Hunger macht Eis : die Erfindung der Eisdiele

Autor(en):

Leiprecht, Helga

Objekttyp:

Article

Zeitschrift:

Du : die Zeitschrift der Kultur

Band (Jahr): 63 (2003-2004) Heft 737:

Eis, Gelato, Ice Cream : die Kultur des Sommers

PDF erstellt am:

01.07.2017

Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-301074

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HUNGER MACHT

EIS

Aus Armut verliessen sie ihre Dolomitentäler, zogen in die Fremde, in die Lombardei, nach Wien - oder nach Hamburg und München. In den fünfziger Jahren erlebten die Deutschen eine friedliche Invasion. Die Gelatieri hatten die Eisdiele erfunden. Eine Geschichte. Von Helga Leiprecht

Den Zug ab Bonn, umsteigen in München, über den Brenner und wieder umsteigen in Franzens¬ feste, durchs Pustertal bis Toblach, und dann hin¬ ein in die Berge, die schönsten Berge, in die Do¬ lomiten, Cortina, Borea, Venas, ein letztes Mal umsteigen in den Bus, über den Passo Cibiana, nach Hause, nach Dozza im Valle di Zoldo. Eine Nacht und einen Tag dauerte die Reise Mitte der dreissiger Jahre. Damals war Mario Vittoria zum ersten Mal in Deutschland, hatte im Eissalon Lazzarin gearbeitet und beschlossen, selber eine Li¬ zenz zu beantragen. Denn in Deutschland ging es aufwärts. Im Vergleich mit dem ländlichen Italien war es reich und versprach ein gutes Einkommen. Ein paar Jahre, und Mario hatte genügend zusam¬ mengespart für ein eigenes Geschäft. Nach kom¬ pliziertem bürokratischem Hin und Her, und mit der Hilfe eines Freundes auf dem Konsulat, man kannte zum Glück jemanden, und die Beziehun¬ gen zwischen Hitler und Mussolini waren ja gut, 1939 die Eröffnung des Eiscafés Venedig in Lan¬ dau. Der erste Eissalon in Landau, Stiftsplatz 3. Das war der Anfang einer Eroberung Deutsch¬ lands. Einer friedlichen Invasion. Die Italiener ka¬ men und die Deutschen passten sich an. In den fünfziger Jahren war der Besuch der ersten italieni¬ schen Eisdiele am Ort noch wie eine Landung auf dem Mond. Heute gehört Italien in jedes normale deutsche Leben. Doch woher kamen sie, die von Hamburg bis München den Traum von Bella Ita¬ lia weckten, von einem schöneren Leben?

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Im April

1919 war Mario vierzehn Jahre alt und Arbeitsleben begann. Der Vater war Maurer im Cadore, ein Saisonnier, wie die meisten aus dem Valle, und vor Mario lag ein vier-, fünfstündiger Fussmarsch von Dozza nach Vodo, von 900 Me¬ tern auf über 1500 Meter und ins Cadore hinab, durch den letzten Schnee des Frühjahrs am Fusse des Monte Pelmo vorbei. Erst im Krieg war die Strasse nach Zoppe gebaut worden, der Vater hatte noch oft den schmalen, steilen Trampelpfad gehen müssen. Mario marschierte los mit dem Rucksack, den schweren, genagelten Stiefeln, dem Proviant, ein Stück Käse, ein Stück Polenta. Hemd, Gilet, Hut. Wer in die Fremde zog, richtete sich anstän¬ dig her. Das, sagt er, war das erste Mal. das

Über Jahrhunderte hatten sich die Zoldani mit der Ausbeutung kleinerer Eisenerzminen und vor allem als Nagelschmiede einen guten Namen gemacht; in erster Linie belieferten sie das Veneto und die Republik Venedig. Das Eisen aus dem Valle di Zoldo war berühmt dafür, dass es nicht rostete, und 65

wurde als Stosseisen für die venezianischen Gon¬ deln verkauft, als Baunägel und Schusternägel. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlebte Venetien eine schwere Wirtschaftskrise, gleichzeitig hatte die Industrialisierung zur Folge, dass Nägel nun seriell und damit wesentlich bil¬ liger hergestellt werden konnten. Die beängsti¬ gende Wirtschaftslage verschlimmerte sich zusätz¬ lich durch den schnellen Bevölkerungszuwachs im Valle di Zoldo. Die Landwirtschaft konnte die Probleme nicht auffangen. Rund 5000 Menschen lebten 1919 im Val di Zoldo, doppelt so viele wie hundert Jahre zuvor. Überleben hiess auswandern. Für fast jede Familie im Valle. In die Lombardei, nach Wien oder Budapest, nach Frankreich, nach Südamerika. Auch Mario ging, zunächst nur ins angren¬ zende Tal, wo der Erste Weltkrieg Dörfer und Strassen zerstört hatte. Dann folgten Sommer¬ monate in Fossa bei Asiago, später zog er ins Pié¬ mont, nach Domodossola, nach Turin, schliesslich nach Umbrien zum Bau der Eisenbahn. Sommer für Sommer eine andere Arbeit, eine andere Stadt, andere Kameraden. Im Winter, wenn es auf dem Bau keine Ar¬ beit gab, verdingte Mario sich wie viele andere als fliegender Händler. Marroni, pere cotte, chalet. Kastanien, karamelisierte Birnen, Maisgebäck. Die österreichischen Behörden des Lombardo-Veneto verlangten damals allerdings eine Art Meisterbrief für die ambulanten Händler. Wer die warmen Süssigkeiten verkaufen wollte, musste nachweisen, dass er von seinem Handwerk etwas verstand. Den Zoldani stellte in der Regel der Konditor Fain Binda das Dokument aus. Damit konnten die Aus¬ wanderer später auch bei den Wiener Konditoren eine Anstellung finden dort, wo man lernen konnte, wie Eis gemacht wird. Die ojfelieri organisierten sich in Gruppen, fünfzehn, zwanzig Männer, einer war zuständig für die Beschaffung der Marroni oder der Birnen, ein anderer für die Kasse. Da standen sie, überall in den Städten Norditaliens, die schweren, auf Hoch¬ glanz polierten Kupferkessel hatten sie mit breiten Bändern geschultert, mit kalten Füssen und krum¬ mem Rücken. Am Abend lieferte man die übrig gebliebene Ware und die Einnahmen ab, alles wurde registriert, und erst am Ende der Saison rechnete der Kassenführer ab. Einige Jahre lang schlug sich Mario so durch. Zwischen den Arbeitssaisons, im Oktober und im März, war er zu Hause in Zoldo, wo sich dann die Emigranten von überall her trafen. Einige kamen aus Wien, andere aus Deutschland, aus Spanien, Polen, Ungarn zurück. Maurer, Eisen-

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bahnbauer, Schreiner. Konditoren. Und Eisverkäu¬ fer. Gelatieri. 1865 hatte Antonio Tornea Bareta aus Zoppe die Erlaubnis erhalten, in Wien Eis zu verkaufen. Tornea, der zuvor ebenfalls mit einem Meisterbrief Fain Bindas in Norditalien als Marronimann und

chalet-Verkäufer unterwegs gewesen war, ent¬ puppte sich als guter Geschäftsmann. Als er 1874 nach Leipzig ging, hatte er um die fünfzig Eis¬ wagenlizenzen, die er vor allem an seine nächsten Landsleute, an Zoldani oder Cadorini, weitergab: verkaufte, kann man vermuten. Das Gerangel wird heftig gewesen sein, denn das Geschäft mit dem «Gefrorenen», wie es meist hiess, lief gut. Organi¬ siert wurde der Eisverkauf so wie zuvor der Verkauf der pere cotte und Marroni. An einem Ort wurde produziert, dann schwärmten die carrettini in der was ganzen Stadt aus. Mit grossem Erfolg schliesslich Arbeit für viele Freunde und Bekannte und Verwandte aus dem Valle bedeutete. An jeder Strassenecke, vor Schulen, Kasernen und zum Schichtwechsel vor den Fabriktoren, im Prater und um den Stephansdom herum blitzten die silbrigen Deckel der sorbettiere, in denen das Eis kühl ge¬ halten wurde, GELATERIA VENETA stand da in schwungvollen Grossbuchstaben. Den österreichischen Konditoren allerdings war der sensationelle Erfolg der gelatieri nicht will¬ kommen. Bevor die Kundschaft ein Kaffeehaus betreten konnte, schoss schon ein klingelnder Eis¬ wagen um die Ecke, und statt eine Topfentasche mit Schlagobers zu vertilgen, schleckten die Wie¬ ner Herrschaften nun Gefrorenes, Erdbeer und Schokolade und Vanille; letzteres im übrigen war damals noch eine Wiener Spezialität. Schliesslich setzten die Konditoren nach gros¬ sem Gezeter durch, dass ein Gesetz aus Zeiten Maria Theresias wieder in Kraft gesetzt wurde: Der Eisverkäufer musste einen festen Sitz haben. Zunächst bedeutete das, dass die carrettini statio¬ niert waren, schliesslich aber mussten die gelatieri eigene Geschäfte eröffnen. Oft mieteten sie ein Zimmer im Erdgeschoss und verkauften aus dem Fenster heraus; damit die treueste Kundschaft, die Kinder, aufs Eis sehen konnten, brachte man einen Holztritt an der Mauer an, eine Diele. Die Eisdiele.

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Als Mario im Herbst 1929 im Valle war und zu¬ sammenrechnete, wie wenig er in der letzten Sai¬ son verdient hatte, erzählten ihm Freunde wieder einmal vom recht guten Geschäft mit dem gelato. Diesmal zog Mario die Konsequenzen. Zunächst ging er nach Verona, als garzon, als Eismacher-Ge¬ hilfe; einige Monate später brach er mit seinen Brüdern auf in die Lombardei, nach Palazzolo. Sie hatten drei carrettini, die sie mit ihren Fahrrädern durch die Gegend zwischen Brescia und Bergamo schoben. Sechs Jahre lang verkauften sie hier Eis, und um die 40 Kilometer am Tag radelten sie. In der Mittagspause musste man die Eiskübel aus den Wagen herausheben und das zerlaufene Kühleis erneuern. Eravamo specialisti, das Eis produzierten sie selber und jeden Tag frisch. Ein Lebens¬ mittelgesetz zur Eisproduktion habe es damals noch nicht gegeben, in Italien im übrigen sei das bis heute so. 66

Und dann also Deutschland. Und die Eröff¬ nung des Eiscafés. An Hitlers 50. Geburtstag, am 20. April 1939, sei das gewesen, schien eigentlich die Sonne?, nun, jedenfalls waren die Leute in Feststimmung, das kann man sich vorstellen, und alle im Sonntagsgewand oder in Uniform. Aus dem Volksempfänger Hitlers Festansprache, und Sieg Heil. Die Einnahmen liessen sich sehen. Es folgte ein heiterer Sommer, trotz der vielen Arbeit. Man hatte ja alles Gesparte investiert, in die elek¬ trische Eismaschine, die kleinen runden Tische, Stühle, in die Eisschalen aus Chrom und Glas, die Aschenbecher, die Löffel, die Tabletts, die langen Schürzen und die Handtücher, man musste die Milch und den Zucker und die Schokolade und das Obst und die Waffeln bezahlen und war froh, dass den Deutschen das italienische Eis so gut schmeckte. Im übrigen hätten sie damals nur Eis, wirklich nur Eis, keinen Schlagrahm, keinen Kaf¬ fee verkauft, auch keine Eisbecher mit Obst oder so etwas wie Coupe Danmark. Mit dem Spatel drapierte man das Eis in die Waffel hinein. Als im September 1939 der Krieg ausbrach, habe das dem Geschäft zunächst keinen Abbruch getan. Nur nach Hause gefahren seien sie nicht mehr. Erst als Anna wieder schwanger war, 1942, schickte Mario sie ins Valle. Er selbst blieb in Lan¬ dau, bei der Geburt seines Sohnes Ornello war er nicht dabei. Bis 1943 produzierte er sein Eis. Als die Lebensmittel rationiert wurden, nahm man Kondensmilch was natürlich bei weitem nicht dasselbe war -, man beschaffte sich Zucker auf dem Schwarzmarkt, manchmal konnte man auch Schokolade auftreiben, ein aufreibendes Geschäft, und immer war ein wenig Angst dabei. Dann war es vorbei mit dem Eismachen. Nach dem Sturz Mussolinis schloss Italien sich den Alli¬ ierten an, und Ministerpräsident Pietro Badoglio erklärte im Oktober Deutschland den Krieg. Mario Vittoria, der Italiener, gehörte plötzlich ei¬ ner Nation von Verrätern an. Der innenpolitische Geheimdienst des Naziregimes SD vermerkt in einem internen Bericht, «überall finden diese Ita¬ liener in der deutschen Bevölkerung eisige Ableh¬ nung und Verachtung. Es wird daher der spontane Wunsch geäussert, die Badoglio-Verräter nicht nach formalen Rechtsbestimmungen zu behan¬ deln, sondern ihre Arbeitskraft so auszunützen, dass sie im Verhältnis zu der dem deutschen Volke angetanen Schmach stehe.» Mario blieb trotzdem in Landau. Im Gegensatz zu den vielen Italienern, die Nazideutschland mit verlockenden Lohnangeboten als Fabrikarbeiter und Maurer angeworben hatte, wurde Mario Vitto¬ ria nicht interniert, sondern zusammen mit den ver¬ bliebenen Deutschen zum Arbeitsdienst in der Maschinenfabrik Heinrich Lanz abgeordert, Hilfs¬ arbeiter 23a5; später, als die Front näher rückte, hob

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er Schützengräben aus. Er habe wohl Glück gehabt, meint Mario, nie etwas von Hass gespürt. Vielleicht habe man ihn in Landau auch einfach zu gut gekannt. Im Januar 1945 kehrte er zurück ins Valle, zu seiner Familie. Mitnehmen konnte er nichts. Landau wurde zwei Monate später bombardiert.

Das Leben im Valle aber war so anders als in der Stadt. Kaum ein Haus hatte fliessendes Wasser,

Mitte der fünfziger Jahre: Mario Vittoria mit seinem Sohn Franco vor dem Eis-Salon in Landau. Foto Familie Vittoria.

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man musste in der Morgenkälte zum nächsten Brunnen. Für Mehl und Öl marschierte man mit dem Leiterwagen nach Forno hinunter, eine Stunde Weg, und wehe, die Flasche fürs Öl wäre zerbrochen, man hatte nur eine. Salz gab es so¬ wieso nur auf dem Schwarzmarkt, manchmal wan¬ derte man nach Cortina hinüber, um ein kleines Säckchen aufzutreiben, meistens aber schmeckte die Polenta wochenlang fad. Ansonsten gab es, wie früher, was man selber anbaute, Bohnen, Kartof¬ feln, Rüben. Gekocht wurde auf dem alten Herd, den man täglich anfeuern musste. Abends sass man auf der Holzbank um den fogher, den Feuer¬ platz in der Mitte der Stube. Das einzige Eis, das es gab, lag gefährlich auf den ungeteerten Wegen und hing in grossen Zapfen von den Dächern der Häuser. Für Mario gab es wieder keine Arbeit im Valle, und wie in seiner frühen Jugend ging er den Som¬ mer über auf den Bau, eine Saison nach Cortina, dann in die Schweiz, nach Mettmenstetten bei Zürich. Im Kopf aber reiste er nach Deutschland zurück.

Die Orte Bragarezza, Dozza, Piere im Valle di Zoldo. © Paolo Lazzarin

1949 kam er zum zweiten Mal nach Landau. Wie durch ein Wunder hatte das Café die letzten Kriegstage gut überstanden. Zwar hatten ganz in der Nähe Bomben eingeschlagen, das Gemeinde¬ haus vis-à-vis war zerstört und viele Häuser aus¬ gebrannt. Doch er, so Mario, musste im Grunde nur wieder aufsperren. Die Fenster waren vom Luftdruck geborsten, die Glasschalen lagen in Scherben, alles war schmutzig, aber sonst -. Die Hausbesitzerin hatte alles gelassen, wie es war. Für das Lokal hatte sich in der Zwischenzeit nie¬ mand interessiert. Im Frühjahr 1950 eröffnete

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Mario das Café wieder, nun hiess es Eis-Salon Vittoria. Auch jetzt konnten die Vittorias kaum Deutsch, an ein paar Brocken erinnerten sie sich, an die Zah¬ len natürlich, und Vanille, Schokolade, Erdbeer, Zi¬ trone. Untereinander redeten sie ladinisch, ades vai a stucar i limon e dopo pela le banane, e fai presi, asto capì!, man blieb unter sich. Obwohl der Kontakt gut war mit den Deutschen, die Leute in der Pfalz sind ja ein wenig wie wir, sagt Mario, und ihnen ge¬ fiel die fremde Sprache, sie bestellten manchmal auch cioccolato per favore, und es waren auch viele Franzosen da, überhaupt eine bunte Mischung, Landau war Garnisonsstadt, und die Leute waren aufgekratzt, weil es aufwärts ging, und den Krieg wollte man möglichst schnell vergessen. Bei Vitto¬ rias hing ein Kalender mit bunten Bildern aus dem schönen Italien, aus Rimini und vom Gardasee, und die Theke aus falschem Marmor gab die nötige Eleganz inmitten der Nachkriegsbescheidenheit. Man verdiente gut mit den Jahren, und man baute ein Haus. In Zoldo, natürlich. Stadtsom¬ mer, Deutschlandsommer. Bergwinter, Italienwin¬ ter. Jahrzehnte ging das so. Im Sommer schuftete man, 18 Stunden am Tag. In der Früh kam die Milch in blechernen Kannen, wir rüsteten Erd¬ beeren, Aprikosen, wir machten damals fast alle Fruchtsorten noch aus frischem Obst, wir hackten das Eis, das die Brauerei in grossen Brocken anlie¬ ferte. Die Milchmasse in die Maschine, zwanzig Minuten, dann herausgespatelt in die Kühlgefässe. Um zehn Uhr öffnete der Salon, und es ging durch bis elf Uhr abends. Dann noch putzen, aufräumen. Ins Bett fallen. Nicht wahr, Anna? Im Winter ruhten sie sich aus. Ein bisschen etwas war natürlich immer zu richten und zu repa-

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rieren, und die Frauen mussten einen Haushalt versorgen. Aber nun gab es fliessendes Wasser in den neuen Häusern, und Heizungen. Die neuesten Geräte brachte man aus Deutschland mit ins Tal, erst recht, als man alles ins eigene Auto packen konnte. Den Fortschritt. Mit der Zeit sind die al¬ ten Häuser verschwunden. Nur in Fornesighe sind sie noch da wie seit je, eng aneinander gebaut und an den steilen Berghang geklebt, das Holz der Vor¬ bauten und Veranden schwarz von der Witterung. Es war schön, sagt Mario, alle haben sich zu Hause getroffen, Karten in der warmen Stube gespielt. Und von Deutschland erzählt. Dorthin hatte es Ende der sechziger Jahre fast Dreiviertel der Zoldaner Bevölkerung gezogen, im benachbarten Ca¬ dore sah es ähnlich aus. Das Eiscafé Milano der Di Pellegrins in Frankfurt, die Gelateria Campo in Lippstadt, Panciera in Duisburg, Lazzarin in Bonn und Hagen, Olivier und Gamba in Stuttgart, Fon¬ tanella in Mannheim und Osnabrück, Bortolot bei Köln. Den Hauptachsen der Eisenbahn entlang reisten die Italiener nach Norden. In jeder Klein¬ stadt wurde eine Eisdiele eröffnet. Wie die Tupfer im Vanilleeis verteilten sie sich über die deutsche

tönten noch Rudi Schurike mit den Capri-Fischern und später Azzurro von Adriano Celentano aus den Lautsprechern. Raus aus der Zeche, in die Eis¬ diele, und ein paar Minuten weg von allem. Alcuni momenti di evasione. Hier war die Welt so pastellfarben wie das Eis. Die italienischen Eismänner wurden langsam zu einem festen Bestandteil Deutschlands. Die strenge Ordnungskultur der Deutschen und der unbedingte Pflichtgehorsam brachen auf, das ewige «Schaffen, schaffen, Häusle bauen», das Malochen bekam Konkurrenz von la dolce vita, das die Eisverkäufer verkörperten. Das Eis war der An¬ fang. Eisschlecken statt Kuchenessen, und manch¬ mal auch Eisschlecken statt Biertrinken. Mit der Familie raus auf die Strasse, in die Eisdiele. Lat¬ schare statt Stubenmief. Später kamen Pizza, Spa¬ ghetti, Wein und Cappuccino. Die Gastarbeiter¬ ströme brachten sie mit. Heute ist Deutschland ohne Italien gar nicht mehr denkbar, und als Aus¬ länder fallen die Italiener längst nicht mehr auf. Italienisch, sagt Gerhard Polt, ist ja fast schon keine Fremdsprache mehr.

Landkarte. Die Eisdiele wurde zur Chiffre des deutschen Wirtschaftswunders. Und während, wie die Tages¬ zeitung «Die Welt» 1960 in einer Serie berichtete, die italienischen Maurer und Strassenbauer, die häufig aus Sizilien, Kalabrien, Apulien kamen, sich als Kanaken und dreckige Makkaroni beschimpfen lassen mussten, hatten die Eisdielenbesitzer mit den langen weissen Schürzen kaum Probleme. Auch Mario nicht. Das spiessige Deutschland sonnte sich in dem Hauch Exotik, den die Italiener mitbrachten, und wähnte sich weltläufig, und dann

Mit der Zeit hat Ornello Vittoria mit

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Zoldo Alto das Geschäft in Landau übernommen. Die Arbeit, meint Mario, ist längst nicht mehr so schwer wie am Anfang, mit der Zeit Luigina

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sind ja diese Pasten und Pulver aufgekommen, die man der Milch nur noch zusetzen muss, kein Ver¬ gleich ist das. Auch wenn die Eisdiele heute eher eine Bar ist, mit Kaffee und Wein und wer weiss was allem, wie in Italien eben. Mario selber hat sich zurückgezogen. Mit sei¬ nen nun bald 97 Jahren geht er nicht mehr aus dem Valle heraus. Er hat viel gesehen, jetzt ist Schluss.

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