Predigt: Die Macht der Vergebung Vergebung ist ein zentrales christliches Thema und ein Thema in unserer Gesellschaft. Im Managermagazin gab es mal die Schlagzeile „Vergebung für reuige Sünder“. Und da drunter hieß es: „Im Schmiergeldskandal hat Siemens geständigen Mitarbeitern erstmals Straffreiheit angeboten. Wer Korruption freiwillig zugibt, soll vom Konzern selbst nicht bestraft werden. Keine Gnade gibt es jedoch für korrupte Topmanager.“ 1997 erschien in den USA ein Buch von Colin Tipping mit dem Titel „Radical Forgiveness - Making Room for the Miracle“ in deutsch erschienen unter dem Titel „Ich vergebe: Der radikale Abschied vom Opferdasein.“ Auf der Grundlage dieses Buches wurde in der Psychotherapie die Tipping-Methode entwickelt. Die Tipping-Methode der radikalen Vergebung steht in der Tradition der Humanistischen Psychologie und verbindet erfahrungsorientierte psychotherapeutische Methoden mit einer spirituellen Sichtweise. Mit dieser Methode können Gefühle wie Ärger, Wut und Schuldzuweisungen aufgelöst und die Vorstellung losgelassen werden, Opfer von Verhältnissen oder Personen zu sein. Opfererfahrungen und die häufig damit verbundenen schädlichen Verhaltensmuster können bearbeitet und geklärt werden. Die Tipping-Methode versteht sich als ein Coaching, in dem der Klient eine Sichtweise angeboten bekommt, die ihm ein neues Verständnis erlebter und zukünftiger Ereignisse ermöglicht. Von Vorteil ist dabei, dass der Klient diese

Sichtweise nur als Möglichkeit in Betracht ziehen muss; die Aneignung eines bestimmten Glaubenssystems ist nicht erforderlich. So weit zur Tipping-Methode. Das Thema „Die Macht der Vergebung” habe ich bewusst so gewählt, weil ich darauf eingehen will, dass Vergebung etwas ist das wir in unserer Macht haben. Wir sind nicht ohnmächtig. Es liegt etwas in meiner und in Deiner Macht. Wir haben die Macht darüber, zu entscheiden, ob wir vergeben wollen oder nicht. Ich werde ansprechen, was Vergebung nicht ist und praktische Schritte zur Vergebung aufzeigen. Der Gott, dem wir gehören, dem wir glauben und den wir bezeugen ist der Gott der Vergebung. Vergebung kommt von ihm, von dem lebendigen Gott, der sich in Jesus offenbart hat, und den die Bibel bezeugt. Gott ist ein Gott der Vergebung. Es ist sein Wille, seine Idee, seine Entscheidung, die gilt! Er hat sich darauf festgelegt. Die Vergebung Gottes für die Menschen wurde endgültig vollzogen am Kreuz von Golgatha, durch das Blut von Jesus und durch die Hingabe seines Lebens in den Tod. Seitdem steht fest, dass es nichts gibt, was den Menschen vor Gott anklagen kann, wenn der Mensch diese Vergebung annimmt. Die Vergebung Gottes ist grenzenlos, bedingungslos und kostenlos. Sie ist aber nicht vorbehaltlos. Gott hat es sich vorbehalten, dass seine Vergebung angenommen werden muss. Sie wird nicht übergestülpt oder aufgezwängt oder verordnet. Vergebung ist ein Geschenk Gottes, Geschenke müssen angenommen

werden. Die Vergebung Gottes verändert den Menschen. Wir empfangen dadurch Freiheit, Gelassenheit, Liebe und Freude. Gott ist – sozusagen - der Erfinder der Vergebung. Darüber können Menschen nur staunen. Der Prophet Micha staunt und sagt: „Wer ist ein Gott wie du, der Schuld vergibt und Vergehen verzeiht? Der Freude daran hat, gnädig zu sein“ (Mi. 7,18). Dem Erfinder der Vergebung steht der Mensch als Erfinder der Rache gegenüber. Im ersten Buch Mose wird ein Mann namens Lamech erwähnt. Er ist ein Sohn Methusalems und lebte in der Zeit zwischen Adam und Noah. Dieser Lamech sagte zu seinen Frauen: "Ada und Zilla, meine Frauen, hört mich an: Wenn ein Mann mich verwundet, erschlage ich ihn - sogar einen Jungen töte ich für eine einzige Strieme! Wenn schon ein Mord an Kain siebenfach bestraft wird - für Lamech wird alles siebenundsiebzigmal gerächt!" (1. Mos 4,23+24). Vor diesem Hintergrund der ausufernden Rache ist übrigens das allgemein bekanntere alttestamentliche Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ zu verstehen. Mit diesem „Auge um Auge Prinzip“ wurde das Prinzip, bei der Rache immer noch eins draufzusetzen, begrenzt auf eins zu eins. Aber schließlich sagt Gott „Mein ist die Rache“ (5. Mos 32,35). Der Mensch soll sich nicht rächen. Also muss es etwas anderes geben, mit dem Ärger, Wut und Schuldzuweisungen abgebaut werden können. Und das ist die Macht der Vergebung. Gott, der Erfinder der Vergebung,

vergibt, und erwartet von denen, die seine Vergebung in Anspruch nehmen, Vergebung. Jesus zeigt das sehr deutlich auf, als er damit beginnt, seine Anhänger über die Vergebung zu lehren. Interessant ist, dass er in dem Moment damit beginnt, als sie ihn baten „Herr lehre uns beten“ (Lk 11,1). Und er lehrte sie beten und sagte: „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“. Und etwas später fügt er hinzu: „Und wenn ihr steht und betet, so vergebt, wenn ihr etwas gegen jemand habt, damit auch euer Vater, der in den Himmeln ist, euch eure Übertretungen vergebe“ (Mk 11,1). Wie ist diese Vergebung zu verstehen, die Gott von uns erwartet? Ich denke, es gibt häufig ein falsches Verständnis von Vergebung? Ich meine, wir sollten damit beginnen, mit all den irrigen Vorstellungen aufzuräumen, die wir mit Vergebung in Verbindung bringen. Zunächst müssen wir uns ganz klar darüber sein, dass Vergebung kein Akt der Gerechtigkeit ist, und dass Vergebung nicht die Rechtfertigung von Schuld ist. Unrecht ist und bleibt Unrecht. Unrecht wird durch Vergebung nicht gutgeheißen. Unrecht ist auch in Gottes Augen Unrecht. Unrecht, das vom Gesetz her strafbar ist, wird durch Vergebung nicht straffrei. Es ist wichtig, diesen Unterschied zu wissen und zu beachten. Vergebung ist nicht die Rechtfertigung von Schuld.

Und schließlich müssen wir uns Klarheit darüber verschaffen, was eigentlich geschieht, wenn wir nicht vergeben, oder vergeben können? Wer ist dann dabei der Geschädigte? Verletzungen, die uns zugefügt worden sind, verursachen Schmerzen, ganz besonders, wenn Menschen aus unserem familiären, sozialen und geistlichen Umfeld die Täter sind. Das ist verständlich und auch zu erwarten. Wir verstehen die Welt nicht mehr. Aber hast du dich schon einmal gefragt, wen es eigentlich schmerzt, wenn du nicht bereit bist zu vergeben? Manchmal weiß ein Übeltäter nicht einmal, dass er dich verletzt hat. Und wenn er es weiß, kann es sein, dass es ihn nicht kümmert, oder dass es ihm sogar völlig egal ist. Das heißt, wenn wir ehrlich mit uns selbst sind, erkennen wir, dass wir uns letztendlich selbst Schaden zufügen, und zwar in doppelter Weise. Wenn ich nicht vergebe heißt das, ich binde mich an einen Menschen, der an mir schuldig geworden ist. Es verhält sich dann so, als ob man sich regelrecht an Menschen kettet und sich wundert, warum jede ihrer Bewegungen schmerzt. Denn die Wunden, die uns geschlagen wurden, brechen durch ihre Bewegungen immer wieder neu auf. Und das tut weh, das schmerzt und hinterlässt Spuren. Jesus erzählt einmal eine Geschichte. Ein Mann hat große Schulden und ist nicht in der Lage, sie zurückzuzahlen. Sein Gläubiger erlässt ihm dann komplett die Schulden. Dann trifft er einen anderen Mann, der ihm selbst wiederum eine kleine Summe schuldet, die der auch nicht zahlen kann. Der, dem vorher die ganzen Schulden erlassen wurden,

lässt nun den, der ihm die kleine Schuld nicht bezahlen kann, ins Gefängnis werfen. Das wurde beobachtet und dem Gläubiger mitgeteilt, der ihm die Schulden erlassen hatte und dann geschieht folgendes: Dieser Gläubiger wurde zornig und überlieferte ihn den Folterknechten, bis er alles bezahlt hatte (Mat 18,34). Den Folterknechten übergeben. Was tun Folterknechte mit denen, die ihnen ausgeliefert werden? Folterknechte sind raue, skrupellose, gewalttätige, oftmals sadistisch veranlagte Gesellen. Niemand möchte mit ihnen etwas zu tun haben, weder persönlich schon gar nicht in ihrem spezifischen Tätigkeitsbereich. Folterknechte tun genau das, was ihr Name aussagt – sie foltern. Das erstreckt sich sowohl auf die physische als auch auf die psychische Gewaltanwendung. Ich bin aufgrund meiner Erfahrungen zu der Überzeugung gekommen, dass das mit den Folterknechten sehr ernst zu nehmen ist und tatsächlich so eintrifft. Wenn wir die Bedingung der gegenseitigen Vergebung nicht erfüllen, begeben wir uns ganz automatisch in die Folterkammer. Es tut dann weh. Es tut uns selbst weh. Groll, Ärger und Bitterkeit zerstören dein Leben, nicht das des anderen und sie zerstören immer auch Beziehungen. Deshalb ist es so! Wer nicht vergibt ist selbst der Geschädigte. Er bleibt entweder immer in der Opferrolle, oder langfristig gehegter Ärger und ein langfristig gehegtes nicht Loslassen wollen führt zu Bitterkeit. Bitterkeit raubt schließlich die Lebensfreude und zerstört Beziehungen. Der Geschädigte ist der, der nicht vergibt.

Gott will das nicht! Gott will nicht, dass Ärger und Bitterkeit auf Dauer gelebt Schaden anrichten. Gott will nicht, dass uns die Lebensfreude flöten geht. Und er will auch nicht, dass unsere Beziehungen kaputt gehen. Es ist offensichtlich eine ernste Sache, mit ernsten Konsequenzen, die Gott nicht will. Gott will, dass wir frei und befreit leben. Dass wir Freude haben und dass unsere Beziehungen Bestand haben und gesund sind. Deshalb gibt er uns den Auftrag zu vergeben. Ja – es ist ein Auftrag. Es ist nicht ein du könntest, oder, wenn du möchtest, oder wenn du dazu bereit bist. Es ist ein Auftrag – tu es! Tu es vor dem Hintergrund, dass sonst die Folter kommt. Vergebung soll getan werden. Menschen, die geschädigt sind, und das sind wir alle irgend wann einmal, sollen nicht noch zusätzlich geschädigt werden, weil sie nicht vergeben können oder wollen – das ist der Hintergrund, der auch außerhalb des christlichen Glaubens erkannt wurde, wie wir am Anfang von der Tipping-Methode gehört haben. Der Unterschied zwischen der Tipping-Methode und der Vergebung aufgrund des Auftrages durch Gott ist, dass das Vergeben ohne den Glauben an Jesus aus rein logischen Gründen praktiziert werden kann. Es ist eine Möglichkeit. Wenn du an Jesus glaubst ist es keine Möglichkeit mehr. Dann ist Vergebung ein Auftrag. Tu es. Tu es selbst und tu es für dich selbst. Die Frage ist, was ist nun eigentlich die größere Folter? Der Auftrag zum Vergeben, oder das Beharren im nicht vergeben können oder wollen. Ich habe den Eindruck hier wird manchmal das Zweitbeste für das Beste genommen. Das Beste ist immer, Gott recht zu geben. Wenn wir vergeben, geben wir Gott Recht, nicht dem, der uns

geschädigt hat. Gott Recht geben führt immer in die Freiheit. Gott Recht geben führt zum Leben. Und Gott Recht geben führt letztendlich zur Freude. Und Gott Recht geben heilt uns und schützt uns. Wenn wir Vergebung als einen Auftrag verstehen, dann ist Vergebung nicht unmöglich. Wenn Gott uns Vergebung zumutet, kann das nicht unmöglich sein. Gott ist für das Unmögliche zuständig, nicht wir. Deshalb mutet er uns nichts Unmögliches zu. Wir können Vergebung leben und praktizieren. Und dann sind da noch die Gefühle. Ich fühle mich nicht nach Vergebung. Und da sind wir beim nächsten Missverständnis. Einen Auftrag zu erledigen ist kein Akt des Gefühls. Deshalb ist Vergebung keine Gefühlsangelegenheit. Gefühle und Vergebung sind in sich selbst schon ein Widerspruch. Gäben wir unseren Gefühlen nach, wären wir wahrscheinlich nie bereit zu vergeben. In unseren Gefühlen sind wir Menschen ausgesprochen unstet. Die einzig unveränderliche Instanz unseres Seins ist unser wiedergeborener Geist. Und er allein ist von Gott beauftragt, zu vergeben. Vergebung kann deshalb unserer verletzten Seele total gegen den Strich gehen. Aber sie kann praktiziert werden, wenn wir folgendes beachten: • Vergebung heißt nicht, dass ich mit Unrecht einverstanden bin • Unrecht ist auch in Gottes Augen Unrecht • Vergebung heißt, ich gewähre dem, der an mir schuldig geworden ist, Gnade

• Vergebung ist keine Gefühlsangelegenheit, sondern ein Auftrag an unseren neuen, zum Leben erweckten Geist. Ich muss willens sein zu gehorchen. Gott will, dass es uns gut geht, deshalb will er, dass wir vergeben. Es geht um uns, um unseren Frieden, um unsere Freiheit, um unsere Lebensfreude und letztendlich um unsere Beziehungen. Wenn du nun vergeben hast, kann es sein, dass du dich mit deinen Gefühlen im Karussell oder in der Achterbahn befindest. Vergebung muss immer ausgesprochen werden und es kann sein, dass wir uns dann einreden lassen, dass wir gar nicht vergeben haben, denn unsere Gefühle würden uns das ja bezeugen. Es kann sein, dass wir uns gar nicht nach Vergeben-Haben fühlen. In diesen Fällen hilft nur eins, unterwirf dich ganz bewusst Gott. Gehe den entscheidenden Schritt zurück in Gottes Arme, so wie es im Jakobusbrief gesagt ist: „Unterwerft euch nun Gott! Widersteht aber dem Teufel! Und er wird von euch fliehen“ (Jak 4,7). In Gottes Armen können wir widerstehen. Aber, es kann auch sein, dass Geduld erforderlich ist. Die Seele braucht die nötige Zeit, bis sie das Ausgesprochene nachvollzogen hat und merkt, dass das Loslassen einer Last Erleichterung bewirkt. Gott hat uns zur Vergebung beauftragt und dazu bevollmächtigt, es zu tun. Vergebung ist deshalb eine Macht gegen das Zerstörerische und gegen die Folter. Sie wird nur dann zur Macht, wenn sie praktiziert wird. Ich möchte zum

Schluss sieben Schritte aufzeigen, die zur Vergebung führen: 1. Triff die Entscheidung zu vergeben 2. Rufe dir in Erinnerung, was Vergebung ist und was nicht 3. Bitte Gott um Vergebung für deine Unversöhnlichkeit, wenn das erforderlich ist 4. Vergib der betreffenden Person oder den Personen indem du es aussprichst vor Gott 5. Vergib dir selbst 6. Bitte Jesus, dein gebrochenes Herz zu heilen 7. Führe ein Vergebungstagebuch. Schreibe auf, wem du was vergeben hast. Was vergeben ist, ist vergeben. Gott ist ein Gott der Vergebung. Wir freuen uns daran und staunen: „Wer ist ein Gott wie du, der Schuld vergibt und Vergehen verzeiht? Der Freude daran hat, gnädig zu sein“.