Individuelle Lernpotenziale erkennen und wecken

Individuelle Lernpotenziale erkennen und wecken Prof. Dr. Elmar Souvignier Institut für Psychologie in Bildung und Erziehung Individuelle Lernpote...
Author: Hertha Salzmann
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Individuelle Lernpotenziale erkennen und wecken

Prof. Dr. Elmar Souvignier

Institut für Psychologie in Bildung und Erziehung

Individuelle Lernpotenziale

Individuelle Lernpotenziale erkennen und wecken

Elmar Souvignier

Individuelle Lernpotenziale, 14.3.2012

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Gliederung

Individuelle Lernpotenziale erkennen und wecken 1. Diagnostik und individuelle Förderung

2. Lernberatung und Coaching 3. Individuelle Förderung im Unterricht

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Wen würden Sie dran nehmen?

Fatima (11): eher schwache Unterrichtsbeiträge, schnell beleidigt bei Nicht-Berücksichtigung

Ellen (10): zeigt sehr selten auf, durchwachsene Beiträge, spricht sehr leise

Julian (11): ein schwacher Schüler, meldet sich dennoch fast immer, Beiträge behindern den Unterrichtsprozess

Herr Müller: Erdkundeunterricht, Klasse 5: Klassenlehrer Michael(10): ein sehr guter Schüler, qualitativ hochwertige Beiträge, zeigt fast immer auf

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1. Diagnostik und individuelle Förderung

1. Diagnostik und individuelle Förderung Wirksamer Unterricht muss an den individuellen Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler ansetzen.  Notwendigkeit, Informationen über Schülerinnen und Schüler zu haben

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1. Diagnostik und individuelle Förderung

Einschätzung von Schülerleistungen Erhebung der Lesekompetenz bei n = 754 Drittklässlern Testverfahren: ELFE 1-6 Lehrereinschätzungen der Leseleistungen (sehr gut – sehr schlecht)

Ergebnis ELFE 1-6:

gute Schüler (n = 140)

schwache Schüler (n = 109)

Lehrerein-

gut

99%

23%

schätzungen

schlecht

1%

56%

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1. Diagnostik und individuelle Förderung

Was kann diagnostische Information bewirken? • Vom reinen Testen wird kein Schüler schlau!

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1. Diagnostik und individuelle Förderung

Diagnostische Kompetenz und Lernerfolg

(Helmke & Schrader, 1987)

24 Schulklassen; Erfassung der diagnostischen Kompetenz und Feststellung der Unterrichtsqualität (individuelle Unterstützung) 2 1,5 1 0,5

niedrige diagnostische Kompetenz hohe diagnostische Kompetenz

0 -0,5 -1 -1,5 -2 -2,5 wenig individuelle Unterstützung

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viel individuelle Unterstützung

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1. Diagnostik und individuelle Förderung

Effekte diagnostischer Information zum Lernverlauf Grundidee:  Dokumentation der Lernverläufe durch wiederholte Messungen

Schülerplattform: Testdurchführung und Ergebnisrückmeldung

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Lehrerplattform: Schülerverwaltung und Ergebnisse

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1. Diagnostik und individuelle Förderung

Effekte der Lernverlaufsdiagnostik auf die Lesekompetenz Zuwächse Leseverständnis (HAMLET) 3 2

1 0

KG 13 Klassen n = 253

quop 15 Klassen n = 307

Effektstärke: quop vs. KG: d = 0.23 Elmar Souvignier

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1. Diagnostik und individuelle Förderung

1. Diagnostik und individuelle Förderung - Zwischenfazit • Diagnostische Informationen sind wichtig für wirksames pädagogisches Handeln und gezielte individuelle Förderung. • Untersuchungen zeigen, dass insbesondere die Einschätzung leistungsschwacher Schülerinnen und Schüler schwierig ist. • Lehrkräfte mit hoher diagnostischer Kompetenz bewirken überlegene Lernzuwächse, wenn sie individualisierte Unterstützung geben • Die Bereitstellung diagnostischer Information für Lehrkräfte bewirkt eine Verbesserung von Lernzuwächsen

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2. Lernberatung und Coaching

2. Lernberatung und Coaching 2.1 Beispiel 1: Lesesportler – Trainingsgespräche 2.2 Beispiel 2: Kompetenzraster

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2. Lernberatung und Coaching

2.1 Lesesportler - Trainingsgespräche a) Standardisierte Lesetests zu Beginn des Schuljahrs b) Vermittlung zweier Methoden zur Leseförderung in Paaren - Repeated Reading – Lautlesemethode zur Förderung der Lesegeschwindigkeit - Lesestrategien zur Förderung des Leseverständnisses

c) Individuelle Trainingsgespräche zur Festlegung von „Trainingspartnern“

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2. Lernberatung und Coaching

Nutzung diagnostischer Informationen

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2. Lernberatung und Coaching

2.1 Der Trainingsplan •… soll motivieren und das Lesetraining strukturieren.

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2. Lernberatung und Coaching

2.1 Das Trainingsgespräch • … ist eine gemeinsame Absprache, welche Methode und welche Stufe für jeden Schüler individuell geeignet sind. • … ist eine gemeinsame Reflexion des Leseprozesses. • … fördert die Verantwortlichkeit für das eigene Lesetraining.

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2. Lernberatung und Coaching

2.2 Kompetenzraster (Reflexion und Planung individuellen Lernens) Kompetenzraster dienen der inhaltlichen Beschreibung, a) in welchen Inhaltsgebieten b) welche Lernniveaus erreicht wurden.

Einsatzmöglichkeiten a) Selbsteinschätzung durch Schüler b) Rückmeldung an Schüler, Kommunikation c) Schülerbeurteilung

Ausgangspunkt sind die Bildungsstandards. N1

N2

N3

N4

N5

Inhalt 1 Inhalt 2

Inhalt 3

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2. Lernberatung und Coaching

Leitidee Zahl

A 1.1

A 1.2

A 1.3

A 2.1

A 2.2

Ich kann mit natürlichen Zahlen rechnen

Ich kann Bruchzahlen und Dezimahlzahlen darstellen und vergleichen

Ich kann Bruchzahlen und Dezimahlzahlen multiplizieren und dividieren

Ich kann rationale Zahlen darstellen, vergleichen und mit ihnen rechnen

Ich kann Zahlen der Situation angemessen darstellen, auch mit Zehnerpotenzen. Ich kann Quadratwurzeln in Sachzusammenhängen nutzen

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B 1.1 Ich kann rationale und irrationale Zahlen unterscheiden und mit ihnen rechnen

B 1.2 Ich kann an Beispielen den Zusammenhang zwischen Rechenoperationen (z.B. Potenzieren) und deren Umkehrungen erklären und nutzen

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2. Lernberatung und Coaching

Kompetenzraster

Lesen

Stufe 1

Stufe 2

Stufe 3

Stufe 4

Stufe 5

Informationen heraussuchen; Hauptthema erkennen

einfache Schlussfolgerungen ziehen; etwas Allgemeinwissen anwenden

Zusammenhänge zwischen Textteilen herstellen

Heraussuchen eingebetteter Information; kritische Bewertung

Organisieren mehrerer Informationen in unvertrauten Texten; Ineinklangbringen von Konzepten

Schreiben Sprechen

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2. Lernberatung und Coaching

Kompetenzraster Stufe 1

Stufe 2

Stufe 3

Stufe 4

Stufe 5

Arithmetik/ Algebra

Beschreibung K1

Beschreibung K2

Beschreibung K3

Beschreibung K4

Beschreibung K5

Funktionen

Beschreibung K1

Beschreibung K2

Beschreibung K3

Beschreibung K4

Beschreibung K5

Geometrie

Beschreibung K1

Beschreibung K2

Beschreibung K3

Beschreibung K4

Beschreibung K5

Stochastik

Beschreibung K1

Beschreibung K2

Beschreibung K3

Beschreibung K4

Beschreibung K5

Argumentieren/ Kommunizieren

Beschreibung K1

Beschreibung K2

Beschreibung K3

Beschreibung K4

Beschreibung K5

Problemlösen

Beschreibung K1

Beschreibung K2

Beschreibung K3

Beschreibung K4

Beschreibung K5

Modellieren

Beschreibung K1

Beschreibung K2

Beschreibung K3

Beschreibung K4

Beschreibung K5

Werkzeuge/ Medien

Beschreibung K1

Beschreibung K2

Beschreibung K3

Beschreibung K4

Beschreibung K5

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X

X

X

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X X

X X

X

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2. Lernberatung und Coaching

Zusammenfassung – Lernberatung und Coaching Kompetenzraster  geben Auskunft über individuelle Stärken und Schwächen (differenzierte Auskunft zum Förderbedarf)  folgen der mit den Bildungsstandards eingeführten Logik, konkrete Lernziele explizit zu nennen

„Trainingsgespräche“  sind strukturierte Gelegenheiten, individuelles Lernen zu planen, Lernfortschritte zu reflektieren und motivationale Lagen zu klären

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3. Individuelle Förderung im Unterricht

3. Individuelle Förderung im Unterricht Grundidee: a) Schüler unterscheiden sich in ihren Lernvoraussetzungen b) Optimale Förderung braucht (auch) Individualisierung c) Diagnostische Information ist eine rationale Basis für Förderentscheidungen

individuelles Lernen (Üben) setzt die Fähigkeit zum selbständigen Arbeiten voraus Zwei Beispiele: 3.1 Selbstreguliertes Lernen 3.2 Kooperatives Lernen

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3. Individuelle Förderung im Unterricht

3.1 Selbstreguliertes Lernen Prozessmodell (z.B. Zimmerman) Beobachtung und Bewertung eigenen Lernverhaltens

 Vermittlung von Lernstrategien

Bewertung der Effektivität des Strategieeinsatzes

Zielsetzung und Strategieplanung

Strategieeinsatz und Überwachung

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Anleitung zu selbstreguliertem Lernen

 Reflexion über den Nutzen und die Anwendungsbedingungen von Lernstrategien (Metakognition)

 Motivation zum Einsatz von Strategien

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3. Individuelle Förderung im Unterricht

3.1 Selbstreguliertes Lernen Methoden für den Unterricht • „Wir werden Textdetektive“

- Explizite Vermittlung von Lesestrategien - Reflexion des Nutzens der Lesestrategien - Mittel-Ziel-Überlegungen

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3. Individuelle Förderung im Unterricht

3.1 Selbstreguliertes Lernen Scheinbares Paradox: Die Anwendung von Methoden selbstregulierten Lernens muss explizit (und kleinschrittig) vermittelt werden, damit Schülerinnen und Schüler beim selbständigen Lernen ein hohes Maß an Sicherheit haben.

Sie müssen lernen, Funktionen des Lehrers zu übernehmen: - Eingangsvoraussetzungen selbst diagnostizieren - Ziele selbst definieren - Instruktionale Maßnahmen selbst spezifizieren - Instruktionale Wirkungen selbst erfassen

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3. Individuelle Förderung im Unterricht

Stellen Sie sich bitte vor … alle Lehrkräfte unterrichten mit identischem Unterrichtsmaterial.

Fallen die Lernzuwächse in allen Klassen gleich aus?

Studie zur Evaluation des Unterrichtsprogramms „Wir werden Textdetektive“ zur Förderung des Leseverständnisses. • Dauer: Ein Schuljahr • 16 Experimentalklassen, 3 Kontrollklassen (Souvignier & Mokhlesgerami, 2005)

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3. Individuelle Förderung im Unterricht

Anwendung von Lesestrategien  3 Problemstellungen zum Umgang mit Texten (freie Antworten)

8,0 7,5 7,0 6,5 6,0

Prä - Post (HLM):

5,5

t(17)= 3.68; p=.00

5,0 4,5

dkorr = .50

4,0 3,5

Prä - FollowUp (HLM):

3,0 Prä

Post Testzeitpunkt

t(17)=2.60; p=.02 dkorr = .79 Elmar Souvignier

Experimentalgruppe Kontrollgruppe Individuelle Lernpotenziale, 14.3.2012

Follow -up

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3. Individuelle Förderung im Unterricht

Lernzuwächse: Klassenweise Auswertung 10,0 9,0 8,0 7,0 6,0 5,0 4,0 3,0 2,0 1,0 0,0

Experimentalklassen (n=16) M=6.4 (SD=1.5); MIN=3.8 MAX=9.5 Elmar Souvignier

Kontrollklassen (n=3) M=4.4 (SD=0.2); MIN=4.2 MAX=4.7

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3. Individuelle Förderung im Unterricht

3.2 Kooperatives Lernen als Möglichkeit zur Individualisierung „Gegenseitige Unterstützung beim Lernen“

Ziele • Erreichen kognitiver, motivationaler und emotionaler Lernziele • Verbesserung der Qualität und Anwendbarkeit des erworbenen Wissens • Sozialintegrative Wirkung Aber

• Trittbrettfahren (free-rider) • sich ausgenutzt fühlen (sucker-Effekt)

• minimale Aufgabenerledigung

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3. Individuelle Förderung im Unterricht

Basismerkmale kooperativen Lernens (Johnson & Johnson, 1994) 1. Positive Interdependenz 2. Individuelle Verantwortlichkeit Kooperatives Lernen muss so strukturiert sein, dass gemeinsames Lernen einen erkennbaren Vorteil bringt. Etablierte Methoden: Gruppenrecherche, Gruppenpuzzle, Gruppenrallye, Skriptkooperation

Befragung von 85 Lehrkräften (Antil, Jenkins, Wayne & Vadasy, 1998) • 93% geben an, kooperative Methoden zu nutzen („I do group work“) • 24% achten auf positive Interdependenz und individuelle Verantwortlichkeit

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3. Individuelle Förderung im Unterricht

Wirksamkeit kooperativen Lernens (Stevens & Slavin, 1995) Klassenstufen zwei bis sechs; alle Klassen aus fünf Schulen nahmen an der Studie teil - zwei Experimentalschulen

(21 Klassen, n = 411)

- drei Kontrollschulen

(24 Klassen, n = 462)

Fragestellung:

Wie entwickeln sich die Lernleistungen über zwei Jahre?

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3. Individuelle Förderung im Unterricht

Wirksamkeit kooperativen Lernens (Stevens & Slavin, 1995) Leistungsentwicklung Leseverständnis

Prä

Post 1 Jahr

ES = 0.13 Elmar Souvignier

Post 2 Jahre

ES = 0.28

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3. Individuelle Förderung im Unterricht

3. Individuelle Förderung im Unterricht - Zusammenfassung • Selbstreguliertes Lernen: Explizite Vermittlung der Nutzung von Lernstrategien. Anleitung zur Reflexion des eigenen Lernens. Ziel: Selbständiges Lernen • Kooperatives Lernen: Individualisierung, die Schüler aller Leistungsniveaus unterstützt. Notwendig: Strukturierung der gegenseitigen Unterstützung, so dass sich niemand entziehen kann. Es ist der Normalfall, dass die Implementation neuer Methoden und Materialien nicht problemlos verläuft. Bei theoretisch begründeten Konzepten lohnt die Anpassung der neuen Konzepte.

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Individuelle Lernpotenziale

Individuelle Lernpotenziale erkennen und wecken • Diagnostik zur Feststellung der individuellen Lernvoraussetzungen

• Beratungsgespräche mit Schülerinnen und Schülern: transparente Reflexion und Planung individuellen Lernens a) Trainingsgespräche b) Kompetenzraster • Selbstreguliertes und Kooperatives Lernen: Anleitung zu eigenständigem Arbeiten; Arbeitsformen die Heterogenität produktiv nutzen

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