Integration von Kindern mit geistiger Behinderung. Endbericht

Integration von Kindern mit geistiger Behinderung Endbericht Oktober 2006 Impressum: Österreichisches Institut für Kinderrechte & Elternbildung Ba...
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Integration von Kindern mit geistiger Behinderung

Endbericht

Oktober 2006

Impressum: Österreichisches Institut für Kinderrechte & Elternbildung Ballgasse 2 1010 Wien Tel.: +43/1/513 83 93 [email protected] www.kinderrechteinstitut.at Durchgeführt im Auftrag des Bundesministeriums für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz Studienautorinnen: Julia Haage, Sigrid Spenger, Maga. Gabriele Stampler, Christina Wolfsbauer MitarbeiterInnen: Juliane Kund, Nikolaus Mann, David Mayrhofer, Hedwig Peichl, Carina Zartl Wissenschaftliche Begleitung: Maga. Gabriele Stampler

Wien, Oktober 2006

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Inhaltsverzeichnis Abstract

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Vorwort

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Teil A: AUFBAU UND STUDIENDESIGN 1. Theoretischer Hintergrund

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2. Forschungsfrage

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3. Methodischer Zugang

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1.1. Orientierung an der Teilhabe eines Menschen am gesellschaftlichen Leben

3.1. Anamnesegespräche mit den Eltern 3.2. Teilnehmende Beobachtung 3.2.1. 3.2.2. 3.2.3. 3.2.4.

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Ereignisstichprobe Beobachtungsschema Auswertung Kategorienbildung

3.3. Qualitative Interviews

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3.3.1. Interviews mit den Eltern der Kinder 3.3.2. ExpertInneninterviews 3.3.3. Analysemethoden

Teil B: ERGEBNISSE 4. Soziodemografische Daten der Familien

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5. Ergebnisdarstellung der Beobachtungen

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5.1. Sozialräumliches Umfeld

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5.1.1. Verhalten des Kindes 5.1.2. Verhalten der Bezugspersonen 5.1.3. Reaktionen der Umgebung

6. Zusammenfassende Darstellung der Interviews

6.1. Ergebnisse der Interviews mit den Bezugspersonen 6.1.1. 6.1.2. 6.1.3. 6.1.4. 6.1.5. 6.1.6. 6.1.7. 6.1.8. 6.1.9.

Wohnsituation Öffentliche Verkehrsmittel Freizeitangebote Schulweg und Fahrtendienst Alltagssituationen Reaktionen der Umgebung Notfälle Unterstützung bei der Entwicklung des Kindes Zukunft des Kindes

6.2 Ergebnisse der Interviews mit den ExpertInnen 6.2.1. Erreichbarkeit der ExpertInnen für betroffene Familien 6.2.2. Problematiken aus dem sozialräumlichen Umfeld von betroffenen Familien 6.2.3. Unterstützungsmöglichkeiten der ExpertInnen 6.2.4. Integrationsverständnis 6.2.5 Anliegen und Wünsche in Bezug auf die eigene Tätigkeit

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21 22

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7. Interpretation der Ergebnisse

7.1. Interpretation der Beobachtungen 7.2. Interpretation der Interviews mit den Bezugspersonen 7.2.1. 7.2.2. 7.2.3. 7.2.4. 7.2.5. 7.2.6.

Reaktionen der Umgebung Wechselwirkungen zwischen geistiger und körperlicher Behinderung Informationsdefizit Entlastung der Eltern Unsicherheit der Eltern Präsenz in der Öffentlichkeit

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7.3. Zusammenfassende Interpretation und Bezug zur Forschungsfrage

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Teil C: RESÜMEE

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Teil D: GLOSSAR

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LINKS / INFORMATIONSSTELLEN

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LITERATUR

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Teil E: ANHANG

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Abstract In dieser Studie wurde versucht, den Erfahrungshorizont und die Integration von Familien mit geistig behinderten Kindern im sozialräumlichen Umfeld zu beleuchten. Dazu wurden fünf Familien über einen gewissen Zeitraum beobachtet und anschließend mit den Eltern und sechs ExpertInnen aus verschiedenen Disziplinen qualitative Interviews geführt. Kinder mit geistiger Behinderung brauchen im umfassenden Maß Unterstützung und Schutz im sozialräumlichen Umfeld. Die Kinder zeigen im Sozialraum oft Auffälligkeiten, die mit ihrer Behinderung zusammenhängen. Die Bezugspersonen zeichnen sich durch einen kompetenten und liebevollen Umgang mit den Kindern, wie auch durch Offenheit gegenüber Personen aus dem Umfeld aus. Die Familien erregen ständig Aufmerksamkeit und es konnten sehr unterschiedliche Reaktionen des Umfeldes beobachtet werden – die Palette reicht von neutraler Distanz bis zum oft auftretenden Anstarren. Es fällt auf, dass die Familien zum Teil bestimmte Sozialräume meiden. Dieses Verhalten kann durch die Unsicherheit der Bezugspersonen erklärt werden, wie auf das Kind und dessen Verhalten reagiert wird.

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Vorwort Menschen, die im gesellschaftlichen Alltag einer Großstadt leben, kennen ein Leben in und mit Normen und Werten. Das Bestehen solcher Normen und Werte macht es vielen Menschen möglich, in einer bestimmten Struktur, einem System zu leben und Platz und Rolle zu finden. Normen und Werte beinhalten auch, dass es Lebensformen außerhalb dieser Normen gibt. Der Umgang mit jenen Menschen und Menschengruppen, die aus der Norm fallen, hängt auch von der Akzeptanz dieses „Anders seins“ ab. Wird in eine Familie ein Kind geboren, das (sofort oder im Laufe seines Lebens) Symptome zeigt, die von der Außenwelt als Behinderung gekennzeichnet werden, so ändert sich das Leben dieser Familien drastisch auch in Bezug auf das Norm- und Wertverhalten ihrer Umwelt. In der vorliegenden Studie beschreiben fünf Fallstudien beispielhaft das Leben von Familien, die in Wien leben und mit den diagnostizierten, geistigen Behinderungen ihrer Kinder den Alltag meistern. Im Vordergrund soll nicht die klassische und veraltete Sicht der Sonder- und Heilpädagogik stehen, die Behinderung als Schädigung, zentrales Problem und Defizit eines Menschen sieht. Im Rahmen der Studie gehen wir einen Schritt auf diese Familien zu und zeigen ihre individuellen Strategien zur Bewältigung ihres Alltages auf, die aus wissenschaftstheoretischer Sicht nicht rein individuell zu sehen sind, sondern als Konsequenz des Umgangs mit Menschen mit Behinderung in unserer Gesellschaft. Viele Problematiken, die betroffene Familien auf unterschiedliche Art und Weise äußern, ergeben sich aus deren Möglichkeiten, ihren Alltag zu leben. Diese Möglichkeiten sind oft durch den Fakt des „Anders seins“ ihrer Kinder stark beeinflusst und auch eingeschränkt. Um ein neues Verständnis für Menschen mit Behinderung zu entwickeln, ist es auf der einen Seite notwendig, das Leben einzelner, betroffener Familien zu schildern und zu dokumentieren. Auf der anderen Seite wird es notwendig sein, Rückschlüsse auf mögliche und dringend notwendige Änderungen im System vorzuschlagen, um Familien, die durch ihr „Anders sein“ gebranntmarkt sind, ihren Lebensalltag und damit ihre Lebensbedingungen zu erleichtern.

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TEIL A: AUFBAU UND STUDIENDESIGN 1. Theoretischer Hintergrund Der Fokus dieser Untersuchung ist auf den sozialräumlichen Kontext gerichtet, in dem geistig behinderte Kinder und deren Familien leben. Es soll dokumentiert werden, wie sich der Alltag und der Lebensraum dieser Kinder und ihrer Familien darstellt und erfasst werden, wo und aufgrund welcher Ursachen Integration passiert und funktioniert. Abschließend soll beantwortet werden, welche Veränderungen notwendig sind, um eventuell vorhandene Probleme zu lösen, bzw. wie die Lebensqualität von betroffenen Familien verbessert werden kann. Im Zentrum unserer Überlegungen steht das Individuum Mensch, das in einem Systemgefüge lebt, welches es bedingt durch seine Situation, die „aus der Norm fällt“ kennzeichnet und dieser Kennzeichnung entsprechend behandelt. Diese „Stigmatisierung“ bedeutet für die Familie zusätzlich zu ihren Bewältigungsstrategien eine weitere Anforderung zur Meisterung ihres Alltages. Die dokumentierten Familien leben mit der Diagnose der „geistigen Behinderung“ ihrer Kinder. Im Sinne einer Normalisierung, die Eltern von geistig behinderten Kindern die Möglichkeit geben soll, ihre Lebensbedingungen „normal“ gestalten zu können, sollen durch die Dokumentation von fünf Fallbeispielen Alltagssituationen beschrieben und mögliche Problemfelder aufgezeigt werden. 1.1. Orientierung an der Teilhabe eines Menschen am gesellschaftlichen Leben Dworschak (2004) schreibt in der Einführung zu „Lebensqualität von Menschen mit geistiger Behinderung“ zur Begriffsdiskussion über die „handlungsorientierte Beschreibung von geistiger Behinderung nach Pfeffer (1984, S. 107). In dieser Beschreibung steht das Individuum mit seinen „psycho-physischen Ausgangsbedingungen“ und der Möglichkeit, individuell zu handeln und zu erleben, einer Alltagswelt gegenüber (vgl. Dworschak 2004, S. 17 f.). Jene Alltagswirklichkeit äußert durch teilweise sehr komplex definierte Handlungsfelder, die ihrerseits wiederum spezielle Handlungsweisen des Individuums voraussetzen, um in diesen Feldern bestehen, also handlungsfähig werden zu können. (ebd.) Sind diese individuellen Handlungsweisen, die Handlungsdispositionen durch körperliche oder psychische Dispositionen beeinflusst, so kann das Individuum „keinesfalls allen Erfordernissen der Alltagswirklichkeit entsprechen“ (ebd.). Der „Grad der Passung zwischen individueller Handlungsdisposition und den Erfordernissen einer komplexen Alltagswirklichkeit“ beschreibt die Handlungskompetenz (ebd.) des Individuums. Wird diese Passung als unzureichend „zwischen den Handlungsdispositionen eines Individuums und den Erfordernissen der Alltagswirklichkeit gesehen“, so manifestiert sich dies als Behinderung (ebd.). Diese Darstellung eines Modells impliziert durch ihre Bezogenheit auf das „nicht Erreichen“ einer systemabhängigen, strukturierten Vorgabe von Bedingungen den Hinweis auf eine defektorientierte Sichtweise. Je weniger ein Mensch diesen Vorgaben oder Bedingungen entspricht, desto ausgeprägter wird seine „Behinderung“ von der Umwelt wahrgenommen werden. Um trotzdem an dieser fordernden Umwelt und dem Alltagsleben teilhaben zu können, benötigt das Individuum umso mehr Hilfe und Unterstützung, desto schwerer der Grad der Behinderung ausfällt (vgl. Dworschak 2004, S. 19). Weiters stellt Cloerkes 2001 in seiner Arbeitsdefinition von Behinderung (vgl. Cloerkes 2001, S. 5 f.) zur Diskussion, dass Merkmale des Menschen, die „Spontanreaktionen“ in ihrem Gegenüber auslösen, „Stimulusqualität“ besitzen. Entscheidend ist also, dass allein durch das Vorhandensein eines Merkmals eines Individuums bei anderen Reaktionen hervorgerufen werden können.

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Dieses Merkmal wird als „Andersartigkeit“ gewertet, und somit als eine Abweichung von der sozialen Norm festgelegt. Ob diese Abweichung als positiv, negativ oder ambivalent zu werten ist, ist in diesem Prozess noch nicht entschieden (ebd.). Wird diese „Andersartigkeit“ in einem Systemgefüge, zum Beispiel innerhalb einer Kultur als negativ gewertet, so spricht Cloerkes von einer Behinderung (ebd.). „Behinderung ist nicht in erster Linie eine Eigenschaft des Individuums als vielmehr ein Etikett, das von kulturellen Erwartungshaltungen sowie von den Institutionen sozialer Kontrolle zugeschrieben wird“ (Antor/Bleidick 2001, S. 59). So werden „Abweichungen von Normalitätsbildern“ als „typisierende Eigenschaft“ genützt, um einen Menschen gesellschaftlich zuzuordnen (ebd.). Damit im Zusammenhang stehen natürlich auch jene Begriffe, die den Zugang zu dieser Thematik näher beschreiben (z.B. die Behindertenpädagogik). So stellt sich also die Frage, in welcher Form in systemischen Strukturen die Tatsache des „Andersseins“, des Abweichens von der Norm verarbeitet wird. Ein Indikator dafür können z.B. verwendete Begrifflichkeiten sein. Die „Sprache“ die eine Gesellschaft spricht und auch versteht, das heißt die Summe der als Norm geltenden Annahmen, lässt nicht zuletzt auch ein bestimmtes „Menschenbild“ entstehen. Die Studie soll einen Einblick in die „Alltagsrealität“ von Menschen geben, die mit einer Form des „Anders seins“ leben und ihre Umwelt unweigerlich damit konfrontieren. Inwieweit die systemische Struktur der Umwelt darauf nicht nur reagieren kann, sondern „andere“ Lebensformen auch in sich inkludieren kann, wird mit dieser Studie nicht zu beantworten, jedoch zu diskutieren sein.

2. Forschungsfrage Im Einzelnen sind folgende Fragestellungen Gegenstand der Untersuchung: ¾ Wie stellt sich der alltägliche Erfahrungshorizont geistig behinderter Kinder und ihrer Familien im Wohnumfeld und Gemeinwesen dar? ¾ Welchen Diskriminierungserfahrungen sind die Betroffenen dort ausgesetzt? ¾ Worin liegen die Ursachen? ¾ Welche entlastenden Faktoren gibt es? ¾ Wie könnten optimale Strukturen und Angebote aussehen? ¾ Gibt es ausreichende Beratungs- und Unterstützungsprozesse im Wohnumfeld und Gemeinwesen? Und wenn nicht, welche Strukturen wären notwendig? ¾ Werden vorhandene Beratungseinrichtungen genutzt? Und wenn nicht, woran liegt das? – was hält Betroffene ab, Behinderteneinrichtungen zu besuchen? ¾ Was sind allgemeine Qualitäten einer behindertenfreundlichen Kommune? ¾ Welche sind die Bedingungen gelungener Integration?

3. Methodischer Zugang Aufgrund des Charakters der Studie erscheint die qualitative Sozialforschung mit ihren Methoden als geeignet, die Familien in ihrem Alltagsleben, mitsamt allen möglichen Problemstellungen zu erfassen. Besonders die Teilnehmende Beobachtung bietet sich hier an und wird als qualitatives Instrument zur Untersuchung der Integration geistig behinderter Kinder und deren Familien herangezogen. Zur Vorbereitung der Teilnehmenden Beobachtung wurden vorab Gespräche mit den Eltern geführt.

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Ergänzt und abgerundet wird die Untersuchung im Anschluss an die Beobachtungen mit insgesamt zehn qualitativen Interviews mit den Eltern und ExpertInnen. 3.1. Anamnesegespräche mit den Eltern In einem ersten Schritt wurden mit den Eltern der für die Untersuchung ausgewählten Familien Erstgespräche geführt. In diesen Gesprächen stand vor allem die besondere Situation des Kindes im Vordergrund. Es wurde auch darauf geachtet, auf eventuell vorhandene Ängste oder Unsicherheiten bei den Eltern im Zusammenhang mit der Studie einzugehen und diese auszuräumen. Die Ergebnisse der Anamnesegespräche dienten als Grundlage bei der Erstellung des Beobachtungsschemas. Die folgenden Daten geben ein Einblick in die Art der Behinderung der Kinder und die Form der öffentlichen Tagesbetreuung. Familie B

Alter Kind 15

C

16

D

15

E

F

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Anamnese/Behinderung des Kindes Trisomie 21, Entwicklungsstand eines ca. 78-jährigen Kindes, niedergesetzte Statur, sehr gute motorische Entwicklung Perinatale Traumatisierung (33. Ssw.), Einatmen von Fruchtwasser, anschl. Lungenentzündung, Hirnblutung, grobmotorische Komplikationen, Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstörungen, Gehirnhautentzündung in den ersten Lebenstagen, Zerstörung großer Teile des Gehirns (Hörzentrum) Kaiserschnittgeburt, Atemprobleme und Gewichtsverlust nach der Geburt, Diagnose einer Entwicklungsverzögerung, keine genaue Ursache bekannt Zwillingsgeburt (Schwester mit Behinderung), leichte motorische Beeinträchtigung, zahlreiche Strategien in der nonverbalen und verbalen Kommunikation, autistische Züge (Verschwimmen der „Ich und Du“ Welt), Krampfanfälle, medikamentöse Einstellung, frühere Problematik in der Ernährung

Tagesbetreuung des Kindes (regulär) Schule bis 15.00 Uhr Schule

Schule und Hort bis 17.00 Uhr 2 mal pro Woche Internat Schule bis 16.15 Uhr

Schule mit Hort bis 16.00 Uhr

3.2. Teilnehmende Beobachtung Zimbardo und Gerrig (1999) beschreiben Beobachtung im Alltag als eine der wichtigsten Möglichkeiten, etwas über andere zu erfahren. Auch ForscherInnen nutzen die Beobachtung als wissenschaftliches Werkzeug, um etwas über Verhalten zu lernen; sie setzen sie jedoch auf geplante, präzise und systematische Weise ein. Bortz und Döring (1999) betonen, dass der Grad der Systematisierung oder Standardisierung sich nach dem Untersuchungsanliegen (Hypothesen finden, Hypothesen prüfen oder Deskription) bzw. nach der Präzision der Vorkenntnisse über den in Frage stehenden Untersuchungsgegenstand richtet. Hinsichtlich der Fragestellung der vorliegenden Studie gibt es kaum theoretische Grundlagen bzw. empirisch gesicherte Erkenntnisse, auf die man

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aufbauen kann. Aus diesem Grund wurde die teilnehmende Beobachtung als Untersuchungsinstrument gewählt. Nach Bortz und Döring (1999) stellt die teilnehmende Beobachtung für manche Forschungsfragen die einzige methodische Variante dar, um zu aussagekräftigen Informationen zu gelangen. Da mit der vorliegenden Studie erste Erkenntnisse auf dem Gebiet der Integration geistig behinderter Kinder und Jugendlicher gesammelt werden sollen, bietet sich die teilnehmende Beobachtung als Instrument erster Wahl für diese Fragestellung an. Mit dieser Untersuchung soll der Lebensraum und sozialräumliche Kontext dieser Kinder und Jugendlichen beschrieben werden und somit handelt es sich um eine Erkundungsstudie mit dem Ziel der Deskription bzw. Hypothesengenerierung. Bortz und Döring (1999) unterscheiden zwischen freier, halbstandardisierter und standardisierter Beobachtung. Lamnek (2005) empfiehlt ein partiell strukturiertes Beobachtungsschema, wenn ForscherInnen und BeobachterInnen nicht identisch sind, wie es im Fall der vorliegenden Studie der Fall ist. Er weist auch darauf hin, dass ein vorgefertigter Beobachtungskatalog Unsicherheiten in der Beobachtung und Aufzeichnung verhindert. Ausgehend von diesen Überlegungen wurde für diese Studie eine halbstandardisierte Beobachtungsform gewählt, da die Beobachtung prinzipiell frei bleiben sollte, um ein möglichst breites Spektrum an Eindrücken sammeln zu können. Andererseits arbeiten die BeobachterInnen mit einem Beobachtungsschema, das den Fokus auf besonders wichtige Bereiche lenken soll, bzw. bei der Auswahl der Beobachtungssituationen helfen sollte. Im Folgenden wird das bei der Studie wesentliche Konzept der Ereignisstichprobe erläutert. 3.2.1. Ereignisstichprobe Bei einer Ereignisstichprobe wird darauf verzichtet, die beobachteten Ereignisse zeitlich strukturiert zu protokollieren. Von Interesse ist, ob und wie oft die zu beobachtenden Ereignisse auftreten bzw. die Häufigkeit des Auftretens von Ereigniskombinationen. Bei dieser Untersuchung wird jede einzelne Situation als Ereignisstichprobe betrachtet – z.B. wenn das Kind eine bestimmte Aktion setzt oder Personen die Situation verlassen oder hinzukommen. Mindestens 30 Ereignisstichproben werden zu bestimmten Beobachtungsterminen mit vorher festgelegten Beobachtungssituationen gesammelt. Die Auswahl der Situationen erfolgt im Erstgespräch und richtet sich nach alltäglichen oder auch besonderen Aktivitäten der Familie. Die Ereignisstichproben werden anschließend protokolliert, danach erfolgt eine notwendige Kategorisierung der Proben. 3.2.2. Beobachtungsschema Bei der teilnehmenden Beobachtung kommt kein Beobachtungsschema im quantitativen Sinn (standardisiert, kontrolliert, mit Vorgaben für zu verwendende Sprache und operationale Hypothesen) zum Einsatz. Dies schließt nach Lamnek (2005) aber nicht aus, dass gleichwohl gezielt und systematisch nach theoretischen Interessen und Vorstellungen wissenschaftlich beobachtet wird. Bei der vorliegenden Studie wurde ein Schema formuliert, dass es den BeobachterInnen erlaubt, sich auf bestimmte Situationen zu konzentrieren, ohne den Blick für den Gesamtkontext zu verlieren. An dieser Stelle soll das Beobachtungsschema nur kurz skizziert werden. Das vollständige Schema kann im Anhang nachgelesen werden. Bei der Formulierung der Kategorien und Beobachtungssituationen wurde der Fokus auf alltägliche Aktivitäten und den sozialräumlichen Kontext betroffener Familien gerichtet.

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Einteilung des Beobachtungsschemas 1. Wohnsituation - Größe und Lage der Wohnung - Lift - Hof - Nachbarschaft 2. Anbindung und Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel 3. Freizeitgestaltung – regelmäßige Benutzung öffentlicher Anlagen (z.B. Spielplatz, Park, etc.) 4. Alltagssituationen - Alltagssituationen - Arztbesuche - Einkaufen - Entwicklungsgegebenheiten (z. B. Therapien, Förderungen, Nachhilfe) - Beobachtung der Lern- und Essenssituation 5. Nicht-alltägliche Freizeitaktivitäten der Familie (z. B. Restaurantbesuche, Kino, Zoo, etc.) 6. Unvorhergesehene Notfälle 7. Freunde, Bezugspersonen 8. Außerfamiliäre Aktivitäten des Kindes 9. Schulweg Bei jeder dieser Aktivitäten soll das Verhalten des Kindes, der Bezugspersonen, Reaktionen der Umgebung und mögliche Konflikte beobachtet werden. Ausgehend von diesem Schema wurden mit den Familien im Rahmen der Anamnese Termine zu Beobachtungen mit Bezug auf die Aktivitäten in diesem Katalog vereinbart. 3.2.3. Auswertung Zur Auswertung ist zu sagen, dass die Beobachtungen im Anschluss an die jeweiligen Situationen protokolliert werden, wobei subjektive Hinweise, Gedanken und Äußerungen explizit im Protokoll als solche ausgegeben werden. Im Anschluss daran werden die Beobachtungsprotokolle kodiert und ein Beobachtungsraster erstellt. Jene Form der Kodierung wird als „offenes Kodieren“ bezeichnet, während dieses Vorganges werden Daten in Sinneinheiten gegliedert und in zusammenfassende Begriffe eingeteilt. Jene Begriffe bilden einen eigenen Raster (vgl. Flick 2002, S. 265). Jener Raster beinhaltet Kategorien, die in Kategoriensysteme eingeteilt werden können. Geregelt ist nach Lamnek (2005) bei der teilnehmenden Beobachtung allenfalls das Prinzip, dass zunächst Regeln und Regelmäßigkeiten entdeckt und beschrieben werden sollen. In einem zweiten Schritt muss die Frage geprüft werden, ob diese für bestimmte Gruppen oder Personen typisch oder außergewöhnlich sind. Letztlich gelangt der/die ForscherIn zu Hypothesen und Theorien über den Objektbereich. Im Rahmen dieser Studie werden die Beobachtungsprotokolle interpretativ bzw. deskriptiv ausgewertet. Zu diesem Zweck wurden Kategorien ausgearbeitet, die eine Einordnung der Situation erleichtern und somit Regeln und Regelmäßigkeiten erkennen lassen. Im Weiteren wird die Situation der betroffenen Familie auf Grundlage dieser Kategorien beschreibend dargestellt. Als interpretative Verfahren bezeichnet man nach Huber und Mandl (1982) solche, bei denen ohne Zuhilfenahme einer weiteren Form der Datenerhebung (z. B. ohne Verwendung von Skalen, Tests, Fragebögen) Verbalisationen nach bestimmten Fragestellungen hin deutend analysiert werden. Analyseschemata können die mangelnde Objektivität und inhaltliche Validität um ein erhebliches Maß steigern. Dazu können Kategorien auf der Makro-, Mesound Mikroebene formuliert werden.

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3.2.4. Kategorienbildung Hier werden die Kategorien vorgestellt, die zur Auswertung der Beobachtungsprotokolle verwendet wurden: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Verhalten (des Kindes, bzw. der Bezugsperson) Reaktionen innerhalb der Interaktion (zwischen Kind und Bezugsperson) Reaktionen der Umgebung Interaktionen Örtliche Gegebenheiten Situative Gegebenheiten Kommunikationsfördernde und –hemmende Bedingungen

Diese sechs Kategorien können weiter unterteilt werden - siehe im Anhang dazu das Beobachtungsschema. Ad 2. Reaktionen der Umgebung Keine Reaktion Interessiertes Ansehen (neutral – weder positiv, noch negativ) Nonverbale positive Reaktionen Nonverbale negative Reaktionen Verbale positive Reaktionen Verbale negative Reaktionen Reaktionen, die unabhängig von der besonderen Situation der betroffenen Familien sind Mitleidige Blicke Mitleidige Äußerungen Ad 3. Interaktionen Bezugsperson – Kind Ö positiv (verbal und nonverbal) Bezugsperson – Kind Ö negativ (verbal und nonverbal) Bezugsperson – Kind Ö neutral (verbal und nonverbal) Bezugsperson – Umgebung Ö positiv (verbal und nonverbal) Bezugsperson – Umgebung Ö negativ (verbal und nonverbal) Bezugsperson – Umgebung Ö neutral (verbal und nonverbal) Kind – Umgebung Ö positiv (verbal und nonverbal) Kind – Umgebung Ö negativ (verbal und nonverbal) Kind – Umgebung Ö neutral (verbal und nonverbal) Kind – Bezugsperson – Umgebung Ö positiv (verbal und nonverbal) Kind – Bezugsperson – Umgebung Ö negativ (verbal und nonverbal) Kind – Bezugsperson – Umgebung Ö neutral (verbal und nonverbal)

3.3. Qualitative Interviews 3.3.1. Interviews mit den Eltern der Kinder Im Anschluss an die Beobachtungen wurden halbstandardisierte, problemenzentrierte Interviews (vgl. Flick 2002, S. 122) mit den Eltern geführt. Das bedeutet, es existiert ein vorgegebener Rahmen, ein so genannter Interviewleitfaden, der vom Fragenden Schritt für Schritt abgefragt wird. Innerhalb dieses Rahmens hat der/die InterviewpartnerIn allerdings die Möglichkeit der freien Ausführung und Assoziation. Ein Charaktermerkmal des problemzentrierten Interviews ist die Orientierung des/r Forschers/in an einer „relevanten gesellschaftlichen Problemstellung“ (Flick 2002, S. 135 f). Der Interviewleitfaden wurde im Hinblick auf diese bestimmte Problemzentriertheit erstellt – in unserem Fall das Erleben und Empfinden der Familien im sozialräumlichen Umfeld.

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Die Eltern wurden im Vorfeld über die Durchführung der Interviews informiert und ihr Einverständnis wurde eingeholt. Zur Befragung wurden zwei Bezugspersonen der betroffenen Kinder gebeten, bevorzugt Mutter und Vater des Kindes. Auf Wunsch konnten aber auch andere Bezugspersonen zum Interview gebeten werden. Die Eltern wurden getrennt voneinander und nicht zu Hause, ohne Anwesenheit der Kinder befragt. 3.3.2. ExpertInneninterviews Das abschließende Verfahren der ExpertInneninterviews wurde gewählt, um zusätzlich zu den Ergebnissen der teilnehmenden Beobachtung und der Interviews mit den Eltern einen breiteren Blickwinkel aus einer nicht persönlich betroffenen Perspektive zu erlangen. Es wurden ExpertInnen aus verschiedensten Disziplinen ausgewählt, die sich mit dem Thema der geistigen Behinderung in Theorie und Praxis professionell auseinandersetzen. Das ExpertInneninterview nimmt in der Interviewführung der qualitativen Sozialforschung eine Sonderstellung ein, da es primär in seiner Befragung nicht auf eine Person direkt abzielt, sondern den Fokus vor allem auf dessen Profession richtet (vgl. Flick 2002, S. 140). Zusätzlich äußert sich der/die Experte/in im Interview auch stellvertretend für seine Berufsgruppe, seine private Persönlichkeit tritt dabei eher in den Hintergrund (ausgenommen Interviews, die genau dieses Themengebiet befragen). Das heißt, Rückschlüsse, die in der Interpretation der Interviews gezogen werden, können sich in einem umfangreicheren Ausmaß als in anderen Interpretationen auf ganze Gruppen von Menschen beziehen (ebd.). Bei der Auswahl wurde im Besonderen darauf geachtet, dass die Professionen der potenziellen InterviewpartnerInnen in ihrem Kontakt zu Familien die Entwicklung eines Kindes vom Säuglingsalter bis hin zum Erwachsenenalter abdecken. Die Interviews sollen einen Einblick über ein möglichst breitgefächertes Spektrum an Thematiken erhalten und dies kann nur erreicht werden, wenn möglichst viele Facetten der Entwicklung eines Kindes abgefragt werden, da sich Problemlagen mit dem Heranwachsen massiv ändern können. Bei der Leitfadenerstellung für die Interviews wurde darauf geachtet, dass die einzelnen Fragen sowohl das Themengebiet der Studie, wie auch die fachlichen Bereiche der Professionisten umfassen.

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Teil B: ERGEBNISSE 4. Soziodemografische Daten der Familien Den folgenden Angaben liegen die Aussagen der Eltern der beteiligten Familien während des Anamnesegespräches zugrunde. Alter, Beruf und Schulbildung der Mutter: Familie

Beruf der Mutter

Schulbildung der Mutter

B

Alter der Mutter 48

Hebamme

Ahs, Ausbildung Hebamme

C

44

Kindergärtnerin

Ausbildung zur Kindergärtnerin

D

43

Ahs, Matura; Krankenpflege

E

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Diplom. Krankenschwester, derzeit Angestellte Teilzeit Angestellte Telefonzentrale

F

33

Nicht berufstätig

Studium erster Abschnitt WU

kA

Alter, Beruf und Schulbildung des Vaters: Familie

Beruf des Vaters

Schulbildung des Vaters

B

Alter des Vaters 44

selbständig

Ahs

C

47

Angestellter, Gaswerk

kA

D

44

Elektrotechniker, selbständig

Studium Universität

E

39

Angestellter Verkauf

kA

F

45

Facharzt Anästhesie

Facharztausbildung

Alter, Geschlecht und Anzahl der Geschwister des Kindes: Familie

Alter der Geschwister

Geschlecht der Geschwister

B

Anzahl der Geschwister 1

18

w

C

----

----

----

D

3

16, 12, 8

w,m,m,

E

1

6

m

F

3

12, 5, 2 1/2

W,m,w

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5. Ergebnisdarstellung der Beobachtungen 5.1. Sozialräumliches Umfeld Zielsetzung der vorliegenden Studie war die Sichtbarmachung des Lebens von Familien mit geistig behinderten Kindern in ihren Sozialräumen und das Aufzeigen gelungener oder problematischer Integration. Zu diesem Zweck wurden gemeinsam mit den Eltern im Anamnesegespräch mögliche Aktivitäten besprochen, die mit dem Kind durchgeführt werden. Wichtig war es, dass jene Aktivitäten, die die Familie im Alltag mit dem Kind unternimmt, authentisch beobachtet werden konnten und nicht extra für die Beobachtung konstruiert wurden. Folgende Sozialräume wurden gemeinsam mit den Eltern ausgewählt: ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾

Öffentliche Verkehrsmittel Einkaufssituationen Kaffeehaus Arztbesuche Spiel- und Freizeitmöglichkeiten Schwimmbad Museum Integrative Reitgruppe / nicht-integrative Tanzgruppe Abholen des Bruders vom Hort und Besuch in der Schule der Schwester (Grillfest) Ausstiegssituation Fahrtendienstbus Eigene Wohnung bzw. Wohnhaus

Nicht in jeder Familie gab es in all diesen Sozialräumen Beobachtungssituationen. Wie bereits erwähnt, brachten die Eltern individuell jene Sozialräume ein, in denen sie sich mit ihren Kindern bewegen. Diese Vorauswahl an sich hat schon interessante Ergebnisse geliefert, da dadurch zu erkennen war, dass sich die Familien unterschiedlich aktiv in ihrem Umfeld bewegen – die einen unternehmen sehr viel, andere bleiben eher zu Hause. Dazu mehr in Kapitel 6. Die Protokolle der Beobachtungen der fünf beteiligten Familien wurden nach folgenden Aspekten ausgewertet: ¾ Verhalten des Kindes ¾ Verhalten der Bezugsperson ¾ Reaktionen der Umgebung Der Schwerpunkt liegt auf „Reaktionen der Umgebung“, da diese eng mit dem jeweiligen Sozialraum zusammenhängen und zeigen, wie Menschen mit Behinderungen aufgenommen und behandelt werden. Die Aspekte „Verhalten der Bezugsperson“ und „Verhalten des Kindes“ sollen zum einen das Bild des Lebensalltags betroffener Familien vervollständigen und zum anderen auch Reaktionen und Verhaltensweisen im sozialräumlichen Umfeld erklärbzw. verstehbar machen. Ergebnisse der Beobachtungen Im Folgenden wird zuerst ein Überblick über das Verhalten des Kindes (5.1.1.) und der Bezugsperson (5.1.2.) gegeben, wobei dies vorerst in einer allgemeinen Beschreibung für alle Sozialräume geschieht. Dann werden detailliert für die jeweiligen Sozialräume die Reaktionen der Umgebung (5.1.3.) beschrieben und an dieser Stelle nochmals die Verhaltensweisen von Kind und Bezugsperson im spezifischen Sozialraum.

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5.1.1. Verhalten des Kindes (allgemein für alle Sozialräume) Im sozialräumlichen Umfeld der öffentlichen Verkehrsmittel konnten trotz allgemeinem Unterstützungsbedarf und Schutzbedürfnis oft vollständige bzw. weitgehende Selbständigkeit, wie auch offensichtlich erlernte Verhaltensweisen beobachtet werden. Zu den Bezugspersonen zeigte sich ein enges Bindungs- und Kontaktverhalten, häufiger Blickund Körperkontakt. Die Kinder hatten auch die Orientierung im Sozialraum betreffend oft Probleme und brauchten Unterstützung. Hinsichtlich der Kommunikation kann gesagt werden, dass Forderungen von Seiten der Bezugsperson sowohl verbal, als auch nonverbal bzw. mit nonverbaler Unterstützung gestellt wurden und die Kinder diese Forderung meistens befolgten, wobei auch manchmal geduldige Wiederholungen und mehrmalige Aufforderung notwendig waren. Ein Kind registrierte die Blicke der Umgebung und reagierte, indem es zurückschaute. Es kam auch zu freundlichen Kontaktaufnahmen. Hinsichtlich der spezifischen Verhaltensweisen, welche sich in verbalen, motorischen und oralen Stereotypien (Definition siehe Glossar) gezeigt wurden, kann gesagt werden, dass diese oft beobachtet werden konnten. Es wurden auch Erregung und motorische Unruhe im sozialräumlichen Umfeld registriert. Die Kinder zeigten großes Interesse am sozialräumlichen Umfeld, waren oft von Gegebenheiten sehr fasziniert und beobachteten verschiedene Abläufe sehr genau. Körperliche Einschränkungen führten auch zu Problemen, wenn z.B. aufgrund motorischer Schwierigkeiten viel Platz beansprucht wurde oder es zu Anstoßen bei Personen kam. Die Kinder zeigten auch überraschende, bzw. auffällige Verhaltensweisen (Definition siehe Glossar), die entweder nicht altersangepasst oder im sozialräumlichen Umfeld unangemessen waren, wobei solche Reaktionen im Verhältnis zum Gesamtumfang der gezeigten Verhaltensweisen eher selten vorkamen. Zu Problemen konnte es aufgrund falscher Einschätzung von Gegebenheiten im Sozialraum kommen, wenn z.B. die Höhe der Gehsteigkante falsch eingeschätzt wurde. Mit Wartesituationen konnten die Kinder teilweise sehr gut umgehen, manche zeigten aber auch Ungeduld und motorische Unruhe. 5.1.2. Verhalten der Bezugsperson (allgemein für alle Sozialräume) Hier zeigt sich, dass die Bezugspersonen die Kinder oft unterstützen und Hilfe und Orientierung im sozialräumlichen Umfeld geben mussten, was in der Bewältigung von Alltagssituationen und auch in speziellen Situationen im Sozialumfeld beobachtet werden konnte. Forderungen wurden meistens sehr freundlich und geduldig an das Kind gestellt und die Selbständigkeit wurde gefördert. Die Kinder benötigten auch Schutz, den die Bezugspersonen routinemäßig geben. Die Reaktionen auf die Umgebung waren sehr unterschiedlich: während manche Familien eher misstrauisch waren und mit negativen Reaktionen rechneten, gingen andere sehr offen und reflektiert mit dem Umfeld um. Hinsichtlich spezifischer Verhaltensweisen kann gesagt werden, dass diese teilweise mit Freude und Verständnis bedacht wurden, wenn sich die Familien in ihrer gewohnten Umgebung befanden. In belebter Umgebung außerhalb der eigenen vier Wände wurden die Kinder öfter ermahnt, diese spezifischen Verhaltensweisen zu unterlassen. Mit überraschenden, bzw. ungewöhnlichen oder unangemessenen Verhaltensweisen wurde sehr unterschiedlich umgegangen, wobei die Reaktionen von humorvoller Resignation bis zu peinlicher Berührtheit reichten und die Kinder auch ermahnt wurden, diese Reaktionen im sozialräumlichen Umfeld nicht zu zeigen. Hierbei konnte auch sehr routinierter Umgang beobachtet werden und die Bezugspersonen konnten die Reaktionen teilweise auch vorhersehen und das Kind so vorausschauend von bestimmten Reaktionen abhalten. Allgemein wurde ein sehr routinierter Umgang mit dem Kind beobachtet, wobei die Bezugspersonen Ängste und Vorlieben der Kinder sehr genau kennen und dementsprechend

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damit umgehen können. Die Bezugspersonen zeigen durchwegs Interesse am Befinden des Kindes, große Fürsorge und Besorgnis. Sie bereiten die Kinder auf kommende Situationen vor und versuchen Ängste und Nervosität zu nehmen. Insgesamt konnte ein sehr enges Bindungsverhalten festgestellt werden, was sich im Körperund Blickkontakt zeigte. Das Verhalten war auch von großer Geduld und Herzlichkeit gezeichnet. 5.1.3. Reaktionen der Umgebung in den einzelnen Sozialräumen ¾ Öffentliche Verkehrsmittel Was in diesem Bereich auffällt ist, dass es in allen beobachteten Familien (in diesem Fall vier, da eine Familie öffentliche Verkehrsmittel nicht benutzt) zu intensiver Beobachtung in Form von Blicken aus dem sozialräumlichen Umfeld kommt, wobei sich das Kind nicht auffällig verhalten muss, um diese Form der Aufmerksamkeit zu erregen. Auffälliges Verhalten (z.B. lautes Sprechen), vor allem bestimmte Stereotypien (verbal, motorisch, oral) führten zu fortwährender und wiederholter Musterung des Kindes, wobei es freundliche, wie auch verständnislose Reaktionen gab. Das spezielle Aussehen der Kinder führte aber auch ohne jedes auffällige Verhalten zu verschreckten Reaktionen der Umgebung. Vor allem das Anstarren konnte in den öffentlichen Verkehrsmitteln besonders oft von Kindern, aber auch sehr häufig von erwachsenen Personen verzeichnet werden. Kinder reagieren generell mit großem Interesse an den betroffenen Kindern. Soziales Verhalten in Form von Hilfestellungen, wie z.B. einen Sitzplatz anzubieten finden sich teilweise. Bei der Ein- und Ausstiegssituation konnten bei langsamem Vorankommen des Kindes geduldige, wie auch sehr ungeduldige Reaktionen beobachtet werden.

Verhalten des Kindes und der Bezugspersonen:

Die Kinder brauchen bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel und auch auf der Straße viel Unterstützung und Schutz durch die Bezugsperson. Mit Ausnahme des Kindes von Familie B – es kann auch ohne Begleitung einer Bezugsperson nur mit Freundinnen öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Die Kinder müssen von den Bezugspersonen auf kommende Situationen vorbereitet werden und zeigen auch Aufregung und motorische Unruhe. Körperliche Einschränkungen führten zu Zeitverzögerungen bei Ein- und Ausstiegssituationen. ¾ Einkaufssituationen Einkaufssituationen wurden sowohl in großen Supermärkten und Bekleidungsgeschäften, wie auch in kleineren Geschäften beobachtet. In diesem sozialräumlichen Umfeld kam es zu kurzen und wiederholten Blicken bei ungewöhnlichen, auffälligen oder spezifischen Verhaltensweisen des Kindes. Bei diesen Stereotypien wurden dem Kind immer wieder auch mitleidige Blicke zugeworfen. Wieder wurde ein Kind trotz unauffälligem Verhalten angestarrt, wobei dies in einem kleinen Geschäft passierte. Sonst haben sowohl Kinder als auch Erwachsene bei unauffälligem Verhalten sehr positiv auf das Kind reagiert und es angelächelt. Den Bezugspersonen bekannte Personen führten oft freundliche Gespräche mit der Bezugsperson mit neutralem bzw. nettem Verhalten zum Kind. Von diesen Personen wurde das Kind auch in ein Gespräch mit einbezogen. Eine Familie hat in einer Einkaufssituation böse Blicke aus dem Umfeld empfangen, da ihr Kind aufgrund seiner besonderen Gangart viel Platz benötigt. Eine Bezugsperson, die offensichtliche Schwierigkeiten in der Durchführung bestimmter Handlungen und der gleichzeitigen Unterstützung ihres Kindes hatte, wurde keine Hilfe angeboten.

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Das Verkaufspersonal reagierte sehr unterschiedlich, wobei sowohl eine sehr knappe Beantwortung von Fragen der Bezugspersonen und Vermeidung des Kontakts mit dem Kind, wie auch neutrale und positive Reaktionen vermerkt wurden, die sich im bemühten Verhalten des Verkaufspersonals zeigten, Bitten zu erfüllen und Fragen zu beantworten.

Verhalten des Kindes und der Bezugspersonen:

Hinsichtlich der Selbständigkeit kann gesagt werden, dass die Kinder vereinzelt beim Einkauf auch selbständige Entscheidungen getroffen haben, was von den Bezugspersonen unterstützt und gefördert wurde. Andere Kinder wiederum waren an solchen Entscheidungen (z.B. Schuhkauf) nicht interessiert, in diesem Fall wurde die Entscheidung von der Bezugsperson getroffen. Auf Blicke oder Kontaktaufnahme aus der Umgebung wurde nicht oder nicht beobachtbar reagiert und der Kontakt mit dem Verkaufspersonal lief über die Bezugspersonen. Die Bezugspersonen stellten Forderungen an die Kinder verbal und/oder nonverbal, wobei diese oft gleich befolgt wurden, z.T. waren auch mehrmalige Wiederholungen und ein ärgerlicher Tonfall zu beobachten. ¾ Kaffeehaus Bei einer Familie kam es bei einem Kaffeehausbesuch zu sehr langen und intensiven Blicken, da sich das Kind ungewöhnlich verhielt und sich an den Tisch einer fremden Person setzte. Prinzipiell kann man sagen, dass sich das Servicepersonal dem Kind gegenüber eher neutral verhielt. Es kam aber auch zu einer Situation, in der die Bezugsperson Eis für das Kind in einem Teller, statt in den üblichen Eisbechern serviert haben wollte, da dem Kind das Essen so leichter fällt. Bei der Erfüllung dieser Bitte zeigt sich die Kellnerin wenig kooperativ und auch nach Erklärungsversuchen der Mutter war sie sich nicht bereit, der Bitte nachzukommen. Erst nach längerem Insistieren konnte die Mutter die Kellnerin überzeugen, bekam dann aber die falsche Bestellung.

Verhalten des Kindes und der Bezugspersonen:

Hier zeigt sich wieder, dass die Kinder Unterstützung bei der Bestellung und anderen Situationen, sowie bei der allgemeinen Kommunikation brauchten. Überraschende Verhaltensweisen konnten bei einer Familie beobachtet werden, wobei sich das Kind einfach an den Tisch eines anderen Gasts setzte. ¾ Arztbesuche Familie C ließ eine Untersuchung in einem Krankenhaus durchführen, wo das Kind, obwohl es sich unauffällig verhielt, von vielen Menschen am Gang angestarrt wurde. Beim Arztbesuch wurde auf das betroffene Kind sehr freundlich reagiert und auch auffälliges und spezifisches Verhalten (Stereotypien), führten nur zu wohlmeinenden Reaktionen. Auch neutrale Reaktionen konnten beobachtet werden. Bei der ärztlichen Untersuchung im Krankenhaus wurde der Bezugsperson kein Angebot der Hilfe beim An- bzw. Auskleiden des Kindes gemacht. Der Arzt ging während der Untersuchung sehr wenig auf das Kind ein und war sehr distanziert. Fragen wurden nur an die Bezugsperson, nie an das Kind gestellt. Nachdem das Kind untersucht worden war, sprach der Arzt freundlich und beruhigend auf das Kind ein. Fragen der Bezugsperson wurden ungeduldig beantwortet und rasch erledigt. Während der Untersuchung verließ die Krankenschwester den Raum und ein Pfleger assistierte statt ihr. Bei einem beobachteten Zahnarztbesuch war der Umgang mit dem Kind während der Untersuchung sehr sensibel und es wurde immer wieder freundlich und beruhigend mit dem Kind gesprochen. Nachdem das Kind Ungeduld zeigte, wurde der medizinische Vorgang rasch zu Ende gebracht. Die Bezugsperson wurde ausführlich und geduldig über medizinische Fakten informiert.

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Verhalten des Kindes und der Bezugspersonen

Bei den beobachteten ärztlichen Untersuchungen konnte in allen Fällen Ängstlichkeit und Nervosität vor allem beim Kind festgestellt werden. Die Bezugspersonen gaben wieder die nötige Unterstützung und die Hilfe bei der Bewältigung derSituation, vor allem beim An- und Auskleiden. Auch die Kommunikation mit dem Arzt bzw. der Ärztin fand hauptsächlich über die Bezugsperson statt. ¾ Spiel- und Freizeitmöglichkeiten Im sozialen Umfeld der Spiel- und Freizeitmöglichkeiten kam es vor allem bei spezifischem und unangemessenem Verhalten des Kindes zu aufmerksamen, z.T. verständnislosen Blicken aus der Umgebung, wie auch zum schon häufig beobachteten Anstarren. Diese Reaktionen konnten aber auch ohne auffälliges Verhalten der Kinder festgestellt werden. Im direkten Kontakt zeigten sich andere Kinder sehr geduldig und freundlich gegenüber dem Kind und seinen körperlichen Einschränkungen. Die Bezugsperson einer Familie führte einige sehr freundliche Gespräche mit bekannten Personen aus dem Wohnumfeld, wobei das Kind entweder wenig beachtet oder sehr freundlich und vertraut behandelt wurde. Bei einer Familie hat das Kind gemeinsam mit zwei anderen Mädchen ein Spielgerät benutzt, wobei das Verhalten der nicht-behinderten Kinder sehr vorsichtig war und man den Eindruck gewann, dass sie unsicher sind, wie sie die Situation und das behinderte Kind einschätzen sollen.

Verhalten des Kindes und der Bezugspersonen:

Hier zeigte sich sehr selbständiges Verhalten der Kinder, welches sich in eigeninitiierten Entscheidungen zeigte. Dieses Verhalten wurde durch die Bezugspersonen unterstützt und gefördert, wobei die Kinder aber wieder Hilfe in der Bewältigung spezieller Situationen brauchten. Die Bezugspersonen versuchten, den Kindern verschiedenste Aktivitäten zu ermöglichen. Wieder konnten oft keine Reaktionen des Kindes auf den Sozialraum registriert werden. Der Umgang der Bezugspersonen mit Personen aus dem sozialräumlichen Umfeld war sehr rücksichtsvoll und freundlich – vor allem bei bekannten Personen, aber auch bei Fremden. Es wurde auch auf angemessenes Verhalten des Kindes geachtet und ungewöhnliche Verhaltensweisen schon im Vorfeld unterbunden. Es zeigen sich auch wieder motorische Einschränkungen des Kindes, z.B. durch Anstoßen an andere Personen. ¾ Schwimmbad Wieder kam es bei auffälligem und unauffälligem Verhalten zu intensiver Beobachtung von Seiten der anderen SchwimmbadbesucherInnen. Besonders andere Kinder reagierten mit großer Neugier und Interesse auf das Kind, was sich ebenfalls durch verstärkte Blicke bis hin zum Anstarren zeigte. Einmal wurde bei spezifischen Verhalten auch freundlich mit einem Lächeln reagiert und die Bezugsperson wurde auch direkt, freundlich und interessiert auf das Kind angesprochen, auf die Antwort wurde ernsthaft reagiert.

Verhalten des Kindes und der Bezugsperson:

Bei der Bezugsperson konnte ein sehr rücksichtsvoller Umgang mit Personen aus dem Sozialraum festgestellt werden. Auf Fragen zum Kind wurde sehr bereitwillig und freundlich geantwortet. Es konnte auch ein sehr routinierter Umgang mit dem Kind beobachtet werden, wobei das Kind wegen lauter Geräusche immer wieder ermahnt wurde. Das Kind zeigte große Aufregung über die Aktivität und zeigte sich im positiven Sinn sehr ungeduldig. Die Forderung der Bezugsperson, ungewöhnliches Verhalten zu unterlassen, befolgte das Kind meistens nur für kurze Zeit – insgesamt hat es eher auffälliges Verhalten durch verbale und motorische Stereotypien gezeigt. Körperliche Einschränkungen führten zu Problemen im Schwimmbad, wodurch Unterstützung durch die Bezugsperson nötig war. Im Schwimmbad

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zeigte das Kind Fröhlichkeit und Freude, was sich eben durch das auffallende Verhalten äußerte. Nach dem Schwimmen wirkte das Kind sehr zufrieden und entspannt. ¾ Museum Bei spezifischem Verhalten des Kindes wurde kurz geschaut, ohne dass weiter darauf reagiert wurde. Teilweise waren sehr unfreundliche Reaktionen von Seiten des Personals zu beobachten, wobei aber nicht klar war, ob wegen des Kindes so reagiert wurde. Andererseits war das Personal auch sehr freundlich und entgegenkommend und der Bezugsperson wurde ein Rollstuhl für das Kind angeboten. Da das Kind auch sehr ungewöhnliches Benehmen und spezifische Verhaltensweisen, vor allem im motorischen Bereich zeigte, wurde der Bezugsperson und dem Kind auch Misstrauen entgegengebracht. Am Ende des Museumsbesuchs wurde jeder Schritt des Kindes vom Personal überwacht.

Verhalten des Kindes und der Bezugsperson:

Beim Museumsbesuch konnte eher auffälliges Verhalten des Kindes beobachtet werden, welches sich durch spezifische Verhaltensweisen zeigte. Es konnte auch für den Sozialraum Museum unangemessenes Verhalten beobachtet werden, wobei das Kind den Kunstwerken sehr nahe kam und Erregung und motorische Unruhe sehen ließ. Die Bezugsperson überließ dem Kind viele Entscheidungen. Es wurde dem Kind außerdem viel erklärt und auf Besonderheiten hingewiesen. Die Reaktionen der Bezugsperson auf die Umgebung waren trotz teilweise unfreundlicher Verhaltensweisen sehr zuvorkommend. Auf das Angebot eines Rollstuhls wurde ablehnend reagiert und die Situation des Kindes erklärt. Die Bezugsperson achtete meistens auf angemessenes Verhalten des Kindes, manchmal aber auch nicht, wodurch das Personal nervös wurde. ¾ Integrative Reitgruppe / nicht-integrative Tanzgruppe Bei diesen Freizeitaktivitäten konnte vor allem ein sehr kompetenter und liebevoller Umgang mit den Kindern beobachtet werden. Den Kindern wurden Hilfestellungen gegeben, aber es wurden auch Forderungen gestellt, die selbständig umgesetzt werden sollten, wobei das Kind bei Bedarf unterstützt wurde und Aktionen auch gemeinsam durchgeführt wurden. Positiv ist auch die kreative Gestaltung von Aktivitäten aufgefallen, welche auf die Bedürfnisse des Kindes zugeschnitten waren. Erklärungen wurden sehr angepasst gegeben, wobei schwierige Begriffe erklärt und Wiederholungen bei Bedarf gegeben wurden. Die verbale Kommunikation wurde zum Zweck der besseren Verständigung durch nonverbale Zusätze erweitert. Weiters wurden potentielle Konflikte bereits im Vorfeld entschärft und es wurde auch versucht, Alltagswissen zu vermitteln. Für gelungene Aktionen wurden die Kinder entsprechend gelobt. Insgesamt konnte ein sehr geduldiger und herzlicher Umgang mit dem Kind beobachtet werden.

Verhalten des Kindes und der Bezugspersonen:

Das Kind zeigte verbale Stereotypien, welche sich im Wiederholen eigener Aussagen und Aussagen Anderer beobachten ließen. Auch das intensive Ausdrücken von Emotionen durch lautes Lachen konnte beobachtet werden. Weiters zeigte es Interesse, intensives Bemühen und Spaß an den Aktivitäten. Das Kind zeichnete sich auch durch soziales Verhalten (Bereitschaft zum Teilen) und Hilfsbereitschaft aus. Auch überraschendes Verhalten im Sinne von sturen Reaktionen zeigte sich – diese Konfliktsituation konnte aber durch Eingreifen der Betreuungsperson entschärft werden. Zu behinderten wie auch zu nicht-behinderten Kindern ließ sich ein fröhliches, herzliches und freundschaftliches Verhältnis beobachten. ¾ Abholen des Bruders vom Hort und Besuch in der Schule der Schwester (Grillfest) Bei überraschenden Verhaltensweisen, wie trotzigem und wütendem Benehmen des Kindes wurden ihm wiederholt Blicke zugeworfen. Das Kind wurde auch sehr genau beobachtet und vor allem von Kindern kamen sehr interessierte Blicke, gerade bei diesem auffälligen

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Verhalten des Kindes. Dieses Interesse wurde auch durch Fragen an die Bezugsperson deutlich. Prinzipiell wurde von bekannten Personen (LehrerInnen, HortbetreuerInnen) sehr freundlich bzw. neutral auf das Kind reagiert.

Verhalten des Kindes und der Bezugspersonen:

Das Kind der Familie, bei der das Abholen des Bruders vom Hort beobachtet wurde, zeigte erst sehr unauffälliges und fröhliches Verhalten. Bei einer späteren Frustration wurde es ärgerlich und stur, was sich durch trotziges und teilweise autoaggressives Verhalten ausdrückte. Die Bezugsperson versuchte durch Versprechungen und Ablenkungen das Kind zu beruhigen, was aber erst später auf der Straße gelang. ¾ Ausstiegssituation Fahrtendienstbus BetreuerInnen und FahrerInnen des Fahrtendienstbusses zeigten sehr freundliches, kompetentes und zuvorkommendes Verhalten gegenüber Kindern und Bezugspersonen. Benötigte Hilfestellungen wurden gegeben.

Verhalten des Kindes und der Bezugspersonen:

Die Kinder zeigten unauffälliges Verhalten und die Bezugspersonen verhielten sich gegenüber Personal und anderen Kindern freundlich und fröhlich. ¾ Engeres Wohnumfeld Hier konnten sowohl bei unauffälligem, wie auch bei überraschenden Verhaltensweisen Blicke beobachtet werden. Vor dem Wohnhaus konnte beobachtet werden, dass sowohl bei auffälligem, wie auch bei unauffälligem Verhalten dem Kind verständnislose Blicke zugeworfen wurden. Es konnten aber auch freundliche Reaktionen, z.B. ein Lächeln, registriert werden.

Verhalten des Kindes und der Bezugspersonen:

Die Kinder zeigten teilweise großes Interesse an anderen Kindern, aber auch Teilnahmslosigkeit gegenüber anderen Personen war zu beobachten. Die Bezugspersonen zeigten sich gegenüber besser oder weniger bekannten Personen sehr freundlich und es kam oft zu kurzen Gesprächen. Es konnte aber auch beobachtet werden, dass die Bezugsperson eher distanziert auf Kontaktaufnahmen von NachbarInnen reagierten.

6. Zusammenfassende Darstellung der Interviews In Anlehnung an die Beobachtungen und durch weitere Überlegungen hinsichtlich jener für diese Studie relevanter Themenbereiche wurden den Bezugspersonen im Rahmen der Interviews Fragen zu nachfolgenden Bereichen gestellt. Darüberhinaus wurden sie auch gebeten, Verbesserungsvorschläge zu machen. ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾

Wohnsituation Öffentliche Verkehrsmittel Freizeitangebote Schulweg Alltagssituationen Reaktionen der Umgebung Notfälle Unterstützung bei der Entwicklung des Kindes Zukunft des Kindes

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6.1. Ergebnisse der Interviews mit den Bezugspersonen 6.1.1. Wohnsituation Die Beschreibung des Wohnumfeldes von Seiten der Bezugspersonen reicht von „zufriedenstellend“ bis „positiv“. Es wird von gelungener Integration gesprochen. Eine Familie betont die Notwendigkeit, Wohnung und Garten zu sichern, damit das Kind die Wohnung nicht allein verlassen kann. Das Verhältnis zu den NachbarInnen wird auf einem breiten Spektrum beschrieben, wobei das Positive überwiegt. Die Bezugspersonen schildern die Beziehung ausgehend von „kein Kontakt“ und „eine Probleme“ über „zufriedenstellend“ und „hilfsbereit“ bis hin zu „sehr gut“. Es werden auch die Attribute „nett und verständnisvoll“ zur Charakterisierung der NachbarInnen verwendet. Bei der genannten Hilfsbereitschaft der NachbarInnen scheint es feine Differenzierungen zu geben. In der Kinderbetreuung scheint man sich eher selten zu arrangieren, aber im Notfall können sich fast alle Eltern auf die NachbarInnen verlassen. Es wird auch berichtet, dass man nicht um Hilfe bitten möchte und es ein eher unangenehmes Gefühl ist, wenn sich das Kind bei den Nachbarn befindet. Verbesserungsvorschläge In Zusammenhang mit der Parksituation berichtet eine Familie davon, dass sie für den Sohn keinen Behindertenpass bewilligt bekommen haben, da das Kind „körperlich nicht genug eingeschränkt“ ist. Die Behörden hatten allerdings eine Bewilligung dafür ausgestellt, im Halteverbot stehen bleiben zu dürfen, damit das Kind aussteigen kann. Es wurde hier allerdings die Tatsache vernachlässigt, dass das Kind allein nicht aussteigen kann bzw. nicht in der Lage ist, sich im sozialräumlichen Umfeld selbständig zu bewegen oder alleine zur Wohnung zu gehen, während die Bezugsperson einen Parkplatz sucht. Die Eltern dieses Kindes wünschen sich daher die individuelle Beurteilung von Kindern mit geistiger Behinderung bei Bewilligungen für Behindertenpässe. Wichtig wäre es ihnen, dass nicht nur der körperliche, sondern auch der geistige Zustand, wie auch die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen diesen Einschränkungen beachtet werden. Von anderen Eltern kam der Wunsch eines Hobbyraums im Wohnhaus zur Sprache. 6.1.2. Öffentliche Verkehrsmittel Vier der fünf Familien geben an, öffentliche Verkehrsmittel „selten bis nie“ zu nutzen. Gründe dafür werden in persönlichen Präferenzen, aber auch in der Behinderung des Kindes mit der Gefahr der Überforderung und Reizüberflutung gesehen. Werden die Verkehrsmittel im öffentlichen Raum doch genutzt, dann versuchen die Eltern, den Kindern zu lernen, mit dieser Situation umzugehen oder es wird auch als Freizeitbelustigung gesehen. Prinzipiell werden Öffentliche Verkehrsmittel als „zufriedenstellend“ bezeichnet. Probleme und Schwierigkeiten bei der Benutzung der U-Bahn liegen in dem Spalt zwischen U-Bahn und Bahnsteig, wobei das Risiko besteht, dass das Kind je nach Größe mit einem Bein oder mit dem ganzen Körper in den Spalt rutscht. Einer Mutter ist diese gefährliche Situation bereits mit ihrem Kind passiert. Verschärft wird diese Situation dadurch, dass ein Großteil der Bezugspersonen von der Notwendigkeit berichtet, sich völlig auf das Kind konzentrieren zu müssen, um zum einen solche Risiken einzudämmen und zum anderen auf angemessenes Verhalten des Kindes geachtet werden muss. Auch die Tatsache, dass sich oft sehr viele Menschen in den öffentlichen Verkehrsmitteln befinden, verursacht diesen Kindern und ihren Bezugspersonen besondere Schwierigkeiten, die mit der oben genannten Gefahr der Überforderung zusammenhängen.

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Verbesserungsvorschläge Konkret wird die Forderung nach Gurten in öffentlichen Verkehrsmitteln geäußert und auch der Wunsch nach mehr Niederflur-U-Bahnen und –Straßenbahnen wird laut. Prinzipiell wird vermerkt, dass es den Wunsch nach einem sensibleren Umgang mit der besonderen Situation der Familie gibt und konkret wird in diesem Zusammenhang das Absenken des Busses genannt, damit das Kind es beim Einsteigen leichter hat. 6.1.3. Freizeitangebote Hier zuerst eine Auflistung jener, von den Familien in Anspruch genommenen Freizeitangebote: An institutionalisierten Angeboten wird die Ferienaktion der „Wiener Kinderfreunde“ genannt, wobei es die Möglichkeit einer Tagesbetreuung und eines Ferienlagers gibt. Ein Kind besucht regelmäßig eine Tanz- und eine Reitgruppe. An privaten Aktivitäten werden genannt: Ausflüge in den Tiergarten, Einkaufen, Kindertheater, Fastfood-Restaurants, Kinderkonzerte, Oper, Donauturm, Lilliputbahn, Kirchenbesuche und Pfarrfeste. Zwei Familien betonen auch die Notwendigkeit, dem Kind Bewegung zu verschaffen, also Sport im weitesten Sinne - in Form von Waldspaziergängen und Spaziergängen im Bezirk. Eine Familie legt auch besonderen Wert darauf, Aktivitäten mit der ganzen Familie zu unternehmen, wobei hier Schwimmen, Radfahren, Wandern und Besuche bei Freunden und Freundinnen genannt werden. Probleme bei der Nutzung von Freizeitangeboten Bei der Nutzung öffentlicher Freizeitangebote wird eine gewisse Scheu berichtet, die seltene bis keine Aktivitäten im sozialräumlichen Umfeld zur Folge hat. Die Gründe dafür werden mit der Furcht vor Überforderung des Kindes durch zu viele Menschen beschrieben. Auch das auffällige Verhalten der Kinder mit daraus folgender Verärgerung anderer Personen aus dem Umfeld wird als Problem geschildert. Auch werden der große Koordinationsaufwand solcher Aktivitäten und der zeitliche Faktor als Gründe gegen die Nutzung mancher Angebote vorgebracht. Auch die Tatsache, dass sich das Kind im sozialräumlichen Umfeld nicht selbständig bewegen kann, wie auch der Konzentrationsmangel und die Unsicherheit der Eltern, inwieweit die Kinder Freizeitaktivitäten wahrnehmen können, werden als Probleme gesehen. Letztlich werden auch finanzielle Probleme genannt, da viele Freizeitangebote sehr oft sehr teuer sind. Die oben genannten Spaziergänge sind für die Bezugsperson sehr anstrengend, sowohl körperlich als auch die Konzentration betreffend. Auch wird von der Schwierigkeit berichtet, dass das Kind „Sport im herkömmlichen Sinn“ nicht betreiben kann, da es die oft notwendige Interaktion nicht schafft. Der sogenannte Wurstel-Prater wird als ungeeignet für Menschen mit Behinderungen eingestuft. Eine Familie berichtet, dass ihr Kind zum Beispiel gern das „Kinder-Autodrom“ benutzen würde, körperlich aber bereits zu groß dafür ist und bei den Erwachsenen ist es zu gefährlich. Eine Familie berichtet auch von Schwierigkeiten beim Schwimmen, die in der Inkontinenz des Kindes liegen. Die Mehrheit der Eltern ist der Meinung, dass es zu wenige Freizeitangebote im öffentlichen Raum gibt und dass Wien „relativ kinderfeindlich“ ist, was sich verstärkt im Behindertenbereich zeigt und vor allem Kinder mit Mehrfachbehinderungen trifft. Informationsdefizite Allgemein wird im Bereich der Freizeitaktivitäten von einem Informationsdefizit gesprochen. Im Interview wird das von allen Familien in den verschiedensten Bereichen berichtet. Konkret fehlt eine übergeordnete Stelle und/oder eine Broschüre, wo man sich über Freizeitangebote, aber auch über finanzielle Ansprüche und Hilfen informieren kann. Es wird ein „Dschungel von Informationen“ genannt und die Notwendigkeit der besseren Vernetzung

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verschiedener Stellen und Anbieter wurde betont. Dieser Wunsch beschränkt sich nicht auf den Freizeitbereich, wurde hier aber verstärkt genannt. Bisher beziehen die Eltern ihre Informationen über Mundpropaganda und das Internet, wobei Internetadressen von der Schule empfohlen wurden. Verbesserungsvorschläge Generell ist es den Eltern wichtig, dass es ein gesichertes Umfeld nach den speziellen Bedürfnissen ihrer Kinder gibt. Es wurde auch betont, dass es für die Eltern nur dann eine Entlastung darstellt, wenn sich die Betreuung des Kindes über einen längeren Zeitraum erstreckt. Die Entlastung sehen die Eltern auch als Möglichkeit, das Kind länger in der Familie behalten zu können und in diesem Zusammenhang wird die Notwendigkeit von Kurzzeitunterbringung, z.B. am Wochenende genannt. Konkrete Vorschläge wurden dahingehend gemacht, dass es einen Sportplatz geben sollte, der auf die speziellen Bedürfnisse von Kindern mit geistiger Behinderung eingerichtet ist. Auch gibt es den Wunsch, dass es ein Kino gibt, das auf die Ansprüche des Kindes zugeschnitten ist – spezielle Ideen waren, dass der Raum nicht verdunkelt wird und das es einen Raum gibt, in den sich die Eltern mit ihrem Kind zurückziehen können, wenn es sich überfordert fühlt. Freilichtmuseen werden als optimal für die Kinder gesehen und es wird auch die Notwendigkeit betont, dass Ferienlager intensiver angeboten werden sollen. FreizeitassistentInnen werden als wichtig angesehen, aber diese Art der Betreuung sollte finanziell besser gefördert werden. Freizeitassistenz wird auch als Beitrag zur Integration gesehen, da die Kinder dadurch leichter bei manchen Aktivitäten mitmachen können. 6.1.4. Schulweg und Fahrtendienst Der Schulweg wird von allen Kindern dieser Studie mit Hilfe des Fahrtendienstes bewältigt. Die Eltern berichten durchwegs netten, kompetenten und vertrauenswürdigen Umgang mit den Kindern. Der Fahrtendienst wird als „großartig“, oder zumindest mit „kein Problem“ beschrieben, wobei die Flexibilität besonders gelobt wird. Bevor das Kind gebracht wird, werden die Eltern meistens telefonisch verständigt. Die Kinder werden an einer vereinbarten Stelle vor dem Wohnhaus abgeholt und auch wieder dorthin zurückgebracht. Die Eltern wüssten keine Alternative zum Fahrtendienst und würde dieser Service ausfallen, müssten die Eltern die Kinder selbst in die Schule bringen, was organisatorischen Aufwand in der Koordination mit dem Beruf mit sich bringt. Verbesserungsvorschläge In diesem Bereich wurden kaum Verbesserungsvorschläge genannt, da der Fahrtendienst sehr positiv bewertet wird. Als verbesserungswürdig wird gesehen, dass das Kind nicht direkt von der Wohnung abgeholt und wieder an die Wohnungstür zurückgebracht wird. Auch wird es als schwierig wahrgenommen, wenn das Personal wechselt, da es für ein Kind schwierig ist, sich auf neue Gesichter einzustellen. Wenn die Eltern nicht über die bevorstehende Ankunft des Kindes telefonisch kontaktiert werden, führt das zu organisatorischen Problemen und Stress und daher besteht der Wunsch, dass dieser Anruf standardmäßig durchgeführt wird. 6.1.5. Alltagssituationen Um den Eltern konkrete Anhaltspunkte zu nennen, wurden sie gebeten, diese Frage sowohl allgemein als auch an den Beispielen „Arztbesuche“ und „Einkaufen“ zu beantworten. Allgemein Alltagssituationen werden mit dem Kind generell als „zeitweise mühsam bis sehr mühsam“ empfunden. Zur Bewältigung dieser Aktivitäten ist nach Aussage der Eltern eine sehr straffe Organisation des Alltags notwendig. Es konnte an den Antworten abgelesen werden, dass im

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Bereich der Alltagssituationen die Mütter sehr aktiv sind und die Väter dieser Studie wenig Informationen zu diesem Bereich geben konnten. Arztbesuche Prinzipiell wird von Zufriedenheit mit Arztbesuchen berichtet und eine Familie lobt vor allem die medizinische Versorgung in einer Zahnklinik und bei bestimmten Kontrollen im Krankenhaus. Auch die Wichtigkeit vertrauter ÄrztInnen, die das Kind von klein auf kennen, wird betont. Ein besonderer Schwerpunkt liegt bei einer Familie in Kontrolluntersuchungen epileptische Anfälle betreffend, die vierteljährlich nötig sind. Es wurde erzählt, dass diese Kontrollen auf ein Minimum reduziert wurden und Arztbesuche im Allgemeinen in Grenzen gehalten werden. Probleme zeigen sich, wenn das Kind die Untersuchung verweigert. Auch das oft vorkommende Symptom der fehlenden Kommunikation von Kindern mit geistiger Behinderung stellt ein Problem dar, da man das Kind beispielsweise nicht fragen kann, ob die Behandlung weh tut. Ein Vorteil der Behinderung wird allerdings auch wahrgenommen – das Faktum, dass das Kind nicht vorausschauend denken und somit mögliche Schmerzen nicht antizipieren kann. Einkaufssituationen Wie bei den öffentlichen Verkehrsmitteln wird auch das Einkaufen weniger routinemäßig mit dem Kind durchgeführt, sondern eher als „Freizeitattraktion“ gesehen. Regelmäßige Einkäufe mit dem Kind werden als schwierig beschrieben, was oft an der motorischen Unruhe des Kindes liegt. Eine Mutter sieht die Notwendigkeit zum „Multi-Tasking“ beim Einkaufen, da dem Kind ständige Aufmerksamkeit gewidmet werden muss, um das Kind zu schützen und um unangemessenes und ungewöhnliches Verhalten des Kindes zu verhindern. Dazu kommt dann natürlich noch der Zweck der Aktivität, nämlich der notwendige Einkauf. Schon kleinste Einkäufe sind mit großem organisatorischem Aufwand verbunden, da dem Kind bei jedem Schritt geholfen werden muss, bis es „ausgehfertig“ ist und während des Einkaufens muss „man immer dahinter sein muss“, wie es eine Mutter formulierte. Ein anderer Elternteil sieht die Ursache der stressigen Situation beim Einkauf in den vielen anderen Leuten in den Geschäften und darin, dass die Kinder in den Augen der Anderen „schlimm“ sind. Es wird auch die Tatsache erwähnt, dass das Kind spürt, wenn die Leute negativ auf es reagieren. Verbesserungsvorschläge Um Alltagssituationen wie Einkaufen besser bewältigen zu können, wäre den Eltern gezielte und temporäre Fremdbetreuung des Kindes wichtig. 6.1.6. Reaktionen der Umgebung Die Reaktionen aus der Umgebung sind vielfältig – von „positiv“ und „verständnisvoll“ über „neutral“ und „keine Reaktion“ bis zu „negative verbale Aussagen“ wurden sie von den Eltern beschrieben. Bezüglich des „Anstarrens“ meint eine Mutter, dass das selten passiert, wobei sie die Vermutung äußert, dass es die Familie inzwischen gewöhnt ist und nicht mehr bemerkt. Die Eltern berichten auch von Toleranz, wenn sie ungewöhnliches oder unangemessenes Verhalten des Kindes erklären. Im Allgemeinen wird gesagt, dass sich die Leute selten über solche Verhaltensweisen aufregen, wobei schon einzelne Situationen aufgezählt werden, in denen die Eltern zum Beispiel auf die Lautstärke des Kindes aufmerksam gemacht wurden. Im ersten Moment scheinen viele Menschen auch große Überraschung zu zeigen. Ein Vater beschrieb die Reaktionen der Umgebung zwischen „akzeptiert und distanziert“. Auf das „Anstarren“ reagieren die Eltern in unterschiedlicher Weise: zurückschauen, lachen, erklären, fragen, ob die betreffende Person ein Problem habe, usw. Die Eltern erzählen, dass sie an negative Reaktionen gewöhnt sind und „komische Reaktionen“ werden ignoriert,

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wobei auch Situationen berichtet wurden, in denen es zur Eskalation mit lautem Wortwechsel kam. Es wurde beobachtet, dass Kinder natürlicher auf die Situation mit dem behinderten Kind reagieren und neugierige Fragen stellen, wobei sich die Bezugspersonen bemühen, angemessen zu antworten. Der Umgang mit den Kindern im sozialräumlichen Umfeld wird so beschrieben, dass man versucht, dem Kind Grenzen zu setzen und man vermutet, dass wegen dieser sichtbaren Bemühungen selten Kritik aus der Umgebung kommt. Die an dieser Untersuchung beteiligten Eltern zeigen auch Verständnis dafür, dass „Fremdes“ angeschaut wird und bestimmte Dinge im Zusammenhang mit der Behinderung schwierig zu akzeptieren sind (z.B. ständiger Speichelfluss). Es wird auch Unsicherheit und Angst erkennbar, wenn man daran denkt, dass sich das Kind einmal allein im sozialräumlichen Umfeld bewegen muss. Verbesserungsvorschläge wurden in diesem Bereich nicht gebracht, es wurde nur der Wunsch genannt, dass sich das Kind generell freier bewegen können sollte, da es die Eltern entlasten würde. 6.1.7. Notfälle Zur Erleichterung des Einstiegs in dieses Thema wurde den Eltern folgende hypothetische Frage gestellt: „Stellen Sie sich vor, Sie verletzen sich – wen können sie anrufen, damit man sich um Ihr Kind kümmert, während sie ärztlich versorgt werden?“. Die Eltern waren sich in dieser Frage mehrheitlich einig, dass das Kind mitkommen müsste. Von einigen wurden Verwandte, FreundInnen und NachbarInnen genannt, die das Kind betreuen könnten. Eine Familie schloss die Nachbarn allerdings explizit aus, da man es ihnen nicht „antun“ will. Von manchen wurde auch erwähnt, dass man es auch der eigenen Familie „eigentlich nicht antun“ will. 6.1.8. Unterstützung bei der Entwicklung des Kindes Eine Familie berichtet von großen Fehlern in der medizinischen Versorgung und Förderung des Kindes in den ersten Lebensjahren, in denen die Eltern über den Zustand des Kindes im Dunklen gelassen wurden. Die Eltern wurden in dieser Zeit nicht über die Behinderung des Kindes informiert, wodurch notwendige Fördermaßen nicht stattfinden konnten. Unzufriedenheit löste auch der Umstand aus, dass die gesamte Verantwortung für die Förderung auf die Eltern abgeschoben wird und sie sich kaum unterstützt fühlen. Auch die Pflegegeldeinstufung für Kinder mit Down-Syndrom wird kritisch gesehen, da Kinder mit dieser Diagnose zwar meist sehr selbständig sind, aber dennoch umfassende Förderung benötigen. Positiv beurteilt wird die Beratung beim „Fonds Soziales Wien“ und beim „Bundessozialamt“. Außerdem wird die Kurzzeitunterbringung, die von der Stadt Wien gefördert wird, lobend erwähnt und die Möglichkeit, einen Behindertenausweis für Kurzparkzonen zu erhalten wird positiv hervorgehoben. Eine Familie fühlt sich auch im medizinischen Bereich ausreichend gefördert. Finanzielle Unterstützung Die Eltern bekommen die Kosten für Windeln rückerstattet, wobei berichtet wird, dass in diesem Bereich Einsparungen vorgenommen werden und von Jahr zu Jahr weniger zurückbezahlt wird. Von der Krankenkasse wurden einer Familie ein Behindertenbuggy, eine Inkontinenzbadehose und orthopädische Schuheinlagen zur Verfügung gestellt. In einem Fall wurde Unterstützung für ein behindertengerechtes Auto in Anspruch genommen. Alle Familien beziehen Pflegegeld und erhöhte Familienbeihilfe.

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Unterstützung in der Betreuung Eine Familie leistet sich eine Hauskrankenpflege, die die Mutter im Alltag unterstützt und auch die Betreuung des Kindes übernimmt, wenn die Familie Urlaub macht. Diese Hilfe wird von der Familie privat bezahlt. Die Bezugspersonen nehmen manchmal Unterstützung aus dem Kreis der Familie an. Es wird aber auch berichtet, dass um Unterstützung, die nicht bezahlt wird kaum gebeten wird, da man diese Belastung niemandem „zumuten“ möchte. Informationsdefizite Auch in diesem Bereich wird von einem generellen Informationsdefizit gesprochen, wobei hier vor allem finanzielle Ansprüche gemeint sind. Die Eltern erleben in der Praxis, dass Hilfe nur auf Anforderung gegeben wird, es sich also um eine „Holschuld“ handelt. Es wurde die Erfahrung gemacht, dass man sich selbst informieren und selbst die Organisation für alles übernehmen muss. Viele Optionen auf finanzielle Ansprüche wurden erst spät entdeckt, da man nicht wusste, dass es bestimmte Möglichkeiten gibt. Wieder wurde der Wunsch nach einer übergeordneten Beratungsstelle artikuliert. Verbesserungsvorschläge Die Eltern meinen, dass stundenweise Betreuung des Kindes in Form einer Einzelbetreuung positiv für sie selbst und die Kinder wäre. Auch wird angemerkt, dass Therapien oft nur kurzfristig finanziell unterstützt werden und es wird betont, wie wichtig es wäre, dass diese Förderungen langfristig durchgeführt werden können. 6.1.9. Zukunft des Kindes Die Eltern können sich unterschiedliche Betreuungs- und Wohnmöglichkeiten vorstellen, wenn das Kind die Familie einmal verlässt. Hauptsächlich wurde aber der Wunsch genannt, dass das Kind in einem betreuten Wohnheim oder einer betreuten therapeutischen Wohngemeinschaft unterkommen kann und es wird auch von der Hoffnung auf Arbeit in einer Werkstätte gesprochen. Die Option des „Betreuten Wohnens“ wird sehr positiv gesehen, da das Kind Aufgaben zu erfüllen hat und somit Selbstverantwortung zeigen muss. Die Interaktion mit anderen Personen wird in diesem Zusammenhang positiv hervorgehoben. Die Vorteile einer Wohngemeinschaft werden darin gesehen, dass die Gruppen klein sind, die Versorgung gemeinsam betrieben wird und die dann erwachsenen Kinder in einem familienähnlichen Umfeld leben können. Von einem Elternteil wurde der Wunsch genannt, dass das Kind in Zukunft auf einem Bauernhof leben und arbeiten sollte. Die Eltern schätzen die Kompetenzen und Fähigkeiten des Personals diverser Einrichtungen individuell sehr unterschiedlich ein und es besteht Unsicherheit über die Qualität der Betreuung. Gleichzeitig wird auch die Wichtigkeit einer Bezugsperson für das Kind formuliert, wobei das Bewusstsein vorhanden ist, dass Einzelbetreuung schwer durchsetzbar ist und die Überlegung geäußert wird, dass das auch im „normalen Leben nicht so läuft“. Generell wollen die Eltern dass die zukünftige Betreuung zu dem Kind passt und es wird gesagt, dass eine Verbindung zwischen institutioneller und privater Unterbringung gut wäre, um flexibel reagieren zu können. Öfter wurde hervorgehoben, dass das Kind jederzeit wieder in die Familie zurückkehren könne. Unsicherheit besteht bei einzelnen Bezugspersonen, ob die Kinder die Fähigkeiten für die Arbeit in einer Werkstätte mitbringen. Die Eltern rechnen damit, dass sie sich aktiv und selbstverantwortlich mit der Suche nach einer angemessenen Betreuungsmöglichkeit befassen werden müssen. Es wird auch unterstrichen, dass es den Eltern nicht möglich wäre, das Kind den ganzen Tag zu betreuen, wenn es nicht mehr in die Schule gehen kann. Der Übergang von der Schule in die Zukunft wird in einzelnen Fällen mit Skepsis und Unsicherheit gesehen und es wird befürchtet, dass es jahrelang dauern wird, bis das Kind entsprechend betreut wird. Es wird die Wichtigkeit der Zusammenarbeit zwischen LehrerInnen und Eltern betont, um diese Lebensphase optimal meistern zu können. Eine

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Familie berichtet auch von einem fließenden Übergang, da das Kind jetzt schon jedes zweite Wochenende im Internat verbringt und auch im Sommer immer eine Zeit lang fremdbetreut wird. Eine Bezugsperson sagt, dass sie sich bisher darüber noch keine Gedanken gemacht habe. Prinzipiell gibt es zwar Vorstellungen über den weiteren Lebensweg des Kindes, diese sind aber mit vielen Unsicherheiten behaftet. Im Einzelfall wird auch eine desillusionierte Einstellung wieder gegeben, wobei die Eltern meinen, „bestimmte Vorstellungen haben wir uns abgewöhnt“. Es wird auch erzählt, dass es die inkonsistente Entwicklung des Kindes schwer macht, zu weit in die Zukunft zu planen. Eine Mutter sagt, dass sie sich bis zum 18. Lebensjahr für ihre Kinder verantwortlich fühlt, ob behindert oder nicht, allerdings wird im nächsten Satz die Unsicherheit über die Zukunft deutlich. Informationsdefizit Wieder wird deutlich, dass sich die Eltern mehr Informationen über Wohn- und Beschäftigungsmöglichkeiten wünschen. Eine Mutter äußert in diesem Zusammenhang auch den Wunsch, über die sexuelle Entwicklung von Kindern und Jugendlichen mit geistigen Behinderungen informiert zu werden. Gesellschaftliche und moralische Überlegungen Unter den Bezugspersonen besteht Unsicherheit, wie die Gesellschaft auf finanzielle Unterstützungsleistungen für das Kind reagiert. Es werden Überlegungen angestellt, dass es aufgrund der heute üblichen Frühdiagnostik in der Schwangerschaft den Eltern zum Vorwurf gemacht werden könnte, wenn sie ein behindertes Kind auf die Welt bringen. Ein Elternteil berichtet, davon gehört zu haben, dass in anderen Bundesländern mit dem Verweis auf die Frühdiagnostik und eine mögliche Abtreibung bestimmte Therapien von der Krankenkasse nicht mehr bezahlt werden. Eine weitere, allerdings positive Meinung war, dass Menschen mit Behinderungen Arbeitsplätze schaffen und somit auch in ökonomischer Hinsicht wertvoll für die Gesellschaft sind. Wünsche für die Zukunft Die Eltern äußerten teilweise sehr allgemeine Wünsche. Zum Teil auch unrealistische, wie zum Beispiel die vollständige Gesundung des Kindes. Realistischer ist der Wunsch eines Elternteils nach einer Verbesserung der kommunikativen Fähigkeiten des Kindes. Für die nähere Zukunft wünschen sich die Eltern konkret, dass das Kind die Inkontinenz überwindet, dass man den ständigen Speichelfluss in den Griff bekommt und auch der Erwerb von Rechtschreibkompetenzen wird erwähnt. Auch war es den Eltern wichtig, dass ihre Kinder später entsprechend ihren Bedürfnissen in betreuten Wohnheimen oder –gemeinschaften untergebracht werden. Eine Mutter äußerte in diesem Zusammenhang ihren Traum, dass ihre Tochter einmal in einer Wohngemeinschaft leben wird, in der nur Frauen untergebracht sind. Die Eltern haben die Hoffnung, dass ihre Kinder auch in Zukunft Geborgenheit und Wohlfühlen erfahren werden und es wird betont, dass die Kinder Nähe brauchen und bedürftige Wesen sind, wie andere Kinder auch. Weiters wird erträumt, dass das Kind das elterliche Heim verlässt und wie andere Jugendliche in die Selbständigkeit gehen kann und somit einen Teil der Abhängigkeit ablegt. Wenn das Kind in einer betreuten Wohnform untergebracht wird, soll es dem Kind dort „gut gehen“ - es soll dort nicht nur „verwahrt“ werden, sondern die BetreuerInnen sollen sich liebevoll ihrer Klienten annehmen. Die Bezugspersonen wünschen sich für ihre Kinder ein förderndes und geschütztes Umfeld und soziale Einbettung. In einem Interview kam der Wunsch zur Sprache, dass es gut wäre, wenn die Eltern behinderter Kinder mehr Lob und Anerkennung in der Öffentlichkeit bekämen. Auch die

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Verstärkung der öffentlichen Präsenz von Menschen mit geistiger Behinderung wird als wichtig erachtet. 6.2. Ergebnisse der Interviews mit den ExpertInnen Folgende Personen wurden von uns über ihre Expertensicht befragt: • • • • • •

Wilhelm Schenker, Vorstandsvorsitzender und Leiter des Karl-Schubert Hauses,

Mariensee,

Martina Seidl, dipl. Tanzpädagogin, Leiterin von Feriencamps für Kinder mit

besonderen Bedürfnissen bei den Wiener Kinderfreunden Elisabeth Hafner, Sonderkindergartenpädagogin in einer Kindergartengruppe der Stadt Wien Karin Praniess-Kastner, Behindertensprecherin der ÖVP Wien Ingrid Teufel, Pädagogin an einer Schule mit Mehrstufen- und Inklusionskonzept, Autorin Maga. Elfriede Matysek, eh. Leiterin der Koordinationsstelle ARGE Frühförderung, Fonds Soziales Wien, systemische Psychotherapeutin

Alle Befragten arbeiten bedingt durch ihre Tätigkeiten im direkten Kontakt mit Kindern, Jugendlichen und Eltern sowie auch mit Angehörigen und VertreterInnen anderer Professionen (PsychologInnen, SozialarbeiterInne, PolitikerInnen, SachwalterInnen,..). Der Kontakt zu Menschen, also auch zu Familien mit Kindern mit geistiger Behinderung erfolgt bei allen Befragten direkt, durch konkreten pädagogischen Alltag oder durch diagnostische Prozesse und Beratung im diagnostischen Bereich. Weiters sind die befragten ExpertInnen im organisatorischen, konzeptionellen und leitenden (Institution und/oder Team), sowie im administrativen Bereich tätig und treffen in dieser Funktion durch Beratungsgespräche und Klärung von pädagogisch inhaltlichen Fragen auf betroffene Familien. Fünf der ExpertInnen geben an, auch in ihrem weiteren organisatorischen Umfeld (außen stehende Behörden, Öffentlichkeitsarbeit) mit der Thematik der geistigen Behinderung konfrontiert zu sein. Befragt wurden die ExpertInnen zu folgenden Themengebieten: ¾ ¾ ¾ ¾ ¾

Erreichbarkeit der ExpertInnen für betroffene Familien Problematiken aus dem sozialräumlichen Umfeld von betroffenen Familien Unterstützungsmöglichkeiten der ExpertInnen Integrationsverständnis Anliegen und Wünsche in Bezug auf die eigene Tätigkeit

6.2.1. Erreichbarkeit der ExpertInnen für betroffene Familien Betroffene Eltern erreichen die ExpertInnen auf der einen Seite durch direkten Kontakt vor, nach oder während der pädagogischen oder therapeutischen Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen („Tür-und Angel-Gespräche im Kindergarten, Elternabende vor den Ferienaktionen, Gespräche mit der Haus- oder Gruppenleitung,...).Der Kontakt zu betroffenen Familien entsteht aber auch durch ärztliche Zuweisung oder „Mundpropaganda“ anderer Familien. Andererseits stehen die ExpertInnen auch im schriftlichen (e-mail) oder telefonischen Austausch für Beratungsgespräche, Weitergabe von Informationen an VertreterInnen anderer Professionen oder Austausch über Themen, die das Kind betreffen zu Verfügung.

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„Den Familien Hilfestellung leisten, einfach zuhören, da sein, und natürlich auch beraten zu den verschiedenen Themen“ (Karin Praniess- Kastner) Teilweise wurde hier die Problematik der zeitlichen Ressourcen betroffener Familien genannt, ebenso die Problematik, in bestehenden Familienstrukturen beratende Tätigkeit zu leisten, ohne professionell eingreifen zu können (Zerfall von Familien,...). Weiters wurde an dieser Stelle seitens der ExpertInnen artikuliert, dass Eltern oft geeignete AnsprechpartnerInnen für ihre spezifischen Probleme fehlen. „Bei Familien, die man schon länger kennt ist es so, dass man dann Ansprechpartner für sämtliche Probleme, sämtliche Fragen im Umgang mit den Kindern, der Ausbildung, der Weiterbildung, der Aufnahme in Werkstätten ist. Es ist wichtig, dass man da wirklich als Ansprechpartner da ist, das muss einfach für die Familien sein und ist ganz wichtig.“ (Seidl). Im Zusammenhang damit wurde auch die Wichtigkeit der „partnerschaftlichen Kooperation“ gesehen - die Eltern als „wichtigster Partner und wichtigster Ansprechpartner in Bezug auf die Anliegen und Probleme der Kinder zu sehen“ (Teufel). 6.2.2. Problematiken aus dem sozialräumlichen Umfeld von betroffenen Familien Generell sehen die ExpertInnen die Problematik der Thematik „geistige Behinderung in unserer Gesellschaft“ und dem Gefühl des Anders-seins, vor allem im öffentlichen Sozialraum einer Großstadt. Das Leben in einer Großstadtstruktur und ihren Normen ist für jene Familien, die in ihrem täglichen Leben dadurch auffallen, dass ihre Kinder diese Norm nicht einhalten können, sehr schwierig nach Einschätzung der ExpertInnen. Das bloße Bewusstsein, ein Kind mit Behinderung zu haben, wird von einigen der ExpertInnen als hemmender Faktor in Bezug auf die Nutzung verschiedener Angebote im sozialräumlichen Umfeld gesehen. Eine Expertin gibt an, dass die Sichtbarkeit der Behinderung eines Kindes als Problemfaktor für Familien in Bezug auf das Leben im sozialräumlichen Umfeld zu sehen ist. „Dies ist durchaus verständlich, denn man will sich ja nicht jedem präsentieren müssen“ (Matysek). Generell werden auch die internen, eventuell sehr belastenden Familiensituationen, die Berufstätigkeit der Eltern, die Beziehungsgestaltungen innerhalb der Familie, Mangel an Zeitressourcen und ein möglicherweise damit verbundenes schlechtes Gewissen der Eltern dem Kind gegenüber als ausschlaggebend dafür gesehen, mit welcher Intensität sich Familien im sozialräumlichen Umfeld bewegen. Die befragten ExpertInnen sprechen großteils von belastenden Faktoren für Familien, auf die diese zwar „sehr unterschiedlich“ reagieren, die aber in Bezug auf ihr sozialräumliches Umfeld Reaktionen des „Kämpfens oder des Resignierens“ hervorrufen können (Teufel). Weiters werden die tatsächlichen Barrieren der Großstadt teilweise auch von den ExpertInnen als problematisch für die Ausübung eines sozialen Lebens außerhalb der Familie gesehen (nicht lärmen dürfen, Probleme der Reizüberflutung, unüberwindbare bauliche Schwierigkeiten in U- Bahn oder öffentlichen Gebäuden,…). Auch die Realisierung von Gesetzeserweiterungen im Zusammenhang mit der Problematik des Lebens im sozialräumlichen Umfeld werden genannt, um betroffenen Personen notwendige Änderungen zukommen lassen zu können. Der Schweregrad der Behinderung eines Menschen wird ExpertInnenseite auch als Faktor für eine mögliche erschwerte Teilnahme an den Angeboten des öffentlichen Lebens gesehen. Der Grad der Verunsicherung, die eine Familie im Laufe ihres Lebens mit einem Kind mit Behinderung erfährt wird von ExpertInnenseite im Zusammenhang gesehen mit der Intensität, mit der sie sich im sozialräumlichen Umfeld bewegt. „Weil man sich als Familie wahrscheinlich immer irgendwie exponiert vorkommt, weil einen die Leute anstarren, weil man immer auffällt, weil man nie einfach so irgendwo gehen kann mit dem Kind, weil man einfach ganz anders ausschaut - ich denke, das ist eine psychische Belastung, die die Eltern einmal mehr oder weniger spüren, die die meisten aber doch immer haben“ (Seidl).

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6.2.3. Unterstützungsmöglichkeiten der ExpertInnen Die Frage nach den Unterstützungsmöglichkeiten aus den Berufsfeldern der befragten ExpertInnen für die betroffenen Familien wurde teilweise mit der Nennung konkreter Angebote für Kinder und Jugendliche im Freizeitbereich, sowie in weiteren Lebensbereichen (Kindergarten, Schule, Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten) beantwortet. Sollen betroffene Kinder in den pädagogischen Alltag ihres sozialräumlichen Umfeldes eingebunden werden (Kindergarten, Schule), so sehen die dazu befragten ExpertInnen im Umgang mit betroffenen Familien auch Problematiken im Weg, den betroffene Familien bereits beschritten haben und die negativen und hemmenden Faktoren, die sie auf diesem Weg bereits erfahren haben. Als wichtig zur Unterstützung und Hilfestellung wird hier das „Aufbauen eines Vertrauensverhältnisses zwischen Eltern und Pädagogen“ (Teufel) und weiters die Stärkung der Eigenkompetenzen der Familie gesehen. Hier wird auch die Unterstützung beim Schaffen von Klarheit und Struktur für die Familie genannt. „Dies ist ein Prozess des Entängstigens, des Konkretisierens, der Ermutigung und der Information“ (Matysek). In Bezug auf die Freizeitgestaltungen und die damit verbundenen Hilfestellungen auf institutioneller Seite sehen ExpertInnen die Wichtigkeit einer Betreuung durch Drittpersonen, Professionisten, die der Familie die Möglichkeit geben, „durchzuatmen, sich auch einmal nur um Geschwisterkinder zu kümmern, und die Möglichkeit zu haben, sich um die oft so vernachlässigte Partnerschaft zu kümmern“ (Seidl). Hier wird von den befragten ExpertInnen generell ein Defizit an Angeboten, sowie das weitgehende das Fehlen ausreichender finanzieller Ressourcen beschrieben. Sollen Jugendliche am Weg in die Selbständigkeit unterstützt werden, so sehen auch ExpertInnen die Notwendigkeit einer externen Betreuung für Jugendliche außerhalb der Familie, um den Ablösungsprozess von den Eltern positiv zu fördern und den Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, eigenständige Erfahrungen machen zu können. Es gibt Eltern, die mit dem Prozess des Älterwerdens ihres behinderten Kindes und mit der zunehmenden Ablösung vom Elternhaus überfordert sind“ (Wilhelm Schenker). Aber auch beratende Funktion, Unterstützung bei Behördenwegen und Zuhören wurden als Unterstützungsmöglichkeiten genannt „Und manchmal sind es ganz einfache Dinge, wie „einfach Verständnis zeigen für die Situation, in der sich Eltern behinderter Kinder befinden und oft kann man dann gar nichts machen, also keinen Rat geben,... da reicht schon einmal zuzuhören und Verständnis zu signalisieren, das in vielen Fällen leider abgeht“ (PraniessKastner). Aber auch die Abgrenzung der jeweils eigenen Profession gegenüber zu privaten Problematiken der Familien und das Informieren über das Bestehen weiterer Professionen wird als Hilfestellung für die Familien genannt. Im Zusammenhang damit wird auch der Mangel an professionellen und finanziellen Ressourcen in diesen Bereichen genannt (Supervision, gesprächstherapeutische Angebote für Eltern,...). Weiters wird das „Annehmen des Kindes“, ein für das Kind da sein und es so zu akzeptieren, wie es ist, durchaus als Hilfestellung für die ganze Familie und vor allem die betroffenen Eltern gesehen. „Über die Annahme des Kindes ist auch der Kontakt zu den Eltern da und das läuft dann gut, da ist jetzt jemand, der das Kind mag, auch mit seinen Defiziten und es hilft auch den Eltern, wenn sie sehen, die anderen Eltern akzeptieren das Kind“ (Hafner). 6.2.4. Integrationsverständnis Zum Begriff und Verständnis der Integration hatten alle der befragten ExpertInnen einen Bezug, in allen Fällen wurde der praktische wie auch ein theoretischer Zugang erläutert. Zwei ExpertInnen äußerten Skepsis vor „Wortneuschöpfungen“ (Inklusion im Zusammenhang mit Integration) die möglicherweise in ihrer Bedeutung falsch interpretiert werden.

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Eine Änderung vorhandener Rahmenbedingung zu Ungunsten betroffener KlientInnen und Familien wurde als Grund zur Vorsicht in Bezug auf die strikte Verwendung bestimmter Begrifflichkeiten genannt. Generell wird der Begriff der Integration als notwendige Maßnahme gesehen, um „Segregation entgegenzuwirken.“ (Praniess-Kastner) „Allen Menschen, die zu unserer Gesellschaft gehören soll die Chance gegeben werden, an einem Alltagsleben teilhaben zu können“ (Seidl). Im Zusammenhang damit wird von einer Expertin die Inklusion als sehr positiver Gedanke der Integrationsbewegung beschrieben, da sie „eine besondere Behandlung eines Kindes ja nicht ausschließt sondern durch den Einschluss des Kindes in die Gesellschaft erleichtert, was nicht heißt, dass immer alles und zu jeder Zeit möglich ist.“ (Matysek) Der Begriff der Inklusion als mögliche Weiterentwicklung der Integration wird von einer Expertin als problematisch gesehen, da die Verwirklichung einer „selbstverständlichen Teilhabe an der Gesellschaft für alle Menschen“ (Karin Praniess-Kastner) vermutlich in Entwicklung gesehen wird allerdings nicht als bereits realisierbar eingeschätzt wird. Laut Aussagen der Experten ist der Begriff der Integration als Grundannahme zu sehen, die im pädagogischen wie organisatorischen Bereichen auch als Bereicherung für nicht behinderte Menschen zu verstehen ist. Weiters sei auch der Inklusionsgedanke als einer zu sehen, der „alle Menschen betrifft und nicht von Außen für Menschen mit Behinderung gemacht ist.“ (Elfriede Matysek) Die befragten VertreterInnen von Einrichtungen gaben auch mehrmals zu bedenken, dass in einem großstädtischen sozialräumlichen Umfeld Bedingungen herrschen, die den Integrationsgedanken nicht unbedingt positiv beeinflussen (Probleme der Lärmbelästigung, zu wenig Platz, zu wenig Bewegungsangebote, Gefahr der Reizüberflutung,…). Integration bedeutet für eine Expertin trotz der realen Situation der bedingten Durchführbarkeit, keinem Kind „durch Integrationsversuche Nachteile zu bereiten“ und auch ein „Verschwimmenlassen der Grenzen“ sowie das Erlangen von sozialer Intelligenz für alle an diesem Prozess beteiligten Menschen“ (Teufel). 6.2.5. Anliegen und Wünsche in Bezug auf die eigene Tätigkeit Vier ExpertInnen gaben an, die Weiterführung des bestehenden Integrationsgedankens als Anliegen zu sehen. Im Zusammenhang damit fordern sie ein erweitertes Schaffen von Rahmenbedingungen, die Integration ermöglichen. Mehr finanzielle Unabhängigkeit in Bezug auf die Realisierung des Integrationsgedanken für Institutionen wird von fast allen GesprächspartnerInnen als dringendes Anliegen gesehen. Die Angst vor vermehrter Einsparung an Personal wurde in diesem Zusammenhang genannt. Zwei der befragten ExpertInnen wollen ihren Tätigkeitsbereich verstärkt als Aufgabe zur Ermöglichung eines weitgehend selbständig geführten Lebens für Betroffene sehen. In der Begleitung der Kinder und Jugendlichen auf dem Weg in die Selbständigkeit sehen sie die Notwendigkeit und darin, Eltern vom ersten Tag an zu begleiten und zu unterstützen. Diese Begleitung beginnt mit der konkreten Unterstützung bei der Verarbeitung der neuen Situation und entwickelt sich weiter zu einem aktiven Zugehen auf die Eltern mit konkreten Angeboten und Informationen. Auch die Erleichterung des späteren Ablöseprozesses vor allem für betroffene Eltern wurde hier genannt, sowie der Wunsch nach mehr personellen Ressourcen für die Bewältigung dieses Prozesses (Supervision, Therapieangebote für Eltern,...). Konkret existiert auch die Forderung nach einem breit gefächerten Angebot an Freizeitaktivitäten für Kinder und Jugendliche mit Behinderung, sowie die Forderung nach einer besseren Vernetzung der Informationsmöglichkeiten. Die Forderung nach dem Verständnis für Menschen mit besonderen Bedürfnissen wird von einer Expertin im Zusammenhang mit dem Integrationsgedanken erklärt. „Damit ein natürlicheres Umgehen mit Menschen mit Behinderung stattfinden kann, aber auch eine große Sensibilität den betroffenen Familien gegenüber und Integration so glatt greifen könnte, wäre es schön, wenn jeder zukünftige Arzt, Rechtsanwalt, Richter, also alle, die

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zukünftig mit behinderten Menschen zu tun haben werden, dass die selbstverständlich aufgewachsen sind mit behinderten Menschen und somit einen natürlicheren Umgang und Zugang haben“ (Prieness-Kastner).

7. Interpretation der Ergebnisse 7.1. Interpretation der Beobachtungen Zusammenfassend kann zu den Beobachtungssituationen gesagt werden, dass allein die Anwesenheit der Kinder genügt, um Aufmerksamkeit im sozialen Raum auszulösen. Tatsache ist, dass diese Aufmerksamkeit nicht verglichen und in Relation gesetzt werden kann mit jener, die man Kindern und Jugendlichen sonst im öffentlichen Raum entgegenbringt. Diese Aufmerksamkeit der Personen in der Lebensumwelt der Familien unserer Untersuchung bewegt sich zwischen kurzen Blicken, Anlächeln, längerem Anschauen bis hin zum „Anstarren“. Eindeutig positive wie eindeutig negative Reaktionen der Umwelt waren weniger oft zu beobachten. Bei der Auswahl der Unternehmungen der Familie für die Beobachtungssituationen wurde unter anderem auch eine gewisse Meidung des Sozialraumes festgestellt, um sich unangenehme Situationen zu ersparen, Blicken aus dem Weg zu gehen, nicht unangenehm aufzufallen. Wichtig ist zu erwähnen, dass in allen Beobachtungssituationen das Vorhandensein einer Bezugsperson unumgänglich war (was bei nicht behinderten Kindern in diesem Alter nicht nötig wäre). Die Bezugspersonen waren in allen Fällen nicht nur motiviert, mit den Kindern das sozialräumliche Umfeld zu „erkunden“, sie waren in unterschiedlichsten Situationen (Bestellen, Einkaufen) an den individuellen Wünschen der Kinder interessiert und bemüht, diese auch, unabhängig von der damit verbundenen Anstrengung, umsetzen zu können. Weiters entstand der Eindruck, dass die Bezugspersonen aller Familien die Thematik der Förderung der Eigenständigkeit ihrer Kinder, ebenso wie das Setzen von Grenzen der Handlungsmöglichkeiten ihrer Kinder als allgemeines Erziehungsziel verstanden. Mit offensichtlichen Einschränkungen des sozialräumlichen Umfeldes (ungeeignete räumliche Gegebenheiten, zu wenig Zeit beim Einstieg in öffentliche Verkehrsmittel,...) wurde in den Beobachtungssituationen unterschiedlich verfahren. Zum Verhalten der betroffenen Kinder ist generell zu sagen, dass sie sich in den ihnen gegebenen Möglichkeiten relativ frei und sorglos bewegt haben und das Vorhandensein der Bezugspersonen zur Durchführung verschiedener Aktivitäten geführt hat. Betont soll hier der anleitende und fördernde Charakter der Bezugspersonen werden. Die Reaktionen anderer Kinder kann man im Allgemeinen, was die Blicke und die Kontaktaufnahme betrifft als intensiver und länger andauernder beschreiben, ebenso wie als vorsichtig und unsicher. Beobachtet wurde generell eine gewisse, durchaus neutrale Distanz des sozialen Umfeldes zu Familien mit Kindern mit geistiger Behinderung. Distanz, die vorwiegend durch vorsichtig neutrale Reaktionen der Umwelt gekennzeichnet ist, das heißt nicht durch negative Äußerungen geprägt ist, bietet im Ansatz die Möglichkeit zur Integration betroffener Familien, da dieser Umstand Potential zur Annäherung in sich trägt und nicht von vornherein durch negative Reaktionen verhindert wird. Wie in den Beobachtungen wiederholt beschrieben, fanden jene distanzierten Reaktionen mehrheitlich statt. Diese Distanz bedeutet keinen prinzipiell erstrebenswerten Zustand für betroffene Familien, aber die potenzielle Chance der Überwindung. Durch gezielte Unterstützungsangebote im Sozialgroßraum Wien kann die Möglichkeit entstehen, Skepsis und Angst aller Beteiligten zu verstehen und abzubauen. Gezielte Information und Aufklärung nicht Betroffener, sowie der Aus- und

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Aufbau von unterstützenden Einrichtungen für betroffene Familien können das Verständnis füreinander fördern und Integration weiterentwickeln. 7.2. Interpretation der Interviews mit den Bezugspersonen Sieht man sich die einzelnen Bereiche der Interviews an, dann können fünf Punkte differenziert werden, die verschiedentlich und wiederholt genannt werden und somit von besonderer Bedeutung zu sein scheinen: ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾

Reaktionen der Umgebung Wechselwirkungen zwischen geistiger und körperlicher Behinderung Informationsdefizit Entlastung der Eltern Unsicherheit der Eltern Präsenz in der Öffentlichkeit

7.2.1. Reaktionen der Umgebung Was das häufig beschriebene Anstarren als eine Reaktion der Umgebung betrifft, zeigen die Bezugspersonen einen sehr reflektierten Umgang damit und Verständnis dafür, dass ungewöhnliche Menschen, die nicht der „Norm“ entsprechen, Aufmerksamkeit erregen. Die fehlenden Verbesserungsvorschläge der Bezugspersonen in den Interviews legen die Vermutung nahe, dass diesbezüglich auch eine gewisse Gewöhnung und Resignation eingetreten ist. Es sollte allerdings überlegt werden, ob dieser Umstand nicht verbessert werden könnte, um diesen Familien die Bewegung im sozialräumlichen Umfeld zu erleichtern. 7.2.2. Wechselwirkungen zwischen geistiger und körperlicher Behinderung Der Fokus dieser Studie sollte darauf liegen, das Lebensumfeld und das sozialräumliche Umfeld von Kindern mit geistiger Behinderung und deren Familien zu dokumentieren. Im Laufe der Untersuchung wurde deutlich, dass eine solche Einschränkung nicht wirklich funktioniert. Die verzögerte geistige Entwicklung der Kinder führte dazu, dass auch körperliche Funktionen nicht gemäß ihres Lebensalters ausgebildet sind (z.B. Inkontinenz). Nicht nur geistige, sondern auch körperliche Einschränkungen werden die Kinder ein Leben lang behindern und sich nicht bessern (z.B. eingeschränkte motorische Fähigkeiten). Zu diesen körperlichen Einschränkungen kommt die geistige Behinderung, die z.B. zu verzerrter Wahrnehmung der Umwelt führt und die es schwer macht, im sozialräumlichen Umfeld angemessen zu agieren. Natürlich kommt es auch zu Wechselwirkungen zwischen den körperlichen und geistigen Einschränkungen. Jede Fördermaßnahme zur Verbesserung der Wahrnehmung und Lebenslage dieser Kinder sollte auf dem Verständnis der besonderen Situation beruhen und diese Überlegungen als Basis haben. 7.2.3. Informationsdefizit Die Eltern berichteten in verschiedenen Zusammenhängen darüber, dass sie zuwenige Informationen haben. Besonders deutlich wurde dieses Problem bei den Freizeitangeboten, finanziellen Ansprüchen, Betreuungsmöglichkeiten und der Zukunft des Kindes. Wie bereits erwähnt, wäre es eine große Hilfe, wenn es eine übergeordnete Stelle gäbe, bei der sich Familien über ihre Möglichkeiten informieren könnten. Diese Informationsstelle sollte nach Möglichkeit alles abdecken, was für Menschen mit Behinderung von Bedeutung ist, denn eine große Schwierigkeit liegt für die Betroffenen darin, dass Informationen an den verschiedensten Orten und Institutionen geholt werden müssen, ohne genau zu wissen, welche Informationen man wo bekommt.

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Bei der Unterstützung des Kindes scheint erfolgreiches Vorgehen zur Entlastung der Familien vor allem von Information abzuhängen. Das Wissen um den Zustand ihres Kindes muss den Eltern von Geburt an gegeben werden und es ist von größter Wichtigkeit, dass Fördermaßnahmen rechtzeitig eingeleitet werden, da nur so vorhandene Fähigkeiten und Kompetenzen des Kindes gefördert werden können. 7.2.4. Entlastung der Eltern Vor allem im Bereich der Alltagssituationen zeigen sich große Belastungen durch erhöhten Organisationsaufwand. An dieser Stelle soll auch festgehalten werden, dass in dieser Studie die Mütter die Hauptlast zu tragen haben. Alle an der Studie beteiligten Eltern zeigten das Bedürfnis nach Entlastung und mehr temporärer Betreuung, die ihnen das Leben und auch die Bewältigung von Alltagssituationen erleichtern würde. Natürlich gibt es hier auch finanziellen Unterstützungsbedarf, da es für die Eltern schwierig ist, eine Betreuungsperson ausschließlich aus privaten Mitteln zu bezahlen. 7.2.5 Unsicherheit der Eltern Immer wieder wurde deutlich, dass die Eltern in vielen Punkten - Reaktionen der Umgebung, Freizeitangebote, Unterstützungsangebote bzw. -forderungen und vor allem bei ihren Vorstellungen über die Zukunft ihres Kindes - von großen Unsicherheiten geplagt werden. Es zeigte sich auch eine gewisse Ambivalenz, da zum einen der legitime Wunsch nach Entlastung vorhanden ist und allen Eltern klar ist, dass das Kind die Familie irgendwann verlassen muss/soll, gleichzeitig aber massive Schuldgefühle diese Wünsche betreffend vorhanden sind. Auch die oftmals benutzte Formulierung der Eltern, dass man das Kind niemandem „antun will“ verweist auf die Unsicherheit und Ambivalenz der Eltern. 7.2.6. Präsenz in der Öffentlichkeit Hier soll nochmals hervorgehoben werden, dass mehr Präsenz behinderter Menschen in der Öffentlichkeit ein guter Weg wäre, um Verständnis und Toleranz zu erzeugen, die dann zu verbesserter Integration führen könnten. Grundlage dieser Überlegung ist die Tatsache, dass „Fremdes“ immer besonderer Beachtung ausgesetzt ist, was für die betroffenen Familien eine Belastung darstellt. Je selbstverständlicher Menschen, die sozusagen von der Norm abweichen im öffentlichen Leben und im Alltag vorkommen, desto normaler werden sie. 7.3. Interpretation der ExpertInneninterviews Die ExpertInnen sehen prinzipiell zwei Problemfelder, die auf betroffene Familien einwirken: Zum einen werden innerfamiliäre Dynamiken angesprochen, zum anderen gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Prozesse, die von Außen auf eine Familie einwirken (die im sozialräumlichen Umfeld einer Familie besonders deutlich sichtbar werden können). Zu innerfamiliären Dynamiken zählen die ExpertInnen unter Anderem das Entstehen von innerpsychischen Konflikten in der Phase der Diagnostizierung der Behinderung ihres Kindes (pre, -peri, -oder postnatal). Hier wird von ExpertInnenseite bereits von einem „Alleinlassen“ der betroffenen Eltern gesprochen. Im Laufe der Entwicklung eines Kindes durchläuft die Familie eine Reihe von Verarbeitungsprozessen, die sie zu einer positiven Problemlösungskompetenz führen kann. Neben Beziehungsstrukturen innerhalb der Familie (Partnersituation, Größe der Familie, persönlicher Zugang zum Thema Behinderung) wirken auch Faktoren auf das innerpsychische Leben einer Familie von Außen ein (berufliche und finanzielle Situation, Wohnsituation) und können ebenfalls ihr innerpsychisches Gleichgewicht stark beeinflussen. Speziell bei Eltern von Kindern mit geistiger Behinderung, so wird es in der Ausführung der ExpertInnen deutlich, zeigen sich beim Verlassen des geschützten Raumes Probleme, die die Betroffenen im Kontakt mit dem sozialräumlichen Umfeld begleiten. Für die ExpertInnen werden diese Probleme in der Arbeit mit den Familien sichtbar. Hier entsteht dann für betroffene und engagierte ExpertInnen oft eine Kluft zwischen dem Wunsch, diese Familie

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aktiv unterstützen zu wollen und der Tatsache, innerfamiliäre Dynamiken nur bedingt beeinflussen zu können. Weiters sehen ExpertInnen im Sozialgroßraum der Stadt Wien, unabhängig von der jeweiligen Wohnsituation einzelner Familien, integrationshemmende Faktoren (öffentliche Gebäude, öffentliche Räume, öffentliche Verkehrsmittel,...), die den Alltag von Familien mit Kindern mit geistiger und körperlicher Behinderung mehr oder weniger bestimmen. Die Möglichkeiten, die eine Familie hat, um auf diese Hemmnisse zu reagieren, beurteilen die befragten ExpertInnen als sehr unterschiedlich. Für alle ExpertInnen ausschlaggebend für einen günstigen Verlauf der Problemlösungskompetenzen für betroffene Familien erscheint der Umgang mit Familien von Geburt des Kindes an. Eine möglichst frühe und intensive Begleitung und Betreuung betroffener Familien, die sich im Laufe der Entwicklung des Kindes fortsetzt und vor allem auch die Bedürfnisse der Eltern und Bezugspersonen mit einschließt wird von allen ExpertInnen als wichtig erachtet. Ebenso die Tatsache, dass das Angebot in diesem Bereich nicht ausreichend vorhanden ist. Der Blick auf die oft sehr problematische Situation betroffener Mütter erscheint hier als sehr wichtig und institutionelle Unterstützungsangebote sollten auf ihre Situation abgestimmt werden. Weiters besteht aus ExpertInnensicht der Wunsch nach dem Ausbau gezielter und professioneller Kinder- und Jugendbetreuung im freizeitpädagogischen Bereich. Das, auf die besonderen Bedürfnisse der Kinder abgestimmte Betreuen durch Dritte, ermöglicht nicht nur die sehr oft notwendige Linderung einer „Betreuungsnotsituation“ für betroffene Familien, es schafft ihnen auch den nötigen Freiraum, sich ihren Beziehungsstrukturen widmen zu können (Partnerschaft, Geschwisterkinder). Betroffenen Kindern und Jugendlichen wird das Erleben des Erwachsenwerdens ermöglicht, das mit Ablösung von der Familie auch in der Freizeit unumgänglich verbunden sein muss. Interessant erscheint die Tatsache, dass ExpertInnen in ihren Ausführungen über Unterstützungsmöglichkeiten im sozialräumlichen Umfeld betroffener Familien deren finanzielle Situation beinahe gänzlich außer Acht lassen. Die gezielte Unterstützung betroffener Familien und der Ausbau des Betreuungs- und Informationsnetzes für Kinder und Jugendliche wird von den befragten ExpertInnen als Grundlage zur Weiterentwicklung der Integration gesehen.

Teil C: RESÜMEE Die vorliegende Studie rückt erstmals Kinder mit geistiger Behinderung und deren Familien in den Fokus des Interesses. Zielsetzung war es, die Auswirkungen, der durch die Behinderung bedingten Auffälligkeiten auf das sozialräumliche Umfeld und den Erfahrungshorizont dieser Familien zu explorieren. Der qualitative Zugang zur Bearbeitung der Forschungsfragen liefert zum einen sehr authentische Ergebnisse, zum anderen können daraus aber keine Ursachen für bestimmte Verhaltensweisen abgeleitet werden. Innovativ war der Zugang zu diesem Gebiet vor allem durch das Instrument der teilnehmenden Beobachtung. Die Interviews mit den Bezugspersonen und ExpertInnen runden die Ergebnisse ab und bilden so einen großen Bereich des Erlebens und Erfahrens der Familien ab. Überraschende Ergebnisse fanden sich dahingehend, dass die geistige Behinderung doch als sehr ungewöhnlich und fremd in der Öffentlichkeit angesehen wird. Den betroffenen Kindern und ihren Familien wird mit großer Distanz begegnet, wobei unklar ist, ob diese nicht ausgesprochen negative Haltung Höflichkeit oder Gleichgültigkeit zum Ausdruck bringt.

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Auch war unvermutet, dass die Bezugspersonen psychische Abwehrhaltungen nach außen entwickelt haben und bestimmte Sozialräume aus Unsicherheit meiden. Interessant war, dass die befragten ExpertInnen eine sehr klare Sicht auf die Problemfelder dieser Familien haben und sich ihre Aussagen in weiten Teilen mit denen der Eltern und den Beobachtungen decken. Das bedeutet, dass die Schwierigkeiten sehr klar eingegrenzt und bewusst sind, es aber an Potential zur Problemlösung fehlt. In den Interviews wurde deutlich, dass Familien, bedingt durch das „Nicht Entsprechen der Norm“ ihrer Kinder psychisch belastet sind. Diese Familien zeigen eine latente Meidung des sozialräumlichen Umfelds. Diese Vermeidung konnte durch die Beobachtungen und anschließenden Interviews auch eindeutig mit der Behinderung des Kindes in Zusammenhang gebracht werden. Indirekt konnte dieser Umstand auch aus der Tatsache erschlossen werden, dass es im Vorfeld der Beobachtungen bei diesen Familien sehr schwierig war, Beobachtungssituationen im Sozialraum zu vereinbaren, da außer Einkauf und Arztbesuch die Freizeitgestaltung zum Großteil in der eigenen Wohnung passiert. Diese Vermeidung scheint sich auch auf das engere Wohnumfeld zu erstrecken, was sich darin zeigt, dass man keinem Nachbarn den Kontakt mit dem Kind zumutet und man sich sogar im Notfall scheuen würde, um Hilfe zu bitten. Weitere Gründe für diese Meidung werden auch mit dem erhöhten Organisationsaufwand, finanziellen Gründen und der großen Anstrengung, die gewisse Aktivitäten mit sich bringen erklärt. ExpertInnen, die sich im Feld der unterstützenden Beratung von betroffenen Familien bewegen fordern aus diesen Gründen konkrete Hilfestellung in der Informationsbeschaffung über Angebote, die für diese Familien geeignet sind und genutzt werden können. Es besteht von ExpertInnenseite die konkrete Annahme, dass die Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche mit Behinderung nicht in ausreichender Form vorhanden sind und dort, wo vorhanden nicht entsprechend beworben werden. Reaktionen aus dem sozialräumlichen Umfeld bilden ein breites Spektrum zwischen positivem und negativem Verhalten ab, wobei der Schwerpunkt bei neutraler Distanz liegt. Diese neutrale Distanz bedeutet aber nicht, dass dem Kind und der Bezugsperson keine Aufmerksamkeit geschenkt wird. Im Gegenteil, diese Familien sind im Sozialraum ständiger Beobachtung ausgesetzt - im schlimmsten Fall durch ununterbrochenes oder wiederholtes Anstarren. Dieser Umstand stellt eine große Belastung für die betroffenen Familien dar und trägt zur Unsicherheit bei. Die wichtigsten Erkenntnisse dieser Studie liegen in einem gravierenden Informationsdefizit und dem Bedürfnis nach mehr Unterstützung, sowohl im Sinne von Betreuung als auch in beratender und finanzieller Hinsicht. Die Integration der untersuchten Familien ist in Teilbereichen des Lebens zu erkennen, aber noch nicht in einem wünschenswerten Ausmaß. Zur Verbesserung der Integration und somit der Situation der betroffenen Familien generell müssen mehr Angebote an die Familien herangetragen werden und die Informationssuche muss den Eltern erleichtert werden. Zusätzliche Faktoren, die entlasten können liegen in einem Ausbau der Betreuungsmöglichkeiten, wie z.B. Kurzzeitbetreuung, Tagesbetreuung, Wochenendbetreuung, Ferienlager, Freizeitassistenz, Krankenschwestern zur Bewältigung des Alltags u.a.m. ExpertInnen, die in jenen Bereichen tätig sind, wissen um den Mangel an Angeboten oder dem Fehlen von ausreichenden Plätzen zur Teilnahme an bereits vorhandenen Betreuungsmöglichkeiten und fordern mehr Angebot und Übersicht. Grundsätzlich sollte Behinderung an sich in der Öffentlichkeit mehr Präsenz erfahren. Das würde die soziale Einbettung von behinderten Menschen in die Gesellschaft wesentlich

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erleichtern. Wichtig erscheint auch noch zu erwähnen, dass dabei den Bedürfnissen der Menschen entsprechend agiert werden muss und Integration nicht mit Assimilation verwechselt werden darf. Als letzter Punkt soll noch erwähnt werden, dass es von großer Wichtigkeit ist, die Ressourcen und Kompetenzen zu stärken, die Familien mitbringen, wenn es darum geht, ihnen Unterstützung zu geben.

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Teil D: Glossar Geistige Behinderung Grundsätzlich unterscheidet man in der Definition dieses Begriffes zwischen einem vor- oder nachgeburtlichen Trauma oder einer Fehlentwicklung. Im Zusammenhang mit dem Menschenbild einer Gesellschaft gibt es unterschiedliche Herangehensweisen an diese entstandenen Schädigungen. Die Entwicklung der Ansicht von „normal“ und „nicht normal“ in einer Gesellschaft liegt der Klassifizierung als geistig behindert zugrunde, nicht der tatsächliche intellektuelle Zustand eines Menschen. Stigmatisierung Ein Stigma (Zeichensetzung) wurde (Zurückverfolgung des Begriffes bis in die griechische Antike) jenen Menschen zum Schicksal, die durch besondere, unter Anderem durch äußerlich zu sehende Merkmale ein anderes Erscheinungsbild aufwiesen. Meist wurden bestimmte Zeichen in den Körper der Menschen eingebrannt oder geschnitten, um sie für ihre Umwelt eindeutig erkenntlich zu machen. (vgl. Goffman 1996, S.9). Der Wunsch, Andersartigkeit zu kennzeichnen, um sie zu würdigen, sie auszugrenzen oder sogar zu vernichten ist bis zum heutigen Tag spürbar. Sozialräumliches Umfeld Als sozialräumliches Umfeld versteht sich die Umgebung eines Menschen und damit seine systemischen Verknüpfungen auf den Ebenen des Mikro- Meso- und Makrosystems. Jene Ebenen, die den Menschen in seinem alltäglichen Leben umgeben und das physische und psychische Feld, das sie bilden, werden hier „sozialräumliches Umfeld“ genannt. Integration Integration ist ein, vor allem in der Sozialwissenschaft sehr breit gefächerter Begriff, der voraussetzt, dass etwas oder jemand, der separiert wird oder wurde auch wieder in eine gesellschaftliche Struktur eingegliedert werden kann. Dieser Begriff wurde, gerade in der Pädagogik immer wieder mit einem „Sich anpassen“ müssen derjenigen, die „eben nicht mitkommen“ gleichgesetzt und sieht sich zum heutigen Zeitpunkt massiver Kritik ausgesetzt. Im Zusammenhang mit der Studie wird der Begriff der Integration als „wieder zurückführen“ zu einer gewissen Normalität mit dem Recht auf Teilnahme an einem „normalen Leben“ verstanden. Spezifische Verhaltensweisen In den Beobachtungen werden häufig spezifische Verhaltensweisen der Kinder genannt. Damit sind verbale, motorische und orale Stereotypien gemeint.

Links/Informationsstellen Für Familien mit einem Kind mit geistiger Behinderung, stellen sich viele Fragen: wo gibt’s Informationen über Hilfestellungen?, welche/r Ärztin/Arzt oder welches Krankenhaus hilft weiter?, welche Therapiemöglichkeiten gibt es?, wo gibt’s finanzielle Unterstützung, u.v.a.m. Die folgende Auflistung gibt einen Überblick über häufig aufgerufene Seiten im Internet – ein Medium, das von allen befragten Familien als Informationsquelle genannt wurde.

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www.fsw.at/Behinderung www.bundessozialamt.at Links zu einzelnen Bereichen: MOBILITÄT Fahrtendienst: www.fsw.at/Behinderung/Mobilität_und_Freizeit/fahrtendienst.htm dazu auch: www.sozialinfo.wien.at (hier gibts sicher auch Nützliches zu anderen Bereichen - z.B.: Gebührenermäßigungen; Parkplätze etc.) Zum Thema "Auto und Behinderung": www.help.gv.at/Constant.Mode/126/Seite.1260100.htm Parkplätze: www.wien.gv.at/verkehr/organisation/service/behindertenparkplätze/#inhalt PFLEGE Pflegegeld: http://service.sozialversicherung.at/eSV/container.nsf/launchpdfview/8311E5DB953CF538C1 256CCD00404FA5/$FILE/0314.pdf Pflegevorsorge Österreich: www.bmsg.gv.at Rezeptgebühr: http://service.sozialversicherung.at BEHINDERT LEBEN IN WIEN Behindertenberatung: www.fsw.at (also Fonds Soziales Wien - s.o.) Behindertenanwaltschaft: www.behindertenanwaltschaft.gv.at Internet-Information-Öffentliche WC-Anlagen: www.wien.gv.at/ma48/wc/index.htm#inhalt Ninlis, Verein gegen sexuelle Gewalt an Frauen mit Lernschwierigkeiten oder Mehrfachbehinderungen: www.ninlis.at Literatur von-für-über Frauen mit Behinderung: www.behinderte.de/frau/hlbf/sexgew/htm www.behinderung.org/all-info.htm Zentrum für Kompetenzen, Beratungsstelle für behinderte Menschen: www.zfk.at Zeitschrift: "DOMINO": www.zfk.at/service-domino.html Referat Begutachtung und Koordinationsstelle ARGE Frühförderung, Fachbereich Behindertenarbeit: wieder www.fsw.at Persönliche Assistenz: wieder www.fsw.at Service4u, Info - Datenbank für behinderte Menschen - BIZEPS / Internetaktivitäten im Behindertenbereich bündeln: www.service4u.at; www.bizeps.at Wiener Assistenzgenossenschaft (WAG), für behinderte Menschen: www.wag.or.at Therapie-Institut Keil, Gemeinnützige GmbH (Einzel- und Gruppenförderung; Frühförderung etc.): www.institutkeil.at Arbeitsassistenz, WIN - Wienerintegrationsnetzwerk: www.win.or.at faktor i; Informationszentrum für junge Menschen mit Handicap, Verein WUK: www.faktori.wuk.at Jugend am Werk, Begleitung von Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung: www.jaw.at Mobile Frühförderung, Wiener Sozialdienste - Frühförderung und Begleitung: www.wiso.or.at Gemeinsam Leben - Gemeinsam Lernen - Integration Wien, Verein: www.integrationwien.at

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Die Lebenshilfe Wien, Verein für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung: www.dielebenshilfe.at GIN, Verein, Assistenz und Begleitung für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung: www.gin.at www.komit.at FREIZEIT Ferien für Kinder und Jugendliche mit Behinderung: www.wien.kinderfreunde.at Das Österreichische Jugendrotkreuz: www.jrk.at Die Caritas: www.caritas.at Spielothek, Wiener Hilfswerk: www.hilfswerk.at Stiftung Kindertraum: www.kindertraum.at Generell ist hier zu erwähnen, dass das Einholen von Informationen im Internet ohne Vorhandensein des Mediums am Wohnort der betroffenen Personen nur mit einem Mehraufwand möglich ist. Das Recherchieren im Internet erfordert weiters Zeit und die Möglichkeit, sich mit Konzentration dem Medium zu widmen. Familien in akuten oder auch chronisch belastenden Situationen werden womöglich erschwert Gelegenheiten finden, Informationen auf diesem Weg in ausreichender Form zu erlangen. Es existieren auch Plattformen (www.behinderung.at), die es UserInnen möglich machen sollen, auf „einen Blick“ mögliche Angebote zu erhalten. Aber auch diese Form der Informationsbeschaffung erscheint langwierig und problematisch für Personen, die Informationen womöglich in einer Notsituation brauchen. Grundsätzlich kann gesagt werden, dass betroffene Personen, die im Zusammenhang mit diesem Medium kaum Erfahrung haben, beim Einholen von Informationen im Internet Unterstützung brauchen.

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Literaturverzeichnis Antor, G. / Bleidick, U. (2001). Handlexikon der Behindertenpädagogik. Schlüsselbegriffe aus der Theorie und Praxis. Stuttgart: Kohlhammer. Flick/Uwe (2002): Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung. Reinbeck bei Hamburg: rowohlts Enzyklopädie Boban, I. / Hinz, A. (2003). Index für Inklusion. Lernen und Teilhabe in der Schule der Vielfalt entwickeln. Halle-Wittenberg: Martin Luther Universität. Bortz J. und Döring, N. (2002). Forschungsmethoden und Evaluation. Berlin: Springer. Cloerkes, G. (2001). Soziologie der Behinderten. Eine Einführung. Heidelberg: Universitätsverlag C. Winter Heidelberg GmbH. Dworschak, W. (2004). Lebensqualität von Menschen mit geistiger Behinderung. Theoretische Analyse, empirische Erfassung und grundlegende Aspekte qualitativer Netzwerkanalyse. München: Klinkhardt, Dissertation. Huber, G. L. / Mandl, H. (1982). Verbale Daten. Eine Einführung in die Grundlagen und Methoden der Erhebung und Auswertung. Weinheim und Basel: Beltz Schoenwiese, V. (5/2005). Perspektiven der Disability Studies. Behinderte: In Familie, Schule und Gesellschaft, S. 18-21. Zimbardo, P. G. und Gerrig, R. J. (1999). Psychologie. Berlin: Springer

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Teil E: ANHANG Beobachtungsschema Lamnek (2005) empfiehlt ein partiell strukturiertes Beobachtungsschema, wenn ForscherInnen und BeobachterInnen nicht identisch sind. Ein vorgefertigter Beobachtungskatalog verhindert Unsicherheiten in der Beobachtung und Aufzeichnung. Zudem werden die Beobachtungen gleich unter dem Aspekt notiert, der für die Auswertung der Daten und Überprüfung der Hypothesen relevant ist. 1. WOHNSITUATION a) Größe der Wohnung ¾

Wie groß ist die Wohnung (in Quadratmetern)?

¾

Ist die Wohnung in Relation zu den Familienmitgliedern groß genug?

¾

Hat das Kind genügend Bewegungsfreiheit?

¾

Hat das Kind ein eigenes Zimmer bzw. eine Rückzugsmöglichkeit?

¾

Hat das Kind Zugang zu allen Räumen? Was sind die Gründe, wenn das Kind nicht Zugang zu allen Räumen hat?

¾

SONSTIGE BEOBACHTUNGEN

b) Lift ¾

Ist ein Lift vorhanden?

¾

Wenn nicht, wäre ein Lift notwendig (bezogen auf die Behinderung des Kindes)?

¾

SONSTIGE BEOBACHTUNGEN

c) Hof ¾

Ist ein Hof vorhanden?

¾

Wenn ja: Beschreibung des Hofs (was ist vorhanden: Spielmöglichkeiten, Sandkiste, Sitzplätze etc.).

¾

Darf der Hof von den Mietern benutzt werden?

¾

Wird der Hof von der Familie genutzt? Wenn nein, warum wird der Hof nicht genutzt? Gibt es alternative Angebote (z.B. Spielzimmer im Haus?).

¾

Wenn der Hof von der Familie genutzt wird: Wird das von den Nachbarn akzeptiert? Ist die Anwesenheit der Familie im Hof erwünscht? Gibt es Beschwerden (Lautstärke etc.)?

¾

SONSTIGE BEOBACHTUNGEN

d) Nachbarschaft ¾

Gibt es von Seiten der Nachbarn Beschwerden über die Familie (z.B. Lautstärke)?

¾

Wenn es Beschwerden gibt, wie erfährt die Familie davon (von den Nachbarn selbst, Hausmeister etc.)?

¾

Wie wird mit Beschwerden von Seiten der Nachbarn umgegangen (Gespräch, ignoriert etc.)?

¾

Traut sich die Familie bei den Nachbarn klopfen, wenn Hilfe benötigt wird? Wenn ja, wird dann geholfen?

¾

Wird von den Nachbarn Hilfe auch ohne Nachfrage angeboten?

43

¾

Wie wirkt das Verhältnis zu den Nachbarn (angespannt – entspannt; freundlich – unfreundlich; etc.)?

¾

SONSTIGE BEOBACHTUNGEN

2. ANBINDUNG UND BENUTZUNG ÖFFENTLICHER VERKEHRSMITTEL ¾

Werden öffentliche Verkehrsmittel genutzt? Wenn nicht, welche Alternativen nutzt die Familie (z.B. Auto)?

Wenn öffentliche Verkehrsmittel genutzt werden: ¾

Welche öffentlichen Verkehrsmittel werden (meistens) genutzt (Bus, U-Bahn, Straßenbahn, SBahn) und gibt es außer der Nähe zur Wohnung noch andere Gründe für die Bevorzugung einer bestimmten Art von Verkehrsmittel?

¾

In welcher Entfernung gibt es die nächste Einstiegsmöglichkeit?

¾

Wie lässt sich der Weg zur nächsten Einstiegsmöglichkeit beschreiben (gut erreichbar oder beschwerlich)?

¾

Beschreibung der Einstiegs- und Ausstiegssituation (Keine Probleme, beschwerlich, wird Hilfe angeboten).

¾

Wie wird die Lautstärke des Kindes vom Umfeld wahrgenommen und welche Reaktionen gibt es darauf (verbal und nonverbal)?

Verhalten des Kindes ¾

Grundstimmung

-

Ausgeglichen

-

traurig, gedrückt, ängstlich

-

gesteigert, heiter, ausgelassen

¾

Emotionale Ausdrücke

-

Lachen, weinen, neutraler Ausdruck etc.

¾

Motorik

-

Ruhig – unruhig

¾

Verbalisieren der Stimmung

-

Aufzeichnung der Verbalisierung

¾

Nonverbale Äußerungen

-

Paralinguistik (Stimme, Tonfall, Sprechdauer, Schweigen etc.)

-

Gesichtsausdruck

-

Blickkontakt (Blickrichtung, Dauer des Anblickens oder Abwendens, Zusammenhang mit anderen verbalen oder nonverbalen Verhaltensmustern)

-

Körperbewegung

-

Räumliche Distanz ( Abstände zwischen Personen und deren Variation in der Zeit und mit den kommunizierten Inhalten)

-

Taktile Kommunikation (Ausmaß der Berührung anderer; Ausmaß und Dauer)

44

¾

Direkter Bezug – Bezugsperson

Blickkontakt, Kontaktverhalten, Bindung – sucht

-

bei Unsicherheit bei der Bezugsperson Schutz..... ¾

Überraschende Verhaltensäußerungen

nicht-vorhersehbare Reaktionen (z.B.

-

weglaufen, Zuwendung zu fremden Personen, auto- oder fremdaggressives Verhalten)

¾

-

Ursachen (wenn beobachtbar)

-

Ist die Reaktion nachvollziehbar?

Frustration (z.B. wenn ein Wunsch

-

Wie ist es zur Frustration gekommen?

verweigert wird

-

Ist die Frustration nachvollziehbar?

-

Wie geht das Kind mit Frustration um?

-

Wie reagieren andere (Eltern, Bezugspersonen, Freunde etc.) mit der Frustration des Kindes um?

¾

Kontaktverhalten zu Fremden

überängstliches Verhalten vs. fehlende soziale

-

Distanz? etc.

-

¾

SONSTIGE BEOBACHTUNGEN

Verhalten der Eltern bzw. der Bezugspersonen ¾ Welcher Elternteil ist dabei? ¾

Grundstimmung

-

ausgeglichen

-

traurig, gedrückt, ängstlich

-

gesteigert, heiter, ausgelassen

-

frustriert, genervt

¾

Verbale Äußerungen

-

Aufzeichnung der Äußerung

¾

Frustration

-

Frustrationstoleranz (niedrig oder hoch)

-

Auslöser für die Frustration

-

Bewältigungsverhalten

-

Wird auf die Bedürfnisse des Kindes

¾

Verhältnis zum Kind

eingegangen oder werden diese ignoriert?

¾

Reaktionen auf das Umfeld

-

Freundlicher oder unfreundlicher Umgang?

-

Sonstiges

-

Freundlich – unfreundlich; neutral, aggressiv, frustriert

-

¾

SONSTIGE BEOBACHTUNGEN

45

Angemessenheit der Reaktion

Konflikte ¾ Konflikte zwischen Eltern (Bezugsperson) und Kind? Wodurch entstehen diese Konflikte und Bewältigungsstrategien? ¾

Welche Konflikte mit dem Umfeld lassen sich beobachten?

¾

Wie entstehen diese Konflikte?

¾

Lässt sich die Ursache für den Konflikt beobachten?

¾

Wer ist in den Konflikt involviert?

¾

Wie gehen die Beteiligten (Eltern, Kind(er) und Umfeld) mit dem Konflikt um?

¾

Welche Bewältigungsstrategien lassen sich beobachten?

¾

Beschreibung der Intensität des Konflikts?

¾

SONSTIGE BEOBACHTUNGEN

Reaktionen im Umfeld ¾ Aufzeichnung der Reaktionen ¾

Wird Hilfe gegeben, wenn darum gebeten wird bzw. wird Hilfe auch freiwillig angeboten (z.B. eine Sitzmöglichkeit anbieten).

¾

Wird die Behinderung des Kindes erkannt und dementsprechend reagiert (Hilfe oder auch negative Reaktionen – abwenden usw.)

¾

Lassen sich unvorhersehbare Reaktionen des Umfelds beobachten (z.B. Geschenke oder auch negative Reaktionen wie stoßen, rempeln etc.)

¾

Reaktionen, die ohne jedes Zutun von Eltern und Kind entstehen (z.B. aufgrund äußerlicher Eigenschaften des Kindes).

¾

Werden die Eltern konkret auf die Behinderung ihres Kindes angesprochen?

¾

SONSTIGE BEOBACHTUNGEN

3. FREIZEITGESTALTUNG – REGELMÄßIGE BENUTZUNG ÖFFENTLICHER ANLAGEN ¾

Beispiele: Spielplatz, Tiergarten, Schwimmbad, Park, Kino, Wald, Sonstiges ⇒ Klärung durch Anamnese)

¾

Werden öffentliche Anlagen zur Freizeitgestaltung genutzt?

¾

Welche Anlagen werden genutzt und warum diese?

¾

Was spricht gegen andere Anlagen zur Freizeitgestaltung?

¾

Gab es eine Empfehlung, eine bestimmte Anlage zu besuchen? Wer hat die Empfehlung gegeben?

¾

Beschreibung der räumlichen Gegebenheiten dieser Anlagen.

¾

Erreichbarkeit / Weg dorthin.

¾

Wer begleitet das Kind üblicherweise?

¾

Wie oft findet sich für Freizeitaktivitäten Zeit?

¾

Reaktionen der Umgebung gegenüber Eltern und Kind (verbal und nonverbal). Auch Reaktionen, die ohne jedes Zutun von Eltern und Kind entstehen (z.B. aufgrund äußerlicher Eigenschaften des Kindes).

¾

Wird Hilfe angeboten (freiwillig bzw. auf Nachfrage)?

46

¾

Wird die Behinderung des Kindes erkannt bzw. werden die Eltern oder das Kind darauf angesprochen?

¾

Verhalten des Kindes (Liste s.o.)

¾

Verhalten der Eltern bzw. der Bezugspersonen (Liste s.o.)

¾

Konflikte (Liste s.o.)

¾

SONSTIGE BEOBACHTUNGEN

¾ 4. NICHT-ALLTÄGLICHE FREIZEITAKTIVITÄTEN DER FAMILIE ¾

z.B. Restaurantbesuche, Kino ⇒ Klärung durch Anamnese

¾

Gibt es diese Art von Aktivitäten? Wenn nicht, was behindert die Durchführung?

¾

Was wird mit dem Kind unternommen?

¾

Wer ist dabei?

¾

Wie oft werden diese Aktivitäten durchgeführt)

¾

Erreichbarkeit – Weg zur Lokalität (beschwerlich oder gut erreichbar)

¾

Beschreibung der Umgebung, in der die Aktivität stattfindet.

¾

Wie oft findet sich dazu Zeit?

¾

Gab es eine Empfehlung für diese Art der Freizeitaktivität und wenn ja, von wem?

¾

Verhalten des Kindes (Liste s.o.)

¾

Verhalten der Eltern (Liste s.o.)

¾

Konflikte (Liste s.o.)

¾

Reaktionen im Umfeld (Liste s.o.)

¾

SONSTIGE BEOBACHTUNGEN

5. ALLTAGSSITUATIONEN a) Arztbesuche ¾

Wie oft muss das Kind zum Arzt? Regelmäßig (z.B. aufgrund der Behinderung oder anderer Krankheiten) oder eher selten?

¾

Verhalten des Kindes (Liste s.o.)

¾

Verhalten der Eltern (Liste s.o.)

¾

Konflikte (Liste s.o.)

¾

Reaktionen im Umfeld, z.B. im Wartezimmer (Liste s.o.)

¾

SONSTIGE BEOBACHTUNGEN

b) Einkaufen ¾

Alltäglicher (z.B. Lebensmittel) vs. Nicht-alltäglicher Einkauf (z.B. Möbel, Tiere)?

¾

Bei welchen Einkäufen wird das Kind mitgenommen und bei welchen nicht (Gründe angeben)?

¾

Verhalten des Kindes (Liste s.o.)

¾

Verhalten der Eltern (Liste s.o.)

¾

Konflikte (Liste s.o.)

¾

Reaktionen im Umfeld (Liste s.o.)

47

¾

SONSTIGE BEOBACHTUNGEN

c) Entwicklungsgegebenheiten (z.B. Therapien, Förderungen, Nachhilfe etc.) ¾

Welche Therapien werden genutzt (Anamnese)?

¾

Wie kommt das Kind hin? Erreichbarkeit?

¾

Wer führt die Therapie (od. Sonstiges) durch)?

¾

Wie sind die Eltern darauf gekommen? Wurde eine bestimmte Therapie empfohlen?

¾

Verhalten des Kindes (Liste s.o.)

¾

Verhalten der Eltern (Liste s.o.)

¾

Konflikte (Liste s.o.)

¾

Reaktionen im Umfeld (Liste s.o.)

¾

SONSTIGE BEOBACHTUNGEN

d) Ev. Beobachtung der Lern- und Essenssituation ¾

Lernsituation: Wer lernt mit dem Kind? Verhalten von Eltern und Kind (Listen s.o.). Konflikte zwischen Eltern und Kind.

¾

Essensituation

¾

Isst die ganze Familie gemeinsam? Verhalten und Konflikte zwischen Eltern und Kind.

¾

SONSTIGE BEOBACHTUNGEN

6. UNVORHERGESEHENE NOTFÄLLE ¾

Was ist passiert?

¾

Passiert das öfter?

¾

Wer hilft?

¾

Verhalten des Kindes (Liste s.o.)

¾

Verhalten der Eltern (Liste s.o.)

¾

Konflikte (Liste s.o.)

¾

Reaktionen im Umfeld (Liste s.o.)

¾

SONSTIGE BEOBACHTUNGEN

7. FREUNDE, BEZUGSPERSONEN ¾

Gibt es Freunde oder Bezugspersonen?

¾

Inwieweit sind diese Personen ins Familienleben involviert?

¾

Wer ist das?

¾

Wie ist der Kontakt entstanden?

¾

Intensität des Kontakts

¾

Verhalten dieser Person, wenn sie mit dem Kind zusammen ist (Liste wie bei Verhalten der Eltern bzw. der Bezugspersonen)

¾

Verhalten des Kindes (Liste s.o.)

¾

Konflikte (Liste s.o.)

¾

SONSTIGE BEOBACHTUNGEN

48

8. AUßERFAMILIÄRE AKTIVITÄTEN DES KINDES? ¾

Klärung ev. schon in Anamnese (z.b. Besuch bei Freunden)

¾

Gibt es außerfamiliäre Aktivitäten des Kindes? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, welche?

¾

Transport dorthin

¾

Wie ist der Kontakt entstanden?

¾

Wie lang besteht der Kontakt schon?

¾

Wie häufig besteht Kontakt?

¾

Verhalten des Kindes (Liste s.o.)

¾

SONSTIGE BEOBACHTUNGEN

9. SCHULWEG ¾

Wie kommt das Kind in die Schule (Auto, öffentliche Verkehrsmittel, Fahrtendienst, Sammelfahrten etc.)? Klärung durch Anamnese.

¾

Wer begleitet das Kind?

¾

Uhrzeit

¾

Verhalten des Kindes (Liste s.o.)

¾

Verhalten der Eltern (Liste s.o.)

¾

Konflikte (Liste s.o.)

¾

Reaktionen im Umfeld (Liste s.o.)

¾

Einstiegs- und Ausstiegssituation

¾

Von wem wird das Kind in der Schule bzw. zu Hause übernommen?

¾

SONSTIGE BEOBACHTUNGEN

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