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http://www.webbaecker.de/r_t_konzepte/2005/1105FOODTRENDS.PDF

Ausgabe 46/2005 -- 5. Jahrgang

Die Sendreihe «Q21 -- Wissen für morgen» vom Westdeutschen Rundfunk (WDR) hat es sich zur Aufgabe gemacht, gesellschaftliche Auswirkungen des wissenschaftlichen Fortschritts unter die Lupe zu nehmen. Q21 steht für Fragen des 21. Jahrhunderts. In einer Folge stellte Q21 das essbare «Erd-Ei» vor. Als Future Food Expertin setzte sich Hanni Rützler in dem Beitrag mit den neusten Food-Kreationen des französischen Unternehmens Enivrance auseinander.

Food Trends: Was essen wir morgen? Bamberg. (hr / eb) Als Dolmetscherin zwischen Wissenschaft und Praxis, zwischen Produzenten und Konsumenten, Handel und Verbrauchern, Politik und Gesundheitsorganisationen sieht sich die österreichische Ernährungsexpertin Magister Hanni Rützler aus Wien. Mit ihrem fach- und branchenübergreifenden Zugang zu Fragen des Ess- und Trinkverhaltens hat sich die Pionierin über Grenzen hinweg längst einen guten Namen gemacht und bietet wohltuend viel Substanz; geht es darum, Know-how auf Erzeuger-, Produzentenwie Verbraucherseite zu optimieren und entsprechende Strategien für eine gesündere und zugleich genussvolle Ernährungszukunft zu entwickeln. Nicht von ungefähr ist Rützler erfolgreiche Buchautorin und gefragte Referentin, Beraterin, Forscherin und Entwicklerin. Als freier Geist berät Rützler heute ebenso McDonalds wie die Arche Noah, den Nestlé Konzern wie verschiedene Biobauern-Verbände. Ihr multidisziplinäres Füllhorn an Wissen und Anregungen schüttete die Ernährungswissenschaftlerin und Gesundheitspsychologin Mitte November während des 17. Bäko Workshops in Bamberg aus. Der hatte zum Ziel, Entwicklungen im Ernährungsverhalten einerseits und die «Hauptperson Kunde» andererseits in den Mittelpunkt der Betrachtung zu Hanni Rützler stellen. Rund 400 Workshop-Teilnehmer nahmen die Gelegenheit wahr, sich an zwei Tagen von acht hochkarätigen Referenten inspirieren zu lassen und zu individuellen Erkenntnissen zu gelangen. Eine davon war, dass der Vortrag «Das Schicksal auf dem Teller» von Hanni Rützler als substanziell sehr dichter Vortrag daherkam, bei dem es sich lohnte, genau hinzuhören. Spannende Einblicke in eine «essbare Konsumwelt» von morgen und eine profunde Orientierungshilfe für Lebensmittelproduzenten wie -verbraucher durften die Workshop-Teilnehmer erwarten und wurden nicht enttäuscht. Den «Urknall» ersparte die Referentin dem Auditorium. Nicht etwa, weil ihr die Darstellung der Grundzüge des menschlichen Essverkantens unwichtig erschienen; sondern schlicht und einfach, weil

Der Gesundheitsbegriff ändert sich kontinuierlich. Was gestern noch «Abwesenheit von Krankheit» bedeutete, entwickelt sich hin zur «Ganzheitlichen Selbstkompetenz».

Vortragszeit und Aufnahmekapazitäten in der Regel begrenzt sind. So holte sie nur bis zum Jahr 1789 aus, um ihren interdisziplinären Ansatz verständlich zu machen: Seit der Konzeption der amerikanischen Verfassung, die explizit das Recht des Einzelnen und aller auf Glück postuliert, avanciere die Vorstellung von der Lebensqualität zum besonderen Zweck der politischen, wissenschaftlichen und industriellen Entwicklung. Der Ernährung, unseren Ess- und Trinkpraktiken komme dabei immer schon eine Schlüsselrolle zu. Denn Essen und Trinken dienten nicht nur der pragmatischen Selbsterhaltung. Sie seien darüber hinaus in vielfacher Weise mit gesellschaftlichem Sinn verbunden. Kurzum: Die von Rützler ausgemachten, wichtigsten Trends für die Esskultur der Zukunft erscheinen sorgfältig hergeleitet und sind in der Regel (mehrfach) gut begründet. Ihre Thesen wurzeln in der Erkenntnis, dass jedes Essen, jeder neue Ernährungs-Trend die Befindlichkeiten einer Gesellschaft und deren Dynamik widerspiegelt. Was wir in unserem Alltag für gut und richtig halten, das beeinflusst unseren Umgang mit dem Essen. Ernährung ist mehr als das Brötchen in der Hand oder der Apfel am Baum. Umgekehrt führen uns die Veränderungen in unseren Essgewohnheiten den tief greifenden Wertewandel unserer Gesellschaft vor Augen. Noch in der Nachkriegszeit strukturierte sich die Arbeit um die regelmäßige Abfolge der Mahlzeiten herum: Der Schreiner, ebenso wie der Lehrer oder der Kleinunternehmer, nahm das Mittagessen in der Familie ein. Doch längst pressen wir die flüchtigen Momente der «Essensaufnahme» zwischen Jobtermine, Kinderversorgung und Freizeitvergnügen. Andererseits nehmen wir Nahrung nicht mehr bloß auf, um unseren Hunger zu stillen, sondern um unsere Lebensqualität zu erhöhen. Wir essen bestimmte Speisen, um uns von anderen Menschen zu unterscheiden oder unsere Gruppenidentität aufrechtzuerhalten. Wir trinken Tee, um zu entspannen, halten bestimmte Diäten, um fit zu bleiben, naschen oder trinken, um unsere Sorgen zu vergessen. Oder wir verzichten auf den Konsum bestimmter Nahrungsmittel, um mit unserem ethischen Gewissen ins Reine zu kommen oder unser Haushaltsbudget einzuhalten. Will man wissen, warum der Mensch oder eine Gruppe von Menschen

«Wellness» als Ausdruck von Lebens-(mittel)-qualität: Um die geistige und körperliche Gesundheit zu erhalten und / oder zu steigern, übernehmen wir zunehmend Verantwortung bis hin zu «Selfness».

bestimmte Lebensmittel einkauft, sie in einer bestimmten Weise zubereitet und isst, muss man danach fragen, welcher Sinn damit jeweils verbunden wird. Dabei lassen sich neben dem Sinn der Selbsterhaltung mindestens fünf weitere Sinnebenen unterscheiden: • • • • •

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Sinn des ästhetischen und sinnlichen Genusses; Sinn der sozialen Unterscheidung; Sinn der Vergemeinschaftung; Sinn der kulturellen Identitätssicherung; Sinn der ökonomischen Wirtschaftsweise.

Realistische Annahmen über zukunftsweisende Trends basieren für Hanni Rützler nicht nur auf (lebensmittel-)technologischen Innovationen, sondern vor allem auf der intensiven Beschäftigung mit unterschiedlichen, zum Teil höchst widersprüchlichen Sinnzuschreibungen, die wir alle täglich beim Essen individuell oder als Gruppe vornehmen. Heißt konkret: Wir werden uns in unserer Esskultur in den nächsten Jahren immer stärker an aktuellen Trends wie Individualisierung, Vereinfachung und ökologischer sowie ethischer Korrektheit orientieren. Hier die wichtigsten Trends zur Zukunft des Essens: Trend 1: Nature Food: Natürlich, biologisch und gesund essen Noch in den 90er Jahren war Bio-Food eine ideologisch überfrachtete Veranstaltung von Alternativen, Rohkost-Freaks und Zivilisationsmüden -- heute ist es der Zukunftsmarkt in der Food-Branche schlechthin. Das Interessante: Deutschland und Zentraleuropa sind die Marktführer in der Biobranche -- und der gesamte nordamerikanische Markt harrt der Eroberung. Im vergangenen Jahr wurden hierzulande drei Milliarden Euro mit dem gesunden Essen umgesetzt. Allmählich begreifen auch die großen Retailer, dass Bio im Trend liegt und entwickeln sogar eigene Bio-Handelsmarken. Europa wird über das Jahr 2010 hinaus der Kernmarkt bei Bio-Produkten bleiben. Mit einem Marktanteil von 46 Prozent liegen die EU-Staaten weit vor Nordamerika (37 Prozent) und Asien (16 Prozent).

Noch in den 90er Jahren war Bio-Lebensmittel, waren Bio-Backwaren eine ideologisch überfrachtete Veranstaltung von Alternativen, Rohkost-Freaks und Zivilisationsmüden -- heute sind sie der Zukunftsmarkt in der Food-Branche schlechthin. Nach Ansicht von Hanni Rützler kommt das nicht von ungefähr ...

Trend 2: Ethic Food: Essen mit gutem Gewissen Vom Essen allein werden wir nicht satt. Wir verlangen immer häufiger, dass das Essen unseren moralischen Maßstäben an Pflanzung, Verarbeitung und Tierhaltung entspricht. Längst haben sich die Smart Shopper über die Risiken des industrialisierten Thunfischfangs informiert oder die Abzockerei im Kaffeehandel durchschaut, bevor sie sich ihren zwar teuren, aber fair gehandelten Kaffee gönnen. Die Zeitschrift «Shopping for a better world» und «Ethical Consumer» haben Ende der 80er Jahre den Trend angeschoben. Die wichtigsten Kriterien für Ethic Foood: Garantierte Mindestlöhne, keine Diskriminierung, keine Kinderarbeit. Eine Moral-plus-Marke wie «Transfair» beliefert mittlerweile rund 22.000 LEH-Einheiten und 800 Weltläden. Trend 3: Sential Food: Geschmacksexplosionen im Mund Gourmet-Köche schlagen Alarm: Laut einer britischen Studie können nur mehr 18 Prozent die vier Geschmackrichtungen süß, sauer, salzig und bitter eindeutig identifizieren. In den nächsten Jahren werden eine Menge neuer Produkte und Dienstleistungen auf den Markt kommen, die die sinnliche Wahrnehmung zurückgewinnen helfen. Die Nahrungsmittelindustrie hat unter dem Schlagwort Flavor Technology den Trend erkannt und arbeitet in ihren Sensorik-Labors an der Optimierung des Geschmacks: Wo der subjektive Geschmack für den Abverkauf immer wichtiger wird, sind optimierte Aromen entscheidend. Sential Food wird aber auch die Gesundheitsbewussten erreichen. Die Unternehmen Linguagen und Senomyx arbeiten an so genannten «Sweet Potentiators». Sweet Potentiators erlauben es, Lebensmittel mit einem Fünftel oder vielleicht sogar nur einem Zehntel der bisher eingesetzten Zuckermenge zu verwenden, ohne auf den Süßgeschmack verzichten zu müssen. Trend 4: Essen als Therapie: Functional Food Funktionelle Nahrungsmittel werden als Teil der normalen Ernährung aufgenommen und haben die Zusatzfunktion, den Gesundheitszustand zu verbessern oder das Krankheitsrisiko zu vermindern. Die Grenzen zu medizinischen Präparaten sind damit fließend. Einen Konzern wie Novartis hat das zu dem

Maßgeschneidertes für Simultan-Esser: Die Speerspitze des Fast Foods werden in Zukunft Essangebote bilden, die die Vergleichzeitigung von Essen und Arbeiten oder Freizeitaktivitäten noch zu optimieren vermögen. Hand held- oder One-Bite-Food sind die Trendgerichte für «Simultanten».

Irrtum verführt, die eigenen Lebensmittel mit Zusatznutzen als «Mittel gegen Krankheit» zu vermarkten. Doch die Konsumenten möchten sich gesund ernähren -- allerdings nicht mit Krankheit konfrontiert werden. Mittlerweile hat sich Novartis aus dem Functional Food-Geschäft zurückgezogen. Trotzdem wird Functional Food zu den Lebensmitteln von morgen gehören: Große Erfolgschancen haben künftig funktionale Lebensmittel für spezifische Zielgruppen: Säuglinge, ältere Menschen, Sportler. Auf mittlere Sicht werden die multinationalen Konzerne mit Functional Food reüssieren, aber nur mit intelligenten Produkten und aufwändigen Kommunikationsstrategien, die den Mehrnutzen der Produkte herausarbeiten. Trend 5: Hand held Food: Maßgeschneidertes für Simultan-Esser Die Speerspitze des Fast Foods werden in Zukunft Essangebote bilden, die die Vergleichzeitigung von Essen und Arbeiten oder Freizeitaktivitäten noch optimaler ermöglichen. Hand held- oder One-Bite-Food sind die Trendgerichte der «Simultanten». Der bei diesem Trend stark zu beobachtende Einfluss der arabischen, asiatischen und spanischen Küche wird das traditionell fleischlastige Fast Food herausfordern. Vom indianischen Fladenbrot (Fry Bread) über asiatischen Fisch im Bananenblatt (otak otak) bis zu Dukkah, einer afrikanischen Nuss-Gewürzmischung auf Fladenbrot -- das Nebenbeiessen ist der (!) kulinarische Wachstumsmarkt von morgen. Bei vielen Events ist es heute bereits ein absolutes Muss, Essen und Kommunizieren locker und ungezwungen miteinander zu verbinden. Der One-Bite-Trend bietet neben der Systemgastronomie auch kleineren Betrieben, Bäckern und Metzgern die Chance, neue Produkte zu entwickeln oder traditionelle wieder zu entdecken.

Info: Wenn Sie mehr darüber wissen wollen, wie wir in Zukunft essen werden, wenn Sie wissen wollen, wie die Gesellschaftstrends Individualisierung, Singelisierung oder Multitasking unsere Esskultur verändern und was hinter solchen Trends wie Anti Fat-Food, DOC Food oder Mood Food steckt, dann besuchen Sie

doch mal die Website der Ernährungswissenschaftlerin unter http://www.hanni-ruetzler.at oder statten dem Zukunftsinstitut aus Frankfurt / Main unter http://www.zukunftsinstitut.de einen Besuch ab. Zudem gibt es ausrechend Lektüre zum Thema. Hier zwei Buchtipps: Hanni Rützler: Was essen wir morgen? 13 Food Trends der Zukunft Springer Verlag ISBN 3-211-21535-2 http://www.hanni-ruetzler.at

Zukunftsinstitut: Future Food Die 18 wichtigsten Trends für die Esskultur der Zukunft Autorin: Hanni Rützler 136 Seiten ISBN 3-937131-13-2 http://www.zukunftsinstitut.de

Anhang: Auf den folgenden Seiten finden Sie neun Folien aus dem Vortrag von Hanni Rützler, anhand derer sie in Bamberg auf Trends einging, mit denen Bäcker durchaus etwas anfangen können. Die Stichpunkte im Überblick: 1. Hand Held Food 2. Fast Good 3. Health Food 4. Cheap Chic 5. Authentic Food 6. Entic Food 7. Natur Food 8. Clean Food 9. Sensual Food

Teils haben die Trends bereits eingesetzt, teils befinden sie sich noch in einem sehr frühen Stadium der Entwicklung. Weitere Hinweise gibt es unter http://www.hanniruetzler.at sowie http://www.zukunftsinstitut.de .

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