Hochwasserschutz im Einklang mit Naturschutz

Hochwasserschutz im Einklang mit Naturschutz: Die Deichrückverlegung Lenzen an der Elbe 1 Hochwasserschutz im Einklang mit Naturschutz Die Deichrück...
Author: Hetty Frei
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Hochwasserschutz im Einklang mit Naturschutz: Die Deichrückverlegung Lenzen an der Elbe

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Hochwasserschutz im Einklang mit Naturschutz Die Deichrückverlegung Lenzen an der Elbe Christoph Heinzelmann, Matthias Alexy und Hector Montenegro

Abstract At present the dike relocation at the river Elbe near the village of Lenzen is among the largest floodplain restoration schemes in Germany. In 2009 a cultivated area of over 420 ha, till then protected from natural stream dynamics by an old dike in need of renovation, was re-connected to the river by a series of breaches cut in the existing dike. A new dike with a length of 6,1 km was constructed further away from the river bed. Since 1995, the Federal Waterways Engineering and Research Institute (BAW) has been involved in the planning, design and monitoring of this project. Based on a highresolution 2D hydronumerical model (2D HN) that was calibrated and validated against numerous field measurements, the hydraulic effects of the dike relocation could be determined. Predictions revealed that for the 100-year flood event about 35 % of the respective flow of 4,020 m³/s will be discharged through the reconnected floodplain resulting in a maximal drawdown of 35 cm around the first breach of the old dike. However, by the year 2090 this effect will be consumed by about a third due to the vegetation development in the reconnected floodplain area. After the dike opening in 2009 the floodplain area has already been subject to inundation and even through flow several times. During the summer flood in 2013, which brought in this river section among the highest ever measured water levels, the observed maximal drawdown was 37 cm. As consequence of the hydraulic re-connection the dike opening initiates intense changes in floodplain hydraulics like ponding duration as well as variations in the extent of the interface areas between surface and subsurface water bodies. Basic research initiated by BAW is currently ongoing based on field measurements aiming at the improvement of the understanding and the assessment of existing approaches for the quantification of exchanges between surface and subsurface water bodies. The evaluation of data from large-scale field measurements is continuing.

Zusammenfassung Mit 420 ha neu geschaffener Vorlandfläche ist die Deichrückverlegung Lenzen an der Unteren Mittelelbe derzeit die größte Maßnahme ihrer Art in Deutschland. Hierzu wurde der sanierungsbedürftige, entlang des Elbeufers gelegene Altdeich an 6 Stellen durch Schlitze geöffnet und ein neuer Deich mit einer Länge von 6,1 km im hinteren Vorland errichtet. Seit dem Jahr 1995 ist die Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) an Planung, Realisierung und Monitoring dieses Großprojekts beteiligt. Mit Hilfe eines

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hochaufgelösten zweidimensionalen hydronumerischen (2D-HN) Modells, das an einer großen Zahl von Naturmessungen kalibriert und validiert wurde, konnte die hydraulische Wirkung der Maßnahme nachgewiesen werden. Bei einem 100-jährlichen Hochwasserereignis mit einem Abfluss von 4020 m³/s werden ca. 35 % des Abflusses über das Vorland abgeführt. Die maximale Wasserspiegelabsenkung, die an der obersten Öffnung der Deichrückverlegung auftritt, beträgt 35 cm. Durch zunehmende Vegetation im Deichrückverlegungsgebiet wird dieser Effekt bis zum Jahr 2090 um ca. ein Drittel aufgezehrt werden. Nach Schlitzung des Altdeichs im Jahr 2009 wurde das Deichrückverlegungsgebiet bereits mehrfach bei Hochwasser überflutet. Beim Sommerhochwasser 2013, das in diesem Elbeabschnitt zu den höchsten jemals beobachteten Pegelständen geführt hat, betrug die maximale Wasserspiegelabsenkung 37 cm. Als Folge der hydraulischen Wiederanbindung der Flussaue verändern sich dort die Dauer des Überstaus sowie die Größe der Austauschflächen zwischen Oberflächenwasser und Grundwasser. Dies gilt insbesondere für die Flutmulden, wo die Auelehmdecke entfernt und damit der Austausch zwischen den beiden Wasserkörpern verstärkt wurde. Grundsatzuntersuchungen der BAW sollen das Verständnis für diese Austauschprozesse verbessern. Vorhandene Modellansätze zur Quantifizierung des Wasseraustauschs werden überprüft. Die Auswertung der zu diesem Zweck erhobenen umfangreichen Naturmessdaten dauert noch an.

1 Projektbeschreibung Die Deichrückverlegung Lenzen wurde an der Unteren Mittelelbe, ca. 25 km unterhalb von Wittenberge durchgeführt und ist Bestandteil des Naturschutzgroßprojekts Lenzener Elbtalaue. Bauherr war das Land Brandenburg, das die Deichrückverlegung in mehrjähriger Bauzeit zwischen 2005 und 2011 realisiert hat. Mit diesem Projekt werden im Wesentlichen folgende Ziele verfolgt: 

Wiederherstellung von Auwald,



Verbesserung des Hochwasserschutzes sowie



ökologische Ausrichtung der Landwirtschaft.

Abbildung 1 zeigt das Projektgebiet. Der Altdeich verläuft entlang des rechten Elbeufers. Anstatt diesen sanierungsbedürftigen Deich zu ertüchtigen, wurde ein neuer Deich auf einer Länge von 6,1 km im hinteren Vorland errichtet und der Altdeich an sechs Stellen geschlitzt. Mit einer neu geschaffenen Vorlandfläche von 420 ha ist die Deichrückverlegung Lenzen die größte Maßnahme ihrer Art in Deutschland. Seit der Schlitzung im Jahr 2009 wurde das Deichrückverlegungsgebiet bereits mehrfach durch Hochwässer überflutet.

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Abb. 1:

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Deichrückverlegung Lenzen bei El-km 476,7 bis 483,7

Abbildung 2 zeigt das Projekt in der Bauphase. Mit den im Deichrückverlegungsgebiet angelegten Flutmulden wird die Strukturvielfalt des Lebensraums erhöht und die Strömung im Hochwasserfall gelenkt. Der vorwiegend aus Auelehm bestehende Aushub wurde für den Bau des neuen Deichs verwendet. Auf diese Weise konnte ca. 65 % des Materialbedarfs für den Deichbau gedeckt werden. Durch die Flutmulden wird der Wasseraustausch zwischen Oberflächenwasser und Grundwasser verstärkt. Einzelheiten zu Planung und Umsetzung der Baumaßnahme aus Sicht des Bauherrn sind bei Schmidt (2013) zu finden.

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Abb. 2:

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Deichrückverlegung in der Bauphase (Foto: J. Purps, 2007)

2 Zweidimensionales hydronumerisches Modell der BAW Bereits seit dem Jahr 1995 unterstützt die Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) Planung, Realisierung und Monitoring dieses Großprojekts. Ziel in der Planungsphase war es einerseits, die lokalen Wirkungen der Deichrückverlegung auf Strömung, Wasserspiegellagen und Feststofftransport zu ermitteln, die ihrerseits Rückschlüsse auf die Habitatbedingungen im Deichrückverlegungsgebiet ermöglichen. Andererseits sollten auch die regionalen Wirkungen der geplanten Maßnahme auf die abiotischen Parameter analysiert werden. Zu diesem Zweck hat die BAW eine Vielzahl von hydraulischen, aerodynamischen und morphologischen Modelluntersuchungen durchgeführt. Der Detaillierungsgrad der Untersuchungen war so gewählt, dass sie dem Bauherrn wichtige Entscheidungsgrundlagen für eine genehmigungs- und baureife Planung geliefert haben. Eine umfassende Gesamtschau und das jeweilige Einsatzgebiet der verwendeten wissenschaftlichen Methoden und Verfahren sind bei Faulhaber et al. (2013) zu finden. Im vorliegenden Beitrag soll das zweidimensionale hydronumerische (2D-HN) Modell der BAW dargestellt werden, das seit dem Jahr 2009, also im Wesentlichen im Rahmen des derzeit laufenden Monitorings, zum Einsatz kommt. Das Modell basiert auf dem Verfahren UnTRIM. Hierbei handelt es sich um ein semiimplizites Finite-Volumen-Verfahren zur Lösung der 3D-Flachwasser- und Transportgleichungen, das auf einem unstrukturierten Gitter arbeitet. Da im Fall der Deichrückverlegung Lenzen der Einfluss von Sekundärströmungseffekten im Vorland- bzw. im

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Deichrückverlegungsgebiet vernachlässigbar ist, wird das Modell als zweidimensional tiefengemitteltes Modell betrieben. Abbildung 3 zeigt das Modellgebiet mit einer Länge von 19,5 km. Das digitale Geländemodell, das in Abbildung 4 den Bereich der Deichrückverlegung zeigt, ist mit einer Rasterung von 2 m hoch aufgelöst. Die Auflösung des Rechengitters beträgt in den topographisch stark strukturierten Bereichen (Flussschlauch, Flutmulden, Deiche) ebenfalls 2 m, in den topgraphisch weniger strukturierten Vorlandbereichen 10 m (Abb. 5). Insgesamt besteht das HN-Modell aus 3,7 Mio. Elementen.

Abb. 3:

Modellgebiet von El-km 470,0 bis 489,5

Abb. 4:

Digitales Geländemodell für das Deichrückverlegungsgebiet

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Abb. 5:

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Rechengitter mit Auflösungen von 2 m und 10 m

Für die Kalibrierung des HN-Modells wurden 5 Wasserspiegelfixierungen für Abflussereignisse zwischen Niedrigwasserabfluss (290 m³/s) und Hochwasserabfluss (3590 m³/s) ausgewählt. In allen Fällen ergab sich eine gute Übereinstimmung zwischen den gemessenen und den berechneten Wasserspiegellagen. Die maximalen Abweichungen betrugen ca. 10 cm. Für die anschließende Modellvalidierung standen weitere Wasserspiegelfixierungen zur Verfügung. Auch für diese Ereignisse stimmten Messungen und Modellrechnungen gut überein. Alle diese Fixierungen wurden vor Beginn der Deichschlitzungen durchgeführt. Nach Öffnung des Altdeichs im Jahr 2009 wurden verschiedene weitere Modellvalidierungen durchgeführt. Für die Validierung des Gesamtmodells standen nun Wasserspiegelfixierungen für mehrere Hochwasserereignisse in den Jahren 2010, 2011 und 2013 zur Verfügung, bei denen das Deichrückverlegungsgebiet überflutet wurde. Dabei konnte die hohe Prognosegenauigkeit auch für den Planungsfall bestätigt werden. Ergänzend hierzu wurden auch die Durchflüsse in den sechs Schlitzen gemessen und mit den berechneten Werten verglichen. Abbildung 6 zeigt die Ergebnisse für 5 Hochwasserereignisse. Das Einströmen in das Deichrückverlegungsgebiet findet in den oberen 3 Öffnungen, das Ausströmen zurück in die Elbe in den unteren 3 Öffnungen statt. Dabei tragen die oberste Öffnung maßgeblich zum Einströmen, die beiden untersten Öffnungen maßgeblich zum Ausströmen bei. Bei den größeren Hochwasserereignissen beträgt der Durchfluss im Deichrückverlegungsgebiet ca. 35 % des Gesamtdurchflusses. Der Vergleich zwischen den in den 6 Öffnungen gemessenen und berechneten Durchflüssen ergab für alle Ereignisse eine gute Übereinstimmung.

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Abb. 6:

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Lokale Validierung des HN-Modells

Zusätzlich zu den zuvor beschriebenen, für stationäre Abflussverhältnisse durchführten Modellvalidierungen wurden auch Validierungen für den Fall durchgeführt, dass das Modell instationär betrieben wird. Hierzu wurden an mehreren Stellen im Deichrückverlegungsgebiet zwischen Februar und Juli 2010 (in diesem Zeitraum wurde das Gebiet mehrfach überflutet) Wasserstandsaufnehmer installiert und die lokalen Wasserstandsganglinien aufgezeichnet. Hydrologische Randbedingung für die Modellrechnungen waren die am Pegel Wittenberge (El-km 454,0) gemessenen Abflüsse. In Abbildung 7 sind exemplarisch die gemessenen und berechneten Wasserstände für die Messstellen Lütkenwisch und Eichwald 2 dargestellt. Während für die Messstelle Lütkenwisch, die nahe zum Elbeufer liegt, die Übereinstimmung zwischen Messung und Modellrechnung gut ist, treten für die Messstelle Eichwald 2, die im Abstand von ca. 800 m zum Ufer liegt, zeitweilig Abweichungen von mehreren Dezimetern auf. Die Gründe für diese Abweichungen sind vermutlich vielgestaltig (Messfehler, Modellungenauigkeiten). Hinzu kommt, dass im HN-Modell das Deichrückverlegungsgebiet als zum Grundwasser undurchlässig angenommen wurde. Tatsächlich aber findet in den ausgedehnten Flutmulden, in denen die ca. 2 m mächtige Auelehmschicht entfernt wurde, ein Austausch zwischen Oberflächenwasser und Grundwasser statt (s. Kap. 4). Während die Scheitelhöhe im Modell gut abgebildet wird, führt der Wasseraustausch insbesondere in der Phase nach dem Scheiteldurchgang zu größeren Abweichungen zwischen Messung und Rechnung.

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Abb. 7:

C. Heinzelmann, M. Alexy und H. Montenegro

Vergleich der an den Messstellen Lütkenwisch (rechts) und Eichwald 2 (links) gemessenen (durchgezogene Linie) und berechneten (strichlierte Linie) Wasserspiegellagen

Abb. 8:

Wasserspiegellagen in der Elbe für die Zustände ohne und mit Deichrückverlegung sowie für unterschiedliche Bewuchsszenarien für HQ100 (Alexy, 2013)

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Nach erfolgreicher Kalibrierung und Validierung sollte das HN-Modell auch für Szenarienrechnungen über den Einfluss der Vegetationsentwicklung auf die Wasserspiegellagen eingesetzt werden. Hierzu wurden vom Bauherrn zwei Bewuchsszenarien für die Jahre 2030 und 2090 vorgegeben. Abbildung 8 zeigt die Ergebnisse der Modellrechnungen für einen 100-jährlichen Hochwasserabfluss HQ100 = 4020 m³/s. Unmittelbar nach der Schlitzung des Altdeichs im Jahr 2009 ergibt sich eine maximale Wasserspiegelabsenkung in der Elbe von 35 cm, die an der obersten Öffnung auftritt. Durch die anschließende Vegetationsentwicklung wird dieser Effekt bis zum Jahr 2090 um ca. ein Drittel aufgezehrt. Weitere Einzelheiten zum 2D-HN-Modell der BAW (Aufbau, Kalibrierung, Validierung) sowie umfangreiche Modellergebnisse sind in Alexy (2013) dargestellt.

3 Ergebnisse der HN-Modellierung für das Sommerhochwasser 2013 Das Sommerhochwasser 2013 hat in weiten Teilen der deutschen Elbe zu Pegelständen geführt, die alle bis dahin dokumentierten Pegelaufzeichnungen übertrafen. Während im oberen Abschnitt die beim Hochwasser 2002 beobachteten Wasserstände unterschritten wurden, wurden zwischen Coswig (El-km 236,3) und Geesthacht (El-km 586,0) bei Durchgang des Hochwasserscheitels durchweg neue Pegelhöchststände registriert. Für den hier besonders interessierenden Pegel Lenzen (El-km 484,7) betrug die Überschreitung 46 cm (Abb. 9). Im Abschnitt zwischen Barby (El-km 294,8) und Geesthacht wurden Scheitelabflüsse mit einem Wiederkehrintervall in der Größenordnung von 100–200 Jahren erreicht. Eine ausführliche Dokumentation über die hydrometeorologischen Ursachen, den Hochwasserverlauf und die statistische Einordnung des Sommerhochwassers 2013 an der Elbe und in anderen Flussgebieten ist in BfG (2014) zu finden. Abbildung 10 zeigt den Bereich der Deichrückverlegung Lenzen während des Hochwassers 2013. In diesem Bereich fanden die im Auftrag der BAW durchgeführten scheitelnahen Wasserspiegelfixierungen am 11. und 12. Juni statt. Die Messergebnisse stellen damit einen Zustand kurz nach dem Scheiteldurchgang dar, der am Pegel Lenzen am 10. Juni beobachtet wurde. Den beiden Messtagen sind die Durchflüsse 4200 m³/s (11. Juni) und 4020 m³/s (12. Juni) zuzuordnen (Abb. 11). Messungen der Durchflüsse in den Schlitzen fanden am 14. Juni bei einem Abfluss von 3560 m³/s statt.

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Abb. 9:

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Wasserstandsganglinien am Pegel Lenzen für die Hochwasserereignisse 2002, 2006, 2011 und 2013 (Heinzelmann et al., 2014)

Abb. 10: Deichrückverlegung Lenzen beim Hochwasser 2013

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Die mit dem 2D-HN-Modell durchgeführten Berechnungen zeigen eine gute Übereinstimmung mit den Ergebnissen der Wasserspiegelfixierung (Abb. 11). Als Wirkung der Deichrückverlegung ergeben die Modellrechnungen eine maximale Absenkung des Wasserspiegels von 37 cm, die unmittelbar am ersten Deichschlitz auftritt. Diese Wirkung nimmt nach oberstrom ab und klingt nach ca. 15 km auf Null ab. Im Bereich der beiden untersten Schlitze tritt eine Wasserspiegelerhöhung von 6 cm auf, hervorgerufen durch den lokal konzentrierten Zustrom aus dem Deichrückverlegungsgebiet in die Elbe, der im Hauptstrom zu einem Rückstau und damit zu einer Wasserspiegelerhöhung führt. Dieser Anstieg ließe sich durch eine Vergleichmäßigung des Zustroms in die Elbe verringern, die z. B. durch eine abschnittsweise Teilabsenkung des Altdeichs erreicht werden könnte.

Abb. 11: Während des Hochwassers gemessener Wasserspiegelverlauf sowie berechnete Wasserspiegellagen für die Zustände mit und ohne Deichrückverlegung (Heinzelmann et al., 2014)

In Abbildung 12 sind die gemessenen und berechneten Durchflüsse in den 6 Schlitzen dargestellt. Bei einem Elbe-Abfluss von 3560 m³/s oberhalb der Deichrückverlegungsmaßnahme werden ca. 35 % über die neu geschaffene Vorlandfläche abgeführt. Insgesamt stimmen Messung und Modellrechnung für die Teildurchflüsse in den Schlitzen gut überein. Für Schlitz 2 werden für das Hochwasser 2013, wie schon für frühere Ereignisse, zu hohe Durchflüsse berechnet, was vermutlich auf eine ungenaue Schlitzgeometrie im Modell zurückzuführen ist. Für Schlitz 3 liefert die Modellrechnung ebenfalls einen zu großen Wert. In der Zusammenschau von Messungen bei verschiedenen Hochwasserereignissen ist eine über die Zeit nahezu kontinuierliche Abnahme der

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Leistungsfähigkeit zu erkennen (Abb. 6). Die Topographie und die heute nach mehrjähriger Sukzession vorhandene Bewuchssituation sollten daher neu aufgenommen und mit den Daten im Modell verglichen werden.

Abb. 12: Vergleich zwischen gemessenen und berechneten Durchflüssen in den Schlitzen (Heinzelmann et al., 2014)

Die Wirkung der Deichrückverlegung Lenzen auf das Sommerhochwasser 2013 wurde auch von der Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG) untersucht (Promny et al., 2014). Hierzu hat die BfG ein eigenes 2-D-HN Modell verwendet. Hervorzuheben ist, dass mit dem BfG-Modell, das von Wittenberge bis Geesthacht reicht und eine Länge von 135 km aufweist, vorrangig ein anderes Untersuchungsziel verfolgt wird. Primäres Ziel ist es, im großräumig angelegten Modellgebiet eine Vorauswahl von denkbaren Maßnahmen zur Verbesserung des Hochwasserabflusses bei größtmöglicher Schonung der Natur zu treffen. Die Maschenweite des Rechengitters beträgt 25 m. Insge-

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samt umfasst das Modell 920 000 Elemente. Für das Sommerhochwasser 2013 ergibt die Modellrechnung der BfG eine maximale Wirkung der Deichrückverlegung Lenzen von 49 cm. Am Pegel Wittenberge, der 23 km oberhalb der Deichrückverlegung liegt, beträgt die Wasserspiegelabsenkung noch 8 cm. Im Vergleich zu den Modellergebnissen der BAW (maximale Wasserspiegelabsenkung: 37 cm, Reichweite: 15 km), liefert das BfG-Modell größere Werte. Zwischen BfG und BAW besteht Übereinstimmung in der Interpretation der unterschiedlichen Ergebnisse. Erstens: Das BAW-Modell arbeitet mit einer etwa 10-fach höheren Auflösung des Rechengitters. Die detailgenaue Abbildung der hydraulisch wirksamen Strukturen im Modellgebiet ist wichtige Voraussetzung für eine hohe Genauigkeit der Modellergebnisse. Zweitens: Für den Planungsfall (mit Deichrückverlegung) wurde das BfGModell nicht an einem Kollektiv von Hochwasserereignissen, sondern lediglich am Winterhochwasser 2011 kalibriert. Bei winterlichem Vegetationsstand liefert die Kalibrierung tendenziell kleinere Rauhigkeitswerte im Deichrückverlegungsgebiet als bei Kalibrierung an einem Sommerereignis. Wenn diese Werte für Prognoserechnungen für ein Sommerhochwasser übernommen werden, wird der Durchfluss im Deichrückverlegungsgebiet und mithin die hydraulische Wirkung der Deichrückverlegung überschätzt. Während also das BfG-Modell für eine erste Einschätzung der hydraulischen Wirksamkeit von geplanten Maßnahmen gut geeignet ist, sollte für die spätere genehmigungs- und baureife Detailplanung immer ein hochaufgelöstes Modell eingesetzt werden.

4 Grundsatzuntersuchungen zu den Wechselwirkungen zwischen Oberflächenwasser und Grundwasser Die Deichrückverlegung hat auch Auswirkungen auf die zwischen Oberflächenwasser und Grundwasser stattfindenden Wechselwirkungen und damit auf den Wasserhaushalt und die Habitatbedingungen in der Flussaue. Dabei spielen die im Deichrückverlegungsgebiet angelegten Flutmulden eine wichtige Rolle, da dort die für die Aue typische Lehmschicht, die mit einer Mächtigkeit von ca. 2 m den gut durchlässigen Grundwasserleiter überdeckt, entfernt wurde. Bei auflaufendem Hochwasser kann, noch bevor eine Einströmung durch die Schlitze im Altdeich beginnt, das mit den Elbewasserständen ansteigende Grundwasser in die Flutmulden exfiltrieren. Sobald die Einströmung einsetzt, kehren sich die hydraulischen Potenziale um. Von diesem Zeitpunkt an kommt es über die Flutmulden zu einer Infiltration in das Grundwasser und damit zu einer lokalen Erhöhung der Grundwasserpotenziale, was sich wiederum auf den Grundwasserzustrom aus der Elbe auswirkt. Auch nach dem Ablauf der Hochwasserwelle dauert die Infiltration weiter an, da nicht das gesamte Wasser aus den tiefer liegenden Flutmulden oberflächig in die Elbe zurückfließt. Zusätzlich können die geschilderten Austauschprozesse durch die mit dem Elbewasser in das Deichrückverlegungsgebiet eingetragenen Feststoffe beeinflusst werden. Als Folge der periodischen Über-

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flutungen sind längerfristig Kolmationsvorgänge an der Sohle der Flutmulden möglich, die den Wasseraustausch behindern. Die Exfiltration von Grundwasser wirkt diesem Prozess tendenziell entgegen. Eine ausführliche Darstellung der komplexen Austauschprozesse ist in Montenegro (2013) zu finden. Flussauen sind wichtige Lebensräume für eine Vielzahl von Pflanzen- und Tierarten. Dementsprechend sind zuletzt die Anforderungen an die Prognosen über die Auswirkungen wasserbaulicher Maßnahmen auf die Habitatbedingungen in der Aue deutlich gestiegen. Die Bundesanstalt für Wasserbau führt deshalb, im Anschluss an die Beratungsleistungen für den Bauherrn, eigene aufwändige Grundsatzuntersuchungen zu den Auswirkungen der Deichrückverlegung auf die Wechselwirkungen zwischen Oberflächenwasser und Grundwasser durch. Ziel ist es, einerseits das Verständnis über die Austauschprozesse zu verbessern. Andererseits sollen einschlägige Ansätze zur Quantifizierung des Wasseraustauschs überprüft werden. Hierbei reicht das Spektrum von vereinfachten Modellansätzen bis zu vollständig gekoppelten hydronumerischen und Grundwassermodellen.

Abb. 13: Grundwasser-Modellgebiet

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Für diese Grundsatzuntersuchungen ist die Deichrückverlegungsmaßnahme in Lenzen sehr gut geeignet. Der Grund hierfür sind die klar definierten geohydraulischen Randbedingungen, die einerseits durch die Wasserstände in der Elbe und andererseits durch die Wasserstände in der nahe gelegenen Löcknitz vorgegeben sind (Abb. 13). Beide Gewässer bilden die Grenzen für ein instationäres dreidimensionales FiniteElemente-Grundwassermodell, das die BAW im Rahmen der Grundsatzuntersuchungen aufgebaut hat. Für die Modellkalibrierung und -validierung stehen Messwerte über einen Zeitraum von fünf Jahren aus einem engmaschigen Netz an Oberflächen- und Grundwassermessstellen zur Verfügung (Abb. 14). Die Auswertung der umfangreichen Naturmessdaten dauert zurzeit noch an.

Abb. 14: Netz der Grundwasser- und Oberflächengewässser-Messstellen (Grau eingefärbt ist die Auelehmschicht, die im Bereich der Flutmulden entfernt wurde.)

5 Fazit Das Beispiel der Deichrückverlegung Lenzen zeigt, dass Maßnahmen dieser Art den Hochwasserschutz wirkungsvoll verbessern und die ökologische Renaturierung der Flussaue fördern können. Mit einem hochaufgelösten numerischen Modell, das zuvor an einem Spektrum von Abflussereignissen kalibriert und validiert wurde, sind zuverlässige Prognosen über die Auswirkungen der Maßnahme auf die abiotischen Parameter möglich, die ihrerseits Rückschlüsse auf die Habitatbedingungen im Deichrückver-

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legungsgebiet zulassen. Das Modell liefert damit belastbare Grundlagen für eine genehmigungs- und baureife Planung. Die derzeit noch laufenden Untersuchungen über die Auswirkungen der Maßnahme auf die Wechselwirkungen zwischen Oberflächenwasser und Grundwasser werden die Prognosequalität weiter verbessern. Damit kann die Deichrückverlegung Lenzen als ein Pilotprojet betrachtet werden, das die Planung und Realisierung ähnlicher Projekte an anderen Standorten erleichtern und beschleunigen wird. Diese Übertragbarkeit rechtfertigt auch den hohen Untersuchungsaufwand, der in Lenzen betrieben wurde.

6 Literatur Alexy, M. (2013): Numerische Modelluntersuchungen zu den Auswirkungen der Deichrückverlegung Lenzen und von geplanten Vorlandanpflanzungen. In: BAWMitteilungen Nr. 97, S. 73-98 – ISSN 2190-9199 BfG (2014): Das Hochwasserextrem des Jahres 2013 in Deutschland: Dokumentation und Analyse. In: Mitteilungen Nr. 31 – ISSN 1431-2409 Faulhaber, P.; Bleyel, B.; Alexy, M. (2013): Übersicht der hydraulisch-morphologischen Modelluntersuchungen zwischen 1995 und 2010. In: BAWMitteilungen Nr. 97, S. 49-71 – ISSN 2190-9199 Heinzelmann, C.; Huber, N. P.; Alexy, M. (2014): Naturmessungen an der Elbe während des Hochwassers 2013 zur Validierung numerischer Modelle. In: Fachtagung „Hochwasser und kein Ende – Statusberichte, aktuelle Vorhaben, neue Planungswerkzeuge“, Obernach, S. 13-24 – ISSN 1437-3513 Montenegro, H. (2013): Untersuchung des Wirkungszusammenhangs zwischen Abflussdynamik und Grundwasser. In: BAWMitteilungen Nr. 97, S. 135-147 – ISSN 21909199 Promny, M.; Hammer, M.; Busch, N. (2014): Untersuchungen zur Wirkung der Deichrückverlegung auf das Hochwasser vom Juni 2013 an der unteren Mittelelbe. In: KW Korrespondenz Wasserwirtschaft Nr. 6; S. 344-349 – ISSN 1865-9926 Schmidt, R. (2013): Die Deichrückverlegung Wustrow-Lenzen – Planung und Umsetzung aus Sicht des Bauherrn. In: BAWMitteilungen Nr. 97, S. 37-48 – ISSN 2190-9199

Anschrift der Verfasser Prof. Dr.-Ing. Christoph Heinzelmann Dipl.-Ing. Matthias Alexy Dr.-Ing. Hector Montenegro Bundesanstalt für Wasserbau Kußmaulstraße 17 76187 Karlsruhe