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VOLKER GEBHARDT

Kleine Geschichte der

MALEREI

Ein Überblick vom Mittelalter zur Moderne

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Vorwort

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Das Mittelalter Vorbemerkung Das Erbe der Antike Der Bilderstreit – Von der Ikone zum Tafelbild Der Beginn der Malerei im Mittelalter Die karolingische Renovatio Vom 10. zum 12. Jahrhundert – Die Zeit der Romanik Spanien und die Araber Das 13. Jahrhundert – Die Zeit der Hochgotik Profane Bildthemen im Mittelalter Arbeitsweise und Stellung des Künstlers

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Spätmittelalter und Frührenaissance Spätmittelalter oder Renaissance? Giotto Die Alternative in Siena – Duccio und die Brüder Lorenzetti Die Internationale Gotik Der Triumph der Buchmalerei in Frankreich Renaissance in Florenz – Der Beginn einer neuen Zeit Masaccio – Die zweite Revolution der Malerei Florenz von 1420 bis 1450 – Die Formierung der Avantgarde Campin und van Eyck – Der Triumph der Ölmalerei Von van der Weyden zu Memling Piero und Lorenzo de’ Medici – Höfische Kunst in Florenz Die Kunst der italienischen Höfe – Pisanello und Mantegna Piero della Francesca Der Beginn der Ölmalerei in Venedig – da Messina und Bellini

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Hochrenaissance und Manierismus Eine Welt im Umbruch Renaissance und/oder Manierismus? Leonardo Michelangelo Raffael Manierismus in der Toskana und Oberitalien Rosso Fiorentino und die Schule von Fontainebleau Renaissance in Venedig – Bellini und Giorgione Tizian und Lotto Veronese und Tintoretto El Greco Dürer und die deutsche Renaissance Grünewald

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Holbein und die Malerei in England Altdorfer und Cranach Die Malerei in den Niederlanden — Von Bosch bis Brueghel Die Kunstkammer – Hofkunst des Spätmanierismus

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Barock – Die Kunst des 17. Jahrhunderts Malerei im Zeitalter des Absolutismus Die Ausgangspunkte: Carracci und die Bologneser Schule Die Alternative: Caravaggio Velázquez und die spanische Malerei Die Malerei Mitteleuropas Die Malerei Frankreichs – Poussin, Lorrain, de la Tour Die Malerei Flanderns – Rubens und van Dyck Die Malerei der Niederlande – Die Voraussetzungen Die holländischen Bildgattungen – Spiegel des Lebens Frans Hals Rembrandt Vermeer

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Vom Rokoko zur Romantik Die Auflösung traditioneller Bildmuster Fortführung der großen Traditionen – Tiepolo Rokoko in Mitteleuropa Die Welt als Komödie und Hirtenspiel – Das französische Rokoko Experimente mit der Farbe Vedute und Capriccio Malerei in England Klassizismus in der Malerei – Jacques-Louis David Goya Die Romantik Füssli und Blake Runge und Friedrich Deutsche und dänische Malerei zwischen Romantik und Realismus Menzel Constable und Turner Géricault und Delacroix Ingres

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Vom Realismus zum Jugendstil Aufbruch in die Moderne Courbet und der Realismus Die Präraffaeliten Manet Salonmalerei und Orientalismus Malerei in Nordamerika Impressionismus

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Bedeutende Künstler des französischen Impressionismus Postimpressionismus – Gauguin, Seurat, Signac Cézanne Symbolismus Jugendstil in München und Wien – Stuck, Klimt und Schiele

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Die Kunst der Moderne Beginn der modernen Kunstgeschichte – Wölfflin, Riegl, Warburg Fauvismus und Matisse Expressionismus in Deutschland Wege zur Abstraktion Kubismus Futurismus Orphismus Blauer Reiter Suprematismus und Konstruktivismus De Stijl Dada Bauhaus Neue Sachlichkeit und Realismus in Amerika Beckmann Pittura Metafisica Surrealismus Klassische Tendenzen – 1920 bis 1945 Kunst im Faschismus und Stalinismus – 1933 bis 1945 Picassos Guernica

170 174 176 178 179 180 181 182 184 185 186 188 188 190 191 191 193 194 196

Die Malerei nach 1945 Die Malerei nach 1945 – Abstraktion oder Realismus? Malerei in Deutschland – Tradition und Avantgarde Malerei in Frankreich und Spanien Malerei in den Vereinigten Staaten – Abstract Expressionism und Action Painting Pollock und de Kooning Newman und Rothko Bacon Johns und Rauschenberg Positionen in den 1960er Jahren – Klein, Fontana, Kawara, Twombly Pop-Art – Warhol und Lichtenstein Die Klassiker der »Westkunst« in Deutschland Malerei seit 1989 – Ein Ausblick

Bibliografie Personenregister der Künstler und Kunsttheoretiker Foto- und Copyrightnachweis

198 200 201 203 204 205 208 209 211 214 217 219

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Vorwort

Die »Kleine Geschichte der Malerei« erlaubt einen raschen Überblick über die Abfolge von Stilen und ihren Künstlern und bettet die Entwicklungen in den historischen Zusammenhang ein. Darüber hinaus möchte das Buch aber auch und vor allem Anleitung und Anregung zum Sehen geben. Erst die persönliche Betrachtung mit dem Ergebnis, ob uns ein Gemälde »angreift« oder kalt lässt, macht die Freude und den Gewinn aus, den wir vor den Meisterwerken der Malerei empfinden. Jede Zeit hat darüber hinaus ihren eigenen Blick auf die Kunst gehabt. Menschen des Mittelalters hatten gewiss eine andere Seherfahrung vor einer Altartafel als wir heute vor dem gleichen Bild anlässlich eines Museumsbesuchs. Deshalb muss eine Geschichte der Malerei, mag sie noch so »klein«, auch eine Geschichte des Sehens sein. Und jede Zeit hat ihre eigenen Möglichkeiten entwickelt, die Welt zu betrachten. Der Künstler war zunächst der Handwerker im Dienste seiner Auftraggeber. Er emanzipierte sich in einem langen Prozess seit dem Zeitalter der Renaissance um 1500. Dabei stand er immer vor der grundsätzlichen Frage: Wie gestalte ich ein Thema oder eine Bildidee auf einer zweidimensionalen Fläche mit dem Mitteln der Linie und Farbe, Fläche und Raum, Licht und Schatten. Gelingt es diesem Buch, bei aller Sachlichkeit der Darstellung der kulturellen Rahmenbedingen und Funktionen von Kunst etwas von dieser Magie des Bildes zu vermitteln, hätte der Autor eines seiner vorrangigen Ziele erreicht. Bereits 1997 als »Schnellkurs Kunstgeschichte – Malerei« erstmals veröffentlicht, ist das Manuskript des Buches über die vielen Jahre immer wieder überarbeitet, sind Abbildungen ausgetauscht oder Künstlerbiographien auf den neuesten Stand gebracht worden. Nun hat sich der DuMont Buchverlag erfreulicherweise entschieden, das Buch in einem neuen Gewand nochmals aktualisiert und auch sprachlich in vielem überarbeitet, unter dem zutreffenderen Titel einer »Kleinen

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Vorwort

Michelangelo Buonarrotti, Sixtinische Decke, Erschaffung Evas (Ausschnitt), 1508–12, Fresko, 13,7 x 39 m, Sixtinische Kapelle, Vatikanstadt. Michelangelo legt ein architektonisches Gerüst als Gliederung auf das Stichkappengewölbe und setzt im mittleren Streifen Felder ein, in denen er Szenen der Genesis und des Alten Testaments merkwürdig unräumlich schildert. Zu beiden Seiten gruppiert er Sibyllen und Propheten, die zu den großartigsten Charakterstudien der Kunst gehören und die Verbindung zu seinen Skulpturen (Moses) herstellen.

Geschichte der Malerei« erneut zu verlegen. Dafür sei den Verlegern, vor allem aber den Mitarbeitern in Lektorat und Herstellung ein herzliches Dankeschön gesagt. Berlin, im August 2016 Volker Gebhardt

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Das Mittelalter

Vorbemerkung

Trotz aller gegenteiligen Beteuerungen wird das Mittelalter im Rahmen einer Geschichte der Malerei immer noch als »dunkle Zeit« beschrieben. Diese Einschätzung geht auf den Florentiner Kunstkritiker Giorgio Vasari zurück (s. S. 56). Er ließ die Geschichte der Malerei erst um 1300 beginnen und schrieb eine Abfolge von Biografien großer Namen. Diese gibt es im Mittelalter tatsächlich noch nicht, auch wenn einige Malermönche ihre Handschriften signierten. Das Material mittelalterlicher Malerei sind in erster Linie diese Handschriften, dann die Wandmalerei in Kirchen. Das bemalte Tafelbild kommt – mit Ausnahme der Ikone – erst um 1250 hinzu. Auch hier fehlen Künstlernamen. Die Kunsthistoriker behelfen sich mit Notnamen, wie »Meister von xy«. Zusätzlich komplex wird das Bild, weil im Mittelalter die Trennung von Kunst und Kunstgewerbe noch nicht vollzogen wurde. Der Begriff des »Kunstgewerbes« ist ohnehin erst im 19. Jahrhundert entstanden. Skulptur, Goldschmiede- und Emaillekunst, Elfenbeinschnitzerei oder eben die Malerei folgen im Mittelalter ähnlichen ästhetischen Modellen. Die Gemeinsamkeiten sind stärker als die Unterschiede. Auch lässt sich die Stel-

391 n. Chr. Das Christentum wird Staatsreligion. 395 Teilung in ein ost- und weströmisches Reich 476 Auflösung des weströmischen Reiches 419–711 Westgotenreich in Spanien 490–526 Ostgotenreich in Italien 497 oder 498 Taufe des Merowingerkönigs Chlodwig in Reims 527–565 Regierungszeit Kaiser Justinians, Kodifikation des röm. Rechts (Corpus iuris civilis)

529 Gründung des Klosters Montecassino durch Benedikt von Nursia 568–774 Langobardenherrschaft in Italien um 570–632 Mohammed begründet den Islam. 610–641 Kaiser Herakleios begründet das mittelbyzantinische Reich. 732 Karl Martell besiegt die Araber in der Schlacht von Tours und Poitiers. 751–768 Pippin Alleinherrscher des Frankenreiches

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Das Erbe der Antike

lung des Künstlers im gesellschaftlichen Umfeld schwer bestimmen. Klar ist, dass er auf dem sozialen Niveau eines gehobenen Handwerkers arbeitete. Seine Erfindungskraft, sein ingenium, gilt noch nicht als Ausdruck individueller Begabung. Dies wird erst ab 1500 so gesehen. Das Kunstwerk steht vielmehr als hoch qualifizierte Dienstleistung für kirchliche oder fürstliche Auftraggeber. Tradition von Bildformeln wird oft höher geschätzt als neuartige Bilderfindung. Die Qualität des Materials und der technischen Ausarbeitung spielt eine hervorgehobene Rolle. Das Erbe der Antike

Die Künstler der griechischen und römischen Antike beschäftigten sich bereits mit jenen Themen und Darstellungsproblemen, wie sie vom Mittelalter bis zur Renaissance im 16. Jahrhundert schrittweise wieder behandelt wurden. Ihnen gelang die bildliche Erschließung des Tiefenraumes mit Mitteln der Perspektive, wenngleich mit einer anderen als der seit der Renaissance geläufigen Form. Sie entwickelten einen erstaunlichen Realismus bei der Wiedergabe der Bildgegenstände. Alle Gattungen der neuzeitlichen Malerei (Porträt, Genrebild, Stillleben und geschichtliches Ereignisbild) gab es bereits. Der Künstler genoss einen hohen Ruf, wenn wir den Anekdoten der »Naturalis Historia« von Plinius d. Ä. (24–79 n. Chr.) Glauben schenken dürfen. Als höchstes Ziel der Kunst galt für ihn die perfekte Nachahmung der Natur, die Mimesis. So setzen sich lebendige Tauben – wie in einer seiner Schilderungen antiker Malerei berichtet – an einem gemalten Wasserbecken nieder, um zu trinken. Sie flattern also gegen das gemalte Bild, ohne dessen Künstlichkeit zu erkennen, so genau gibt dieses Realität wieder. Plinius bleibt über das gesamte Mittelalter bis in die Renaissance viel zitiert, auch wenn man lange Zeit keine rechte Vorstellung vom malerischen Charakter

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Grab des Tauchers (Ausschnitt), 5. Jh. v. Chr., Museo Archeologico, Paestum.

Raum mit Szenen aus dem Leben des Ixion, 63–79 n Chr., Wandmalerei, Haus der Vettier, Pompeji. Uns heute geläufige Meisterwerke der römischen Wandmalerei in Rom, Pompeji und Herculaneum wie auch die frühchristliche Malerei in den Katakomben sind den Menschen des Mittelalters unbekannt.

Das Mittelalter

dieser Kunstwerke hatte. Seine Wertung eines Kunstwerks nach dem jeweils erzielten Realitätsgrad ist bis heute wirksamer Bestandteil aller Polemiken gegen ungegenständliche Kunst. Es ist die Frage, inwieweit die Zeugnisse antiker Malerei den Künstlern des Mittelalters schon bekannt waren. Was haben die Menschen des Mittelalters andererseits noch an Kunstwerken gesehen, die uns heute unrettbar verloren sind? Wir besitzen nur noch vereinzelt Reste von originaler Malerei aus der griechischen Antike, abgesehen von der überwältigenden Fülle bemalter Vasen, die jedoch erst seit der Renaissance in etruskischen Gräbern Italiens gefunden wurden. Eine Vorstellung von griechischer Malerei vermitteln die römischen Mosaiken und Wandmalereien, die vielfach nachweisbar griechische Vorlagen aufgreifen. Die Entdeckung der ersten antiken Wandmalerei in der Domus Aurea Kaiser Neros in Rom um 1500 schlägt sich unmittelbar in den »grotesken« Wanddekorationen der Renaissancemaler um Raffael nieder (s. S. 63). In der mittelalterlichen Wand- und besonders der Buchmalerei sind Elemente antiker Kunst im Sinne eines über Jahrhunderte fortbestehenden kulturellen Gedächtnisses fast durchgehend zu finden. Eine Vermittlerfunktion des antiken Erbes übernehmen die Mosaikdekorationen des 4. bis 6. Jahrhunderts der frühchristlichen Basiliken in Oberitalien, Ravenna, vor allem die auch religionsgeschichtlich wichtigen Bauten in Rom selbst. Möglicherweise sind ebenso Reste antiker oder frühchristlicher Malerei, Mosaike oder Elfenbeinarbeiten in den nördlichen Provinzen des ehemaligen römischen Reiches, welche, so etwa in Trier und Köln, zu Beginn des Mittelalters noch erhalten sind, einflussreich.

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Der Bilderstreit – Von der Ikone zum Tafelbild

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Von entscheidender Bedeutung für die nie abbrechende Überlieferung antiker Themen und Inhalte erweisen sich die Schreibstuben (Skriptorien) der Klöster. Hier werden antike Texte kopiert und so von Generation zu Generation weitergegeben. Die Mönche greifen griechisch-römische Motive auf, formen diese um und verändern sie entsprechend ihren Bedürfnissen. Die Frage nach der Malerei von 800 bis um 1300 wird sich deshalb vor allem auf die Buchmalerei, die kirchliche Wandmalerei und dann ab etwa 1100 auf die neu erfundene Glasmalerei konzentrieren. Der Bilderstreit – Von der Ikone zum Tafelbild

Die historische Entstehung religiöser, zur Anbetung bestimmter Bildtafeln ist komplizierter als man vielleicht vermuten mag. Zunächst lehnt die christliche Kirche in Abgrenzung zur heidnischen Bildverehrung alle Christusbilder als Andachtsobjekte ab. Die Konzile von Ephesos (431 n. Chr.; Betonung der göttlichen Natur Christi) und Chalkedon (435 n. Chr.; Festlegung der göttlichen und menschlichen Natur Christi in einer Person) nehmen nachhaltig Einfluss auf die Bilderfrage. Das Bilderverbot löst sich in gewisser Weise durch das von Wundern umrankte Auftauchen der Christus-Ikonen (Ikone = Bild) zwischen 450 und 550 n. Chr. in Kleinasien, von denen man behauptet, sie seien nicht von Menschenhand »gemacht«, sondern gleichsam Bild gewordener Abdruck der leiblichen und göttlichen Gestalt Christi. Diese Ikonen werden bald verehrt und in Prozessionen durch das oströmische Reich getragen, wie es bis dahin nur mit den Kaiserbildern geschah, um die Gegenwart und die Autorität des Herrschers auch in entlegenen Gebieten des Reiches zu vermitteln. Der Konflikt zwischen Kirche und Kaiser ist vorprogrammiert, auch weil die Ikonen durch ihre wunderhafte Entstehung zu Berührungsreliquien mit Heils- und Heilungspotenzial werden.

Priesterin, um 400 n. Chr., Elfenbein, 30 x 14 cm, Victoria & Albert Museum, London. Spätantike Elfenbeinschnitzereien werden in den Klöstern und an den Fürstenhöfen als besondere Schatzkammerstücke gesammelt. Im Gegensatz zu den antiken Pergamenten sind sie vom Material her wesentlich haltbarer. Aus beiden Gründen haben sich zahlreiche Elfenbeine dieser Zeit bis heute erhalten. Die Künstler des Mittelalters und der Renaissance entnehmen ihnen viele Motive der antiken Kunst.

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Maria mit Christus und Engeln, frühes 7. Jh., Wachsmalerei (Enkaustik) auf Holz, 68,5 x 69,9 cm, Katharinenkloster, Sinai. Bei den ersten Marienbildern wird seit dem 6. Jh. darauf verwiesen, dass diese vom Evangelisten Lukas persönlich gemalt seien, weshalb die »Lukasmadonnen« in Ost- und Westrom höchste Autorität genießen.

Das Mittelalter

Die wachsende Ikonenverehrung untergräbt die Autorität des oströmischen Kaisers, der weltliche und geistliche Macht in seiner Person vereint (Caesaropapismus). Diese Spannung entlädt sich im 8. Jahrhundert im blutigen Bilderstreit, der nach mehreren Siegen der Bilderfeinde (Ikonoklasten) erst im 9. Jahrhundert mit der Anerkennung der religiösen Bilder und genauen Bestimmung von Form und Funktion endet. In Byzanz wird die Ikone nach dem Bilderstreit als einzig mögliche Form des religiösen Tafelbildes offiziell erneut bestätigt. Themen und Bildvarianten, selbst Einzelheiten der Gestik haben über Jahrhunderte ohne größere Abweichungen Bestand. Dieses konservative Verhältnis zum Bild mag sich durch den Reliquiencharakter des über Generationen vererbten authentischen Heiligenbildes begründen, dem jede Veränderung seine Wirkkraft rauben würde. Auch in Frankreich und Italien sind Ikonen über das gesamte Mittelalter gegenwärtig, doch anders als in Byzanz, wo sie vorwiegend die Ikonostasis (die Trennschranke zwischen Gebet- und Altarraum) schmücken, dienen sie im Westen als Altarbilder. Die neuen Funktionen des Altarbildes im Verlauf des Hochmittelalters, die zunehmende Subjektivität des Denkens und der Einfluss einer neuen mystischen Strömung im religiösen Leben (Devotio Moderna) erfordern um 1300 neue bildliche Mittel. Der Übergang von der Ikone zum Tafelbild westlicher Prägung ist erst im Spätmittelalter und letztlich dann mit der Frührenaissance ganz abgeschlossen. Der Beginn der Malerei im Mittelalter

Nach dem Zerfall des weströmischen Reichs am Ende des 5. Jahrhunderts kommt die bildende Kunst fast zum Erliegen. Man richtet sich in den Ruinen der ehe-

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Die karolingische Renovatio

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mals blühenden Römerstädte ein. Ein höheres kulturelles Niveau wird an den verschiedenen Fürstenhöfen gehalten, die Klöster spielen eine vielleicht noch wichtigere Rolle. Erstaunlicherweise hält sich das antike Erbe in den Randbereichen des ehemaligen römischen Weltreichs am klarsten, etwa bei den Westgoten auf der iberischen Halbinsel, insbesondere aber im Gebiet des heutigen Großbritanniens. Dort vermischt es sich mit keltisch-germanischen Wurzeln, vor allem in den komplizierten kalligrafischen Strukturen der Zierseiten illuminierter Handschriften. Die hoch entwickelte Buchmalerei zeigt sich eindrucksvoll in dem von keltischer Ornamentik gleichsam überwucherten Book of Lindisfarne sowie dem vermutlich auf der schottischen Insel Iona entstandenen, grandiosen Book of Kells (Ende 8. Jahrhundert, Trinity College Library, Dublin). Aus dem 6. und 7. Jahrhundert haben sich außerdem erste Wandfresken in Rom erhalten (S. Maria Antiqua), die deutlich frühbyzantinische Züge aufweisen. Ansonsten sind die malerischen Zeugnisse spärlich. Für das Merowingerreich (im heutigen Frankreich) sowie die germanischen Gebiete kann man mit dem Kunstwissenschaftler Erwin Panofsky von einem »kulturellen Vakuum« sprechen.

Zierseite vom Anfang des Matthäus-Evangeliums, Book of Lindisfarne, Lindisfarne, um 700, Malerei auf Pergament, 34 x 24 cm, British Library, London.

Die karolingische Renovatio

In diesem Vakuum baut Karl der Große sein Reich auf. Wirtschaftlich, verwaltungstechnisch und kulturell orientiert er sich an antiken Vorbildern. Seine Erneuerung des römischen Reiches (Renovatio Imperii Romani) umfasst alle Bereiche des öffentlichen Lebens. Mit dem römischen Papst, der bis dahin ebenso viele Kontakte und Einfluss nach Byzanz wie nach Westeuropa gehabt hatte, übt er mit der Kaiserkrönung im Jahr 800 den Schulterschluss. Dies ist eine der folgenreichsten politischen Entscheidungen der europäischen Geschichte, weil damit nicht nur die römische Kirche an das Kaiserreich gebunden wird, sondern diese sich zu-

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Die Vier Evangelisten (Ausschnitt), Schatzkammer-Evangeliar, Aachen, um 810, Malerei auf Pergament, 30,5 x 24 cm, Domschatzkammer, Aachen. Antike Motive begegnen uns überall in der karolingischen Buchmalerei (wie auch in der hoch entwickelten Elfenbeinkunst). Die Figuren sind in römische Gewänder gehüllt und bewegen sich im dreidimensionalen Raum erstaunlich frei.

Das Mittelalter

dem von Byzanz entfremdet. Die Rückbesinnung auf die Antike zeigt sich in der Produktion der sogenannten karolingischen »Hofschule«, die gegründet wird, um die Kultur zentral zu ordnen und die Direktiven dann als künstlerische Produkte oder über die dort ausgebildeten Künstler in die Provinz zu schicken. Mächtigster Ausdruck der karolingischen Renaissance sind Zeugnisse der Architektur (die Pfalzkapelle Aachen als eine Variation der spätantiken Kirche von S. Vitale, Ravenna, oder das Torhaus von Kloster Lorsch). Wichtigstes Bindeglied zur Antike sind jedoch die Werke der Buchmalerei. Der aus gebundenen Pergamentblättern zusammengefügte Codex war erst im 4. Jahrhundert erfunden worden und ersetzte nach und nach die bis dahin übliche Schriftrolle. Die Bildseiten haben keinen künstlerischen Eigenwert, sondern illustrieren in erster Linie die biblischen Texte. Besonders prächtig sind die Anfangsbuchstaben der Evangelien (Initialen) gestaltet. Widmungsblätter, Bilder der Evangelisten, eine repräsentative Bildseite mit dem thronenden Christus (Maiestas Domini) treten oft hinzu, seltener auch das Porträt des Buchmalers selbst. Landschaftliche Hintergründe und Architekturen rufen ein neues »Goldenes Zeitalter« unter dem Schutz Karls auf. Die bewusste Pflege des antiken literarischen Erbes ist verbunden mit einer Rekonstruktion der antiken MinuskelSchrift, die zum Vorbild der bis heute geläufigen Antiqua-Schriften wird. Leider hat sich bis auf Ausnahmen (Kirche von Müstair in Graubünden, Schweiz) kaum monumentale Wandmalerei aus dem 8. und 9. Jahrhundert erhalten. Zeitlich parallel entstandene römische Mosaiken (Zeno-Kapelle, Santa Prassede, Rom) sind stilistisch stärker an byzantinische Bildformeln angelehnt. Vom 10. zum 12. Jahrhundert – Die Zeit der Romanik

Nach dem Tod Karls des Großen 814 stellt sich in den Wirren der folgenden Reichsteilungen und Kriege – für

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Die Zeit der Romanik

die der Friede von Verdun 843 mit der Dreiteilung des Reichs nur eine folgenreiche Zwischenlösung bedeutet – ein kultureller Stillstand ein. Erst unter den Ottonen kommt es in Mitteleuropa zu neuer kultureller Blüte. Anregungen aus Byzanz liegen nahe, spätestens nach der Hochzeit Ottos II. (973–983) mit Theophanu, der Nichte des byzantinischen Kaisers. Von höchster Qualität sind die Evangelienbücher und Psalmensammlungen (Psalterien), deren prächtigste Beispiele in kaiserlichem Auftrag angefertigt werden. Architekturen werden zu stilisierten Versatzstücken ohne räumliche Integrationskraft. Im Gegensatz zur karolingischen Kunst überwiegen abstrahierende Momente und weniger ein naturalistischer, antikengeschulter Realismus. Zentrale Schulen der Buchmalerei entwickeln sich entlang des Rheins, an der Maas sowie auf der Insel Reichenau im Bodensee. Von ähnlich formaler Strenge sind die erhaltenen Kirchenausmalungen der ottonischen Zeit, allen voran die Kirche Oberzell, ebenfalls auf der Reichenau. Die Einzelbilder sind dort in ein konsequentes System aus antikisierenden Rahmenmustern (Mäandern) eingesetzt. Die entweder als Fresko oder in Mischtechniken ausgeführten Wandbilder der romanischen Kirchen sind immer Teil komplexer Ausstattungsprogramme gewesen. Vom skulptierten Portal über die mit biblischen Szenen dekorierten, steinernen Kapitelle bis zur Wandbemalung von Schiffswänden und Chorhaupt entfaltet sich ein umfangreiches theologisches Programm vor den Gläubigen. Die farbige Gesamtwirkung des dunklen Innenraumes wird noch bereichert durch den schimmernden Glanz von Emaille- und Goldschmiedearbeiten, insbesondere den reichen Schreinen, die ab dem späten 11. Jahrhundert vor allem im südlichen

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Christus und der Hauptmann von Kapernaum, Codex Egberti, Reichenau, um 980, Malerei auf Pergament, 27 x 21 cm, Stadtbibliothek, Trier. Gesten, Blicke und durch die Bilderzählung bedingte Hierarchien dominieren die formal komplexen Bilder. Unverrückbar, aber darin kraftvoll und aussagestark, verteilen die Miniaturmaler die Figuren auf der Bildfläche.

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Apsisfresko aus S. Clement de Taüll (abgenommen), um 1120, Museu de Arte Catalunya, Barcelona. In den abgelegenen Hochtälern der katalanischen Pyrenäen haben sich besonders viele Beispiele romanischer Kirchenmalerei erhalten. Christus thront hier als Weltenrichter, umgeben von den Symbolen der vier Evangelisten. In der unteren Etage sind Heilige aufgereiht.

Das Mittelalter

Zentralfrankreich sowie im Rhein-Maas-Gebiet zur Aufnahme von Reliquien geschaffen werden. Im Verlauf des 11. Jahrhunderts kann man eine verstärkte Internationalisierung der Malerei feststellen. Kirchenfresken in S. Angelo a Formis (bei Capua, nördlich von Neapel) oder dem katalanischen S. Clement de Taüll unterscheiden sich nur graduell von deutschen, englischen oder französischen Beispielen. In der romanischen Kunst, dem ersten gesamteuropäischen Stil, sind die Gemeinsamkeiten stärker als regionale Unterschiede. Gründe hierfür sind in der Dominanz des von der Nordsee bis in die Provence und nach Rom ausgedehnten Kaiserreiches zu sehen, welches Wanderungen von Künstlern (z. B. Langobarden, die in Sachsen tätig sind) begünstigt. Zudem entwickeln sich die ersten großen Handelsstädte, wie Köln, Mailand, Venedig, die ebenfalls zu Schaltstellen des kulturellen Austauschs werden. Nicht unterschätzen darf man die Auswirkungen der ersten Kreuzzüge sowie der großen Pilgerwege, die quer durch Europa führen. Am wichtigsten ist in diesem Zusammenhang der Jakobsweg nach Santiago de Compostela. Die Pilgerfahrt erreicht ihren Höhepunkt im 11. und 12. Jahrhundert. Entlang der verschiedenen Varianten des Weges entwickeln sich Kunstzentren. Wanderhandwerker aus ganz Europa lassen sich vielfach auch dauerhaft in Südfrankreich oder Nordspanien nieder. Der romanische Stil wird so immer homogener, auch in der Malerei. Ein weiterer Beleg der neuen Mobilität sind die Eroberungszüge der Normannen in Unteritalien, Sizilien und England. Mit ihnen breiten sich erneut byzantinische Formen und Motive, die vor allem aus dem arabischen Kulturkreis stammen, über Europa aus, besonders über transportable Kunstwerke wie Textilien, Elfenbein- oder Goldschmiedearbeiten.

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Spanien und die Araber

Erwin Panofsky: Die Renaissancen der europäischen Kunst. Erwin Panofsky (1892–1968) ist einer der einflussreichsten Kunsthistoriker des 20. Jahrhunderts. Nach seiner Emigration 1933 lehrt er an der Princeton University, New Jersey. Nach Aby Warburg muss er als der Begründer der Ikonologie gelten, einer Forschungsrichtung, bei der die Bildinhalte anhand von literarischen, naturwissenschaftlichen oder historischen Texten aufgespürt werden.

In seinem Buch »Die Renaissancen der europäischen Kunst« von 1960 führt er den Nachweis, dass während des gesamten Mittelalters Belebungen der antiken Tradition stattfinden, es also nicht nur die eine bekannte Renaissance in Italien um 1300 bis 1500 gab. Vielmehr sei die Antike seit Beginn des Mittelalters immer gegenwärtig gewesen: in Kunst, Philosophie und den Naturwissenschaften.

Spanien und die Araber

Mit der Gründung des Emirats (später Kalifats) von Cordoba 756 durch den Omajaden Abd Ar-Rahman I. beginnt die lange Herrschaft des Islams auf der iberischen Halbinsel. Die Zeit von 800 bis 1000 darf als eine der größten Blütezeiten europäischer Kultur angesehen werden. Über Spanien gelangen die mozarabische Kultur (die christianisierte, arabische Hofkunst), aber auch antikes Wissen zurück nach Europa. Umfassende Toleranz prägt den Staat, der von Christen, Juden und Muslimen getragen wird. Nach Auflösung der Omajadendynastie 1028 verschärfen sich die Spannungen und eine christliche Rückeroberung (Reconquista) der mittlerweile von nordafrikanischen Berberdynastien beherrschten Gebiete setzt ein. Erst 1492 wird das Nasridenreich von Granada durch die katholischen Könige endgültig besiegt. Ein reger kultureller Austausch bleibt erhalten, vor allem über arabische Künstler, welche die christliche Kunst Nordspaniens stark beeinflussen (wie auch die Mosaikkunst und Architektur auf Sizilien). Dies zeigt sich am deutlichsten im arabisierenden Mudéjarstil in Architektur und Kunstgewerbe (Artesonadodecken aus Holzflechtwerk). In der Malerei liegen die Übernahmen vor allem im dekorativen Detail, den flächig aufgefassten Bildgründen mit ihren Flechtwerkmustern sowie den orientalischen Tierdarstellungen (Greifen, Pfauen, Raubtieren). Höhepunkte mozarabischer Buchmalerei sind

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Die Ritter der Apokalypse, Kommentar des Beatus de Liebana, Nordspanien, um 1050, Malerei auf Pergament, 36,5 x 28 cm, Bibliothèque Nationale, Paris. In ihrer grellen Farbigkeit und der stilisierten Auffassung von Menschen und Tieren sind sie eine Synthese von romanisch-christlicher und islamischer Kunst. Bei dem vor Fantasie berstenden erzählerischen Reichtum verwundert es nicht, dass Umberto Eco für seinen Roman »Der Name der Rose« viele Beschreibungen von Handschriften den Apokalypsen des Beatus entlehnt.

Das Mittelalter

die Kommentare der Johannes-Apokalypse des Beatus de Liebana, die von 975 bis um 1200 entstehen und sich in mehreren Exemplaren erhalten haben. Das 13. Jahrhundert – Die Zeit der Hochgotik

Das Reich der Hohenstaufen, lange aufgerieben im Kampf gegen das übermächtige Papsttum und einzelne Reichsfürsten, erlischt 1268 mit der Hinrichtung Konradins in Neapel. Gleichzeitig vergrößern England und Frankreich ihren Einfluss. Gerade Frankreich profitiert von der politischen Schwäche der letzten Staufenkaiser.

1182–1226 Franz von Assisi 1209–1229 Albigenserkriege in Südfrankreich 1210–1250 Regierungszeit Friedrichs II. von Hohenstaufen, Bau des Castel del Monte 1214 Sieg des französischen Königs Philipp II. August gegen England und die Welfen 1215 4. Lateranskonzil, Magna Charta in England 1216 Gründung des Dominikanerordens 1223 Bestätigung des Ordens der Franziskaner durch Papst Honorius III.

1225–1274 Thomas von Aquin verfasst die Hauptwerke der scholastischen Philosophie. 1226–1270 Ludwig IX. der Heilige von Frankreich 1259 Friede von Paris, die Einheit Frankreichs wird hergestellt. 1266 Die französischen Anjou besetzen Neapel. 1268 Konradin, der letzte Hohenstaufe, wird in Neapel hingerichtet. 1282 Vertreibung der Anjou aus Sizilien durch Peter III. von Aragon