sich auch in ihren geistigen Anlagen voneinander unterscheiden, haben doch die gleiche Natur.“ (Comenius, 1657, In: Feuser, In: Eberwein & Mand, 2008, S. 134).

In der Schweiz und im Kanton Zürich wurde in der Pädagogik und der Sonderpädagogik über lange Zeit hinweg versucht, Gruppen von Schülerinnen und Schülern mit homogenen Lernvoraussetzungen zu bilden. Für die Regelschule wurde die Jahrgangsklasse zum Standard erhoben. Wer Schwierigkeiten in dieser Klasse hatte oder machte, wurde in verschiedenen Arten von Sonderklassen sowie diversen Stütz-und Fördermassnahmen unterstützt. Kinder mit Behinderungen, Lernschwierigkeiten und Verhaltensauffälligkeiten wurden in speziell dafür geschaffenen Sonderschulen unterrichtet. Dies entspricht nach Sander (In: Eberwein & Mand, 2008, S. 28ff.) der Phase der Separation. Auf der Ebene des Sonderschulbereichs bildeten sich gemäss den von der Schweizerischen Invalidenversicherung (IV) vorgegebenen Behinderungskategorien spezialisierte Sonderschulen. Durch eine frühe Selektion und Zuweisung in diese spezialisierten Schulungsformen sollte erreicht werden, dass möglichst alle Schülerinnen und Schüler diejenige Schulform besuchen, welche für sie am besten geeignet schien. In der Praxis bewährte sich das separative System der äusseren Differenzierung jedoch nicht durchgehend, die erhoffte Homogenität stellte sich nicht ein. Ausserdem erwiesen sich die Kriterien bei der Zuweisung zu diesen Angeboten zum Teil als ungenügend (Sonderpädagogisches Konzept, 2009, S. 8 f.; Sander, In: Eberwein & Mand, 2008, S. 29). Aufgrund der Unzufriedenheit nahm die Integrationsbewegung im Zusammenhang mit der bürgerlichen Basisbewegung der 1970-er Jahre und deren erstarkendem demokratischen Selbstbewusstsein ihren Lauf (Knauer, In: Eberwein & Knauer, 2009, S. 53). Der Druck von betroffenen Eltern, engagierten Lehrpersonen, Wissenschaftlern, Politikern und Schulbehörden bewirkte, dass eine Integration von Kindern mit Behinderung in die Regelschule heute grundsätzlich möglich geworden ist (Tanner, 2003, S. 5). Damit Integrationen immer mehr zum Schulbild gehören, musste jedoch ein Paradigmenwechsel in der Gesellschaft und der Schullandschaft stattfinden. Dieses Umdenken ist ein langwieriger Prozess, welcher noch immer in vollem Gange ist, was die Annahme des neuen Volksschulgesetzes des Kantons Zürich im Jahre 2005 bestätigt. Es hat also mehr als dreissig Jahre gedauert, bis der Gedanke der Integration den Weg in den Gesetzestext gefunden hat.

Heute stellt die Regelschule einen Ort für gemeinsames Lernen dar und steht gemäss Volksschulgesetz des Kantons Zürich allen Kindern offen. Sie gewährleistet, dass Schülerinnen und Schüler in einer Regelklasse hinsichtlich Entwicklungsstand, Lern- und Leistungsfähigkeit,

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sozialer und sprachlicher Herkunft oder Verhalten gemeinsam lernen können. Ein individualisierender und integrativer Unterricht mit entsprechenden Rahmenbedingungen fördert die Entwicklung und das Lernen aller Schülerinnen und Schüler und nutzt die Chancen der Gemeinschaft. In der Regelschule sollen sie alle die gleichen Rechte, Pflichten und Möglichkeiten haben. Die ihr anvertrauten Kinder möglichst gut und ganzheitlich zu fördern, ist ein übergeordnetes Ziel der Volksschule [http://www.vsa.zh.ch/internet/bi/vsa/de/projekte/home/Handreich.html, Materialien zur integrativen und individualisierenden Lernförderung 14.10.2009]. Der Kantonsrat und das Zürcher Volk haben sich am 5. Juni 2005 mit einem ‚Ja‘ zum neuen Volksschulgesetz des Kantons Zürich für das Prinzip der integrativen Förderung ausgesprochen. [http://www2.zhlex.zh.ch/appl/zhlex_r.nsf/WebView/B6DFC1347AA5482FC12575C1003D4B7F/$File/ 412.100_7.2.05_65.pdf, § 33-38].

Kantonsrat und Zürcher Volk folgten damit der „Erklärung von Sa-

lamanca“ aus dem Jahre 1994. Gemeinsam mit den Vereinten Nationen hält die Schweiz fest, dass jedes Kind einmalige Eigenschaften, Interessen, Fähigkeiten und Lernbedürfnisse hat. Somit sind Regelschulen mit integrativer Orientierung das beste Mittel, um diskriminierende Haltungen zu bekämpfen, den individuellen Bedürfnissen aller Kinder gerecht zu werden und eine integrierende Gesellschaft aufzubauen. Mit diesem Grundsatz wird der Erkenntnis Rechnung getragen, dass sich jeder Mensch in Bezug auf sein Lernen und seine Entwicklung von anderen Menschen unterscheidet. Es können sich alle Menschen aber nur entwickeln, wenn sie förderliche Bedingungen für das Lernen und Zusammenleben erhalten, was unabhängig von individuellen Lernvoraussetzungen und Fähigkeiten ist. Darum ist es sowohl die Aufgabe der allgemeinen Pädagogik wie auch der Sonderpädagogik, Bedürfnisse von Schülerinnen, Schülern und deren Eltern ernst zu nehmen und im Unterricht Bedingungen zu schaffen, die es ermöglichen, zusammenzuleben, miteinander und voneinander zu lernen. Die Unterstützungen für Kinder und Jugendliche mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen sollen dazu beitragen, dass alle befähigt werden, sich in die Gesellschaft zu integrieren und an ihr teilzuhaben, ihren Alltag zu bewältigen, sich Kenntnisse anzueignen und Fähigkeiten zu entwickeln, gleiche Chancen zu erhalten und Zufriedenheit zu erlangen (Handreichung Bildungsdirektion, 2007, S.3).

Am 24. November 2009 gelangte der Entwurf des neuen sonderpädagogischen Konzeptes für den Kanton Zürich in die Vernehmlassung. Dieses beschreibt die inhaltliche, organisatorische und finanzielle Ausgestaltung der sonderpädagogischen Massnahmen für Kinder und Jugendliche mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen im Alter zwischen der Geburt bis zum Abschluss des 20. Lebensjahres. Ein solches Konzept wurde notwendig, nachdem sich im Zusammenhang mit der Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (NFA) die Invalidenversicherung (IV) aus der Finanzierung und Regelung der Sonderschulung zurückgezogen hat und diese Aufgabe den Kantonen übertragen wurde. Die NFA bewirkt jedoch mehr als eine blosse Neuregelung der Finanzierung. Der Rückzug der IV bietet nun die Chance, die Volksschule als Ganzes, d.h. den Regel- und Sonderschulbereich, zu optimieren. Schnittstellen können geklärt, Synergien besser genutzt werden (Sonderpädagogisches Konzept, 2009, S. 8 f.; Neue Zürcher Zeitung, 25.11.2009). 8

Im Auftrag der Bildungsdirektion wurde das Konzept von der Abteilung ‚Sonderpädagogisches‘ des Volksschulamtes und Vertretungen des Amtes für Jugend und Berufsberatung (AJB) sowie mit der fachlichen Unterstützung der Hochschule für Heilpädagogik (HfH) erarbeitet (Sonderpädagogisches Konzept, 2009, S. 4).

2. Vorverständnis und persönlicher Bezug Wir beide, Vera und Nadja, welche diese Masterarbeit schreiben, arbeiten an der Schule für Sehbehinderte der Stadt Zürich (SfS): Vera an der Tagesschule (TS), Nadja als B+ULehrperson (Beratung und Unterstützung, ambulanter Dienst) mit in die Regelschule integrierten Kindern. Unser tägliches Arbeiten wird massgeblich vom Thema Integration beeinflusst. In der Schülerbesprechung an der SfS wird im Team entschieden, ob und wann die Integration eines Kindes aufgegleist werden soll. Veras Aufgabe ist es hier, die Integration vorzubereiten und die Teilintegration zu betreuen. Nadja ist im B+U tätig, begleitet und berät die Kinder und deren Bezugspersonen in ihrem schulischen und privaten Umfeld. Zusammen decken wir den Integrationsprozess, was die sehbehindertenspezifischen und schulischen Bereiche betrifft, nahtlos ab. Während unseres Masterstudiengangs an der interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik Zürich (HfH) mit Schwerpunkt ‚Pädagogik für Sehbehinderte und Blinde‘ (PSB) wurde uns bewusst, wie zentral das Thema Integration in unserem, wie auch in allen anderen Behindertenbereichen, ist. Im Laufe der Ausbildung wuchs das Interesse, uns intensiv mit der Integration von blinden Kindern und Jugendlichen auseinander zu setzen. Die Tatsache, dass auf das Schuljahr 2008/2009 zwei blinde Schülerinnen und ein blinder Schüler der SfS in die Regelklasse ihres Wohn- oder Nachbarortes integriert wurden, ermutigte uns, den schulischen Integrationsprozess dieser Menschen zu erforschen. Die Unterstützung und das Vertrauen der Schulleiterin der SfS und die Einwilligung aller Beteiligten bestärkten uns in diesem Vorhaben.

3. Erläuterung und Begründung der Themenwahl Im Rahmen der Umstrukturierung des neuen Volksschulgesetztes hat der Kanton Zürich Zehn Leitsätze

für

die

Entwicklung

des

Sonderpädagogischen

[http://www.vsa.zh.ch/internet/bi/vsa/de/Schulbetrieb/Sonderpaeda/ordner3.html,

hier

Konzeptes unter

erarbeitet „Leitsätze“,

14.10.2009; vgl. Kapitel 7.7]. Sie sollen den Schulgemeinden als Richtlinie bei der Erarbeitung des jeweiligen Sonderpädagogischen Konzeptes dienen. Wie weit die Inhalte der Zehn Leitsätze in den Gemeinden der drei integrierten Kinder in die Praxis umgesetzt werden, soll Forschungsgegenstand unserer Masterarbeit sein. Um ein ganzheitliches Bild der Situation zu erlangen, werden wir die drei Kinder, ihre Eltern, die Klassen- und B+U-Lehrpersonen, sowie die Schulleitungen befragen.

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4. Forschungsfrage Aus unseren Interessen und unserer momentanen Berufssituation heraus ergab sich folgende Fragestellung:

Inwiefern werden die Zehn Leitsätze für die Entwicklung des sonderpädagogischen Konzeptes des Kantons Zürich im Integrationsprozess der drei blinden Kinder umgesetzt, und in welchen Bereichen sind Optimierungen wünschenswert?

Ziel unserer Masterarbeit ist, das gewonnene Datenmaterial zu vergleichen und Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu erkennen. Mit diesen Erkenntnissen überprüfen wir, welche der Zehn Leitsätze beim jeweiligen Kind bereits umgesetzt worden sind und legen Optimierungsmöglichkeiten fest. Aus den Folgerungen werden wir Schlüsse für die weitere Arbeit in der Integration von blinden Kindern und Jugendlichen ziehen.

Um den Hintergrund der Zehn Leitsätze für die Entwicklung des sonderpädagogischen Konzeptes des Kantons Zürich verstehen zu können, werden wir uns zuerst mit der allgemeinen Integrationspädagogik und anschliessend mit der Integration von blinden Schülerinnen und Schülern in die Regelklassen auseinandersetzen (vgl. dazu Kapitel 7).

5. Vorgehen Bei der geplanten Arbeit handelt es sich um Fallstudien, in welchen wir drei Kinder und ihr schulisches Umfeld beforschen. Die beiden Schülerinnen und der Schüler eignen sich unserer Meinung nach besonders, da sie vergleichbare Integrationsverläufe aufweisen. Bewusst verzichten wir darauf, uns eingehend mit ihrer sozialen Integration sowie dem Freizeitverhalten auseinander zu setzen, weil dies den Rahmen unserer Masterarbeit sprengen würde. Die Einwilligung der drei Kinder, deren Eltern und der B+U-Lehrpersonen haben wir bereits im April 2009 eingeholt. Ausserdem hat uns die Schule für Sehbehinderte der Stadt Zürich ihre Unterstützung zugesichert.

Wir erweitern unser Verständnis von Integration im Allgemeinen und speziell im Bereich der Blindenpädagogik mit Hilfe von Fachliteratur, welche wir beim SZB, aus der Bibliothek der HfH und SfS ausleihen und Büchern, die wir erworben haben. Schwergewicht unserer Masterarbeit wird dabei auf dem Prozess der Integration von blinden Kindern liegen und vergleichen diesen mit den Zehn Leitsätzen des Kantons Zürich. Als Zweites führen wir eine empirische Untersuchung durch, in welcher wir die obgenannten Personen nach ihren Erfahrungen bezüglich des Integrationsprozesses befragen und ihre Aussagen erfassen werden. Wie bereits erwähnt, handelt es sich um Einzelfallstudien, weshalb wir die Daten qualitativ auswerten. Methodisch halten wir uns an die Inhaltsanalyse nach Mayring, 10

die eine etablierte Weise qualitativer Sozialforschung ist (Flick, 2009, S. 409). Dieser Teil unserer Forschung wird sehr zeitintensiv werden, da wir voraussichtlich 15 Interviews führen, transkribieren und auswerten. Zum Abschluss stellen wir die Auswertungen der Interviews den bestehenden Ansätzen der Integrationspädagogik gegenüber. Durch unsere Erkenntnisse, welche wir im Verlauf der Masterarbeit gewinnen werden, beabsichtigen wir, Vorschläge zu erarbeiten, um den Prozess für zukünftige Integrationen von blinden Schülerinnen und Schülern zu optimieren.

6. Begriffsklärung In diesem Kapitel werden wir die wichtigsten Begriffe unserer Masterarbeit beschreiben.

Als zentraler Begriff steht die Integration im Vordergrund. Als Teil einer umfassenden „Emanzipatorischen Sozialbewegung“ (Sander, In: Eberwein & Mand, 2008, S. 27 ff.) greift die Integrationsentwicklung weit über die Schule hinaus. Sie bezieht sich auf die Eingliederung aller Menschen mit einer „Behinderung“ und schliesst auch andere gesellschaftliche Randgruppen mit ein. Die Betroffenen selbst, hier v.a. die Behindertenorganisationen und –verbände, wehren sich seit vielen Jahren gegen Behinderungszuschreibungen und Aussonderung. Sie kämpfen für mehr Humanität, Demokratie, Autonomie und Normalisierung. Bei der Forderung nach einer Kultur der Integration und der Vielfalt, das heisst, einem gemeinsamen Leben und Lernen von Menschen mit und ohne Beeinträchtigung, handelt es sich nicht um eine Modeerscheinung, sondern um einen grundlegenden Paradigmenwechsel in der gesellschaftlichen Entwicklung. Integration oder Inclusion, wie der international verwendete Begriff lautet, ist ein verfassungsmässig garantiertes Menschenrecht (Eberwein & Knauer 2009, S. 12 f.). 1994 fand ein Weltkongress der UNESCO statt (World Conference on Special Needs Education - Access and Quality), welcher in der sog. „Salamanca-Erklärung“ (Pädagogik für besondere Bedürfnisse) mündete. Dort heisst es u.a.: „Wir fordern alle Regierungen auf und legen ihnen nahe, […] auf Gesetzes bzw. politischer Ebene das Prinzip integrativer Pädagogik anzuerkennen und alle Kinder in Regelschulen aufzunehmen […]“ (Hoelscher & Laemers, 2003, S. 130). Der Kanton Zürich orientiert sich im neuen Volksschulgesetz inhaltlich an der „SalamancaErklärung“. Leitsatz 1 der Zehn Leitsätze für die Entwicklung des sonderpädagogischen Konzepts (vgl. Kapitel 7.7) sagt nämlich: „Alle Kinder und Jugendlichen von der Geburt bis zum vollendeten 20. Altersjahr haben ein Recht auf Bildung und Förderung mit dem Ziel einer möglichst umfassenden Integration in die Gesellschaft.“

Integration aus pädagogischer Sicht bedeutet die Eingliederung von Kindern und Jugendlichen mit besonderen Bedürfnissen in die allgemeine Schule (ihres Wohn- oder Nachbarortes). In der Praxis heisst dies, dass in eine Regelklasse Kinder mit Behinderung aufgenommen werden. Es geht dabei allerdings nicht um das Hineinpassen einer Person in ein Ganzes, sondern vielmehr um das Zusammenführen, Zusammenbringen und sich Zusammenfinden von behinderten und 11

nichtbehinderten Schülerinnen und Schülern in der Gemeinschaft der allgemeinen Schule (Tanner, 2003, S. 22). Es ist dabei zwingend notwendig, dass ein Förderplan und ein duales Curriculum für die behinderten Kinder ausgearbeitet wird, dass dafür spezifisch ausgebildete Sonderpädagogen eingesetzt werden (Beyer, In: Lang, Hofer & Beyer, 2008, S. 80 ff.).

„Normalität und Abnormität“ sind zentrale Begriffe für die Grundlegung von Heil- und Sonderpädagogik. Federführend war dabei ein „medizinisches Modell“, welches „Abnormität und Behinderung“ als gesundheitlichen Defekt des jeweiligen Individuums beschrieb. Dieses Modell ist bis heute auch in der Schweiz definierend, was Invalidität, Behinderung und Krankheit betrifft, indem diese Begriffe mit einem medizinischen Kategoriensystem (ICD) abgebildet werden. Alle Schülerinnen und Schüler, die eine Diagnose nach ICD aufweisen (z.B. Sehbehinderungen), sind somit „abnorm, behindert“ und bedürfen einer besonderen Schulung in dafür geschaffenen Sonderinstitutionen (Eberwein, In: Eberwein & Mand, 2008, S. 16). Der Umgang mit Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in der Erziehungslandschaft kann als ein Nebeneinander von Separation, Kooperation und Integration beschrieben werden (Sander, In: Eberwein & Mand, 2008, S. 33). Hilfreich für die Weiterentwicklung der Integration von Schülerinnen und Schülern mit Behinderung ist die Neudefinierung der Behinderung nicht mehr nach ICD, sondern nach ICF (International Classification of Functioning). ICF unterscheidet drei Ebenen: die Ebene der Körperstrukturen und –funktionen (structure and functions), die Ebene der Aktivitäten (activity) und die Ebene der Partizipation. Die Integration hat zum Ziel, eine möglichst frühe und weitgehende Partizipation (participation) am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen (Eberwein & Mand, In: Eberwein & Mand, 2008, S. 11).

Bereits vor fast 200 Jahren waren Ansätze des heutigen Denkens in der Blindenintegrationspädagogik vorhanden. Im Jahre 1810 erkannte Johann Wilhelm Klein, Direktor des k.u.k. Blindenerziehungs-Instituts Wien, die Möglichkeit gemeinsamen Lernens blinder und sehender Kinder in der Regelschule und formulierte seine Erkenntnis in einer Denkschrift an die Regierung. Er wollte damit erreichen, dass aufgrund fehlender Platzkapazitäten an Blindeninstituten einer grösseren Anzahl blinder Kinder überhaupt eine Bildung ermöglicht wurde. Diese Idee wurde stellenweise realisiert. Bald jedoch wurde dem entgegengewirkt, denn der Unterricht von blinden Kindern in der Blindenanstalt wurde von Blindenpädagogen als der „ideale Zustand“, alles andere als „Notbehelf“ betrachtet. Es dauerte über 150 Jahre, bis die Integration blinder und sehbehinderter Kinder in Regelklassen anerkannt wurde (Beyer, In: Lang, Hofer & Beyer, 2008, S. 68 f.; Rath, 1998, S. 70). Schindele fasst in einem Resümee zahlreicher, auch eigener Studien zusammen: „Es muss angenommen werden, dass die angemessene Förderung bei einem Grossteil der sehgeschädigten Schülerinnen und Schüler in Bezug auf die Schulleistung allgemein und in zusätzlich zu fördernden Bereichen bei spezieller sehgeschädigtenpädagogischer Betreuung in Regelschulen ebenso möglich ist wie in speziellen Tages- oder Heimsonderschulen; bei solcher integrierter Beschulung kann für die in Regelschulen unterrichteten blinden und sehbehinderten Schüler eine relativ gute (wenn auch nicht mit Normalsehenden voll 12

vergleichbare) soziale Integration in die Regelklasse und angemessene (mit Nichtbehinderten vergleichbare) psycho-soziale Entwicklung und Situation erwartet werden“ (Schindele, In: Beyer, In: Lang, Hofer & Beyer, 2008, S. 69).

Von Blindheit spricht man bei Kindern und Jugendlichen, die kein Sehvermögen haben, oder ihre Sehleistung ist so gering (Visus auf dem besseren Auge ≤ 0.02), dass Wahrnehmungs- und Lernprozesse in höchstem Masse erschwert sind. Diese Schülerinnen und Schüler nehmen Informationen aus der Umwelt insbesondere über taktile, akustische, kinästhetische, haptische, gustatorische und olfaktorische Sinnessysteme auf. Im Unterricht sind Medien und Techniken auf nicht visuelles Lernen abgestimmt, wobei das eventuell noch vorhandene Sehvermögen stets gefördert wird. Beeinträchtigung der visuellen Wahrnehmung, Sehschädigungen oder Blindheit können Auswirkungen auf die gesamte Persönlichkeitsentwicklung der Kinder und Jugendlichen haben (Belgart, Drave, Lebert, Madlener, Ondrusek & Weiss-Gschwender, 2009, S. 16).

Aus den Erkenntnissen der letzten Jahre resultiert, dass die integrierte Sonderschulung als ideale Beschulung von Kindern mit Behinderung aufgefasst wird. Sie ist eine neue Form der Sonderschulung, bei der Schülerinnen und Schüler mit einer Behinderung in einer Regelklasse möglichst nahe an ihrem Wohnort von einer Regelklassenlehrperson unterrichtet und dabei von Fachpersonen einer Sonderschule unterstützt werden. Bei diesen Schulen handelt es sich jeweils um eine Volksschule im herkömmlichen Sinn. Die Schülerinnen und Schüler mit Behinderung sind administrativ einer Sonderschule zugeteilt. Diese trifft in Zusammenarbeit mit der Regelschule die notwendigen sonder- oder sozialpädagogischen Massnahmen. Zu unterscheiden von der integrierten Sonderschulung ist die Integrative Förderung IF. Sie ist eine Massnahme der Regelschule für Schülerinnen und Schüler mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen [http://www.vsa.zh.ch/internet/bi/vsa/de/Schulbetrieb/Sonderpaeda/Sonderschulu.html, unter „Rahmenkonzepte Integrierte Sonderschulung“ (Arbeitsversion) 14.10.09].

Ein wichtiges Glied innerhalb der Integration stellt B+U (Beratung und Unterstützung) dar. Die Lehrperson für ambulante Beratung und Unterstützung betreut Kinder und Jugendliche mit einer Sehbehinderung, die an ihrem Wohnort einen Kindergarten, eine Regel- oder Sonderklasse besuchen, ihre erste Ausbildung oder weiterführende Schulen absolvieren. Ausserdem begleitet sie die Kinder und Jugendlichen in integrativen Schulformen mit sehbehinderten- und blindenspezifischem Fachwissen, berät und unterstützt das schulische und ausserschulische Umfeld der Schülerin/des Schülers und vernetzt die Zusammenarbeit mit allen beteiligten Personen (Tätigkeitsprofil einer B+U-Lehrperson, 2009, S. 4).

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II Theoretischer Teil 7. Integrationsdiskussion 7.1 Von der Separation zur Integration „Der Integrationsprozess muss nicht bei allen Betroffenen zum gleichen Grad der Integriertheit führen, Integration ist keine Gleichmacherei. Auch die Menschen ohne Behinderung sind keineswegs in gleichem Masse in die Gesellschaft integriert, sondern sie sind es individuell verschieden und nach Lebensbereichen unterschiedlich.“ (Sander, In: Eberwein & Mand, 2008, S. 27).

In der Regelschule wie auch im Sonderschulbereich verstärkte sich in den letzen zehn Jahren die Tendenz, dass immer mehr Kinder und Jugendliche zu ‚Sonderfällen‘ wurden. Bis zum Ende der Primarschule erhielten mehr als 40% der Schülerinnen und Schüler eine sonderpädagogische Massnahme. Im Jahr 2008 besuchten im Kanton Zürich 3174 Kinder und Jugendliche eine Sonderschule. Im Gegensatz zu den eher auf Separation ausgerichteten Bestimmungen der IV fordern internationale Konventionen, Forschungsresultate und gesetzliche Vorgaben des Bundes eine erhöhte Durchlässigkeit der Angebote und insbesondere eine vermehrte Integration von Kindern und Jugendlichen mit erhöhtem Entwicklungs- und Bildungsbedarf in die Regelschule. Mit dem neuen Volksschulgesetz vom 7. Februar 2005 und der Verordnung über die sonderpädagogischen Massnahmen vom 11. Juli 2007 wurde auf diese Situation reagiert. Inhalt der integrativen Ausrichtung sind Umlagerungen aus separativen in integrative Angebote. Die sonderpädagogischen Angebote werden einerseits gebündelt und andererseits integrativer angelegt sein. Dies soll u.a. eine Reduktion der Sonderschulplätze zugunsten der integrativen Angebote und der Stärkung der Regelklassen der Volksschule mit sich bringen. Das Sonderpädagogische Konzept hat zum Ziel, diese Entwicklungen im Sinne einer Gesamtsicht zu koordinieren und die Vorstellung einer durchlässigen „Volksschule für Alle“ – bestehend aus dem Regel- und dem Sonderschulbereich – zu verwirklichen (Sonderpädagogisches Konzept, 2009, S. 17 ff.; Neue Zürcher Zeitung, 25.11.2009).

7.2 Allgemeine Integrationspädagogik „Wenn es normal ist, anders zu sein – und jeder von uns ist anders – wenn also die Vielfalt als Normalität angesehen wird, dann brauchen wir keine scheinbare Homogenität mehr anzustreben und bestimmte Menschen nicht mehr als Norm abweichend auszusondern.“ (Eberwein, In: Eberwein & Mand, 2008, S. 45).

Die Integrationspädagogik kann heute auf eine etwa 30-jährige Geschichte zurückblicken, in der sie zu einem wesentlichen Faktor der Schulplanung und –gestaltung gewachsen ist. Weder aus

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dem erziehungswissenschaftlichen Diskurs, noch aus der schulpolitischen Diskussion ist sie mehr wegzudenken (Knauer, In: Eberwein & Knauer, 2009, S. 53). Das Recht auf Verschiedenheit, auf Vielfalt und Eigentümlichkeit verweist nach Klafki unter pädagogischen Gesichtspunkten auf eine der zentralen Problemstellungen der modernen Welt. „Es ist die Spannung zwischen dem Anspruch auf Anerkennung gleicher Menschenrechte für alle – nicht nur als Anspruch auf formelle Rechtsgleichheit, sondern auf gleiche Zugangschancen zur Teilhabe an Lebensmöglichkeiten und zur Mitwirkung an der Gestaltung der politischgesellschaftlich- kulturellen Verhältnisse – auf der einen Seite und der Anerkennung des Rechts auf die Ausbildung von Eigentümlichkeit (…), auf Verschiedenheit individueller oder gruppenspezifischer Lebensformen, mit anderen Worten auf Anerkennung der Gleichwertigkeit des Unterschiedlichen auf der anderen Seite“ (Klafki, In: Eberwein und Knauer, 2009, S. 12). Forschungsergebnisse belegen, dass gemeinsames, also nicht separierendes Lernen nicht nur möglich ist, sondern allen Beteiligten grössere Erfahrungsspielräume gibt, ihre Lernerfolge erweitert und damit soziale Spannungen abbaut (Hinz, In: Eberwein & Mand, 2008, S. 205 ff.) Die kritisch-konstruktive Didaktik nach Klafki bildet eine wichtige Grundlage für eine Didaktik der Heterogenität. Wichtige Ziele sind die Entwicklung von Selbstbestimmung, Mitbestimmung und Solidaritätsfähigkeit, im Sinne einer chancengleichen „Bildung für alle“ (Hofer, In: Lang, Hofer & Beyer, 2008, S. 116).

Begemann meint, dass Integration nicht schon bestimmt oder erreicht ist, wenn die sogenannt behinderten Mitmenschen mit sogenannten Nichtbehinderten zusammen oder nebeneinander unterrichtet werden. Bei der Integration als Weg und Ziel geht es darum, dass jeder Mensch in seiner Originalität akzeptiert wird und lernt, dass er an unserer Gesellschaft in allen Bereichen gleichwertig teilnehmen kann. Dies bedeutet, dass er Dauerbezugspersonen hat, dass er Freude und Nachbarn haben kann, dass er in der Schule, dem Beruf oder in Vereinen Kameraden hat und mit ihnen auskommt. Er soll an allen weiteren Bereichen wie Freizeit, Verkehr, Wirtschaft, Politik und Religion teilnehmen können, ohne diskriminiert zu werden. Wenn dies das Ziel ist, dann ist es nachrangig, in welcher Schule Menschen mit oder ohne „Behinderung“ lernen und miteinander leben lernen, weil sich dann Regel- wie auch Sonderschulen verändern müssen. Darum geht es bei der Integration. Die Aufgabe lautet dann: ein Schulkonzept für Menschen, welche sich nicht typisch, sondern individuell unterscheiden, die verschiedene Lebensformen leben müssen und dürfen, welche verschiedene Ziele haben und doch gemeinsam Schule und Gemeinschaft gestalten wollen. Um dies zu erreichen, sind verschiedene theoretische und institutionelle Bedingungen zu verändern oder „Behinderungen“ zu verhindern (Begemann, In: Eberwein & Knauer, 2009, S. 126 f.).

Eines der wichtigsten Argumente für die Notwendigkeit integrativen Unterrichts ist das Lernen am positiven Modell des Mitschülerverhaltens, indem das Kind oder der Jugendliche mit einer Behinderung von den Mitschülerinnen und Mitschülern ohne Behinderung lernt. Andererseits lernt auch das Kind/Jugendliche ohne Behinderung vom Kind/Jugendlichen mit Behinderung.

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Zudem kann Verständnis, Respekt und Toleranz gegenüber Anderssein gelernt werden (Eberwein, In: Eberwein & Mand, 2008, S. 47).

Die Integrationsforschung der letzten 25 Jahre im deutschsprachigen Raum zeigt für Kinder mit Behinderungen deutliche Leistungsvorteile, wenn sie in einer allgemeinen Schule integriert. Auf der anderen Seite besteht für Schülerinnen und Schüler ohne sonderpädagogischen Förderbedarf in ihren fachlichen Leistungen kein Nachteil, wenn sie in einer integrativen Klasse geschult werden. Sozialkompetenz und Selbständigkeit wird hingegen in integrativen Klassen bei allen besser entwickelt und gefördert. Hinz meint dazu: „Gemeinsamer Unterricht ist die erfolgreichste Form sozialer Integration.“ Integrative Klassen führen ausserdem zu einer höheren Zufriedenheit der Eltern, was nicht verwunderlich ist, da die Eltern die eigentlichen Erfinder des gemeinsamen Unterrichts sind. Dies heisst, dass ohne Einsatz der Eltern und Elterninitiativen die Integrationsbewegung nicht ins Rollen geraten wäre. Besonders deutlich und positiv werden von den Eltern der Übergang von der Exklusion und Separation der Kinder/Jugendlichen mit Behinderung in die Integration in eine Regelklasse und damit die Gesellschaft am Wohnort wahrgenommen. Wesentliche Schwierigkeiten bei der Einführung und Umsetzung der Integration tauchen bei der Kooperation zwischen den Pädagogen der verschiedenen Berufsgruppen auf. Teamarbeit wird zu Beginn als ein Problem erlebt. Die Integrationsforschung konnte Teamfähigkeit als die zentrale Lehrerkompetenz für den gemeinsamen Unterricht identifizieren. Erst im Verlauf wird durch die Entwicklung eigener positiver Erfahrungen die Arbeit im Team als etwas Bereicherndes erlebt. Von Seiten der Schulbehörden kann dieser Prozess durch günstige Rahmenbedingungen gefördert werden, indem Fortbildungen, Beratungen und Supervision angeboten werden. (Hinz, In: Eberwein & Mand, 2008, S. 204 ff.; Preuss-Lausitz, In: Eberwein & Knauer, 2009, S. 464 f.).

7.3 Schulische Integration in die Regelklasse Gemäss Definition bedeutet Integration zum einen das Herstellen eines Ganzen, zum anderen die Einordnung eines Gliedes in ein Ganzes. Dies lässt sich auf einzelne Personen wie auch auf verschiedene Gruppen und die Gesellschaft beziehen. Bedeutungsvoll aus pädagogischer Sicht ist die gelingende Eingliederung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung in die Schulgemeinschaft der Regelklassen, bestenfalls an ihrem Wohnort. Es geht dabei allerdings nicht um das Hineinpassen eines Kindes oder eines Jugendlichen in ein Ganzes, sondern vielmehr um das Zusammenführen, Zusammenbringen und sich Zusammenfinden von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung und nicht behinderten Kindern und Jungendlichen in die Gemeinschaft der allgemeinen Schule (Tanner, 2003, S. 22). Nach Knauer (In: Eberwein & Knauer, 2009, S. 59) muss sich dieser Prozess aber in wechselseitiger Annäherung vollziehen, in gegenseitiger Akzeptanz und im aufrichtigen Interesse füreinander. Der gemeinsame Unterricht in heterogenen Lerngruppen ist das grundlegende Konzept für die schulische Integration von behinderten und nicht behinderten Schülerinnen und Schülern. Erleichternd wirken sich bei der 16

Umsetzung der Integrationspädagogik die Reformen im Zusammenhang mit dem neuen Volksschulgesetz des Kantons Zürich aus. Das angepasste Grundverständnis von Methodik und Didaktik entspricht den integrationspädagogischen Erfordernissen fast vollumfänglich. Soziales Lernen in der Gruppe, ganzheitliches Lernen unter Einbezug aller Sinne und Lernen als aktive Aneignung in selbstgesteuerten Handlungen sind Prinzipien, welche die Integration von Kindern mit einer Behinderung in stimmiger Weise ermöglichen. Kinder und Jugendliche erleben sich dann als gleichwertiges Mitglied der Gemeinschaft, wenn sie merken, dass ihre menschlichen Qualitäten das Zusammensein stärker bestimmen als ihre Schulleistungen (Tanner, 2003, S. 23).

Zum einen bedeutet der Unterricht in einer Sonderschule eine auf die besonderen Bedürfnisse angepasste Förderung durch spezifisch ausgebildetes Personal. Andererseits heisst eine Sonderschule zu besuchen für die/den als behindertendefinierte/n Schülerin oder Schüler, dass er/sie die bisherige personale und soziale Identität verliert, als behindert etikettiert, stigmatisiert und diskriminiert wird. Des Weiteren werden die Berufsaussichten und die allgemeine Lebensperspektive ungünstig beeinflusst (Eberwein, In: Eberwein & Mand, 2008, S. 46).

Damit Integration in Regelklassen gelingen kann, muss die heute noch herrschende Regel- und Sonderpädagogik in eine echte allgemeine Pädagogik überführt werden. Wesentliche Elemente dieser Pädagogik betreffen das Menschenbild, die Sozialform, das didaktische Fundament und die innere Differenzierung. Das Menschenbild muss sich weiter entwickeln von einer defektbezogenen Definition der Behinderten zu einer Sichtweise, dass jeder Mensch eine integrierte Einheit aus Biologischem, Psychischem und Sozialem ist. Die Sozialform der Regelklasse muss sich von dem Idealbild grösstmöglicher Homogenität zu dem Ideal grösstmöglicher Heterogenität innerhalb einer Klasse weiterentwickeln. Als didaktisches Fundament soll die Kooperation aller Kinder oder Jugendlichen und das Lernen am gemeinsamen Gegenstand in Form von offenem Unterricht (u.a. Projektunterricht, Werkstattarbeit) ermöglicht werden. Die äussere Differenzierung in hierarchische Schulformen und verschiedene Sonderschultypen (Segregation/Separation/Exklusion) werden abgelöst durch eine integrative, interkulturelle, jahrgangs- und klassenübergreifende Lerngruppe, in der entwicklungslogisch und biografieorientiert individualisiert und binnendifferenziert wird (Feuser, In: Eberwein & Knauer, 2009, S. 280 ff.). So könnte das von Klafki formulierte Postulat „Bildung für alle“ eingelöst werden (Klafki, In: Berner, 1999, S. 79).

7.4 Integration im Kanton Zürich Wie bereits unter Kapitel 1 erwähnt, wurde im Kanton Zürich in der bisherigen Entwicklung des Schulsystems versucht, Gruppen von Schülerinnen und Schülern mit homogenen, also möglichst gleichen Lernvoraussetzungen zu bilden. Durch die Selektion und Zuweisung zu differenzierten Schulformen und Leistungsgruppen sollte erreicht werden, dass möglichst alle Schülerinnen und Schüler diejenige Schulform besuchen, welche am besten für sie geeignet ist und in 17

welcher sie gemäss ihren Lernvoraussetzungen und Fähigkeiten gefördert werden. Obschon der Grundgedanke der individuell angepassten Förderung richtig ist, bewährt sich dieses separative System in der Regel nicht. Kinder mit besonderen Lernvoraussetzungen können entgegen den Erwartungen in besonderen Klassen nicht besser gefördert werden als in der Regelschule. Verschiedene Studien belegen, dass sich die Schulung in der Regelklasse positiver auf ihr Lernen auswirkt. Andere Formen der äusseren Differenzierung, wie zum Beispiel die Wiederholung einer Klasse, können die Erwartungen in der Praxis ebenfalls selten erfüllen. In den vergangenen zehn Jahren hat der Anteil der aus der Regelklasse ausgesonderten Kinder im Kanton Zürich rund um die Hälfte zugenommen. Dieser Anstieg führt nicht nur pädagogisch, sondern auch ökonomisch an die Grenze des Sinnvollen und Machbaren.

Die Integration beeinflusst die Lernentwicklung von Kindern mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen positiv. Das gilt für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen, aber auch für solche mit erschwerten Lern- und Verhaltensvoraussetzungen und damit auch für Kinder, die Deutsch als Zweitsprache lernen sowie für besonders begabte Kinder: •

Die Lernfortschritte schulleistungsschwacher Schülerinnen und Schüler sind bei integrativer Schulung signifikant besser als in einer Besonderen Klasse.



Das Lernen der deutschen Sprache verläuft in integrativen Fördermodellen schneller als in separativen Angeboten.



Die schulleistungsstärkeren Schülerinnen und Schüler werden durch die Integration in ihrer Lernentwicklung nicht „gebremst“. Ein Unterricht, der individuelle Lernvoraussetzungen berücksichtigt, kommt allen entgegen. Insbesondere werden auch Schülerinnen und Schüler mit ausgeprägter Begabung ihrem Leistungsniveau entsprechend gefordert und gefördert.



Die Selbsteinschätzung von integrativ geschulten Schülerinnen und Schülern mit Lernund Leistungsschwierigkeiten ist adäquater und passt eher zu ihrer tatsächlichen Schulleistungsfähigkeit. Viele separativ geschulten Kinder und Jugendliche müssen spätestens beim Schulaustritt ihre Selbsteinschätzung nach unten korrigieren.



Die langfristigen Auswirkungen von Integration zeigen, dass Erwachsene, die als Kind und Jugendliche integrativ geschult wurden, sich biografisch und beruflich positiver entwickelten als Erwachsene, die separativ geschult wurden. Sie sind den Absolventinnen und Absolventen von Besonderen Klassen bezüglich Lese- und Rechtschreibkompetenz sowie im Rechnen deutlich überlegen.



Der Integration gegenüber sind Eltern und Lehrpersonen insgesamt positiv eingestellt.

(Handreichung Bildungsdirektion, 2007, S. 4)

Diese Erkenntnisse flossen in das sonderpädagogische Konzept des Kantons Zürich ein, welches im November 2009 in die Vernehmlassung gelangte.

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Für eine Integration sprechen schliesslich auch die Resultate und Analysen der aktuellen PISAStudien: Vergleiche der Schulleistungen am Ende der obligatorischen Schulpflicht zeigen, dass Bildungssysteme, in welchen die integrative Gestaltung des Unterrichts und eine positive Bewertung bzw. eine bewusste Förderung von Heterogenität die Regel ist, bezüglich Chancengleichheit besser abschneiden. Es gibt vereinzelt Schülerinnen und Schüler, welche eine umfangreichere Unterstützung benötigen, als sie die integrativen Schulungsformen bieten können. In solchen Fällen kann ein vorübergehender Aufenthalt des Kindes oder des Jugendlichen in einer Sonderschule oder in einer Besonderen Klasse sinnvoll sein. Unter Einbezug der Eltern und auf der Grundlage eines Schulischen Standortgesprächs sowie einer fachlichen Abklärung kann eine Schülerin oder ein Schüler in eine Sonderschule oder in eine Besondere Klasse überwiesen werden.

Mit der integrierten Sonderschulung ist es nun möglich, auch Schülerinnen und Schüler, die bisher in einer Sonder- oder Heimsonderschule unterrichtet wurden, mit zusätzlichen Ressourcen aus der Sonderschule integrativ in den Regelklassen zu schulen. Eine integrative, tragfähige Gestaltung der Regelschule erfordert Veränderungen in der Zusammenarbeit der Beteiligten (Lehrpersonen, Fachpersonen, Eltern, Schulleitung, Schulbehörden). So werden Probleme nicht an aussenstehende Experten delegiert, sondern gemeinsam und unter Einbezug verschiedener

fachlicher

Ressourcen

innerhalb

der

Regelschule

zu

lösen

versucht

[http://www.vsa.zh.ch/internet/bi/vsa/de/projekte/home/Handreich.html, S.4]. Erfahrungen aus Deutschland zeigen, dass eine erhebliche Anpassung und Änderung des Unterrichts stattfinden muss, soll eine Integration erfolgreich sein. Neben der Regelschullehrperson braucht es die Mitwirkung durch eine sonderpädagogische Lehrkraft. Diese sollte mindestens stundenweise, besser noch permanent anwesend sein (Zweilehrer-System, Teamteaching). Dies erfordert ein hohes Mass an Kooperationsfähigkeit der Lehrpersonen. Des Weiteren muss festgelegt werden, ob und welche der integrierten Schülerinnen und Schüler mit Behinderung zielgleich oder zieldifferent unterrichtet werden sollen. Dies kann je nach Unterrichtsfach variieren. Gemeinsamer Unterricht, insbesondere in der zieldifferenten Form, führt zu einer genaueren Einschätzung der Fähigkeiten des einzelnen Kindes oder Jugendlichen, betont die Heterogenität und führt zu einer Binnendifferenzierung des Unterrichts (Sander, In: Eberwein & Mand, 2008, S. 32).

7.5 Integration eines blinden Kindes/Jugendlichen Die Rahmenbedingungen für die Integration eines blinden Kindes oder Jugendlichen müssen auf die Besonderheiten dieser Behinderung angepasst werden. Die Blindheit kann hierbei als intervenierende Variable verstanden werden, welche sich auf sämtliche Entwicklungsbereiche auswirkt (Hudelmayer, In: Lang, Hofer & Beyer, 2008, S. 173). Im Entwurf des Sonderpädagogischen Konzeptes des Kantons Zürich werden sehbehinderte und blinde Schülerinnen und Schüler neu explizit erwähnt: „Die Sehbehindertenpädagogik richtet sich an sehbehinderte und blinde Kinder. Die Unterstützung der Sehentwicklung, die optima19

le Nutzung des Sehvermögens und die Entwicklung von Kompensationsmöglichkeiten sind ebenso wichtige Bestandteile der Low-Vision Pädagogik wie die Unterstützung bei Orientierung und Mobilität sowie in Lebenspraktischen Fertigkeiten.“ (Sonderpädagogisches Konzept, 2009 Seite 13).

Im Folgenden beziehen wir uns auf die von Markus Lang skizzierte spezifische Didaktik des Unterrichts mit blinden Schülerinnen und Schülern und dem sonderpädagogischen Konzept des Kantons Zürich. In einem ersten Schritt werden die einzelnen Kinder und Jugendlichen nach den Modellen der Förderdiagnostik und des ICF untersucht. Dabei wird auf folgende Punkte besonders eingegangen: Gesundheitszustand des Kindes, Körperfunktionen und Strukturen (insbesondere Schweregrad der Sehbehinderung, Mehrfachbehinderung), Aktivitäten, Partizipation (d.h. Teilhabe an sozialer Interaktion), Berücksichtigung von Umwelt- und personenbezogenen Faktoren. Ferner wird der Entwicklungsstand in folgenden Bereichen berücksichtigt: Kognition, Motorik, Kommunikation, Wahrnehmung, Emotionalität und Soziabilität. Von diesen individuellen Variablen leiten sich spezifische Lernbedürfnisse ab. Grundsätzlich sind für blinde Schülerinnen und Schüler die Wahrnehmungsförderung und die Begriffsbildung dominante Lernerfordernisse (Lang, In: Lang, Hofer & Beyer, 2008, S. 172 f.). Als allgemeindidaktischen Rahmen verbindet Lang das bildungstheoretische Modell von Klafki mit Elementen des lehr-, lerntheoretischen Modells (Berliner und Hamburger Modell). Für die Planung, Realisierung und Auswertung des Unterrichts mit blinden Schülerinnen und Schülern sollen fünf Ebenen der Didaktik bearbeitet werden. Es handelt sich dabei um die Ebene der Unterrichtsziele, der Inhalte, der Methoden, der Medien und der Raumgestaltung. Zudem müssen fachdidaktische Besonderheiten (z.B. Geometrie, Sport) bedacht werden. Diese Didaktik wird wesentlich beeinflusst durch ausserschulische Faktoren, wie zum Beispiel gesellschaftliche Rahmenbedingungen und durch formale Vorgaben wie Bildungs- und Lehrpläne, in unserem Fall das Volksschulgesetz des Kantons Zürich von 2005 und das sonderpädagogische Konzept aus dem Jahr 2009. Als drittes spielen pädagogische und didaktische Modelle, wie Einzelintegration, Integrationsklasse und altersdurchmischtes Lernen, eine zentrale Rolle (Lang, In: Lang, Hofer & Beyer, 2008, S. 169 ff.).

7.5.1 Struktur der Didaktik Die Didaktik gliedert sich in die verschiedenen Ebenen der Unterrichtsziele, Inhalte, Methoden, Medien und Raumgestaltung. Diese Aussagen gelten nach Lang sowohl für den integrativen wie auch für den Sonderschulunterricht bei blinden Kindern.

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Ebene der Unterrichtsziele Im Hinblick auf die Integration ist es förderlich, dass auch für blinde Kinder die gleichen Leit-, Richt- und Grobziele nach Schindele gelten sollen. Klafkis Ideal einer „Bildung für alle“ kommt dem entgegen. Er formuliert drei grundlegende Ziele: Fähigkeit zu Selbstbestimmung, Fähigkeit zur Mitbestimmung und Fähigkeit zur Solidarität (Lang, In: Lang, Hofer & Beyer, 2008, S. 176 f.). Diese Auffassung teilt auch das Sonderpädagogische Konzept des Kantons Zürich. Es besagt, dass die Lernziele aller sonderpädagogischen Angebote auf die Lernziele derjenigen Regelklasse ausgerichtet sein sollen, welche die Schülerinnen und Schüler besuchen. Somit gilt der Lehrplan grundsätzlich für alle Regelklassen, aber auch für die Sonderschulen (Sonderpädagogisches Konzept, 2009, S. 19).

Für blinde Kinder und Jugendliche ergeben sich geradezu zwangsläufig spezifische Ziele in den Bereichen Lebenspraktische Fertigkeiten (LPF), Orientierung & Mobilität (O&M), Punktschrift (PS), Sozialkompetenz, Kulturtechniken und Hilfsmittelgebrauch (Duales Curriculum) wie auch in einzelnen Fächern, wie Geometrie, Chemie u.a. In der Planung der Feinziele können im schulischen Standortgespräch Lernziele vereinbart werden, die von denjenigen der Regelklasse abweichen. Bei Kindern und Jugendlichen mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen berücksichtigen die Lernziele die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten und können damit von den regulären Stufen- oder Klassenlernzielen abweichen. Jede Schülerin und jeder Schüler hat das Recht auf Lernziele gemäss Lehrplan oder gemäss individueller Förderplanung (Lang, In: Lang, Hofer & Beyer, 2008, S. 176; Sonderpädagogisches Konzept, 2009, S. 19).

Ebene der Unterrichtsinhalte Auf der Ebene der Unterrichtsinhalte müssen inhaltliche Reduktionen, blindenspezifische Schwerpunktsetzungen und Inhaltserweiterungen vorgenommen werden. Die Lerninhalte sollen häufig in ihrer Quantität eingeschränkt werden, da die Auseinandersetzung mit Objekten und Handlungen bei blinden Kindern wesentlich mehr Zeit erfordert. Gemäss dem bildungstheoretischen Ansatz nach Klafki kommt dem exemplarischen Lehren und Lernen eine besondere Bedeutung zu. Dadurch kann die Fülle der Lehrpläne reduziert werden. Von besonderer Wichtigkeit auf der Inhaltsebene sind die Bereiche der Bewegungserziehung, da bei Blinden häufig unphysiologische Bewegungsmuster abgebaut werden müssen (Lang, In: Lang, Hofer & Beyer, 2008, S. 178). Ein zentraler Platz in der Bewegungserziehung soll nach Krug der Psychomotorik und der Motologie eingeräumt werden (Krug, 2001, S. 27 ff.). Zusätzlich kann im Sportunterricht der Kontakt zu den Mitschülerinnen und –schülern verbessert werden. Neben dem Sport können auch Musik und ästhetische Erziehung Möglichkeiten zur sozialen Interaktion und Integration bieten. Inhaltliche Erweiterungen sind vor allem in den Lernbereichen Lebenspraktische Fertigkeiten und Orientierung & Mobilität notwendig. Des Weiteren müssen blindenspezifische Medien und Hilfsmittel trainiert werden, wie Brailleschrift, Lesen taktiler Karten, Computerbedienung mittels Braillezeile usw. (Lang, In: Lang, Hofer & Beyer, 2008, S. 178). 21

Ebene der Unterrichtsmethoden Besonders geeignet sind Formen handlungsorientierten Unterrichts, da hier eigenaktive und konkret handelnde Auseinandersetzungen stattfinden (Krug, 2001, S. 152). Aufgrund der heterogenen Zusammensetzung der Klasse muss der Unterricht stark individualisiert werden. Dies erfordert eine Senkung der Schülerzahl und das Bilden jahrgangsübergreifender Klassen. Handlungsorientierter Unterricht kann mit weiteren offenen Unterrichtsformen verknüpft werden (Wochenplan, Projektunterricht, Lernstationen u.a.). Eigenaktivierung und Individualisierung können so wirksam werden. Von hoher Wichtigkeit sind aktive Fördermassnahmen zur Ermöglichung und Intensivierung sozialer Interaktion. Dies kann beispielsweise dadurch unterstützt werden, dass unterrichtsrelevante Tätigkeiten jeweils handlungsbegleitend verbalisiert werden. Optische Informationen sollen beschrieben und erläutert werden. Die Schülerinnen, Schüler und Lehrpersonen sollen wenn möglich verbale anstelle nonverbaler Rückmeldungen geben und sich direkt ansprechen, bzw. aufrufen. Die Bedeutung nonverbaler Kommunikation wird von Vorteil im Unterricht direkt thematisiert und etwa in Rollenspielen erarbeitet. Ein grundlegendes Unterrichtsprinzip ist die Wahrnehmungsförderung. Hierbei soll v.a. die haptische und die auditive Wahrnehmung geschult werden, sowie noch vorhandene visuelle Wahrnehmungsmöglichkeiten gefördert werden. Wichtig für die Unterrichtsplanung ist eine wohlüberlegte Strukturierung des Unterrichts, wobei eine ausgedehnte Einstiegsphase für blinde Schülerinnen und Schüler wichtig sein kann, da ihnen häufig die Vorerfahrungen fehlen, welche die sehenden Mitschüler und Mitschülerinnen bereits mitbringen. Blinde Kinder und Jugendliche ermüden rascher als ihre sehenden Kolleginnen und Kollegen, da sie sich stärker auf den Unterricht und die Umgebungsgeräusche konzentrieren müssen. Darum soll genügend Zeit und Raum für Entspannungs- und Bewegungselemente eingeplant werden (Lang, In: Lang, Hofer & Beyer, 2008, S. 179 f.).

Ebene der Unterrichtsmedien Gemäss der klassischen Methode der absteigenden Linie beschreibt Hohn verschiedene Mediengruppen von der Realität ausgehend hin zu Medien von zunehmender Abstraktheit. Schindele zählt noch Arbeitsmaterialien und spezifische Hilfsmittel dazu. Der Wirklichkeit am nächsten steht die Realbegegnung. Darauf folgen naturgetreue Modelle, Präparate sowie Reliefdarstellungen. Audiovisuelle Medien nehmen einen grossen Raum ein, wobei v.a. rein visuelle Medien wie Bilder, Dias, Poster, oder Folien mit einigem Aufwand an die Bedürfnisse blinder Schülerinnen und Schüler angepasst oder aber von der Lehrperson verbalisiert werden müssen. Tonaufnahmen müssen in den meisten Fällen nicht angepasst, Texte jedoch in Braille übersetzt werden. Nach Hudelmayer stellt die verbale Erläuterung zur Interpretation taktiler Bilder ein sehr wichtiges Medium dar. Beim Erarbeiten einer Reliefkarte der Schweiz z.B. ist es zwingend notwendig, dass die Lehrperson die nötigen verbalen Unterstützungen bietet, damit die Schülerin oder der Schüler das haptisch Wahrgenommene mit der Erklärung und dem Vorwissen verknüpfen kann. 22

Das Lesen von Texten in Brailleschrift, speziell auf der Braillezeile, erfordert zwei- bis dreimal so viel Zeit wie das visuelle Lesen bei einem sehenden Menschen. Viele Unterrichtsmedien müssen von den Lehrpersonen selbst hergestellt werden, was einen hohen Einsatz verlangt (Lang, In: Lang, Hofer & Beyer, 2008, S. 182).

Ebene der Raumgestaltung Schulgebäude, Klassenraum und der individuelle Arbeitsplatz müssen weit möglichst den Bedürfnissen blinder Schülerinnen und Schüler angepasst werden. So ist es angebracht, dass alle Räume in Schwarz- wie auch Blindenschrift gekennzeichnet sind. Leitpunkte (taktile Wegmarkierungen und Standorte) helfen den blinden Kindern und Jugendlichen, sich in einzelnen Räumen besser orientieren zu können. Klar der Schülerin oder dem Schüler zugeordnete und beschriftete Bereiche und Arbeitsplätze fördern die Selbständigkeit immens (Lang, In: Lang, Hofer & Beyer, 2008, S. 189 f.).

7.5.2 Beratung und Unterstützung Damit blinde Schülerinnen und Schüler in Regelklassen integriert werden können, wird spezifisch ausgebildetes Personal benötigt, welches die Regelklassenlehrperson, die Schülerin/der Schüler, die Klasse, Eltern und alle weiteren Personen des Systems ‚Regelschule‘ unterstützt. In seinem neuen Sonderpädagogischen Konzept sieht der Kanton Zürich als sonderpädagogische Massnahme Beratung und Unterstützung vor. Diese behinderungsspezifische Beratung richtet sich an die oben bereits erwähnten Personen und erfolgt durch Fachkräfte von Sonderschulen oder anderen vom Kanton beauftragten Institutionen bzw. Organisationen mit entsprechender Spezialisierung. In Ausnahmefällen, dann, wenn die entsprechende Leistung nicht von den an der Regelschule tätigen Fachpersonen abgedeckt werden kann, kann neben der Beratung auch eine direkte Unterstützung des Kindes oder des Jugendlichen angeboten werden. Die Unterstützung umfasst regelmässige Interventionen im Rahmen des Unterrichts. Es kann sich hierbei um behindertenspezifische Förderung im Einzelsetting, in Fördergruppen oder im Rahmen des Teamteachings durch speziell ausgebildetes Personal handeln (Sonderpädagogisches Konzept, 2009, S.14 f.). Im Falle der drei blinden Kinder unserer Studie wird nicht nur Beratung, sondern auch Unterstützung angeboten, da die Beschulung blinder Kinder spezifisches Wissen verlangt, welches sowohl die Regelklassenlehrpersonen wie auch die Heilpädagogen vor Ort nicht mit sich bringen. Allein schon die Beschaffung, Bereitstellung und Bedienung der verschiedenen Hilfsmittel wie Braillezeile, Brailledrucker, angepasste und speziell angefertigte Materialien usw. benötigen enorme persönliche und materielle Ressourcen.

Der gemeinsame Unterricht blinder und sehender Schülerinnen und Schüler kann prinzipiell in vier verschiedenen Formen organisiert werden: •

Einzelintegration mit ambulanter Beratung und Unterstützung

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Einzelintegration mit sonderpädagogischer Unterstützung vor Ort und ambulanter Beratung (sog. „Integrationsklassen“, Teamteaching)



Kooperation von Regelschule und Blinden- und Sehbehindertenschule



Öffnung der Sonderschulen für Sehbehinderte (Beyer, In: Lang, Hofer & Beyer, 2008, S. 71).

Das Sonderpädagogische Konzept des Kantons Zürich hat sich für die Einzelintegration mit ambulanter Beratung und Unterstützung entschieden. Die Organisationsformen der Primarschulen im Kanton Zürich sind stark dezentralisiert und auf der Ebene der Gemeinden geregelt. Aus diesem Grund wird es in jeder Schule höchstens ein bis zwei Kinder mit sehbehindertem- oder blindenpädagogischem Förderbedarf geben. Damit könnte das Konzept der Integrationsklasse nur umgesetzt werden, wenn die blinden oder sehbehinderten Kinder nicht primär in ihrer Wohngemeinde geschult würden. Denkbar wäre, wenn innerhalb eines Bezirkes eine Integrationsklasse geführt würde. Allerdings würde dies bedeuten, dass die Schülerinnen und Schüler wieder längere Anreisen mit Schulbussen auf sich nehmen müssten und sie nicht am Wohnort integriert wären.

Bei der vom Kanton Zürich gewählten Form der „Einzelintegration mit ambulanter Beratung und Unterstützung“ besucht ein Kind mit Sehbehinderung oder Blindheit die Regelschule der Wohngemeinde. Eine Sonderpädagogin oder ein Sonderpädagoge der Schule für Sehbehinderte der Stadt Zürich besucht das Kind in regelmässigen Abständen in der Klasse, belgeitet den Unterricht, berät die Regelklassenlehrpersonen, die Schulleitung und die Eltern. Gleichzeitig besorgt und organisiert die B+U-Lehrperson die notwendigen Hilfsmittel und stellt die benötigten Unterrichtsmaterialien her. Ausserdem gewährleistet sie blindenspezifische Unterrichts- und Trainingseinheiten in Orientierung und Mobilität und Lebenspraktischen Fertigkeiten (Beyer, In: Lang, Hofer & Beyer, 2008, S. 71 f.). Ein wichtiger Teil der Tätigkeit einer B+U-Pädagogin/eines B+U-Pädagogen ist die Beratung. Beratung bedeutet: Vermittlung von Informationen, direkte Anweisungen für Lehrpersonen, Eltern und Schüler/Schülerinnen, Hilfe zur Problemlösung und Unterstützung zur Verhaltensänderung (z.B. wie macht man integrativen Unterricht?). Ausserdem gehört zu einer erfolgreichen Beratung eine hoch entwickelte Fähigkeit, zuzuhören und zu kommunizieren (Drave, In: 31. Kongressbericht, 1993, S. 46 ff.).

Diese Tätigkeit ist sehr vielseitig und anspruchsvoll. Beyer erwähnt verschiedene Spannungsfelder, die die Tätigkeit erschweren können: •

System der Regelschule, Einstellung gegenüber behinderten Menschen, Umgang mit Heterogenität, Kooperation (Ebene der Regelschule)



Individuelle Dynamik und Interaktion der Mitschülerinnen (Ebene der Schulklasse)



Wünsche, Wertvorstellungen und persönliche Ressourcen der Eltern (Ebene der Eltern)



Fähigkeiten, Bedürfnisse, psychisches Befinden der blinden Schülerin, des blinden Schülers (Ebene des Kindes) 24



Physische und psychische Belastbarkeit, Fachkompetenz, Kooperations- und Organisationsfähigkeit der B+U-Lehrperson (Ebene der B+U-Lehrperson)



Erwartungen und Ansprüche der Schule für Sehbehinderte (Ebene der Sonderschule) (Beyer, In: Lang, Hofer & Beyer, 2008, S. 75 ff.).

Zu all den oben genannten Feldern ergeben sich Probleme durch die häufig nur unscharf definierten Rollen von hauptverantwortlichen Lehrperson der Regelklasse und der B+UPädagogin/des B+U-Pädagogen. Teamfähigkeit ist die zentrale Eigenschaft, welche für ein Gelingen der Integration auf beiden Seiten vorhanden sein muss. Häufig besteht die Gefahr, dass die B+U-Lehrperson für das Funktionieren des blinden Kindes verantwortlich gemacht wird und so eine echte Integration nicht erreicht werden kann, sondern lediglich eine Scheinintegration. Zwischen der Regelklassen- und der B+U-Lehrperson muss eine Einigkeit hergestellt werden über die Art und Ziele des Unterrichts. Für eine echte Integration müssen Begriffe wie „offener Unterricht und binnendifferenziertes Lernen“ thematisiert werden. Konkret geht es auch darum, ob und wie die Leistungsbewertung stattfinden soll (Schöler, 1993, S. 285 ff.). Hinz weist darauf hin, dass durch die vielfältigen Aufgaben und die mangelnde Einbindung in ein Kollegium die B+U-Lehrpersonen Gefahr laufen, auszubrennen (Beyer, In: Lang, Hofer & Beyer, 2008, S. 76). Auch von Seiten der Eltern bestehen nicht selten unrealistisch hohe Erwartungen, da ihr Kind ja nun integriert ist und im Regelfall deshalb die gleichen Lernziele erreichen muss, wie alle anderen auch. Eltern können den Besuch der Regelschule dahingehend missverstehen, dass ihr Kind nun sich ‚normal‘ entwickeln könne und äussern unrealistische Ziele: „Bei dreifacher Anstrengung schafft mein Kind das Pensum der anderen“ (Ziebarth, In: Eberwein & Knauer, 2009, S. 436). Es braucht hier viel Aufklärungsarbeit, um den Eltern den Sinn und Zweck einer integrativen Beschulung zu erklären. Es ist sehr wichtig, unrealistische Erwartungen früh zu erkennen und diese anzusprechen. Trotz dieser vielfältigen Probleme hat sich das System der ambulanten Beratung und Unterstützung bewährt, insbesondere dann, wenn die Beratungslehrpersonen erfolgreich „situations- und problembezogene Netzwerkarbeit“ leisten können (Appelhans, In: Beyer, In: Lang, Hofer & Beyer, 2008, S. 77).

7.5.3 Assistenz Das Sonderpädagogische Konzept des Kantons Zürich sieht zur Unterstützung von einzelnen Schülerinnen und Schülern mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen vor, dass durch die Gemeinden Assistenzen eingesetzt werden können. Diese werden v.a. für Aufgaben beigezogen, bei denen eine spezifische heilpädagogische Ausbildung nicht unbedingt notwendig ist. Bei blinden Kindern können Assistenzen in den Fächern Turnen, Handarbeit und Werken hilfreich sein. Mit dieser Ressource kann eine zeitlich intensive Unterstützung realisiert werden, was zu einer spürbaren Entlastung der Regelklassenlehrpersonen führt (Sonderpädagogisches Konzept, 2009, S. 16).

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7.6 Sonderschulen Verstärkte sonderpädagogische Angebote wie die Tages- oder Heimsonderschule sind im Kanton Zürich gemäss Sonderpädagogischen Konzept neu Kindern und Jugendlichen mit sehr hohem Förderbedarf vorbehalten. In der Regel steht dieser hohe Förderbedarf mit einer oder mehreren Behinderungen im Zusammenhang. Betroffen sind etwa 2% der Schülerschaft. Um die verstärkten Massnahmen zu legitimieren, gelten besondere Kriterien und Verfahren. In der Regel ist für eine adäquate Förderung dieser Schülerinnen und Schüler spezifisches Fachwissen und ein entsprechend spezifisches Angebot erforderlich, das im Team der Regelschule nicht vorhanden ist. Dieses wird durch Institutionen der Sonderschulung gewährleistet, die ihr Fachwissen entweder im Regelschulbereich durch behinderungsspezifische Beratung einbringen, oder aber die Sonderschulen gewährleisten die Förderung im Rahmen einer Tages- oder einer Heimsonderschule. Verstärkte sonderpädagogische Massnahmen werden Kindern und Jugendlichen im Volksschulalter angeboten, wenn die klassenbezogenen, individuellen und erweiterten Massnahmen für eine angemessene Bildung und ihre Entwicklung nicht mehr ausreichen. Die verstärkten Massnahmen werden aufgrund eines standardisierten Abklärungsverfahrens definiert und zeichnen sich durch mehrere oder alle der folgenden Merkmale aus: • lange Dauer: der Förderbedarf ist so hoch, dass ihm in einem kurzen Zeitraum von beispielsweise einem Jahr nicht angemessen begegnet werden kann; • hohe Intensität: bei verstärkten Massnahmen geht es nicht um eine Grössenordnung von einigen zusätzlichen Lektionen, sondern immer um die Notwendigkeit eines umfangmässig gewichtigen Massnahmenpakets; • hoher Spezialisierungsgrad der Fachpersonen: verstärkte Massnahmen gehen in der Regel mit Behinderungen einher, die den Einbezug von spezifischem Fachwissen erfordern, das in der Regelschule allein nicht oder nur ungenügend vorhanden ist; • einschneidende Konsequenzen für den Alltag, das soziale Umfeld oder den Lebenslauf des Kindes oder des Jugendlichen.

Die verstärkten Massnahmen können im Rahmen einer Sonderschule, teilintegrativ oder integrativ in der Regelschule angeboten werden. In jede verstärkte Massnahme ist eine vom Kanton durch eine Leistungsvereinbarung beauftragte Sonderschulinstitution involviert. Sie ist entweder als Durchführungsstelle (bei separativer oder teilintegrativer Sonderschulung) oder in Form von behinderungsspezifischer Beratung (bei der integrativen Umsetzung von verstärkten Massnahmen in der Regelschule) tätig. Zu den Angeboten der verstärkten Massnahmen zählen insbesondere: • Heilpädagogische Förderung durch eine Schulische Heilpädagogin/einen Schulischen Heilpädagogen (in der Klasse, in Lerngruppen, individuell) • Therapien (Logopädie, psychomotorische Therapie, Psychotherapie) • Assistenz (Klassenhilfe, persönliche AssistenzAlltagsunterstützung, Pflege, Seniorenhilfe) • sozialpädagogische Unterstützung (in erweiterten Tagesstrukturen, Heimstrukturen o.ä.) 26

• medizinisch-therapeutische Massnahmen (z.B. Physiotherapie, Ergotherapie) Bei integrativen verstärkten Massnahmen besteht ausserdem das Angebot an behinderungsspezifischer Beratung wie zum Beispiel B+U (Sonderpädagogisches Konzept, 2009, S. 19 ff.).

7.7 Die Zehn Leitsätze Das neue Volksschulgesetz und der Rückzug der Invalidenversicherung aus der Sonderschulfinanzierung im Rahmen NFA (Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen) haben eine Neuausrichtung des Sonderpädagogischen Angebotes zur Folge. Grundlage der Neuausrichtung sind die Zehn Leitsätze für die Entwicklung des sonderpädagogischen Konzeptes für den Kanton Zürich vom 17. Juli 2006.

Zehn Leitsätze für die Entwicklung des sonderpädagogischen Konzeptes für den Kanton Zürich:

Grundsätze: 1. Alle Kinder und Jugendlichen von der Geburt bis zum vollendeten 20. Altersjahr haben ein Recht auf Bildung und Förderung mit dem Ziel einer möglichst umfassenden Integration in die Gesellschaft. 2. Die Eltern und Erziehungsberechtigten werden als wichtige Partner wahr- und ernst genommen. 3. Integrative Schulungsformen sind die Regel, separative Massnahmen sind zu begründen.

Verantwortlichkeiten von Kanton und Gemeinde: 4. Der Kanton gestaltet und steuert das sonderpädagogische Angebot. 5. Die Gemeinde stellt die Umsetzung von sonderpädagogischen Massnahmen für alle Kinder und Jugendlichen von der Geburt bis zum vollendeten 20. Altersjahr sicher.

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Volksschule als Zusammenwirken von Regel- und Sonderschulbereich: 6. Die Zusammenarbeit zwischen dem Regel- und dem Sonderschulbereich dient dem Ziel der Integration. 7. Die Tragfähigkeit der Regelschule wird durch Umlagerung von Ressourcen (fachlich, personell, finanziell) aus dem Sonderschulbereich gestärkt. 8. Die Kompetenzen der anerkannten Institutionen im Sonderschul- und im Vorschulbereich werden im Rahmen erweiterter Leistungsaufträge für die Regelschule nutzbar gemacht.

Fachkompetenz und Effizienz: 9. Im sonderpädagogischen Bereich tätigen Personen sind den Anforderungen entsprechend ausgebildet. 10. Die zur Verfügung stehenden Ressourcen werden effizient und wirkungsvoll eingesetzt. (Sonderpädagogisches Konzept, 2009, S. 9)

7.8 Das Ziel der Sehbehinderten- und Blindenpädagogik Das Ziel der Sehbehinderten- und Blindenpädagogik besteht darin, für alle Kinder und Jugendliche optimale Bedingungen für erfolgreiche schulische Lernprozesse zu schaffen. Neben dem Schwerpunkt einer gleichwertigen Allgemeinbildung und der gründlichen Befähigung zur Ausübung eines Berufes wurde die Ermöglichung von sozialen Lernerfahrungen, welche die aktive Partizipation an den üblichen Äusserungen menschlichen Gemeinschaftslebens letztlich zulassen, ebenso zu einem wichtigen Vorsatz. So geht es wesentlich darum, die sehbehinderten und blinden Menschen durch Erziehung und Bildung auf ein Leben in der sehenden Welt vorzubereiten. Es wird eine berufliche, aber insbesondere auch eine soziale Integration angestrebt (Tanner, 2003, S. 15).

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7.9 Die Zehn sehbehinderten- und blindenspezifischen Leitsätze Die in Kapitel 7.7 aufgelisteten Leitsätze haben wir den Bedürfnissen der Sehbehinderten- und Blindenpädagogik folgenderweise angepasst:

Grundsätze: 1. Alle sehbehinderten und blinden Kinder und Jugendlichen von der Geburt bis zum vollendeten 20. Altersjahr haben ein Recht auf Bildung und Förderung mit dem Ziel einer möglichst umfassenden Integration in die Gesellschaft. 2. Die Eltern und Erziehungsberechtigten werden als wichtige Partner und Experten u.a. im Bereich der Behinderung ihres Kindes wahr- und ernst genommen. Sie nehmen an runden Tischen teil und bestimmen wichtige Entscheide mit. Sie sind über das aktuelle Schulgeschehen informiert und nehmen aktiv daran teil. 3. Integrative Schulungsformen sind die Regel, separative Massnahmen sind zu begründen. Bei integrierten sehbehinderten und blinden Kindern und Jugendlichen wird die Beschulung im Standortgespräch überprüft. In Einzelfällen, dort, wo die Schülerinnen und Schüler eine umfangreichere seh- und mehrfachbehindertenspezifische Unterstützung

benötigen,

kann eine

separative

Beschulung sinnvoll sein. In der jährlichen Schülerbesprechung (Standortgespräch) an der SfS, wie auch bei Elterngesprächen der separativ geschulten Kinder ist die Integration abzuklären und anzustreben, bei den Standortgesprächen in den Regelschulen die umgesetzte Integration zu überprüfen.

Verantwortlichkeiten von Kanton und Gemeinde: 4. Der Kanton gestaltet und steuert das sonderpädagogische Angebot für sehbehinderte und blinde Schülerinnen und Schüler. Er steht im engen und konstruktiven Kontakt mit der Schule für Sehbehinderte der Stadt Zürich. 5. Die Gemeinde stellt die Umsetzung von sonderpädagogischen Massnahmen für alle sehbehinderten und blinden Kinder und Jugendlichen von der Geburt bis zum vollendeten 20. Altersjahr sicher.

Volksschule als Zusammenwirken von Regel- und Sonderschulbereich: 6. Die Zusammenarbeit zwischen dem Regel- und dem Sonderschulbereich dient dem Ziel der Integration. In engem Kontakt zwischen der Regelschule und der Schule für Sehbehinderte der Stadt Zürich werden die Integrationen aufgegleist und durchgeführt.

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7. Die Tragfähigkeit der Regelschule wird durch Umlagerung von Ressourcen (fachlich, personell, finanziell) aus dem Sonderschulbereich gestärkt. Der ambulante Dienst der Schule für Sehbehinderte der Stadt Zürich unterstützt Kinder und Jugendliche, deren Klassen, Lehrpersonen, Schulleitungen, Eltern und Behörden bei der Durchführung der Integration. 8. Die Kompetenzen der Schule für Sehbehinderte der Stadt Zürich werden im Rahmen erweiterter Leistungsaufträge für die Regelschule nutzbar gemacht.

Fachkompetenz und Effizienz: 9. Die im sehbehinderten- und blindenpädagogischen Bereich tätigen Personen sind den Anforderungen entsprechend als Heilpädagoginnen und Heilpädagogen, vorzugsweise mit dem Schwerpunkt „Pädagogik für Sehbehinderte und Blinde“, ausgebildet. 10. Die zur Verfügung stehenden Ressourcen (Zeit, sehbehindertenspezifisches Material, sehbehindertenspezifisches Fachwissen) werden effizient und wirkungsvoll eingesetzt.

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III Empirischer Teil 8. Forschungsdesign Bei der geplanten Arbeit handelte es sich um Fallbeispiele, in welchen wir drei Kinder und ihr schulisches Umfeld beforschten. Die beiden Schülerinnen und der Schüler eigneten sich unserer Meinung nach besonders, da sie wie oben erwähnt, vergleichbare Integrationsverläufe aufweisen. Bewusst verzichteten wir darauf, uns eingehend mit der sozialen Integration sowie dem Freizeitverhalten auseinander zu setzen, weil dies den Rahmen gesprengt hätte. Die Einwilligung der drei Kinder, deren Eltern und der B+U-Lehrpersonen holten wir bereits im April 2009 ein. Ausserdem hatte uns die Schulleiterin der Schule für Sehbehinderte der Stadt Zürich ihre Unterstützung zugesichert. Wir erweiterten unser Verständnis von Integration im Allgemeinen und speziell im Bereich der Blindenpädagogik mit Hilfe von Fachliteratur. Schwergewicht unserer Masterarbeit lag auf dem Prozess der Integration von blinden Kindern. Wir verglichen diesen mit den Zehn Leitsätzen für die Umsetzung des Sonderpädagogischen Angebotes des Kantons Zürich. Dabei stützten wir uns auf allgemeine Grundlagewerke und den aktuellen Diskurs in der Fachliteratur. Als zweites machten wir eine empirische Untersuchung, in welcher wir Kinder, Eltern, Regelklassen- und B+U-Lehrpersonen sowie Schulleitungen der Gemeinden nach ihren Erfahrungen bezüglich des Integrationsprozesses befragten. In der Diskussion (vgl. Kapitel 12) stellten wir die Aussagen der interviewten Personen den bestehenden Ansätzen der Integrationspädagogik gegenüber. Durch unsere Erkenntnisse, welche wir im Verlauf der Masterarbeit gewonnen haben, beabsichtigen wir, den Prozess für zukünftige Integrationen von blinden Schülerinnen und Schülern zu optimieren. Methodisch arbeiteten wir mit der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2002), Mayring & Gläser-Zikuda (2008), Altrichter & Posch (2007), Schreiber (1999), Wagner Lenzin (2007) und Flick (2009). Zur Auswertung der Interviews wurden diese parallel auf Tonband und Computer aufgenommen. In einem nächsten Schritt haben wir die Tonaufnahmen mit Hilfe der Transkriptionssoftware F4 [http://www.audiotranskription.de/, 1. 7.2009] vollständig transkribiert. Diese Texte befinden sich im Anhang auf CD. Nach der von Mayring beschriebenen Methode der qualitativen Inhaltsanalyse erarbeiteten wir deduktive Kategorien aus den Zehn Leitsätzen zur Entwicklung des Sonderpädagogischen Konzeptes des Kantons Zürich. Im nächsten Schritt kodierten wir die Interviewtranskripte mit verschiedenen Farben gemäss den zuvor festgelegten Kategorien. Bei der Auswertung gelangten wir auf induktive Weise zu einer Differenzierung der Kategorien in diverse Unterkategorien. Mitunter mussten wir deduktiv hergeleitete Kategorien durch die induktiv gewonnenen Erkenntnisse anpassen und umformulieren (vgl. Tabelle im Kapitel 10.5). Zum Abschluss diskutierten wir die von uns erhobenen Forschungsergebnisse mit den Resultaten bereits publizierter Literatur und unseren im Theorieteil abgehandelten Erkenntnissen.

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1. Schritt Bestimmung der Analyseeinheit

2. Schritt Festlegung der Strukturierungsdimensionen (theoriegeleitet)

3. Schritt Bestimmung der Ausprägung (theoriegeleitet) Zusammenstellung des Kategoriesystems

4. Schritt Formulierung von Definitionen, Ankerbeispielen und Kodierregeln zu den einzelnen Kategorien

7. Schritt Überarbeitung, gegebenenfalls Revision von Kategoriesystemen und Kategoriedefinitionen

5. Schritt Materialdurchlauf: Fundstellenbezeichnung

6. Schritt Materialdurchlauf: Bearbeitung und Extraktion der Fundstellen

8. Schritt Ergebnisaufbereitung

Abbildung: Ablaufmodell strukturierter Inhaltsanalyse (allgemein); adaptiert nach Mayring, In: Wagner Lenzin (2007, S. 138).

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9. Methodisches Vorgehen 9.1 Qualitative Forschung Die qualitative Forschung hat den Anspruch, Lebenswelten aus der Sicht der handelnden Menschen „von innen heraus“ zu beschreiben. Sie will damit zu einem besseren Verständnis sozialer Wirklichkeit(en) beitragen und auf Deutungsmuster, Abläufe und Strukturmerkmale aufmerksam machen. Da diese Nichtmitgliedern verschlossen bleiben, aber auch den in der Selbstverständlichkeit des Alltags befangenen Akteuren in der Regel nicht bewusst sind. Mit genauen und „dichten“ Beschreibungen kristallisiert qualitative Forschung weder Wirklichkeit einfach heraus, noch pflegt sie einen Exotismus um seiner selbst willen. Vielmehr verwendet sie das von der Norm Abweichende oder Fremde und das Unerwartete als Erkenntnisquelle und Spiegel, welcher in seiner Reflexion das Bekannte im Unbekannten und Unbekanntes im Bekannten als Differenz wahrnehmbar macht und somit erweiterte Möglichkeiten von (Selbst-) Erkenntnis eröffnet (Flick, von Kardorff & Steinke, 2008, S. 14). Andere Leitgedanken als bei der quantitativen Forschung bestimmen die qualitative Forschung. Die wesentlichen Kennzeichen sind dabei die Gegenstandsangemessenheit von Theorien und Methoden, die Berücksichtigung und Analyse unterschiedlicher Perspektiven wie auch die Reflexion des Forschers über die Forschung als Teil der Erkenntnis (Flick, 2009, S. 26).

9.2 Erhebungsverfahren des Datenmaterials Zur Erhebung erster Daten haben wir uns für die Durchführung einer einmaligen Expertenrunde entschieden. Das daraus entstandene Datenmaterial überarbeiteten wir und nutzten es als Basis für die Entwicklung der problemzentrierten Leitfadeninterviews.

9.2.1 Expertenrunde Um die Fragestellungen für die Interviews entwickeln zu können, führten wir am 29.6.2009 eine Expertenrunde durch. Dazu eingeladen waren: S.D. (Schulleiterin SfS) B.R. (stellvertretende Schulleiterin und B+U) S.S. (SfS, Klassenlehrerin und Begleitung in der Teilintegration) M. J.-R. (SfS, Klassenlehrerin und B+U und Low-Vision-Trainerin) A.H. (SfS, Punktschriftlehrerin und blind) B.F. (SfS, B+U und Low-Vision-Trainerin) B.B. (ehemaliger teilintegrierter Schüler der SfS und blind)

Wir hatten uns dafür entschieden, ausschliesslich Personen der SfS einzuladen. Dies aus dem Grund, dass wir nicht unsere Integrationsform diskutieren, sondern mit Experten, welche das Schulsystem des Kantons Zürich kannten, die Grundlage für den Interviewleitfaden erarbeiten 33

wollten. Wir überlegten uns im Voraus Themenschwerpunkte (Hilfsmittel, Behörden, B+U, Lehrpersonen, Familie, Kind), zu welchen wir die Experten nach optimalen Integrationsfaktoren befragen wollten. Zudem liessen wir ihnen den Raum, weitere Schwerpunkte anzubringen. Zu den einzelnen Schwerpunkten notierten wir Stichworte, welche wir nur als Gedankenstütze verwendeten und den Anwesenden nicht zeigten. Unser Ziel war es, ein Gespräch zu moderieren und möglichst wenig Einfluss auf die Experten zu nehmen. Die Antworten zeichneten wir auf Tonband auf und hielten sie während des Gesprächs stichwortartig fest (siehe Anhang I). Die Expertenrunde mit den Teilnehmern S.S, M. J.-R., A.H. und B.B. dauerte eine Stunde und fand an der SfS statt.

Bereits während der Expertenrunde wurden kritische Stimmen laut, welche unsere ursprüngliche Fragestellung „Welches sind die förderlichen Faktoren bei einer Integration eines blinden Kindes in die Regelschule?“ hinterfragten. Eine Teilnehmerin machte uns darauf aufmerksam, dass unsere Forschungsfrage nach dem heutigen Verständnis der Integration nicht angebracht und zeitgemäss ist. Gemäss Salamanca-Erklärung haben alle Kinder das Recht in Regelklassen integriert zu werden und nicht nur diejenigen, bei denen die Voraussetzungen optimal sind. Diese Argumente schienen uns einleuchtend und wir entschieden uns, die Fragestellung zu überdenken. Bei der Suche nach Informationen zur Umsetzung des neuen Sonderpädagogischen Konzepts des Kantons Zürichs stiessen wir auf der Internetplattform des Volksschulamtes auf die Zehn Leitsätze (siehe Kapitel 7.7). Wir fanden darin Ressourcen für die Neuformulierung unserer Fragestellung und entschieden uns, die Zehn Leitsätze als Grundlage für unsere Masterarbeit zu verwenden. Dies hatte zur Folge, dass wir die problemzentrierten Interviews auf der Basis der Zehn Leitsätze aufbauten.

9.2.2 Problemzentriertes Interview Das problemzentrierte Interview lässt den Befragten frei zu Wort kommen, so dass das Interview einem offenen Gespräch möglichst nahe kommt. Es ist jedoch zentriert auf eine bestimmte Problemstellung, welche der Interviewer einführt, auf die er immer wieder zurückkommt. Der Interviewleitfaden lenkt den Interviewten auf bestimmte Fragestellungen hin, soll ihn in seiner Freiheit beim Antworten aber nicht einschränken. Somit kann der Befragte seine subjektiven Deutungen und Perspektiven offen legen. Dabei soll eine Vertrauenssituation zwischen Interviewer und Interviewten entstehen. Bei problemzentrierten Interviews setzt die Forschung an konkreten gesellschaftlichen Problemen an, deren objektive Seite vorher analysiert wird. Aus diesem Grund eignet sich diese Form von Interviews hervorragend für eine theoriegeleitete Forschung, da sie keinen rein explorativen Charakter hat, sondern Aspekte der vorrangigen Problemanalyse hinein bringt. Überall dort also, wo schon einiges über den Gegenstand bekannt ist, wo dezidierte, spezifischere Fragestellungen im Vordergrund stehen, bietet sich diese Methode an. Als weiterer wichtiger Punkt ist deren teilweise Standardisierung durch den Leitfaden. Denn damit wird die Vergleichbarkeit 34

mehrerer Interviews erleichtert. Das Material aus verschiedenen Interviews kann auf die jeweiligen Leitfadenfragen bezogen werden uns so sehr leicht kodiert und kategorisiert werden (Mayring, 2002, S. 67 ff.).

Mit diesem theoretischen Wissen und den Zehn Leitsätzen als Ausgangslage haben wir die Fragen unseres halbstrukturierten problemzentrierten Interviewleitfadens (siehe Anhang III) formuliert, mit welchen wir die Umsetzung der Zehn Leitsätze in den jeweiligen Schulgemeinden der drei binden Kinder überprüfen wollten. Um dies zu erreichen, entwickelten wir zu den einzelnen Leitsätzen passende Fragen. Da wir Interviews mit verschiedenen Personen des jeweiligen Systems (Kind, Eltern, Regelklassenlehrperson, B+U-Lehrperson, Schulleitung) durchführten, passten wir die Fragen den Personen an, achteten aber darauf, dass die Antworten trotz Anpassungen vergleichbar blieben. Um eine professionelle Durchführung der Interviews zu gewährleisten, orientierten wir uns an den Empfehlungen von Altrichter und Posch (2007, S.150 ff.) und führten zusätzlich Probeinterviews durch. Mit den gewonnenen Erkenntnissen konnten wir den Interviewleitfaden anpassen und optimieren.

9.2.3 Anonymisierung In Absprache mit den Schülerinnen, dem Schüler und deren Eltern haben wir uns dazu entschlossen, die Interviews und unser Datenmaterial zu anonymisieren und verwenden dazu folgende Abkürzungen: Fall 1: S1 für Schülerin, E1 für Elternteil, L1 für Regelschullehrperson, B1 für B+U-Lehrperson, SL1 für Schulleitung. Fall 2 und 3: analog zu Fall 1. B3(1) stellte die hauptverantwortliche B+U-Person, B3(2) die zweite beteiligte B+U-Person dar.

9.2.4 Definition der Zielgruppe Für unsere Forschungsarbeit haben wir S1. (Unterstufe), S2 (Mittelstufe), sowie S3 (Oberstufe) ausgewählt. S1 ist geburtsblind, S3 in der Unterstufe erblindet, S2 verfügt über einen minimalen Sehrest. Gemeinsam haben sie, dass sie alle drei Punktschriftanwenderinnen und -anwender sind und auf das Schuljahr 2008/2009 in die Regelklasse integriert wurden, wo sie noch heute von B+U-Lehrpersonen betreut werden. Vorgängig wurden sie an der SfS beschult und teilin35

tegriert. Zum jetzigen Zeitpunkt besuchen alle drei die SfS einmal wöchentlich für den Unterricht in blindenspezifischen Fächern wie z.B. Punktschrift, in welchen sie aus organisatorischen Gründen nicht an ihrem Wohnort unterrichtet werden können. Wir konnten also davon ausgehen, dass die Voraussetzungen der befragten Schülerinnen und des Schülers ähnlich und die Daten somit vergleichbar waren. Um die schulische Situation systemisch zu erfassen, erweiterten wir die Zielgruppe und befragten nebst dem jeweiligen Kind die Eltern, die Regelklassenlehrperson, die B+U-Lehrperson und die Schulleitung der Regelschule. Uns war es ein grosses Anliegen, den Erfahrungsschatz aller Beteiligten nutzen zu können. Hierzu muss angefügt werden, dass S1 und S2 im Sommer 2009 einen Lehrerwechsel hatten. Wir befragten in unseren Interviews nicht die aktuellen, sondern die vorherigen Regelklassenlehrpersonen. Ein markanter Unterschied besteht zwischen S2 und den anderen Schülern. Sie wohnt im Kanton Graubünden. Da sie aber immer noch Schülerin der SfS ist (integrative Sonderschulung) und von dieser betreut wird, beziehen wir sie in unsere Masterarbeit mit ein. Wir sehen diese Situation als Chance, die Rahmenbedingungen der Integration in einem anderen Kanton kennen zu lernen, werden aber aus Zeitgründen nicht näher auf die Integrationspolitik des Kantons Graubünden eingehen.

9.2.5 Vorbereitung der Interviewsituation Es war uns ein grosses Anliegen, die Schulleiterin der SfS ausführlich über unsere Masterarbeit zu informiert, weshalb wir im Frühling 2009 ein Gespräch mit ihr vereinbarten, an welchem wir unsere Forschungspläne vorlegten. Sie fand unser Projekt interessant und sicherte uns ihre Unterstützung zu. Für uns bedeutete ihr Zuspruch, dass wir mit der Organisation beginnen und mit der Zielgruppe in Kontakt treten konnten. Als erstes erkundigten wir uns bei den Schülerinnen und dem Schüler, ob sie bereit wären, uns einige Fragen zum Thema Integration von blinden Kindern zu beantworten. Mit ihrer Einwilligung meldeten wir uns telefonisch bei den Eltern, informierten sie über unsere Masterarbeit und erhielten von allen eine Zusage. Als nächsten Schritt verfassten wir noch vor den Sommerferien einen Brief (siehe Anhang II) an die Eltern, Regelschullehrpersonen, B+U-Lehrpersonen und Schulleitungen, in welchem wir eine Auswahl an Daten für die Interviews vorschlugen. Reibungslos verlief die Rücksendung der Daten in den vorfrankierten und adressierten Rückantwortcouverts. Wir koordinierten diese und bestätigten sie Ende Juli 2009 per Mail. In den Sommerferien verfassten wir die Interviewleitfaden für die einzelnen Gruppen (Kinder, Eltern, Regelklassen- und B+U-Lehrpersonen wie Schulleitungen) und sandten sie zur Überprüfung unserer Begleitperson der Masterarbeit. Schliesslich führten wir zwei Probedurchgänge mit aus dem Forschungsfeld stammenden Personen durch.

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9.2.6 Durchführung der problemzentrierten Interviews Von den geplanten 15 Interviews haben 13 im August und September 2009 stattgefunden. SL3 sandte uns aus organisatorischen Gründen die Antworten auf unseren Fragenkatalog per Mail zu, SL2 wollte bedauerlicherweise weder mündlich noch schriftlich Auskunft geben. Damit der zeitliche Aufwand für alle Interviewpartner möglichst gering blieb, überliessen wir ihnen die Entscheidung, ob sie das Interview zu Hause, am Arbeitsplatz oder an der SfS durchführen wollten. Bevor wir mit der Durchführung der Interviews starteten, informierten wir unsere Interviewpartner über den Inhalt der Masterarbeit und die Zehn Leitsätze. Um eine authentische Auseinandersetzung mit dem Gegenstand der Befragung zu ermöglichen, führten wir die Interviews in Mundart durch. Die Dauer betrug zwischen 15 und 45 Minuten.

10. Analyse und Auswertung 10.1 Aufbereitung der Daten Bei der Aufbereitung der Daten gilt der Grundsatz: Die Weichen, welche hier gestellt werden, bestimmen die Auswertung, somit auch die Fehler, welche dort begangen werden. Die erhobenen Daten müssen also so aufbereitet werden, dass eine Analyse und anschliessende Auswertung des Informationsgehalts im weiteren Vorgehen möglich werden. Durch eine wörtliche Transkription des Datenmaterials wird eine vollständige Textfassung verbal erhobenen Materials hergestellt. Dies ist die Basis für eine ausführliche interpretative Auswertung. (Mayring, 2002, S. 88 f.). Für unsere qualitative Forschung ist es von Bedeutung, dass wir mit unverfälschtem Datenmaterial arbeiten, da wir unsere Erkenntnisse einerseits aus der Theorie und andererseits aus den Interviews ableiten. Aus diesem Grund haben wir uns für die wörtliche Transkription entschieden und darum sämtliche Interviews nach Mayring (2002) und Altrichter & Posch (2007) ausgewertet. Die inhaltlich-thematische Informationsebene stand bei der durchgeführten problemzentrierten Befragung deutlich im Vordergrund, weshalb wir die Interviews in Mundart durchgeführt haben. Um mehr Lesbarkeit zu erreichen, mussten wir uns aber stärker vom gesprochenen Wort entfernen und den Dialekt bereinigen (Mayring, 2002, S. 91). Um dem Sinn der wörtlichen Transkription treu zu bleiben, bereinigten wir, entgegen dem Vorschlag von Mayring, die Satzbaufehler und den Stil nur sanft. Auf die Transkribierung der paraverbalen Ausdrucksweisen verzichteten wir, da diese für unsere Masterarbeit nicht im Vordergrund standen. Einzelne, über das Wortprotokoll hinausgehende Informationen wie ‚lachen‘ oder Pausen, wurden durch Kommentare in Klammern ausgedrückt.

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10.2 Qualitative Inhaltsanalyse Bei der Inhaltsanalyse handelt es sich um eine schlussfolgernde Methode. Dies bedeutet, dass durch Aussagen des zu analysierenden Materials Rückschlüsse auf bestimmte Aspekte der Kommunikation gezogen, d.h., dass „Schlussfolgerungen auf die soziale Wirklichkeit ausserhalb des Textes erlaubt“ werden (Atteslander, In: Wagner Lenzin, 2007, S. 111). Die Stärke der qualitativen Inhaltsanalyse ist, dass sie streng methodisch kontrolliert das Material schrittweise analysiert, es in Einheiten zerlegt, welche sie nacheinander bearbeitet. Im Mittelpunkt steht dabei ein theoriegeleitetes, am Material entwickeltes Kategoriensystem. Durch dieses System werden diejenigen Aspekte festgelegt, die aus dem Material herausgefiltert werden sollen (Mayring, 2002, S. 114). Bewusst angestrebt wird ein systemisches Vorgehen. Dies zeichnet sich durch zwei Merkmale aus. Die Analyse verläuft auf der einen Seite nach expliziten Regeln. Die Regelgleichheit erlaubt es, dass die Analyse verständlich, nachvollzieh- und überprüfbar wird. Auf der anderen Seite äussert sich das systemische Vorgehen durch den theoriegeleiteten Ablauf der qualitativen Inhaltsanalyse (Tanner, 2003, S. 59). Ein Merkmal dieses Wissenschaftsverständnisses ist die Einzelfallorientierung. Daraus resultiert leider ein nicht müde werdendes Argument für die angebliche Nicht-Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse seitens der quantitativen Forscherinnen und Forscher. Einzelfallanalysen haben aber den unschätzbaren Vorteil, dass wir teilhaben können an einer Lebens- und Gedankenwelt von Menschen, dass wir sie emotional begreifen können, dass sie nicht von Zahlen zu- bzw. überdeckt werden, welche dann ja doch wieder interpretiert werden müssten (was wiederum einem qualitativen Schritt gleich kommt) (Wagner Lenzin, 2007, S. 112).

10.3 Technik und Anwendung der qualitativen Inhaltsanalyse Im nächsten Schritt geht es darum, die Analysetechniken festzulegen und ein passendes Ablaufmodell zu entwickeln. Im Zentrum aller Analyseverfahren steht die Erarbeitung eines Kategoriensystems, welches die bedeutsamen Informationen herausfiltern und bündeln soll. Die Kategorien werden in einem Wechselverhältnis zwischen der Fragestellung bzw. der Theorie und dem konkreten Material entwickelt, durch Zuordnungs- und Konstruktionsregeln definiert und während der Analyse überarbeitet und rücküberprüft (Mayring, In: Tanner, 2003, S. 60; vgl. dazu das Modell auf S. 32).

Mayring entwickelte drei Grundformen qualitativer Inhaltsanalyse, welche sich wie folgt beschreiben lassen: •

Zusammenfassung: Das Ziel der Analyse liegt darin, das Material so zu reduzieren, dass die wesentlichen Inhalte erhalten bleiben, womit durch Abstraktion ein überschaubares Korpus geschaffen wird, welches noch immer ein Abbild des Grundmaterials ist.

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Explikation: Das Ziel der Analyse ist es, zusätzliches Material zu einzelnen fraglichen Textteilen zu sammeln, welches das Verständnis erweitert, die Textstelle erläutert und erklärt.



Strukturierung: Das Ziel der Analyse ist es, bestimmte Aspekte aus dem Material herauszufiltern, unter vorher festgelegten Ordnungskriterien einen Querschnitt durchs Material zu legen oder das Material aufgrund bestimmter Kriterien einzuschätzen. (Mayring, 2002, S. 115).

Grundlage unserer Masterarbeit und unserer Fragestellung sind die Zehn Leitsätze für die Umsetzung des Sonderpädagogischen Konzeptes des Kantons Zürich (vgl. Kapitel 7.7), welche wir den Bedürfnissen von sehbehindern und blinden Schülerinnen und Schüler angepasst haben (vgl. Kapitel 7.9). Es schien uns sinnvoll, diese Zehn Leitsätze als Vorgabe für unsere Kategorienbildung zu verwenden. Diese Ausgangslage ermöglichte uns, die Interviewleitfaden bereits in der Entwicklungsphase zielorientiert zur Beantwortung der Fragestellung zu erarbeiten. Was zur Folge hatte, dass das durch die halbstrukturierten Interviews gewonnene Datenmaterial bereits relativ dicht war und wir deshalb keinen Handlungsbedarf darin sahen, eine Zusammenfassung des Materials vorzunehmen. Zudem waren die Aussagen zu den gestellten Fragen weitgehend klar und verständlich. Die Explikation von fraglichen Textstellen zur Analyse des Datenmaterials war ebenfalls nicht von grosser Bedeutung, zumal wir bereits in unserer Planung davon aus gingen, dass wir unsere Erkenntnisse auf der Theorie und unseren Interviews aufbauen wollten. In der Möglichkeit, das Material nach bestimmten Aspekten zu strukturieren und aufgrund von ausgesuchten Kategorien analysieren und einschätzen zu können, sahen wir einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Beantwortung unserer Fragestellung. Die deduktive Herleitung der Kategorien ist aufgrund der Erkenntnisse aus dem vorangehenden Theorieteil möglich. Die Strukturierung des aufgearbeiteten Materials anhand des theoriegeleitet entwickelten Kategoriensystems sollte uns helfen, die gewonnenen Daten zu interpretieren. Die Strukturierung darf als wichtigste inhaltsanalytische Technik bezeichnet werden. Durch die strukturierende qualitative Inhaltsanalyse kann eine bestimmte Struktur aus dem Material herausgefiltert werden. Dies können formale oder inhaltliche Aspekte oder bestimmte Typen sein, es kann jedoch auch eine Skalierung, eine Einschätzung auf bestimmten Dimensionen angestrebt werden (Mayring, 2002, S. 118).

10.4 Kategorisierung Die Richtung der Analyse wird durch das Kategoriensystem bestimmt. Es wird explizit definiert, welche Bestandteile der Texte unter eine Kategorie fallen sollen. Aus einer Fragestellung im Interview (z.B. wie die persönliche Meinung zur Integration von behinderten Kindern oder Jugendlichen in die Regelklassen ist) entsteht die entsprechende Kategorie „Persönliche Meinung zur Integration“. Diese Kategorienkonstruktion und ihre Begründung müssen von aussen jederzeit nachvollziehbar sein. Die zur Verfügung stehenden Transkriptionen von Interviews werden 39

im Hinblick auf die jeweilige Kategorie durchforstet und markiert, d.h. alle Textstellen, die sich im Sinneszusammenhang oder wörtlich mit der Kategorie beschäftigen, werden herausgefiltert. Als Ergebnis entsteht eine erste Reduktion des Textmaterials, welche den Teil der Nachvollziehbarkeit, der Intersubjektivität des Vorgehens übernimmt. Dieses Verfahren stellt den arbeitsintensivsten Schritt dar, in unserem Fall mussten ca. 90 Seiten auf eine Vielzahl von Kategorien gesichtet werden (Mayring, 2002, S. 118; Wagner Lenzin, 2007, S. 113 f.).

Beim deduktiven Weg formulieren Forscherinnen und Forscher aufgrund ihres theoretischen Vorverständnisses, v.a. aufgrund ihrer Fragestellungen, Schlüsselbegriffe, mit welchen dann das Datenmaterial auf einschlägige Stellen abgesucht wird. Die Entwicklung der Kategorien erfolgt demnach vor der Durchsicht des Datenmaterials. Beim induktiven Vorgehen erfolgt die Formulierung der Kategorien während und nach der Durchsicht des durch die Interviews gewonnenen Materials. Für unsere Forschung war das sequenzielle Vorgehen die geeignetste Methode. Einerseits gingen wir, wie bereits beschrieben, von den Zehn Leitsätzen aus und arbeiteten demzufolge nach deduktiven Prinzipien. Andererseits formulierten wir während dem Kategorisieren weitere Unterkategorien im Sinne des induktiven Arbeitens. Zusätzlich passten wir die Kategorien nach der Durchsicht des Materials an. So wurde die Kategorie 1, welche wir aufgrund der Leitsätze als ‚Recht auf Bildung‘ betitelten in ‚Gesellschaftliche Integration‘ umgewandelt. Wir wollten alles nutzen, was an begrifflichen Vorverständnissen schon vorhanden war, waren aber zugleich offen für Überraschungen, welche das Datenmaterial bereithielt (Altrichter & Posch, 2007, S. 195).

10.5 Das verwendete Kategoriensystem Die systematische Inhaltsanalyse hat die Aufgabe, den Inhalt des gewonnenen Materials so zu verdichten, dass die Untersuchungsfragen durch die Beobachtung von Merkmalsausprägungen beantwortet werden können. Die inhaltsanalytischen Kategorien sind die wichtigsten Hilfsmittel für diese Komprimierung. Eine Kategorie kann als eine „Schublade“ betrachtet werden, in der sprachliche oder nichtsprachliche Äusserungen mit gleicher oder ähnlicher Bedeutung abgelegt werden. Da Kategorien Konstrukte, also künstliche Gebilde sind, muss definiert werden, was wie zusammengefasst werden soll. Durch die Kategorisierung wird somit der ursprüngliche Inhalt mit Blick auf eine bestimmte Fragestellung in eine abstrakte Sprache übersetzt. Durch die inhaltsanalytischen Kategorien kann grundsätzlich alles erfasst werden, was für Menschen wahrnehmbar ist, also verbale und nonverbale Kommunikation, aber auch Träume, Schmerzempfinden, Gefühle (Schreiber, 1999, S. 93 ff.). Beim Transkribieren unserer Interviews beschränkten wir uns allerdings auf die verbale Kommunikation, da das Transkribieren der nonverbalen Kommunikation, der Gefühle etc. für unsere Forschungsarbeit nicht relevant war.

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Bei der Konstruktion inhaltsanalytischer Kategorien müssen folgende Gesichtspunkte beachtet werden: •

Sind die Kategorien ausreichend, um das zu erfassen, was analysiert werden soll? Hat das Kategoriensystem alle notwendigen Elemente, um die Fragestellung zu beantworten?



Sind die einzelnen Kategorien deutlich voneinander abgegrenzt, so dass das Untersuchungsmaterial zugeordnet werden kann?



Besteht eine Vernetzung zwischen den Kategorien, damit Zusammenhänge im Material erkannt werden können? Ziel muss ein Kategoriensystem und keine Menge unverbunden nebeneinander stehenden Bausteine sein.



Sind die Kategorien komplett, um das Material in bestimmten Untersuchungsdimensionen vollumfänglich analysieren zu können? (Schreiber, 1999, S. 106 f.)

Die Zehn Leitsätze des sonderpädagogischen Konzeptes eigneten sich unserer Meinung nach als Kategoriensystem zur Bearbeitung unseres Datenmaterials. Obschon das Kategoriensystem nicht von uns verfasst worden ist, haben wir es anhand der oben erwähnten Gesichtspunkte überprüft und sind zum Schluss gekommen, dass dieses System die Vorgaben erfüllt.

Bei einer hierarchischen Kategorienordnung wird gezielt mit Abstufungen gearbeitet. Dabei liegt die eine Kategorie auf einer höheren oder niedrigeren Ebene als die andere. Es haben sich allerdings für diese Abstufungen keine einheitlichen Bezeichnungen durchgesetzt. Wir bezeichnen die Einheiten auf der höchsten Ebene als Kategorien (Leitsätze) und dementsprechend die anderen Einheiten als Unterkategorien. Das hierarchisch aufgebaute Kategoriensystem bietet den Vorteil, dass relativ leicht neue Elemente eingefügt werden können, ohne das alte System zu verändern (Schreiber, 1999, S. 108). Die Fülle der Unterkategorien kommt dadurch zustande, dass wir die Interviews nicht nur mit einer, sondern mit fünf Zielgruppen durchführten. Zudem waren die Interviewleitfaden jeweils auf die einzelnen Zielgruppen ausgerichtet, weshalb die unterschiedlichen Leitsätze mit auf die Zielgruppe angepassten Fragen beleuchtet wurden. In der folgenden Liste haben wir jegliche Unterkategorien aufgeführt, was aber nicht bedeutet, dass in allen Interviews sämtliche Unterkategorien thematisiert wurden. Im Beispiel unter Kapitel 10.5.1 finden sich diejenigen Unterkategorien wieder, welche sich aus dem Interview mit der Lehrperson von S3 ergeben haben.

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Kategorie

Unterkategorien

Kategorie 1:

Integration in die dörfliche Gemeinschaft

Recht auf Bildung

Freunde und Kollegen

Neu: Gesellschaftliche Integration

Freizeitgestaltung

Kategorie 2:

Wunschrolle der Eltern

Eltern als Experten

Teilnahme der Eltern am Schulgeschehen Beitrag der Eltern zur Integration Zeitliche Mehrbelastung der Eltern Finanzieller Aufwand der Eltern

Kategorie 3:

Optimale Integration

Integrative Beschulung

Lerntempo/Faktor Zeit Persönliche Meinung zur Integration Grenzen der Integration

Kategorie 4:

Mitspracherecht der SfS in Bezug auf das Sonderpädago-

Verantwortlichkeit des Kantons

gische Angebot Kontakt und Zusammenarbeit zwischen SfS und dem Kanton

Kategorie 5:

Integrationspolitik der Gemeinde

Verantwortlichkeit der Gemeinde

Zusätzliche Entlöhnung der Regelklassenlehrperson Bedürfnisse der Regelklassenlehrperson werden ernst genommen

Kategorie 6:

Unterstützung durch die Regelschule

Zusammenarbeit der Schule

Erwartungen an Regelklassenlehrperson/ Zusammenarbeit B+U und Regelklassenlehrperson Erwartung an Schulleitung/ Zusammenarbeit B+U und Schulleitung Runde Tische Aufgleisung der Integration Federführend bei der Integration Auswertung des Integrationsprozesses

Kategorie 7:

Personelle Unterstützung durch SfS

Tragfähigkeit

Mehraufwand der Regelklassenlehrperson

Kategorie 8:

Neue Aufgaben für die Sonderschule

Kompetenzen/ erweiterte Leistungsaufträge Kategorie 9:

Ressourcen und Kompetenzen von B+U

Ausbildung

Aus- und Weiterbildung

Kategorie 10:

Zeitliche Ressourcen

Ressourcen

Ressourcen blindenspezifisches Material

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Die Nummerierung unserer Kategorien ist kongruent mit denjenigen der unter Kapitel 7.9 erwähnten sehbehinderten- und blindenspezifischen Leitsätze.

10.5.1 Codierung Die Codes dienen dazu, das Ergebnis der Kategorisierung pro Untersuchungs- bzw. Zähleinheit in Worten, mit Zahlen oder durch andere Kennzeichnung festzuhalten. Diese Aufzeichnungen sind die Grundlage für alle anderen Analysen. Codes ersetzen die untersuchten Äusserungen der Interviewten in eine andere, meist abstraktere Sprache. Das gewonnene Material wird durch die Codierung nicht nur in eine andere Form gebracht, sondern es wird durch die Verschlüsselung mit einer spezifischen Interpretation versehen. Codieren bedeutet, den Inhalt gemäss den Kategorien einer Untersuchung auf eine bestimmte Bedeutung festzulegen (Schreiber, 1999, S. 95 ff.). Gemäss Flick (In: Schreiber, 1999, S. 134) wird bei der qualitativen Forschung v.a. das sog. „offene Codieren“ verwendet. Das Material wird in Untersuchungseinheiten zerlegt. Diese Einheiten können z.B. einzelne Wörter, Satzteile oder aber ganze Sätze sein.

Nachdem wir das Kategoriensystem mit den Unterkategorien erstellt hatten, sichteten wir die Interviews und kennzeichneten die entsprechenden Textstellen mit Farbe, da uns dies übersichtlicher erschien, als wenn wir die einzelnen Textstellen mit Zahlen versehen hätten, wie dies z.B. Schreiber in seinem Buch vorschlägt. In einem weiteren Schritt haben wir das gekennzeichnete Material herausgefiltert, zusammengefasst und aufgearbeitet (Mayring, 2002, S. 120).

Im Folgenden haben wir die befragten Kategorien und deren Unterkategorien mit den jeweiligen Codierfarben am Beispiel des Interviews mit der Lehrperson von S3 dargestellt. Aus Platzgründen haben wir im Hauptteil nur einen Ausschnitt des Interviews eingefügt, das vollständige Transkript befindet sich im Anhang IV. Dazu ist zu erwähnen, dass wir nur dieses Interview per Computer eingefärbt haben. Die restlichen zwölf haben wir für die Auswertung aus zeitlichen Überlegungen von Hand eingefärbt. Die Transkripte auf der beiliegenden CD sind ohne Einfärbung abgebildet.

10.5.1.1 Beispiel der Codierung des Interviews mit L3: Kategorie 1: Integration in die dörfliche Gemeinschaft Freunde und Kollegen Kategorie 2: Teilnahme der Eltern am Schulgeschehen Beitrag der Eltern zur Integration Kategorie 3: Optimale Integration Grenzen der Integration 43

Kategorie 5: Integrationspolitik der Gemeinde Zusätzliche Entlöhnung der Regelklassenlehrperson Bedürfnisse der Regelklassenlehrperson werden ernst genommen Kategorie 6: Erwartungen an Regelklassenlehrperson/Zusammenarbeit B+U und Regelklassenlehrperson Runde Tische Aufgleisung der Integration Federführend bei der Integration Auswertung des Integrationsprozesses Kategorie 7: Personelle Unterstützung durch SfS Mehraufwand der Regelklassenlehrperson Kategorie 8: Information über Blindheit Kategorie 9: Ressourcen und Kompetenzen von B+U Aus- und Weiterbildung Kategorie 10 Zeitliche Ressourcen Ressourcen blindenspezifisches Material

10.5.2 Interview mit L3 A: Wie beurteilst du die Integration von S3 in die Dorfgemeinschaft? 00:00:34-5 L3: In die Dorfgemeinschaft kann ich nicht viel aussagen. Weil er wohnt in O., im Nachbardorf. Und ich wohne in Z.. Also, ich kann da nichts darüber erzählen. 00:00:46-5 A: Erzählt er auch nichts? Von Vereinen oder so? 00:00:51-4 L3: Nein, er hat seinen Kollegen aus der Schule für Sehbehinderte, und das weiss ich, dass er sich mit ihm manchmal trifft. Aber sonst, äh, im Dorf. Ich kann es nicht beurteilen, ich weiss es nicht. 00:01:04-7 A: Mhm. Dann wird wahrscheinlich auch die nächste Frage etwas schwierig. Inwiefern fördert die integrative Beschulung von S3 seine Integration in die Dorfgemeinschaft? Vielleicht kannst du da, hast du eine Vermutung? 00:01:15-1 L3: Also, ich denke, ich denke, das hilft schon, weil er hat dann seine Kollegen, welche mit ihm in die Schule gehen, in dem Sinn. Schulweg, die Dinge, die er gemeinsam macht mit denen, 44

welche von O. kommen. Und er ist in dem Sinn, man kennt ihn hier in der Schule. Und man kennt ihn vermutlich auch in O. 00:01:33-3 A: Ja. 00:01:37-3 L3: Also, ich denke, das hilft sicher. Aber es ist ähm eine Vermutung von mir. 00:01:42-3 A: Ja. Gut. Wie beziehst du die Eltern als Experten bezüglich der Sehbehinderung oder der Blindheit in wichtige Entscheide mit ein? 00:01:54-0 L3: Hm. (Pause) Eigentlich, ja es war von Anfang an die Diskussion gemeinsam mit den Eltern. S3 wollte gerne hierher. Gemeinsam mit den Eltern und S3 haben wir abgeklärt, ja, meine Befürchtungen, dass es allenfalls nicht gehen könnte. Das offen gelegt und dann gesagt, ja, wir probieren es mal. So in dem Sinn. Im Gespräch, aber ich wüsste jetzt nicht, welche anderen wichtigen Entscheide es gegeben hat. Die Berufswahl wird dann noch kommen. Aber das wird eh mit den Eltern besprochen. Das ist nicht nur bei S3 so. 00:02:42-4 A: Wenn du Fragen zur Behinderung hast 00:02:41-4 L3: Zur Behinderung würde ich jetzt nicht zu den Eltern gehen, sondern zur B+U-Lehrerin von der Schule für Sehbehinderte. 00:02:51-5 A: Ja. 00:02:54-6 L3: Also, das wäre jetzt eher meine erste Ansprechperson. Also klar habe ich gefragt, wie es dazu gekommen ist und die ganze Geschichte. Bei den Eltern. Aber wenn es um fachliche Sachen geht, dann ist der Kontakt zu B3(1) schneller da. 00:03:18-7 A: Mhm. Finden Runde Tische statt? 00:03:20-9 L3: Ja, das ist sicher alle Halbjahre eines. 00:03:24-4 A: Und da sind die Eltern auch dabei? 00:03:27-2 L3: Da sind die Eltern auch dabei. Da sind alle zusammen dabei. Auch S3, alle, welche mit ihm zu tun haben. 00:03:32-9 A: Schulleitung ist da auch dabei? 00:03:34-1 L3: Schulleitung? Jetzt muss ich grad überlegen. Nein, die ist nicht dabei. Aber die Schulpflege ist dabei. Also, die Leute, welche von der Schulpflege verantwortlich sind für dieses Ressort. 00:03:52-8 A: Mhm. Äh, wie aktiv nehmen die Eltern von S3 am Schulgeschehen teil? 00:03:58-9 L3: Nicht mehr und nicht weniger als alle anderen auch. 00:04:07-1 A: Also Schulbesuchsmorgen z.B.? 00:04:08-4 L3: Das übliche. Schulbesuchsmorgen sind sie da, Elternabende sind sie da. 00:04:15-0 45

A: Aber sie sind nicht 00:04:15-0 L3: Sie stehen nicht dauernd da. 00:04:17-7 A: Aha. Was meinst du, ist die Integration ohne aktive Mitwirkung der Eltern möglich? 00:04:271 L3: Nein. Schlichtweg nicht. Da müssen die Eltern dies schon auch mittragen. Ja, und mit Unsicherheiten umgehen können. Und wenn sie das nicht können oder nicht mittragen, dann geht das nicht. 00:04:49-9 A: Das Mittragen, wie sieht das bei den Eltern von S3 aus? 00:04:52-9 L3: Dass sie ihn wirklich dort unterstützen, wo er, wo er die Unterstützung nötig hat. Und dass sie ihn aber auch machen lassen und das Vertrauen haben, dass er es schon macht, wenn 00:05:06-5 A: Vor allem mentale Unterstützung? 00:05:03-9 L3: Ja, mental oder auch, ja. Einfach Gespräche anbieten. Mit ihm sprechen. Dinge besprechen miteinander. Es war auch so, dass S3 irgendwann nach Hause gegangen ist und einen Vorfall aus der Schule zu Hause erzählt hat. Ich habe dann die Rückmeldung vom Vater erhalten, äh, was ist da passiert? Und ich konnte sagen, dass es gar nicht so schlimm ist, wie es S3 aufgenommen hat. Und dann konnte dies geregelt werden. Und das ist so, ja, mittragen in dem Sinn. 00:05:35-5 A: Wie sieht für dich eine optimale Integration aus? 00:05:35-5 L3: Ph. (Pause) 00:05:46-4 A: Deine Traumvorstellung. (lacht) 00:05:46-4 L3: Habe ich keine. Ich weiss es nicht. Also, optimal ist natürlich, dass es wirklich läuft wie für alle Anderen auch. Und ähm, das würde heissen, dass die Klassen nicht allzu gross sind. Da habe ich jetzt, ja, das Glück, dass der Kampf sich gelohnt hat und die Klasse wirklich nicht so gross ist. Und äh, ja, dass die Unterstützung da ist. Sei dies von der Schule für Sehbehinderte oder sei dies von Seiten der Eltern oder der Schulpflege und Schulleitung. Ja, dass die Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Und dass man nicht zuerst weiss ich nicht was drohen muss, bis es tatsächlich passiert. 00:06:42-0 A: Dass man ernst genommen wird als Lehrer? 00:06:43-6 L3: Ja, und, und, und. Sicher, auf jeden Fall, also. Das gehört vielleicht nicht hierher. Ich habe etwas Ähnliches erlebt mit einem Kind mit Hörbehinderung, welches ich gehabt habe. Es hat dann geheissen, wenn du das nimmst, dann hast du dann nur 15 in deiner Klasse. Als dann die Klassenzuteilung kam, hatte ich in meiner und der Parallelklasse je 23 Kinder. Das geht nicht. 00:07:05-8

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A: Mhm. 00:07:09-0 L3: Und jetzt bei S3 hat man auch gesagt, ja, wenn du S3 nimmst. Da habe ich gesagt, ja, gut, aber ich will eine kleine Klasse. Ich mache das Spiel nicht mehr mit wie beim Kind mit Hörbehinderung. Das meine ich, oder. Und, und, zuerst weiss ich was in Bewegung bringen, bevor. Es müsste eigentlich zum Vornherein klar sein, dass es so ist. 00:07:27-5 A: Keine leeren Versprechungen. 00:07:31-1 L3: Und, ja, das auch. 00:07:33-8 A: Ähm, wie stehst du selber zur Integration von behinderten Kindern und Jugendlichen? 00:07:39-9 L3: Ich finde das gut. Ich finde das wirklich gut. Also, einfach immer in dem Rahmen, wie es möglich ist, natürlich. Aber ich finde es gut so. 00:07:53-9 A: Wie ist die Integrationspolitik in deiner Gemeinde? 00:07:55-9 L3: In der Gemeinde ist sie eigentlich so, dass man das unterstützt, dass es kommt. Aber eben, es ist erst am Anfang, es ist jetzt glaube ich sechs Jahre her, dass das Kind mit Hörschädigung, jetzt S3. Ich wüsste nicht grad von sonst jemandem. Ich weiss auch nicht, wie viele es noch in der Gemeinde hat. Es hatte mal ein Kind, welches im Rollstuhl sitzt, da waren die Gebäude das Problem. Es ist unmöglich, jemanden im Rollstuhl hier in der Schule zu integrieren. Es geht nicht. Es hat überall Treppen. Es hat kein Zimmer ohne Treppe. Es ist, ja, das sind dann die anderen Begebenheiten. 00:08:41-2 A: Mhm. Also, du hat eigentlich die nächste Frage schon beantwortet. Wie viele Kinder besuchen integriert deine Klasse? 00:08:47-2 L3: Nur S3. 00:08:50-3 A: Und im Schulhaus? 00:08:50-3 L3: Im Schulhaus wüsste ich sonst niemanden. 00:08:51-5 A: Ja. 00:08:51-5 L3: Also, es gibt noch Andere, also Verhaltensauffällige und so. Das sind dann andere Schwierigkeiten. Dort denke ich, man kann nicht beliebig viele verhaltensauffällige Kinder in eine Klasse tun. Das geht nicht. 00:09:08-5

A: Mhm. Äh, wer entscheidet über eine Integration? 00:09:13-0 L3: Jetzt hier, dieses Mal war es so, dass man meinem Kollegen und mir gesagt hat, wenn ihr es seht, dann machen wir es. Wenn wir zum Vornherein gesagt hätten, nein, das liegt nicht drin, hätte man's nicht gemacht. Ich hatte das Gefühl, diesmal lag die Entscheidung wirklich bei uns, also bei den Lehrpersonen. Wir konnten entscheiden, ob wir es uns vorstellen konnten oder 47

nicht. Und dann entscheidet aber schlussendlich die Schulpflege. 00:09:43-6 A: Findest du es gut, dass du als Lehrer entscheiden kannst? 00:09:45-7 L3: Also, ich hatte sehr, sehr grosse Bedenken gehabt, oder. Wie, wie läuft denn das? Wie sieht man's? Und ich habe begonnen, mich zu informieren. Und, und, ich konnte meine Bedenken äussern und habe gemerkt, diese werden ernst genommen. Und dann war es gut für mich. Aber wenn es dann heisst, ja, nein, du musst nicht, es ist eh nichts, dann würde ich sagen, ja, also. Dann wird es schwierig, oder. Klar kommt es immer drauf an, also, die endgültige Entscheidung jetzt hier bei uns in der Schule, hatte ich das Gefühl, mein Kollege und ich konnten sagen, ja, wir können es uns vorstellen oder nein. Es ist etwas neues, etwas anderes. Es macht die ganze Sache wieder spannend und interessant, ja. 00:10:42-1 A: Wenn du dich dagegen entschieden hättest, wäre das einfach gewesen, mit dem Entscheid umzugehen? 00:10:45-7 L3: Da hätte ich damit fertig werden müssen. 00:10:54-4 A: Hättest du darüber stehen können? 00:10:57-5 L3: Ja, das ist halt wieder aus der Geschichte mit dem Kind mit Hörbehinderung. Es war da halt so, dass ich nach zwei Jahren gefunden habe, ich kann dem Kind das nicht mehr geben, was es eigentlich braucht. Ich habe gefunden, dass es keinen Wert hat, wenn es noch weiter da bleibt. Wir mussten eine andere Lösung finden. Und dann stieg die Schulpflege drauf ein. Und ich muss sagen, es war gut, haben wir das so gemacht. Aber ich habe sehr, sehr stark mit meinem Gewissen gekämpft. Ja, auch die Idee von, ich habe versagt, weil ich es nicht geschafft habe, dass es geht und so. Also, das kommt alles. Das dreht und macht und tut. Es ist schon so, ich finde es eine ganz schwierige Sache, oder. 00:11:52-2

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11. Ergebnisse Für unsere qualitative, nicht statistische Auswertung, wählten wir das Verfahren der „Bandbreitenbeschreibung“. Dabei geht es darum, in jeder Kategorie das breite Spektrum an Äusserungen aufzuzeigen. Das kann dann besonders aufschlussreich sein, wenn zu einem bestimmten Untersuchungsthema noch sehr wenig empirisches Material vorliegt. Die Auswertungsergebnisse werden in unserer Masterarbeit zu den einzelnen Kategorien dokumentiert und mit Zitaten aus den Interviews belegt (Schreiber, 1999, S. 158).

11.1 Darstellung der einzelnen Kategorien In den folgenden zehn Unterkapiteln werden wir auf die einzelnen Kategorien eingehen und dabei Übereinstimmungen und Unterschiede der einzelnen Aussagen unserer Zielgruppen auswerten. Dabei werden wir die einzelnen Kategorien mit prägnanten Zitaten untermalen.

11.1.1 Kategorie 1: Gesellschaftliche Integration Alle sehbehinderten und blinden Kinder und Jugendliche von der Geburt bis zum vollendeten 20. Altersjahr haben ein Recht auf Bildung und Förderung mit dem Ziel einer möglichst umfassenden Integration in die Gesellschaft.

Gemäss dem Sonderpädagogischen Konzept ist das sonderpädagogische Angebot Teil des kantonalen Bildungsauftrags und erstreckt sich über die Altersspanne von der Geburt bis zum vollendeten 20. Altersjahr. Dabei sollen alle Kinder und Jugendlichen, unabhängig von Art und Grad ihrer Behinderung in ihrer intellektuellen, sozialen und persönlichen Entwicklung so weit wie möglich gefördert und zu einem möglichst eigenständigen Leben befähigt werden (Sonderpädagogisches Konzept, 2009, S. 10).

Im Kapitel 10.5 hatten wir ursprünglich für diese Kategorie den Titel ‚Recht auf Bildung‘ gesetzt. Während der Auswertung bemerkten wir allerdings, dass bei unseren Fragen nicht die Bildung, sondern vielmehr die Integration in die Gesellschaft im Zentrum stand. Aus diesem Grund entschlossen wir uns, den Titel der Kategorie 1 dem Inhaltsschwerpunkt anzupassen. Ziel des Leitsatzes 1 ist die möglichst umfassende Integration in die Gesellschaft. Dies bedeutet, dass die Kinder und Jugendlichen nicht nur in die Regelklassen ihres Wohnortes integriert werden sollen, sondern aktiv am gesellschaftlichen Geschehen in ihrem direkten und weiteren Umfeld teilnehmen können. Aus diesem Grund bezogen sich unsere Interviewfragen neben Fragen zur Integration in die Regelschule auch die Integration in das Dorf, auf das Besuchen von Vereinen und Freundschaften.

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In unseren Interviews mit den beiden Schülerinnen und dem Schüler befragten wir zur Kategorie 1 auch den Unterschied zwischen der Sonder- (SfS) und der Regelschule. Während den Auswertungen stellten wir fest, dass diese Fragen besser zur Kategorie 3 passten, weshalb wir diese Unterkategorie dort abhandeln werden.

11.1.1.1 Ergebnisse zur Kategorie 1 Bei zwei der drei Fälle kann gesagt werden, dass sowohl die Kinder wie auch ihre Familien gut in die dörfliche Gesellschaft integriert sind und aktiv daran teilnehmen. Gemäss B+U- und Regelklassenlehrperson lässt sich dies auch daran erkennen, dass die Kinder Kontakte zu Schülerinnen und Schüler aus anderen Klassen pflegen und sich in der Freizeit mit diesen treffen. Beide Kinder sind oder waren Mitglied eines oder mehrerer Vereine. Die Teilnahme in den Vereinen scheint bei beiden Kindern selbstverständlich zu sein. Offenbar mussten die Eltern nicht dafür kämpfen, dass ihre Kinder in die Vereine aufgenommen wurden. „(…) ich frage einfach an, und dann heisst es ok.“ (E1) Das dritte Kind besucht die Schule nicht im Wohn-, sondern im Nachbarort. Da am Wohnort nur die Primarschule angeboten wird, das Kind während der Primarschulzeit vorwiegend an der SfS beschult wurde, konnte wenig Kontakt zu den Kindern der Nachbarschaft aufgebaut werden. Zudem spielt der kulturelle Hintergrund der Familie eine grosse Rolle. Sie verkehrt nicht in der Dorf-, sondern in ihrer kulturellen Gemeinschaft. „Also, das Problem ist so, in O. ist nur erste bis sechste Klasse. Anschliessend geht man nach R. in die Oberstufe. Das ist ein Problem. Weil er ist eigentlich als Knabe hier her gekommen und hat hier keine Kollegen. Weil ihn praktisch keiner kennt.“ (E3) Ausser den Bezugspersonen von S1 konnten alle anderen nicht abschliessend die Integration der Kinder in die Dorfgemeinschaft beurteilen, da die meisten Interviewpartner nicht im selben Dorf ansässig sind. Alle teilten jedoch die Meinung, dass die integrative Beschulung der drei Kinder ihre Integration in die Dorfgemeinschaft positiv beeinflusst. „Dadurch, dass sie von allen anderen Kindern aus dem Dorf gekannt wird. Also von den Kindern, welche zur selben Zeit auch in die Schule gehen und deren Geschwister, gekannt wird. Denn sie ist ein Spezialfall, dadurch kennen sie die Fünftklässler und die Kindergärtner. Und dann erzählt derjenige dies seinen Geschwistern und von dem her ist dies schon einfacher.“ (LP1) „Vorher haben sie sich manchmal zurückgenommen, ja, sie geht ja in das entfernte Zürich. Und sie hat ja hier wie nichts mehr verloren. Und sobald sie hier war, kam sie sehr aktiv wieder hinein. Aber es ist nicht etwa erzwungen. Es ist etwas, das normal abläuft. Und gut läuft.“ (B1)

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„Wenn sie in der Schule integriert ist und sie gut integriert ist, dann ist sie auch im Dorf integriert. Das sind ja ihre wichtigen Personen, die Schulkollegen und Kinder. Das ist zentral, das ist das Wichtigste, die Schule, die Integration in der Schule. Wenn diese klappt, wenn das geht, dann läuft es.“ (LP2) 11.1.1.2 Schlussfolgerungen Der Auswertung des Interviewmaterials entnahmen wir, dass die Separation (die Beschulung in der SfS) für die Integration der Schülerinnen und Schüler in die Gemeinschaft ihres Wohnortes von allen Beteiligten als nicht förderlich wahrgenommen wird. Dabei steht der soziale Aspekt deutlich im Vordergrund. Kinder, welche nicht an ihrem Wohnort beschult und somit nicht Mitglied der jeweilige Schule sind, werden, auch wenn sie früher dort zur Schule gingen (z.B. Kindergarten oder Grundstufe), von den Mitschülerinnen und Mitschülern sehr schnell vergessen. Sie verlieren den Anschluss an ihre gleichaltrigen Kolleginnen und Kollegen, werden nicht mehr zum Spielen abgeholt und nicht mehr zu Geburtstagsfesten eingeladen. Dadurch, dass sie aufgrund ihrer Blindheit massiv in der Selbständigkeit eingeschränkt und vom ‚Goodwill‘ der Anderen abhängig sind, verschärft sich die Situation zudem. Ihre Schultage werden, bedingt durch die teilweise immensen Anfahrtswege an die Sonderschule nach Zürich, sehr lange. Was zur Folge hat, dass ausgesprochen wenig bis gar keine Freizeit übrig bleibt, in welcher sie Freundinnen und Freunde am Wohnort treffen können. So bleibt oft nur noch der Mittwochnachmittag, welcher häufig durch Therapien besetzt ist, und das Wochenende. Dieses verbringen die Kinder meist in ihrer Familie. Die Reintegration von S1 und S2 hat zur Folge, dass die Kinder im Dorf erneut wahrgenommen werden, Vereine besuchen können und alte Freundschaften wieder aufleben.

11.1.2 Kategorie 2: Eltern als Experten Die Eltern/Erziehungsberechtigten werden als wichtige Partner und Experten u.a. im Bereich des gesundheitlichen Zustandes ihres Kindes wahr- und ernst genommen. Sie nehmen an runden Tischen teil und bestimmen wichtige Entscheide mit. Sie sind über das aktuelle Schulgeschehen informiert und nehmen aktiv daran teil.

Die Erläuterungen des Sonderpädagogischen Konzeptes sagen zu diesem Leitsatz, dass Eltern/Erziehungsberechtigte von Beginn weg regelmässig in Fragen der Schulischen Entwicklung ihres Kindes sowie bei der Entscheidung über die Durchführung allfälliger sonderpädagogischer Massnahmen einbezogen werden müssen (Sonderpädagogisches Konzept, 2009, S. 10).

In dieser Kategorie haben wir verschiedene Perspektiven der Elternrolle beleuchtet. Einerseits ging es dabei um die Selbsteinschätzung und Wunschrolle aus der Sicht der Eltern, andererseits um die Zusammenarbeit von Lehrpersonen, B+U und Eltern. Dabei wurde ein Augenmerk auf die Expertenrolle der Eltern hinsichtlich der Blindheit ihrer Kinder gelegt. Auch ihre Mehrbe51

lastung (zeitlich und finanziell) aufgrund der Integration ihrer Kinder wurde thematisiert. Weitere Punkte, welche von uns befragt wurden, waren der Beitrag der Eltern zur Ermöglichung der Integration (Fahrdienste, vermehrte Hilfe bei Hausaufgaben) und die Teilnahme der Eltern am Schulgeschehen (Schulausflügen, Runde Tische, Klassenlager usw.).

11.1.2.1 Ergebnisse zur Kategorie 2 Alle drei befragen Elternteile sind mit der Rolle zufrieden, welche sie bei der Integration ihres Kindes in die Regelklasse innehaben. Gemäss ihren Aussagen werden sie nicht anders behandelt, wie die Eltern der Mitschülerinnen und Mitschüler. Sie nehmen im gleichen Masse wie alle Anderen an Schulveranstaltungen teil. Wenn zusätzliche Betreuung notwendig wird (Klassenlager, Exkursionen etc.), werden Assistenzen oder die B+U-Lehrperson beigezogen. Eine Ausnahme machen regelmässige Absprachen zwischen Eltern, Lehrpersonen und B+U-Lehrperson sowie die häufiger angesetzten Standortgespräche. Eine Mutter betonte, dass es ihr wichtig ist, gleich behandelt zu werden wie alle Anderen. „Ich hätte jetzt nicht gerne, wenn ich Extrabehandlungen hätte. (…) Ich habe es gerne, wenn es einfach normal läuft.“ (E1) Auf der anderen Seite fällt auf, dass auch die Lehrpersonen keinen speziellen Einsatz seitens der Eltern wünschen. Die Kinder sollen möglichst autonom und gleichberechtigt wie die Kolleginnen und Kollegen behandelt werden. L2 erwähnte auf die Frage, wie aktiv die Eltern am Schulgeschehen teilgenommen haben: „Sehr aktiv. (…) Nun ja, dass sie oft auch gekommen ist, beinahe zu oft manchmal, wir mussten dann beinahe schauen, dass sie ihr Kind nicht zu oft begleitete, sondern dass sie sie auch alleine liess.“

Dieselbe Lehrperson empfand die ‚Notlösung‘ (entstanden aus Personalmangel), die Mutter als Assistenz im Turnen einzusetzen, als nicht optimal. „(…) Und dann kam die Mutter, was eigentlich nicht so ein gutes Experiment war.“ (L2) Die Frage, ob Integration ohne Eltern möglich sei, wurde von allen Befragten ausser B3(1) mit einem klaren ‚Nein‘ beantwortet. „Nein, schlichtweg nicht. Da müssen die Eltern dies schon auch mittragen. Ja, und mit Unsicherheiten umgehen können. Und wenn sie das nicht können oder nicht mittragen, dann geht das nicht.“ (L3) Im Gegensatz zu L3 meint B3(1), dass eine Integration auf der Oberstufe auch ohne Eltern umzusetzen sei. Im Laufe ihrer Entwicklung würden die Schülerinnen und Schüler immer mehr Verantwortung übernehmen und werden selber zu Experten, was ihre Blindheit betrifft.

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„Ja. Auf der Oberstufe, ja. Wenn die Schüler kompetent genug sind und selbstsicher genug, dann können sie ihren Weg auch machen, wenn die Eltern nicht mitmachen. (…) Wobei, ich denke, dass bahnt sich ja irgendwie an. Ich möchte jetzt nicht sagen, die Eltern sind nicht dabei. Und, und. Aber irgendwie kann, kann ein einigermassen sozial aktiver und kompetenter Mensch auch selber die Integration schaffen.“ (B3(1)) Grundsätzlich konnten wir den Interviewunterlagen entnehmen, dass der Austausch und die Zusammenarbeit zwischen Regelklassenlehrpersonen und Eltern vorwiegend schulische Themen beinhalten, blindenspezifische Themen von Eltern und B+U-Lehrpersonen behandelt werden. Die Regelklassenlehrpersonen werden im Hinblick auf die blindenspezifischen Themen ausreichend durch die B+U-Lehrpersonen betreut. Alle Eltern empfanden ihren zeitlichen Mehraufwand in der Integration im Vergleich zur Separation als vernachlässigbar. Es kommen wenige Fahrdienste dazu, der zeitliche Rahmen der Hausaufgabenbetreuung unterscheidet sich nicht wesentlich von demjenigen normalsichtiger Kinder. Durch die Integration entstand kein zusätzlicher finanzieller Mehraufwand für die Eltern.

11.1.2.2 Schlussfolgerungen Wir stellten fest, dass die drei Elternpaare in den Regelklassen im Vergleich zu den Eltern der Mitschülerinnen und Mitschüler gleichwertig behandelt werden. Dabei ist zu erwähnen, dass sie grosses Interesse an der Integration zeigen und jederzeit kooperativ mit den Regelklassen- und B+U-Lehrpersonen zusammenarbeiten. Seitens der Regelschullehrpersonen ist jedoch keine überdurchschnittliche Beteiligung der Eltern im Schulalltag erwünscht, da sie den integrierten Kindern ein authentisches Schulerlebnis ermöglichen wollen. Zudem fühlen sich die Regelklassenlehrpersonen von den B+U-Fachleuten ausreichend kompetent beraten, weshalb sie einen häufigeren Austausch als unnötig empfinden. Die Auswertungen der Interviewdaten der Eltern zeigten, dass für sie weder grosse zeitliche noch finanzielle Mehrbelastungen durch die Integration entstehen.

11.1.3 Kategorie 3: Integrative Beschulung Integrative Schulungsformen sind die Regel, separative Massnahmen sind zu begründen. Bei integrierten sehbehinderten und blinden Kindern und Jugendlichen wird die Beschulung im Standortgespräch überprüft. In Einzelfällen, dort, wo die Schülerinnen und Schüler eine umfangreichere seh- und mehrfachbehindertenspezifische Unterstützung benötigen, kann eine separative Beschulung sinnvoll sein. Im jährlichen Standortgespräch wie auch bei Elterngesprächen von separativ geschulten Kindern ist eine Integration abzuklären und anzustreben. In der jährlichen Schülerbesprechung (Standortgespräch) an der SfS, wie auch bei Elterngesprächen der separativ geschulten Kinder ist die Integration abzuklären und anzustreben, bei den Standortgesprächen in den Regelschulen die umgesetzte Integration zu überprüfen.

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Dieser Leitsatz bedeutet, dass alle Kinder und Jugendlichen möglichst gemeinsam an Bildung und Erziehung teilhaben sollen (Sonderpädagogisches Konzept, 2009, S. 10).

Mit der Umsetzung des neuen Volksschulgesetzes wird die integrative Beschulung zur Regel. Dennoch wird die Existenz der Sonderschulen, in unserem Fall der SfS, nicht angezweifelt, da in vielen Fällen die Bedürfnisse der Kinder, welche einen hohen Förderbedarf und hochspezialisiert ausgebildete Fachpersonen benötigen, von der Regelschule nicht abgedeckt werden können. Aus der Geschichte der SfS kann entnommen werden, dass bereits im Jahr 1982 mit der Integration von Kindern mit Sehbehinderung in Regelklassen begonnen wurde. Diese Kinder werden seit fast 30 Jahren vom ambulanten Dienst (B+U) betreut. Momentan werden rund 2/3 der sehbehinderten und blinden Schülerinnen und Schüler integrativ oder teilintegrativ von der SfS betreut, 1/3 besucht weiterhin die Sonderschule in Zürich. Hier werden in der jährlichen Schülerbesprechung wie auch bei den Elterngesprächen regelmässig über eine mögliche Integration des Schülers oder der Schülerin diskutiert.

11.1.3.1 Ergebnisse zu Kategorie 3 Zu ihrer Meinung über eine optimale Integration haben wir sowohl die Regelklassen-, wie auch die B+U-Lehrpersonen befragt. Dabei fiel uns auf, dass dabei das Schwergewicht auf verschiedenen Faktoren der Integration lag.

B3(1) meinte dazu: „Ja, ich finde, das kann man gar nicht so sagen. Eine optimale Integration ist zugeschnitten auf den zu integrierenden Schüler.“ Mit dieser Aussage legt B3(1) den Fokus klar auf das Umfeld des Kindes oder des Jugendlichen. Wir interpretieren daraus, dass aus der Sicht von B3(1) mit dem entsprechenden Umfeld jede Schülerin und jeder Schüler unabhängig vom Behinderungsgrad in die Regelschule integriert werden kann.

B1 geht davon aus, dass die zu integrierende Schülerin oder der zu integrierende Schüler eine gewisse Bereitschaft mitbringen muss, damit die Integration optimal verlaufen kann. „Wenn das Kind bereit dafür ist, dann ist es wirklich optimal. Aber das Kind muss die Bereitschaft auch bringen.“ (B1) B2 macht eine optimale Integration abhängig vom zur Verfügung stehenden Material und den Kompetenzen der Regelklassenlehrperson. „Ich denke, wenn die Schülerin, welche integriert wird, ganz viele Dinge selber erledigen kann, also, dass sie das Material so bekommt, dass es möglichst viel Eigenaktivität ist 54

und nicht einfach eine

Abhängigkeit

zwischen

Heilpädagogin und Schülerin

entsteht.(…) Und auch, wenn sich die Lehrperson wirklich einlässt, sich einarbeitet, weiss, wie man einen Punktschriftdrucker bedienen kann, weiss, wie man ein Scanprogramm benützt, wenn sie auch mit der Zeit weiss, wie sie ein Arbeitsblatt geschickt umgestaltet für S2, dass sie auch drauskommt. Dass das eben nicht alles an mir liegt. (…). Mit klarer Hauptverantwortung bei mir, das ist logisch.“ (B2) L3 wie L1 sehen die Unterstützung des Systems als Schlüssel zur optimalen Integration. „Also, optimal ist natürlich, dass es wirklich läuft, wie für alle Anderen auch. Und, ähm, das würde heissen, dass die Klassen nicht allzu gross sind. Da habe ich jetzt, ja, das Glück, dass der Kampf sich gelohnt hat und die Klasse wirklich nicht so gross ist. Und äh, ja, dass die Unterstützung da ist. Sei dies von der Schule für Sehbehinderte oder sei dies von Seiten der Eltern oder der Schulpflege und Schulleitung. Ja, dass die Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Und dass man nicht zuerst weiss ich nicht was drohen muss, bis es tatsächlich passiert.“ (L3) „Ja, sie funktioniert mit halbwegs intelligenten Kindern, sie funktioniert mit einem aufgestellten Elternhaus, sie funktioniert mit einem unkomplizierten Lehrerteam und sie funktioniert mit grosszügigen Mitschülern.“ (L1) Als weiteres wollten wir von Regelklassen- sowie B+U-Lehrpersonen wissen, wie sie persönlich zur Integration stehen. Einiges haben wir oben bereits ausgeführt. Alle befragten Personen stehen der Integration von Kindern oder Jugendlichen mit besonderen Bedürfnissen positiv gegenüber. Als Grenze nannte L1 aber Schülerinnen und Schüler mit Mehrfachbehinderungen. Dennoch spürten wir bei L1 und L3 eine grosse Frustration, was die Zusammenarbeit mit den Behörden betrifft. Offenbar wurden in beiden Fällen leere Versprechungen, v.a. im Zusammenhang mit der Klassengrösse, gemacht. L3 wusste aus einer früheren Erfahrung, dass er sich bei der Klasseneinteilung wehren muss, damit er wirklich weniger Schülerinnen und Schüler in seiner Klasse unterrichten kann. Auf Ängste und Sorgen wurde nicht eingegangen. So wurde z.B. bei L1 erst, nachdem sie über ein halbes Jahr betreffend dem Turnunterricht im Kontakt mit der Schulpflege stand und sie sich schliesslich geweigert hatte, alleine den Turnunterricht durchzuführen, eine Assistenz gesucht. „Ich habe einfach ziemlich stark auf den Tisch geklopft und gesagt, wenn nicht so, wie ich will, dann könnt ihr es vergessen. Ich musste sie eigentlich erpressen. Ich wollte nicht mehr das erleben wie mit dem hörbehinderten Kind. Ich fand, ich bin bereit, mich auf das Experiment einzulassen, aber nur, wenn es weniger Leute in der Klasse hat.“ (L3)

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L2 war mit der Integrationssituation zufrieden. Er meinte, dass die Integration nahe dem Optimum verlief. Er hatte offenbar auch sehr gute Unterstützung von verschiedenen Ämtern und Stellen. Die Kinder baten wir, einen Vergleich zwischen der Separation und der Integration zu machen. Alle drei nannten auf unsere Frage: „Was gefällt dir besonders gut an der Regelschule?“ die Freundschaften, das höhere Arbeitstempo als an der SfS sowie den Turnunterricht. Die Statements der Schülerinnen und des Schülers betreffend Freundschaften lauteten: „Also, mir gefällt es hier so gut, weil hier so viele Kinder sind. Und weil wir hier so viele Kinder sind, findet auch jeder Kollegen.“ (S2) „Ja, ich habe halt hier meine alten Freundinnen. Ich habe die zum Teil seit dem Kindergarten. Und wegen Zürich habe ich diese ziemlich lange nicht mehr gesehen. Und jetzt gefällt es mir, dass sie wieder kommen.“ (S1) „Es sind vielmehr Kinder, also Jugendliche und so.“ (S3) Zum Thema Arbeitstempo meinten sie: „Und, ja, man kommt vielmehr vorwärts. Ja, man lernt mehr in der Regelklasse. Die Schule in Altstetten ist eine gute Schule. So, das finde ich auch. Wenn man die Möglichkeit hat und das machen kann, finde ich eine Regelschule besser.“ (S3) „Es ist weniger Eins-zu-Eins-Betreuung. (…) Und ja, also. Unterschied ist halt auch, es geht schneller vorwärts und es ist einfach, die Leute sind nicht so, ähm. Ich glaube, ich bin eine von denen, die im Kopf noch normal ist. Die anderen sind etwas verlangsamt. Die meisten. Das ist hier nicht so. Hier geht’s ‚tägtäg‘, und niemand ist wirklich verlangsamt.“ (S1) „Es gibt halt schon Unterschiede. Zum Beispiel hier in S. lernt man sehr schnell. Auch so schnell, wie ich auch gerne lernen möchte, und in Zürich hat man immer ein bisschen langsamer gelernt als hier in S. Und das ist halt eben der Unterschied, der mir eben gefällt, dass man hier ein bisschen ‚zügig‘ lernt.“ (S2) Auf die Frage „Gibt es Situationen in der Regelklasse, bei denen du nicht mitmachen kannst, aber gerne mitmachen würdest?“ nannten S1 und S3 den Turnunterricht. S2 fand, dass sie alles, was sie machen möchte, auch machen kann. „Hm. Ja, klar im Turnen. Ich bin sehr motiviert. Aber, klar, ich kann nicht alles machen, das ist halt so. Das tut mir schon leid. Aber, man kann nichts machen.“ (L3) „Nein, eigentlich nicht. Weil die Sachen im Turnen, die ich nicht mitmachen kann, die möchte ich auch eigentlich gar nicht machen.“ (L2)

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11.1.3.2 Schlussfolgerungen Grundsätzlich spürten wir die durchwegs positive Einstellung aller Beteiligten zur Integration der zwei blinden Schülerinnen und des Schülers. Wie bereits beschrieben, haben Regelklassen- und B+U-Lehrpersonen verschiedene Anforderungen an eine optimale Integration: Das System wird dem zu integrierenden Kind angepasst; das Schwergewicht liegt beim Willen des Kindes; die Zusammenarbeit im System steht im Zentrum; das Gelingen der Integration ist vom Einsatz der Lehrperson abhängig. Frustration kommt dann allerdings auf, wenn die Regelklassenlehrer und –lehrerinnen seitens der Behörden nicht auf offene Ohren stossen oder wenn nicht mit offenen Karten gespielt wird. Aus den Aussagen der Kinder schliessen wir, dass das Lerntempo in der Regelschule im Vergleich zur Sonderschule (SfS) wesentlich höher ist und ihren Bedürfnissen des schnelleren Lernens damit besser Rechnung getragen wird. Die grössere Anzahl Kinder in der Regelschule bieten den beiden Schülerinnen und dem Schüler eine breitere Auswahl an Freundinnen und Freunden, was von allen sehr geschätzt wird.

11.1.4 Kategorie 4: Verantwortlichkeit des Kantons Der Kanton gestaltet und steuert das sonderpädagogische Angebot für sehbehinderte und blinde Schülerinnen und Schüler. Er steht im engen und konstruktiven Kontakt mit der Schule für Sehbehinderte der Stadt Zürich.

Gemäss den Erläuterungen zum Leitsatz 4 sichert und entwickelt der Kanton Zürich die Qualität durch Leistungsvorgaben. Dabei soll die Differenzierung der Angebotspalette reduziert, die Ressourcen gebündelt werden. Hoch differenzierte Angebote sollen durch polyvalente Angebote ersetzt werden (Sonderpädagogisches Konzept, 2009, S. 10).

Unsere Hoffnung, zu obgenanntem Leitsatz von den Schulleitungen der Regelklasse Informationen zu erhalten, erfüllte sich nicht. Aus diesem Anlass stellten wir die Fragen der Schulleiterin der Schule für Sehbehinderte der Stadt Zürich schriftlich. Es interessierte uns, wie ausgeprägt der Kontakt zwischen der Schulleiterin und den verantwortlichen Personen des Kantons ist, ob sie die Zusammenarbeit als konstruktiv erachtet und ob und in welcher Form die Schulleiterin der SfS ein Mitspracherecht hat, was die Gestaltung und Steuerung des sonderpädagogischen Angebots betrifft.

11.1.4.1 Ergebnisse zu Kategorie 4 Die Schulleitung empfindet den Kontakt mit dem Ansprechpartner des Kantons als konstruktiv und wohlwollend. Sie stehen im regen Austausch, die Anliegen der SfS wurden stets ernst genommen. Letzte Kontakte fanden im Zusammenhang mit der 3. Überarbeitung des Konzepts der SfS (September 09), der Optimierung der Zusammenarbeit SfS (TS und B+U) mit der Heilpädagogischen Früherziehung (September 09) und dem Nachteilsausgleich (Dezember 09) statt. 57

Es konnten im Konzept über die SfS die verschiedenen Integrationsformen (Teilintegration mit zunehmender Anzahl Lektionen an der Regelschule und Vollintegration) wie auch die positiven Erfahrungen mit diesem Modell „Stufenweise Integration“ beschrieben werden, was auf grosses Interesse und Akzeptanz bei der Bildungsdirektion des Volksschulamtes des Kantons Zürich stiess.

Die Schulleitung betonte, dass das Volksschulamt neu die Bewilligung der Anzahl Schulplätze an der SfS/Tagesschule bzw. in der Integrierten Sonderschulung klar unter dem Motto Integration vor Separation erteilt. Als Beispiel nannte die Schulleiterin: „Als wir im letzten Frühling sehr viele SchülerInnen-Anmeldungen erhielten, mussten wir ein Erweiterungs-Gesuch an die Bildungsdirektion, Abteilung Volksschulamt, richten mit einer Begründung für mehr Plätze. Die Anzahl Plätze wurde von 30 auf 35 erhöht mit der Auflage, mindestens fünf Plätze müssten in der Integrierten Sonderschulung sein. Wenn wir Integration vor Separation verfolgen, haben wir weniger bis keine Probleme, als wenn die Anzahl Plätze an der Tagesschule erhöht werden müsste.“

11.1.4.2 Schlussfolgerungen Die Zusammenarbeit zwischen der Schule für Sehbehinderte der Stadt Zürich und den Verantwortlichen des Kantons ist aus der Perspektive der Schulleitung sehr konstruktiv. Anregungen werden aufgenommen und teilweise realisiert. Aus ihren Aussagen wird deutlich, dass aus Sicht des Kantons Integration vor Separation steht.

11.1.5 Kategorie 5: Verantwortlichkeit der Gemeinde Die Gemeinde stellt die Umsetzung von sonderpädagogischen Massnahmen für alle sehbehinderten und blinden Kinder und Jugendlichen von der Geburt bis zum vollendeten 20. Altersjahr sicher.

Nach dem Sonderpädagogischen Konzept bleibt die Verantwortung für die Gewährleistung einer adäquaten Bildung und Förderung der Schülerinnen und Schüler bei der Sonderschulung der Gemeinden. Diese sorgen für die Überprüfung der angeordneten Massnahmen auf ihre Notwendigkeit und Wirksamkeit (Sonderpädagogisches Konzept, 2009, S. 11).

Lehrpersonen und Schulleitungen haben wir zur Integrationspolitik ihrer Gemeinde im Allgemeinen befragt. Dabei war auch die Zufriedenheit der Beteiligten ein Thema. Da der Kanton Zürich keine zusätzliche Entlöhnung oder Entlastung (zeitlich und/oder personell) für die Lehrpersonen, welche Kinder mit sonderpädagogischen Massnahmen integrieren, vorgesehen hat, interessierten wir uns für den Umgang mit dieser Situation in den einzelnen Gemeinden.

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11.1.5.1 Ergebnisse zu Kategorie 5 SL1 gab zu verstehen, dass er im Grossen und Ganzen sehr zufrieden ist mit der Integrationspolitik seiner Gemeinde. Sie sei sehr grosszügig, was Therapien und Einzelförderungen anbelangt. Als Beispiel nannte er den hohen Kredit für die Begabungs- und Begabtenförderung, welche vors Volk gelangte und angenommen wurde.

Im Gegensatz zum Schulleiter war die Lehrperson derselben Gemeinde gegenüber weniger positiv eingestellt. Sie empfand die Vorgehensweise, was Neuerungen in der Schullandschaft betrifft, überstürzt und oft nicht zu Ende gedacht unterstrich deutlich, dass sie die Lehrpersonen als Leidtragende dieses Systems sieht. „Wenn etwas aus Zürich (gemeint ist das Volksschulamt, Anm. der Verfasser) kommt, dann setzen sie es gleich um. Sie befragen weder die betroffenen Lehrpersonen, noch die betroffenen Schulleiter, vielleicht haben sie die Schulleiter gefragt, aber sie setzen es einfach einmal gerade um. Also die Schulpflege. Die Schulpflege setzt es um. Um nachher sagen zu können, (…) wir sind eine fortschrittliche Schule. (…) Sie denken das nicht zu Ende.“ (L1) In unserem Interviewleitfaden war keine Frage vorgesehen, abzuklären, ob sich die Lehrpersonen von den Behörden ernst genommen fühlen. Die Auswertungen unserer halbstrukturierten Interviews ergaben jedoch, dass dies ein Thema ist, welches die Regelklassenlehrpersonen beschäftigt. L1 betonte, dass sie für den Turnunterricht trotz mehrmaligem Bitten keine Assistenz erhielt. „Und dann habe ich den Lehrerverein angerufen und die haben mir dann gesagt, dass es ohne eine Hilfe nicht gehen könne. (...) Und die haben dann der Schulpflege einen eingeschriebenen Brief geschickt, (...). Dass man mit eingeschriebenen Briefen drohen muss, bis sie sich dann bemühen jemanden anzustellen. Ja also, deshalb hat sich niemand wirklich fest darum gekümmert.“ (L1) „Und jetzt bei S3 hat man gesagt, ja, wenn du S3 nimmst... Da habe ich gesagt, ja, gut, aber ich will eine kleine Klasse. Ich mache das Spiel nicht mehr mit wie beim Kind mit Hörbehinderung.“ (L3) L2 war mit der Unterstützung, welche er von den Behörden erhielt, sehr zufrieden. „Nein, ich musste wirklich nie kämpfen.“ (L2) 11.1.5.2 Schlussfolgerungen Die Datenmenge zu dieser Kategorie gestaltete sich als eher gering. Es stellte sich nun die Frage, ob dies an den Fragen der Leitfadeninterviews lag oder aber daran, dass fast alle der befragten Personen nicht viel über die Integrationspolitik der Gemeinde wissen. Dazu muss 59

noch erwähnt werden, dass wir nur mit der Schulleitung von S1 ein Interview führen konnten. SL3 sandte uns seine eher knappen Ausführungen per Mail, SL2 weigerte sich, uns mündlich Auskunft zu geben wie auch die Fragen schriftlich zu beantworten.

Was das Eingehen der Behörden auf die Bedürfnisse der Lehrpersonen, welche eine blinde Schülerin/einen blinden Schüler integrieren, betrifft, stellten wir bei L1 und L3 eine grosse Unzufriedenheit fest. Von den Lehrpersonen wird viel Goodwill, einen grossen Mehraufwand und Anpassungen in ihrem täglichen Arbeiten verlangt. Wenn keine Gegenleistungen spürbar sind oder gar Widerstand auftritt, können wir die Frustration der betroffenen Lehrpersonen gänzlich nachvollziehen. Es ist leider immer noch eine Tatsache, dass die Lehrpersonen, welche sich für die Integration eines Kindes oder eines Jugendlichen mit Behinderung bereit erklären, für ihren Mehraufwand im Kanton Zürich weder finanziell noch zeitlich entschädigt werden. Aus diesem Grund können wir die Zufriedenheit der Lehrperson im Kanton Graubünden verstehen. Diese wurde von der Gemeinde von Beginn an für zwei Lektionen pro Woche entlastet.

11.1.6 Kategorie 6: Zusammenarbeit der Schulen Die Zusammenarbeit zwischen dem Regel- und Sonderschulbereich dient dem Ziel der Integration. Im engen Kontakt zwischen der Regelschule und der Schule für Sehbehinderte der Stadt Zürich werden die Integrationen aufgegleist und durchgeführt.

Die Sonderschulung ist Teil des Bildungsauftrages der Volksschule. Ihr Angebot, ob integrierend oder separierend, orientiert sich am Bildungsauftrag der Regelschule. Die Unterstützungsangebote sollen aufeinander abgestimmt sein (Sonderpädagogisches Konzept, 2009, S. 11).

In der Auswertung der Interviews nimmt die Kategorie 6 aufgrund der zahlreichen Unterkategorien viel Raum ein. Dies zeigt die Wichtigkeit der Zusammenarbeit der Regelschulen und der SfS, insbesondere des B+U, auf. Wir interviewten Eltern, Regelklassen- und B+U-Lehrpersonen sowie die Schulleitungen zu folgenden Themen: Unterstützung durch die Regelschule, Erwartungen an Regelschullehrpersonen/Zusammenarbeit zwischen B+U und Regelklassenlehrperson, Erwartung an die Schulleitung/Zusammenarbeit zwischen B+U und Schulleitung, Runde Tische und verschiedenen Aspekten der Integration.

11.1.6.1 Ergebnisse zu Kategorie 6 Den Auswertungen konnten wir entnehmen, dass bezüglich der Zusammenarbeit mit der Regelschule grosse Zufriedenheit sowohl bei den Eltern wie auch dem B+U herrschen. Aus den Statements der Eltern konnten wir lesen, dass sie über das Schulgeschehen und eventuellen Problemen gut informiert sind. Sie stossen jederzeit auf offene Ohren und werden als Partner ernst genommen.

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„Also, wenn irgendein Problem besteht, dann wird sofort nachgefragt. Wenn ich irgendetwas habe, dann kann ich jederzeit anrufen. Und sie gehen auch drauf ein, wenn irgendetwas mit S2 ist. Ich weiss, dass sie ganz gut aufgehoben ist und ich weiss, dass alle Arbeit, die wir in Zürich gemacht haben, um sie auf das Niveau zu kriegen wie die anderen Kinder. Dass die Heilpädagogin auch alles daran setzt, dass das so bleibt. Dass sie nicht hinten nach ist und das ist für mich sehr wichtig.“ (E2) „Also von der Regelschule muss ich sagen, ich werde immer informiert, wenn etwas ist. Bin immer auf dem neusten Stand. (...) Ich muss ehrlich sagen, der Lehrer ist sehr gut. Die Behörden in R. sind auch sehr gut und sehr fair. Wirklich genial.“ (E3) „Bessere, da bin ich eben eigentlich ‚paff’. Ich habe das umgekehrt gedacht. Ich dachte, wie können so Leute, die ja eigentlich keine Erfahrung haben, so locker mit dem umgehen?“ (E1) Auch die Rückmeldungen vom B+U waren durchwegs positiv. Die Zusammenarbeit wird geschätzt. Inputs, welche die B+U-Lehrpersonen geben, werden im Schulalltag umgesetzt. „Super gute. Es ist eigentlich alles, was immer wir beschliessen, wird gemeinsam gemacht.“ (B3(1)) „Also eine sehr grosse, muss ich sagen. (...) das ist wirklich sehr offen, sie machen was sie können, fragen auch immer nach: Was kann ich machen? Sag du, was ist besser? Also, dass auch meine Meinung angehört wird, aber auch umgesetzt.“ (B2) „Also, dass ich, wenn ich eine Idee gehabt habe, oder ich gesehen habe, etwas muss für S1 anders laufen, muss ich sagen, wurde das immer akzeptiert. Und ich hatte immer freie Hand.“ (B1) B1 und B2 hatten hohe Erwartungen an die Regelschullehrpersonen, was ihre Offenheit, Spontanität und Improvisationsfähigkeit im Schulalltag anbelangt. B1 meinte dazu: „Also erstens, dass sie das Kind nimmt, wie alle anderen auch. Dass sie aber akzeptiert, dass S1 nicht alles machen kann. Und dass sie v.a. auch spontan ist, improvisieren kann. Nicht alles stur machen will.“ (B1) B3(1) nannte als Haupterwartung eine positive Einstellung der Klassenlehrperson gegenüber des Kindes und der gesamten Integration. Wichtig fand sie auch, dass die Regelklassenlehrpersonen delegieren und die Unterstützung der B+U-Lehrperson annehmen können. „Dass sie nicht nur stur Stoff vermittelt, sondern das soziale und emotionale sieht. Äh, dass sie wirklich offen ist, nicht nur eine Pflichtübung macht. Ähm, dass sie daran glaubt. Dass sie die Integration als gangbarer Weg zumindest sieht und nicht zum Voraus findet, das ist eh nichts. Vielleicht auch, dass sie von ihren Rechten und Pflichten auch abgeben können und delegieren können. Dass sie nicht einerseits das 61

Gefühl haben, ja, ich bin so belastet von diesem Menschen, den ich hier integrieren muss. Andererseits auch nichts aus den Händen geben können.“ (B3(1)) Beide Schulleitungen (SL1 und SL3) betonten, dass das Einverständnis der Regelklassenlehrperson, ein blindes Kind in ihre Klasse aufzunehmen, Voraussetzung für eine Integration ist. Dabei ist noch anzufügen, dass SL1 im folgenden Zitat von der jetzigen Klassenlehrperson spricht und nicht von L1. „Ähm, meine Erwartungen sind natürlich, das was sie eigentlich gemacht hat. Sie hat sich sehr früh mit der Problematik auseinander gesetzt. Sie hat auch gesagt, sie will, bevor sie zusagt, dass sie das Ganze macht, will sie auf Besuch gehen und die Situation anschauen. Es war nicht einfach so, ja wir schauen dann, sondern sie hat sich sehr, sehr früh damit auseinandergesetzt. Und, und irgendwie, das braucht es glaub schon.“ (SL1) Aus den Aussagen der B+U-Lehrpersonen liess sich entnehmen, dass sich diese mehr Unterstützung der Regelklassenlehrpersonen von Seiten der Schulleitungen wünschen. Auch die teilweise fehlende finanzielle Entschädigung für den Mehraufwand, auf welche wir im Kapitel 12 genauer eingehen werden, war ein Thema. „Was ich gerne möchte ist, dass sie ihre Lehrer mehr unterstützen. Dass sie nicht nur sagen, das ist jetzt einfach so, du musst den Schüler integrieren. Sondern es muss irgendwo, ja, wir wissen ja, die bekommen nicht irgendwie zusätzliche Stunden oder ein zusätzliches Gehalt für die Mehrarbeit, welche sie leisten, aber dass sie sie wenigstens darin unterstützen, dass ihre Arbeit estimiert wird.“ (B3(1)) „Dass sie dies stützen und unterstützen. Dass sie dahinter stehen. Ich hatte aber auch die Erwartung, dass sie die Klassenlehrperson unterstützen. Und ihr helfen.“ (B1) SL1 nannte als wichtigste Erwartung an die B+U-Lehrperson, dass sie der Schulleitung und der Regelklassenlehrpersonen Varianten aufzeigt und sie unterstützen, falls die Integration scheitern würde. SL3 hatte offenbar die Frage nicht verstanden und gab darauf keine auswertbare Antwort.

Die Frage, ob und in welcher Form Runde Tische (Standortgespräche) stattfanden, beantworteten die interviewten Personen sehr unterschiedlich. B1 meinte dazu: „Nein, das hatten wir an der SfS nicht gehabt. Wir hatten an der Schule, also ja, wir hatten an der Schule Standortgespräche gehabt. Die Leute der Schule miteinander. Anschliessend hat man dies zu den Eltern getragen. Aber Runde Tische, dass die Eltern von Anfang an voll dabei waren, hatten wir an der SfS nicht.“ (B1)

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Dazu ist anzufügen, dass jeweils einmal pro Jahr an der SfS eine Schülerbesprechung (Standortgespräch) mit allen Personen stattfindet, welche an der der SfS mit dem betreffenden Kind zusammenarbeiten. Die Eltern sind jedoch nicht anwesend. An den Schülerbesprechungen wird immer auch diskutiert, ob und wann ein Kind Teil- oder Vollintegriert werden soll. Der aus der Schülerbesprechung resultierende Förderplan wird im anschliessenden Elterngespräch besprochen. Anders sieht es in den Regelschulen aus. In allen drei Regelschulen werden Runde Tische durchgeführt, bei welchen Eltern, Regelklassenlehrpersonen, B+U und eventuell auch das Kind teilnimmt. Die Schulleitung ist offenbar nicht in allen drei Fällen immer anwesend. „Nein, daran mag ich mich gar nicht erinnern. Einmal bin ich bei der Frau D. im Büro gewesen. Einmal in diesen drei Jahren. Ansonsten ist, ich muss es noch richtig stellen, Frau K. ist hier hingekommen, Frau R. oder Frau D. (…) Wir haben es eigentlich immer hier gemacht, stimmt, doch, wir sind hier jeweils zusammen gesessen mit allen.“ (E1) „Ja, der ist zweimal im Jahr fix. Das wird eine grosse Runde mit Schulrat, Lehrer, Eltern, Inspektorat vom Schulheim, an welchem ich angestellt bin als Heilpädagogin und das gibt es zweimal im Jahr.“ (B2) Der Wunsch, ihr Kind integrieren zu können, kam bei S1 und S2 eindeutig von Seiten der Eltern. Beide Schülerinnen besuchten den Kindergarten an ihrem Wohnort und wurden von Früherzieherinnen betreut. Für die Einschulung wechselten beide an die Schule für Sehbehinderte der Stadt Zürich. Während der Zeit der Separation war es die Bedingung beider Elternpaare, ihr Kind so schnell wie möglich in die Regelschule zu reintegrieren. „Und in Zürich haben sie von Beginn an gesagt, dass sie es schaffen werden, dass S2 wieder zurück kann. Das war eigentlich ausschlaggebend, dass wir von Beginn an gesagt haben, dass wir dort hin wollen, dass wir sie nach Hause holen möchten.“ (E2) „Das war schon beim Eintritt in die SfS die Bedingung. Sie kommt an unsere Schule, bis sie integriert werden kann. (...) Es waren schon die Eltern. Und alle zusammen haben gefunden, bei S1 sollte man das anstreben.“ (B1) Was die Dauer der Separation an der SfS anbelangt, wurden auch kritische Stimmen laut. E1 bemängelte die Transparenz bezüglich des Integrationszeitpunktes und beschrieb dies wie folgt: „(...) Nachher dachte man eben, dass sie nach einem Jahr wieder kommen dürfe und das war eben ein richtiges ‚Hämmerlein‘. Und da bekomme ich, das vergesse ich nie mehr, an diesem Runden Tisch, als sie damals plötzlich von drei, vier Jahren sprachen.“ (E1)

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Wie erwähnt, gaben bei S1 und S2 eindeutig die Eltern den Anstoss für die Integration ihrer Kinder. Bei S3 gestaltete sich die Aufgleisung anders. Hier kam der Vorstoss von Seiten der Sonderschule. „Ah, die Idee kam von uns. Aber die Eltern haben am Schluss auch in Form eines Protokolls unterschrieben. Nein, sogar die Familie, weil die Schwester hat mit unter schrieben. Das war ‚herzig’.“ (B3(1)) E3 äusserte seine anfängliche Skepsis gegenüber der Integration wie folgt: „Alle Eltern, alle Eltern sollen schon auf die Lehrer und auf gewisse äh Bezugspersonen, welche dies vielleicht besser sehen als die Eltern selber, die müssen sich schon auch etwas leiten lassen von diesen Leuten. (...) als Eltern denkt man, Moment schnell, es darf ihm ja nichts passieren, äh, ja das könnte sein. Der wird dann sicher nicht aufgenommen, da wird er Schwierigkeiten haben. Das war das, was auch ich gedacht habe. Und schlussendlich als Eltern muss man wirklich sagen können, so, wenn der Lehrer sagt, der kann diese Schule machen (...). Habe ich es erst dann gehen lassen. Und gegen eigentlich meinen Wunsch. Und trotzdem war es besser, es als Eltern zu delegieren.“ (E3) Trotz Einverständnis für eine Integration ihres Kindes behielten sich die Eltern vor, ihren Sohn bei einem möglichen Misslingen sofort wieder an der SfS schulen zu lassen.

Die Ansichten, wer bei der Integration der Schülerinnen und des Schüler federführend war, gingen stark auseinander. Bei den Antworten der Interviewten wurden sowohl die Regelschulwie auch die B+U-Lehrpersonen, die Schulleitungen, die Regelschule als Ganzes und die Schule für Sehbehinderte genannt. Im Allgemeinen wurde bei dieser Frage eine Ratlosigkeit spürbar, und es kann gesagt werden, dass sich die Mitglieder des jeweiligen Systems gar widersprochen haben. „Ich glaube schon, die Klassenlehrer und ich. Also, ich empfinde uns ziemlich stark als ein Team, welches miteinander schaut.“ (B3(1)) „Ich denke, das ist jemand von der Schule für Sehbehinderte.“ (L3) Ein wichtiger Teil des Integrationsprozesses ist die regelmässige Evaluation desselben. Unsere Auswertungen haben gezeigt, dass bei den zwei Schülerinnen und dem Schüler in gleicher Weise vorgegangen wird. Ein- bis zweimal pro Jahr finden Runde Tische statt, es werden Lernberichte verfasst, und die Regelklassen- und B+U-Lehrpersonen sitzen beinahe jede Woche zusammen und besprechen die Situation.

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11.1.6.2 Schlussfolgerungen Aus der Zufriedenheit der Eltern lässt sich schliessen, dass sie in ihren Anliegen von der Regelschule ernst genommen und unterstützt werden. Alle drei Elternpaare werden über das Schulgeschehen informiert und als Partner wahrgenommen. Sie sind erstaunt und erfreut darüber, wie unbeschwert die Regelschule, insbesondere die Klassenlehrpersonen, mit der Blindheit ihrer Kinder umgehen können. Die Zusammenarbeit zwischen den Klassen- und B+U-Lehrpersonen wird von allen positiv eingestuft. Besonders erwähnt haben die B+U-Lehrpersonen, dass ihre Inputs von den Klassenlehrpersonen gerne entgegengenommen und umgesetzt werden. Daraus resultieren die Integrationserfolge, welche in den Fortschritten der blinden Schülerinnen und des Schülers erkannt werden können. Es sind sich alle darüber einig, dass die Zusammenarbeit Früchte trägt, sind sich jedoch bewusst, dass dies als nicht selbstverständlich angesehen werden kann. Die Aussagen der B+U-Lehrpersonen betreffend Spontanität und Improvisationsfähigkeit lassen ein Spannungsfeld erahnen. Von den Regelklassenlehrpersonen wird verlangt, dass sie im Unterricht spontan handeln und Inhalte den Bedürfnissen des blinden Kindes anpassen sollen. Gleichzeitig ist das spontane Handeln einer Lehrperson massiv eingeschränkt, wenn sie eine blinde Schülerin oder einen blinden Schüler in ihrer Klasse unterrichtet. Die Materialbeschaffung und –aufbereitung ist enorm zeitaufwändig und lässt sehr wenig Spielraum für Spontanität.

Die positive Einstellung der Regelklassenlehrpersonen gegenüber der Integration nannten sowohl der B+U wie auch die beiden Schulleitungen als zentral für ein Gelingen. Wir schätzen die Situation als schwierig ein. Einerseits werden den Regelklassenlehrpersonen seitens der Schulpflege Versprechungen wie kleinere Klassen oder Klassenassistenzen gemacht, auf der anderen Seite wurden oder werden diese Versprechen nur unter Druck der Regelklassenlehrpersonen umgesetzt. Zudem werden sie für den Mehraufwand, welchen sie betreiben, noch immer nicht zusätzlich entlöhnt. In unseren Interviews wurde deutlich, dass sich die B+ULehrpersonen mehr Unterstützung der Regelklassenlehrpersonen durch die Schulleitungen wünschten.

Runde Tische mit Eltern, Klassenlehrpersonen, B+U sowie Schulleitungen und eventuell auch dem Kind finden in allen drei Gemeinden statt. Diese werden in allen Fällen auch als Plattform für die Auswertung der Integrationen verwendet. Im Gegensatz dazu werden an der SfS Schülerbesprechungen durchgeführt, welche ohne das Beisein der Eltern stattfinden. Die Ergebnisse werden im Anschluss in einem Elterngespräch mitgeteilt. Grundsätzlich schlägt der Kanton Zürich für die Standortgespräche eine Teilnahme der Eltern und evtl. des Kindes vor. Unserer Meinung nach haben beide oben beschriebenen Varianten ihre Berechtigung. Aus verschiedenen Gründen tauchen Situationen auf, welche sinnvollerweise erst im Team und ohne Eltern besprochen und in einem weiteren Gespräch mit ihnen bearbeitet werden.

Bei zwei der drei integrierten Kinder kam der Anstoss für eine Integration deutlich von den Eltern, bei einem Kind regte die Schule für Sehbehinderte zur Integration an. Wir empfinden es 65

als Qualität, dass der Wunsch der Eltern zur Integration von der Schule für Sehbehinderte ernst genommen wird, auf der anderen Seite die SfS Eltern zur Integration motiviert, welche ohne diese Unterstützung den Schritt nicht wagen würden.

Wir stellten fest, dass, was das Verständnis von Teil- und Vollintegration betrifft, massive Missverständnisse zwischen Eltern und der Schule für Sehbehinderte herrschen. Wir meinen, den Grund dafür gefunden zu haben Die Eltern verstehen unter einer Vollintegration offenbar, dass ihr Kind zu 100% die Schule am Wohnort besuchen kann. Dabei inbegriffen soll die gesamte Schulung im blindenspezifischen Bereich sein. Im Gegensatz dazu versteht die Schule für Sehbehinderte unter Vollintegration eine integrierte Sonderschulung, bei der die Mehrheit der Lektionen an der Regelschule, einige jedoch weiterhin an der SfS besucht werden. Die Teilintegration unterscheidet sich gemäss Definition von der Vollintegration darin, dass die teilintegrierten Schülerinnen und Schüler weiterhin einen Arbeitsplatz an der SfS zur Verfügung gestellt bekommen.

11.1.7 Kategorie 7: Tragfähigkeit Die Tragfähigkeit der Regelschule wird durch Umlagerung von Ressourcen (fachlich, personell, finanziell) aus dem Sonderschulbereich gestärkt. Der ambulante Dienst (B+U) der Schule für Sehbehinderte der Stadt Zürich unterstützt Kinder und Jugendliche, Lehrpersonen, Schulleitungen, Eltern und Behörden bei der Durchführung der Integration.

Zur Förderung der integrativen Schulungsform schafft der Kanton Zürich die notwendigen Rahmenbedingungen. Die Regelschule ist so zu stärken, dass sie den Anforderungen der integrativen Schulung gewachsen ist. Dafür sind Umlagerungen von Ressourcen aus dem Sonderschulbereich die Voraussetzung (Sonderpädagogisches Konzept, 2009, S. 11).

In dieser Kategorie ging es uns darum, heraus zu spüren, wie weit sich die Regelschule vom B+U unterstützt fühlt. Im Gefüge der Integration spielt der B+U die zentrale Rolle. Er gewährleistet, dass die Ressourcen aus der SfS hinein in die Regelklassen getragen werden. Die B+ULehrperson hat die Aufgabe, zum Wohle des Kindes/des Jugendlichen die Integration zu evaluieren. Unsere Interviewpartner (Lehrpersonen) befragten wir des Weiteren dazu, welcher Mehraufwand die Integration des blinden Kindes mit sich bringt.

11.1.7.1 Ergebnisse zu Kategorie 7 Alle drei Lehrpersonen äusserten sich sehr positiv über die Zusammenarbeit und die Unterstützung des B+U. Sie betonten, dass die Hauptverantwortung bezüglich der Koordination der Integration bei den B+U-Lehrpersonen liegt und sie als Regelklassenlehrpersonen jederzeit Unterstützung durch das B+U und die SfS spüren.

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„Sie hatte natürlich eigentlich die Hauptverantwortung für S2, sie hat eigentlich all dies erledigt. Wenn sie etwas brauchte oder wenn es etwas zu diskutieren gab mit der Schule, hat das alles sie gemacht. Da habe ich nichts gemacht. (...) Von dort her hatte ich das Gefühl, dass wir alle Unterstützung, welche man bekommen könnte, gehabt hätten. Das war null Problem gewesen. Sie haben immer gesagt, dass sie uns helfen und wir anrufen sollten, wenn wir Material brauchen und, und, und.“ (L2) „Viel via B1, eigentlich jede. Wenn ich etwas gebraucht hätte, oder ich gefragt hätte ob wir etwas haben, können wir dies machen oder können wir jenes machen, dann organisierte B1 und dann hatten wir es gehabt. Und das kam alles dann aus der Sehbehindertenschule.“ (L1) L1 und L3 empfanden den durch die Integration eines blinden Kindes entstandenen Mehraufwand als gross bzw. sehr gross. „Also, es ist ein grösserer Vorbereitungsaufwand. Also, zuerst überlegen, bringt’s dieses Thema auch für ihn? Also Themenauswahl wird anders. Dann das Aufbereiten der Unterrichtsmaterialien. Ich habe nicht gerade in jedem Buch etwas, was für ihn passt. Dann muss ich halt schauen, dass er auch zu seinem Text kommt. Es aufbereiten, dass er es lesen kann, Tabellen und Darstellungen.“ (L3) „Ein sehr grosser. Vor allen Dingen einer, der meiner Art zu unterrichten zu Beginn nicht so entsprochen hatte. Ich musste immer alles schon Wochen vorher wissen, was ich machen werde.“ (L1) L2 äusserte sich dahingehend, dass er mit mehr Aufwand gerechnet hatte. „Ich habe mehr Mehraufwand erwartet. Ich habe nicht einmal so verrückt viel mehr gehabt. Weil ich vielleicht auch ein bisschen ein Flair habe, mit technischen Geräten zu arbeiten, das war relativ einfach für mich. Und natürlich weil ich eine sehr gute Person gehabt habe, die B2, die mich unterstützt hat. Und mit diesen zwei Stunden Entlastung war der Mehraufwand eigentlich nicht gross.“ (L2) 11.1.7.2 Schlussfolgerungen Alle drei befragten Lehrpersonen fühlten sich durch B+U und die SfS gut getragen und unterstützt. Sie betonten, dass auf ihre Anliegen und Bedürfnisse eingegangen wird und sie sich ernst genommen fühlen. Auf der anderen Seite fällt auf, dass zwei Regelklassenlehrpersonen anfügten, dass durch die Integration einer blinden Schülerin/eines blinden Schülers ein beträchtlicher Mehraufwand entsteht. L2 empfand den Mehraufwand als vernachlässigbar. Wir können uns den Unterschied nur dahingehend erklären, dass L2 im Vergleich zu L1 und L3 den Mehraufwand in Form von Entlas-

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tungsstunden entschädigt erhält und die Anzahl der B+U-Lektionen in keinem Verhältnis steht zu denen im Kanton Zürich. Auf diesem Punkt gehen wir in der Diskussion genauer ein.

11.1.8 Kategorie 8: Kompetenzenerweiterte Leistungsaufträge Die Kompetenzen der Schule für Sehbehinderte der Stadt Zürich werden im Rahmen erweiterter Leistungsaufträge für die Regelschule nutzbar gemacht.

Anerkannte Institutionen im Sonderschulbereich, in unserem Fall die SfS, erfüllen einen erweiterten Leistungsauftrag. Dieser umfasst in der Regel den Unterricht in Sonderschule oder als integrierte Sonderschulung, beratende und unterstützende Massnahmen sowie Betreuung (Sonderpädagogisches Konzept, 2009, S. 11).

Zu Punkt 8 befragten wir die Schulleiterin der SfS. Gemäss dem Sonderpädagogischen Konzept des Kantons Zürich werden ab dem Jahr 2011 möglichst viele Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf in die Regelschulen integriert. Diese Veränderung in der Schullandschaft bringt mit sich, dass die Anzahl der Sonderschulen voraussichtlich abnimmt. Einige werden aufgrund ihrer Spezialisierung neben der weiteren Betreuung von separativ geschulten Kindern und Jugendlichen zusätzlich die Aufgabe eines Kompetenzzentrums übernehmen.

11.1.8.1 Ergebnisse zu Kategorie 8 Gemäss der Schulleitung der SfS handelt der Kanton Zürich im Verlauf der nächsten Monate mit allen Sonderschulinstitutionen Leistungsverträge aus (Angebote und Kosten der einzelnen Institutionen etc.). Die Leistungserweiterungen können in Form von Kompetenzzentren umgesetzt werden. Folgende Leistungen können angeboten werden: Beratung und Sensibilisierungen, Austausch, Weiterbildung für Regelschullehrpersonen, Schulische Heilpädagogen in den einzelnen Schulhäusern und deren Umfeld, Eltern, Schulbehörden etc., die Einrichtung von Meinungsaustausch und Intervision unter Regelschullehrpersonen, Low-Vision-Abklärungen, Hilfsmittelabklärungen und –training, Beratung und Unterstützung von Kindern und Jugendlichen mit einer Sehschädigung sowie Vermittlung von sehgeschädigten Techniken (O&M, LPF, PS etc.).

11.1.8.2 Schlussfolgerungen Viele der obgenannten Leistungen werden bereits heute im Rahmen des B+U und anderer Dienste (O&M, LPF, PS u.a.) angeboten. Der vermehrte Einsatz von Heilpädagoginnen und Heilpädagogen in den einzelnen Gemeinden und ihr zunehmendes integratives Wirken in den Regelklassen bringen im Zusammenhang mit dem B+U Probleme mit sich. So wird nach Ansicht von einigen Schulleitungen, Behörden und den Heilpädagoginnen und Heilpädagogen vor Ort‚ die Sehbehinderten- und Blindenpädagogin/ 68

der Sehbehinderten- und Blindenpädagoge überflüssig. Die Schulischen Heilpädagoginnen und Heilpädagogen fühlen sich teilweise als kompetent genug, um auch Kinder mit spezifischen Bedürfnissen, wie dies die sehbehinderten und blinden Kinder und Jugendliche haben, unterrichten zu können. Im Hinblick auf die Zusammenarbeit von Schulischen Heilpädagoginnen und Heilpädagogen und den B+U-Lehrpersonen werden einige Fragen zu klären sein, um Kompetenzen zu regeln und die optimale Beschulung der Schülerinnen und Schüler zu garantieren.

11.1.9 Kategorie 9: Weiterbildungen und Kompetenzen Die im sehbehinderten- und blindenpädagogischen Bereich tätigen Personen sind den Anforderungen entsprechend als Heilpädagoginnen und Heilpädagogen, vorzugsweise mit dem Schwerpunkt „Pädagogik für Sehbehinderte und Blinde“ ausgebildet.

Fachleute für die Schulung, Förderung und Betreuung von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Bedürfnissen verfügen über eine anerkannte Ausbildung und bilden sich permanent weiter (Sonderpädagogisches Konzept, 2009, S. 11).

In dieser Kategorie befragten wir auf der einen Seite die drei B+U-Lehrpersonen nach ihrem Werdegang. Auf der anderen Seite interessierte uns die Einschätzung der Regelklassenlehrpersonen, was die Kompetenzen der B+U-Lehrpersonen betraf.

11.1.9.1 Ergebnisse zu Kategorie 9 Der Werdegang der drei B+U-Lehrpersonen gestaltete sich unterschiedlich. B3(1) ist Oberstufenlehrerin und Heilpädagogin und war lange Zeit im Körperbehindertenbereich tätig. Anschliessend führte sie über viele Jahre als Klassenlehrerin eine Oberstufenklasse an der SfS, bis sie ganz ins B+U wechselte. „Heilpädagogin und Oberstufenlehrerin. Dann habe ich mal in der Mathematik einen gescheiten Kurs gemacht, Low-Vision, Braille Kurzschrift gelernt und wieder vergessen (lacht). Halb vergessen. Ja, das war es so in etwa.“ (B3(1)) B1 begann ihre Laufbahn an der SfS als Heilpädagogin, jedoch ohne Vorkenntnisse im Sehbehindertenbereich. Auch sie führte über viele Jahre die Unterstufenklasse der SfS. Mit der Teilintegration von S1 wechselte sie in den B+U. Seit Sommer 2009 ist sie pensioniert. „Ja, ich bin Heilpädagogin am alten HPS. Und dann kam ich an die Schule mit nichts ausser dem HPS. Damals hat es am SZB keine Kurse gegeben. Ich habe dann geschaut, was meine Kolleginnen machten. Ich ging dann zu den Fachpersonen. Ansonsten musste ich alles selber machen. Man hat eine Klasse übernommen und hatte null Ahnung. Dann haben sie mich ‚schwadere loo’ und etwa im zweiten Jahr hat

69

es einen Kurs gegeben „Einführung ins Sehbehindertenwesen“. (...) Und dann ging ich in einzelne Kurse.“ (B1) B2 liess sich zur Primarlehrerin, anschliessend zur Heilpädagogin ausbilden und unterrichtete eine integrierte Kleinklasse, bevor sie B+U von S2 übernahm. Um sich die sehbehinderten- und blindenspezifischen Kompetenzen anzueignen, besuchte sie die Module „Pädagogik für Sehbehinderte und Blinde“ (PSB) an der Hochschule für Heilpädagogik in Zürich. „Ja, ich habe zuerst Primarlehrerin gelernt und auch unterrichtet, und dann Schulische Heilpädagogin gemacht und lange unterrichtet in einer integrierten Kleinklasse und nachher zu dieser Zeit an der HfH die PSB Module besucht, alle, eineinhalb Jahre habe ich etwa dafür gebraucht.“ (B2) Alle drei befragten Regelklassenlehrerinnen und -lehrer waren äusserst zufrieden mit den blindenspezifischen Fachkompetenzen der betreffenden B+U-Lehrpersonen. „Ich finde, sie ist sehr gut. Jemand absolut kompetentes (…). Sie weiss, wovon sie redet.“ (L3) „Sehr kompetent. Also ein Glücksfall, wirklich. Für mich, für S2 und für die Anderen.“ (L2) „Die wissen alles, also die kann man auch fragen.“ (L1) 11.1.9.2 Schlussfolgerungen Es lässt sich sagen, dass alle drei B+U-Lehrpersonen sehr kompetent sind. Da das Heilpädagogikstudium mit Schwerpunkt PSB an der Hochschule für Heilpädagogik in Zürich erst seit wenigen Jahren angeboten wird, mussten sich B1 und B3 ihr blindenspezifisches Wissen autodidaktisch, auf der Basis der Erfahrungen ihrer Arbeitskolleginnen und –kollegen und zum Teil aus Kursen des „Schweizerischen Zentralverein für das Blindenwesen“ (SZB) aneignen. Die durchwegs positiven Äusserungen der Regelklassenlehrpersonen betreffend die Kompetenzen der jeweiligen B+U-Lehrerin lassen darauf schliessen, dass sie ihr Fachwissen zur Beratung und Unterstützung professionell einsetzen können.

11.1.10 Kategorie 10: Ressourcen Die zur Verfügung stehenden Ressourcen (Zeit und sehbehindertenspezifisches Material) werden effizient und wirkungsvoll eingesetzt.

Nach den Erläuterungen zum Leitsatz 10 soll das sonderpädagogische Angebot nicht weiter ausgebaut, sondern mit den bisherigen finanziellen Mitteln qualitativ verbessert werden (Sonderpädagogisches Konzept, 2009, S. 12).

70

Es interessierte uns, wie die an der Integration beteiligten Personen die vom Kanton und dem B+U zur Verfügung gestellten Ressourcen beurteilten. Wir befragten dazu die integrierten Kinder, deren Eltern, Regelklassen- und B+U-Lehrpersonen sowie die Schulleitungen der betreffenden Regelschulen.

11.1.10.1 Ergebnisse zu Kategorie 10 Im Folgenden werden wir zuerst auf die zeitlichen, anschliessend auf die materiellen Ressourcen eingehen. Alle B+U-Lehrpersonen sind gleicher Meinung, was den zeitlichen Aufwand für die Betreuung eines blinden Kindes/Jugendlichen betrifft. „Das ist eine komplizierte Sache. Ich merke, dass im B+U die Ressourcen für sehbehinderte Kinder, welche visusmässig nicht sehr schlecht sind, sind fast zu gut. Hingegen, die für die blinden Kinder sind fast zu wenig. Das ist so mein Ding. Und im Gesamten, wenn du beides hast, geht es irgendwie auf. Aber wenn du es dann noch abrechnest genau, dann sind die Stunden, welche dem Schüler am Schluss zu Gute kommen, sind das viel weniger, als darauf steh. Was ich aber auch finde, in der Oberstufe ist es auch richtig, dass ich zum Teil nur per Mail mit ihnen Kontakt habe und Dateien mit den Lehrmitteln sende oder ihnen einen Text aufbereite und sende. Texte bereit stellen ist ein wichtiges Kapitel mit blinden Kindern.“ (B3(1)) „Was soll ich sagen, es ist einfach, rein das Unterrichten das geht relativ reibungslos, wenn du das Material bereit hast, aber das Bereitstellen braucht enorm viel mehr Zeit.“ (B2) SL1 ist sich sicher, dass eine gelungene Zusammenarbeit nicht von der Anzahl der Lektionen abhängt, sondern vom zwischenmenschlichen Umgang der Regelklassen- und der B+ULehrperson. „Ich finde, du kannst dies nicht an den Stunden messen. Es liegt an der Zusammenarbeit. Also, ich kann dir 20 Stunden geben, aber wenn du ‚es Puff’ hast mit der Lehrperson, dann nützen die nichts. Und, ja, klar ist es zu Beginn stossend, wenn man die 12.8 Lektionen sieht. (...) Ich erwarte aber von der B+U-Lehrperson, wenn sie mit der Lehrerin zusammen merkt, das reicht nicht, dann versuche ich, dass dies zum Stimmen kommt.“ (SL1) Den Statements der drei Kinder konnten wir entnehmen, dass ihre in Punktschrift umgesetzten Lehrmittel jeweils termingerecht geliefert werden und sie Arbeitsmaterialien, welche sie im täglichen Gebrauch einsetzen, von den B+U- und den Regelklassenlehrpersonen zeitig erhalten. „Also, als ich in die erste Sek kam, da waren sie etwas zu spät. Da musste der Lehrer etwas spontan sein. Aber sonst, jetzt auf dieses Schuljahr kamen sie sehr pünktlich. Sogar schon vor den Ferien.“ (S3) 71

Die Eltern von S3 sind mit der blindenspezifischen Ausrüstung ihres Kindes sehr zufrieden. E3 äusserte sich wie folgt: „Ich muss sagen, es sieht so aus, wie wenn er alles hätte. Ich sehe, er hat seinen Laptop, seine Schreibmaschine, er hat die Bücher. Ein hohes Lob auch an die Bibliothek, diejenigen, welche die Bücher in so kurzer Zeit für ihn vorbereiten, damit er überhaupt in die Schule kann.“ (E3) E1 und E2 äusserten sich zur gleichen Frage hingegen kritisch: „(...) wenn es mehr geben würde, dann würde ich vielleicht auch mehr nehmen, dass sie es einfacher hätte.“ (E1) „Ich finde schade, dass in der Schule irgendwie alles ist und dass man zu Hause diese Ausrüstung nicht hat.“ (E2) Die B+U-Lehrpersonen betonten die Probleme bei der Materialbeschaffung. Die SfS stellt taktiles Material zur Verfügung, welches jedoch in kleinen Auflagen vorhanden ist und häufig bereits anderweitig ausgeliehen wurde. „Wenn du z.B. einmal Anschauungsmaterial wolltest, die Schule ist der Pool. Wenn es dann wo anders war, dann war es halt so. Aber du brauchst ja die ‚Entwicklung der Bohne’ jetzt und nicht, wenn die Bohne gross ist. Ja, was machst du dann? Und es gibt viele Sachen, wo ich finde, die Schule stellt es zur Verfügung. Es ist da, aber. Eine Ausführung reicht nicht. Und v.a., wenn es dann mehrere Kinder hat, welche in der gleichen Klasse sind. Da hat man viel zu wenig Geld. Dann wird es viel zu teuer. Das wird sich noch zeigen. Das ist erst der Anfang.“ (B1) „Also, ich denke, das werden noch mehr in der Integration so haben. Sie haben zwar eine Karte oder hätten eine, aber mit so vielen Integrationen kannst du ja nicht alles aus den Schulhäusern raus tragen. Und dort bin ich halt auch am Basteln und am Leimen.“ (B2) 11.1.10.2 Schlussfolgerungen Einer integrierten Sonderschülerin/einem integrierten Sonderschüler stehen im Kanton Zürich 12.8 Lektionen zur Verfügung. Inbegriffen darin sind Punktschrift-, O&M-, LPF-Lektionen, Assistenzen u.a.. Am Schluss dieser Rechnung stehen für die direkte Arbeit der B+U-Lehrperson mit dem Kind nur noch wenige Lektionen zur Verfügung. Arbeitszeiterfassungen der B+U-Lehrpersonen haben gezeigt, dass der Aufwand für das Bereitstellen von Arbeitsmaterialien, Punktschriftausdrucken, das Herstellen von taktilen Lerngegenständen etc. immens hoch ist. B3(1) bemerkte dazu, dass die Mischrechnung aufgeht, wenn eine B+U-Lehrperson sowohl blinde Kinder wie auch solche mit geringerem Aufwand betreut.

72

Wir stimmen mit L1 überein, dass sich eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen der Regelklassen- und der B+U-Lehrperson vorteilhaft auf die Ausnutzung der restlichen B+U-Lektionen auswirkt. Jedoch können die 12.8 Lektionen auch bei konstruktiver Zusammenarbeit in gewissen Fällen (z.B. in sozial schwierigen Klassenkonstellationen oder bei lernschwachen Schülerinnen/Schülern) für eine optimale Integration nicht ausreichen.

Bei den Interviews mit den drei Kindern haben wir festgestellt, dass sie ihre angepassten Lehrmittel sowohl von der Schweizerischen Bibliothek für Blinde und Sehbehinderte (SBS) wie auch von den Lehrpersonen offensichtlich termingerecht erhalten.

Auf die Frage, ob ihre Kinder blindentechnisch gut ausgerüstet sind, antworteten die Eltern unterschiedlich. E3 ist mit den technischen Hilfsmitteln seines Sohnes vollumfänglich zufrieden. V.a. E2 ist mit der Ausrüstung ihrer Tochter nicht ganz zufrieden. Sie bemängelt, dass die Ausrüstung zu Hause nicht derjenigen der Schule entspricht und S2 z.B. das Bildschirmlesegerät zu Hause nicht hat. Wir haben das Gefühl, dass die Ausrüstung mit technischen Geräten sowohl bei den Eltern wie auch bei den Lehrpersonen einen hohen Stellenwert einnimmt. Wir können diese Haltung gut nachvollziehen, sehen den Grund jedoch v.a. darin, dass sich die Eltern und Regelklassenlehrpersonen möglicherweise nicht bewusst sind, welche blindenspezifischen, taktilen Materialien auf dem Markt erhältlich wären. Unsere Vermutung wird durch die Aussage von E1 bestärkt (vgl. 11.1.10.1).

11.2 Umsetzung der Zehn Leitsätze in den einzelnen Gemeinden Nach der Evaluation der Interviews und dem Quervergleich der Daten beschreiben wir nun die drei Fallbeispiele. 11.2.1 Schülerin 1 (S1) Bei der Schülerin S1 handelt es sich um ein geburtsblindes Mädchen, welches im Kleinkindalter von der Früherziehung betreut wurde. Den Kindergarten besuchte sie integriert am Wohnort. Die Unterstufe verbrachte sie grösstenteils an der Schule für Sehbehinderte, wo sie neben den üblichen Unterrichtsfächern in den blindenspezifischen Techniken geschult wurde.

Die Eltern äusserten beim Eintritt in die SfS den Wunsch, ihr Kind so schnell wie möglich am Wohnort in die Regelschule zu reintegrieren. Die Integration von S1 wurde schrittweise aufgegleist, erst in Form einer Teilintegration, später als Vollintegration. Seit Sommer 2008 besucht das Mädchen die Regelschule als integrierte Sonderschülerin (Vollintegration) und wird an einem Nachmittag pro Woche in blindenspezifischen Fächern an der Schule für Sehbehinderte in Zürich unterrichtet. Nach Angaben der Beteiligten ist S1 gut in das Dorf integriert. Sie besucht verschiedene Freizeitangebote. 73

Die Haltung der Eltern und des Kindes spricht eindeutig für die Integration, und sie stehen der SfS kritisch gegenüber. Als Hauptgrund dafür gaben sie aus den Augen verlorene Freundschaften, den enorm langen Schulweg mit dem Taxi nach Zürich und das Arbeitstempo in der Sonderschule an.

Trotz grossem Mehraufwand und leeren Versprechungen der Behörden war die Lehrperson gegenüber der Integration eines blinden Kindes offen und positiv eingestellt. Es ist aber zu erwähnen, dass die befragte Regelschullehrperson kurz vor der Pensionierung stand und krankheitshalber frühzeitig aus dem Schuldienst schied. Zum Zeitpunkt unserer Interviews, also etwa ein halbes Jahr nach dem Rücktritt aus dem Berufsleben, erzählte sie uns, dass sie die Integration des blinden Kindes als bereichernde persönliche Weiterbildung empfand.

Wir empfanden die Einstellung des Schulleiters als sehr kooperativ und offen gegenüber Neuem. Er setzt sich nach Möglichkeit für optimale Rahmenbedingungen für alle Beteiligten ein. So organisierte er auf das Schuljahr 2009/2010 zusätzliche Schulräume, Psychomotorik vor Ort und offerierte der neuen Lehrperson auf Kosten seines Gestaltungspools (Bezahlung durch die Gemeinde) zwei Entlastungslektionen. Er betonte, dass die Gemeinde sehr offen für Neuerungen oder Integrationen sei.

11.2.2 Schülerin 2 (S2) Die Schülerin S2 verfügt über einen minimalen Sehrest, gilt jedoch als blind. Deshalb ist sie auf die Punktschrift wie auch auf taktile Unterrichtsmaterialien angewiesen. Einiges kann sie mit Hilfe des Bildschirmlesegerätes lesen und auch selber schreiben, ermüdet jedoch innert Kürze. Auch sie besuchte den Kindergarten im Wohnort im Kanton Graubünden und wurde anschliessend an der SfS eingeschult. Um dies zu ermöglichen, haben die Eltern keinen Aufwand gescheut und bezogen in der Nähe der SfS einen Zweitwohnsitz. Ausschlaggebend für die Entscheidung, ihre Tochter an der SfS einschulen zu lassen, war deren offene Haltung bezüglich einer baldigen Reintegration. Die Aufgleisung der Integration folgte demnach bereits in der Unterstufe, in der sie teilintegriert wurde. Beim Stufenwechsel in die Mittelstufe entschieden sich die beteiligten Personen für eine Vollintegration am Wohnort. Nach den Angaben der interviewten Personen ist S2 gut in das Dorfleben integriert. Auch sie besucht Vereine und trifft sich mit Gleichaltrigen. Die Schülerin und ihre Eltern sind überglücklich, dass S2 reintegriert wurde und sie gemeinsam wieder an ihrem ursprünglichen Wohnort ansässig sind. Der SfS hingegen sind auch sie kritisch eingestellt. Wir denken, dass dies hauptsächlich mit dem Tag pro Woche zusammenhängt, an welchem S2 aufgrund des blindenspezifischen Unterrichts nach Zürich reisen muss. Die Regelklassenlehrperson sah die Integration als äusserst erfolgreich an. Er betonte, dass er keinen grossen Mehraufwand betreiben musste und äusserte sich dahingehend, dass im Zusammenhang mit der Integration keinerlei Probleme aufgetaucht seien. Dazu muss gesagt wer74

den, dass L2 von Beginn weg zwei Entlastungslektionen pro Woche zugesprochen bekommen hat und die B+U-Lehrperson im Schulalltag deutlich mehr in der Klasse anwesend war, als dies im Kanton Zürich möglich wäre. Sowohl bei L2 wie auch seiner Nachfolgerin hatte/hat B2 zehn B+U-Lektionen zur Verfügung, zudem unterstützt sie seit Sommer 2009 das Mädchen noch während vier Lektionen in Form der Assistenz. Nicht zu vergessen ist, dass S2 während einem ganzen Tag pro Woche nicht am Wohnort die Schule besucht, sondern an der SfS.

Obwohl wir leider keinen direkten Kontakt zu Behörden der Gemeinde S. hatten, gehen wir davon aus, dass sie der Integration positiv gegenüber stehen, bekam L2 doch von Beginn weg zwei Entlastungslektionen pro Woche zugesprochen.

11.2.3 Schüler 3 (S3) S3 lernte in seinem Ursprungsland lesen und schreiben, kam als blindes Kind in die Schweiz und wurde darauf in die SfS eingeschult. In der Mittelstufe wurde die Teilintegration in die Regelschule vorbereitet und durchgeführt, beim Stufenwechsel in die Oberstufe wurde S3 vollintegriert. Auch er besucht einen Nachmittag pro Woche die SfS. Wir spürten, dass S3 den Nachmittag an der SfS schätzt. Hier trifft er seine Freunde aus der Zeit an der Schule für Sehbehinderte. Zudem erkennt er, dass er vom blindenspezifischen Unterricht stark profitieren kann.

Seine Eltern sahen ihren Sohn in der SfS als sehr gut aufgehoben und hatten darum auch kein Bedürfnis, an der Situation etwas zu ändern. Auf den Vorschlag der Klassenlehrpersonen der SfS, S3 zu integrieren, reagierten sie anfänglich sehr skeptisch. Sie willigten in die Integration nur ein, da die SfS ihnen einen Platz in der Schule für Sehbehinderte zusicherte, falls die Integration scheitern würde. Die Eltern von S3 beschrieben ihre Bedenken wie folgt: „Da, wo er vorher zur Schule ging, war es für mich so, als ob er unter Schutz wäre. Er kennt alles dort und dort hatte ich das Gefühl, gehe es ihm sicher auch am besten.“ (E3) Im Rückblick sehen sie die Integration als vollen Erfolg und meinen dies zurückzuführen auf den grossen Einsatz aller an der Integration beteiligten Personen. Bei S3 kann nicht gesagt werden, dass er gut in sein Dorf integriert ist. Auf der einen Seite geht er nicht an seinem Wohnort direkt zur Schule, sondern im Nachbardorf. Auf der anderen Seite ist dies sicher auch kulturell bedingt, da er die Freizeit v.a. mit Menschen aus seinem Herkunftsland verbringt.

L3 lernte aus den schwierigen Erfahrungen einer früheren Integration, sich zu wehren und Bedingungen wie eine kleine Klasse zu fordern. Er wird für seinen Mehraufwand in keiner Weise entschädigt, dennoch sieht er die Integration positiv, da er die erfreuliche Entwicklung des Schülers erkennt.

75

11.3 Schlussfolgerungen Im empirischen Teil unserer Masterarbeit wollten wir herausfinden, wie in drei verschiedenen Gemeinden die Integration eines blinden Kindes in die Regelschule von Statten geht. Die Zehn Leitsätze für die Entwicklung des Sonderpädagogischen Konzeptes des Kantons Zürich dienten uns als Grundlage für die Leitfadeninterviews. Ausserdem leiteten wir deduktiv Kategorien für die qualitative Inhaltsanalyse der Interviews ab. Im Folgenden werden wir die Integration der beiden Schülerinnen und des Schülers einzeln Anhand der Ergebnisse unserer Analyse beschreiben (vgl. dazu Kapitel 10.5).

S1: Kategorie

Auswertung

Optimierungsbedarf

Kategorie 1

Durch die Reintegration im Sommer

Kein Optimierungsbedarf

(Gesellschaftliche Integ-

2008 wurde S1 wieder gut in die Dorfge-

ration)

meinschaft aufgenommen.

Kategorie 2

Die Eltern von S1 fühlen sich von der

(Eltern als Experten)

Regelschule ernst genommen.

Kategorie 3

Seitens der Lehrpersonen, der Eltern,

Es ist darauf zu achten,

(Integrative Beschulung)

des Kindes und der Schulleitung ist eine

dass bei S1 keine Separa-

grosse Bereitschaft spürbar. S1 nimmt

tion in der Integration

den Mehraufwand (schnelleres Lerntem-

stattfindet.

Kein Optimierungsbedarf

po, der Unterricht wird nicht v.a. ihr angepasst, grosse Materialflut) auf sich. Sie hat während etwa sieben Lektionen pro Woche Unterstützung durch die B+ULehrperson sowie für zwei Lektionen pro Woche eine Assistenz. Kategorie 4

Diese Kategorie wird unten beschrieben,

(Verantwortlichkeit des

weil sie v.a. im Gespräch mit der Schul-

Kantons)

leitung der SfS behandelt wurde.

Kategorie 5

Diese Kategorie wird unten beschrieben,

(Verantwortlichkeit der

da sie nicht auf der Ebene des einzelnen

Gemeinde)

Kindes abgehandelt wird.

Kategorie 6

Die Eltern äusserten bereits beim Schul-

Optimierungsbedarf se-

(Zusammenarbeit der

eintritt an der SfS den Wunsch, ihr Kind

hen wir hier in einer kla-

Schulen)

so bald als möglich wieder am Wohnort

ren Rollendefinition für

zu integrieren.

den Integrationsprozess.

Die Meldungen über die Zusammenar-

Hierhin gehört auch die

beit auf der Ebene der Regelschul- und

eindeutige Definition und

B+U-Lehrperson waren im Fall von S1

Kommunikation von Teil-

durchwegs positiv. Runde Tische finden

und Vollintegration.

76

zweimal pro Jahr statt. Uneinigkeit be-

Die SfS sollte den Eltern

stand unter den interviewten Personen,

die Vollintegration münd-

wer für die Aufgleisung der Integration

lich und schriftlich erklä-

verantwortlich war.

ren, oder aber den miss-

Unserer Meinung nach verstanden die

verständlichen Begriff

Eltern unter dem Begriff ‚Vollintegration‘,

‚Vollintegration‘ ändern.

dass das Kind ausschliesslich am Wohnort unterrichtet wird. Die SfS jedoch versteht unter Vollintegration, dass das Kind weiterhin blindentechnische Unterrichtseinheiten in Zürich besucht. Dies führte zu wiederholten Diskussionen zwischen den Eltern und der Schule für Sehbehinderte. Kategorie 7

Die Regelklassenlehrperson fühlte sich

Versprechen seitens der

(Tragfähigkeit)

durch den B+U optimal unterstützt.

Behörden müssen ein-

Allerdings bestand der Wunsch der

gehalten werden, eine

Lehrperson gegenüber der Gemeinde

finanzielle oder zeitliche

nach einer Assistenz im Turnen. Diese

Entschädigung ist zwin-

wurde ihr erst nach wiederholten Dro-

gend notwendig.

hungen, den Turnunterricht einzustellen, gewährt. Kategorie 8

Diese Kategorie wird unten beschrieben,

(Kompetenzen/Erweiterte

da sie nicht auf der Ebene des einzelnen

Leistungsaufträge)

Kindes abgehandelt wird.

Kategorie 9

B1 war über viele Jahre an der SfS als

(Ausbildung)

Klassenlehrerin tätig, bevor sie S1 in der

Kein Optimierungsbedarf

Teil-, anschliessend in der Vollintegration betreute. Durch ihre Berufserfahrung und die stetigen Weiterbildungen am SZB (Schweizerischer Zentralverband für das Blindenwesen) war sie für ihren Beruf gut ausgebildet. Kategorie 10

Die zeitlichen Ressourcen von insgesamt

Optimierungsbedarf be-

(Ressourcen)

12.8 Lektionen (Assistenz, O&M, LPF,

steht bei der zur Verfü-

B+U, PS) sind bei einem geburtsblinden

gung stehenden Lektio-

Kind in der Vollintegration auf der Mittel-

nenanzahl zur Betreuung

stufe sehr knapp bemessen. Dies wurde

eines blinden Kindes in

auch von B1 als sehr erfahrene Heilpä-

der Regelschule wie auch

dagogin im Blindenbereich vermerkt.

bei den taktilen Unter-

Die elektronischen Hilfsmittel wie auch

richtsmaterialien.

77

die Brailledrucke der SBS waren bei S1 in ausreichendem Masse vorhanden. B1 klagte allerdings über mangelnde taktile Unterrichtsmittel und äusserte sich dahingehend, dass sie in geringem Ausmass zur Verfügung stünden und die Zugänglichkeit eingeschränkt sei.

S2: Kategorie

Auswertung

Optimierungsbedarf

Kategorie 1

Durch die Reintegration im Sommer 2008

Kein Optimierungsbedarf

(Gesellschaftliche Integ-

wurde S2 gut in die Dorfgemeinschaft

ration)

integriert.

Kategorie 2

Die Eltern von S2 fühlen sich von der

(Eltern als Experten)

Regelschule ernst genommen.

Kategorie 3

Seitens der Lehrpersonen, der Eltern und

Es ist bei dieser Integrati-

(Integrative Beschulung)

des Kindes ist eine grosse Bereitschaft

on durch die hohe Anzahl

spürbar. S2 nimmt den Mehraufwand auf

an B+U-Lektionen und

sich. Sie hat während zehn Lektionen pro

Assistenzen darauf zu

Woche Unterstützung durch die B+U-

achten, dass bei S2 keine

Lehrperson sowie für weitere vier Lektio-

Separation in der Integra-

nen pro Woche eine Assistenz. Im Ge-

tion stattfindet.

Kein Optimierungsbedarf

gensatz zu S1 und S3 ist S2 mit einer höheren Lektionenzahl an Unterstützung und Assistenz ausgestattet. Kategorie 4

Diese Kategorie wird unten beschrieben.

(Verantwortlichkeit des Kantons) Kategorie 5

Diese Kategorie wird unten beschrieben,

(Verantwortlichkeit der

da sie nicht auf der Ebene des einzelnen

Gemeinde)

Kindes abgehandelt wird.

Kategorie 6

Bei S2 waren die Eltern die Initiatoren der

Optimierungsbedarf se-

(Zusammenarbeit der

Integration in die Regelschule.

hen wir hier in einer kla-

Schulen)

Die Meldungen über die Zusammenarbeit

ren Rollendefinition für

auf der Ebene der Regelschul- und B+U-

die Verantwortlichkeit

Lehrperson waren im Fall von S2 durch-

beim Aufgleisen des In-

wegs positiv. Runde Tische finden zwei-

tegrationsprozess.

mal pro Jahr statt. Uneinigkeit bestand unter den interviewten Personen, wer für

78

die Aufgleisung der Integration verantwortlich war. Kategorie 7

Die Regelklassenlehrperson fühlte sich

(Tragfähigkeit)

durch die B+U-Lehrperson optimal unter-

Kein Optimierungsbedarf

stützt. L2 äusserte sich zufrieden über die Unterstützung durch die Gemeinde, da diese ihm von Beginn weg zwei Lektionen Entlastung pro Woche zubilligten. Kategorie 8

Diese Kategorie wird unten beschrieben,

(Kompetenzen/Erweiterte

da sie nicht auf der Ebene des einzelnen

Leistungsaufträge)

Kindes abgehandelt wird.

Kategorie 9

B2 ist Heilpädagogin und besuchte an der

(Ausbildung)

HfH die Module des Studienbereichs

Kein Optimierungsbedarf

Pädagogik für Sehbehinderte und Blinde, um sich auf die Arbeit mit einem blinden Kind vorzubereiten. Sie ist somit optimal für ihre Tätigkeit ausgebildet. Kategorie 10

Aufgrund der zehn Lektionen B+U, der

Optimierungsbedarf be-

(Ressourcen)

vier Lektionen Assistenz und der zwei

steht beim Zugang zu

Entlastungslektionen der Klassenlehrper-

den taktilen Materialien.

son sind bei S2 genügend zeitliche Ressourcen vorhanden. Auch die elektronischen Hilfsmittel und die Brailledrucke der SBS waren in genügendem Masse vorhanden. Jedoch erwähnte B2 einen Mangel an taktilen Unterrichtsmitteln, welcher sich noch dadurch verstärkt, dass sie im Kanton Graubünden wohnt und aufgrund des langen Weges nur schwer Zugang zum Material der SfS in Zürich hat.

79

S3: Kategorie

Auswertung

Optimierungsbedarf

Kategorie 1

S3 kam aus seinem Ursprungsland und

Wir sind uns aus folgen-

(Gesellschaftliche Integ-

wurde direkt in die SfS eingeschult. Aus

den Gründen nicht sicher,

ration)

diesem Grund hat er wenig Kontakt mit

ob hier ein Optimierungs-

Jugendlichen aus seinem Wohnort, aus-

bedarf besteht: S3 ist

ser mit denen, mit welchen er die Ober-

bereits in der Oberstufe

stufe im Nachbarort besucht. Auch in der

und wird sich seine Peer-

Schule ist er vorwiegend mit Jugendli-

Group selber aussuchen,

chen seines Kulturkreises zusammen. Er

er ist zwar nicht am

ist somit nicht in die Dorfgemeinschaft

Wohnort, jedoch in sei-

integriert, wohl aber in die Kulturgemein-

nem Kulturkreis integriert.

schaft. Für S3 sind die wöchentlichen Lektionen an der SfS kein Problem, da er den Nutzen darin sieht, seine Freunde an der SfS zu treffen und blindenspezifische Unterrichtsfächer besuchen zu können. Kategorie 2

Die Eltern werden von den Regelklas-

(Eltern als Experten)

senlehrpersonen ernst genommen und in

Kein Optimierungsbedarf

wichtige Entscheide mit einbezogen. Langsam aber sicher wird S3 selber zum Experten seiner Behinderung, da er sehr selbständig und kompetent ist. Kategorie 3

S3 hat nicht mehr die intensive direkte

(Integrative Beschulung)

Betreuung durch den B+U, wie sie S1

Kein Optimierungsbedarf

und S2 haben. Bei ihm werden viele Unterrichtsmaterialien elektronisch abgegeben oder per Mail zugesandt. Kategorie 4

Diese Kategorie wird unten beschrieben,

(Verantwortlichkeit des

weil sie v.a. im Gespräch mit der Schul-

Kantons)

leitung der SfS behandelt wurde.

Kategorie 5

Diese Kategorie wird unten beschrieben,

(Verantwortlichkeit der

da sie nicht auf der Ebene des einzelnen

Gemeinde)

Kindes abgehandelt wird.

Kategorie 6

Im Gegensatz zu den beiden Schülerin-

Kein Optimierungsbedarf

(Zusammenarbeit der

nen kam die Initiative für die Integration

erkennbar

Schulen)

nicht von den Eltern, sondern von der SfS. Die Eltern sind der Schule für Sehbehinderte sehr dankbar, dass die Integration reibungslos aufgegleist und durch-

80

geführt wurde. Die Aussagen über die Zusammenarbeit zwischen den Regelklassenlehrpersonen und dem B+U waren sehr positiv. Kategorie 7

Die Regelklassenlehrperson wusste aus

Versprechen seitens der

(Tragfähigkeit)

früherer Erfahrung, dass sie sich gegen-

Behörden müssen ein-

über den Behörden wehren mussten, um

gehalten werden, eine

zu ihrem Recht (in ihrem Falle kleinere

finanzielle oder zeitliche

Klassen von unter 20 Schülerinnen und

Entschädigung ist zwin-

Schülern) zu kommen. Jedoch wurde

gend notwendig.

und wird sie für ihren Mehraufwand nicht entschädigt. Kategorie 8

Diese Kategorie wird unten beschrieben,

(Kompetenzen/Erweiterte

da sie nicht auf der Ebene des einzelnen

Leistungsaufträge)

Kindes abgehandelt wird.

Kategorie 9

B3(1) ist Heilpädagogin und Oberstufen-

(Ausbildung)

lehrperson. An der SfS war sie lange

Kein Optimierungsbedarf

Jahre Klassenlehrperson auf der Oberstufe, ist Low-Vision-Trainerin und hat etliche Kurse am SZB besucht. Für die Arbeit als B+U-Lehrperson ist sie optimal ausgebildet. Kategorie 10

Gemäss B+U-Lehrperson reichen die

Optimierungsbedarf be-

(Ressourcen)

zugesprochenen 12.8 Lektionen pro Wo-

steht bei den taktilen Un-

che, um einen selbständigen Jugendli-

terrichtsmaterialien.

chen wie S3 in der Oberstufe gut betreuen zu können. Allerdings war auch hier das fehlende taktile Material ein Thema, was auf der Oberstufe schwer selber herstellbar ist, da es sich um komplexe Unterrichtsinhalte handelt.

Die Kategorien 4, 5 und 8 sind nicht direkt auf die Schülerinnen und den Schüler bezogen, sondern von allgemeinerem Charakter.

Zu Kategorie 4 (Verantwortlichkeit des Kantons): Aus unserer Auswertung ging hervor, dass die Zusammenarbeit zwischen dem Kanton und der Schule für Sehbehinderte gut verläuft. Gemäss Schulleiterin werden die Anliegen der Schule für Sehbehinderte stets ernst genommen, Erfahrungsberichte im Zusammenhang mit der stufenweisen Integration stossen auf offene Ohren. 81

Es ist anzumerken, dass die Bildungsdirektion Integration vor Separation stellt. Trotzdem oder gerade deswegen müssen aber Integrationsprozesse sorgfältig ausgewertet werden, um im Interesse des integrierten Kindes handeln zu können. Integration vor Separation soll nicht bedeuten, dass die Schule für Sehbehinderte weniger Mittel zugesprochen bekommt und weniger Plätze zur Verfügung stellen kann.

Zu Kategorie 5 (Verantwortlichkeit der Gemeinde): Regelklassenlehrpersonen und Schulleiter unserer Forschungsarbeit waren mit dem Integrationsprozess und der Integrationspolitik ihrer Gemeinde im Grossen und Ganzen zufrieden. Jedoch bemängelten L1 und L3, dass die zusätzlich geleistete Arbeit weder zeitlich noch finanziell entschädigt würde. Im Gegensatz dazu wurde L2 von Beginn weg für seinen Mehraufwand mit Entlastungsstunden entschädigt.

Zu Kategorie 8 (Kompetenzen/Erweiterte Leistungsaufträge): Sollte sich die SfS in ein Kompetenzzentrum für sehbehinderte und blinde Schülerinnen und Schüler weiterentwickeln, müsste sie sich öffnen und den mobilen sonderpädagogischen Dienst verstärken. Sie müsste für Regelklassenlehrpersonen vermehrt Kurse und Supervision anbieten und eine grössere Vernetzung zwischen den einzelnen Schulen und Instituten für sehbehinderte und blinde Kinder und Jugendliche anstreben, um vom gegenseitigen Know-how stärker profitieren zu können.

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IV Schluss 12. Diskussion Abschliessend möchten wir die aus den Interviews gewonnenen Forschungsergebnisse mit den im Theorieteil diskutierten Problemfeldern der Integrationspädagogik gegenüberstellen und Möglichkeiten zur Optimierung der Integration erörtern.

Die Integration von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Bedürfnissen in Regelklassen ihres Wohnortes wird im deutschsprachigen Raum seit 30 Jahren vorangetrieben (Sander In: Eberwein & Mand, 2008, S. 27 ff., Eberwein & Mand, In: Eberwein & Mand, 2008, S. 7 ff.). Im Jahre 2009 formuliert der Kanton Zürich in seinem sonderpädagogischen Konzept die Maxime ‚Integration vor Separation‘. Demzufolge ist unser Forschungsprojekt zur Integration von zwei blinden Schülerinnen und einem blinden Schüler in die Regelklasse politisch erwünscht und hoch aktuell.

Ein Grundgedanke der Integration ist die Anerkennung der Heterogenität als grundlegende Tatsache in unserer Gesellschaft, so auch in der Schule. Im Sinne einer chancengleichen „Bildung für alle“ nach Klafki benötigt eine erfolgreiche Integration in die Regelschule eine Didaktik der Heterogenität, z.B. im Sinne einer kritisch-konstruktiven Didaktik (Hofer, In: Lang, Hofer und Beyer, 2008, S. 116 f.). Optimierungspotenzial sehen wir in der verstärkten Umsetzung einer integrationsförderlichen Didaktik während der Ausbildung der Regelschullehrpersonen. Aus unserer Erfahrung können wir feststellen, dass während der Ausbildung am Seminar zumindest bis in das Jahr 2003 Integrationspädagogik kein Thema war und eine entsprechende Didaktik sowie geeignete Methoden nur am Rande behandelt wurden. Auf der Ebene der Methoden denken wir an Wochenplanunterricht, zieldifferentes Lernen und Werkstattunterricht. Hierbei handelt es sich um bewährte Methoden für den Unterricht in Klassen mit Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf (Preuss–Lausitz, In: Eberwein & Knauer, 2009, S. 461). Die Didaktik sowie die Methodik der drei Regelklassenlehrpersonen war allerdings nicht Inhalt unserer Interviews. Aus diesem Grund müssen wir hier spekulativ bleiben, wie weit sie in den drei Klassenzimmern und allen anderen Regelklassen im Kanton gehandhabt werden.

Der erste Leitsatz und somit auch unsere Kategorie 1 (Gesellschaftliche Integration) bei der qualitativen Inhaltsanalyse der von uns durchgeführten Interviews zielten auf die soziale Integration in die Gemeinschaft am Wohnort. Eine gelungene soziale Integration ist das Hauptziel der Integrationspädagogik und wird in der sog. „Salamanca-Erklärung“ als ein verfassungsmässig garantiertes Menschenrecht beschrieben (Eberwein & Knauer, In: Eberwein & Knauer, 2009, S. 13). Somit kann Kategorie 1 als die Schlüsselkategorie unserer Arbeit betrachtet werden.

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Aufgrund unserer Auswertungen kann gesagt werden, dass das Hauptziel der integrativen Beschulung in Fall von S1 und S2 erreicht wurde. Seit der Reintegration sind beide Kinder wieder in die Dorfgemeinschaft und das gesellschaftliche Leben integriert. E1 bemerkte: „Sie ist viel glücklicher, sie kommt zufrieden nach Hause, sie erzählt, dass sie Freunde hat. Sie sagt, dass sie nicht den ganzen Tag weg von der Familie ist, was unserer S1 sehr wichtig ist.“ Im Fall von S3 fand die Integration in die Schule des Nachbarortes statt, da alle Oberstufenschülerinnen und –schüler aus O. im Nachbarort die Schule besuchen und S3 damit einer von ihnen geworden ist. In den Interviews haben Kinder und Eltern einstimmig bestätigt, dass die soziale Integration durch die Eingliederung in die Regelschule am Wohnort oder in der Nachbargemeinde erst möglich wurde. In der Integrationsdiskussion darf nicht vergessen werden, dass die Schülerinnen und Schüler der Regelklasse, welche keine Sonderpädagogischen Massnahmen benötigen, den Eindruck vermittelt bekommen, dass sie weniger Aufmerksamkeit von Lehrpersonen erhalten als das blinde Kind. Dies thematisiert Schöler in ihrem Aufsatz mit dem Titel „Neben ihr sitzt immer ein Erwachsener“ [http://bidok.uibk.ac.at/library/gl4-02-erwachsener.html, 26.12.2009]. Auch Knauer weist auf dieses Problem hin: „Es kann nicht erwartet werden, dass sich sogenannte nicht behinderte Schüler einfühlsam auf den aktiven Austausch mit Benachteiligten einlassen, ihnen Offenheit, Respekt und Toleranz entgegenbringen, solange ihre eigenen Problemlagen beständig ignoriert und übergangen werden“ (In: Eberwein & Knauer, 2009, S. 59). Ansonsten läuft die Integration Gefahr, neue Mauern innerhalb der Klasse aufzubauen: Separation in der Integration.

In Kategorie 3 (Integrative Beschulung) wurden von den Regelklassen- und den B+U-Lehrpersonen verschiedene Bedingungen für die optimale Integration genannt. Die drei B+U-Lehrpersonen gingen jeweils von den Voraussetzungen des zu integrierenden Kindes aus. B2 erwähnte ausserdem die zur Verfügung stehenden Materialien und die Kompetenzen der Regelklassenlehrperson als weitere entscheidende Faktoren. Die Regelklassenlehrpersonen betonten nicht die zu integrierende Schülerin/den zu integrierenden Schüler als entscheidenden Faktor, sondern nannten Systemfaktoren wie die Klassengrösse, die Unterstützung durch die SfS, von den Eltern und der Schulleitung. Interessanterweise erwähnte keine der sechs Pädagoginnen und Pädagogen die Notwendigkeit oder Möglichkeit, mittels einer den spezifischen Lernbedürfnissen angepassten Didaktik die Integration zu unterstützen. In unseren Interviews sind wir nicht konkret auf die Didaktik für integrativen Unterricht für blinde Kinder eingegangen, obwohl wir sie im theoretischen Teil dieser Masterarbeit basierend auf Lang erörtert haben (vgl. Kapitel 7.5.1; Lang, In: Lang, Hofer & Beyer, 2008, S. 162 ff.). Die Berechtigung des Kapitels 7.5.1 sehen wir darin, die für eine optimale Integration notwendigen Anpassungen des Unterrichts aufzuzeigen.

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In Kategorie 6 (Zusammenarbeit der Schulen) wurde eine weitere Bedingung für das Gelingen der Integration spürbar, nämlich die erfolgreiche Kooperation zwischen Regelschullehrperson und Sonderpädagogin/Sonderpädagoge. Wie die Integrationsforschung aus Deutschland aufzeigt, sollten von Seiten der Behörden günstige Rahmenbedingungen geschaffen werden, um die Kooperations- und Teamfähigkeit zu fördern, indem Supervision, Fortbildungen und Beratungen angeboten werden (Hinz, In: Eberwein & Mand, 2008, S. 207). Unserer Meinung nach könnte dies eine zukünftigen Aufgaben der Schule für Sehbehinderte im Sinne eines Kompetenzzentrums darstellen.

Da der Unterricht in einer Regelschulklasse mit integrierten Kindern mit besonderen Bedürfnissen einen grossen Mehraufwand für die Klassenlehrperson bedeutet, muss der Kanton Zürich unserer Meinung nach eine für alle Gemeinden verbindliche Regelung erlassen für Klassengrösse, die Anzahl der Entlastungslektionen und die finanzielle Entschädigung, wie es z.B. bei Doppel- und Mehrklassen bereits seit langem praktiziert wird. Ansonsten kann das Projekt ‚Integration‘ in ernsthafte Schwierigkeiten geraten, weil die Regellehrpersonen keine Kapazität mehr aufweisen. L3 formulierte seinen Eindruck wie folgt: „Ja, es ist einfach die ganze Geschichte mit der Integration. Es gibt viele Leute, welche sich überlegen, wie es mit der Schule weitergehen soll, integrieren und das und das. Aber die Realität in der Schule sieht häufig nicht so aus. Es beisst sich total. Der Kanton, der sparen will. Gleichzeitig grosse Klassen. Gleichzeitig soll man integrieren. Also, das sind einfach Sachen, die nicht aufgehen. Das sind alles politische Entscheide. Ja, ist noch schwierig, da was zu ändern.“ (L3) SL3 drückte das Problem folgendermassen aus: „Einverstanden und willens Mehraufwand zu tätigen.“ (SL3) Er meinte damit, dass die Lehrperson von sich aus gewillt sein muss, den Mehraufwand auf sich zu nehmen.

Im Moment ist die Situation noch so, dass je nach Gemeinde der Mehraufwand unterschiedlich bis gar nicht berücksichtigt und abgegolten wird. Leider wurde auch im Sonderpädagogischen Konzept des Kantons Zürich dazu keine Stellung genommen, wobei allen klar sein sollte, dass Integration nicht zum Nulltarif zu haben ist und schon gar nicht als Sparübung taugt. „Die ganze Integration begann ja politisch zu laufen unter dem Thema Sparen. Das müssen wir uns einfach immer klar bewusst sein. (…) Von dem her gesehen ist es ein totaler Hohn, denn es ist hinten und vorne nicht gespart am Schluss.“ (L1)

Langfristig können wir aber annehmen, dass eine erfolgreiche Integrationspolitik zu geringeren Kosten für die Gesellschaft führen wird, da Menschen mit besonderen Bedürfnissen nicht zu

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Sonderfällen und möglicherweise Aussenseitern werden, sondern wie alle anderen ein gesellschaftlich produktives Leben führen können. Ebenfalls in Kategorie 6 stiessen wir auf ein offenbar seit längerem bestehendes Missverständnis, was die Begriffe ‚Teil- und Vollintegration‘ betrifft. Die SfS versteht unter einer Vollintegration, dass die Schülerin/der Schüler mehrheitlich den Unterricht am Wohnort besucht, jedoch wenn nötig weiterhin regelmässig für blindentechnische Lektionen wie Punktschrift, Tastaturschreiben, Musikunterricht u.a. in die Sonderschule nach Zürich fahren. Die Präsenz an der Schule für Sehbehinderte beträgt bei einem vollintegrierten Kind/Jugendlichen im Normalfall zwischen einem halben und einem ganzen Tag. Ein weiterer Unterschied zwischen einer Teilund einer Vollintegration besteht darin, dass die vollintegrierte Schülerin/der vollintegrierte Schüler über keinen fest zugewiesenen Arbeitsplatz an der SfS verfügt. Dies stösst bei einigen Eltern anscheinend auf Unverständnis. Unter einer Vollintegration verstehen sie unserer Interpretation nach, dass das Kind zu 100% an der Regelschule unterrichtet wird und nicht mehr nach Zürich fahren muss. Dies bedeutet, dass alle blindentechnischen Unterrichtseinheiten an der Regelschule am Wohnort angeboten werden sollten. Die SfS könnte sich überlegen, ob sie diesem Wunsch der Eltern und Kinder entgegenkommen kann, indem Sonderpädagoginnen/Sonderpädagogen die blindenspezifischen Lerninhalte am Wohnort des betreffenden Kindes unterrichten, im Sinne eines mobilen sonderpädagogischen Dienstes (Burkard & Weiss, 2008, S. 220). Alternativ schlagen wir vor, die Eltern neben der mündlichen Information auch schriftlich präzise über die Schulformen zu informieren. Zudem könnte darüber nachgedacht werden, ob der Begriff ‚Vollintegration‘ in ‚Maximale Teilintegration‘ abgeändert werden kann.

Während den Interviews mit den Eltern konnten wir feststellen, dass es zentral ist, ihnen keine utopischen Ziele einer integrierten Beschulung in Aussicht zu stellen (vgl. Kapitel 15.1.6.1). Ziehbart weist auf dieses Problem hin nach dem Motto „Jetzt ist mein Kind in der Integration, jetzt wird alles gut“ (In: Eberwein & Knauer, 2009, S. 436). Häufig machen sich die Eltern die Hoffnung, dass ihr Kind durch die Integration in die Regelschule wieder ‚gesund‘ würde, d.h., die Behinderung sei ‚besser geworden‘. Eine wichtige Funktion der B+U-Lehrperson ist die wiederholte Beratung und Aufklärung der Eltern über den eigentlichen Sinn der Integration. Dies kann insbesondere sehr wichtig sein, wenn das blinde Kind in gewissen Unterrichtsfächern wie z.B. Geometrie und Turnen zieldifferent unterrichtet und beurteilt werden muss.

Im Leitsatz 10 wird vom optimalen Einsatz der vorhandenen Ressourcen gesprochen. Unsere Kategorie 10 beschäftigte sich nicht nur mit dem Einsatz der Ressourcen und Materialien, sondern v.a. mit der Verfügbarkeit. Aufgrund unserer eigenen Erfahrungen und den Interviews mit den B+U-Lehrpersonen stellten wir fest, dass es v.a. an geeigneten Ressourcen und Materialien für den Unterricht mit blinden Schülerinnen und Schülern mangelt. Dies bedeutet, dass ein Grossteil der blindenspezifischen Materialien durch die B+U-Lehrperson eigenhändig hergestellt oder aber aus der ganzen Schweiz zusammengesucht werden muss, was mit einem erheblichen Aufwand verbunden ist. Nicht nur das Übertragen von Arbeitsblättern in e-Text oder Brail86

le, sondern auch das Herstellen taktiler Medien ist sehr anspruchsvoll (Lang, In: Lang, Hofer & Beyer, 2008, S182 ff.). Von vielen Materialien steht häufig nur ein Satz zur Verfügung, was zu Engpässen führt, wenn mehrere Lehrpersonen die gleichen Materialien zur selben Zeit benötigen. Dem Team ‚Blind‘ (drei B+U-Personen) wurden im Jahr 2009 CHF 8000.- zugesprochen, um den Materialengpass zu lindern. Um einen besseren Überblick über die bereits vorhandenen und neu erworbenen taktilen Materialien zu gewinnen, schlagen wir vor, dass das Material archiviert und katalogisiert wird, damit es in Zukunft wie in einer Bibliothek ausgeliehen werden kann. Dabei sehen wir die Problematik allerdings in den fehlenden Räumlichkeiten.

Unsere Kategorie 10 (Ressourcen) umfasste nicht nur die blindentechnischen Materialien, sondern auch die zeitlichen Ressourcen. Bei den Interviews, insbesondere bei B1, stellte sich heraus, dass die 12.8 Lektionen für die Betreuung des blinden Kindes in der Regelschule knapp bemessen sind. Inbegriffen in diesen Lektionen ist neben der Arbeit der B+U-Lehrperson in der Regelklasse auch noch Punktschriftunterricht, O&M, LPF, Tastaturschreiben, Assistenzen, Beratung der Regelschullehrpersonen und je nachdem ein kleiner Anteil für den Übertragungsaufwand. So bleibt von den 12.8 Lektionen für den eigentlichen B+U je nach Schülerin oder Schüler etwa die Hälfte übrig. Bei den drei Kindern unserer Forschungsarbeit handelt es sich um lernwillige und kognitiv starke Schülerinnen und Schüler. Für die Integration von Kindern, welche neben ihrer Blindheit noch weitere Schwierigkeiten aufweisen, wäre dieses Pensum an B+U-Lektionen nicht ausreichend, um eine längerdauernde und erfolgreiche Integration zu gewährleisten.

Dass eine Integration in die Regelklasse in der Schweiz über viele Jahre erfolgreich verlaufen kann, zeigt das bei Drave skizzierte Beispiel einer Schülerin aus dem Kanton Aargau. Sie erblindete mit 14 Jahren, wurde bereits seit der zweiten Primarschulklasse durch Sehgeschädigtenpädagogen unterstützt. Ihr Schlusswort wird auch von Drave selbst in seinem Vorwort verwendet und gibt seinem Sammelband über die Integration blinder Kinder und Jugendlicher in die Allgemeine Schule den Titel. „Trotz all der Schwierigkeiten, auf die ich während meiner ganzen Schulzeit gestossen bin, möchte ich meinen bisherigen Weg nicht im Nachhinein ändern können. Ich bin sehr froh, dass mir meine Eltern den Eintritt in die Regelschule ermöglicht und mir bei Neuanfängen immer geholfen haben. Der Umgang mit Sehenden, der für mich als sehbehinderter und später blinder Mensch tagtäglich stattfand, wird für mich immer sehr wertvoll sein, denn spätestens beim Eintritt ins Berufsleben hätte ich diesen Sprung ins kalte Wasser, den Sprung aus einer behüteten Welt in die der Sehenden, machen müssen. Die Erfahrungen, die meine Mitmenschen und ich Tag für Tag miteinander machen, sind für uns alle sehr wertvoll, denn beide Seiten können voneinander sehr viel lernen!“ (Bär, In: Drave & Wissmann, 2000, S. 220).

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13. Beantwortung der Fragestellung Unsere Forschungsfrage lautete: Inwiefern werden die Zehn Leitsätze für die Entwicklung des sonderpädagogischen Konzeptes des Kantons Zürich im Integrationsprozess der drei blinden Kinder umgesetzt, und in welchen Bereichen sind Optimierungen wünschenswert?

Zur Beantwortung dieser Frage beschäftigten wir uns im ersten Teil unserer Masterarbeit mit ausgewählter Forschungsliteratur zur Integrations- und Blindenpädagogik und speziell zu Beratung und Unterstützung. Im empirischen Teil führten wir Leitfadeninterviews mit den ausgewählten Schülerinnen und dem Schüler, den Eltern, Regelklassen- und B+U-Lehrpersonen sowie Schulleitungen. Die Transkripte werteten wir nach der Methode der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring aus. Dabei leiteten wir die Kategorien von den Zehn Leitsätzen ab.

Die Hauptfrage nach der sozialen Integration dieser drei Kinder (Kategorie 1) können wir als gelungen und somit positiv beantworten. In tiefergehenden und weiterführenden Fragen und Kategorien konnten wir aber feststellen, dass in gewissen Bereichen durchaus Verbesserungsmöglichkeiten vorhanden sind. Diese betreffen die Zusammenarbeit der Schulen, Entlastungslektionen und/oder finanzielle Entschädigung für die Regelklassenlehrpersonen. Des weiteren müssen die Eltern der integrierten Sonderschülerinnen und –schüler unserer Meinung nach noch präziser aufgeklärt und engmaschiger beraten werden, damit keine Missverständnisse aufkommen und falsche Hoffnungen geweckt werden. Schliesslich sehen wir eine Optimierungsmöglichkeit bei der Beschaffung und Aufbewahrung von blindenspezifischen Lernmaterialien.

Einschränkend möchten wir aber feststellen, dass es sich bei unserer Forschungsarbeit um drei Einzelfälle handelte und unsere Schlussfolgerungen nicht bis ins Detail verallgemeinert werden können.

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14. Kritische Reflexion Unsere Reflexion kann in zwei Bereiche aufgeteilt werden: einerseits in die Planung und Durchführung der Forschungsarbeit, andererseits in die gewonnenen Erkenntnisse.

Zur Durchführung und Planung können wir sagen, dass wir unseren im Voraus festgelegten Zeitplan gut einhalten konnten. Am Anfang unserer Zusammenarbeit legten wir ausreichend Termine für die gemeinsamen Arbeitssequenzen fest, weshalb wir nicht in Zeitnot gerieten.

Die Leitfadeninterviews führten wir gemeinsam durch, wobei wir uns bei der Gesprächsleitung abwechselten. Die ersten Interviews transkribierten wir miteinander und legten dabei genaue Regeln fest. Dies ermöglichte uns, die Transkriptionsarbeit aufzuteilen. Die Kategorisierung und Codierung erstellten wir gemeinsam, ebenso die Auswertung der Datenmenge. Durch die klare Strukturierung der Interviewleitfaden war es uns möglich, die Daten ohne weitere Probleme auszuwerten. Trotzdem ist anzufügen, dass wir die Zeit, welche wir für das Auswerten der Interviews benötigten, unterschätzt haben. Schritte, welche in Einzelarbeit erledigt werden konnten, teilten wir auf, verglichen sie aber fortlaufend. Rückblickend freut es uns, sagen zu können, dass unser Vorgehen und unsere Zusammenarbeit sehr stimmig verlief.

Die aus unserer Forschungsarbeit gewonnenen Erkenntnisse aus den drei Fallbeispielen können unserer Meinung nach zur Verbesserung der Integrationssituation von blinden Schülerinnen und Schülern im Kanton Zürich dienen. Es ist uns bewusst, dass die Resultate für abschliessende Empfehlungen detaillierter mit weiteren Interviewpartnern überprüft werden müssten. Die integrative Didaktik, wie wir sie in unserem Theorieteil beschrieben, streiften wir mit unseren Leitfadeninterviews nur wenig. Wir wissen, dass wir diesen wichtigen Bereich vernachlässigen mussten, da wir das Schwergewicht unserer Forschung auf den gesamten Integrationsprozess legten und keine Kapazität für Detailforschung blieb. Während unserer Forschung bemerkten wir die Wichtigkeit der integrativen Didaktik, weshalb wir ihr in unserer täglichen Arbeit mehr Gewicht geben möchten. Ebenso konnten wir aus Zeitgründen keine Gespräche mit Politikern führen, welche sich mit der Integration von Kindern mit besonderem Förderbedarf auseinandersetzen. Ihre Stellungnahme hätte uns sehr interessiert und wäre bestimmt eine Bereicherung für unsere Arbeit gewesen.

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15. Ausblick Unsere Forschungsarbeit hat uns wichtige Anregungen gegeben, um einerseits unsere eigene Arbeit als Klassenlehrperson an der SfS (Betreuung von Teilintegrationen) und als B+ULehrerin in der Vollintegration zu verbessern. Bei der möglichen zukünftigen Aufgabe der SfS als Kompetenzzentrum möchten wir unsere Erkenntnisse gerne einbringen. Zum Beispiel würden wir es begrüssen, wenn regelmässige Fortbildungen und Supervisionsgruppen für B+ULehrpersonen und Regelklassenlehrerinnen und -lehrer, die blinde und sehbehinderte Schülerinnen und Schüler unterrichten, angeboten werden könnten.

Gerne möchten wir uns dafür einsetzen, dass die Regelschullehrpersonen, welche Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in ihre Klasse integrieren, eine verbindliche Regelung von Seiten des Kantons erhalten, welche die Anzahl der Entlastungslektionen, die Klassengrösse und die finanzielle Entschädigung betreffen.

Sollte sich das Modell ‚Integration statt Separation‘, wie es das Sonderpädagogische Konzept des Kantons Zürich vorschreibt, in den nächsten Jahren tatsächlich als Regelfall für den Unterricht von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf etablieren, wird im Bereiche der Didaktik Raum für Optimierungen geschaffen werden müssen (vgl. Kapitel 7.5.1). Damit die Integration zu einem Erfolgsmodell werden kann, sollte unserer Meinung nach sowohl in der Ausbildung der Regelschullehrpersonen als auch in der Weiterbildung zur Heilpädagogin/zum Heilpädagogen Integrationspädagogik und die dafür geeigneten didaktischen Modelle vertieft gelehrt und gelernt werden.

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Anhang I Expertenrunde: Behörden: -

Interesse & Einblick in die Thematik Unkompliziert Speditiv Sollen nicht davon ausgehen, dass Integration billiger ist. Positive Werthaltung gegenüber der LP, welche integrieren

Familie: -

Vertrauen in Regelschul- und B+U-Lehrperson Engagement Zeitaufwand Innere Haltung: mittragen & loslassen Sicherheit, dass das Kind es schafft Flexibilität & Toleranz Kritikfähigkeit Schwierigkeiten sofort angehen Positives Feedback für die Eltern

Hilfsmittel: -

Verantwortungsvoller Umgang LP mit Hilfsmittel vertraut machen Der Klasse die Hilfsmittel erklären, warum was gebraucht wird -> Sensibilisierung IV-Anträge, Was wird wann gebraucht? Komplexität der Lehrmittel der LP erklären Verfügbarkeit von Hilfsmittel an der SfS Selbstständiges Einsetzen der Hilfsmittel -> Die LP wird dadurch entlastet, sie kennt Handlungsalternativen SBS-Übertragungen genau absprechen Eltern sind nicht Chefs über die Hilfsmittel Adäquate Hilfsmittel Nur Hilfsmittel einsetzen, welche es auch wirklich braucht Hilfsmitteleinsatz den Platzverhältnisse in der Klasse anpassen

B+U: -

Schutzengel für LP/Eltern/Kind Grosses blindentechnisches Wissen Netz: agblind.ch die Fähigkeit sich in verschiedene Rollen zu versetzen Kompetentes Auftreten Humor Viele positive Feedbacks geben „isch, wenn mer trotzdem lacht...“ Erwartungen an B+U sehr hoch Vertrauensperson für verschiedene SeitenKollegialität ist manchmal schwierig Interesse an blindenspezifischen Fragen

Lehrperson: -

es ist nicht immer nur ein Geben, sondern auch ein Nehmen positive Einstellung Ordnung + Kontinuität Gesunder Menschenverstand gegenüber dem „Anderssein“ 93

-

Sich klar sein darüber, wann das Lernziel erreicht ist Neue Herausforderung Frontalunterricht ist einfacher Organisiertheit der LP Gesunder Umgang (nicht mit Samthandschuhen) Offenheit für Anderes

Schülerin/Schüler: -

Behörde sagt nein, der Staat sagt ja. Wie weiter? Kritikfähigkeit Muss im Bereichen voraus sein, um nicht in der Arbeit zu ertrinken Frustrationstoleranz Freie Mobilität (Turnen/Schulweg) Heterogenität der Klasse, Umgang der LP mit dieser Situation Interesse an Gleichaltrigen Selbstsicherheit & Stärke Leistungsbereitschaft: Wille zur Leistung und zur Integration Blindenspezifische Kenntnisse & Ausrüstung

Soziales Umfeld in der Klasse: -

auch andere Kinder brauchen Hilfe! Teilintegrationen sind schwieriger, wenn, dann im Wohnort Pflege des sozialen Umgangs in der Klasse Austausch mit anderen blinden Menschen „Einführung“ das blinden Kindes in die nonverbale Kommunikation -> Klasse muss wissen, dass sie verbalisieren müssen typabhängig Begleitung, damit es funktioniert, LP muss aufmerksam beobachten

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Anhang II Einladung zum Interview mit den Eltern: Vera Stössel & Nadja Schneemann Moorschwandstr. 12 8815 Horgenberg

Fam. … Horgenberg/Grüningen, den 25.Mai 2009

Liebe Familie … Wie wir in unserem Telefongespräch besprochen haben, möchten wir im Rahmen unserer Masterarbeit an der Hochschule für Heilpädagogik Zürich (HfH) die Integration von Punktschriftanwenderinnen und –anwendern erforschen. Dazu möchten wir alle involvierten Personen (Kind, Eltern, B+U-Lehrperson, Klassenlehrperson, evtl. Schulleitung und Behörden) zu einem Gespräch einladen. Herzlich danken wir Ihnen, dass Sie uns in unserer Arbeit in Form von Interviews unterstützen. Wir werden das Interview sowohl mit Ihnen als Eltern als auch mit Ihrem Kind durchführen und berechnen je maximal eine Stunde dafür ein. Diese werden auf Tonband aufgenommen, anonymisiert und ausschliesslich für diesen Forschungszweck verwendet. Gerne gewähren wir Ihnen jederzeit Einblick in unsere Arbeit und stellen Ihnen diese auf Wunsch nach Abschluss der Arbeit als digitale Datei zur Verfügung. In der Woche 9 des Jahres 2010 werden wir unsere Arbeit an der HfH präsentieren dürfen. Dazu sind Sie natürlich herzlich eingeladen. Genauere Informationen werden wir Ihnen zu einem späteren Zeitpunkt zukommen lassen. Mit freundlichen Grüssen,

Damit wir unsere Interviews koordinieren können, bitten wir Sie, an untenstehenden Daten alle möglichen Uhrzeiten, welche Ihnen passen, zu notieren und uns im Rückantwortcouvert bis spätestens 3.6.2009 zurückzusenden. ✄----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------Wir wünschen das Interview ⃞ bei uns zu Hause

⃞ in der Schule unseres Kindes

⃞ an der SfS

Mittwoch,

19.8.2009, ab 15 Uhr ___________________________________________

Donnerstag,

20.8.2009, ab 10 Uhr ___________________________________________

Freitag,

21.8.2009, ab 14 Uhr ___________________________________________

Mittwoch,

26.8.2009, ab 15 Uhr ___________________________________________

Donnerstag,

27.8.2009, ab 10 Uhr ___________________________________________

Freitag,

28.8.2009, ab 14 Uhr ___________________________________________

Mittwoch,

2.9.2009, ab 15 Uhr ___________________________________________

Donnerstag,

3.9.2009, ab 10 Uhr ___________________________________________

Freitag,

4.9.2009, ab 14 Uhr ___________________________________________

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Anhang III HFH Masterarbeit 2009: Vera Stössel und Nadja Schneemann Modell des Interviews (B+U)

Ort, Datum: Name der befragten Person(en): Rolle: Wohnort:

Interviewleitfaden 1. Leitsatz 1.1.

Wie beurteilst du die Integration von … in die Dorfgemeinschaft?

1.2.

An welchen Merkmalen erkennst du dies?

1.3.

Inwiefern fördert die integrative Beschulung von … ihre/seine Integration in die Dorfgemein-

schaft?

2. Leitsatz 2.1.

Wie beziehst du die Eltern als Experten bezüglich der Sehbehinderung in wichtige Ent-

scheidungen mit ein? 2.2.

Finden runde Tische statt? Falls ja, wie häufig?

2.3.

Wie aktiv nehmen die Eltern von … am Schulgeschehen teil?

In welcher Form? 2.4.

Ist eine Integration ohne aktive Mitwirkung der Eltern möglich?

2.5.

Wie sieht eine optimale Integration aus deiner Sicht aus?

3. Leitsatz 3.1.

Wie stehst du zur Integrationen von behinderten Kindern und Jugendlichen im Allgemeinen?

3.2.

Wer entschied bei … über eine Integration?

3.3.

In welcher Form werden Integrationsprozesse ausgewertet und überprüft?

Wer nimmt daran teil? 3.4.

Wo liegen bei dir persönlich die Grenzen der Integration?

3.5.

Wird … deiner Meinung nach erfolgreich integriert?

Welche Faktoren führen dazu?

6. Leitsatz 6.1.

Welche Unterstützungen erfährst du von der Regelschule?

6.2. Wer

war bei der Integration federführend?

6.3.

Zu welchem Zeitpunkt wurde die Integration aufgegleist?

6.4.

Welche Erwartungen hast du an die Regelklassenlehrperson? 96

6.5.

Welche Erwartungen hast du an die Schulleitung der betreffenden Gemeinde?

7. Leitsatz 7.1. In

welcher Form arbeitet die Regelklassenlehrperson mit dir zusammen?

7.2. Findest

du, das Kind erhält eine ausreichende personelle Unterstützung von Seiten der

Sonderschule? Wenn ja, weshalb? Wenn nein, weshalb nicht?

8. Leitsatz 8.1.

Inwiefern siehst du dich als Wissensvermittlerin im sehbehinderten- und blindenspezifischen

Bereich? 8.2.

In welcher Form vermittelst du das Wissen

8.3.

… dem blinden Kind?

8.4.

…der Lehrperson?

8.5.

… der Klasse?

8.6.

… der Schulleitung?

9. Leitsatz 9.1.

Welche Aus- und Weiterbildungen im sehbehinderten- und blindenspezifischen Bereich hast

du durchlaufen?

10. Leitsatz 10.1. Wie

beurteilst du die zur Verfügung stehenden Ressourcen hinsichtlich des Zeitaufwan-

des? 10.2. …

hinsichtlich des blindenspezifischen Materials?

10.3. …

hinsichtlich des blindenspezifischen Fachwissens seitens des B+U?

Wir sind nun am Ende unseres Interviews. Möchtest du noch etwas dazu sagen? Hast du Fragen an uns?

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Anhang IV Interview mit L3 A: Wie beurteilst du die Integration von S3 in die Dorfgemeinschaft? 00:00:34-5 L3: In die Dorfgemeinschaft kann ich nicht viel aussagen. Weil er wohnt in O., im Nachbardorf. Und ich wohne in Z.. Also, ich kann da nichts darüber erzählen. 00:00:46-5 A: Erzählt er auch nichts? Von Vereinen oder so? 00:00:51-4 L3: Nein, er hat seinen Kollegen aus der Schule für Sehbehinderte, und das weiss ich, dass er sich mit ihm manchmal trifft. Aber sonst, äh, im Dorf. Ich kann es nicht beurteilen, ich weiss es nicht. 00:01:04-7 A: Mhm. Dann wird wahrscheinlich auch die nächste Frage etwas schwierig. Inwiefern fördert die integrative Beschulung von S3 seine Integration in die Dorfgemeinschaft? Vielleicht kannst du da, hast du eine Vermutung? 00:01:15-1 L3: Also, ich denke, ich denke, das hilft schon, weil er hat dann seine Kollegen, welche mit ihm in die Schule gehen, in dem Sinn. Schulweg, die Dinge, die er gemeinsam macht mit denen, welche von O. kommen. Und er ist in dem Sinn, man kennt ihn hier in der Schule. Und man kennt ihn vermutlich auch in O. 00:01:33-3 A: Ja. 00:01:37-3 L3: Also, ich denke, das hilft sicher. Aber es ist ähm eine Vermutung von mir. 00:01:42-3 A: Ja. Gut. Wie beziehst du die Eltern als Experten bezüglich der Sehbehinderung oder der Blindheit in wichtige Entscheide mit ein? 00:01:54-0 L3: Hm. (Pause) Eigentlich, ja es war von Anfang an die Diskussion gemeinsam mit den Eltern. S3 wollte gerne hierher. Gemeinsam mit den Eltern und S3 haben wir abgeklärt, ja, meine Befürchtungen, dass es allenfalls nicht gehen könnte. Das offen gelegt und dann gesagt, ja, wir probieren es mal. So in dem Sinn. Im Gespräch, aber ich wüsste jetzt nicht, welche anderen wichtigen Entscheide es gegeben hat. Die Berufswahl wird dann noch kommen. Aber das wird eh mit den Eltern besprochen. Das ist nicht nur bei S3 so. 00:02:42-4 A: Wenn du Fragen zur Behinderung hast 00:02:41-4 L3: Zur Behinderung würde ich jetzt nicht zu den Eltern gehen, sondern zur B+U-Lehrerin von der Schule für Sehbehinderte. 00:02:51-5 A: Ja. 00:02:54-6 L3: Also, das wäre jetzt eher meine erste Ansprechperson. Also klar habe ich gefragt, wie es dazu gekommen ist und die ganze Geschichte. Bei den Eltern. Aber wenn es um fachliche Sachen

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geht, dann ist der Kontakt zu B3(1) schneller da. 00:03:18-7 A: Mhm. Finden Runde Tische statt? 00:03:20-9 L3: Ja, das ist sicher alle Halbjahre eines. 00:03:24-4 A: Und da sind die Eltern auch dabei? 00:03:27-2 L3: Da sind die Eltern auch dabei. Da sind alle zusammen dabei. Auch S3, alle, welche mit ihm zu tun haben. 00:03:32-9 A: Schulleitung ist da auch dabei? 00:03:34-1 L3: Schulleitung? Jetzt muss ich grad überlegen. Nein, die ist nicht dabei. Aber die Schulpflege ist dabei. Also, die Leute, welche von der Schulpflege verantwortlich sind für dieses Ressort. 00:03:52-8 A: Mhm. Äh, wie aktiv nehmen die Eltern von S3 am Schulgeschehen teil? 00:03:58-9 L3: Nicht mehr und nicht weniger als alle anderen auch. 00:04:07-1 A: Also Schulbesuchsmorgen z.B.? 00:04:08-4 L3: Das übliche. Schulbesuchsmorgen sind sie da, Elternabende sind sie da. 00:04:15-0 A: Aber sie sind nicht 00:04:15-0 L3: Sie stehen nicht dauernd da. 00:04:17-7 A: Aha. Was meinst du, ist die Integration ohne aktive Mitwirkung der Eltern möglich? 00:04:27-1 L3: Nein. Schlichtweg nicht. Da müssen die Eltern dies schon auch mittragen. Ja, und mit Unsicherheiten umgehen können. Und wenn sie das nicht können oder nicht mittragen, dann geht das nicht. 00:04:49-9 A: Das Mittragen, wie sieht das bei den Eltern von S3 aus? 00:04:52-9 L3: Dass sie ihn wirklich dort unterstützen, wo er, wo er die Unterstützung nötig hat. Und dass sie ihn aber auch machen lassen und das Vertrauen haben, dass er es schon macht, wenn 00:05:065 A: Vor allem mentale Unterstützung? 00:05:03-9 L3: Ja, mental oder auch, ja. Einfach Gespräche anbieten. Mit ihm sprechen. Dinge besprechen miteinander. Es war auch so, dass S3 irgendwann nach Hause gegangen ist und einen Vorfall aus der Schule zu Hause erzählt hat. Ich habe dann die Rückmeldung vom Vater erhalten, äh, was ist da passiert? Und ich konnte sagen, dass es gar nicht so schlimm ist, wie es S3 aufgenommen hat. Und dann konnte dies geregelt werden. Und das ist so, ja, mittragen in dem Sinn. 00:05:35-5 A: Wie sieht für dich eine optimale Integration aus? 00:05:35-5 99

L3: Ph. (Pause) 00:05:46-4 A: Deine Traumvorstellung. (lacht) 00:05:46-4 L3: Habe ich keine. Ich weiss es nicht. Also, optimal ist natürlich, dass es wirklich läuft wie für alle Anderen auch. Und ähm, das würde heissen, dass die Klassen nicht allzu gross sind. Da habe ich jetzt, ja, das Glück, dass der Kampf sich gelohnt hat und die Klasse wirklich nicht so gross ist. Und äh, ja, dass die Unterstützung da ist. Sei dies von der Schule für Sehbehinderte oder sei dies von Seiten der Eltern oder der Schulpflege und Schulleitung. Ja, dass die Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Und dass man nicht zuerst weiss ich nicht was drohen muss, bis es tatsächlich passiert. 00:06:42-0 A: Dass man ernst genommen wird als Lehrer? 00:06:43-6 L3: Ja, und, und, und. Sicher, auf jeden Fall, also. Das gehört vielleicht nicht hierher. Ich habe etwas Ähnliches erlebt mit einem Kind mit Hörbehinderung, welches ich gehabt habe. Es hat dann geheissen, wenn du das nimmst, dann hast du dann nur 15 in deiner Klasse. Als dann die Klassenzuteilung kam, hatte ich in meiner und der Parallelklasse je 23 Kinder. Das geht nicht. 00:07:05-8 A: Mhm. 00:07:09-0 L3: Und jetzt bei S3 hat man auch gesagt, ja, wenn du S3 nimmst. Da habe ich gesagt, ja, gut, aber ich will eine kleine Klasse. Ich mache das Spiel nicht mehr mit wie beim Kind mit Hörbehinderung. Das meine ich, oder. Und, und, zuerst weiss ich was in Bewegung bringen, bevor. Es müsste eigentlich zum Vornherein klar sein, dass es so ist. 00:07:27-5 A: Keine leeren Versprechungen. 00:07:31-1 L3: Und, ja, das auch. 00:07:33-8 A: Ähm, wie stehst du selber zur Integration von behinderten Kindern und Jugendlichen? 00:07:39-9 L3: Ich finde das gut. Ich finde das wirklich gut. Also, einfach immer in dem Rahmen, wie es möglich ist, natürlich. Aber ich finde es gut so. 00:07:53-9 A: Wie ist die Integrationspolitik in deiner Gemeinde? 00:07:55-9 L3: In der Gemeinde ist sie eigentlich so, dass man das unterstützt, dass es kommt. Aber eben, es ist erst am Anfang, es ist jetzt glaube ich sechs Jahre her, dass das Kind mit Hörschädigung, jetzt S3. Ich wüsste nicht grad von sonst jemandem. Ich weiss auch nicht, wie viele es noch in der Gemeinde hat. Es hatte mal ein Kind, welches im Rollstuhl sitzt, da waren die Gebäude das Problem. Es ist unmöglich, jemanden im Rollstuhl hier in der Schule zu integrieren. Es geht nicht. Es hat überall Treppen. Es hat kein Zimmer ohne Treppe. Es ist, ja, das sind dann die anderen Begebenheiten. 00:08:41-2

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A: Mhm. Also, du hat eigentlich die nächste Frage schon beantwortet. Wie viele Kinder besuchen integriert deine Klasse? 00:08:47-2 L3: Nur S3. 00:08:50-3 A: Und im Schulhaus? 00:08:50-3 L3: Im Schulhaus wüsste ich sonst niemanden. 00:08:51-5 A: Ja. 00:08:51-5 L3: Also, es gibt noch Andere, also Verhaltensauffällige und so. Das sind dann andere Schwierigkeiten. Dort denke ich, man kann nicht beliebig viele verhaltensauffällige Kinder in eine Klasse tun. Das geht nicht. 00:09:08-5

A: Mhm. Äh, wer entscheidet über eine Integration? 00:09:13-0 L3: Jetzt hier, dieses Mal war es so, dass man meinem Kollegen und mir gesagt hat, wenn ihr es seht, dann machen wir es. Wenn wir zum Vornherein gesagt hätten, nein, das liegt nicht drin, hätte man's nicht gemacht. Ich hatte das Gefühl, diesmal lag die Entscheidung wirklich bei uns, also bei den Lehrpersonen. Wir konnten entscheiden, ob wir es uns vorstellen konnten oder nicht. Und dann entscheidet aber schlussendlich die Schulpflege. 00:09:43-6 A: Findest du es gut, dass du als Lehrer entscheiden kannst? 00:09:45-7 L3: Also, ich hatte sehr, sehr grosse Bedenken gehabt, oder. Wie, wie läuft denn das? Wie sieht man's? Und ich habe begonnen, mich zu informieren. Und, und, ich konnte meine Bedenken äussern und habe gemerkt, diese werden ernst genommen. Und dann war es gut für mich. Aber wenn es dann heisst, ja, nein, du musst nicht, es ist eh nichts, dann würde ich sagen, ja, also. Dann wird es schwierig, oder. Klar kommt es immer drauf an, also, die endgültige Entscheidung jetzt hier bei uns in der Schule, hatte ich das Gefühl, mein Kollege und ich konnten sagen, ja, wir können es uns vorstellen oder nein. Es ist etwas neues, etwas anderes. Es macht die ganze Sache wieder spannend und interessant, ja. 00:10:42-1 A: Wenn du dich dagegen entschieden hättest, wäre das einfach gewesen, mit dem Entscheid umzugehen? 00:10:45-7 L3: Da hätte ich damit fertig werden müssen. 00:10:54-4 A: Hättest du darüber stehen können? 00:10:57-5 L3: Ja, das ist halt wieder aus der Geschichte mit dem Kind mit Hörbehinderung. Es war da halt so, dass ich nach zwei Jahren gefunden habe, ich kann dem Kind das nicht mehr geben, was es eigentlich braucht. Ich habe gefunden, dass es keinen Wert hat, wenn es noch weiter da bleibt. Wir mussten eine andere Lösung finden. Und dann stieg die Schulpflege drauf ein. Und ich muss sagen, es war gut, haben wir das so gemacht. Aber ich habe sehr, sehr stark mit meinem Gewissen gekämpft. Ja, auch die Idee von, ich habe versagt, weil ich es nicht geschafft habe, dass es 101

geht und so. Also, das kommt alles. Das dreht und macht und tut. Es ist schon so, ich finde es eine ganz schwierige Sache, oder. 00:11:52-2 A: Dann hat aber eigentlich die Offenheit der Schulpflege damals äh 00:11:51-1 L3: Die hat mir geholfen. 00:11:53-5 A: Ja, unterstützt bei der Entscheidung, ich probiere es, und wenn es nicht geht, dann wird es akzeptiert? 00:12:01-7 L3: Ja, sie stehen dahinter, dass es, dass es äh, ja. 00:12:06-4 A: Mhm. In welcher Form werden die Integrationsprozesse ausgewertet und überprüft? 00:12:207 L3: Das läuft, äh, wir sitzen jeweils einmal wöchentlich zusammen, besprechen, was gewesen ist, was es spezielles gibt. Und dann gibt es die Standortgespräche, welche zweimal pro Jahr stattfinden und da auch vorausgeplant wird, wie es weitergehen soll. Wie wir das nächste Schuljahr organisieren. 00:12:46-2 A: Mhm. Wo liegt bei dir die persönliche Grenze bezüglich der Integration? 00:12:56-9 L3: Ich denke, das hat sehr viel mit dem, mit dem Arbeitsaufwand zu tun, welcher dahinter steckt. Ich denke, es ist mehr Arbeit. Ich muss schauen, ob S3 das lesen kann, was ich für die anderen geschrieben habe. Oder, äh, kann er es nicht lesen. Hat es Sonderzeichen drin, welche ich umschreiben muss, usw. Das ist das Eine. Das Andere denke ich, wenn S3 nicht so eine sonnige Persönlichkeit hätte, sondern eher jemand wäre, der denkt, er komme überall zu kurz, würde mir das Leben schon schwerer machen. Und ich kann nicht sagen, wo jetzt genau die Grenzen sind. Jetzt, so finde ich es gut so. Das geht. Das hängt sehr von der Person ab, welche integriert wird und von der Klasse. Es hat so viele Dinge, welche mitspielen. 00:13:57-0 A: Wird S3 deiner Meinung nach erfolgreich integriert? 00:14:01-5 L3: Ich denke schon. 00:14:06-6 A: An welchen Faktoren kannst du das erkennen? 00:14:07-9 L3: Daran, dass ich denke, dass es ihm wohl ist hier, dass es ihm hier gut geht. Dass er fröhlich hierher kommt. Dass er Kontakte hat mit Leuten in der Klasse, auf dem Pausenplatz. Dass er mit seinen Kollegen seine Runden dreht. 00:14:32-7 A: Mhm. (Pause). Welche Unterstützung erfährst du von der Schule für Sehbehinderte? 00:14:399 L3: Dass äh, dass B3(1) jede Woche mal da ist. Das ist zweimal am Nachmittag, auch bei meinem Kollegen. Und dann habe ich noch zusätzlich B3(2), welche ich auf Abruf haben kann. 00:15:17-3 A: Wie weit wurdest du vor der Integration von S3 über seine Blindheit und die Auswirkungen im Alltag informiert? 00:15:29-2 102

L3: Ja, ich würde sagen, dass ich recht gut informiert wurde. Es kam etwas neun Monate vorher zur Sprache, dass es so sein könnte. Ein halbes Jahr früher wurde es dann konkreter. Und dann sind wir zusammen gesessen mit der Schulleitung der Schule für Sehbehinderte, den Eltern und der Schulpflege und so. Und haben darüber gesprochen. Dann hatte ich ein Gespräch mit den Eltern und S3. Dann gingen wir zur 6. Klasslehrerin, wo er teilintegriert war. Diese Informationen habe ich selber geholt. Das passierte früh genug, damit wir Zeit hatten, um zu entscheiden. Ja, also, entscheiden für mich, kann ich es mir vorstellen. 00:16:39-2 A: Mhm. Hast du selber auch noch viel darüber gelesen? 00:16:41-5 L3: Ich habe im Internet geschaut, äh, ich habe mich damit beschäftig, wie dies mit verschiedenen Fächern aussieht. Und ich konnte mir eigentlich alles vorstellen, bis auf die Geometrie. Das konnte ich mir schlichtweg nicht vorstellen. Und dann haben wir die Lösung gefunden, dass er die Geometrie in der Schule für Sehbehinderte hat. Das ist eine gute Lösung so. 00:17:16-6 A: Welche blindenspezifischen Kompetenzen konntest du dir aneignen. Welche möchtest du noch erwerben? 00:17:29-2 L3: Das ist noch schwierig zum sagen. Was ist blindenspezifisch? 00:17:32-9 A: Also z.B. Punktschrift oder so, konntest du das 00:17:41-6 L3: Ich weiss, wie es funktioniert, aber ich kann es schlichtweg nicht. Und äh, ich finde auch nicht, dass ich dies können müsste. Also klar, wenn er den Compi da hat, dann sehe ich es in Schwarzschrift auf seinem Bildschirm, und er hat es auf seiner Zeile. Und damit können wir arbeiten. Und, äh, schwieriger wird es, wenn er sein Mathematikbuch offen hat und er mich etwas fragt. Da muss ich zuerst mein Buch holen gehen und dann vergleichen wir miteinander, also. Ich habe in dem Sinn nicht das Gefühl, ich muss mich da weiterbilden und das lernen. 00:18:22-1 A: Wer war bei der Integration federführend? Wer hatte die Fäden in den Händen? Oder immer noch? 00:18:27-1 L3: In den Händen gehabt. Ich denke, das ist jemand von der Schule für Sehbehinderte. 00:18:319 A: Ist das B3(1)? 00:18:31-9 L3: Ja, B3(1) 00:18:41-0 A: (Pause). Zu welchem Zeitpunkt wurde die Integration aufgegleist? Du hast vorher gesagt, etwa dreiviertel Jahre vorher 00:18:48-7 L3: Also dreiviertel Jahre vorher war das Gespräch, es könnte sein, dass S3 in unsere Klassen kommt. Ja, ich denke, das war um Weihnachten herum. 00:19:08-3 A: Hat es noch eine Parallelklasse? 00:19:12-1 L3: Also, es sind, es sind grad vis-à-vis und da, sind die zwei Klassen. 00:19:12-0 103

A: Aha, zwei Klassen sind es. 00:19:17-1 L3: Es gibt zweieinhalb Klassen. Es ist noch eine gemischte Klasse. 00:19:25-7 A: Mhm. Wie weit bist du als Regelklassenlehrperson in den Integrationsprozess involviert? 00:19:36-0 L3: (Pause). Das ist noch schwierig zu sagen. 00:19:41-2 A: Bist du die ausführende Person? 00:19:42-4 L3: Ich denke. Ich weiss nicht, ich denke, ich bin einfach der, der mit ihm in der Klasse arbeitet. 00:19:54-9 A: Der, welcher es umsetzt. 00:19:55-6 L3: Ja, ich muss schauen, wie ich es im Alltag mache, ja. 00:20:07-3 A: Welche Erwartungen hast du an die B+U-Lehrpersonen? 00:20:14-3 L3: Dass ich die Unterstützung erhalte, welche sie mir auch geben. Das läuft wirklich gut. Also, dass ich jederzeit Rücksprache nehmen kann. Dass wir uns austauschen können. Oder, dass wir die Inhalte besprechen können. Ist das jetzt geschickt, wenn ich jetzt mit S3 Mengenlehre auch mache. Da sagen sie mir auch, was nicht geht. Eben, die Unterstützung, wie ich praktisch arbeite, die muss ich haben, und die bekomme ich auch. Das ist gut so. 00:21:02-4 A: In welcher Form arbeitet ihr zusammen, B3(1), B3(2) und du? 00:21:08-8 L3: Das sind eben, dass sie wöchentlich da sind. Letztes Jahr war es so, dass sie bei meinem Kollegen war. Dann sass sie drinnen und hat mit S3 Dinge gemacht. Äh, jetzt, ab diesem Jahr wird es so sein, dass sie eine Stunde da ist und mit ihm noch etwas speziell macht zu dem Thema, welches wir mit der ganzen Klasse besprechen. Mit B3(2) in der Mathe war es so, dass wir Mathethemen besprochen haben und sie mit S3 geschaut hat, dass er alle diese Dinge, welche wir theoretisch angeschaut haben, dass er dies alles auf seinem Laptop hat. Dann ist sie noch eine zweite Lektion da. Da ist es so, dass ich mit der Klasse Geometrie machte und sie abgekoppelt an der Mathe weitergearbeitet hat. 00:22:02-9 A: Ja. Findest du, dass S3 ausreichende personelle Unterstützung seitens der Schule für Sehbehinderung erhält? 00:22:18-2 L3: Soweit ich das beurteilen kann, schon. 00:22:22-7 A: Bist du zufrieden mit der Anzahl der Lektionen? Oder denkst du, es wäre schöner, mehr zu haben? 00:22:25-4 L3: Ja, also am Anfang waren es wirklich nur die zwei Lektionen von B3(1). Ich habe dann gefunden, in der Mathe schaffe ich es so nicht. Da müssen wir eine andere Lösung finden. Und dann kam dann das mit B3(2) dazu. Und da war es auch, ja, die Unterstützung seitens der Schulge104

meinde her wieder. Die haben gefunden, ja, machen wir. Und das finde ich, dass ist gut. 00:22:54-4 A: Welcher Mehraufwand entsteht für dich als Regelklassenlehrperson durch die Integration von S3? 00:23:01-9 L3: Also, es ist ein grösserer Vorbereitungsaufwand. Also, zuerst überlegen, bringt's dieses Thema auch für ihn? Also Themenauswahl wird anders. Dann das Aufbereiten der Unterrichtsmaterialien. Ich habe nicht gerade in jedem Buch etwas, was für ihn passt. Dann muss ich halt schauen, dass er auch zu seinem Text kommt. Es aufbereiten, dass er es lesen kann, Tabellen und Darstellungen. Das ist so das Material bereitstellen. 00:23:58-0 A: Bist du in deiner Spontaneität eingeschränkt? 00:23:59-3 L3: Ein Stückweit ja. Aber auf der anderen Seite habe ich mich jetzt so organisiert, dass ich weiss, ja, äh, ich kann das technisch lösen, so, dass es funktioniert. Ich komme wieder zur Spontaneität zurück (lacht). 00:24:13-5 A: Ja. 00:24:13-5 L3: Also, ich kann auch, ähm, sagen, ja, gut, ok. Jetzt scannen, ich weiss, es geht so und so lange, und dann habe ich es aber. 00:24:31-5 A: Wir sind schon beim zehnten Leitsatz. 00:24:33-0 L3: Schon! 00:24:33-0 A: Ja, nur noch drei Fragen. 00:24:38-3 L3: (lachen) 00:24:38-3 A: Wie beurteilst du die zur Verfügung stehenden Ressourcen hinsichtlich des Zeitaufwands? 00:24:44-7 L3: Hm. (Pause). Eben, das hat, das kommt wirklich drauf an, was ich mit der Klasse machen will. Und äh, wenn es halt was aus dem Buch ist und ich es halt nicht in Braille oder in Digital für ihn bestellt habe, dann weiss ich, ja, gut, ich muss jetzt halt. Ich weiss, eigentlich gibt es diese Sachen, aber ich will ja nicht das ganze Buch durcharbeiten, also lohnt es sich nicht, das ganze Buch für S3 anzuschaffen. Also weiss ich, ich muss es halt scannen. 00:25:25-5 A: Wirst du entlöhnt für 00:25:24-5 L3: Zusätzlich? Nein. 00:25:29-3 A: Gar nicht? 00:25:28-1 L3: Nein. 00:25:33-9 A: Und das lässt dich kalt? (lacht) 00:25:32-7

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L3: Das gibt, da heisst es einfach Dankeschön und dann ist es so. 00:25:36-2 A: Ja, mhm. 00:25:41-3 L3: Kalt lässt es einem schon nicht, aber es ist halt so wie es ist. Es lohnt sich nicht, sich darüber aufzuregen. 00:25:45-0 A: Wie beurteilst du die zur Verfügung stehenden Ressourcen hinsichtlich des blindenspezifischen Materials? 00:25:59-4 L3: (Pause). Das was mir zur Verfügung steht. Eben, lohnt es sich, das Buch anzuschaffen, wenn ich nur zehn Seiten daraus brauche. Oder mach ich's nicht besser selber und habe dann das, was ich möchte. Das ist schwierig zu sagen. 00:26:24-0 A: Anschauungsmaterial hast du? 00:26:32-6 L3: Anschauungsmaterial. Das ist dann halt von Fall zu Fall so, dass ich B3(1) dann sage, du, nächste Woche das Thema. Hast du etwas? Dann bringt sie mir mit, was sie hat. Oder äh, bei den anderen Sachen, wo ich sage, das will ich jetzt wirklich haben für ihn, dann gebe ich es B3(1) oder B3(2) und dann machen sie es mir. 00:26:56-6 A: Und dann noch die letzte Frage. Wie beurteilst du die zur Verfügung stehenden Ressourcen hinsichtlich des blindenspezifischen Fachwissens seitens der B+U-Lehrpersonen. 00:27:13-0 L3: Oops, nochmals. 00:27:13-5 A: Also, Wie beurteilst du die zur Verfügung stehenden Ressourcen hinsichtlich des blindenspezifischen Fachwissens seitens der B+U-Lehrpersonen. 00:27:28-9 L3: Also B3(1) (lachen) 00:27:28-9 A: Ja, ihr spezifisches Wissen. 00:27:31-7 L3: Ich finde, sie ist sehr gut. Jemand absolut kompetentes. (unv.) Ich habe ihr grad diese Woche vom Klassenlager erzählt und gesagt, ich habe das und das vor. Da hat sie gesagt, was ich noch machen könnte und wo ich aufpassen muss. Das finde ich gut. Sie weiss, wovon sie redet. 00:28:02-2 A: Das wärs eigentlich. Herzlichen Dank. 00:28:03-2 L3: Das war es schon? 00:28:03-2 A: Ja. Hast du noch eine Frage an uns? Oder willst du sonst noch etwas deponieren? 00:28:17-7 L3: Ja, es ist einfach die ganze Geschichte mit der Integration. Es gibt viele Leute, welche sich überlegen, wie es mit der Schule weitergehen soll, integrieren und das und das. Aber die Realität in der Schule sieht häufig nicht so aus. Es beisst sich total. Der Kanton, der sparen will. Gleichzeitig grosse Klassen. Gleichzeitig sollte man integrieren. Also, das sind einfach Sachen, die nicht aufgehen. Das sind alles politische Entscheide. Ja. Ist noch schwierig, da was zu ändern. 106

00:28:51-5 A: Aber von der Schulpflege hast du dich unterstützt gefühlt? 00:28:51-5 L3: Ich habe einfach ziemlich stark auf den Tisch geklopft und gesagt, wenn nicht so, wie ich will, dann könnt ihr es vergessen. Ich musste sie eigentlich erpressen. Ich wollte nicht mehr das erleben wie mit dem hörbehinderten Kind. Ich fand, ich bin bereit, mich auf das Experiment einzulassen, aber nur wenn ich weniger Leute in der Klasse habe.

Anhang V Der Umwelt zuliebe verzichteten wir auf den Ausdruck weiterer Anhänge. Interviewtranskriptionen, Leitfaden zu den Interviews und Briefe befinden sich als Word-Dateien auf der beiliegenden CD.

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