Grundbegriffe politischer Systeme und Prozesse

Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse Grundbegriffe politischer Systeme und Prozesse Vorlesung 1: Allgemeine Einführung Warum befassen wir uns ...
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Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse

Grundbegriffe politischer Systeme und Prozesse Vorlesung 1: Allgemeine Einführung Warum befassen wir uns mit dem politischen System? • Unterscheidungskriterien für Regierungstypen • Vor- und Nachteile von Wahlsystemen • Vorzüge einzelner Parteien • Beurteilung, wie viel Lenkung durch Autoritäten/den Staat notwendig ist • Verstehen der Zusammenhänge zwischen den Institutionen/Akteuren im System • Erfassen, weshalb manche Führungen/Regierungen stabil, manche instabil sind • Erfassen der politischen Kultur eines Landes Dazu vergleichen wir: 1. POLITY = politische Strukturen bzw. Institutionen 2. POLITICS = Politische Prozesse 3. POLICY = Inhalte von Politik Das setzt die Kenntnis der zu vergleichenden politischen Systeme und Prozesse voraus. „Das politische System“ = ein SUBSYSTEM eines übergeordneten Systems bzw. der Gesellschaft, das sich um die Herstellung allgemein verbindlicher Entscheidungen für diese Gesellschaft annimmt. Dazu gehören: Regierungen, Parlament, Parteien, Interessengruppen, Massenmedien, Verwaltungen etc. (2 GRAPHIKEN – Input-Output-System!!!) Gemeinsame Charakteristika aller politischen Systeme Alle politischen Systeme: • Besitzen eine politische Struktur • Üben dieselben Funktionen aus: INPUT- und OUTPUT • Sind multifunktional • Besitzen einen kulturellen Mischcharakter Struktur =

Funktion =

regelmäßige und wahrnehmbare Handlungsformen bzw. Sätze von miteinander verbundene Rollen (Beruf d. Richters = Rolle; das Gericht = Struktur; d.h. die Gesamtheit aller am Gericht ausgeübten Rollen) Aufgabe oder Leistung, die von oder in einer bestimmten Struktur erbracht wird bzw. erbracht werden soll.

Bei Almond haben politische Systeme 2 Hauptfunktionen:

- Input-Funktionen - Output-Funktionen Dazu gehört noch die Umsetzung, „outcomes“ (wie schnell wird Beschluss realisiert) Input-Funktionen:

- Politische Sozialisation und Rekrutierung - Interessenartikulation - Interessenaggregation - Politische Kommunikation -1-

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Output-Funktionen: sind meistens das Ergebnis einer Entscheidung, wie - Regelsetzung - Regelanwendung - Regelauslegung Inhalte = Output nach Systemforschung: 4 mal Performance des politischen Systems (= Steuerungsanstrengung und Steuerungsleistung) (Almond) • Extractive (Steuern, Wehrpflicht) • Distributive (Güter/Dienstleistungen verteilt) • Regulative /Anreize, Zwangsmaßnahmen) • Symbolic performances (Zeremonien, Flaggen, Reden)

Ergebnis und Wirkung einzelner policies bzw. Politikinhalte nach Lowi • Distributive Politik (Güter und DL im Überfluss vorhanden) • Redistributive Politik (Umverteilung – man kann jemandem nur geben, wenn man anderen etwas wegnimmt) • Regulative Politik (Normen,…) • Sozial-regulative Politik (Handlungsspielräume)

Output nicht gleich Outcomes: Output = Entscheidung; Outcome = die Umsetzung Outcomes = tatsächliche Leistung d. Sytems; Bsp.: Output: Beschluss – Ausstieg aus Atom; Outcomes: wie schnell realisierbar (Verwaltung, Umsetzung) (1 GRAPHIK!!!)

Erste Vertreter der Vergleichenden Systemforschung: Easton, Almond, Parsons Konzeptionelle Entwicklung: • Zuerst waren die Institutionen im Blickfeld, ohne dass versucht wurde, die politische Realität unter normativer Bezugnahme aus Institutionen zu erklären. • Jetzt eher die Frage nach dem Vorgang: empirische Beschäftigung mit Leistungs- und Steuerungsfähigkeit politischer Institutionen im Wechselspiel gesellschaftlicher und ökonomischer Prozesse.

Politischer Prozess (politics) = Sammelbezeichnung für alle Abläufe • Politischer Willensbildung • Entscheidungsfindung • Entscheidungsdurchsetzung • Beschaffung von Legitimität Die Variablen in der Erklärung politischer Prozesse sind: (Parteinen, Interessengruppen, Wähler,…) • Akteure • Strukturen (Institutionen wie Regierung, Verwaltung, Kontrolle; Sozialstruktur; Denkmuster a -2-

Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse Politische Kultur (ein weiterer Input) = Sammelbezeichnung für • Politisch bedeutsame Werte, Wissensbestände, Vorstellungen u. Einstellungen in einer Gesellschaft • Die hierauf beruhenden Formen politischer Aktivität und Partizipation • Die öffentlich bekundeten/benutzten Spielregeln • Alltagspraktische Grundlagen politischer Systeme Handeln und Partizipation bedeutet in der Politik: Teilhabe am politischen Geschehen, an Prozessen der politischen Meinungs-, Willen- und Entscheidungsbildung (Aktivität in Bürgerinitiativen, Parteien, Demos, Wahlen,…) Ansatzpunkt Interesse – versch. Aspekte: • Als Verhaltensdisposition • Als Ziel/Bedürfnis, aus einer Sache Nutzen zu ziehen • Als Reaktion eines Akteurs auf Gegebenheiten des sozialen Umfelds (Unterschied: manifeste und latente Interessen)

Wahlen Vorlesung 2: Wahlen als Akt, der • Das Vertrauen der Wähler in die Gewählten artikuliert • Die Bildung einer funktionsfähigen Repräsentation gewährleiste • Ermöglicht, dass Kontrolle über eine Regierung ausgeübt wird • Aber auch als Alibifunktion gesehen werden kann, um Konkurrenz von Personen und Parteien vorzuspielen und eine Blankovollmacht für konsensunabhängiges Entscheiden aufzustellen

Wahlsystem im engeren Sinn • Untergliederung eines Gebietes in Wahlkreise • Form der Kandidatur (Einzel-, Listen) • Stimmgebungsverfahren • Stimmenverrechnungsverfahren Entscheidungsregel = Methode der Übertragung von Stimmen in Mandate Repräsentationsprinzip = Politische Zielvorstellung 2 verschiedene Prinzipien werden unterschieden: 1. Majorz (Mehrheitsprinzip) 2. Proporz (Verhältnisprinzip) -3-

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Entscheidungsregel beim Mehrheitsprinzip: alle im Wahlkreis zu vergebenden Mandate werden der stärksten Partei zugesprochen Repräsentationsprinzip: die Wahl soll zu einer parlamentarischen Regierungsmehrheit einer Partei oder eines Parteienbündnisses führen. Entscheidungsregel beim Verhältnisprinzip: Mandatsvergabe erfolgt nach dem Anteil der Stimmen Repräsentationsprinzip: die in der Bevölkerung bestehenden sozialen Kräfte und politischen Gruppen sollen weitgehend getreu im Parlament gespiegelt werden. Relevanz: Das Repräsentationsprinzip hat mehr Bedeutung als die bloße (Entscheidungs-) Regel, nach der entschieden wird. Die Klassifikation der Wahlsysteme erfolgt meist nach Repräsentationsprinzipien. • Klassische Wahlsysteme: Entscheidungsregel und Repräsentationsprinzip entsprechen sich • Kombinierte Systeme: Entscheidungsregel auf der Basis von Mehrheitssystem mit Repräsentationsprinzip nach Verhältniswahl Das Repräsentationsprinzip fragt nach einer politischen Zielvorstellung im ganzen Wahlgebiet. Es sollen entweder klare Mehrheiten in der Regierung und Parlament geschaffen werden, oder Es sollen alle gesellschaftlichen Gruppen und politischen Positionen in einem Parlament proportional vertreten sein. Majorz und Proporz als Entscheidungsregeln, d.h. Frage nach der Umrechnung von Stimmen in Mandate, meist auf einen Wahlkreis bezogen. Unterschied: ob eine Mehrheit oder ein verhältnismäßiger Anteil das Wahlergebnis im Wahlkreis bestimmen sollen. Die politischen Auswirkungen liegen: • • • • •

Im Erfolgswert der Stimmen (Majorz: Ungleich; Proporz: Gleich) In der Zuordnung Stimmabgabe – Wahlergebnis (M: Einfach; P: Schwierig) In der Hochburgenfälligkeit (M: Hoch; P: Gering) Unabhängigkeit des Abgeordneten (M: Bedingt größer; P: Bedingt Kleiner) Interne Variationsbreite der Wahlsysteme (M: Geringer; P: Höher)

Idealtypische Auswirkungen im Vergleich – Mehrheits-/Verhältniswahl • • • • • • •

Zweiparteiensystem Parteiliche Mehrheitsbildung Stabile Regierungen Koalitionsregierungen Eindeutige polit. Verantwortung Gerechte Repräsentation Chancen f. neue Parteien

M: Ja M: Ja M: Ja M: Nein M: Ja M: Nein M: Nein

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P: Nein P: Nein P: Nein P: Ja P: Nein P: Ja P: Ja

Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse Sperrklausel = gesetzliche Bestimmung, welche die Beteiligung einer Partei an der Mandatsvergabe vom Erreichen eines bestimmten prozentualen Anteils an den insgesamt gültigen Stimmen abhängig macht. = wirksames Instrument zur Steuerung der politischen Repräsentation und der Struktur des Parteiensystems Sperrklauseln wirken der Parteienzersplitterung entgegen. Differenzierung • Anwendungsebene: Staatsebene, regionale oder Wahlkreisebene • Anwendungsphase: erstes, zweites oder weiteres Zuteilungsverfahren • Höhe: Variationsbreite zw. 1,5% bis 12% • Staffelung nach Wahlbündnissen, z.B. 5% für Parteien, 8% für Bündnisse aus 2 Parteien, 10% für Bündnisse aus 3 Parteien Vorzugsstimmen = Möglichkeit, die Reihenfolge der Zuweisung der Mandate zu verändern. ABER meist nur die Listenersten. (Nicht mehr möglich: ein Kandidat an der Spitze aller Wahlkreise – Kandidatur nur in einem Wahlkreis möglich) „Direktwahlen“ • Bricht parlamentarisches Regierungssystem auf, nähert sich präsidentiellen Systemtypus • Direkt gewählter Bürgermeister/in als Vorsitzende der Exekutive: den Bürgern verantwortlich, nicht dem Gemeinderat • Durch 2 Wahlgänge: Bürgermeister/in kann einer anderen Partei angehören als die Mehrheit des Gemeinderats • Andere Formen: indirekte Wahl (USA) „Vorwahlen“ • Ziel: mehr Persönlichkeitsmoment in den Auswahlprozess • Signal für innerparteiliche Demokratie • Basis einbezogen • Stärkere Motivation der Kandidaten • Wahlkampf nicht nur unter Spitzenkandidaten • Gegenläufiger Trend: „Quereinsteiger“ • Gegenteilige Wirkung bei Missachtung der Vorwahllisten

Beispiel Österreich Mobilität der Wähler • Bis 80er Jahre: Stabilität, „Lagerpartei“, politisches Milieu • Danach: Abnahme der individuellen Parteienidentifikation (Dealignment = Analyse der Erosionsprozesse der traditionellen Parteibindung, Auflösung der Subkulturen, Ende der „Lagermentalität“) • Vom Zweieinhalb-Parteiensystem zum Mehrparteiensystem • Realignment = längerfristige Neuorientierung der Wählerschaft

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Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse Wahlvorschläge • Um in Ö bei einer Wahl, insbesondere bei der Nationalratswahl, zu kandidieren, muss eine wahlwerbende Gruppe Wahlvorschläge einbringen. Diese Wahlvorschläge müssen entweder von einer bestimmten Zahl von Abgeordneten unterschrieben sein oder bedürfen – bei einer Nationalratswahl regional gewichtet- einer Zahl von Unterstützungserklärungen. • Für eine bundesweite Kandidatur bei einer Nationalratswahl oder bei einer Europawahl sind 2.600 Unterstützungserklärungen erforderlich, wobei der Unterstützungswillige zur Beglaubigung seiner Unterstützung die Gemeindebehörde seiner Heimatgemeinde persönlich aufsuchen muss. Übersicht • Für die in einem eigenen Gesetz (Nationalratswahlordnung 1992) geregelte Wahl der 183 Abgeordneten zum Nationalrat ist das Bundesgebiet in 9 Landeswahlkreise und diese wiederum in 43 Regionalwahlkreise eingeteilt. • Zu den sich daraus ergebenden Ermittlungsebenen (Regionalwahlkreis, Landeswahlkreis, Bund) gibt es je ein Ermittlungsverfahren. Im 1. und 2. Ermittlungsverfahren werden die zu vergebenden Mandate durch das Ermittlungsverfahren nach Hare festgestellt; im 3. Ermittlungsverfahren, in dem das d’Hondtsche Höchstzahlverfahren angewendet wird, findet ein bundesweiter proportionaler Ausgleich statt. Ermittlungsverfahren • Die Ergebnisermittlung bei in Ö durchgeführten bundesweiten Wahlen erfolgt zweigliedrig. Nach Auszählung der Stimmen durch örtliche Wahlbehörde, unmittelbar im Anschluss an Wahlvorgang, ergeht an die übergeordnete Wahlbehörde eine Sofortmeldung, sodass kurz nach Schließen des Wahllokals bereits vorläufiges Gesamtergebnis der Öffentlichkeit präsentiert werden kann. • Für die Feststellung eines endgültigen Wahlergebnisses sind jedoch von der jeweiligen Wahlbehörde unterfertigte Wahlakte notwendig, mit denen Ergebnisse der nachgeordneten Wahlbehörden bestätigt und der nächsthöheren Wahlbehörde weitergereicht werden. Prozenthürde Zugangsbeschränkung für die Erlangung eines Mandats im Nationalrat ist für jede wahlwerbende Gruppe die Überschreitung einer 4%-Klausel, sofern die betreffende Gruppe nicht im 1. Ermittlungsverfahren nicht ein sogenanntes Direktmandat erzielt hat. Wahlberechtigung • Aktiv wahlberechtigt für die Teilnahme an einer Nationalratswahl ist ein Ö, wenn er spätestens mit Ablauf des Tages der Nationalratswahl das 18. Lebensjahr vollendet hat. • Das Erlangen des passiven Wahlrechts bei einer Nationalratswahl erfolgt, wenn ein Bewerber am Stichtag der Wahl die österr. Staatsbürgerschaft besitzt und spätestens mit Ablauf des Tages der Wahl das 19. Lebensjahr vollendet hat. • Für Nationalratswahlen besteht in Ö keine Wahlpflicht. • Die Wahlberechtigten sind in Ö in fortlaufend geführten Wählerevidenzen zusammengefasst. (Wahl: auf Basis dieser Wählerevidenzen Wählerverzeichnis erstellt; Einsichtsrecht, Einspruchsrecht) Nationalratswahlordnung – Reformen in der 2. Republik • 1971: Zur Zeit der Minderheitsreg. Der SPÖ • 1992: während der Großen Koalition von SPÖ und ÖVP

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Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse Reform 1971 • Stärkt Verhältniswahlrecht, d.h. Proportionalität der Vertretung der polit. Parteien aufgrund der Wahlergebnisse wurde ausgebaut • Mehr Gerechtigkeit für kleiner Parteien (Zugangshürden reduziert) • Durch Verringerung der Wahlkreise von 25 auf 9 Veränderung der Ermittlungsverfahrens (Hare: Kleinparteinen wie Großparteien behandelt) Vor / Nach 1971 • 25 Wahlkreise / 9 Wahlkreise • 165 Mandate / 183 Mandate • FPÖ für 1 Mandat: 42.238 Stimmen, ÖVP: 26.295, SPÖ: 27.432 / FPÖ wie ÖVP und SPÖ rund 24.000 Stimmen • Nach 1971: 4%-Marke bzw. Notwendigkeit der Erreichung eines Grundmandats im 1. Ermittlungsverfahren Reform 1992 • Ziel: Verbesserung d. Kontakts zw. Wähler u. Gewähltem • Mehr Bürgernähe (sinkende Wahlbeteiligung) • Ausbau v. Persönlichkeitsaspekten • Änderung bei Ermittlungsverfahren der Mandate (mehr Ebenen als zuvor, jetzt 3: Regionalwahlkreise (43) - so oft die Wahlzahl in der Stimmenzahl enthalten ist = Zahl der Mandate/Partei, Landeswahlkreise (9) – Partei muss ein Regional-WK-Mandat oder bundesweit 4% erreicht haben, Bundesebene für ganz Ö) • Wahlzahl (Anzahl der für 1 Mandat erforderlichen Stimmen) = Anzahl der gültigen Stimmen : Mandate im WK Geschlechtsspezifisches Wahlverhalten in Ö • Um 1945: geprägt von Tradition, Religion, Rollenbildern • Wahlverhalten der Frauen: konservativ • Seit 1975: Frauen signifikant SPÖ • Ab 1986: geschlechtsspezifisches Strukturprofil: FPÖ – Männerpartei; Grüne, LIF – Frauenparteien Direkte Demokratie • Volksabstimmung: • •

- fakultativ - obligatorisch Volksbegehren (Volksinitiative für eine durch ein Gesetz zu regelnde Materie - bottom up; Bsp.: 1982 Konferenzzentrum, 1997 Gentechnik, 2002 Veto gegen Temelin…) Volksbefragung (top down)

Europawahl Europäisches Parlament • Wahl nach nationalstaatlichen Wahlordnungen • Vorgabe aus Brüssel: - 5-jährige Wahlperiode - Aktives und passives Wahlrecht der Bürger - Unvereinbarkeitsregelungen • Auch: Themen eher national, oft als Tast für nationale Wahlgänge • Daher: niedrige Wahlbeteiligung

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Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse Bundesrepublik Deutschland Hauptcharakteristika • Verhältniswahl (in Konstruktion und Ergebnis) • „personalisierte“ Verhältniswahl • Verhältniswahl als Repräsentationsprinzip wird mit Entscheidungsmaßstab der Mehrheitswahl zwecks Personenwahl im Fall der Hälfte der dt. Bundestags kombiniert • KEIN Grabensystem (=½ relative Mehrheit im Einerwahlkreis, ½ nach Proporz) Stimmensplitting in der BRD Bundestagswahl: jeder Wahlberechtigte hat 2 Stimmen Erststimme wählt er Direktkandidaten in seinem Wahlkreis Zweitstimme Landesliste einer Partei • Erst- und Zweitstimme nicht miteinander verknüpft. Jedem überlassen, ob er Direktkandidat und Landesliste der gleichen Partei wählt. • Wird mit Erst- und Zweitstimme der Direktkandidat und die Landesliste von versch. Parteien gewählt, dann wird Stimme gesplittert. Deutscher Bundestag = Volksvertretung der BRD. In 15. Wahlperiode hat Parlament 598 Mitglieder. Hälfte in Wahlkreisen direkt gewählt, gleiche Anzahl zog über Landeslisten in Parlament ein. Weitere 5 Abgeordnete erhielten ihr Mandat als sogenanntes Überhangmandat. Bundestag = zentraler Ort demokratischer Diskussionen und Entscheidungen für alle Bürger. Wesentliche Aufgaben: Gesetzgebung, Wahl d. Bundeskanzlers, Kontrolle d. Bundesreg., Bewilligung d. Staatshaushalts. Wahlverfahren BRD • Der Bundestag wird in einer Kombination von unterschiedlich stark personalisierter Verhältniswahl mit 2 Stimmen gewählt. • Nach personalisiertem Verhältniswahlrecht ist gewählt, wer die meisten Stimmen im WK erhält (Erststimme) • Allerdings wird die Gesamtzahl der Sitze nach Anteil der errungenen Zweitstimmen auf die Parteien verteilt. Die jeweils errungenen Direktmandate werden dann von den auf die Partei entfallenden gesamten Abgeordnetenmandaten abgezogen und nur der Rest an die Listenkandidaten vergeben. • Letztlich bestimmt also Zweitstimme über Stärke der Parteien im Parlament. Überhangmandate = Besonderheit der personalisierten Verhältniswahl • Wenn eine Partei mehr Direktkandidaten in Bundestag entsenden kann, als ihr gemäß der Anzahl der Zweitstimmen in einem Bundesland zustehen, vergrößert sich Bundestag durch diese Überhangmandate • Bei Berechnung Überhangmandate, kein Ausgleich zwischen Ländern vorgenommen • Im 15. dt. Bundestag 5 Überhangmandate: SPD 4, CDU/CSU 1 Wahlkampfkosten • Staatl. Parteienfinanzierung im Parteiengesetz geregelt. Unabhängige Wahlkreisbewerber: Regelung d. §49 b Bundeswahlgesetz. n und in ihrem WK mind. 10% der abgegeben gültigen Erststimmen errungen haben, erhalten für jede auf sie entfallende gültige Erststimme 2€.

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Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse Betrag muss innerhalb von 2 Monaten nach Konstituierung des Bundestags beim Präsidenten d. dt. Bundestags beantragt werden.

Wahlsysteme ehemals kommunistischer Staaten

Wahlsystem und Systemwechsel • Wechsel unter der Führung der alten Eliten: absolutes Mehrheitswahlrecht • Ausgehandelter Wechsel: kombinierte Wahlsysteme mit starker Verhältniswahltendenz • Sturz d. Regimes durch Volk oder Systemkollaps: Verhältniswahl in Wahlkreisen • Überwiegend: Verhältniswahlsysteme, kombiniert Verhältniswahl mit Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen • Sperrklausel: 4% SLO, 5% Estland, Lettland, Polen, SK; bei Wahlbündnissen höher bis 8% Polen, CZ Prinzipien • Allgemein, geheim, gleich, verfassungsrechtl. anerkannt (Parlamentswahlen einschl. der in Polen, Tschechien und Rumänien direkt gewählten Kammern; Direktwahl d. Staatspräsidenten) • ABER bisweilen Einschränkungen (Legitimationsprobleme bei zahlenmäßig starken Minderheiten ohne dieses Recht; Russen in Estland u. Lettland) Wahlsysteme • Aktives Wahlalter: 18; Passives Wahlalter in 11 von 18 Ländern höher • Wahlperiode zur Abgeordnetenkammer: 4 Jahre • Entscheidung 1989 für ein Wahlsystem hängt mit dem Typ des Systemwechsels zusammen

US-Präsidentschaftswahlen 2004 Amerikanisches Wahlsystem • Basiert auf Verfassung 1887 • Parlamentarismus „Congress“ (Repräsentantenhaus – nach Bev., Senat – jeder Bundesstaat 2 Senatoren) • Indirekte Wahl durch das Electoral College (von den 50 Bundesstaaten nominiert) Besonderheiten d. Mehrheitssystems • Klare Mehrheiten, klare Legitimität • Verstärkt Trends • Normalerweise: „the winner takes it all“ • ABER: Maine und Nebraska verteilen proportional

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Wahlen FR, I, SUI Vorlesung 3: Frankreich Wahlen • Nationalversammlung: 1. Wahlgang: Kandidaten mit absoluter Mehrheit und mind. 25% d. Stimmen sind gewählt 2. Wahlgang: Stichwahl von Kandidaten mit mehr als 12,5% d. Stimmen • Staatspräsident: absolute Mehrheit im ersten oder Stichwahl der beiden bestgereihten Kandidaten im 2. Wahlgang Wahlen (indirekt) Senat Senat = die 2. Kammer des franz. Parlaments. Er besteht heute aus 321 Senatoren. Sie sind direkt für 9 (ab 2007 für 6) Jahre gewählt. Wahlberechtigt ist ein spezielles Wahlkollegium (145.000 Personen) auf Departementsebene. Wahlmännergremium besteht in jedem Departement aus den Abgeordneten, Mitgliedern der Regional- und Generalräte sowie Vertretern der Stadt- und Gemeinderäte. Alle 3 Jahre wird ein Drittel (ab 2010 die Hälfte) der Senatoren neu gewählt. Lokale und regionale Verankerung der Senatoren • 304 Senatoren werden in den Departements des Mutterlands und in den überseeischen Departements gewählt • drei in den überseeischen Territorien • einer in Mayotte, • einer in Saint-Pierre-et-Miquelon und • zwölf vertreten die im Ausland lebenden Franzosen. • Dem Senat gehört ein hoher Prozentsatz lokaler Mandatsträger an, die sich bemühen sollen, den Belangen der Körperschaften ihres Departements Rechnung zu tragen. • Sitz des Senats: Palais Luxembourg in Paris. • Hat nur suspensives Veto Gemeinsame Sitzung • Der „Kongress in Versailles“ = Zusammenlegung von Nationalversammlung und Senat Vor allem bei Verfassungsänderungen • Die lange Mandatsdauer der Senatoren und die Unauflösbarkeit des Senats garantieren eine Stabilität des politischen Systems Frankreichs. Departements – Verwaltungsgliederung • F = 100 Departements. Die große Mehrheit (96) davon sind im eigentlichen Mutterland, vier befinden sich in Übersee. Durchschnittliche Einwohnerzahl der Departments: 565.000 EW • Das größte Departement heißt Nord und hat 2,5 Millionen Einwohner. Das kleinste Departement heißt Lozère und besitzt gerade einmal 72.860 Einwohner. • Seit 1789 spielt das Departement eine wesentliche Rolle bei der Organisation der Gebietsverwaltung. Mit der Dezentralisierung wurde das Departement 1982 von einer halb dezentralisierten zu einer vollwertigen Gebietskörperschaft aufgewertet. -10-

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Parteiensystem – allgemeine Charakteristika • Misstrauen vor der Parteienherrschaft (Bedeutungsverlust – dealignement) • Abnehmende Wahlbeteiligung – 1978: 82,8% – 1986: 78,3% – 1997: 67,9% • Bipolarisierung • Mehrheitswechsel 1997 als Konsolidierung bzw. Erfolg der Sozialisten gefeiert • 2002: Rückgewinn der bürgerlichen Mehrheit Linke Parteien • 3 Linksextreme Parteien • Kommunistische Partei Frankreichs • Sozialistische Partei • Sonstige Parteien d. Linken: linke radikalsozialistische Partei, linke nationalistische Partei Parteien der Mitte • Union pour la démocratie francaise (UDF) war ein Parteienbündnis von Force Démocrate, Démocratie Libérale, Parti Populaire pour la Démocratie Française, Parti radical und den direkten Mitgliedern. „Erneuerte UDF“ 1998 gegründet, mit stabilen Strukturen – Francois Bayrou; will nicht im Sammelbündnis UMP aufgehen. • UMP (Union pour un Mouvement Populaire, dann Union pour la Majorité Présidentielle), Sammelpartei aller konservativen und liberalen Gruppen, Initiative von Alain Juppé, gegründet 2002 • Den Kern der neuen Partei ist das Rassemblement pour la République (RPR). Eine neogaullistische Partei, Nachfolgerin der 1958 gegründeten Union für die neue Republik (UNR). Besonders verbunden der Politik de Gaulles und Pompidous. Jacques Chirac hat die Partei umbenannt und verjüngt. Extrem rechts • CNIP – rechtsliberale Partei. • Mouvement pour la France – rechte nationalistische Partei. • Die extreme Rechte - Front national (FN) – eine extrem rechte Partei. • Mouvement national républicain (MNR) Andere Parteien • Die Grünen • Génération Ecologie (GE) – ökologische Partei • Les Verts (die Grünen). • Chasse, Pêche, Nature et Traditions (CPNT) – Partei zum Schutz der ländlichen Welt, Jagd, Fischerei, Natur etc. Fraktion im Abgeordnetenhaus und im Senat 1. Nationalversammlung • 577 im Mutterland und in den überseeischen Territorien gewählte Abgeordnete: vom Volk, für 5 Jahre, Mehrheitswahlsystem • Das Mandat der Abgeordneten über fünf Jahre kann gekürzt werden, wenn der Staatspräsident die Auflösung der Nationalversammlung beschließt. • Die letzten Wahlen des Parlaments fanden am 9. Mai und am 16. Juni 2002 statt. -11-

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Zusammensetzung der Nationalversammlung Die meisten Abgeordneten gehören einer politischen Fraktion an. Die Sitze zwischen den Fraktionen sind folgendermaßen aufgeteilt: • Kommunistische Fraktion: 21 • Sozialistische Fraktion: 140 • Radikalen: 7 • Grüne: 3 • Fraktion des UMP (RPR): 355 • Fraktion der UDF: 29 • Andere: 22 Status •

Befugnisse mehrfach beschränkt – Limitierte Sitzungsperioden 120 Tage – Reduktion auf 6 Ausschüsse – Schwierige Bildung von Untersuchungsausschüssen – Zahlenmäßige Beschränkung von Misstrauens- und Tadelsanträgen – Bestimmung der Tagesordnung durch die Regierung

2. Senat: Fraktionsgliederung • Senatoren einer Partei können sich in einer Fraktion (groupe) zusammenschließen, die aus mindestens 15 Senatoren bestehen muss. • Es gibt aber auch Senatoren, die zwar immer mit einer Fraktion stimmen, ihr aber nicht angehören (apparentés). • Die dritte Gruppe umfasst schließlich die unabhängigen Senatoren (non-inscrit), die keiner Fraktion angehören und auch mit keiner Fraktion stimmen. Die Zugehörigkeit zu einer Fraktion ist mit gewissen materiellen Vorteilen verbunden, sichert ihnen daneben auch Mitspracherechte bei der Wahl der verschiedenen Parlamentsorgane.

Italien Wahlgesetz 1993 • Parlament alle 5 Jahre gewählt • Mischung aus Verhältniswahl und Mehrheitswahl • Wahlen zum AbgHaus seit 1994: 4% Sperrklausel • 25% der Sitze nach dem Verhältniswahlrecht, • 75% nach Mehrheitswahlrecht (je Stimmkreis zieht nur der/die Kandidat/in mit den meisten Stimmen aus jedem Stimmkreis ins Parlament ein, der die meisten Stimmen in diesem Stimmkreis erhält. ) • Parteienbündnisse möglich Wahlsystem 1993 – 2005: ¾ nach Mehrheitssystem • Da die starke Zersplitterung der italienischen Parteienlandschaft zunehmend als einer der Faktoren für häufige Regierungswechsel gesehen wurde, hat das Wahlsystem in Italien in den vergangenen Jahren einige Änderungen erfahren. So wurde 1993/4 unter anderem bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus eine 4-Prozent-Hürde (Sperrklausel) eingeführt. • Zusätzlich wurde die Bildung von Parteienbündnissen für die Wahlen ermöglicht, wovon bei -12-

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den nationalen Abstimmungen rege Gebrauch gemacht wird. Das aktive Wahlrecht steht grundsätzlich jedem Italiener ab 18 Jahren zu. Bei den Wahlen zum Senat liegt das Mindestalter allerdings bei 25 Jahren.

Kurze Reform Das Verhältniswahrecht war erst Anfang der 90er Jahre abgeschafft worden: Die Reform markierte damals zugleich das Ende der ersten Republik in Italien, auch «Schmiergeldrepublik» genannt, und wurde eigens durch ein Referendum besiegelt. Parlament derzeit • Zwei Kammern lt Verfassung mit den exakt gleichen Kompetenzen sowohl bei der Gesetzgebung als auch bei der Regierungskontrolle. • Diese Parlaments-Verdopplung führt mangels Akzentsetzung mehr zu Redundanz und Prozessverlängerung als zu Ergänzung oder auch Oppositionsbildung • Laut Verfassungswirklichkeit anders: Camera dei Deputati = Abgeordnetenhaus: dominant in der Gesetzgebung (630); wird daher auch auf der Politikerkarriere angestrebt Senato della Repubblica – tritt in den Hintergrund (315) 1. Kammer = Abgeordnetenkammer • 630 Abgeordnete auf 5 Jahre (15 Parteien!): 475 werden nach Mehrheitsprinzip gewählt, 155 nach Verhältnisprinzip über Listenstimmen • Dafür Sperrklausel 4% • Seit 1993 zwei Allianzen: – Der Rechtsblock (aktueller Name: Casa della Libertá, Haus der Freiheit) umfasst Berlusconis Forza Italia, die Lega Nord sowie die rechtskonservative Alleanza Nazionale. – Der Linksblock (Ulivo, Olivenbaum) umfasst hauptsächlich Linksdemokraten und Margherita, ein Zusammenschluss mehrerer christdemokratischer und liberaler Parteien. Bürgerlich-konservative Bürgerlich-konservatives Lager „Casa della Libertà“ – 6 Parteien: Forza Italie (Berlusconi), Alleanza Nazionale (schließt an die faschistische Vergangenheit an), Lega Nord, Cristiani Democratici Uniti, Nuovo Partito Socialista, Partito Democratico Cristiano. Linksliberales Lager Bündnis Ulivo – 7 Parteien: Democratici di Sinistra, Partito Populare Italiano, I Democratici, Rinnovamento Italiano, Federazione dei Verdi, Socialisti Democratici Italiani, Partito die Comunisti Italiani. Abgeordnetenhaus • Die Gesetzgebung wird dominiert durch die ständigen Fachausschüsse • Bereiten Gesetzesentwürfe vor • Begleiten sie während der parlamentarischen Beratung • Aufgabe der Regierungskontrolle: Anfragen, Parlamentarische Untersuchungen, Vertrauensoder Misstrauensvoten

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2. Kammer – Senato della republica • 315 Senatoren werden gleichzeitig mit den Abgeordneten auf 5 Jahre gewählt • Aber auf regionaler Basis • Jeder der 20 Regionen stellt eine festgelegte Anzahl / je Bevölkerungsschlüssel mindestens 7 (nur Aosta: 1, Molise: 2) • 5 Senatoren auf Lebenszeit (ernannt vom Staatspräsidenten) • Alle ehemaligen Staatspräsidenten Wahlsystemänderung 2005 • Streit um das Wahlrecht hat die politische Stimmung in Italien seit Wochen erhitzt wie selten ein Thema in den vergangenen Jahren. • Neues Gesetz: «Bonus» für den Wahlsieger, um klare Mehrheiten im Parlament zu sichern. • Außerdem Sperrklauseln für kleine Parteien festgesetzt: Vier-Prozent-Hürde für Parteien, die auf Listenverbindungen antreten, Zwei-Prozent-Hürde für Parteien, die allein antreten. Wahlsystem pro Berlusconi 2005 • Die Abgeordnetenkammer in Rom hat trotz massiver Proteste die von Ministerpräsident Silvio Berlusconi angestrebte Wahlrechtsänderung verabschiedet – Oktober 2005. • 335 Politiker stimmten in der Abgeordnetenkammer für die Wiedereinführung des Verhältniswahlrechts, 224 votierten dagegen. Änderung höchst umstritten. Opposition wirft Berlusconi vor, er wolle das Mehrheitswahlrecht abschaffen, um bei der Parlamentswahl im kommenden April Niederlage seines Mitte-Rechts-Lagers abzuwenden. Er wolle Änderung nur, um sich angesichts schlechter Umfragewerte eine bessere Ausgangslage für die kommende Parlamentswahl zu verschaffen. Wieder Verhältnissystem • bereits zur Parlamentswahl im Frühjahr 2006 wird das Mehrheitswahlrecht abgeschafft und die Verhältniswahl wieder eingeführt. Abgeordneten der Opposition nahmen aus Protest an der Abstimmung nicht teil. • Auch Senat muss später noch zustimmen, in dem das Regierungslager ebenfalls eine klare Mehrheit hat. Neue Hürde: Sperrklausel 2 - 10% Das vom regierenden Rechtsbündnis durchgesetzte neue Wahlrecht = Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzungen. Das neue Verhältniswahlrecht sieht für den Einzug in die Kammer Sperrklausel von 4% vor. Für miteinander verbündete Listen sinkt diese auf 2% je Einzelpartei, für formelle Koalitionen steigt sie auf 10%. Klare Personenangabe, keine Vorzugsstimmen u. dgl. Parteien und Koalitionen müssen vor Wahl Führer benennen. Wahlkreise und Vorzugsstimmen abgeschafft. Wer eine Partei wählt, akzeptiert auch die von ihr festgelegte Kandidatenliste. Geplante Frauenquote von 25% von der Kammer abgelehnt. Bonus für die stärkste Partei Falls die stärkste Partei (oder Koalition) absolute Mehrheit verfehlt, fallen ihr automatisch 340 von 618 Sitzen zu. Da Mehrheitsbonus für die Abgeordnetenkammer gesamtstaatlich, für den Senat nach Regionen berechnet wird, sind in beiden Kammern des Parlaments in Zukunft unterschiedliche Mehrheiten möglich.

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Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse Schweiz Zweikammernsystem • Die Bundesversammlung, das Schweizer Parlament, ist nach dem Zweikammersystem organisiert: Nationalrat und Ständerat. • Im Unterschied zu anderen Parlamenten ist die Bundesversammlung kein Berufsparlament. Die Abgeordneten beider Räte üben ihr Mandat nebenamtlich aus (Milizparlament). Nationalrat und Ständerat • Volksvertretung = Nationalrat = große Kammer 200 Sitze, den Kantonen nach Bevölkerungszahl zugeteilt. In den Wahlkreisen erhält jede Partei so viele Sitze, als es ihrem proportionalen Wähleranteil entspricht • Ständerat = Kantonsvertretung = kleine Kammer 46 Sitze, je zwei für jeden der 20 Vollkantone und je einen für die sechs Halbkantone, Wahl nach kantonalem Recht (meist nach Majorzverfahren, zugleich mit Nationalrat) Wer ist gewählt? • Wer auf der eigenen Parteiliste die meisten Stimmen erzielt - Durch Kumulieren (einzelne Kandidaten können doppelt angeführt werden) - Gestrichen - Durch Kandidaten anderer Parteien ersetzt werden • Beim Bund keine Sperrklausel, weil Proporzchancen durch ungleiche Bevölkerungsgröße ungleich Ergebnis dieser Wahlen • Im Nationalrat: - proportionale Verteilung der Sitze - Auch kleine Parteien berücksichtigt nach ihrem Wähleranteil • Im Ständerat: - Drei bürgerliche Parteien (FdP, CVP, SVP) dominieren wegen des Majorzsystems und wegen der Wahlabsprachen auf Kosten der Sozialdemokraten Nationalrat • Zählt 200 Mitglieder; vertritt das Schweizer Volk. • Beim heutigen Bevölkerungsstand kommt auf je 35000 EW 1 Sitz. Jeder Kanton bildet einen Wahlkreis, der mindestens einen Vertreter wählt, selbst dann, wenn Bev. unter 35000 EW liegt. • Gesamterneuerungswahlen des Nationalrates finden alle 4 Jahre statt. Mitglieder werden für 4 Jahre (= eine Legislatur) gewählt. Wiederwahl möglich. Ständerat • Der Ständerat setzt sich aus 46 Vertretern der Schweizer Kantone zusammen. • Jeder Kanton wählt 2, die Kantone AI, AR, BL, BS, NW und OW 1 Vertreter. • Zürich mit über 1 Million EW wählt ebenso 2 Vertreter wie der Kanton Uri, der rund 36.000 EW zählt. • 41 Mitglieder des Ständerats werden gleichzeitig mit Nationalrat gewählt, • Kanton Jura: Proporzverfahren; in den anderen Kantonen Majorzverfahren angewendet. Bedeutung der Kantone „Ständemehr“ garantiert, dass Verfassung nur bei Mehrheit der Kantone geändert werden kann. -15-

Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse

Besonderheit: Direkte Demokratie • Obligatorisches Referendum (Nachentscheidung durch Volk und Stände/ Kantone) – alle Verfassungsänderungen, Genehmigungen von Staatsverträgen, Beitritt zu Institutionen • Fakultatives (Gesetzes-) Referendum • Volksinitiative (zur Aufhebung, Änderung oder Neuschaffung eines Verfassungsartikels a) allgemeine Anregung b) konkret ausformuliertes Begehren

Österr. Nationalfeiertag Vorlesung 4: Hintergrund der österr. Neutralität • Unabhängigkeitserklärung 27.4.1945 • Verfassungsüberleitungsgesetz 1945 • Nationalratswahl 25.11.1945 • Moskauer Memorandum 15.4.1955 • Staatsvertrag von Wien 15.5.1955 • Neutralitätsgesetz 26.19.1955 Bundesverfassungsgesetz 26.10. 1955 über die Neutralität Ö’s (kurz: Neutralitätsgesetz) • Artikel I (1) Zum Zwecke der dauernden Behauptung seiner Unabhängigkeit nach außen und zum Zwecke der Unverletzlichkeit seines Gebietes erklärt Österreich aus freien Stücken seine immerwährende Neutralität. Österreich wird diese mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechterhalten und verteidigen. (2) Österreich wird zur Sicherung dieser Zwecke in aller Zukunft keinen militärischen Bündnissen beitreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiete nicht zulassen. • Artikel II Mit der Vollziehung dieses Bundesverfassungsgesetzes ist die Bundesregierung betraut. Artikel 23f B-VG (1) Österreich wirkt an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union auf Grund des Titels V des Vertrages über die Europäische Union in der Fassung des Vertrages von Nizza mit. Dies schließt die Mitwirkung an Aufgaben gemäß Art. 17 Abs. 2 dieses Vertrages sowie an Maßnahmen ein, mit denen die Wirtschaftsbeziehungen zu einem oder mehreren dritten Ländern ausgesetzt, eingeschränkt oder vollständig eingestellt werden. Beschlüsse des Europäischen Rates zu einer gemeinsamen Verteidigung der Europäischen Union sowie zu einer Integration der Westeuropäischen Union in die Europäische Union bedürfen der Beschlussfassung des Nationalrates und des Bundesrates in sinngemäßer Anwendung des Art. 44 Abs. 1 und 2. -16-

Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse (2) Für Beschlüsse im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union auf Grund des Titels V sowie für Beschlüsse im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen auf Grund des Titels VI des Vertrages über die Europäische Union in der Fassung des Vertrages von Nizza gilt Art. 23e Abs. 2 bis 5. (3) Bei Beschlüssen betreffend friedenserhaltende Aufgaben sowie Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen sowie bei Beschlüssen gemäß Art. 17 des Vertrages über die Europäische Union in der Fassung des Vertrages von Nizza betreffend die schrittweise Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik und die engeren institutionellen Beziehungen zur Westeuropäischen Union ist das Stimmrecht im Einvernehmen zwischen dem Bundeskanzler und dem Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten auszuüben. (4) Eine Zustimmung zu Maßnahmen gemäß Abs. 3 darf, wenn der zu fassende Beschluss eine Verpflichtung Österreichs zur Entsendung von Einheiten oder einzelnen Personen bewirken würde, nur unter dem Vorbehalt gegeben werden, dass es diesbezüglich noch der Durchführung des für die Entsendung von Einheiten oder einzelnen Personen in das Ausland verfassungsrechtlich vorgesehenen Verfahrens bedarf. Öffentliche Meinung – Sind Sie für die Beibehaltung oder Abschaffung der Neutralität? • 2004: 80% für Beibehaltung • 2002: 79% für Beibehaltung • Okt. 2001: 75% für Beibehaltung • Jan. 2001: 77% für Beibehaltung • 1999: 65% für Beibehaltung • 1997: 57% für Beibehaltung Neutralität oder NATO Anhänger der SPÖ

ÖVP

FPÖ

Grüne

LiF

Beibehaltung 85% der Neutralität Ablehnung 84% eines NATO Beitritts

70%

67%

93%

42%

66%

55%

73%

46%

Gründe für die Liebe zu Österreich (Befragung v. 1980) 87% der Befragten nennen die Neutralität, sie steht somit an 6. Stelle.

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Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse

Westeuropa – politische Systeme im Vergleich Vorlesung 5: Verfassung: ein möglicher Ansatzpunkt für eine Typologie • Geschriebene (zB Österreich) • Ungeschriebene (zB Großbritannien: Ort der Verfassungsentscheidung = Parlament, kontrolliert den Verfassungsrahmen, nicht an einen Text gebunden) • Starre (kompliziertes Verfahren zur Verfassungsänderung, USA: beide Kammern Kongress und Einzelstaaten) • Nachgiebige (Verfassungsänderung mittels einfacher Parlamentsmehrheit: GB) • Föderative • Unitarische (Schweden) Aufgabe von Verfassungen ist die Regelung bzw. Verteilung von Macht. • Stichwort horizontale Gewaltentrennung (in Exekutive, Legislative, Judikative) Meist aber Tendenz zur Gewaltenverschmelzung • Stichwort vertikale Gewaltentrennung (Bund und Einzelstaaten) • Wechselseitige Kontrolle („checks and balances“): Beispiel USA – Präsident kann gegen Gesetze des Kongresses Veto einlegen, Kongress kann ihn aber mit 2/3 Mehrheit überstimmen • Grund- und Freiheitsrechte im Verfassungsrang Verfassungswirklichkeit: fragt nach der tatsächlichen Aufgabentrennung • Frage 1: Wer trifft politische Grundsatzentscheidungen? = policy determination (zB Legislative, Gerichte, Volksabstimmung,…) • Frage 2: Wer konkretisiert sie? = policy execution (Regierung, Verwaltung, auch Ausführungsgesetze, Urteile) • Frage 3: wer übt die politische Kontrolle aus? = policy control (zB Opposition, Medien, Misstrauensantrag, impeachment,…) Entstehungsbedingungen der Verfassungen • Typologie: a) rechtsstaatlich-pluralistische Demokratien • Mehrheits (Konkurrenz-)demokratien/ -regierungen, wettbewerbsorientiert • Konkordanzdemokratien bzw. Konsensusregierungen b) Mehr oder minder ausgeprägte Diktaturen • Totalitäre Diktaturen mit umfassendem Herrschaftsanspruch auch auf Wirtschaft und Gesellschaft (zB Alleinherrschaft einer Partei) • Autoritäre Diktaturen, die sich mit Machterhalt und Machtausübung begnügen Verfassungsänderung, Verfassungsgarantie • Einige wenige Verfassungen schließen Änderung grundlegender Verfassungsbestimmungen aus (GG Art 79 Abs.3), Portugal, Griechenland • Festschreiben der republikanischen Staatsform: Italien, Frankreich (hier auch die Unversehrtheit des Staatsgebietes) • Besondere Quoren: -18-

Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse -

Anwesenheitsquorum im Parlament (Ö, N) Abstimmungsquorum: 2/3 bis 3/5 (auch Portugal, Deutschland, Malta, tw auch Italien, Frankreich) • Zustimmung einer zweiten Kammer: zB des Bundesrates (D), gemeinsame Sitzung beider Kammern (B) • Direktdemokratische Legitimation in 11 Ländern - Obligatorisches Verfassungsreferendum: DK, Irland, CH - Fakultatives Ref: beide Parlamentskammern: 1/10 (Spanien), 1/3 (Ö), Reichstagsabgeordnete: 1/3 (S) Grundprinzipien der Österr. Verfassung • Demokratisches Prinzip • Republikanisches Prinzip • Bundesstaatliches Prinzip • Rechtsstaatliches Prinzip • (Gewaltentrennendes Prinzip) Neutralität stellt kein Grundprinzip lt. herrschender Lehrmeinung dar. Wie ändern? Änderung auch nur eines dieser Grundprinzipien kann nur mit 2/3 Mehrheit erfolgen und erfordert eine zwingende Volksabstimmung, weil dies eine Gesamtänderung der Verfassung wäre. Welche Prinzipien der Ö-Verf. Sind durch EU-Beitritt beeinträchtig? • Demokratische (durch EU-Beitritt wurde dieses Prinzip beeinträchtigt, als wesentliche Gesetzgebungskomponenten nicht vom Volk gewählten Organen zustehen) • und das bundesstaatliche Prinzip (wesentliche Gesetzgebungskompetenzen von Bund bzw. Länder wurden an Organe der EU abgegeben).

• •

2 Modelltypen von Demokratie Konkurrenzdemokratie Konkordanzdemokratie

Majoritäre Konkurrenzdemokratie • Konkurrenzdemokratien verfügen über eine Struktur, die ausgerichtet ist auf eine rasche und institutionell ungehinderte Durchsetzbarkeit des Mehrheitswillens • zB „Westminstersystem à la GB (jetzt eher die Ausnahme) – Charakteristika: Einparteienregierung mit parlamentarischer Mehrheit, starker Premier – National GB: relatives Mehrheitswahlrecht – Starke Regierung: Verklammerung Regierungsfraktion und Regierung, Parlamentsauflösung durch Premier Konkordanzdemokratie Beruhen auf dem Prinzip einer fairen Repräsentation im Entscheidungsprozess, notfalls schwerfälliges Verfahren – Verfassungen nur mit Opposition änderbar (meist nach Referendum und/oder Neuwahlen) – Ausgeprägte Verfassungsgerichtsbarkeit – Normenkontrolle vor oder nach Gesetzgebung – Überprüfungsantrag als Minderheiten-, Oppositionsrecht

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Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse Konkurrenz: GB; Konkordanz: Schweiz Idealtypus

GB

CH

Parlament: Regierung

Regierung dominiert

Balance Regierung / Parlament

Regierungstypus

Einparteienreg.

Breite Koalition

Parteiensystem

Zweiparteiensystem Vielparteiensystem

Wahlsystem

Relative Mehrheitswahl

Verhältniswahl

Staatsstruktur

Unitarisch

Föderalistisch

Dikrekte Demokratie Polit. Konfliktstruktur

Gering entwickelt

Stark entwickelt

Eindimensional

mehrdimensional

Weitere Differenzierungen • Parlamentarisch-demokratisches RegSystem, in dem die Regierung dem Parlament politisch verantwortlich ist Beispiel Österreich: Regierung = Kollegialorgan, BuKa = primus inter pares; kann durch Misstrauensvotum des Parlaments abgewählt werden, wenn keine Mehrheit im Parlament gefunden werden kann • Präsidentielle Systeme, in denen die Regierung dem Parlament politisch nicht verantwortlich ist Beispiel USA: Präsident bleibt im Amt, auch wenn er im Kongress keine Mehrheit findet Frankreich: semipräsidentiell/ parlamentarisch-präsidentiell Schweiz: halb-direkte Demokratie, Kollegialregierung, unabsetzbar durch das Parlament Parlamentarisches System, Parlamentstypen • Redeparlamente (Forum der öffentlichen Meinung) • Arbeitsparlamente (nicht Redner, Experten im Mittelpunkt) • Unmittelbare Demokratien – ohne repräsentative Volksvertretung

Vertikale Gewaltentrennung • • •

Zeichnet sich durch ein Zusammenwirken der Teilstaaten mit meist relativer Verfassungsautonomie aus: gemeinsam und mit/ gegen Bundesinstanzen Stichwort: Föderalismus Meist auch eine eigene Vertretung von Länderinteressen in einer 2. Kammer Föderalismus (z.B. Deutschland: 16 Länder)

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Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse

Föderale Staaten • Belgien: 3 Regionen, 3 Sprachgebiete, Verfassung 1994 • BRD: 16 Bundesländer, Verf. 1949 • Österreich: 9 Bundesländer, Verf. 1920/29 • Schweiz: 26 Kantone, Verf. 1998 • Spanien: 19 Autonome Regionen, Verf 1978 • Frankreich: dezentralisiert 96 Departements • Italien: seit 2001 föderativer Umbau – Begriff Föderalismus vermieden Eine 2. Kammer • Besteht in 11 föderativen Staaten neben dem Abgeordnetenhaus (abgeschafft in DK 1953, S 1974, Island 1991) • Nur in der Schweiz (Ständerat) und Italien (Senat) gleichberechtigt • Unterschiedliche Trends zur Unitarisierung, bei Einheitsstaaten eher zur Föderalisierung (zumindest zur Dezentralisierung) • Legitimierung durch direkte Wahl Italien, CH, Spanien, B und Norwegen Wer also ist der „Bundesrat“? • 2. Kammer in Österreich (zum Nationalrat) – derzeit 62 Mitglieder • 2. Kammer in D (zum Bundestag) • Kollegialbehörde (=Regierung) in der CH

Beispiel Schweiz CH: Föderalismus • Grundprinzip des Staates • Bund übernimmt nur explizit ihm übertragene Aufgaben • „Ständemehr“ garantiert, dass Verfassung nur bei Mehrheit der Kantone geändert werden kann • Beteiligung der Kantone an Vernehmlassung, Ständerat, Verfassungsänderung/ Ständemehr Vorteile CH-Föderalismus • Vielfalt der Kulturen, Sprache, Stadt/Land, Religion • Aufgaben in Kantonshoheit • Minderheiten fühlen sich weniger übergangen • Näher zum Bürger Nachteile • 7 Mio. EW : 26 Schulsysteme (Eigene Schulbücher, eigene Lehrerausbildung) • 26 Gesundheitssysteme • Gefälle bei den Steuern • Reformen – Mitspracherechte der Kantone -21-

Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse •

Teuer: 26 Regierungen, Verwaltungen, rechtliche Regelungen

Beispiel Bundesrepublik Deutschland Deutscher Bundesrat – 69 Entsandte Mitglieder (Mitgl. d. Landesreg.) • Zusammensetzung nach Größe, mindestens 3 Stimmen • Mehr als 2 Mio EW: 4 • Mehr als 6 Mio EW: 5 • Mehr als 7 Mio EW: 6 Zusammenlegung der Bundesländer • Forderungen, kleinere Bundesländer zusammenzulegen: brandenburgische MP Matthias Platzeck (Dez 03) - Zusammenlegung von Berlin, Brandenburg und MecklenburgVorpommern. • Idee der Zusammenlegungen von Bremen und Niedersachsen, von Schleswig-Holstein und Hamburg (gelegentlich auch von allen vier norddeutschen Ländern), • von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen • Rheinland-Pfalz und dem Saarland gefordert. • Durch Zusammenlegung sinkt die Zahl der Wahlen. • Zusammenlegung erfordert Volksabstimmung

Doppelte Gewaltenteilung -22-

Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse

Beispiel Österreich Bausteine der Rechtsordnung • Verfassung als oberstes Recht stellt Grundlage der staatlichen Ordnung dar. Kann nur durch Verfassungsgesetz aufgehoben, geändert oder ergänzt werden (1/2 u 2/3) • Höhere Norm kann durch niedrigere Norm nicht aufgehoben werden, niederrangige Norm darf der höherrangigen Norm nicht widersprechen. • Ausnahme: Notverordnungsrecht des Bundespräsidenten (= gesetzesvertretende Verordnungen) • EU-Recht ist eigentlich nicht übergeordnet, allerdings dürfen innerstaatliche Maßnahmen nicht dem EU-Recht widersprechen; EU-Recht genießt Vorrang. Stufenbau/Hierarchie der Gesetzgebung • EU-Recht – hat Anwendungsvorrang • Verfassung (B-VG bzw. L-VG) • Verfassungsgesetze • einfache Gesetze Stufenbau/Hierarchie im Vollzug • Verordnungen = generelle Normen, jede Verwaltungsbehörde darf innerhalb ihres Wirkungsbereiches Verordnungen erlassen (BK, LR, Gemeinden) • Bescheide / Urteile (Beschluss) = in den Vollzugsnormen • Exekution = Zwangsvollstreckungsakte • Eine höhere Norm kann durch eine niedrigere Norm nicht aufgehoben werden, die niederrangige Norm darf der höherrangigen Norm nicht widersprechen. Ausnahme: Notverordnungsrecht des Bundespräsidenten (= gesetzesvertretende Verordnungen) 9 Bundesländer – Bundesländer-Postmarke Sonderpostmarke "Föderalismus" soll an die 45. Wiederkehr der ersten Länderkonferenz vom 24. bis 26. Sept. 1945 in Wien erinnern. Bis zu diesem Zeitpunkt: "provisorische" Staatsregierung in Wien, deren Anordnungen aber nur in russischer Besatzungszone Gültigkeit hatten. Westliche Landesregierungen verkörperten auf ihrem Territorium die einzig wirksame Staatsgewalt. Durch Anerkennung der Autorität der "provisorischen" Staatsregierung durch die westlichen Landesvertretungen wurde Länderkonferenz zur eigentlichen Geburtsstunde der 2. Republik. Zustimmung war nämlich an Bedingung gebunden, dass Österreich als Bundesstaat

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Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse wiederhergestellt wird und durch freie Wahlen der Bundesregierung und des Landtages die demokratische Bundesverfassung und alle ihre Einrichtungen wiederhergestellt werden. Föderalismus in Ö • Föderalismus = Ordnungsgrundsatz für Gesellschaft und Staat, der größtmögliche Vielfalt in einer verbindenden Einheit ermöglicht. Dabei müssen Bund und Glieder gleichberechtigt sein und sich verpflichten, sowohl die Selbständigkeit der Glieder als auch die Treue zum Bund zu wahren. • Außerdem darf der Bund nur die Aufgaben übernehmen, die von den Gliedern nicht erfüllt werden können (Subsidiaritätsprinzip). • Der Bundesstaat ist die staatsrechtliche Verwirklichung des Föderalismus. Charakteristika in Ö • Charakteristisch für einen Bundesstaat ist Aufteilung der staatlichen Funktionen (Gesetzgebung + Vollziehung) zwischen Bund u. Länder • Charakteristisch für Österreich relativ autonome Landesgesetzgebung Mitwirkung der Länder an der Bundesgesetzgebung durch den BR relativ autonome Länder- Verwaltung Mitwirkung der Länder an der Bundesvollziehung (mit Bundesverwaltung) Finanzausgleich zwischen Bund u. Länder Relative Verfassungsautonomie • Gekennzeichnet ist die österreichische Bundesstaatlichkeit durch – die (beschränkte) Verfassungsautonomie der Länder, – die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern, – die Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung des Bundes in Form des Bundesrates, – den Finanzausgleich zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, – die von den Ländern durchgeführte mittelbare Bundesverwaltung sowie – verschiedene Elemente des kooperativen Föderalismus. • Das Prinzip des Föderalismus ist aber auch in den Verfassungen vieler anderer Staaten der Welt verankert. Schwach Position Republik Österreich verwirklichte für ihr Territorium grundsätzlich den Föderalismus. Österreichische Bundesverfassung von 1920 schuf bundesstaatliches Gebilde, das allerdings nur schwach föderalistisch ausgeprägt war. Seit 1974 bemühen sich besonders die westlichen Bundesländer um Stärkung der Rechtsstellung der Länder und des Bundesrates. Charakteristika des österr. Föderalismus • Zuständigkeiten für Gesetzgebung und Vollziehung zwischen Bund und Bundesländern aufgeteilt. • Die meisten wichtigen Kompetenzen stehen jedoch Bund zu, besonders in finanziellen Angelegenheiten. • Vollzugsaufgaben bei Ländern nur im Bereich der Verwaltung. • Gerichtsbarkeit bleibt zur Gänze dem Bund vorbehalten. • Die Länder wirken an Gesetzgebung des Bundes durch Bundesrat mit. • Viele Vollzugsaufgaben des Bundes werden von Landesorganen wahrgenommen (Vollzugsföderalismus). -24-

Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse 4 Haupttypen der Kompetenzverteilung Bund – Länder • Art. 10 Gesetzgebung und Vollziehung von Bund (Bund ausschließlich zuständig) • Art. 11 Gesetzgebung von Bund und Vollziehung von Länder • Art. 12 Grundsatz Gesetzgebung von Bund u. Ausführung Gesetzgebung und Vollziehung von Ländern • Art. 15 Gesetzgebung und Vollziehung von Ländern Art. 10: Gesetzgebung und Vollziehung Bund, z.B. – Bundesfinanzen – Zivil- und Strafrechtssachen – Verkehrswesen – militärische Angelegenheiten – allgem. Sicherheitspolizei Art.11: Gesetzgebung Bund, Vollziehung Länder – Staatsbürgerschaft – Straßenpolizei Art. 12: Grundsatzgesetzgebung Bund, ausführende Gesetzgebung und Vollziehung = Länder ein Grundsatzgesetz allein ist nicht vollziehbar, fehlen Ausführungsgesetze, können diese Angelegenheiten von Ländern frei geregelt werden – Sbg. Sozialhilfegesetz – Armenwesen – Jugendfürsorge – Bodenreform – Krankenanstalten Art. 15: Gesetzgebung und Vollziehung bei den Ländern Generalklausel zu Gunsten der Länder. Alle nicht geregelten Angelegenheiten fallen zur Gänze in die Zuständigkeit der Länder – Naturschutzrecht – Baurecht – Jagdrecht – Landesverfassungsrecht – Veranstaltungswesen Art 13 regelt Abgabenwesen/Finanzwesen, Art 14 regelt Schulangelegenheiten, Art 14a regelt landwirtschaftliche Schulen, Art 14b regelt öffentliche Auftragsvergabe, Art 17 sagt, dass die Kompetenzverteilung im Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung nicht zur Anwendung kommt und Bund u. Länder als Privatrechtsträger tätig werden können (Staat tritt wie Bürger auf). Sonderkompetenzbestimmungen • die paktierte Gesetzgebung (gemeinsame Zuständigkeit Bund u. Länder im Bereich der Gesetzgebung) – Änderung eines Landesgebietes (Flusslauf) – Übertragung bestimmter Landesvollzugsaufgaben auf die B-Polizeidirektion • Zuständigkeit des Landes zur Gesetzgebung und des Bundes zur Vollziehung – in Bausachen betreffend bundeseigener Gebäude, die öffentlichen Zwecken dienen (vollzogen in mittelbarer Bundesverwaltung) • Bedarfsgesetzgebungskompetenz – zur bundesgesetzlichen Regelung der Verwaltungsverfahrensgesetze, wenn einheitliche Vorschriften für notwendig erscheinen -25-

Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse Beispiel USA Vertikale Gewaltentrennung • Alle Rechte, die durch die Verfassung nicht ausdrücklich den Bundesorganen vorbehalten sind, verbleiben den Einzelstaaten • Föderalismus regelt die Machtverteilung zwischen Der Zentralregierung (federal government) und Den einzelstaatlichen Regierungen (state government) Hintergrund in den USA • Föderalismus = Ergebnis des Verfassungsprozesses • Verfassung musste von Einzelstaaten ratifiziert werden • Überordnung der Verfassung, Gesetzen und Rechtssprechung durch Zentralregierung • Alle nicht der Bundesregierung übertragenen Kompetenzen bleiben den Einzelstaaten

Horizontale Gewaltentrennung =Aufteilung der Regierungsmacht zwischen Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichtsbarkeit Gesetzgebung • Normal: Parlament • Auch Regierung – durch Verordnung • (Frankreich: was nicht explizit dem parlamentarischen Gesetzgeber vorbehalten bleibt, kann durch VO geregelt werden • Meist Regierungsvorlagen (aber evt. Impulse von außen) – Beamtenapparat Parlamentarische Kontrollinstrumente • Schriftliche / mündliche Anfrage • Interpellation (große Anfrage, oft von mehreren Abg. gemeinsam – Griechenland, Finnland, D) • Untersuchungsausschüsse (können kaum von einer Minderheit durchgesetzt werden – nur in D, Griechenland, Portugal) • Öffentliche Anhörung – hearing (D) • Ombudsman – Volksanwaltschaft Verhältnis- : Mehrheitswahl • Ausgenommen GB – Verhältniswahlsystem • Vielparteiensystem – Wahlrechtshürden • Koalitionsregierungen oder Minderheitsregierungen mit Aushandlungsprozessen Reg./Kabinett/Reg.Chef • Ministerpräsident/ Premier/ Kanzler an der Spitze der Regierung (Kabinett = Kollegialorgan; Einzelminister – große Eigenverantwortung) • Meist zwischen 14 und 20, manche ohne Ressort, auch mit Staatssekretären • Leitung der Sitzungen: Ministerpräsident (nur in Frankreich: Staatspräsident) • Richtlinienkompetenz (D, Spanien, Portugal, Griechenland, Luxemburg) oder primus inter pares (Ö, DK; N, Finnland, NL)

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Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse Mögliche Kompetenzen d. Reg.Chefs • Auswahl und Entlassung der Regierungsmitglieder • Ressorteinteilung • Parlamentsauflösung • Tagesordnung des Kabinetts • Tagesordnung des Parlaments • Außerdem: zugleich Parteichef/in? Person! • Geschlossenheit der eigenen Partei? Gewinner? Reg.System/Staatsoberhaupt • Alle – ausgenommen Schweiz – geteilte Exekutive: Staatsoberhaupt und Regierung • = Typus parlamentarischer Regierungssysteme, in denen die Regierung vom Vertrauen des Parlaments abhängig ist • Präsidentielle Regime: Präsident formell unabhängig Staatsoberhaupt • Starker Präsident: nur noch F (früher auch Portugal, Griechenland, Finnland) • Repräsentativ: alle anderen • Sechs der 10 Staatspräsidenten: Direktwahl durch das Volk – absolute Mehrheit – Stichwahl zwischen den 2 erfolgreichsten (F, Finnland, Portugal, A); Island und Irland: relative Mehrheit • Amtszeit zwischen 4 und 7 Jahren Bundespräsident in Ö • Seit 1929: ernennt, entlässt Bundeskanzler und Minister (muss keine Mehrheitsverhältnisse berücksichtigen) • Kann NR auflösen • Vertritt Ö nach außen • Beurkundet Gesetze • Seit 1951 direkt gewählt/ 6 Jahre • Übt „Rollenverzicht“ Sonderfall Schweiz: Staatsoberhaupt • Bundesrat = oberste leitende Behörde der Eidgenossenschaft – gewählt von „Vereinigten Bundesversammlung“ (= gemeinsame Sitzung von Nationalrat und Ständerat): 4 Jahre – 7 Mitglieder (gewählt bei absoluter Mehrheit) • Keine Abwahl, kein Mistrauensvotum durch Parlament • Parlament und Regierung ziemlich unabhängig voneinander Doppelköpfige Exekutive • Direkt gewählter Staatspräsident mit dominierender Position • Parlamentsmehrheit hat Recht, Premier und Regierung abzuberufen • Regierungsmacht liegt faktisch bei einem dem Parlament nicht verantwortlichen Präsidenten, der das Parlament auflösen kann Reg.Bildung • Staatsoberhaupt ernennt (nur S: Parlamentspräsident) • Wahl des RegChefs durch 1. Kammer des Parlaments: D, Spanien, Irland, Finnland, dann erst Ernennung – in Spanien ist das ein Vertrauensvotum für das Regierungsprogramm; D – geheime Wahl ohne Aussprache

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Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse • •

Staatsoberhaupt konsultiert nach Wahlen Parteivorsitzende (Monarchien ohne GB, Republiken Ö, I, Island) Sonst laut Verfassung stärkste Partei (GB, Gliechenland, S, Lux, Finnland)

Reg.Sturz • In Zweikammernsystemen (ausgen. Italien) bei Abgeordnetenkammer • Parlamentsbeschluss einfache Mehrheit oder bei absoluter Mehrheit (Griechenland, Portugal, Schweden, Frankreich), • Konstruktives Misstrauensvotum: D (1949), Spanien (1978), Belgien (1994) – auf RegChef bezogen – kann auch zu Minderheitenregierung führen • Sonst: einfaches Misstrauensvotum (auch Ö – selten zum Ende der Regierung)

Systemtypologien, Parteien und Interessenvertretungen – die Polity (und Policy) Dimension Modul 7 Der Rahmen: Der Rahmen, in dem die Parteien angesiedelt sind, ist das Politische System. Zum Teil bestimmen auch die Parteien, ihre Zahl und Form, ihre Art der Mitwirkung die Erscheinungsform des Politischen Systems. • Policy Determination (d.h.: wer trifft politische Grundsatzentscheidungen? – durch Volksabstimmung, Legislative (unter Mitwirkung von Parteien), Regierung,… • Policy Execution (d.h. wer konkretisiert die Grundsatzentscheidungen? Parlament, Regierung, Gerichte) • Policy Control (wer prüft, kontrolliert – gibt es Oppositionsparteien?) Parteien bieten Unterscheidungskriterien zur Erstellung einer Typologie politischer Systeme • Nach den Strukturen der Gewaltenteilung • Nach tatsächlichem Mehrparteiensystem • Nach der Form der Regierungswechsel durch freie Wahlen • Nach Bestand der Grundrechte (Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Parteigründungsfreiheit etc.) Wenn diese Kriterien fehlen: „Diktatur“ • Totalitär = umfassender Anspruch • Autoritär = mit Machterhalt und –ausübung zufrieden Sind sie vorhanden: „Demokratie“ (Minimalausstattung) • Kontrolle der politischen EntscheidungsträgerInnen u.a. durch Wahlen • gleiche politische Rechte der „SystembürgerInnen“/ StaatsbürgerInnen • gerechte Güterverteilung • Demokratisierung aller Bereiche Indikator Politische Kultur • Mehrheits- oder Konkurrenzdemokratien oder –regierungen • Konkordanzdemokratien oder Konsensusdemokratien -28-

Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse

Differenzierung der Demokratien in – Parlamentarische Systeme (in denen ist die Reg. dem Parlament verantwortlich; zB Österreich – Abwahlmöglichkeit der Reg durch Parlament) – Präsidentielle Systeme Andere Unterscheidung in – Redeparlamente – Arbeitsparlamente Daneben noch Formen der direkten Demokratie mit unterschiedlichen Angeboten zur Partizipation

Grundlage der Typologiebildung • Meist Verfassungen als Grundlage (dienen der Regelung, Verteilung oder Begrenzung von Macht durch: • Differenzierung von Staatsgewalten – horizontal: „Gewaltentrennung“ – Legislative, Exekutive, Judikative; heute immer mehr Verflechtungen – Vertikal: Föderalismus (Bund-Einzelstaaten-Länder-Gemeinden) • Regelung des Zusammenwirkens der Gewalten – Kontrolle, checks and balances • Mechanismen zur Vermeidung von Handlungsunfähigkeit • Anerkennung der Grund- und Freiheitsrechte Organisation-Partei • Eine Partei hat Einfluss auf die politische Willensbildung zu nehmen. Sie strebt eine gesamtpolitische Wirkung an. Die Mitgestaltung der politischen Willensbildung richtet sich auf einen längeren Zeitraum und einen größeren Bereich. Es genügt nicht, wenn sich eine politische Vereinigung nur im kommunalen Sektor betätigt (...). • Eine Partei muss den Willen erkennen lassen, regelmäßig an der politischen Repräsentation des Volkes teilzunehmen. Damit unterscheidet sie sich etwa von Verbänden, die keine politische Verantwortung für alle Bereiche tragen, oder von Bürgerinitiativen, die lediglich punktuell Einfluss nehmen, jedoch keine politischen Ämter übernehmen wollen. Dies braucht allerdings nicht zu bedeuten, dass die Partei Mandate in den Parlamenten erringt. "Parteien sind freie Zusammenschlüsse gleichgesinnter Bürgerinnen und Bürger, die für die Lösung politischer Probleme programmatische Vorschläge machen und Kandidaten für Parlamentsmandate und Regierungsämter aufstellen, um nach erfolgreicher Wahl dort ihr Programm in die Wirklichkeit umzusetzen." Wichtig ist eine eigenständige Organisation sowohl dem Umfang als auch der Dauerhaftigkeit nach. Eine Organisation, die sich nur zur Wahl bildet, verfügt (...) ebenso wenig über den Parteistatus wie eine Gruppe, die sich den Organisationsapparat einer anderen Vereinigung zunutze macht. Eine Partei stellt eine Vereinigung von Bürgerinnen und Bürgern dar. Das Prinzip der Einzelmitgliedschaft soll die Unterwanderung einer Partei durch einen Verband verhindern. Die Zahl der Mitglieder darf eine gewisse Grenze nicht unterschreiten, damit die Ernsthaftigkeit der Ziele und auch der Erfolgsaussichten erkennbar bleibt. Eine politische Vereinigung, die als Partei anerkannt sein will, muss in der Öffentlichkeit hervortreten wollen. Wer das Licht der Öffentlichkeit scheut und im Verborgenen tätig wird, erfüllt nicht die Voraussetzungen einer politischen Partei.

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Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse Typologie nach Satori • Einparteiensystem (Sowjetunion) • Hegemonistisches Parteiensystem (Mexiko) • Dominantes Parteiensystem (Indien, Japan) • Zweiparteiensystem (USA, GB) • Gemäßigter Pluralismus (NL, CH. B. BRD) • Polarisierter Pluralismus (Chile bis 73, Italien, Finnland) • Dann nur noch: Atomisierung Funktionen von Parteien • Integration • und zwischen BürgerInnen und • Rekrutieren Machtzentren verbinden („Linkage• Mobilisierung Funktion“) • Sozialisieren • Kontrollieren Neu sind folgende Punkte die für Parteien wichtig sind: § Individuelle Repräsentationsparteien § Massenintegrationparteien § Catch-All Parteien § Neue Parteien Rechts-links-Schema Links



Rechts (nicht liberal)

– Egalitär – Staatsinterventionistisch – Ausgleichend Postmaterialistisch – Partizipation – Persönliche Freiheiten



– Marktwirtschaftlich – Freier Wettbewerb – Markt Materialistisch – Wirtschaftswachstum – Innere Sicherheit – Militärische Stärke

Parteitypologie nach Zielen: • Weltanschauungspartei • Interessenpartei (=Interessenwahrnehmung für eine bestimmte Gruppe) • Amtspatronagepartei (das Programm mit der besten Werbekraft wird vertreten) nach den Ideen: • Konservative Parteien (Bewahrung von Autorität, Tradition, Unterordnung) • Liberale (Aufgeschlossenheit vs. Fortschritt und neuen Ideen) • Sozialistische Parteien (= Befreiung des Menschen durch Überführung der Produktionsmittel in Gemeineigentum) nach strukturellen Unterschieden: • Massen- , Apparatparteien – haben ständige Organisation, à la Mitgliederparteien • Rahmenparteien – zur Vorbereitung der Wahl gegründet, nur für die Aufstellung der KandidatInnen und den Wahlkampf entwicklungsgeschichtlich: • Honoratiorenparteien/ Repräsentationsparteien -30-

Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse –



freie Werbung, absolute Entscheidungsfreiheit der Repräsentanten= zugleich Rahmenparteien) Massenintegrationsparteien/ Integrationspartei – alle Lebensbereiche einbezogen, organisierte Anhängerschaft, immer mehr zu Volksparteien,auch Allerweltsparteien

Politische Kultur = Orientierung politischen Handelns an • Werten (values) (Maßstab des Handelns) • Einstellungen (attitudes – aus Werten abgeleitet, positive oder negative Beurteilung von Institutionen/ Personen) oder • Meinungen (situationsabhängig, spontan, unreflektiert • Ideologien (beliefs) = die subjektive Dimension der gesellschaftlichen Grundlagen politischer Systeme Politik und Geschlechterverhältnis Ausgangspunkt: enge Deutung von Politik • „Politik widmet sich den Angelegenheiten der polis, des Gemeinwesens, und nicht der Hausverwaltung und Hausarbeit, dem oikos, und der Familie – Bereiche in denen traditionell Frauen tätig waren“ Politik(forschung) und Frauen • Unsichtbarkeit (Frauen als Gegenstand werden ignoriert, gehören nicht zum öffentlichen Leben - Platzzuweisung) • Beschränkte Sichtbarkeit (Frauen werden als Subjekte in die Forschung einbezogen, ihr Leben wird mit männlichen Kategorien interpretiert) • Dann: neues Vokabular, neue Kategorien - Sichtbarkeit Untersuchung der Partizipation von Frauen • Dimensionen: – konventionell/ unkonventionell; verfasst/ unverfasst; • Verschiedene Formen: – Staatsbürgerrolle, parteiorientiert, problemorientiert, ziviler Ungehorsam, politische Gewalt • Konkrete Akte: – Wahlen, Demonstrationen

Politische Systeme in Osteuropa Vorlesung 6: Systeme ändern sich… verschiedene Typologien Unterschiedliche Begriffe – unterschiedliche Stadien • Umbruch • Revolution • Transition • Systemwechsel / Transformation • Systemwandel • Systemzusammenbruch

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Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse Umbruch kommt in 4 verschiedenen Typen vor: • Erosion oder verhandelte Revolution • Kollaps oder Sturz des Regimes • Gelenkter Wandel nach einem Umsturz • Zerfall und Neugründung von Staaten Revolution = tiefgreifende Veränderung der gesamten politischen und sozialen Strukturen. (allerdings großes Ausmaß an Gewalttätigkeit, wiewohl mit den meisten und bekanntesten historischen Formen d. Revolution verbunden, KEIN konstitutives Element von Revolution!)

Typ des Umbruchs Interimsphase

Phase nach den Gründungswahlen

Erosion und „verhandelte Revolution“ (Polen, Ungarn)

- Verfassungsgesetz (Polen 1992, dann 1997)

- schrittweise Anpassung (Polen) - verhandelte Neufassung (Ungarn 1990) Kollaps oder Sturz - schrittweise des Regimes Anpassung (CSSR) (CSSR, DDR) Gelenkter Wandel nach einem Umsturz (Albanien, Bulgarien, Rumänien) Zerfall und/ oder Neugründung von Staaten

- schrittweise Anpassung (DDR bis zur Vereinigung)

- Neue Verfassung (Bulgarien 1991, Rumänien 1992) - Verhandeltes Verfassungsgesetz (Albanien 1991) Neue Verfassungen (Serbien IX/1990; Kroatien XII/1990; Slowenien XII/1991; Slowakei IX/1992; Tschech. Rep. 1992) Transition = Phasen, die zwischen 2 unterscheidbaren politischen Systeme liegen; beginnt mit Auflösung von autoritären bzw. totalitär-kommunistischen Systemen, endet mit institutioneller Grundausstattung der Demokratie oder mit Rückkehr zum Ausgangszustand oder mit revolutionärer Situation. Systemwechsel / Transformation = Übergang von einem nationalen politischen/ ökonomischen System zu einem anderen System mit grundlegend anderen Kriterien zur Regelung politischer und ökonomischer Herrschaft. Systemwandel = Adaptive Anpassung der polit. Strukturen an eine gewandelte Unwelt innerhalb der alten polit. Ordnung. Systemzusammenbruch: Ein politisches System verliert seine Existenz als geschlossene Einheit vollständig,

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Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse Transformation 1. Zwei Phasen der Transformation •



Phase 1 (endet meist mit der neuen Verfassung) – Eigentlicher Regimewechsel – Etablierung politischer Institutionen und Verfahren – Sicherung formaler Rechte und Obligationen Phase 2 (noch nicht abgeschlossen) – Gestaltung von sozialen und ökonomischen Bedingungen mit positiven Verbesserungen – Sicherung der Einflussnahme durch Bürger auf Institutionen

2. Transformationsbereiche Transformationsprozesse finden statt in: • Politischen Institutionen (meist kurz- oder mittelfristig) • Der Ökonomie (über einen längeren Zeitraum) • Der Gesellschaft (noch längere Dauer) mit unterschiedlicher Dauer Hauptproblem ist also einerseits • Zeitfaktor: Die Transformation ereignet sich gleichzeitig, aber mit jeweils unterschiedlicher Dauer • Reaktion der einzelnen Bürger: müssen sich ans System anpassen, innere Emigration, Mitgestalten – Herausbilden einer Zivilgesellschaft

3. Transformationsebenen • • • •

Institutionelle Transformation = Herausbildung der zentralen staatlichen Institutionen Repräsentative Transformation = Repräsentation der Interessen durch Parteien und Verbände Verhaltenstransformation = wenn zentrale Akteure ihre Handlungen und Interessen innerhalb demokratischer Spielregeln umsetzen Etablierung einer Zivil- und Bürgergesellschaft

Transformationsprozesse am Beispiel der neuen EU-Mitglieder (die meisten Anmerkungen gelten auch für die anderen postkommunistischen Staaten) EU-Mitglieder seit 1. Mai 2004 – 5. Erweiterungsrunde (plus 10) • Baltische Staaten: Estland, Lettland, Litauen • Polen • Slowakei • Slowenien • Tschechische Republik • Ungarn • (sowie Malta und Zypern) Allgemeine Zielvorstellungen vor der „Wende“ • Abschaffung der kommunistischen Diktatur • Repräsentative Demokratie • Rechtsstaatlichkeit • Grundrechte • Soziale Marktwirtschaft

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Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse

• • •

Allerdings: Unklarheit über die Wege dahin Und: Unklarheit über die Vor- und Nachteile der erwünschten Veränderungen Und: Unklarheit über die Begriffsinhalte

Häufig genannte Kriterien, wann der demokratische Zielpunkt erreicht ist • Gewählte Vertreter der Regierung • Freie Wahlen • Allgemeines aktives und passives Wahlrecht • Meinungs-, Informations- und Vereinigungsfreiheit • Ausübung der Macht durch eine zivile Regierung • Absicherung der Demokratie durch eine Verfassung Staatsstruktur der neuen Mitglieder • Einheitsstaaten, aber mit - Örtlicher Selbstverwaltung - direkt gewählten Vertretungsorganen - selbständigem Haushalt • Tendenzen zur Schaffung regionaler Selbstverwaltungseinheiten und/oder deren Kompetenzen zu erweitern (Polen, Kroatien, Lettland) Frühere Demokratieerfahrung • Halbdemokratische Phase in der Zwischenkriegszeit (Polen, Litauen) – kaum für neue Eliten verhaltensprägend • Tschechoslowakei (bzw. Tschechische und Slowakische Republik) hatte substantielle demokratische Erfahrungen • Zumeist aber kaum Funktionäre mit Erfahrung (außer: alte Kader) Verankerung des Demokratieprinzips in der Verfassung • Verfahren der repräsentativen Demokratie • Auch direkt-demokratische Sachentscheidungen (Referendum, Volksentscheid), können bei Verfassungsänderungen obligatorisch sein • Parlament (zumindest Abgeordnetenhaus, oft auch 2. Kammer) und oft Staatspräsident weitgehend direkt gewählt • Freies Mandat • Pluralistisches Demokratieverständnis (Parteien- und Vereinigungsgründung, Parteien oft vom Staat getrennt) Partei – Staat • Inkompatibilitätsregeln • Richter, Polizisten, Soldaten, z.T. Beamte dürfen nicht Mitglied einer Partei sein (Polen, Ungarn, Slowenien, Rumänien, Weißrussland) • Aber Mitwirkung der Parteien an der politischen Willensbildung (Ungarn, Polen) • Parteien können verboten werden („abwehrbereite Demokratie“) – insb. Rumänische, Russ., Makedon. Verfassung Stufenbau der Rechtsordnung • Höchstrangigkeit der Verfassung (Gesetz und andere Rechtsakte dürfen nicht widersprechen) • Gesetzmäßigkeit der Verwaltung • Vorrang der Gesetze gegenüber untergesetzlichen Normen • Unabhängigkeit der Gerichte • Gewährleistung von Grundrechten (Schutz des Eigentums!) • Publizität von Rechtsnormen • Rückwirkungsverbot

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Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse

Staatszielbestimmungen – warum gerade diese? • Sozialstaatlichkeit • Umweltschutz (hoher Stellenwert, auch als Grundpflicht der Bürger) • Soziale Grundrechte (Lettland, Polen, Ungarn) • Recht auf soziale Sicherung • Tw. Recht auf Arbeit/ Recht auf Wohnen Verfassungsänderungen • zT „unveränderlicher Verfassungskern“ (Tschechische Republik) lässt offen, was gemeint ist • Erhöhte Hürde bei wichtigen Verfassungsteilen (Polen, Slowakei, Lettland, Litauen), aber keine Hinweise auf Totalrevision • Liegt alleine beim Parlament (Polen – 3/5 aller Abstimmenden, Ungarn – 2/3, CZ- 3/5 Mehrheit aller Abg); SK – bei Grundrechten und Grundfreiheiten • Zusätzliche Zustimmung der 2. Kammer: CZ, Polen Direktdemokratische Elemente • Obligatorisch: Änderung wichtiger Teile der Verfassung nur durch Volksabstimmung (Lettland, Litauen), für einzelne Bestimmungen, wie Zugehörigkeit zu einem Staatenverband, Republiksgrenzen (SK) • Fakultativ: Slowenien, Slowakei, Polen Initiativrecht bei 2000 Bürgern oder parlam. Mehrheit (SK) Durch parlamentar. Minderheit (Polen), durch 3/5 im Parlament (Estland) • Volksgesetzgebung à la CH: Lettland, SK, Ungarn Verfassungsgerichtsbarkeit • Entsprechend dem österreichischen Modell und dem deutschen Beispiel überall (ausgenommen Estland: skandinavisches Vorbild bzw. amerikan. Modell: dezentralisierte Normenkontrolle) • Stärker ausgebaut als in Westeuropa • Konkrete und abstrakte Normenkontrolle nachträglich, in Polen, Ungarn, Estland auch präventiv • Individualverfassungsbeschwerde (CZ, SK, Slo, Lettland, Ungarn, Polen) Staatsoberhaupt im System • Alle: gewählter Staatspräsident (Westeuropa: fast die Hälfte der Länder hat monarchisches Staatsoberhaupt) • Geteilte Exekutive: Staatsoberhaupt und Regierung mit Ministerpräsident (Premier) • Regierung kann durch parlamentar. Misstrauensvotum gestürzt werden • Zwei Typen: parlamentarisch-präsidentiell und präsidentiell-parlamentarisch (Merkel) Funktionen d. Präsidenten • Vornehmlich repräsentativ (Slowenien) • Exekutive Kompetenzen bis semi-autoritäre Präsidialregime (SK vor 1998) • Suspensives Vetorecht (Ausgen. SLO), Veto kann überstimmt werden (mit einfacher Mehrheit Estland, Lettland, Ungarn, absolute Mehrheit in Litauen, CZ, SK; Polen – 3/5 der Abstimmenden bei ½ Anwesenheit) • Bisher genutzt Polen, CZ (Havel), Ungarn, Estland, Lettland • Wichtig bei Cohabitation (Polen!) • Kann vor Ausfertigung eines Gesetzes Verfassungsgerichtshof anrufen (Estland, Polen, Ungarn) • Kann Referendum/ Volksabstimmung initiieren (Lettland, Ungarn) • Initiativrecht bei der Gesetzgebung: Polen, Ungarn, Litauen, Lettland, Estland bei Verfassungsänderungen) • Gegenzeichnungsrecht • Oberbefehlshaber der Streitkräfte

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Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse Reg.Bildung • Formelle Wahl des Premiers/ Regierung durch das Parlament (Ungarn, SLO) – aber Rolle des Staatspräsidenten bei der Nominierung des MP, sonst • Staatspräsident ernennt: vor der Vertrauensabstimmung des Parlaments (Litauen, CZ, SK), sonst danach • Parlament kann Regierungschef-Kandidaten ablehnen und einen anderen „am Präsidenten vorbei“ ins Amt bringen: Polen, SLO (2. Wahlgang), Estland (3. Wahlgang) Parlament – Reg. • Misstrauensvotum – Regierung muss zurücktreten, wird formell vom Präsidenten entlassen • Konstruktives Misstrauensvotum: Ungarn, SLO (1992!), Polen (dreimal aber einfaches Misstrauensvotum 1992/93), SK (1994) • Vertrauensfrage vorgesehen (Regierungswechsel nach Scheitern 2000) Reg.Chef und Kabinett • MP an der Spitze der Regierung • Regierung trifft Entscheidungen als Kollegium, aber große Selbständigkeit der einzelnen Minister • Im Grunde keine Richtlinienkompetenz Reg.Typen / Parteien • Einparteienregierung (à la Westminster) einmal in Litauen (1992-96) • Auch bei absoluter Mandatsmehrheit (1994-98 Ungarn, 1996 Litauen) – „unechte“ Koalitionsregierungen • Koalitionsregierungen Ungarn, SK • Sonst im Wechsel Polen, SLO, Estland, Lettland, CZ (1993-96), Litauen • Minderheitsregierung fallweise (CZ, Lettland, Estland, Polen, SLO, Litauen) Gesetzgebung • Meist Regierungsvorlagen • Jeder einzelne Abgeordnete, auch Fraktionen, Abgeordnetengruppen (Estland, SK, CZ), in Lettland: 5 Abg gemeinsam (= 5%) • Auch von der 2. Kammer (Polen, CZ, SLO) • Auch Parlamentsausschüsse (Ungarn, Polen, SK, Estland, Lettland) Kotrollinstrumente • Anfrage, Fragestunde – ausdrückliche Antwortpflicht der Regierungsmitglieder • TV-Übertragungen – öffentlichkeitswirksam • Neben Regierung auch Leiter von Behörden (Litauen, Estland, SK) • Untersuchungsausschüsse (1/5 – 1/3 der Abg – Lettland, Litauen, Ungarn, CZ, SLO, Polen) • Ombudsman-Institution (nicht CZ, SK) 2. Kammern • Nur insgesamt in 7 osteuropäischen Staaten, in Polen als Teil des Verfassungskompromisses 1989 „Senat“, CZ, SLO • Unmittelbare Volkswahl: Polen (in 40 Wahlkreisen 2-3 Senatoren auf 6 Jahre mit absoluter Mehrheitswahl), CZ (alle 2 Jahre 1/3 auf 6 Jahre nach absoluter Mehrheitswahl) • Suspensives Veto, kann aber von der Abgeordnetenkammer mit abs. Mehrheit zurückgewiesen werden Wahlsysteme • Allgemein, geheim, gleich • Legitimationsprobleme bei zahlenmäßig starken Minderheiten ohne dieses Recht (Russen in Estland und Lettland) • Aktives Wahlalter: 18

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Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse • •

Wahlperiode: 4 Jahre Entscheidung für ein Wahlsystem hängt mit dem Typ des Systemwechsels zusammen

• • •

Wechsel unter der Führung der alten Eliten: absolutes Mehrheitswahlrecht Ausgehandelter Wechsel: kombinierte Wahlsysteme mit starker Verhältniswahltendenz Sturz des Regimes durch das Volk oder Systemkollaps: Verhältniswahl in Wahlkreisen

Entscheidung für Verhältnissystem • In der Mehrzahl der Fälle • Kleine Besonderheiten: nur ein landesweiter Wahlkreis in SK, Kombinierte Verhältniswahl mit Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen (Ungarn) • Sperrklausel: 4% SLO, 5% Estland, Lettland, Polen, SK, bei Wahlbündnissen höher bis 8% – Polen, CZ Entscheidung für Mehrparteiensystem • Immer noch in dynamischer Entwicklung • Systeme mit 2 Großparteien, die sich in der Regierung abwechseln: CZ – CSSD und ODS, Ungarn – MSZP und Mitte-Rechts, Polen – demokrat. Linke und mittleres Lager aus Solidarnosc, SK – bipolar aus autoritär und demokratisch • Fragmentierte Vielparteiensysteme: Estland, Lettland • Regimekonflikt überwunden: baltische Länder, Ungarn, Polen, CZ, SLO (hier mehr sozio-ökonom. Konflikte) • Mitte-rechts, bürgerlich ist stärker ausdifferenziert, weniger stabil als mitte-links Warum gerade diese Länder? Konsolidierungsförderung durch EU-Beitritt • „Kopenhagener Kriterien“ mussten von allen erfüllt werden – 3 offizielle Kriterien: Politische Stabilität, demokratisches Verfahren Ökonomische Stabilität, Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck standzuhalten Übernahme des Acquis (d.h. des Besitzstandes der EU) ins innerstaatliche Recht • Als 4. Kriterium: Bildung einer Civil Society Woher stammen „Kopenhagener Kriterien“? EU-Gipfel 1993 in Kopenhagen: Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten haben sich zur Aufnahme der assoziierten mittel- und osteuropäischen Länder bereiterklärt (Möglichkeit dazu nach Art 49 EUV). Die Voraussetzungen entsprechen den Bestimmungen von Art 6 EUV und Art 4 EGV: – Stabilität der Institutionen – funktionierende Marktwirtschaft, die dem Wettbewerbsdruck standhält – Fähigkeit zur Übernahme der Pflichten aus dem acquis communautaire (Verträge, Rechtsakte,…) – Bekenntnis zu den Zielen der politischen Union und der Wirtschafts- und Währungsunion Indikatoren (und Probleme) für Konsolidierungsfortschritte • Anerkennung rechtsstaatlicher und demokratischer Grundsätze und Verfahren (allerdings: wenig Interessenvermittlung, wenig Partizipation) • Hoher Stellenwert der Verfassung: gilt als „Basis der Gesellschaft“ bei rund 80% der Bürger von Albanien, Bulgarien, Rumänien, Slowenien, Russland, Ungarn, Polen, Tschechische Rep, Slowakei • Freie Wahlen • Anerkennung der Ergebnisse der Wahl (oft auch problematisch) • Wahlergebnis führt oft zu Machtwechsel Allerdings oft nur aufgrund starker Stimmenverluste der regierenden Parteien – zeigt schwach ausgeprägte Parteiidentifikation Indikator für Unzufriedenheit der Wähler • Richterliche Unabhängigkeit • Probleme in der Rechtssicherheit (insbesondere durch Mangel an qualifiziertem Personal)

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Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse • • • •

Problem der Korruption (Wichtig auch Rolle der Verfassungsgerichte) Probleme: Aufbau des Beamtenapparates Aufbau der Bürgergesellschaft (mit Rückschlägen); Etablierung der Parteien Ökonomische Umstrukturierung – aber Unzufriedenheit, Arbeitslosigkeit etc.

Forschungsgruppe Europa – Untersuchungsziele und Kriterien Erster Teil: Untersuchungsziele 1. Fixierung des Untersuchungsgegenstandes - Marktwirtschaftliche Demokratie - Erfolg - Transformationsstrategie - Stabilität und Konsolidierung - Zeitdimension - Akteure 2. Vorauswahlkriterien Zweiter Teil: Bewertungskriterien 1. Bewertbare Leistungsarten 2. Gliederung der Bewertungskriterien 2.1. Transformation zur Demokratie 2.2. Transformation zur Marktwirtschaft 2.3. Management des Transformationsprozesses 3. Akteure der Systemtransformation 4. Gewichtung

Verbände, Interessenvertretungen Modul 8 Theoriezugänge:



Zuordnung der Modelle:

Koporatismustheorie und Pluralismustheorie wurden lange Zeit als extreme Gegensätze verstanden → nun gibt es neue Ansätze durch Europäisierung und Globalisierung, das Konzept der „assoziativen Demokratie“ • •

Korporatistische M.: Österreich, Skandinavien Pluralistisches M.: USA und Großbritannien

Zentrale Unterschiede: Zahl und Vielfalt der Verbände, Formen der Mitgliedschaft, Ausmaß der Verregelung, die Konflikt- und Konsensbereitschaft

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Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse

Pluralistisches Modell (z.B. USA) -

-

-

Korporatistisches Modell

frei gebildete, selbst organisierte Gruppen autonom agierend nicht/gering hierarchisch untereinander im Wettbewerb ohne staatliche Lizenz kein Repräsentationsmonopol geringe Verpflichtungskraft gegenüber Mitgliedern deutliche Ausdifferenzierung und Vielfalt

-

-

-

-

-

Typologie:

wichtigste Teile organisiert in begrenzter Anzahl v. Zwangsverbänden kaum Wettbewerb untereinander hierarchische Strukturen (innerhalb d. Verbände) staatliche Anerkennung (nehmen entlastende Funktion für Staat wahr) wegen Repräsentationsmonopol im eigenen Bereich hohe Verpflichtungskraft Großorganisationen v. Kapital u. Arbeit sind an Politikformulierungen in Bereichen der Wirtschafts-, Finanz- u. Sozialpolitik entscheidend



self oriented interest groupos:

→ angestrebte Ziele nützen Mitglieder → meist gute wirtschaftliche Basis



Public interest groups:

→ versuchen öffentl. Intertessen Durchzusetzen → von Spenden abhängig

→ versucht, den Beitrag von Verbänden und Vereinen zur politische Selbstbestimmung von Gesellschaft normativ zu begründen. → Will nicht die negativen Effekt gesellschftl. Konflikte unter Kontrolle bringen 2. Typologie: Einteilung nach Themenbereichen Wirtschaftsverbände • Gewerkschaften • Standesvertretungen • Religiöse Verbände • Bürgerrechtler / Frauenorganisationen • Assoziative Demokratie:

Zentrale Themen sind die Frage nach der sozialstrukturellen Veränderung, die zur Auflösung traditioneller Milieus führt, die Diskussion über neue soziale Bewegungen und die Beteiligung der Vereins- und Verbandsmitglieder an der Politik. Interessensgruppen entstehen meistens dann, wenn in der Gesellschaft manifeste Interessensgegensätze vorhanden sind, z.B. zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die Ausgangsprobleme solcher Interessensgruppen sind meisten, dass man abklären muss ob, 1. die organisierten Interessen auch die Interessen der Bevölkerung decken und 2. welche Abgrenzung zwischen Parteien und Interessensgruppen herrscht. Die Tendenzen sind dass der gesellschaftl. Organisationsgrad nicht sinkt aber es weniger Gewerkschaften, kirchliche Vereinigungen gibt. Dafür steigt der Zuwachs in Kunst, Sport, u.ä. Die Interessensgruppen versuchen die Politik zu beeinflussen, gehören aber nicht der Regierung an, können sie jedoch trotzdem stark beeinflussen, da sie eine große repräsentative Wirkung haben. -39-

Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse

Verbändestaat am Beispiel Österreich:

Internationale Entwicklungen: • • •

Verbändetypus Österreich:

• • •

Kennzeichen → enge Verschränkung von Parteien und Verbänden, die eine politische Feinabstimmung zwischen Parlamentarismus und Sozialpartnerschaft erlaubt. → Eine dichte Organisation der Wirtschaftsverbände → umfassendes System von Mitentscheidungskompetenzen der Sozialpartnerschaft

In den südeuropäischen Ländern, Portugal, Italien, Frankreich, Spanien gibt es nur geringen Organisationsgrad In Skandinavien, in den Nl und Luxemburg hoher Organisa. mittleren Ländern Ö, Belgien, D ist auch ein hoher Organisationsgrad, ist aber häufig stärker korporatistisch strukturiert Freie Verbände (keine Pflicht): ÖGB, Industriellen Gesetzliche Pflichtorgan.: ArbeiterK, WirtschaftsK, LandWK Sozialpartnerschaftliche Einrichtungen (Paritätische Kommission seit 1957, Beiräte, Kommissionen)

Interessenverbände International: seit 1989 ist die Bildung von Verbänden möglich. Es gibt Wirtschaftsverbände, • Ungarn: Gewerkschaften, welche aber kommunistisch beeinflusst sind, und es gibt gewisse Mitbestimmungsrecht in bestimmten Fragen zu Arbeits- und Lohnpolitik rund 20% der Beschäftigten sind gewerkschaftlich organisiert. Es gibt die so • Polen: genannte triparistische Kommission für Wirtschaft- uns Sozialfragen, und auch Arbeitgeberverbände sind vorhanden.

Interessensvertretung auf EU-Ebene:

• Öffentliche Interessensgruppen → eher diffuse öffentliche Anliegen; versuchen der Status unprivilegierter Gruppen zu verbessern • Wirtschaftliche IGs → vertreten Eigeninteressen der Mitglieder → Rückwirkung auf nationale Verbände → Europä. Gewerkschaftsbund

Die Interessensvermittlung auf EU- und auf nationaler Ebene ist eng miteinander verflochten.

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Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse

EU als politisches System Modul 9 • •

Realisten: Menschen können potentiell normwidrig („böse“) handeln und tun das meist auch. Idealisten: Menschen sind zur vernunftmäßigen Selbstbestimmung fähig, sind im Grunde „gut“

Realismus

• •

Seit der Vertreibung aus dem Paradies sind Menschen potentiell böse: • Normbrecher müssen inhaftiert werden • Der Staat muss eingreifen, abschrecken • Politik = Machtausübung, notfalls auch gegen den Willen der Herrschaftsunterworfenen Auch international: Böses kann in gewaltsamen Kampf zwischen Staaten kippen, daher Rüstung gegen Aggressoren; Wo aber Krieg vermieden werden kann, sollte er vermieden werden

Ihre Methoden in politischen Systemen: • • •

Etablierung von Gleichgewichtssystemen (Ost-West-Konflikt) Diplomatie kann kodifizieren – Völkerrecht, Kompromisse, Verträge Errichtung einer internationalen Regierung, ausgestattet mit Souveränität und Herrschaft (global oder regional) – unrealistisch, weil Souveränitätsanspruch bleiben wird

Idealismus

Es braucht keinen übergeordneten Staat, BürgerInnen können allein oder mit anderen alles selber regeln • Der Markt steuert die Beziehungen der Menschen, Angebot und Nachfrage • Gilt auch für die (staatsfreie) Wirtschaft • Keine Neigung zu Kriegen (war does not pay), nur Diktaturen wollen ihn (bisher keine Kriege zwischen demokrat.Staaten)

Neo- Realisten • •



Bedeutung ökonomischer Prozesse in der internationalen Politik (vs. Klassischer Realimus: betont militärische Macht) Internationale Vormachtstellung, weil wirtschaftlich überlegen – Ökonomie durchdringt die von ihr abhängigen Staaten, macht sie erst abhängig, lässt sie die Supermacht aber relativieren (zumal zur „Supermacht“ gerade durch diese vielen abhängigen Staaten geworden) Ein nicht-hegemoniales Vielmächtesystem ist instabil (Hegemon UdSSR verschwand,… s.o. – dann wieder neue Hegemonialmacht)

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Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse Wie werden internationale Zusammenschlüsse erfolgreich? •



Föderalisten (in realistischer Tradition): eine zwischenstaatliche Integration (Westeuropa), die sich aus vormals selbständigen Staaten zusammensetzt, kann nur gelingen, wenn machtpolitische Souveränität der Teilnehmerstaaten gebrochen und dem neuen Staat übertragen wird – braucht Verfassung (function follows form) Funktionalisten (Idealisten): wirtschaftliche und soziale Verflechtungen müssen wachsen, dann kommen neue Integrationsformen; nur soviel an Form, wie zur Organisation der Beziehungen nötig ist (form follows function)

Bedeutende Verträge • • • • •

1987: Einheitliche Europäische Akte 1993: Vertrag von Maastricht 1999: Vertrag von Amsterdam (Institutionenreform) 1999: Europäischer Rat in Berlin – Agenda 2000 (Reform von Agrar- und Strukturpolitik, Finanzrahmen 2000-2006, Erweiterungsstrategie 2000: Vertrag von Nizza - Institutionenreform

EU – Erweiterungen: 1. Erweiterung:

Basis:

2. Erweiterung: 3. Erweiterung 1986: 4. Erweiterung 1995: 5. Erweiterung:

→ 1952 – Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl EGKS (Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg, Niederlande) → 1958: Gründung der EWG/ Europäische Wirtschaftsgemeinschaft durch die Mitglieder der EGKS → Dänemark, Irland, Vereinigtes Königreich → Griechenland → Portugal, Spanien → Finnland, Österreich, Schweden 16.4.2003 Beitrittsverträge, 1.5.2004 Beitritt von Lettland, Estland, Litauen, Polen, Tschechische Republik, Ungarn, Slowenien, Slowakei, Malta, Zypern • Bulgarien und Rumänien: wohl 2007 • Türkei und Kroatien – Freigabe für Verhandlungen seit 3.10.05 (nach Österreichischer Verzögerung!)

Die Beitrittsländer müssen vor Eintritt in die EU passend vorbereitet werden. Das Programm ISPA ist neben PHARE und SAPARD eines der drei Instrumente der Europäischen Gemeinschaft zur Vorbereitung der Kandidatenländer auf ihre künftige Beteiligung an den Strukturfonds und dem Kohäsionsfonds. Es dient zur Unterstützung von Infrastrukturvorhaben in den Bereichen Umwelt und Verkehr. ISPA Für den Zeitraum 2000-2006 wurden für ISPA 1040 Millionen € pro Jahr vorgesehen. Während seiner ersten vier Durchführungsjahre (2000-2003) bezuschusste ISPA mehr als 300 infrastrukturelle Großvorhaben in den 10 Beitrittsländern Mittel- und Osteuropas (Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Tschechische Republik, -42-

Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse Ungarn). Nach der EU-Erweiterung im Jahr 2004 werden nur noch Bulgarien und Rumänien von ISPA gefördert, da die anderen begünstigten Länder nun für den Kohäsionsfonds in Betracht kommen. Seit Januar profitiert außerdem noch Kroatien von ISPA. PHARE • Welche Länder werden abgedeckt? Bulgarien, Rumänien, Kroatien • Ziel Unterstützung der öffentlichen Verwaltungen bei der Vorbereitung auf den EU-Beitritt und bei der Übernahme des gemeinschaftlichen Besitzstandes. PHARE ist für die Beitrittskandidaten das umfangreichste Hilfsprogramm auf ihrem Weg in die Europäische Union und ist ausschließlich beitrittsorientiert, d.h. es werden nur Projekte finanziert, die eine Relevanz für die Beitrittsvorbereitung haben. Für die 2004 beigetretenen Staaten endet nun PHARE. Bis 31.12.2005 mussten alle Aufträge vergeben sein und bis 31.12.2006 alle Auszahlungen erfolgt sein. SAPARD Das EU-Instrument Sapard = Heranführungsinstrument "Sonderaktion zur Vorbereitung auf den Beitritt in den Bereichen Landwirtschaft und ländliche Entwicklung" soll die Übernahme des Gemeinschaftsrechts. Darüber hinaus werden mit Sapard Maßnahmen zur Verbesserung der Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit der Agrar- und Ernährungswirtschaft sowie zur Schaffung von Arbeitsplätzen und einer nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung in den ländlichen Gebieten der Bewerberländer unterstützt.

Das politische System der EU • • •

Basis: Verträge Paris, Rom (50er Jahre), Maastricht, Amsterdam, Nizza (90er Jahre) Ausgangslage: EU-Mitgliedsstaaten übertragen einige ihrer souveränen Rechte auf gemeinsame Institutionen Bisher: drei wichtige Organe: – Der Rat der EU (Vertretung der Staaten) – Europäisches Parlament (Vertretung der Bürger/innen) – Europäische Kommission (politisch unabhängig, verfolgt das gemeinsame europäische Interesse)

Die Institutionen der EU: •

• • • • •

Europäisches Parlament (erlässt mit Rat Gesetze, legt Haushalt fest, wählt aus seiner Mitte einen Präsidenten und das Präsidium; maximal 750 Mitglieder (mindestens 6 pro Land, max 96) Europäischer Rat (der Staats- und Regierungschefs) legt die politischen Leitlinien fest, nicht gesetzgeberisch Der Präsident des Europäischen Rates (Vorsitz, Zusammenarbeit mit dem Kommissionspräsidenten) Ministerrat („Rat“): besteht aus Fachministerräten Europäische Kommission ergreift Initiative für Gesetze, die in den Ländern umgesetzt werden sollen Gerichtshof der Europäischen Union -43-

Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse Qualifizierte Mehrheit im Rat und im europäischen Rat: •

• • •

Mehrheit von 55% der Mitglieder des Rates, gebildet aus mindestens 15 Mitgliedern, sofern die von diesen vertretenen Mitgliedsstaaten zusammen mindestens 65 % der Unionsbevölkerung ausmachen. Sperrminorität: 4 Mitglieder des Rates Anders, wenn der Rat nicht auf Vorschlag der Kommission oder des Außenministers beschließt: Dann sind 72% der Mitglieder nötig Gilt weitgehend auch für den Europäischen Rat

Verfassung der EU • • • • • • •

Seit 1979: Plan einer Verfassung Europa-Konvent: schlägt Verfassungstext vor Europäischer Rat/ Regierungskonferenz 18. Juni 2004 Staats- und Regierungschefs und Außenminister/innen: 29. Okt. 2004 (auch Bulgarien, Rumänien, Türkei!) Europaparlament: 12. Jan. 2005 (formell nicht Teil des Ratifizierungsprozesses) Ratifizierung bis Mai 2006 Inkrafttreten 1. November 2006

Nationales Verfahren Dieser Vertrag kann erst in Kraft treten, wenn er von jedem Unterzeichnerstaat nach dem in seiner Verfassung vorgeschriebenen Verfahren angenommen (ratifiziert) wurde. Je nach juristischer und geschichtlicher Tradition der einzelnen Länder unterscheiden sich die hierfür von den Verfassungen vorgesehenen Verfahren: Parlamentarisches Verfahren: Der Text wird mit einem Gesetz zur • Ratifizierung einer mehrseitigen Übereinkunft von den nationalen Parlamenten angenommen. Volksabstimmung: Die Bürgerinnen und Bürger werden in einer • Volksabstimmung direkt aufgefordert, sich für oder gegen den Vertragstext auszusprechen. Erst, wenn der Vertrag ratifiziert ist und alle Unterzeichnerstaaten dies offiziell mitgeteilt haben, tritt er - frühestens am 1. November 2006 - in Kraft und wird wirksam. Die Bürger in Frankreich und in den Niederlanden haben den Verfassungsentwurf am 29. Mai bzw. am 1. Juni abgelehnt. Angesichts dieser Ergebnisse gelangte der Europäische Rat auf seiner Tagung am 16. und 17. Juni 2005 zu der Einschätzung, dass der Termin 1.11.2006 nicht mehr haltbar ist. Die Hauptprobleme: • Parlamentarisches Verfahren: Der Text wird mit einem Gesetz zur Ratifizierung einer mehrseitigen Übereinkunft von den nationalen Parlamenten angenommen. • Volksabstimmung: Die Bürgerinnen und Bürger werden in einer Volksabstimmung direkt aufgefordert, sich für oder gegen den Vertragstext auszusprechen. Mögliche Auswege: • Begrenzte Revision der geltenden Verträge in einer Regierungskonferenz zur Stärkung der Handlungsfähigkeit und der demokratischen Legitimation, aber Verzicht auf symbolstarke Überhöhung des Vertragscharakters durch Verfassung • Kern des Entwurfs wird gesichert, als Änderungsvertrag an den Vertrag von Nizza angehängt • Ratifikation in den Mitgliedsländern entsprechend den nationalen Bestimmungen -44-

Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse

EU Vorschläge: • Duff-Voggenhuber-Initiative (GB+A): neuer Verfassungskonvent, mehr BürgerInnen einbezogen, europaweites referendum bis zu den nächsten Wahlen 2009, Herausnehmen der kontroversen Fragen, Einbindung der nationalen Parlamente (insbesondere auch F und NL) • Initiative Stubb (Finnland): gegen Aufschnüren des Verfassungstextes – Vorschlag eines 5Schritte-Prozesses der Ratifikation bis 2012 – das Europaparlament, das zu Beginn so aktiv war, soll nicht zuletzt Totengräber der Verfassung werden, sondern sich selber profilieren • Aus der Kommission „Plan D (Demokratie, Dialog, Debatte): → Weg vom elitengeprägten Integrationsprozess → Initiative für einen Dialog mit der Bevölkerung → Rückkoppelung mit den Erwartungen Wirtschafts- und Sozialbereich → Abgrenzung Europa gegen Asien, auch USA Gefahr: Hängen bleiben auf der nationalen Ebene – besser transnationale Dialoge, mühsamer Prozess der Vertrauensbildung Ratspräsidentschaft Für jeweils ein halbes Jahr übernimmt ein EU-Mitgliedsland gemäß einer vorgegebenen Reihenfolge die Präsidentschaft im Rat. Es wird dabei keine Unterscheidung zwischen großen und kleineren Ländern vorgenommen, sondern alle Mitgliedstaaten nehmen gleichberechtigt an diesem Rotationssystem teil. Dem Vorsitzland im Rat kommen dabei im Wesentlichen drei Hauptaufgaben zu: • Organisation und Durchführung sämtlicher Ratstreffen • Vertretung des Rates im Zusammenwirken mit anderen EU-Organen • Vertretung der EU gegenüber Drittstaaten und internationalen Organisationen In der ersten Jahreshälfte 2006 übernimmt Österreich nach 1998 zum zweiten Mal seit seinem EUBeitritt im Jahr 1995 den Ratsvorsitz in der Europäischen Union. Auf Österreich folgen Finnland ab 1.7.2006, danach Deutschland, Portugal, und in der ersten Jahreshälfte 2008 - als erster der am 1. Mai 2004 beigetretenen neuen Mitgliedstaaten - Slowenien. Der Ratsvorsitz vertritt in enger Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission die Europäische Union auf internationaler Ebene. Er wird dabei vom Hohen Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik unterstützt. In Internationalen Organisationen, wie zum Beispiel den Vereinten Nationen oder der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), gibt der Ratsvorsitz vorher mit den anderen EU-Mitgliedstaaten akkordierte Erklärungen und Stellungnahmen ab. Auch bei internationalen Großkonferenzen spricht der Vorsitz im Namen der Europäischen Union. Die Vertretung gegenüber Drittstaaten (Nicht-EU-Mitgliedstaaten) im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) erfolgt vielfach im so genannten Troika-Format. Die Troika besteht seit dem Amsterdamer Vertrag 1997 aus der aktuellen Präsidentschaft, dem Hohen Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, sowie einem Vertreter der Europäischen Kommission. Der Vorsitz wird bei diesen Aufgaben gegebenenfalls von dem Mitgliedstaat, der den nachfolgenden Vorsitz wahrnimmt, unterstützt. Arbeitsprogramm • Das Arbeitsprogramm des Rates für 2006, das von den beiden Ratsvorsitzen des Jahres 2006 - Österreich und Finnland - auf Basis des mehrjährigen Strategieprogrammes 2004-06 erarbeitet wurde, legt die Zielrichtung für die Arbeit des Rates im Jahr 2006 fest. • Die Debatten der letzten Monate haben deutlich gemacht, wie wichtig es ist, dass sich die Europäische Union mit Themen beschäftigt, die den Bürgern im täglichen Leben ein Anliegen sind. -45-

Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse Die beiden Ratspräsidentschaften Österreich und Finnland werden eng miteinander kooperieren, um sicherzustellen, dass die Arbeit des Rates im Jahr 2006 zu wirtschaftlichem und sozialem Wohlstand, zum Schutz der Umwelt, zur Freiheit und Sicherheit der europäischen Bürger, sowie zu einer Stärkung der Rolle der Europäischen Union in der Welt beiträgt. Die Arbeit der österreichischen und finnischen Präsidentschaft soll auch sicherstellen, dass die Europäische Union den Herausforderungen und Möglichkeiten der Globalisierung erfolgreich begegnen kann. Für Salzburg: Die Veranstaltung „The Sound of Europe“ der österreichischen EURatspräsidentschaft soll eine breite öffentliche Debatte über die Bedeutung und Rolle Europas aber auch über die Spannungen innerhalb der Europäischen Union eröffnen und konkrete Lösungsvorschläge unterbreiten. Auf Einladung des Vorsitzenden des Europäischen Rates, Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, kommen Persönlichkeiten aus Politik, Diplomatie, Kunst, Kultur, Wissenschaft, Medien und Wirtschaft am 27. Jänner 2006 in Salzburg zusammen, um sich mit diesen Fragen und Problemstellungen auseinanderzusetzen. Verfassung für Europa Werte • Achtung der Menschenwürde • Freiheit • Demokratie • Gleichheit • Rechtsstaatlichkeit • Wahrung der Menschenrechte und • der Rechte der Minderheiten Charakteristika • Pluralismus • Nichtdiskriminierung • Toleranz • Gerechtigkeit • Solidarität • Gleichheit von Frauen und Männern Ziele: • Institutionelles Gleichgewicht und Handlungsfähigkeit • Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) • Stärkung des Raums der Sicherheit, Freiheit und des Rechts • Klare Kompetenzen, klare Instrumente • Bessere Koordinierung von Wirtschafts- und Finanzpolitik Ziel: Gleichgewicht der Institution der EU • • • • • •

Europäisches Parlament (erlässt mit Rat Gesetze, legt Haushalt fest, wählt aus seiner Mitte einen Präsidenten und das Präsidium; maximal 750 Mitglieder (mind.6 pro Land, max 96) Europäischer Rat (der Staats- und Regierungschefs) legt die politischen Leitlinien fest, nicht gesetzgeberisch Der Präsident des Europäischen Rates (Vorsitz, Zusammenarbeit mit dem Kommissionspräsidenten) Ministerrat („Rat“): besteht aus Fachministerräten Europäische Kommission ergreift Initiative für Gesetze, die in den Ländern umgesetzt werden sollen Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH – Luxemburg – 25 Richter und 8 Generalanwälte) -46-

Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse

Der Rat Institutionelles Gleichgewicht - Rat • Ab 2009 kommen Entscheidungen im Rat im Normalfall zustande, wenn 55% der Staaten, die gleichzeitig 65% der EU-Bevölkerung vertreten, zustimmen (sog. "doppelte Mehrheit"). – Im Unterschied zum bisherigen komplizierten System der Stimmengewichtung von Nizza mit seinen hohen Entscheidungsschwellen erleichtert die Doppelte Mehrheit Gestaltungsmehrheiten und erschwert Blockademinderheiten. Um eine Entscheidung zu verhindern, bedarf es mindestens vier Staaten. Eine qualifizierte Minderheit kann verlangen, dass über ein Thema befristet weiterberaten wird. • •

• •

Vorsitz: rotiert alle 6 Monate Teilnehmer an Ratstagungen: ein Minister pro Mitgliedsstaat – je nach Thematik – 5 verschiedene Räte und ein Rat für Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen Vorbereitung: Ausschuss der Ständigen Vertreter (COREPER) = Botschafter Beschlüsse: einstimmig, mit Mehrheit oder mit qualifizierter Mehrheit

Das Parlament • •

Tagungsort: Straßburg und Brüssel EP ist gemeinsam mit dem Rat Gesetzgeber der EU

Institutionelles Gleichgewicht - Parlament • Das Europäische Parlament wird als Mitgesetzgeber und gleichberechtigter Teil der Haushaltsbehörde neben dem Rat gestärkt. • Präsident: Josep Borrell Fontelles • 732 Abgeordnete (max.: 750) – direkt gewählt • Stimmt über Kommission ab • 18.11.2004: 449 dafür – 149 dagegen – 82 Enthaltungen Befugnisse • Drei wesentliche Kompetenzen • des EU-Parlaments • > Gesetzgebungsbefugnis • > Haushaltsbefugnis • > Kontrollrechte Gesetzgebungsbefugnis: • 1.Verfahren der Mitentscheidung: Gemeinsame Rechtsetzung durch den Rat und das EUParlament • 2. Konsultationsverfahren: Recht auf Stellungnahme • 3. Verfahren der Zusammenarbeit: Rechtsetzung in Zusammenarbeit mit Rat und EUKommission • 4. Verfahren mit Zustimmungsrecht: Rechtsetzung erfolgt nur bei Zustimmung durch das EU-Parlament Haushaltsbefugnis: Die letzte Entscheidung über den jährlichen Haushaltsplan der EU fällt im EU-Parlament. Kontrollbefugnis: -47-

Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse • •

Das EU-Parlament stimmt der Bestellung der EU-Kommission zu und kann diese auch mit einem Misstrauensvotum absetzen.

Die Kommission Institutionelles Gleichgewicht - Kommission • Die demokratische Legitimation des Kommissionspräsidenten wird durch seine Wahl durch das Europäische Parlament gestärkt. • Um die Handlungsfähigkeit der Kommission in einer erweiterten Union zu erhalten, wird ab 2014 die Anzahl der Kommissare aber auf 2/3 der Zahl der Mitgliedstaaten reduziert, bei gleichberechtigter Rotation zwischen den Mitgliedstaaten. • Präsident: José Barroso Der Europäische Rat Institutionelles Gleichgewicht – Der europäische Rat • Ein hauptamtlicher Präsident des Europäischen Rates stärkt die Kontinuität des Unionshandelns. • Der rotierende Vorsitz in den Ratsformationen bleibt jedoch in Form einer 18-monatigen Teampräsidentschaft aus drei Staaten erhalten, mit Ausnahme des Außenrates – hier führt der Außenminister den Vorsitz. • Österreich Vorsitz: 2. Hj. 1998, 1. Hj 2006 •

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Zusammensetzung: – Staats- und Regierungschefs aller Mitgliedsstaaten und – der Präsident der Europäischen Kommission – und der Präsident des Europaparlaments Seit Vertrag von Maastricht: Europäischer Rat = Initiator der wichtigsten Politiken der EU mit Ziel einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik Wichtigstes Gremium

Neue Aufgaben: • Europäische Sicherheit • Europäische Zusammenarbeit • Wissenschaftliche Kooperation • Europa der Bürger/innen • Partnerschaften – Europa in der Welt Aufregerthema Türkei • • • •

1963: Türkei/ EWG – Assoziationsabkommen mit Ziel der Mitgliedschaft Die Republik Türkei hat am 14. April 1987 ihren Beitritt zur Europäischen Union (EU) beantragt. 1995: Zollunion Die Türkei hat zwar den Status eines Beitrittskandidaten, die Aufnahme von offiziellen Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und der Türkei scheiterte jedoch bisher an den fehlenden politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen.

Empfehlungen der Kommission an den europäischen Rat Im Dezember 1999: Beschluss des Europäischen Rates (Helsinki): Türkei ist ein Beitrittskandidat. -48-

Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse Im Dez.2002, Kopenhagen: Beschluss des Europäischen Rates, dass „die Europäische Union die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ohne Verzug eröffnen wird, falls der Europäische Rat im Dezember 2004 auf der Grundlage eines Berichts und einer Empfehlung der Kommission entscheidet, dass die Türkei die politischen Kriterien von Kopenhagen erfüllt.“ Diese Schlussfolgerungen wurden auf der Tagung des Europäischen Rates im Juni 2004 in Brüssel bestätigt. Man versucht sich über diesen Verhandlungsrahmen zu verständigen, damit die Verhandlungen am 3. Oktober 2005 aufgenommen werden können. •

Seit den Wahlen 2002 in der Türkei: eine erhebliche Annäherung des rechtlichen und institutionellen Rahmens an europäische Standards. • Wichtigste politische Reformen waren die beiden umfassenden Verfassungsreformen von 2001 und 2004 sowie die acht Gesetzespakete, die zwischen Februar 2002 und Juli 2004 vom türkischen Parlament verabschiedet wurden. • Die Beziehungen zwischen Zivilregierung und Militär entwickeln sich im Sinne europäischer Normen. • Wichtige Änderungen des Justizwesens wurden vorgenommen:Abschaffung d.Staatssicherheitsgerichte. • Eine Reform der öffentlichen Verwaltung ist im Gange. Menschenrechte • Vorrang des Völker- und des Europarechts anerkannt. Das Land hat sich weitgehend den einschlägigen internationalen Übereinkommen und gerichtlichen Entscheidungen angepasst (so z.B. in Bezug auf die vollständige Abschaffung der Todesstrafe und die Freilassung von Personen, die wegen friedlicher Meinungsäußerung verurteilt wurden). • Dennoch: in der Praxis einige Beschränkungen • Aber Grundfreiheiten der türkischen Bürger wie die Meinungs- und Versammlungsfreiheit wurden wesentlich erweitert. Zivilgesellschaft • Die Zivilgesellschaft hat an Bedeutung gewonnen. • Die kulturellen Rechte der Kurden werden allmählich anerkannt. • Der Notstand wurde überall aufgehoben (Normalisierung auch im schwierigen Südosten); • Im Hinblick auf den verstärkten politischen Dialog leistet die Außenpolitik der Türkei einen positiven Beitrag zur regionalen Stabilität. Politische Reformen • Bei ihren politischen Reformen ist die Türkei erheblich vorangekommen, vor allem dank der weit reichenden Verfassungs- und Gesetzesänderungen, die in den letzten Jahren im Einklang mit den Prioritäten der Beitrittspartnerschaft vorgenommen wurden. • Allerdings sind weder das Vereinsgesetz, das neue Strafgesetzbuch noch das Gesetz über die zweitinstanzlichen Berufungsgerichte bisher in Kraft getreten. Null Toleranz Politik • Anerkannt: erhebliche Anstrengungen, um die wirksame Umsetzung dieser Reformen zu gewährleisten. Muss aber weiter verfestigt und ausgedehnt werden. • Dies gilt insbesondere für die „Null-Toleranz-Politik“ bei der Bekämpfung von Folter und Misshandlung sowie für die • Verstärkung und Durchsetzung der Bestimmungen über Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit und Frauen-, Gewerkschafts- und Minderheitenrechte.

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Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse Auswirkungen Der Beitritt der Türkei würde sich aufgrund der Auswirkungen von Faktoren wie Bevölkerungszahl, der Größe des Landes, seiner geografischen Lage und seinem wirtschaftlichem, sicherheitspolitischen und militärischen Potential von früheren Erweiterungen unterscheiden • Regionales Wirtschaftsgefälle könnte sich innerhalb der EU verstärken; • Kohäsionspolitik steht vor einer Bewährungsprobe. • Die Türkei hätte lange Zeit Anspruch auf erhebliche Unterstützung aus Mitteln der Strukturfonds und des Kohäsionsfonds. • Nach den derzeitigen Bestimmungen könnten dann einige Regionen der jetzigen Mitgliedstaaten, die Strukturfondsmittel erhalten, den Anspruch darauf verlieren. Wirtschaft • Aufgrund der eher bescheidenen Größe der türkischen Volkswirtschaft und des bereits vor dem Beitritt bestehenden Maßes an wirtschaftlicher Integration wären die wirtschaftlichen Auswirkungen des Beitritts der Türkei positiv, wenn auch relativ begrenzt. • Vieles hängt von der künftigen wirtschaftlichen Entwicklung der Türkei ab. • Die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen: Gibt dem Land bei weiteren Bemühungen um makroökonomische Stabilität und Förderung von Investitionen, Wachstum und sozialer Entwicklung Auftrieb • Unter diesen Voraussetzungen steht zu erwarten, dass das BIP-Wachstum der Türkei über dem EU-Durchschnitt liegen wird. Landwirtschaft • Wichtig: Entwicklung des ländlichen Raums und Aufbau von Verwaltungskapazitäten als möglichst günstige Voraussetzung für eine erfolgreiche Beteiligung an der Gemeinsamen Agrarpolitik. • Die Türkei bräuchte viel Zeit, um die Wettbewerbsfähigkeit einiger Landwirtschaftssektoren mit dem Ziel zu steigern, wesentliche Einkommensverluste der türkischen Bauern zu vermeiden. Auswirkung auf Rat und Kommission • Im Rat würde sich der Bevölkerungsanteil der Türkei im Abstimmungssystem widerspiegeln - dadurch hätte die Türkei eine gewichtige Stimme im Entscheidungsverfahren. • Aufgrund der geplanten Verringerung der Zahl der Kommissionsmitglieder ab 2014 wäre für die Kommission der Beitritt der Türkei mit weniger weit reichenden Auswirkungen

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Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse

Strategie der 3 Säulen •



Die erste Säule betrifft die Zusammenarbeit zur verstärkten Unterstützung des Reformprozesses in der Türkei, insbesondere im Hinblick auf die fortdauernde Erfüllung der politischen Kriterien von Kopenhagen. Sie wird sich auf eine überarbeitete Beitrittspartnerschaft stützen, welche Prioritäten vor allem für den Reformprozess festlegen wird, sowie auf eine verbesserte Heranführungsstrategie





Die zweite Säule schlägt die spezifischen Bedingungen für die Führung der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei vor. Es werden einige vorläufige Hinweise in Bezug auf die Vorbereitung der Beitrittsverhandlungen für den Fall gegeben, dass der Europäische Rat im Dezember einen entsprechenden Beschluss fassen sollte.





Die dritte Säule sieht einen wesentlich verstärkten politischen und kulturellen Dialog vor, der Menschen aus den EUMitgliedstaaten und der Türkei zusammenbringen soll. Der Beitritt der Türkei bedürfte einer gründlichen Vorbereitung, um eine reibungslose Integration zu ermöglichen, welche die Errungenschaften von fünfzig Jahren europäischen Einigungsprozesses verstärkt.

Direkte Demokratie im Vergleich Modul 10 • Direkte Demokratie: ist eine Staatsform, bei welcher die Macht direkt vom Volk ausgeübt wird. Politisches Entscheidungsverfahren erfolgen mit starker Beteiligung der Bevölkerung. Instrumente • Aktivierend (z.B.Volksbegehren) = Bevölkerung bringt aktiv Vorschläge ein, danach entscheidet das Parlament oder via Volksabstimmung das Volk

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Bremsend Unterschriften gegen ein vom Parlament beschlossenes Gesetz Ab einer bestimmten Zahl von Unterschriften muss es eine Volksabstimmung geben Bei Verfassungsänderungen obligatorisch

Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse

Verfahrenstypen: • Obligatorisches Verfassungsreferendum • Fakultatives Verfassungsreferendum • Verfassungsändernde Volksgesetzgebung • Volksgesetzgebung mit – Initiative bei den BürgerInnen (meist ODER) – Entscheidung bei den BürgerInnen • Fakultatives Referendum über einfache Gesetze – mit unterschiedlichem Veranlasser dazu Veranlasser • Von „oben“, d.h. durch – Regierungsmehrheit (manchmal auch Parlamentsmehrheit) – den Staatspräsidenten • Von „unten“: den BürgerInnen, Teil der Abgeordneten – Bestimmte Anzahl kann Volksabstimmung über ein beschlossenes Gesetz durchsetzen – Meistens mit Quorum (Beteiligung und Zustimmung) mit dem Ziel – Rückhalt in der Bevölkerung sichern – manipulativ zur Machtsicherung Wirkung Hängt von ihrer Kombination, von ihrer Ausgestaltung im einzelnen, den verfassungspolitischen Rahmenbedingungen und der politischen Kultur eines Landes ab. Vor allem im Osten Europas: erst sporadische Praxis; legitimierende Wirkung nur bei angemessenen Verfahrensmodalitäten, bei manipulationsfreiem Verfahren, einer gesicherten Kommunikationsfreiheit, funktionsfähigen Organisationen und bei einer zumindest ansatzweise entwickelten Bürgergesellschaft • Obligatorische (Verfassungs)Referenden: wirken bremsend • Fakultative Referenden: ambivalent (je nach Veranlasser) • Volksgesetzgebung: innovatives Verfahren • Nicht-verbindliche konsultative Volksabstimmungen/ Volksbefragungen Formen der Verfassungsreferenden • Obligatorisch – Dänemark, Irland, Schweiz; Dänemark besonders: Zustimmung des neugewählten Parlaments und 40% der wahlberechtigten BürgerInnen • Obligatorisch in Kombination mit Neuwahlen (muss Verf-Änderung bestätigen: „Verfassungswahlen“) – Benelux, Finnland (kann auf wahl auch verzichten) • Obligatorisch bei Totalrevision (bzw. Baugesetze-Änderung): Spanien, Österreich • Fakultatives Verfassungsreferendum → Spanien: 1/10, Österreich: 1/3 der Abg. einer der beiden Kammern, Schweden: 1/3 der Reichstagsabg (Votum der BürgerInnen nur negativ bindend), → In Italien nur, wenn nicht 2/3 Mehrheit der Abgeordneten vorliegt → Kein Referendum in Frankreich, wenn ein von beiden Häusern angenommener Gesetzesentwurf vom Staatspräsidenten den beiden Kammern vorgelegt wird und in gemeinsamer Sitzung mit 3/5 Mehrheit beschlossen wird -52-

Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse → Verfassungsändernde Volksgesetzgebung national: Schweiz, Liechtenstein Erster Überblick: • •

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Gesetzesinitiative der BürgerInnen: – Albanien, Lettland, Litauen, Polen, Ungarn Referendum über beschlossene Gesetze aufgrund Volksinitiative – Albanien, Kroatien, Lettland, Moldova, Polen, Slowenien, Ungarn, Slowakei, Ukraine, Italien, Schweiz Initiative für ein Referendum durch parlamentarische Minderheit: – Slowenien, Lettland, Moldova, Dänemark Initiative durch die parlamentarische Mehrheit: – Albanien, Bulgarien, Estland, Ungar, Weißrussland, Slowakei (absolute Mehrheit: Polen) Staatspräsident als Veranlasser – Russland und Weißrussland, Ungarn, Moldova, Polen (bei Zustimmung des Senats); Frankreich, Irland, Griechenland, Portugal Volksgesetzgebung (Volksbegehren und Volksentscheid) bei einfachen Gesetzen ist die Ausnahme – d,h, am Parlament vorbei – Lettland: Gesetzesentwurf vorgelegt von 10.000 Unterschriften, Zustimmung von 1/10 der Wahlberechtigten – danach verbindliche Volksabstimmung (aber Beteiligung ½ der letzten Parlamentswahlen, Mehrheit davon Zustimmung) – Unklare Regeln: Albanien, Slowenien, Moldova, Ungarn, Slowakei Volksabstimmungen mit hohen Quoren – Teilnahmequorum: 50% der Wahl- und Stimmberechtigten: Polen, Ungarn; Moldova: 60% Verhindern eines Referendums: – ¾ aller Abgeordneten: Lettland – 2/3 nach Gutachten VerfGH: Moldova – VerfassungsGH: Ungarn Kein Referendum auf nationaler Ebene: Tschechische Republik!

Direkte Demokratie in der nationalen Praxis Volksbegehren Einleitungsverfahren Österreich Damit ein Volksbegehren zur Eintragung aufliegen kann (Eintragungsverfahren), ist ein gesetzlich genau vorgeschriebenes Procedere, das Einleitungsverfahren, erforderlich. Im Rahmen des Einleitungsverfahrens müssen Proponenten des Volksbegehrens beim Bundesminister(ium) für Inneres einen Antrag auf Einleitung des Verfahrens für ein Volksbegehren (in der Folge Einleitungsantrag genannt) stellen. Einen Einleitungsantrag kann eine Einzelperson einbringen. Hinter einem Antrag kann aber auch eine Personengruppe (nicht unbedingt ein Verein!) oder eine politischen Partei stehen. Einleitungsantrag enthält: • den Text des Volksbegehrens • allenfalls eine Kurzbezeichnung (maximal drei Worte) • die Bezeichnung eines (einer) Bevollmächtigten sowie von vier Stellvertretern oder Stellvertreterinnen (Familien- und Vorname, Beruf, Adresse) • die Bezeichnung eines Bankkontos, zu dem der (die) Bevollmächtigte und seine Stellvertreter(innen) nur gemeinsam zeichnungsberechtigt sind • die Unterschriften des (der) Bevollmächtigten sowie der Stellvertreter(innen) -53-

Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse • eine (dem Antrag anzuschließende) Begründung Der Text des Volksbegehrens kann in Form eines Gesetzesantrages oder als Anregung formuliert werden. Jedenfalls muss er eine durch Bundesgesetz zu regelnde Angelegenheit betreffen. Das bedeutet insbesondere, dass eine Anregung nicht eine Aufforderung an die Verwaltung darzustellen hat oder dass eine Anregung nur durch Änderung landesgesetzlicher Normbestimmungen bewirkt werden könnte. Damit ein Einleitungsantrag rechtsgültig eingebracht wird, ist eine entsprechende Unterstützung erforderlich. Eine rechtsgültige Unterstützung hat in der Weise zu erfolgen, dass dem Antrag Unterstützungserklärungen von mindestens 8.032 Personen (die Zahl richtet sich nach dem Ergebnis der letzten Volkszählung) beigegeben sind. Auf einer Unterstützungserklärung bekundet der (die) Unterstützungswillige durch seine (ihre) Unterschrift, dass er ein bestimmtes Volksbegehren unterstützen will. Der (Die) Unterstützungswillige hat die Unterschrift vor seiner Hauptwohnsitz-Gemeinde zu leisten; allenfalls kommt stattdessen eine gerichtliche oder notarielle Beglaubigung der Unterschrift in Betracht. • Unterstützungserklärungen werden im Eintragungsverfahren den für eine spätere parlamentarische Behandlung erforderlichen 100.000 Unterschriften angerechnet. • Der Bundesminister für Inneres hat drei Wochen Zeit, über einen Einleitungsantrag zu entscheiden. Gibt er dem Antrag statt, so hat er einen Eintragungszeitraum festzusetzen (1 Woche) und im "Amtsblatt zur Wiener Zeitung" zu verlautbaren. • Zwischen Verlautbarung und dem ersten Tag des Eintragungszeitraumes müssen mindestens acht Wochen liegen; außerdem darf der Eintragungszeitraum nicht später als sechs Monate nach dem Tag der Verlautbarung enden. Beim Eintragungsverfahren sind alle Österreicherinnen und Österreicher stimmberechtigt, die • mit Ablauf des letzten Tages des Eintragungszeitraumes das 18. Lebensjahr vollendet haben • und in einer Gemeinde des Bundesgebietes den Hauptwohnsitz haben. Alternativen zur Regierungsvorlage: •

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Gesetzesinitiative durch Volksbegehren: nach einem Einleitungsverfahren Unterschrift von 100.000 Wahlberechtigten – Danach Befassung durch den Nationalrat (ohne Vorgaben) – Mehr und mehr Instrument der parlamentarischen Opposition Gesetzesinitiativen aus dem Parlament selbst (8 Abg oder ein Ausschuss des NR oder der Bundesrat) Einfluss durch Bürgerinitiativen (Ökologie, Frauen)

Volkabstimmungen •



Schon im B.-VG von 1920 vorgesehen bei – Gesamtänderung der Verfassung (EU Beitritt) – Nach NR-Beschluss: Nov 1978 Ablehnung der Inbetriebnahme von Zwentendorf Verankert – auch von Volksbegehren (hier Volksbegehrengesetz 1973) und Volksbefragung (Gesetz 1989) – auch in Landes- und Gemeindeverfassungen

Volksabstimmung und Volksbefragung werden durch Entschließung des Bundespräsidenten angeordnet; den Tag der Volksabstimmung/ befragung sowie den Stichtag bestimmt die Bundesregierung durch Verordnung. Es können zwei oder mehrere Volksabstimmungen/ befragungen angeordnet werden. -54-

Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse

Volksabstimmung •

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Volksbefragung

Gegenstand der Volksabstimmung ist ein vom Parlament beschlossenes Gesetz oder die von der Bundesversammlung (= Gremium aus Nationalrat und Bundesrat) gestellte Frage nach der Absetzung des Bundespräsidenten. Ergebnis ist bindend. Gefragt wird, ob ein Gesetzesbeschluss des Nationalrates Gesetzeskraft erlangen soll, oder ob der Bundespräsident abgesetzt werden soll; die Frage wird mit Ankreuzen eines Ja-Feldes oder eines Nein-Feldes beantwortet. Auslandsösterreicher(innen) können an der Volksabstimmung teilnehmen.



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Bei einer Volksbefragung wird die Haltung der österreichischen Bevölkerung zu einer Angelegenheit von grundsätzlicher und gesamtösterreichischer Bedeutung erforscht. Ergebnis ist nicht bindend. Es wird eine mit Ja oder Nein zu beantwortende Frage gestellt, oder es werden zwei alternative Lösungsvorschläge zur Auswahl vorgegeben. Auslandsösterreicher(innen) können an der Volksbefragung nicht teilnehmen.

In Österreich gab es bislang 2 Volksabstimmungen: 1. Volksabstimmung vom 5. November 1978 über ein Bundesgesetz zur friedlichen Nutzung der Kernenergie in Österreich (Inbetriebnahme des Kernkraftwerks Zwentendorf): „Soll der Gesetzesbeschluss des Nationalrates vom 7. Juli 1978 über die friedliche Nutzung der Kernenergie in Österreich (Inbetriebnahme.. …Zwentendorf) Gesetzeskraft erlangen“? • 50,5%: NEIN • Ost-Westgefälle: Vbg. 84,4%, Wien: 40,2% 2. Vom 12.Juni 1994 über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union: „Soll der Gesetzsbeschluss des Nationalrates vom 5. Mai 1994 über das Bundesverfassungsgesetz über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union Gesetzeskraft erlangen?“ • 66,6% mit JA Spanien: • Gesetzgebung normalerweise durch Cortes Generales, • Aber auch Regierung, beide Parlamentskammern, Parlamente der Autonomen Gemeinschaften und Volk • Volksinitiative restriktiv: 500.000 Unterschriften, bestimmte Form der Vorlage, bestimmte Themen ausgeklammert (Verfassungsreform, Organgesetze, Staatshaushalt, internationale Angelegenheiten, Gnadenakte) Italien: • Verfassung von 1948, Ausführungsgesetz 1971 und Gesetz zur Kommunalreform 1990 sehen vor: • Gesetzesinitiative des Volkes • Volksbegehren • Volksentscheid (referendum populare) mit aufhebender Wirkung (ref. abrogativo), – Aufschiebender Wirkung (ref. Sospensivo) • Regionaler Volksentscheid -55-

Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse • Kommunale Volksbefragung Gesetzesinitiative kommt vom Volk. 50.000 Wahlberechtigte bringen einen Gesetzesvorschlag ein, wird von beiden Parlamentskammern geprüft, gebilligt oder abgelehnt. Referendum über die (teilweise) Aufhebung eines Gesetzes: mit aufhebender Wirkung, wenn 500.000 Wahlberechtigte oder 5 Regionen dies verlangen (nicht über Steuer- und Haushaltsgesetze, Amnestien und Strafnachlässe, internationale Verträge); erfolgreich, wenn Wahlbeteiligung mehr als 50% und die Mehrheit dafür ist Schweiz: • Wichtigste Verfassungs- und wichtige Gesetzes Entscheide des Parlaments unterliegen dem Referendum • Stimmbürgerschaft kann eigene Vorschläge durch Volksinitiative zur Abstimmung bringen • Volksrechte aus einer basisdemokratischen Bewegung entstanden, die die parlamentarische Macht beschränken wollte • Zusammenwirken der drei Organe: Regierung, Parlament, Stimmbürgerschaft Typologie: • Obligatorisches (oder Verfassungs-) Referendum • Fakultatives (oder Gesetzes-) Referendum • Volksinitiative: – 100.000 Bürger können die Aufhebung, Änderung oder Neuschaffung eines Verfassungsartikels in Form einer allgemeinen Anregung oder eines konkret ausformulierten Begehrens verlangen – Parlament: Kann einen Gegenvorschlag vorlegen – Zur Annahme: das doppelte Mehr von Volk und Ständen – Werden Volksinitiative und Gegenvorschlag angenommen, entscheidet das Volksmehr über die angehängte Eventualfrage, welcher der beiden Vorschläge angenommen ist Deutschland: • Auf drei Ebenen: → Kommunen (Bürgerbegehren, Bürgerentscheid) • Zahlreiche Möglichkeiten – Anhörungspflichten (zB Bebauungsplan,..) – Haushaltsentwurf zur Ansicht – Bürgerbegehren → Länder (Volksentscheid; Verfassungsänderung; Auflösen des Landtags → Bund (nur für Art. 29GG) • Dem Volk werden im GG keine direktdemokratischen Rechte eingeräumt • Ausnahme nach Art 29GG – bei der Neugliederung der Bundesländer und – Wenn neue Verfassung in Kraft treten soll (Art 146GG) • Direkte Demokratie ist eher die Ausnahme, ausgenommen Baden-Württemberg und Bayern; in Hamburg 2005 erschwert (Stimmensammeln nur noch auf Bezirksämtern!)

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Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse

Verwaltung Modul 11 • • • • •

Ist ein Teilsystem des politischen Systems Erbringt Leistungen für die Allgemeinheit, für einzelne Gruppen oder Einzelpersonen Steht in Beziehung zu anderen Teilsystemen, Regierung, Parlament, Medien etc. Ist Träger von Macht Verfassungsmäßig normiert

Exekutive Umfasst zwei Ebenen

• Regierung • Verwaltung Nicht nur Kooperation, sondern auch Spannungsverhältnis (daher: „Exekutive“ im Verhältnis zum Parlament ist nicht homogen) Parlament – Verwaltung • Gesetze bestimmen das Verwaltungshandeln („Legalitätsprinzip“) • Gesetzesvollzug setzt ein demokratisch legitimiertes Programm um, aber mit Spielraum • Einfluss der Staatsbürokratie bei der Entstehung der Gesetze (Regierungsvorlagen) Budgethoheit des Nationalrates: Einfluss der Verwaltung • Budgethoheit = klassische Parlamentskompetenz, trotzdem weitgehend Kontrollfaktor • Bürokratie wirkt zweifach mit – Erster Schritt: Beamtenrunde (Kräftemessen zwischen dem Finanzressort und den anderen) – Rolle beim Budgetvollzug Verwaltungsorganisation • Äußere Organisation: durch Verfassung und Bundesgesetze geregelt • Innere Organisation: tw. größere Möglichkeit der Eigengestaltung Verwaltungsaufgaben des Bundes • Nach Ressortprinzip • Aufgabenverteilung auf die einzelnen Ministerien entsprechend der Verfassung durch Bundesgesetze • Papierform: BRD: nach GG hat der Bundeskanzler auch Organisationsbefugnis; Richtlinienkompetenz; A: österreichischer Bundeskanzler = primus inter pares, aber Aufgabenteilung Folge von „bargaining“ • BMinisterien besorgen die Aufgaben selbständig, unter der politischen und rechtlichen Verantwortung des/der BM/in • Innen: hierarchische Behördenorganisation • Vollzug: in der Regel durch „nachgeordnete Behörden“ Max Weber‘sches Modell Es arbeitet eine strikt regelorientierte Verwaltung routiniert am Vollzug ihrer Aufgaben (heutiges Verständnis als„Old Public Management“) Verwaltung ist unbestechlich, „objektiv“, kein Blick auf das Politische Bürokratie arbeitet „ohne Ansehen der Person“ nach berechenbaren regeln -57-

Grundlagen Politischer Systeme und Prozesse Weber: Eigenschaften der Bürokratie • Präzision • Schnelligkeit • Eindeutigkeit • Aktenkundigkeit • Kontinuierlichkeit, • Diskretion, • Einheitlichkeit, • Straffe Unterordnung • Speziell: Ersparnisse an Reibungen, sachlichen und persönlichen Kosten sind bei streng bürokratischer (monokratischer) Verwaltung durch geschulte Einzelbeamte höher als bei Kollegialverwaltung Traditionelle Handlungsmaßstäbe der Verwaltung • Sachgerechtigkeit • Rechtmäßigkeit • Unparteilichkeit • Rationalität (politische und soziale) • Erfolgsmaßstäbe – Effektivität und Effizienz – Wirtschaftlichkeitsprinzip – Sparsamkeitsprinzip – Zweckmäßigkeitsprinzip – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit • Anpassungs- und Innovationsfähigkeit Phasen des New Public Management (NPMgt) • Betriebswirtschaftlich dominierte Binnenreformansätze, Neues Steuerungsmodell • Einbeziehung der Politik • Einbeziehung der Bürger als Kunden, Qualitätsmanagement • Bürgeraktivierung • Strategisches Management: wirkungsorientierte Steuerung: Governance • Electronic Government (E-Government), Bürgeraktivierung, Entstaatlichung e-Government Durchführung von Prozessen der öffentlichen Willensbildung, der Entscheidung und der Leistungserstellung in Politik, Staat und Verwaltung unter weitgehender Nutzung der Informationstechnik. Abwicklung geschäftlicher Prozesse im Zusammenhang mit Regieren und Verwalten mit Hilfe von Informations- und Kommunikationstechniken über elektronische Medien Richtungen und Trends österreichischer Verwaltungsreformen • Ansatz der Deregulierung – soll (finanziell motiviert!) Verwaltungsentlastung schaffen (aber Österreich wohl nicht dafür geeignet) – Radikalste Form: ersatzlose Aufhebung von Rechtsvorschriften, Durchforsten nach überflüssigen Vorschriften • Privatisierung im Bereich Aufgabenerfüllung • Elemente der kontrollierenden Verwaltung • Modernisierung / Verdünnung des Legalitätsprinzips (finale Programmierung), bewegliches Rechtssystem – Aufwertung des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofs • Organisatorische Reformen – derzeit „neojosefinische Zentralisationstendenz“ -58-