I. Grundlagen des Vergaberechts

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I. Grundlagen des Vergaberechts A. Europarechtliche Grundlagen I. Grundlagen des Vergaberechts

Der Schaffung eines nationalen Vergaberechts gingen zahlreiche europarechtliche Rechtsakte voraus, die von den Mitgliedstaaten umzusetzen waren. Nichtsdestotrotz gibt es im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), welcher mit Wirkung 1.12.2009 die Gründungsverträge der Europäischen Gemeinschaften (EGV) ablöste und eine wesentliche Quelle europarechtlicher Normen darstellt, keine speziellen Vorschriften über die Vergabe von öffentlichen Aufträgen. Art 179 AEUV erwähnt den Begriff des „öffentlichen Auftragswesens“, ohne diesen jedoch näher zu erläutern. Aus dem AEUV ergeben sich allerdings die europarechtlichen Grundfreiheiten.1 Das sind die A. Europarechtliche Grundlagen









Warenverkehrsfreiheit gemäß Art 34 AEUV (ex-Art 28 EGV) Die Warenverkehrsfreiheit ist der Überbegriff zu Zollunion und Warenverkehrsfreiheit im engeren Sinne. Auf Grund der Warenverkehrsfreiheit sind insbesondere alle mengenmäßigen Aus- und Einfuhrbeschränkungen von Waren sowie Binnenzölle oder sonstige derartige Gebühren im EU-Binnenraum verboten. Niederlassungsfreiheit gemäß Art 49 AEUV (ex-Art 43 EGV) Die Niederlassungsfreiheit stellt die Freiheit des Selbstständigen dar, eine wirtschaftliche Tätigkeit in einem beliebigen Mitgliedstaat aufzunehmen. Dienstleistungsfreiheit gemäß Art 56 AEUV (ex-Art 49 EGV) Aus der Dienstleistungsfreiheit ergibt sich das Recht eines jeden EU-Bürgers oder einer juristischen Person im EU-Raum, in einem anderen Mitgliedstaat der EU Dienstleistungstätigkeiten zu erbringen oder solche Leistungen in Anspruch zu nehmen. sowie das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit gemäß Art 18 AEUV (ex-Art 12 EGV) Dieses Verbot wird auch als das Gebot der Inländergleichbehandlung bezeichnet. Es besagt, dass Staatsangehörige bzw Waren anderer Mitgliedstaaten nicht schlechter behandelt werden dürfen als inländische Staatsbürger bzw Waren.

Diese Grundfreiheiten und das Diskriminierungsverbot sind unmittelbar anwendbar2 und auch bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen zu beachten. 1 2

Arndt/Fischer/Fetzer, Europarecht, 115 ff. Berger in Heid/Preslmayr, Handbuch Vergaberecht3, Rz 7.

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I. Grundlagen des Vergaberechts

Beispiel aus der Judikatur „Nach ständiger Rechtsprechung verlangen ferner das sich aus dem AEU-Vertrag ergebende Diskriminierungsverbot und insbesondere die Grundfreiheiten nicht nur die Beseitigung jeder Diskriminierung des Erbringers von Bauleistungen bzw. des Dienstleistenden aufgrund seiner Staatsangehörigkeit, sondern auch die Aufhebung aller Beschränkungen – selbst wenn sie unterschiedslos für inländische Dienstleistende wie für solche aus anderen Mitgliedstaaten gelten –, sofern sie geeignet sind, die Tätigkeiten des Leistungserbringers, der in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen ist und dort rechtmäßig vergleichbare Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 25. Juli 1991, Säger, C-76/90, Slg. 1991, I-4221, Randnr. 12).“ (EuG 29.5.2013, Rs T-384/10, Spanien/Kommission)3

Nach dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union im Jahr 1995 waren zahlreiche europarechtliche Richtlinien mit Regelungsinhalten über die Vergabe von öffentlichen Aufträgen4 in nationales Recht umzusetzen. Dadurch kam es einerseits zu einer allmählichen Harmonisierung der einzelnen nationalen Vergabegesetze (beispielsweise das österreichische BVergG 2006 oder das deutsche Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen [GWB]) in Europa, andererseits wurden dadurch die Möglichkeiten und Freiheiten nationaler Gesetzgeber bei der Schaffung und inhaltlichen Ausgestaltung vergaberechtlicher Regelungen beschränkt. Auf Grund der unterschiedlichen Standards im Rechtsschutz der Mitgliedstaaten wurden auch Richtlinien erlassen, die den Rechtsschutz und die Rechtsdurchsetzung im Zusammenhang mit subjektiven Rechten des Vergaberechts regeln. Während die europarechtlichen Richtlinien zum Vergaberecht lediglich im Oberschwellenbereich (der geschätzte Auftragswert liegt über den in § 12 BVergG 2006 normierten Schwellenwerten) zur Anwendung kommen, sind die europarechtlichen Grundfreiheiten sowie das strenge europarechtliche Diskriminierungsverbot sowohl auf den Unterschwellenbereich (der geschätzte Auftragswert liegt unter den in § 12 BVergG 2006 normierten Schwellenwerten) als auch auf Vorgänge, die in der Regel nicht dem Vergaberegime unterliegen (nicht prioritäre Dienstleistungen – beispielsweise Eisenbahnen, Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe, Rechtsberatung –, Vorgänge, auf die ein Ausnahmetatbestand des BVergG 2006 anzuwenden ist – beispielsweise Finanzdienstleistungen, Arbeitsverträge, Aufträge über den Kauf, die Entwicklung oder Produktion von Pro3 4

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EuG 29.5.2013, Rs T-384/10, Spanien/Kommission; Reisner, EuG: Was vergaberechtlich zusammen gehört, darf der Auftraggeber nicht trennen, RPA 2013, 287 (295) = RPA 2013, 287 (Reisner). Beispielsweise RL 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.2.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe sowie RL 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.2.2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste.

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B. Ziel und Zweck des Vergaberechts

grammen, die zur Ausstrahlung durch Fernseh- oder Rundfunkanstalten bestimmt sind), anzuwenden. Relevanz der vergaberechtlichen Judikatur

Angesichts der skizzierten europarechtlichen Grundlagen kommt es auch im österreichischen Vergaberecht durch die Judikatur des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu einer starken Weiterentwicklung. Da dies auch auf die österreichischen Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts, den Verfassungsgerichtshof (VfGH) und den Verwaltungsgerichtshof (VwGH), sowie die nationalen Vergabekontrollbehörden (Bundesverwaltungsgericht – BVwG, Landesverwaltungsgerichte – LVwG) und in manchen Teilbereichen des Vergaberechts sogar auf den Obersten Gerichtshof (OGH) zutrifft, ist es für den Anwender des Vergaberechts in der Praxis von zentraler Bedeutung, die (aktuelle) Judikatur sowie die Entscheidungen dieser Gerichte zu kennen und zu beachten. Praxistipp Aktuelle Judikatur zum Vergaberecht finden Sie beispielsweise auf der Homepage über die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unter curia.europa.eu/jurisp/ cgi-bin/form.pl?lang=de, im Rechtsinformationssystem des Bundeskanzleramtes unter www.ris.bka.gv.at, auf der Homepage des Bundesverwaltungsgerichts unter www.bvwg.gv.at und auf den Homepages diverser Landesverwaltungsgerichte der Bundesländer.5

B. Ziel und Zweck des Vergaberechts Die „öffentliche Hand“ tritt am freien Markt nach wie vor anders auf als private Wirtschaftstreibende. Sie ist immer noch ein übermächtiger Vertragspartner, der über einen großen Anteil der Auftragsvolumina am Markt verfügen kann. Durch das Vergaberecht sollen öffentliche Auftraggeber „zur sparsamen und nicht diskriminierenden Vergabe und damit Verwendung öffentlicher Mittel verpflichtet“ werden..6 Daher sind rechtliche Rahmenbedingungen, Normen und Regeln über die Vergabe von öffentlichen Aufträgen für einen gut funktionierenden Staatshaushalt essentiell. B. Ziel und Zweck des Vergaberechts

Letztlich ist zu berücksichtigen, dass die öffentliche Hand tendenziell korruptionsanfällig wäre, sofern ihr Handlungsspielraum nicht durch gesetzliche Spielregeln und Normen beschränkt würde. Aus § 1 Abs 1 BVergG 2006 ergibt sich, dass durch das Vergaberecht Beschaffungsvorgänge (Waren und Dienstleistungen) durch öffentliche Auftraggeber und Sektorenauftraggeber geregelt werden sollen. 5 6

Zum Beispiel: www.verwaltungsgericht.wien.gv.at; www.lvwg.noe.gv.at. VfGH 9.3.2007, G 174/06.

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I. Grundlagen des Vergaberechts

Die Bestimmung lautet wie folgt: § 1 (1) Dieses Bundesgesetz regelt insbesondere 1. die Verfahren zur Beschaffung von Leistungen (Vergabeverfahren) im öffentlichen Bereich, das sind die Vergabe von öffentlichen Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträgen sowie die Vergabe von Bau- und Dienstleistungskonzessionsverträgen durch öffentliche Auftraggeber, die Durchführung von Wettbewerben durch öffentliche Auftraggeber, die Vergabe von Bauaufträgen an Dritte durch Baukonzessionäre, die nicht öffentliche Auftraggeber sind und die Vergabe von bestimmten Bau- und Dienstleistungsaufträgen, die nicht von öffentlichen Auftraggebern vergeben, aber von diesen subventioniert werden (2. Teil), 2. die Verfahren zur Beschaffung von Leistungen (Vergabeverfahren) im Sektorenbereich, das sind die Vergabe von Liefer-, Bau- und Dienstleistungsaufträgen durch Sektorenauftraggeber, die Vergabe von Bau- und Dienstleistungskonzessionsverträgen durch Sektorenauftraggeber sowie die Durchführung von Wettbewerben durch Sektorenauftraggeber (3. Teil), 3. den Rechtsschutz im Zusammenhang mit Vergabeverfahren im Sinne der Z 1 und 2, die in den Vollziehungsbereich des Bundes fallen (4. Teil), sowie 4. die Vorgangsweise im Zusammenhang mit der außerstaatlichen Kontrolle von Vergabeverfahren und bestimmte zivilrechtliche Konsequenzen (5. Teil). (2) Unterliegt eine der Tätigkeiten, für die die Beschaffung der Leistung vorgenommen wird, den Bestimmungen des 3. Teiles dieses Bundesgesetzes, die andere Tätigkeit jedoch den Bestimmungen des 2. Teiles dieses Bundesgesetzes, und ist es objektiv nicht möglich festzustellen, welche Tätigkeit den Hauptgegenstand des Auftrags darstellt, so ist das Vergabeverfahren gemäß den Bestimmungen des 2. Teiles dieses Bundesgesetzes durchzuführen.

C. Historische Entwicklung In Österreich wurde 1993 das erste Bundesvergabegesetz (BVergG) erlassen, welches am 1.1.1994 in Kraft trat (BGBl 1993/462). Neben diesem Bundesvergabegesetz gab es für jedes Bundesland ein eigenes Landesvergabegesetz. Davor gab es keine vergaberechtlichen gesetzlichen Bestimmungen und die ÖNORM A 20507 diente als Rechtsgrundlage für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen. C. Historische Entwicklung

Praxistipp Die ÖNORM A 2050 wird auch heute noch für Auftragsvergaben verwendet, die nicht in den Anwendungsbereich des BVergG 2006 fallen. Anders als etwa Gesetze oder Verordnungen, die der Gesetzgeber erlässt, gelten ÖNORMEN nicht „automatisch“. ÖNORMEN werden vom Austrian Standards Institute verfasst. Damit sie für einen Vertrag zur Anwendung kommen, müssen sie gesondert vereinbart werden.

Exkurs: Vergaberechtsgesetzgebung in Österreich

Gemäß Art 14b Abs 1 B-VG werden die materiellen Bestimmungen des Vergaberechts, die insbesondere festlegen, wie Vergabeverfahren inhaltlich durchgeführt 7

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Die ÖNORM A 2050 ist erhältlich über https://www.austrian-standards.at/home/.

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C. Historische Entwicklung

werden müssen, vom Bundesgesetzgeber erlassen und gelten bundesweit. Die einzelnen Bundesländer haben aber „Mitspracherechte“. Die Bestimmungen über den spezifischen Rechtsschutz in Vergabeverfahren werden hingegen sowohl von den Bundes- als auch den Landesgesetzgebern erlassen. Die Bestimmungen des BVergG 2006 zum Rechtsschutz sind lediglich vor dem BVwG anzuwenden. Verfahren vor den auf landesrechtlicher Ebene zuständigen Vergabekontrollbehörden (LVwG) erfolgen nach den Bestimmungen der jeweiligen Landesgesetze. Aus der Sicht der Praxis ist darauf hinzuweisen, dass die verschiedenen Gesetze inhaltliche Unterschiede aufweisen. Im Wesentlichen sind sie aber einheitlich geregelt. Das Studium der jeweiligen Landesgesetze vor Inanspruchnahme des vergaberechtlichen Rechtsschutzes bleibt allerdings nicht erspart. Beispielhaft werden nachfolgend die Bestimmungen über die Zuständigkeit sowohl des BVwG als auch einer Auswahl an Vergabekontrollbehörden in Bundesländern wiedergegeben. Bundesvergabegesetz 2006 § 312 (1) Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Abschnitts über Anträge zur Durchführung von Nachprüfungsverfahren (2. Abschnitt), zur Erlassung einstweiliger Verfügungen (3. Abschnitt) und zur Durchführung von Feststellungsverfahren (4. Abschnitt). Derartige Anträge sind unmittelbar beim Bundesverwaltungsgericht einzubringen.

Wiener Vergaberechtsschutzgesetz 2014 § 2 (1) Die Vergabe von Aufträgen nach dem BVergG 2006 und dem BVergGVS 2012 durch die in § 1 genannten Auftraggeber und Auftraggeberinnen unterliegt der Nachprüfung durch das Verwaltungsgericht Wien.

Salzburger Vergabekontrollgesetz 2007 § 14 (1) Das Landesverwaltungsgericht ist nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Abschnittes zur Durchführung von Nachprüfungsverfahren […], zur Erlassung einstweiliger Verfügungen […] und zur Durchführung von Feststellungsverfahren […] zuständig. Darauf gerichtete Beschwerden oder Anträge sind unmittelbar beim Landesverwaltungsgericht einzubringen.

Niederösterreichisches Vergabenachprüfungsgesetz § 4 (1) Die Durchführung des Nachprüfungsverfahrens obliegt dem Landesverwaltungsgericht im Land Niederösterreich.

Steiermärkisches Vergaberechtsschutzgesetz 2012 § 2 (1) Der Rechtsschutz gegen Entscheidungen gemäß § 1 obliegt dem Landesverwaltungsgericht.

Tiroler Vergabenachprüfungsgesetz § 2 (1) Dem Landesverwaltungsgericht obliegt die Nachprüfung der Vergabe von Aufträgen nach den vergaberechtlichen Vorschriften des Bundes durch die im § 1 genannten Auftraggeber einschließlich der Erhebung von Gebühren nach § 19. Breitenfeld, Verträge des Vergaberechts

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I. Grundlagen des Vergaberechts

D. Grundsätze von Vergabeverfahren Bei der Planung von Vergabeverfahren ist zunächst zu ergründen, ob der konkrete Auftrag im Ober- oder Unterschwellenbereich auszuschreiben ist. Danach sollte die Planung immer unter Bedachtnahme der zentralen Grundsätze des Vergabeverfahrens erfolgen, die in der Folge dargestellt werden. D. Grundsätze von Vergabeverfahren

Die Grundsätze des Vergabeverfahrens sind in § 19 BVergG 2006 normiert. Die Bestimmung lautet: § 19 (1) Vergabeverfahren sind nach einem in diesem Bundesgesetz vorgesehen Verfahren, unter Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten sowie des Diskriminierungsverbotes entsprechend den Grundsätzen des freien und lauteren Wettbewerbs und der Gleichbehandlung aller Bewerber und Bieter durchzuführen. Die Vergabe hat an befugte, leistungsfähige und zuverlässige Unternehmer zu angemessenen Preisen zu erfolgen. (2) Die völkerrechtlich zulässige unterschiedliche Behandlung von Bewerbern und Bietern aus Gründen ihrer Staatsangehörigkeit oder des wahren Ursprungs bleibt von Abs 1 unberührt. (3) Bei der Durchführung von Vergabeverfahren ist eine gebietsmäßige Beschränkung oder eine Beschränkung der Teilnahme auf einzelne Berufsstände, obwohl auch andere Unternehmer die Berechtigung zur Erbringung der Leistung besitzen, unzulässig. (4) Verfahren zur Vergabe von Aufträgen und Realisierungswettbewerbe sind nur dann durchzuführen, wenn die Absicht besteht, die Leistung auch tatsächlich zur Vergabe zu bringen. Der Auftraggeber ist nicht verpflichtet, ein Vergabeverfahren durch Zuschlag zu beenden. (5) Im Vergabeverfahren ist auf die Umweltgerechtigkeit der Leistung Bedacht zu nehmen. Dies kann insbesondere durch die Berücksichtigung ökologischer Aspekte (wie etwa Endenergieeffizienz) bei der Beschreibung der Leistung, bei der Festlegung der technischen Spezifikationen oder durch die Festlegung konkreter Zuschlagskriterien mit ökologischem Bezug erfolgen. (6) Im Vergabeverfahren kann auf die Beschäftigung von Frauen, von Personen im Ausbildungsverhältnis, von Langzeitarbeitslosen, von Menschen mit Behinderung und älteren Arbeitnehmern sowie auf Maßnahmen zur Umsetzung sonstiger sozialpolitischer Belange Bedacht genommen werden. Dies kann insbesondere durch die Berücksichtigung derartiger Aspekte bei der Beschreibung der Leistung, bei der Festlegung der technischen Spezifikationen, durch die Festlegung konkreter Zuschlagskriterien oder durch die Festlegung von Bedingungen im Leistungsvertrag erfolgen. (7) Im Vergabeverfahren kann auf innovative Aspekte Bedacht genommen werden. Dies kann insbesondere durch die Berücksichtigung innovativer Aspekte bei der Beschreibung der Leistung, bei der Festlegung der technischen Spezifikationen oder durch die Festlegung konkreter Zuschlagskriterien erfolgen.

Die Grundprinzipien lassen sich stark vereinfacht wie folgt zusammenfassen:8    

Grundsatz des freien, fairen und lauteren Wettbewerbs Grundsatz der Gleichbehandlung aller Bewerber und Bieter Grundsatz der Transparenz des Vergabeverfahrens Grundsatz der Vergabe an geeignete Bieter zu angemessenem Preis

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Eilmansberger/Fruhmann in Schramm/Aicher/Fruhmann/Thienel, Bundesvergabegesetz 2006, § 19 Rz 3.

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D. Grundsätze von Vergabeverfahren

1. Wettbewerbsgrundsatz Der Grundsatz des freien und lauteren Wettbewerbs stellt einen ganz wesentlichen Grundsatz von Vergabeverfahren dar. Im Übrigen ist im Rahmen eines Vergabeverfahrens – nicht zuletzt auf Grund des Gleichbehandlungsgebotes – weiters auf einen fairen Wettbewerb zu achten. Durch die Verpflichtung des Auftraggebers, bei Vergabeverfahren einen freien Wettbewerb sicherzustellen, soll insbesondere verhindert werden, dass der Zugang von Unternehmen zur Auftragsvergabe unrechtmäßig beschränkt wird.9 Beispiele aus der Judikatur „Der ‚freie Wettbewerb‘ zielt darauf ab, dass Vergabevorgänge keinen ungerechtfertigten Zugangsbeschränkungen unterliegen.“ (BVA 14.3.2008, N/0014-BVA/09/2008-28) „Diese allgemeinen Grundsätze für die Vergabe von Aufträgen sind zur Auslegung der übrigen Bestimmungen des BVergG heranzuziehen, wobei gemäß den Materialien zum BVergG der lautere Wettbewerb das Verhältnis zwischen den Bewerbern/Bietern betrifft und demnach ein unlauterer Wettbewerb dann gegeben ist, wenn ein Unternehmer einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil zu erlangen sucht.“ (BVA 3.2.2009, N/0170-BVA/ 03/2008-30) „Der freie Wettbewerb ist der nicht behinderte, dh keinen Beschränkungen unterliegende Wettbewerb. Der lautere Wettbewerb betrifft das Verhältnis zwischen Bewerbern und Bietern untereinander. Unlauter ist der Wettbewerb zB bei Preisabsprachen und Ausnützung einer marktbeherrschenden Stellung (vgl Gast, Das öffentliche Vergabewesen in Österreich, S 81).“ (UVS Tirol 16.6.2009, 2008/K4/0901-24) „Der freie Wettbewerb betrifft das Verhältnis zwischen Auftraggeber einerseits und Bieter andererseits (ua Gast, Das öffentliche Vergabewesen in Österreich, 81) und verbietet somit die eine[m] einzigen Bieter gewährte Nachbesserungsmöglichkeit seines Angebotes, wie vorliegend dem S.-Bund in der Gemeinderatssitzung vom 09.05.2006.“ (UVS Tirol 19.5.2006, 2006/K11/1390-6)

2. Gleichbehandlung Das Gleichbehandlungsgebot des Vergaberechts wurzelt im gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsverbot (siehe I.A.; Verbot der Schlechterbehandlung von Staatsangehörigen bzw Waren anderer Mitgliedstaaten) und gebietet daher die Gleichstellung aller Bieter und verbietet die Diskriminierung Angehöriger anderer Mitgliedstaaten gegenüber Inländern. Dieser dem Vergaberecht innewohnende Gleichbehandlungsgrundsatz wird in zahlreichen Bestimmungen des BVergG 2006 konkretisiert. So heißt es etwa in § 96 Abs 3 BVergG 2006 im Zusammenhang mit der Frage, wie der Auftraggeber die zu erbringende Leistung zu beschreiben hat: 9

EuGH 17.9.2002, Rs C-513/99, Concordia Bus Finland, Slg 2002, I-7.213 = bbl 2002/169 (Gutknecht) = RdU 2003/17 (Kind) = RdW 2003/83 = RPA 2002, 237 (Pock) = wbl 2002/340 = ZER 2003/240 = ZVB 2002/112 (Schima).

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I. Grundlagen des Vergaberechts Die Leistung und die Aufgabenstellung darf nicht so umschrieben werden, dass bestimmte Bieter von vornherein Wettbewerbsvorteile genießen.

Auch § 98 Abs 1 BVergG 2006 betreffend die Festlegung von technischen Spezifikationen normiert: Technische Spezifikationen müssen für alle Bewerber und Bieter gleichermaßen zugänglich sein und dürfen den Wettbewerb nicht in ungerechtfertigter Weise behindern.

Weiters heißt es in Abs 7 dieser Bestimmung: Soweit es nicht durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist, darf in technischen Spezifikationen nicht auf eine bestimmte Produktion oder Herkunft oder ein besonderes Verfahren oder auf Marken, Patente, Typen, einen bestimmten Ursprung oder eine bestimmte Produktion verwiesen werden, wenn dadurch bestimmte Unternehmer oder bestimmte Produkte begünstigt oder ausgeschlossen werden. Solche Verweise sind jedoch ausnahmsweise zulässig, wenn der Auftragsgegenstand nicht hinreichend genau oder allgemein verständlich beschrieben werden kann. Solche Verweise sind ausnahmslos mit dem Zusatz „oder gleichwertig“ zu versehen.

Auch durch die in § 98 Abs 7 BVergG 2006 untersagte Festlegung werden Bewerber bzw Bieter gegebenenfalls bevorzugt. Beispiele aus der Judikatur „Wesentlich ist im Hinblick auf die Gleichbehandlung der Bieter, dass die vom öffentlichen Auftraggeber ausgeschriebenen Leistungen eindeutig, vollständig und neutral beschrieben sind bzw. nicht so umschrieben sind, dass bestimmte Bieter von vornherein Wettbewerbsvorteile genießen.“ (BVA 6.11.2013, N/0090-BVA/12/2013-20)10 „Nach ständiger Rechtsprechung erfordert dieser Grundsatz, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden, es sei denn, dass eine solche Behandlung objektiv gerechtfertigt ist (vgl. Urteil vom 3. März 2005, Fabricom, C-21/03 und C-34/03, Slg. 2005, I-1559, Randnr. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).“ (EuGH 10.10.2013, Rs C-336/12)11 „Festzuhalten ist noch, dass im Verhandlungsverfahren bereits das Erstangebot den vorgegebenen Ausschreibungsbedingungen zu entsprechen hat. An ein im Verhandlungsverfahren zu legendes Erstangebot ist ein strenger Maßstab anzulegen. Widerspricht das Erstangebot den Mindestanforderungen der Ausschreibung, ist es auszuscheiden (vgl BVA 11.8.2008, N/0075-BVA/07/2008-36; 10.7.2009, N/0058-BVA/10/2009-25; 13.8.2009, N/0059-BVA/02/2009-19; Fink/Heid in Heid/Preslmayr, Handbuch Vergaberecht2 (2005 [208ff]). Auch der EuGH hat zum Verhandlungsverfahren ausgeführt, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter verlangt, dass alle Angebote den Vorschriften der Ausschreibungsunterlagen zu entsprechen haben, um einen objektiven Vergleich der Angebote zu ermöglichen (EuGH 22.6.1993, Rs C-243/89 Kommission/Dänemark).“ (BVA 14.12.2012, N/0102-BVA/09/2012-46)12 10 11 12

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BVA 6.11.2013, N/0090-BVA/12/2013-20, RPA-Slg 2014/25 = RPA-Slg 2014/26 = RPA-Slg 2014/27 = RPA-Slg 2014/28 = VIL-Slg 2014/11 mit Verweis auf VwGH 28.3.2008, 2006/04/0030, ZfVB 2008/1561. EuGH 10.10.2013, Rs C-336/12, Manova, RPA 2014, 34 (Reisner) = VIL-Slg 2013/58. BVA 14.12.2012, N/0102-BVA/09/2012-46, RPA-Slg 2013/42 = RPA-Slg 2013/43 = RPA-Slg 2013/44 = RPA-Slg 2013/45 = VIL-Slg 2013/25.

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D. Grundsätze von Vergabeverfahren

3. Transparenzgebot Die Judikatur hat aus dem Diskriminierungsverbot und dem Gleichbehandlungsgrundsatz das Transparenzgebot abgeleitet.13 Das Transparenzprinzip soll im Wesentlichen dazu dienen, die Gefahr einer Günstlingswirtschaft oder willkürlicher Entscheidungen des öffentlichen Auftraggebers auszuschließen.14 Aus dem Transparenzgebot ergibt sich für einen öffentlichen Auftraggeber unter anderem die Verpflichtung, bei der Durchführung von Vergabeverfahren einen angemessenen Grad an Öffentlichkeit herzustellen, so dass diese Verfahren dem Wettbewerb geöffnet werden und die Einhaltung der vergaberechtlichen Rechtsvorschriften nachprüfbar wird. Im Sinne des Transparenzgebotes regelt das BVergG 2006 auch, dass der Auftraggeber die Regeln des konkreten Vergabeverfahrens bekannt zu geben hat (vgl hierzu § 79 BVergG 2006 über den Mindestinhalt von Ausschreibungsunterlagen). Insbesondere sollen Bewerber bzw Bieter von den Eignungs-, Auswahlund Zuschlagskriterien früh genug Kenntnis haben. Soll der Zuschlag in einem Vergabeverfahren nicht nach dem Billigstbieterprinzip erteilt werden und kommt daher mehr als ein Zuschlagskriterium zum Tragen, hat der Auftraggeber grundsätzlich auch die Zuschlagskriterien im Verhältnis der ihnen zuerkannten Bedeutung festzulegen (§ 79 Abs 3 BVergG 2006). Beispiele aus der Judikatur „Die durch die Vergabebekanntmachung gemäß Art 2 RL 2004/18/EG iVm § 19 Abs 1 BVergG 2006 zu gewährleistende Transparenz verlangt sohin, dass bei einem mit Vergabebekanntmachung eingeleiteten Verhandlungsverfahren der Leistungsinhalt nicht dergestalt geändert wird, dass die Wettbewerbschancen des auf die ursprüngliche Bekanntmachung vertrauenden Bieters durch nachmalige Änderungen des Leistungsinhalts erheblich sinken; und maW ein Bietersturz nach dieser Änderung jedenfalls wegen dieser Änderung möglich erscheint.“ (BVA 8.8.2012, N/0050-BVA/08/2012-51)15 „Der Gleichbehandlungsgrundsatz setzt eine Verpflichtung zur Transparenz voraus, da ansonsten von der Vergabebehörde nicht geprüft werden könnte, ob er eingehalten wurde [EuGH 18.10.2001, Rs C-19/00, (SIAC)]. Dem Gebot der Transparenz im Vergabeverfahren kommt insbesondere bei der Wahl des Angebotes für den Zuschlag fundamentale Bedeutung zu, da die Entscheidung des Auftraggebers, aus welchen Gründen er einem bestimmten Bieter den Zuschlag erteilen möchte, objektiv nachvollziehbar sein muss. Ein Ausschluss der Nachvollziehbarkeit der Prüfung der Angebote auf ihre Übereinstimmung mit den in der Ausschreibung festgelegten Kriterien ist mit den einschlägigen Bestimmungen des BVergG iSv § 21 Abs. 1 BVergG 2002 nicht vereinbar und macht 13 14 15

ZB EuGH 14.11.2013, Rs C-388/12, Comune di Ancona, RPA-Slg-Int 2014/9 = RPA-Slg-Int 2014/10 = RPA-Slg-Int 2014/10, 107; Eilmansberger/Fruhmann in Schramm/Aicher/Fruhmann/Thienel, Bundesvergabegesetz 2006, § 19 Rz 24. EuGH 5.12.2013, Rs C-561/12, Nordecon, RPA 2014, 100 (Reisner); EuGH 29.3.2012, Rs C-599/10, SAG ELV Slovensko ua, eastlex 2012/24 (Páleníková) = RPA 2012, 230 (Reisner) = wbl 2012/95 = ZfRV-LS 2012/20 = ZVB 2012/89 (Elsner). BVA 8.8.2012, N/0050-BVA/08/2012-51, ZVB 2012/137 (Pointner).

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I. Grundlagen des Vergaberechts die gerichtliche Überprüfbarkeit der Entscheidung des Auftraggebers unmöglich.“ (BVA 11.4.2006, N/0001-BVA/02/2006-71) „Festzuhalten ist, dass die Teilnahmeunterlagen keine Aussage über die Größe und die Zusammensetzung der Kommission sowie das von ihr einzuhaltende Verfahren bei der Bewertung enthalten. Damit bleibt das Bewertungsverfahren für die beteiligten Bieter von vorneherein im Dunkeln. Bereits darin liegt ein Verstoß gegen die nach den Grundsätzen des § 19 Abs 1 BVergG gebotene Transparenz.“ (BVwG 11.2.2014, W187 2000002-1/23E)

4. Eignung Wie in § 19 Abs 1 BVergG 2006 normiert, darf der Auftraggeber den Auftrag nur an befugte, leistungsfähige und zuverlässige Unternehmer vergeben. Mit dieser Formulierung legt der Gesetzgeber fest, dass ein Auftrag nur an so genannte geeignete Unternehmen vergeben werden darf (zu den Eignungskriterien und deren Prüfung siehe Kapitel II.E.2.).

5. Angemessene Preise Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die auf Grund eines Vergabeverfahrens erhaltenen Angebotspreise angemessen sind. Das BVergG sieht weiters Regelungen zur Prüfung der Preisangemessenheit im Zuge der Angebotsprüfung vor (vgl hierzu § 125 BVergG 2006). Für den Fall, dass eine Leistung ungewöhnlich – etwa in Relation zum geschätzten Auftragswert – billig bzw teuer angeboten wird, ist der Auftraggeber zur vertieften Angebotsprüfung verpflichtet. Gemäß § 125 Abs 4 BVergG 2006 hat der Auftraggeber dabei insbesondere zu prüfen, ob die angebotenen Preise betriebswirtschaftlich erklär- und nachvollziehbar sind. Dem jeweiligen Bieter hat der Auftraggeber dabei die Möglichkeit einzuräumen, schriftlich oder gegebenenfalls auch mündlich oder telefonisch zum ungewöhnlichen Preis Stellung zu nehmen.

E. Exkurs: BVergG-Novelle 2015 Mit 1.3.2016 ist die BVergG-Novelle 2015 in Kraft getreten. Hintergrund und Zielsetzung der Novelle sind die Verhinderung von Sozial- und Lohndumping, die vermehrte Anwendung des Bestbieterprinzips sowie die Gewährleistung fairer und qualitätsvoller Vergaben. Die Anwendung des Bestbieterprinzips ist nun in bestimmten Fällen verpflichtend. Reine Feigenblattkriterien werden dem nicht genügen. Um dem Bestbieterprinzip zu entsprechen, müssen die Zuschlagskriterien im konkreten Fall so gewichtet sein, dass die Besser- bzw Schlechtererfüllung auch tatsächlichen Einfluss auf die Bestbieterermittlung haben kann. E. Exkurs: BVergG-Novelle 2015

Weiters wurden durch die Novelle auch strengere Regelungen für Subvergaben festgelegt. Der Bieter ist verpflichtet, sämtliche Subunternehmer namhaft zu machen. Auftraggeber dürfen davon nur mehr aus sachlichen Gründen absehen. 10

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