Hoch hinaus und gescheitert Flugzeugentwicklungen im Nachkriegsdeutschland Von Sven Ahnert

Deutschlandradio Kultur Zeitreisen am 10. März 2010 Redakteur: Peter Kirsten Hoch hinaus und gescheitert Flugzeugentwicklungen im Nachkriegsdeutschlan...
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Deutschlandradio Kultur Zeitreisen am 10. März 2010 Redakteur: Peter Kirsten Hoch hinaus und gescheitert Flugzeugentwicklungen im Nachkriegsdeutschland Von Sven Ahnert

Atmo

Zitator Mit dem Ziele der Vernichtung des deutschen Kriegspotentials ist die Produktion vom Waffen, Munition und Kriegsmaterial, ebenso die Herstellung aller Typen von Flugzeugen und Seeschiffen zu verbieten.

Sprecher Erinnert sich der sowjetische Feldherr Marshall Schukow. Die Verbotsklausel Flugzeuge auf deutschem Boden zu bauen, wird in das Potsdamer Abkommen vom Sommer 1945 mit aufgenommen.

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Sprecher Mit Inkrafttreten der Pariser Verträge am 5. Mai 1955 wurde in der Bundesrepublik Deutschland der Bau von Passagierflugzeugen wieder zugelassen. Fast zeitgleich wurde in der DDR mit dem Aufbau einer Luftfahrtindustrie begonnen. Bereits 1952 wurden auf dem Flughafen Dresden - erste Fertigungsanlagen für Konstruktion und Bau von Schul- und Sportflugzeugen eingerichtet. Unter großer Geheimhaltung wurde der Aufbau mit sowjetischer Hilfe beschleunigt.

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Sprecher Unter Führung des Junkers-Ingenieurs Brunolf Baade, der 1946 in die Sowjetunion "verbracht" wurde und dort mit anderen deutschen Flugzeugbauern bis 1954 in

2 Podberesje bei Moskau für das sowjetische Militär Flugzeugtypen entwickelte, wurde binnen kurzer Zeit in der DDR eine Luftfahrtindustrie buchstäblich aus dem Boden gestampft. Zum Flagschiff dieser Industrie wurde das Flugzeug "B152" auserkoren, das erste deutsche Strahlverkehrsflugzeug. Ein ambitioniertes und technisch aufwendiges Prestigeobjekt, das der jungen Industrie zu internationalem Ansehen verhelfen sollte. Gerhard Güttel war Versuchspilot beim Projekt "152." und überzeugt von der Qualität der Konstruktion, die an den Mythos Junkers anknüpfte.

O-Ton Gerhard Güttel Oh ja. Der Mythos Junkers. Überall wo ich war, wurde von JunkersFlugzeugen gut gesprochen. Bei Junkers wurde allerdings mehr kontrolliert, es gab nicht so viele Unfälle. (:27)

Sprecher Im Laufe der Jahre hat der begeisterte und erfahrene Pilot gelernt, Aufstieg und Fall der DDR- Luftfahrtindustrie realistisch zu betrachten.

O-Ton Gerhard Güttel Früher habe ich nicht daran gedacht. Im Nachhinein muss ich sagen, das war zu groß für ein kleines Werk. Wir als kleines Werk wollten das alles alleine machen. Mit allem, mit Triebwerken, mit Geräten: Ich muss sagen, das war ein bisschen zu groß. (:25)

Sprecher In den Dresdner Flugzeugwerken arbeitete Gerhard Güttel als ziviler Pilot. Er absolvierte in der Sowjetunion Lehrgänge und flog Maschinen vom Typ Antonow und Iljuschin bis hin zu Militärhubschraubern. Das Passagierflugzeug 152 sollte nicht nur der Parteiführung als Prestigeobjekt und mögliche Regierungsmaschine dienen, sondern war auch als Exportartikel für Länder des Ostblocks und befreundeter Nationen in Afrika und Asien gedacht.

O-Ton Götz-Ulrich Penzel

3 Es handelte sich dabei um ein Passagierflugzeug, ein strahlgetriebenes Passagierflugzeug, das für Kurz- und Mittelstrecken ausgelegt war. Es hatte vier Turbinen und war ein Schulterdecker, hatte also die Flügel oben drauf.

Sprecher Götz-Ulrich Penzel, Kustos für den Bereich Luftfahrt am Verkehrsmuseum Dresden.

O-Ton Götz-Ulrich Penzel Die Vorstufen, die ersten Entwicklungen wurden schon in der Sowjetunion gemacht; als man an dem Bombenflugzeug, der B 150, nicht weiterarbeiten durfte, bekam man den Auftrag ein ziviles Flugzeug zu bauen, die ersten Vorarbeiten gehen auf diese Zeit zurück. Man nahm das ganze Projekt in die DDR mit, baute hier ab 1954 eine Luftfahrtindustrie auf und seitdem war man damit beschäftigt, diese Maschine weiterzuentwickeln und zu konstruieren. Ab 1957 ging es dann mit dem Bau richtig los und die Serienfertigung wurde dann ab 1959 betrieben. Atmo

Sprecher Den hoch qualifizierten Ingenieuren, Triebwerksspezialisten, Facharbeitern und Konstrukteuren, die aus der Sowjetunion zurückkamen, wurde zunächst freigestellt, ob sie in die Bundesrepublik gehen oder in der DDR bleiben wollten. Diese "Kapazitäten" wollte man natürlich für die Luftfahrtindustrie in Dresden gewinnen und lockte mit dem Idealismus einer aufkeimenden sozialistischen Industrienation.

O-Ton Götz-Ulrich Penzel Die Leute waren sehr gut ausgebildet und sehr engagiert, sie waren euphorisch bei der Sache. Es wurden zum Beispiel viele Überstunden gemacht, auch am Wochenende. Man war begeistert und hat das Ganze auch mit Herzblut betrieben.

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O-Ton Gerhard Güttel

4 Es war ja immerhin doch das erste strahlgetriebene Passagierflugzeug, was in der Luft war, auch wenn es noch keine Passagiere befördert hat. Geflogen ist es und das kann "Baade" sich an die Ferse heften, dass sein Kollektiv das gebaut hat. Das war ein Gefühl: Jetzt ist zum ersten Mal, dass wir auch was geleistet haben, anerkannt worden und das ist nicht nur mir so gegangen, sondern den meisten, die daran beteiligt waren. (:32)

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Sprecher Als internationaler Exportschlager für den Weltmarkt war die durchaus solide konstruierte und mit 880 Stundenkilometern im Vergleich mit westlichen Mustern schnelle "152" nicht geeignet. Maschinen wie die britische "Comet 4" konnten mehr Passagiere befördern und flogen fast doppelt so weit. Zudem galt der Kurz- und Mittelstreckenbereich, für den die "152" ausgelegt war, Ende der 1950-iger Jahre als wenig profitabel. Die "152" war ein Flugzeug für Länder, die im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe, kurz RWG, zusammengeschlossen waren. Ein Industrieprodukt für einen geschlossenen Binnenmarkt, der von der Sowjetunion dominiert wurde. Man rechnete mit einer dreistelligen Absatzmenge für die sowjetische Fluggesellschaft Aeroflot. Als sich abzuzeichnen begann, dass die Sowjetunion am Kauf der 152 nicht interessiert war, war das Schicksal des silbernen Vogel der VEB Flugzeugwerke Dresden besiegelt. Ungeachtet dessen wurde das ambitionierte Erprobungsprogramm vorangetrieben.

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Sprecher Unter Hochdruck wurde an dem neuen Flugzeug gearbeitet, das nicht nur als erstes deutsches Strahlverkehrsflugzeug in die Geschichte der zivilen Luftfahrt eingehen sollte, sondern auch als eine in jeder Hinsicht neuartige Konstruktion. Zur Erfüllung der speziellen Forderungen mussten Tragflächen und Rumpf völlig neu überarbeitet werden. Für die junge Luftfahrtindustrie war das zugleich eine enorme Herausforderung und Belastung. Zunächst war der Verlauf der Prototypenentwicklung vielversprechend.

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O-Ton Götz-Ulrich Penzel Wenn man soweit die Ergebnisse sieht und hört was damals die Testpiloten gesagt haben, flog das Flugzeug sehr gut. Aber es gab Probleme, zum Beispiel mit der Hydraulik und was ganz entscheidend war und wahrscheinlich auch mit zum Absturz der V1 im März 1959 führte, mit den Tanks. Da hatte man Probleme, was man später dann festgestellt hatte, dass auch die V4, obwohl sie zweimal erfolgreich geflogen ist, gab es da Probleme.

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Sprecher Der "Superjet" aus Dresden war über viele Jahre ein mythenbehafteter Markenartikel, der in allen Bereichen des öffentlichen Lebens der DDR ausgestellt wurde. Ein massives Holzmodell wurde der Politprominenz zur Verfügung gestellt, Plastikmodellbausätze lagen in den Regalen der Spielwarenabteilungen, ja so gar ein Spielfilm wurde produziert, der die Flugzeugbauer aus Dresden Klotzsche als bodenständige und selbstlose Industriearbeiter heroisierte. Regisseur war Konrad Wolf, der sich mit Filmen wie "Der geteilte Himmel" und später "Solo Sunny" als eher kritischer Beobachter des DDR-Alltages einen Namen machte. "Leute mit Flügeln" war ein einfach gestrickter Werbefilm für den jungen Flugzeugbau in der DDR.

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O-Ton Götz-Ulrich Penzel Es gab insgesamt vier Testflüge, zwei Testflüge mit dem ersten Prototyp, dem 152 V1. Der erste fand am 4. Dezember 1958 statt und der zweite am 4. März 1959. Dieser zweite Testflug endete tödlich. Es kam zu einem Absturz . Man hatte kein fertiges Flugzeug, was zur Flugerprobung zur Verfügung stand. Deswegen dauerte es wieder eineinhalb Jahre bis wieder ein Prototyp starten konnte. Das war die V 4, eine Weiterentwicklung der V 1 und mit diesem Flugzeug fanden dann noch einmal zwei erfolgreiche Testflüge im August und September 1960 statt.

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Sprecher Erfahrene Versuchspiloten wie Gerhard Güttel und Heinz Lehmann wurden zu Erprobung in die Sowjetunion geschickt, um dort im Einschulungszentrum in Lipezk auf der IL 28 Testflüge durchzuführen. Das Turbopropellerflugzeug war ein Erprobungsträger für die neuen Bauteile der "B 152". Dann kam der 4. März 1959.. Gerhard Güttel und Heinz Lehmann wurden in die DDR-Botschaft nach Moskau zitiert.

Sprecher In der deutschen Botschaft wurde den beiden Piloten mitgeteilt, dass die 152 abgestürzt sei.

O-Ton Gerhard Güttel Dann kam Brunolf Baade und fragte, ob wir nicht bereit waren, das Programm weiter zu fliegen. Es würde in der Zeit drängen, usw. ob wir es versuchen wollten, wir würden auch eine Mittelmeer-Reise kriegen. Heinz Lehmann und ich waren uns immer einig, wir haben gut harmoniert, wir haben uns angeguckt und gesagt: Nein. Denn es stand noch aus der V 1 die Kraftstoffanlagen-Überprüfung mit schräg gestellter Maschine aus, im Sinkflug, wie die Kraftstoffzufuhr dort funktioniert. Die war noch nicht erfolgt. Da haben wir gesagt: Nach dieser Überprüfung. Da hat er gesagt: Wollt ihr nicht wenigstens diesen Flug wiederholen? Ja, selbstverständlich, zu jeder Zeit . Bis dahin sind wir, da kommen wir nicht weiter, da muss erst diese Beanstandung weg. (: 52)

Sprecher Bis heute ist nicht eindeutig geklärt, was genau zum Absturz der 152 führte. War es Schlamperei? Ein Pilotenfehler? Sabotage? Unmittelbar nach dem Absturz in der Nähe von Ottendorf-Okrilla bei Dresden übernahm die Staatssicherheit die Ermittlungen und fertigte innerhalb nur einer Woche einen Untersuchungsbericht an, der heute dem Verkehrsmuseum in Dresden vorliegt. Spektakuläres lässt sich dort nicht ausmachen.

7 O-Ton Götz Ulrich Penzel An diesen Gerüchten ist meiner Erkenntnis nach nichts dran. Ich habe auch die Stasiberichte von dem Absturz durchgelesen. Es gab Gerüchte von Vergiftung, Sabotage. Ein Magnet war an Bord, der gefunden wurde und man nicht wusste, wo der herkam und wo der hingehörte. Der hat aber nicht die Flugeigenschaften des Flugzeuges beeinträchtigt. Es gibt keine konkreten Hinweise, dass Sabotage oder eine Verschwörung zu dem Absturz führten.

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O-Ton Götz Ulrich Penzel Die wildeste Theorie, die ich jemals gehört habe, die mir ein Mitarbeiter erzählt hat, war, dass der sowjetische KGB zusammen mit dem CIA und dem BND die DDR-Luftfahrtindustrie sabotieren wollte und verantwortlich war für diesen Absturz, also das sind natürlich in Hochzeiten des Kalten Krieges ganz absurde Ideen.

Sprecher Wahrscheinlich führte mangelnde Sorgfalt und weniger eine internationale Verschwörung zum Absturz der "152" und letztlich zum Abbruch des Bauprojektes. Immer wieder liest man von direkter Einmischung in den Planungs- und Fertigungsprozess. Die Geburt der 152 war Chefsache von Walter Ulbricht. In die heiße Entwicklungsphase haben sich immer wieder Parteifunktionäre eingemischt, die mit Termin- oder Planvorgaben das Programm verzögert haben. Bestes Beispiel dafür ist das "Roll-out" der "152" am 30. April 1958. Für diesen Anlass wurde das Wort "hallenfertig" erfunden Die Maschine musste pünktlich zum Maifeiertag herausgerollt werden.

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O-Ton Götz Ulrich Penzel Walter Ulbrich höchstpersönlich ist dazu nach Dresden gekommen. Wie hat man das gelöst? Die Maschine war natürlich noch nicht soweit. Man

8 hat dann viele Dinge, die eingebaut waren wieder rausgeholt und bei den Turbinen zum Beispiel Attrappen eingebaut, hat viele Kabel drinnen blind verlegt. Hat Einbauten wieder herausgenommen, nur damit die Maschine wieder präsentiert werden kann. Das Problem war, dass die Maschine danach wieder sofort ein "Roll In" haben musste. Das sind alles Dinge, die die Sache verzögert und verkompliziert haben.

Sprecher Nach dem Absturz der "152" hielt sich das Politbüro bedeckt. Das Projekt wurde allmählich ausgebremst. Am 28. Februar 1961 fiel der formelle Beschluss über das Ende der DDR-Luftfahrtindustrie.

O-Ton Götz Ulrich Penzel Ganz lapidar hieß das damals im Politbüro: Aus Mangel an Perspektive. Dahinter verbirgt sich vieles. Ich denke aber, der Hauptgrund wird eigentlich sein, dass man erkannt hat, dass diese DDR-Luftfahrtindustrie nicht wirtschaftlich war und wahrscheinlich auch nicht ein wird. Es wurde viel Geld – man sprich von 1 bis 1,2 Milliarden Mark – investiert. Da passt so eine Industrie, die kein Geld abwirft, einfach nicht rein. Man hat sicherlich gemerkt, ohne es sich einzugestehen, dass man auch an der Nachfrage, an den Wünschen potentieller Kunden, vorbeientwickelt hat. Ein Beispiel war die Reichweite. Die "152" hatte keine allzu große Reichweite, gemessen auch an den westlichen und sowjetischen Mustern. Das ist einfach auch ein Mangel gewesen. Das andere war auch zu dem Zeitpunkt 1960, 1961 waren andere strahlgetriebene Muster weltweit schon erprobt und im Einsatz und hier in der DDR war man noch in der Entwicklung und hatte noch mit vielen Problemen zu kämpfen. (:50)

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Sprecher Bereits 1959 signalisierte die Sowjetunion, dass die DDR den Flugzeugbau einstellen und der sowjetischen Flugzeug – und Chemieindustrie zuarbeiten sollte. Ein virulentes Problem, das den Verantwortlichen, allen voran Brunolf Baade, zu

9 schaffen machte. Somit ergibt sich im Nachhinein ein widersprüchliches Bild der Entwicklungsarbeiten. Einerseits verfolgte man weiterhin den Plan bis spätestens 1962 erste Serienflugzeuge der 152 auszuliefern, andererseits war es ein offenes Geheimnis, dass die staatliche Planungskommission der DDR und die Staatssicherheit die Dringlichkeit des Projektes in Frage stellte. Dazu kam, dass der Technische Direktor der Flugzeugwerke Fritz Freytag am 6. Oktober 1960 in den Westen flüchtete und man die Preisgabe von "Konstruktionsgeheimnissen" befürchten musste.

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Sprecher Quasi über Nacht zerplatzten die Träume der Flugzeugbauer aus Dresden. Die sieben kurze Jahre der DDR-Luftfahrtindustrie hinterließen ein Heer ratloser Piloten, Ingenieure und Konstrukteure, die sich von nun an mit der Instandsetzung und Wartung von Flugzeugen beschäftigen mussten.

O-Ton Gerhard Güttel Das war ein sehr trauriger Tag. Nicht nur die Frage, wie geht's jetzt weiter, was wird weiter. Wir waren so enttäuscht, weil auf diesem Boden so ein Areal entstanden war mit allem drum und dran, was der Flugzeugbau braucht, dass das jetzt aufgegeben wird. Das war eine Trauerstimmung, die ist nicht zu beschreiben. (:28)

Sprecher In der Bundesrepublik hatte sich der Flugzeugbau nach 1945 in kleineren Schritten entwickelt. Nach der Legalisierung durch die Pariser Verträgen von 1955 formierten sich aus den Resten der traditionsreichen Flugzeugwerken Focke-Wulf, Messerschmidt, Heinkel u.a. kleine Ingenieursbüros, die Fluggerätebau und Entwicklung betrieben. Große und innovative Flugzeugprojekte waren von Seiten der Politik in den 1950iger Jahren nicht erwünscht. Man hatte noch mit den Altlasten der hoch verschuldeten Flugzeugproduktion des Deutschen Reiches zu kämpfen. Und man beobachte natürlich mit Argwohn wie der Flugzeugbau in der DDR voranging.

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O-Ton Dieter Thomas Wir hatten nicht die Information, wir hatten aber Bilder in der Westpresse gesehen und ich hatte vor allen Dingen bei der Deutschen Forschungsanstalt mit einem Chef zu tun gehabt, der in dem Programm drin war, der aus der DDR geflohen ist und bei uns angefangen hat.

Sprecher Dieter Thomas war von 1973 bis 1989 Cheftestpilot bei den Dornier-Werken. Von 1968 bis 1970 flog er das Experimentalflugzeug Do 31. Thomas erinnert sich den Überläufer aus dem Entwicklungsprogramm der Baade 152: Fritz Freytag.

O-Ton Dieter Thomas Das einzige was ich weiß: Dieser Mensch hatte unglaubliche Angst, dass er verhaftet wird oder das man ihm irgendetwas antut und er hat überhaupt nicht davon erzählt. Aber er war einer der Piloten von diesem Programm.

Sprecher Zu den spektakulären Flugzeugentwicklungen in der jungen Bundesrepublik zählte der Senkrechtstarter Do 31 aus dem Hause Dornier. Wolfgang Köhler, ehemaliger Dorniermitarbeiter im Bereich Entwicklung und Marketing, steht im Dorniermuseum Friedrichshafen vor einem Original der Do 31.

O-Ton Wolfgang Köhler Die Besonderheit dieses Flugzeuges ist die Senkrecht-startfähigkeit. Das war damals eine militärische Forderung, dass man damals Flugzeuge haben wollte, die praktisch ohne Start- und Landeplätze auskommen. Dornier hat neben VFW in Bremen und dem Entwicklungsring Süd in München dieses Thema bearbeitet. Bei uns ist der Transporter entstanden, in Bremen ein kleines Jagdflugzeug und in München ein überschallfähiges Jagdflugzeug.

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O-Ton Wolfgang Köhler Alle hatten die Fähigkeit senkrecht zu starten und zu landen. Der Transporter, ein sogenannter Kampfzonentransporter, sollte also Lasten, zum Beispiel LKWs und Jeeps und anderes militärisches Gerät in die Kampfzone transportieren. Die Senkrechtstartfähigkeit bekommt dieses Flugzeug dadurch, dass Strahltriebwerke besonderer Art hier eingebaut sind. Zum einen haben wir hier an den Flügelspitzen zwei Behälter mit jeweils vier Hubtriebwerken, die ausschließlich für den Senkrechtstart- und die Senkrechtlandung genutzt werden im Reiseflug, im Normalflug keine Funktion haben, ausgeschaltet sind. Dann hat das Flugzeug zwei Marschtriebwerke, Strahltriebwerke, deren Schub über Umlenkdüsen geschwenkt werden kann. In der Summe sind es zehn Triebwerke, die das Flugzeug tragen.

Sprecher 1962 begannen bei Dornier die Vorarbeiten für dieses ambitionierte Experimentalflugzeug, das parallel etwa zur ostdeutschen "152" einen Meilenstein im deutschen Flugzeugbau darstellen sollte. Bis dahin waren bei Dornier oder VFW in Bremen eher unspektakuläre Flugmuster wie Kleinflugzeuge mit Kurzstarteigenschaften konstruiert worden. Mit der D0 31 wurde ein Novum für den Weltmarkt vorgestellt: Ein senkrechtstartendes Transportflugzeug mit 20 Tonnen Abfluggewicht, das die Ingenieurskunst vor große Aufgaben stellte.

Atmo [Do 31-Film]

O-Ton Wolfgang Köhler Es ist wie eine Kugel, die auf einer anderen Kugel liegt, das heißt jede Störung durch eine Böe führt zu einer Lageänderung, die unter Umständen katastrophal sein kann. Deswegen muss das Flugzeug die entsprechenden Vorrichtungen haben, um das auszugleichen.

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Sprecher Dieter Thomas, Dornier-Testpilot aus diesen Tagen, gehörte zum Prototypen eines überzeugten Piloten, der seine Erfahrungen bei der Luftwaffe sammeln konnte und an die unbegrenzten Möglichkeiten der Flugzeugtechnik glaubte, die man in aufwendigen Testverfahren zu testen hatte.

O-Ton Dieter Thomas Zunächst wollte ich fliegen, das habe ich mit dem Segelfliegen verwirklicht und mit der erworbenen Berechtigung zum Mitführen von Passagieren wollte ich Motorflieger werden, aber dafür fehlte mir das Geld. Parallel dazu wurde auch die Bundeswehr aufgebaut: 1956 gab es die erste Kompanie der Luftwaffe in Andernach. Ich war schon dabei bei der Füllung der Ersten Kompanie des Luftwaffenausbildungsregimentes Nr. 1 in Uetersen bei Hamburg am 2. Juli 1956. Da war ich 19 Jahre alt. Ich habe mich für die Militärfliegerei beworben und wollte meine Motorfliegerberechtigungen bekommen und das habe ich dann auch geschafft.

Sprecher Dieter Thomas wird zu einem der profiliertesten Testpiloten der späten 1960er und frühen 1970er-Jahre. Er verkörpert den Typus des unbestechlichen Pioniers der Lüfte, der gleichermaßen geprägt ist von der Disziplin eines Militärpiloten und der Neugierde auf fliegerische Herausforderungen. Er wird zum Star der Dornier-Werke, fliegt die Do 31, später das deutsch-französische Gemeinschaftsproduktion "Alpha Jet".

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Sprecher Die Do 31 wurde aufgrund militärischer Forderungen entwickelt. Zwei Prototypen wurden gebaut, eine Serienfertigung erfolgte nicht. Die beiden Prototypen dienten von 1967 bis 1969 als Experimentalflugzeuge zur Erforschung und Erprobung von Senkrechtstart und – landeeigenschaften. Bis auf die Triebwerke aus der Produktion

13 der britischen Firma Rolls Royce, war die D0 31 ein deutsche Entwicklung, die erste spektakuläre nach Ende des Zweiten Weltkrieges.

O-Ton Dieter Thomas Do 31 E Das war die Maschine mit den acht Hubtriebwerken und mit den vier Marschtriebwerken, wo zwanzig Tonnen unter einem unglaublichen Lärm dich senkrecht nach oben gebracht und langsam beschleunigt haben bis der Flügel die Maschine getragen hat und die Hubtriebwerke abgestellt werden konnten. Ich muss Ihnen sagen, dass war ein Risiko. Ein unglaubliches Risiko. Wäre nämlich ein Triebwerk ausgefallen oder möglicher-weise zwei, dann wären wir tot gewesen. In Bodennähe gab es keine Rettung. Wir hatten zwar Schleudersitze, aber die hätten das nicht geschafft, wenn man in einer Rolllage gewesen wäre. Ich war fasziniert, ich war ein Abenteurer. Obwohl ich Familie und Kinder hatte, habe ich da nie gezögert.

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Sprecher Cool sieht er aus in seinem orangenfarbenen Overall mit dem großen Pilotenhelm. Man sieht Dieter Thomas im Industriefilm der Do 31 als Testpilot bei waghalsigen Flugmanövern, immer den Klemmblock auf dem Schoß, um das Flugverhalten des bockigen Versuchsträgers zu dokumentieren. Dieter Thomas wird so auch zum Symbol einer durchaus tollkühnen, aber auch gleichzeitig verantwortungsbewussten Testfliegerei im Westdeutschland. Einem Nato-Mitglied, das mit eigenen innovativen Ideen auf sich aufmerksam machen will. Flugzeuge mit bahnbrechenden und damit prestigeträchtigen Eigenschaften.

O-Ton Dieter Thomas Als Testpilot, als erster Pilot von einem Flugzeug, das auch auf Luftfahrtmessen als Novum vorgestellt werden muss, stehen sie natürlich an vorderster Front. Ich kann Ihnen sagen, Testfliegerei ist anstrengend, aber das Schlimmste sind die Messen, wo sie belagert werden von Journalisten, wo der ganze Vorstand da ist, wo sie unter einem

14 unglaublichen Zeitdruck stehen und da müssen sie auch noch das Flugzeug publikumswirksam vorfliegen, in niedrigster Höhe, auf engstem Raum, in Bereiche, die sie vorher gar nicht richtig getestet haben, in kürzester Zeit, in sechs bis sieben Minuten. (:37)

Sprecher Doch wie so viele ambitionierte und in Eigenregie lancierte westdeutsche Flugzeugentwicklungen, man denke an den Hansajet und das Passagierflugzeug VFW 614 , war auch Senkrechtstarter Do 31 ein Flugzeug ohne Zukunft.

O-Ton Wolfgang Köhler Bedauerlich war, dass unmittelbar nach der Paris Air Show das Programm vom Auftraggeber in Bonn gestoppt wurde. Die militärische Lage, bzw. die NATO hatte sich eine neue Doktrin ausgedacht. Außerdem gab es Leute in Bonn die Befürchtungen hatten, dass dieses Konzept eines senkrechtstartenden Militärflugzeuges vielleicht doch nicht so das richtige ist, bzw. der Aufwand, der dafür zu treiben ist, auch wenn man auf Landebahnen verzichten kann, hat es doch einen größeren infrastrukturellen Bedarf. Wir müssen nur daran denken, dass hier zehn Triebwerke installiert sind.

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O-Ton Wolfgang Köhler Das operationelle Flugzeug hätte noch einige Triebwerke mehr gehabt, die auch einen immensen Kraftstoff verbrauchen. Entsprechend muss hier Logistik da sein, um Triebwerke zu warten, um die Kraftstoffversorgung, Systembetreuung sicher zu stellen. Alles führte dazu, dass die Programme, nicht nur die DO 31 sondern auch die beiden anderen Senkrechtstarprogramme, in Deutschland beendet wurden.

Sprecher Beide Maschinen, die Baade "152" wie auch die Do 31 waren mutige, ihrer Zeit vorauseilende Entwürfe, die aber buchstäblich nicht ins System passten. Bei der B

15 152 hätte es noch einige Jahre der Erprobung bedurft, um die Kinderkrankheiten beseitigen zu können und diesen leistungsfähigen Flugzeugtyp zur Serienreife gelangen zu lassen. Bei der D 31 waren Kraftstoffverbrauch und die enorme Lärmentwicklung ein Problem. Zudem zeichnete sich am Horizont eine Konzentrationswelle internationaler Luft- und Raumfahrtkonzerne ab. Unter einigen Geburtswehen kam 1972 das europäische Gemeinschaftsprojekt A 300 ins Rollen und leitete die Ära international vernetzter Produktionen ein. Eigenwillige, ja ungewöhnliche, Entwicklungen waren da nicht mehr gefragt.

Atmo [Do 31-Film]

O-Ton Wolfgang Köhler Man hat dann noch einmal versucht, eine Zivilanwendung zu finden. Es gab dann noch Versuche, die von der Lufthansa unterstützt wurden, ein senkrechtstartendes Passagierflugzeug mit 100 Passagieren und 1000 Kilometer Reichweite auf der Basis der Do 31 zu haben. Es wurde auch ein Wettbewerb in Deutschland ausgeschrieben. Dornier hat auch diesen Wettbewerb gewonnen, aber nach dem Wettbewerb hat sich die Sache auch erledigt. Inzwischen hatten wir in Deutschland und auf der Welt einige andere Konstellationen, man wusste, dass es mit dem Öl Probleme geben würde. Man musste darauf achten, dass man Systeme hatte, die wenig Spritverbrauch haben. Es wurde auch das Thema Lärm entdeckt. Die D0 31 produzierte einen extremen Krach. Das in ziviler Anwendung hätte noch einiges an Überlegungen gekostet. Lärmminderung und Effizienzeinbußen verbunden. Damit war das Thema der Senkrechtstarter beendet bis heute.

Sprecher Es gibt noch einen Epilog zur D0 31: Nach dem Ende des Projektes D0 31 interessierte sich die NASA für den Senkrechtstarter: Ein halbes Jahr nach Einstellung des Projektes wurde der gesamte Flugbereich der DO 31 präzise versuchstechnisch mit Nasa - Experten und –Piloten getestet. Heute fliegt die Do 31 als im Geiste weiter: Als Weiterentwicklung im amerikanischen Kampfflugzeug F-35, einem Mehrzweckkampfflugzeug mit Senkrechtstarteigenschaften. Bis heute halten

16 sich Gerüchte, die Amerikaner hätten damals nach dem Ende der Do31 Industriespionage betrieben und die Technologie für die Raumfahrt und später für die Entwicklung neuer Kampfflugzeuge "adaptiert". Und die 152? Sie lebt weiter als Walter Ulbrichts Traum vom Fliegen.