Evelina Velkaite Malerei 2007 - 2011

Und plötzlich diese Übersicht! So weit das Auge reicht: Luftige Räume, breite Farbflächen, klare Strukturen, aufgeräumte Motive, ab und an eine dezente Explosion, ein nervöser Kratzer am Rande, eine unbeträchtliche Farblawine. Die Malerei von Evelina Velkaite ist beim ersten Eindruck wohltuend, besteht sie wohl aus übersichtlichen formalen Zusammenhängen und klar ablesbaren Elementen, die harmonisch zusammen gefügt werden – und trotzdem nicht ganz spannungsfrei sind. Wie nett. Ja, diese Malerei erscheint zunächst freundlich und arglos. Sie besticht durch leuchtende Farben und beinah dekorativ wirkende Volumen. Aber sie wirkt zugleich ein wenig spröd und streng. Sie kokettiert mit der Dreidimensionalität und mit der Expressivität; lässt sich aber nie vollständig auf eine dieser Möglichkeiten ein. Sie spielt mit der Abstraktion, evoziert die Gegenständlichkeit, lässt aber beide Optionen im Regen stehen und geht woandershin tanzen. Das ist nicht nett. Es gibt eine subkutane Unruhe hinter dem braven Lächeln; es liegt Wut und eine freche Energie in dem Knicks dieses vielleicht nicht ganz so braven Mädchens. Der Dekor ist schroff, die Motive irgendwie unzugänglich, die liebliche Farbe plötzlich unmanierlich. Schleim dringt bereits durch die Kinderzimmertapette. Etwas ist faul in der Malerei von Evelina Velkaite. Faul und kräftig. Faul, kräftig und tückisch. Denn, wie immer, ist die Oberfläche trügerisch. Wer genauer auf Velkaites Bilder schaut, wer sich zu den Rändern der Leinwand neigt und die unsichtbar gewordenen Farbverläufe entdeckt, wer sich aufmerksam den untersten Farbschichten widmet, wer sich in diese kaum wahrnehmbaren Tiefen wagt, entdeckt Spuren eines Kampfes, der die coole Fassade nicht ahnen lässt. Es ist anscheinend viel passiert, bevor diese Bilder zu luftigen Räumen, breiten Farbflächen und zu klaren Strukturen gekommen sind. Und es ist nicht immer einfach abzulesen, denn Velkaite verwischt die Spuren. Die Künstlerin geht nämlich von einem fotografischen Bild aus und stützt sich auf gegenständliche Motive, die sie mehr oder weniger stringent übernimmt. Vom Hintergrund zum Vordergrund, reduziert sie dann allmählich die Komplexität ihrer Vorlage. In einem langsamen Prozess der Übermalung wird alles, was unnötig ist, weggewischt – wie aussortiert. So verschwinden ganze Bildbestandteile aus der ursprünglichen Komposition und lassen den Platz frei. Dabei gibt es keine universell anwendbare Strategie der Löschung. Alles ergibt sich auf der Leinwand: Wenn sie das Überflüssige ausmerzt, agiert Velkaite nicht nach System, sondern reagiert auf eine formale, vorhandene Situation. Ist ein Zustand der Klarheit und kompositionellen Ruhe entstanden, setzt sie in einem weiteren Schritt Zeichen und Gesten, die genau diese Ruhe und Klarheit infrage stellen. Das, was eben noch ästhetisierend und dekorativ wirkte, wird von nervösen Spraystreifen und wilden Markierungen durchgestrichen; und die zarten, freundlichen Farben werden ihrerseits von kräftigen Farbflecken verunstaltet. Der Vorgang wirkt also widersprüchlich, die Haltung der Künstlerin zugleich verspielt und trotzig: Es ist als ob Evelina Velkaite versuchen würde, eine vorgefundene Harmonie so lange zu zerstören, bis eine neue Harmonie wieder entsteht. Der gesamte Prozess unterliegt einer doppelten Sequenz der Reinigung (Reinigung der fotografischen Vorlage; Reduzierung des gegenständlichen Motivs auf ein Minimum) und der Beschmutzung (Ablehnung der frei gewordenen Fläche, Negierung der „Harmonie“ durch die Hinzufügung einer Dissonanz). Diese malerische Herangehensweise ist dialektisch geprägt und lässt sich vielleicht mit einer sprachlichen Metapher am besten umschreiben: Ausgehend von einer künstlerischen Frage, die sich auf eine Geste, eine Form, eine reale Beobachtung oder ein Objekt bezieht, formuliert die Künstlerin zunächst eine Antwort, die sie alsbald in das Bild setzt. Dann steht ein Bild da, und jeder mittelmäßiger Maler würde den Suchprozess schon an diesem Punkt einstellen. Aber Velkaite widerspricht im folgenden Augenblick der Antwort, die sie selbst gegeben hatte. Sie entlarvt ihre eigene Aussage als falsch – oder zu mindestens als nicht richtig genug – und bestreitet alles, was bisher behauptet wurde. Also löscht sie, übermalt, streicht und zerstört, und bringt letztendlich eine ganz neue These ein, die die alte ersetzt. Erst wenn sie intuitiv merkt, dass das, was nun auf der Leinwand steht, irgendwie „stimmt“ – also nicht mehr gelöscht, übermalt, gestrichen und zerstört werden muss – wird das Bild als beendet erklärt. Die Aussage steht nun; nicht als Doktrin, nicht als Gesetz, nicht als Wort Gottes – sondern als Bekenntnis, als Angebot und Vorschlag… Emmanuel Mir

„Wunderschön“, 2011 J., Öl, Lack, Marker, Papier auf Leinwand, 200 X 180 cm

ohne Titel, 2010 J., Öl, Lack, Marker, Papier auf Leinwand, 135 X 150 cm

ohne Titel, 2011 J., Öl, Lack auf Leinwand, 100 X 70 cm

ohne Titel, 2011 J., Öl, Lack, Marker, Papier auf Leinwand, 100 X 100 cm

ohne Titel, 2011 J., Öl, Lack, Marker, Bleistift, Kreide auf Leinwand, 150 X 150 cm

ohne Titel, 2011 J., Lack, Marker, Bleistift auf Leinwand, 150 X 150 cm

ohne Titel, 2011 J., Öl, Lack, Marker, Papier auf Leinwand, 110 x 95 cm

ohne Titel, 2010 J., Öl, Lack auf Leinwand, 160 X 200 cm

ohne Titel, 2010 J.,Öl, Lack auf Leinwand, 200 X 160 cm

ohne Titel, 2010 J., Öl, Lack auf Leinwand, 200 X 160 cm

ohne Titel, 2010 J.,Öl, Lack auf Leinwand, 200 X 160 cm

ohne Titel, 2010 J., Öl, Lack auf Leinwand, 160 X 200 cm

Evelina Velkaite, Annette Schnitzler, ohne Titel, 2010 J., Öl, Lack auf Leinwand, 160 X 200 cm

ohne Titel, 2010 J., Öl, Lack auf Leinwand, 180 X 195 cm

ohne Titel, 2010 J., Öl, Lack, Marker auf Leinwand, 110 X 95 cm

ohne Titel, 2010 J., Öl, Lack auf Leinwand, 160 X 200 cm

ohne Titel, 2011 J., Öl, Lack, Marker auf Leinwand, 100 X 140 cm

ohne Titel, 2009 J., Öl auf Leinwand, 60 X 80 cm

ohne Titel, 2008 J., Öl auf Leinwand, 40 X 50 cm

ohne Titel, 2008 J., Öl auf Leinwand, 40 X 50 cm

ohne Titel, 2008 J., Öl auf Leinwand, 40 X 50 cm

ohne Titel, 2010 J., Öl, Lack, Kreppband auf Leinwand, 200 X 160 cm

ohne Titel, 2010 J., Öl, Wandfarbe auf Leinwand, 200 X 180 cm

ohne Titel, 2010 J., Öl, Lack auf Leinwand, 160 X 120 cm

ohne Titel, 2009 J., Öl auf Leinwand, 160 X 120 cm

ohne Titel, 2009 J., Öl auf Leinwand, 60 X 50 cm

ohne Titel, 2009 J., Öl auf Leinwand, 149 X 160 cm

ohne Titel, 2009 J., Öl auf Leinwand, 110 X 140 cm

ohne Titel, 2009 J., Öl, Wandfarbe auf Leinwand, 165 X 195 cm

ohne Titel, 2009 J., Öl, Lack auf Leinwand, 120 X 80 cm

ohne Titel, 2009 J., Öl, Lack auf Leinwand, 120 X 160 cm

ohne Titel, 2009 J., Öl, Lack auf Leinwand, 120 X 160 cm

Evelina Velkaite Vita

1982

geboren in Klaipeda, Litauen

2004 - 2007

Studium Kommunikationsdesign, Folkwang Universität der Künste, Essen

2004 - 2010

Studium Malerei / Grafik und Fotografie / Medien an der Freien Akademie der bildenden Künste, fadbk Essen.

2010

Examenspräsentation ( Malerei / Grafik ). Meisterschülerin bei Brnard Lokai, Stephan Paul Schneider und Christiane Hantzsch

Ausstellungen/ Ausstellungsbeteiligungen 2012

„Wunderschön“, Kunstverein Heinsberg, Heinsberg

2011

„Enter the Threshold“, Alter Katholikentagsbahnhof, Bochum „Raum II: Enter the Threshold“, Galeriehaus Stuttgart, Stuttgart „The medium is not the massage“, Freie Akademie der bildenden Künste, Essen



„le grand malaise“, Künstlergruppe „Ohne Raum“, Freies Kunst Territorium, Bochum „Treffen mit mir“, Forum für aktuelle Kunst, Köln „Freiraum zeigt - zeigt Freiraum“, ehemalige Lukaskirche, Essen „Große Kunstausstellung NRW 2011“, Museum Kunst Palast, Düsseldorf

2010

„Dublin-Essen-Vilnius“ : paintings by Simon English and Evelina Velkaite, Galerie Kalthoff, Essen „Raum eins“, Künstlergruppe „Ohne Raum“, Galerie Ku 28, Essen (GA)

Evelina Velkaite www.evelina-velkaite.com Atelier Kasteienstraße 2 45127 Essen Fotos und Gestalltung: Evelina Velkaite Text: Emmanuel Mir