Ich glaube nicht an einen personalen Gott

„Ich glaube nicht an einen personalen Gott“ Veröffentlicht auf chrismon (https://chrismon.evangelisch.de) „Ich glaube nicht an einen personalen Gott“...
Author: Alma Glöckner
2 downloads 1 Views 1MB Size
„Ich glaube nicht an einen personalen Gott“ Veröffentlicht auf chrismon (https://chrismon.evangelisch.de)

„Ich glaube nicht an einen personalen Gott“ Der Zweifel kommt aus dem Verstand, der Glaube aus dem Innern. Beatrice von Weizsäcker über Patchworkreligion, ihre Schwierigkeit mit Ostern und die Sache mit der Erlösung

picture alliance / Zentralbild/dpa Picture-Alliance / Sebastian

August 2013

picture alliance / Zentralbild/dpa Picture-Alliance / Sebastian Seite 1 von 7

„Ich glaube nicht an einen personalen Gott“ Veröffentlicht auf chrismon (https://chrismon.evangelisch.de)

Roland Mischke chrismon: Warum schreiben Sie ein Buch über den Zweifel an Gott? Beatrice von Weizsäcker: Das Thema beschäftigt mich seit meiner Jugend. Mein Bruder, der mit 51 Jahren starb, war der Auslöser für das Buch. Es hat mich sehr beschäftigt, warum er sterben musste. Sie schreiben sehr offen über Ihre Gefühlslage. Warum? Glauben kann man nur, was man glauben kann. Der Glaube muss aus mir selbst kommen. Das wollte ich zum Ausdruck bringen.

Für nicht wenige geben Kirchen und Traditionen vor, was man zu glauben hat. Die Christen, die ich kenne, haben alle Zweifel. Die Kirchen sind wichtig wegen der Gemein-schaft, ihretwegen gehen wir zum Gottesdienst. Aber die meisten lehnen die Dogmen ab. Predigten sagen mir dann nicht zu, wenn sie mir Vorschriften machen oder nichts hinterfragen. In der katholischen Kirche dürfen Geschiedene, die wieder verheiratet sind, und Menschen anderer Konfession nicht am Abendmahl teilnehmen. Das empört viele. Wird die Bevölkerung nicht immer atheistischer? Jeder Mensch glaubt an etwas. Atheisten glauben an Nicht-Gott, den sie ebenso wenig beweisen können wie Glaubende ihren Gott. Sie verneinen zwar Gott, sprechen aber oft von Schicksal, manche verwenden Begriffe wie Fügung. Und wenn in der Familie ein Unglück geschieht, ein Flugzeug abstürzt oder ein Verbrechen geschieht – dann geht es oft um die Frage nach Gott. Mehr im Netz

http://www.amazon.de/Ist-jemand-Gott-meineZweifel/dp/3492055133/ref=sr_1_1?s=bo... Außergewöhnliches führt zu Gott? Ja. Wie konnte das passieren?, heißt es zuerst. Und dann gleich: Gibt es überhaupt Gott? Denken Sie an den Holocaust: Da stellte sich die Theodizee-Frage, die Frage, wie Gott das zulassen konnte. Das geht mir genauso. Meine Zweifel am Leben kann ich nicht einfach ignorieren. Zweifel und Glaube sind meine Begleiter, seitdem ich denken kann. Ich glaube und hoffe, aber was ist, wenn es Gott doch nicht gibt? Was ist dann? Das Geheimnis „Gott“ wäre kein Geheimnis, wüssten wir auf diese Frage eine klare Antwort. Die Theologie hilft mir manchmal, aber sie kann auch Etliches verstellen. Der Theologe Heinz Zahrnt hat einmal gesagt: „Gott ist wohl verborgen, er kann sogar sehr tief verborgen sein, aber Gott ist niemals kompliziert.“ Die Theologen verstellen Gott? Ja. Der Zweifel kommt aus dem Verstand, der Glaube aus dem Innern. Mir geht es gut, wenn Innen und Außen übereinstimmen. Ich suche nach Wahrheiten. Versuche ich, es nicht zu tun, tut es mein Kopf von ganz allein. Ich suche weiter, ich muss. Mein Herz drängt mich. Ich glaube, dass es vielen Menschen so geht.

Seite 2 von 7

„Ich glaube nicht an einen personalen Gott“ Veröffentlicht auf chrismon (https://chrismon.evangelisch.de) Zweifeln auch evangelische Bischöfe, katholische Kardinäle und der Papst? Davon bin ich überzeugt. Ich bin sicher, dass selbst der Papst als Mensch den Zweifel kennt. Ich kenne viele Theologen, die zweifeln. Zweifel ist ein essenzieller Teil des Glaubens. Sprechen Sie mit Ihrem Vater Richard von Weizsäcker darüber? Nein. Unsere Familie ist sehr diskret. Wir sind offen, stellen uns aber nicht solche Fragen. Früher gab es Mittagsgebete und Abendgebete, das hörte auf, als wir größer wurden. Ob mein Vater gläubig ist, weiß ich nicht. In unserer Familie spielte Gott keine Rolle. Als ich als Kind mit meinem jüngeren Bruder einmal darüber nachdachte, ob wir religiös erzogen worden seien, sagte er spontan Nein und ich ebenso spontan Ja. Sie bezeichnen sich als „patchworkgläubig“. Nehmen Sie sich denn von allem etwas, wie es Ihnen gerade passt? Ich nehme das, was ich glauben kann, ja. Nur was Ihnen vernünftig erscheint? Schon als Kind habe ich meine Religionslehrerin zur Verzweiflung gebracht, weil ich Bibelsprache und märchenhafte Bilder hinterfragt habe. Ich hatte ihr gesagt: „Ich glaube, dass die Kirche Jesus erfunden hat, damit Menschen an Gott glauben.“ Das war ein starkes Stück. Sie hatten schon als Kind keinen Wunderglauben? Ich glaube nicht an Wunder. Das leere Grab, die leibliche Auferstehung von Jesus – damit konnte ich nie etwas anfangen. Und wie steht es mit der Trinität – Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist? Was der Heilige Geist sein soll, weiß ich nicht. Jesus ist für mich eine historische Figur, ein wichtiges Vorbild. Aber ich kann nicht zu ihm beten. Schweigen Sie im Gottesdienst bei der Zeile des Apostolischen Glaubensbekenntnisses, wo es heißt „am dritten Tage auferstanden“? Manchmal ja, manchmal nein. Wenn ich es mitspreche, dann wegen der Gemeinschaft. Ich glaube, dass es vielen so geht, dass sie das Glaubensbekenntnis nicht wörtlich glauben. Das ist doch Kinderglaube, eine Zumutung für Erwachsene. Mit Ostern habe ich noch größere Schwierigkeiten. Die Qual am Kreuz, dieses ganze Leiden, das Opfer – eine grauenvolle Vorstellung. Ist das nicht der Kern des Christentums, um den sich alles dreht? Die Bibel ist Menschenwerk. Auch christliche Feiertage haben Menschen festgelegt. Für mich ist Silvester wichtiger. Da gehe ich in die Kirche und halte Rückschau auf das zu Ende gehende und Ausblick auf das neue Jahr, voller Dankbarkeit für mein Leben, aber auch mit meinen Ängsten und der Hoffnung auf die Zukunft. Silvester hat für mich mehr Bedeutung als Weihnachten und Ostern zusammen. Welche Vorstellung haben Sie von Gott? Keine bildliche. Ich glaube nicht an einen personalen Gott. Gott ist für mich die Quelle, er ist mein Begleiter, und er schützt mich. Er ist da, egal wo ich bin und wie es mir geht. Dabei bin ich immer kritisch, ich lasse mir nichts einreden und kann mir auch selber nichts einreden. Ich höre nur auf mein Inneres. Die Stimme meines Herzens ist die Stimme Gottes. Sie interessieren sich für Ihr Sternzeichen. Gehören für Sie Astrologie und Esoterik zum Glauben? Seite 3 von 7

„Ich glaube nicht an einen personalen Gott“ Veröffentlicht auf chrismon (https://chrismon.evangelisch.de)

Nein. Für mein Sternzeichen interessiere ich mich, weil es mir gefällt. Löwe: Das steht für mutig und stark, das kann einem doch nur gefallen! Das ist mehr ein persönlicher, augenzwinkernder Scherz als Astrologie. Urteilt Gott, straft er Menschen? Er straft und prüft uns nicht. Er ist immer bei uns, aber dass Gott uns leitet, glaube ich nicht. Für unser Leben sind wir selbst verantwortlich. Gott schickt uns nicht das Leid. Und doch klagt der alttestamentliche Hiob Gott für sein Leid an. Das wird oft falsch ausgelegt. Hiob hadert mit Gelehrten, deshalb ringt er mit seinen Zweifeln, mit Gott. Jeder, der seinen Glauben ernst nimmt, kennt das. Auch außerhalb des Christentums. In Kiel fuhr mich ein muslimischer Taxifahrer zur Lesung, ich erzählte ihm vom Inhalt meines Buches. Da hätte er fast eine Vollbremsung gemacht. Glaube und Zweifel hätten sein ganzes Leben geprägt, sagte er. Er wollte mich gar nicht mehr aus dem Wagen lassen. So ist es oft: Menschen wollen reden und ernst genommen werden. Fühlen Sie sich als Zweifelnde wie Hiob? Nur insofern, als ich wie Hiob den direkten Zugang zu Gott suche. Ich bin dankbar für kluge Menschen, die ich kennengelernt habe. Aber letztlich zählt für mich nur mein eigener Glaube. Er ist nicht selbst gemacht, ist auch nicht ausgedacht. Mein Glaube ist selbst gedacht, das Nachdenken gehört eindeutig dazu. Protestanten leben als Sünder und vertrauen auf die Gnade Gottes. Reicht das? Der Glaube relativiert nicht alles. Es gibt ein Gewissen, das sich meldet, wenn Innen und Außen nicht übereinstimmen. Zu sagen: Sündigt ruhig, der Glaube rettet euch schon – das passt nicht zusammen. Gerade zweifelnde Gläubige haben ein besonders sensibles Gewissen. Das ist eine kognitive Fähigkeit, sie kommt aus dem Unterbewussten, beruht auf Erkenntnis. Das kennt jeder Mensch, auch der, der nicht glaubt. Liebt Gott auch die mutwillig Bösen? Das Wort Liebe passt nicht. Ich bin eine nüchterne Juristin und spreche lieber von Gottes Gnade. Die gibt es für alle Menschen. Man könnte sagen, dass auch unser Strafrecht auf dem Gedanken der Gnade beruht: Die Todesstrafe ist qua Grundgesetz verboten. Wir dürfen niemanden für immer ausgrenzen. Was ist für Sie Erlösung? Das weiß ich nicht. Dass Jesus gekreuzigt wurde, damit wir erlöst werden, finde ich absurd. Wo war denn Gott dann vor der angeblichen Erlösung? Mein Konfirmationsspruch lautet: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.“ Die Sache mit der Erlösung habe ich mit vierzehn nicht verstanden und verstehe es heute noch nicht. Aber das starke „Fürchte dich nicht“ und das beschützende „Du bist mein“ ist mir eine tägliche Hilfe. Beten Sie? Es ist eher eine Art Zwiesprache. Ich halte mich nicht an Formeln, habe keine rituellen Bedürfnisse. Ich versuche, meine Aufgaben im Alltag so gut wie möglich zu lösen und vergnügt zu leben. Wie halten Sie es mit den Zehn Geboten? Ich kenne sie, aber ich habe keinen wortgetreuen Glauben. Ich kann nicht immer tun, was der evangelische Glaube vorgibt.

Seite 4 von 7

„Ich glaube nicht an einen personalen Gott“ Veröffentlicht auf chrismon (https://chrismon.evangelisch.de) Und mit der Bergpredigt? Sie ist ein großartiger Wegweiser für das Leben, und sie bestimmt auch mein Handeln. Mich stört allerdings der Passus „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“. Was ist, wenn ich mich nicht leiden kann? Mich zu prüfen, ob ich mich liebe, wenn ich jemandem helfen soll, kommt mir seltsam vor. Besser wäre: „Hilf deinem Nächsten, denn er braucht Hilfe wie du.“ Haben Sie mit Ihrem Bruder über ein Leben nach dem Tod gesprochen? Ich hätte ihn nie gefragt, ob er daran glaubt, obwohl ich wusste, dass er seine Krankheit nicht überleben wird. Es ging um alltägliche Dinge, ihn zu versorgen. Und wir haben oft über unsere Kindheit gesprochen und viel gelacht. Was geschieht nach dem Tod? Lange wusste ich darauf keine Antwort. Ein katholischer Pfarrer hat mir dann eine gegeben, ohne es zu wissen. In seiner Predigt sagte er wie nebenbei, was sich mir tief eingeprägt hat: „Die Ewigkeit ist schon da.“ Dieser kleine Satz ändert die Blickrichtung. Immer denken wir in eine Richtung, vom Leben über den Tod in die Ewigkeit. Wenn die Ewigkeit schon da ist, müssen wir sie nicht herbeireden. Der Tod trennt nicht, egal von welcher Seite man es sieht. Ich brauche keine Vertröstung auf später. Das gibt mir Hoffnung, die es mir ermöglicht, gern in der Gegenwart zu leben. Sie erklären den Glauben unermüdlich als starke Kraft. Der Soziologe Siegfried Kracauer nannte den Glauben einst einen „Schleichweg der Schwachen“. Für mich ist er das keineswegs, sondern ein aufrechter Gang der Stärke. Weil ich mich vor den Fragen des Lebens und des Todes nicht drücken kann, weil ich die Frage, was nach dem Sterben kommt, nicht mit einem einfachen „Nichts“ beantworten kann, weil ich mich dem Geheimnis stelle, weil ich es muss. Gerade weil ich den Zweifel kenne und darum infrage stelle, was ist und was kommt. Wer behauptet, der Glaube sei für Schwache, sei gar der Weg des geringsten Widerstands, hat keine Ahnung, wie sehr einen der Glaube umtreiben kann. Wie stark man ihn in Zweifel ziehen kann – und damit sein eigenes Leben. Wie einen das alles in den Wahnsinn treiben kann, genauso wie ins Glück. Deshalb imponierte Ihnen der Satz von Katrin Göring-Eckardt „Du hast Kraft – mehr, als du hast“? Sie sagte ihn beim Ökumenischen Kirchentag in München 2010. Es war spät, alle waren müde, wir saßen im Kerzenlicht. Da sagte sie ganz langsam den Satz. Und ich ahnte gleich, dass er stimmt. Mir gibt dieser Satz viel, wenn ich schwach bin. Wenn ich dann gefordert werde, wächst mir Kraft zu. Nicht durch Adrenalin, sondern aus einer Kraft, die in mir steckt. Eine göttliche Kraft? Ja, das glaube ich. Bis der Zweifel wiederkommt.

Beatrice von Weizsäcker Beatrice von Weizsäcker, Jahrgang 1959, Tochter des Exbundespräsidenten Richard von Weizsäcker, ist Juristin, Publizistin und Mitglied des Kirchentagspräsidiums.

Seite 5 von 7

„Ich glaube nicht an einen personalen Gott“ Veröffentlicht auf chrismon (https://chrismon.evangelisch.de)

[1]

Quell-URL: https://chrismon.evangelisch.de/artikel/2013/%E2%80%9Eich-glaube-nicht-einenpersonalen-gott%E2%80%9C-19457 Links [1] https://chrismon.evangelisch.de/personen/beatrice-von-weizsaecker-19465 Seite 6 von 7

„Ich glaube nicht an einen personalen Gott“ Veröffentlicht auf chrismon (https://chrismon.evangelisch.de)

Seite 7 von 7