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Rechtswissenschaftliches Institut Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht Prof. Dr. iur. Sarah Summers Dozierende: Prof. Dr. iur. Sarah Summers...
Author: Meta Buchholz
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Rechtswissenschaftliches Institut Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht Prof. Dr. iur. Sarah Summers Dozierende: Prof. Dr. iur. Sarah Summers PD Dr. iur. Gwladys Gilliéron PD Dr. Iur. Marc Jean-Richard-dit-Bressel Dr. iur. Omar Abo Youssef Dr. iur. Anna Coninx, MJur Dr. iur. Andreas Eckert Dr. iur. Ulrich Weder

Übungen im Strafrecht und Strafprozessrecht Frühlingssemester 2016 Montag, 16-18 Uhr / Dienstag, 16-18 Uhr

Bitte beachten Sie nachfolgende Hinweise:



Die Sachverhalte 1 - 7 können als Fallbearbeitung schriftlich gelöst werden. Erforderlich ist hierzu eine Anmeldung auf OLAT. Die Einschreibung ist ab dem 14. Dezember 2014, 08:00 Uhr, möglich. Die Anzahl Anmeldungen pro Fall ist beschränkt. Die Fallbearbeitung ist dem Bereich öffentliches Recht im weiteren Sinne zugeordnet.



Die einzelnen Fälle werden jeweils in zwei Doppelstunden besprochen (vgl. «Zeitplan und Gruppeneinteilung»). Die Dozierenden bleiben hierbei über das gesamte Semester hinweg in dem Hörsaal, der ihnen gemäss VVZ zugewiesen ist. Die Angaben werden darüber hinaus auf der Homepage des Lehrstuhls Summers aufgeschaltet, sobald die Hörsäle feststehen.



Die Fallbearbeitung ist bis spätestens am Sonntag 14. Februar 2016 (entscheidend ist das Datum des Poststempels) einzureichen. Zu spät eingereichte Arbeiten werden nicht berücksichtigt. Die korrigierten Arbeiten werden am Schluss der zweiten Doppelstunde der jeweiligen Gruppe abgegeben oder können am Lehrstuhl Summers ab dem 25. Mai 2016 abgeholt werden.



Die Fallbearbeitung darf maximal 20 Seiten (exklusiv Deckblatt, Sachverhalt, Verzeichnisse sowie Eigenständigkeitserklärung) bei Schriftgrösse 12 mit der Schriftart «Times New Roman» und einem Zeilenabstand von 1,5 umfassen. Zudem muss rechts ein Korrekturrand von 3.0 cm vorhanden sein. Dem Deckblatt müssen die Personalien des Bearbeiters (Name, Vorname, Adresse, Semester, Matrikelnummer) sowie die Bezeichnung der Lehrveranstaltung entnommen werden können. Am Ende der Fallbearbeitung muss eine vom Verfasser oder der Verfasserin unterschriebene Erklärung mit folgendem Wortlaut angebracht werden: «Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende schriftliche Arbeit selbständig und nur unter Zuhilfenahme der in den Verzeichnissen oder in den Anmerkungen genannten Quellen angefertigt habe. Ich versichere zudem, diese Arbeit nicht bereits anderweitig als Leistungsnachweis verwendet zu haben. Eine Überprüfung der Arbeit auf Plagiate unter Einsatz entsprechender Software darf vorgenommen werden.»

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Bitte beachten Sie die Angaben zum Prüfungsstoff des Moduls Strafrecht II: Allgemeine Lehren des Strafrechts als Grundlage für nachfolgende Gebiete aus dem Besonderen Teil des Strafgesetzbuch: Straftaten gegen das Eigentum und Vermögen (Art. 137-151, 156, 158 und 160 i.V.m. Art. 29, 172ter StGB), die Urkundendelikte (Art. 251-257, 317-317bis StGB), die Kriminelle Organisation (Art. 260ter StGB), die Straftaten gegen die Rechtspflege (Art. 303-311 StGB), die Strafbarkeit des Unternehmens (Art. 102 StGB), die Grundzüge der Einziehung (Art. 69-73 StGB) sowie die allgemeinen Lehren des Strafprozessrechts und des Gerichtsorganisation (GOG).

Die Fallbearbeitungen sind in gedruckter Form direkt dem jeweiligen Dozierenden sowie per E-Mail als Worddokument oder PDFdokument an [email protected] sowie an die unten angegebene E-Mailadresse des Dozierenden einzureichen (Sonntag 14. Februar 2016). Die Fallbearbeitungen, welche von Dr. iur. Andreas Eckert, PD Dr. iur. Gwladys Gilliéron, Dr. iur. Omar Abo Youssef oder Dr. Anna Coninx betreut werden, müssen in gedruckter Form beim Lehrstuhl von Prof. Dr. iur. Sarah Summers sowie per E-Mail an [email protected] sowie an die unten angegebene EMailadresse des Dozierenden eingereicht werden. Nachfolgend finden Sie die Kontaktadressen der einzelnen Dozierenden: 

Prof. Dr. iur. Sarah Summers, Treichlerstrasse 10, 8032 Zürich, [email protected]



PD Dr. iur. Gwladys Gilliéron, c/o Lehrstuhl Summers, Treichlerstrasse 10, 8032 Zürich [email protected]



PD Dr. iur. Marc Jean-Richard-dit-Bressel, Weststrasse 70, Postfach 9717, 8036 Zürich, [email protected]



Dr. iur. Ulrich Weder, Molkenstrasse 15/17, Postfach 2251, 8026 Zürich, [email protected]



Dr. iur. Omar Abo Youssef, Kellerhals Carrard, Rämistrasse 5, 8024 Zürich, [email protected]



Dr. iur. Anna Coninx, M.Jur., c/o Lehrstuhl Summers, Treichlerstrasse 10, 8032 Zürich [email protected]



Dr. iur. Andreas Eckert, c/o Lehrstuhl Summers, Treichlerstrasse 10, 8032 Zürich, [email protected]

Für weitere Fragen steht Ihnen der Lehrstuhl Summers gerne zur Verfügung.

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Fall 1 Prof. Dr. iur. Sarah Summers

Sachverhalt Andrej, Fjodor und Irina sind im Vorstand des Vereins FRU (Freiheit für die Russen in der Ukraine), welcher Sitz in Zürich hat, engagiert. Politisch setzt sich der Verein für die Abspaltung der Ostukraine und den Anschluss an Russland ein. Um die russische Bevölkerung in der Ostukraine zu unterstützen, werden vom Verein humanitäre Güter (Nahrungsmittel, Kleider etc.) angekauft und in die Ukraine versandt. Finanziert werden die Güter durch Spenden von Vereinsmitgliedern. Während Andrej die Spendenbereitschaft seiner Landsleute mit Hilfe seines Charmes hervorruft, sind Fjodor und Irina der Überzeugung, das Spenden sei in diesen schwierigen Zeiten eine Pflicht jedes Landsmannes und jeder Landsfrau. Endsprechend fordern diese beiden bei Hausbesuchen und in Gesprächen mit den Vereinsmitgliedern diese eindringlich zu minimalen Spenden von Fr. 150.00 pro Monat auf. Landsleute und insbesondere Vereinsmitglieder, welche spenden würden namentlich im Internet publik gemacht. Jede Person müsse sich möglicher Folgen der Nichtpublikation ihres Namens selbst bewusst sein. Mehrere Personen wollen sich nicht einer Art Ächtung unter den Landsleuten (Nichtnennung ihrer Namen) ausgesetzt sehen, befürchten Ausgrenzung oder wirtschaftliche Nachteile für ihre Kleinbetriebe und bezahlen widerwillig. Andrej überzeugt verschiedene Vereinsmitglieder davon, in ihrem eigenen Namen, d.h. persönlich Kredite bei der Bank CASH aufzunehmen, diese Geldbeträge aber ganz oder teilweise dem Verein zur Verfügung zu stellen. Die einzelnen Vereinsmitglieder handeln in der Überzeugung der Sache zu dienen und willigen auch in das Vorgehen ein, da Andrej ihnen in Aussicht stellt, dass der Verein die Rückzahlung erledigen wird. Die Vertragsabschlüsse werden über Dunja, welche ein Büro für Kreditvermittlung führt, abgewickelt. Die Vereinsmitglieder stellen Dunja ihre Ausweispapiere, Lohnbelege und sonst benötigte Unterlagen zur Verfügung und unterzeichnen selbst die Kreditanträge. In denjenigen Fällen, in welchen für eine Gewährung des Kredites zu geringe Einkünfte vorliegen, fabriziert Dunja zusätzliche Lohnabrechnungen aus einem Nebenjob beim Verein. Die Bank CASH ist natürlich interessiert Kredite zu vergeben und zahlt über ca. fünf Jahre in über 150 Fällen die beantragten Kredite aus. Die Geldbeträge werden von den einzelnen Vereinsmitgliedern bar bezogen und dann direkt Andrej übergeben. Dieser lässt das Geld via die Wechselstube Quick GmbH an den Schwesterverein nach Donezk überweisen. Das Formular A (wirtschaftliche Berechtigung) wird von Igor, dem Betreiber der Wechselstube, auf den Namen des jeweiligen Spenders ausgefüllt, als Gründe der Überweisung gibt Igor jeweils persönliche Angelegenheiten der Spender (Hausbau, Heirat oder Ähnliches) an.

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Wie geplant können die Rückzahlungen der Kredite über die sonstigen Spenden finanziert werden und so verläuft alles anstandslos. Dr. Stierli, Vize-Chef der Compliance Abteilung der Bank CASH weiss um das Engagement des Vereins. Er kennt sowohl Andrej als auch Igor und ist erfreut über das Kreditvolumen, das vergeben werden kann. Ihm ist zu Ohren gekommen, dass in den Kreditdossiers häufig Lohnbelege aus Nebeneinkünften beim Verein zu finden sind. Er wundert sich darüber, da er weiss, dass der Verein eine sehr schlanke Verwaltung hat. Trotzdem weist er mit der Kontrolle befasste Personen der Bank an, Kredite grosszügig zu vergeben. Aufgrund der bis anhin anstandslosen Abwicklung geht es ihm darum, dass die Bank CASH mit der Kreditvergabe auch weiterhin ein gutes Geschäft macht. Andrej, welcher einen sehr aufwändigen Lebensstil führt und Geldschwierigkeiten hat, behält in der Folge verschiedene Male, kleinere und grössere Beträge für sich und liefert so nur Teile der Kredite bei der Wechselstube ab. Da sich die Situation in der Ostukraine zusehends entspannt, nehmen die Spendeneinnahmen des Vereins ab. Zusammen mit den von Andrej privat beanspruchten Beträgen entsteht ein Finanzierungsloch, welches dazu führt, dass die bei der Bank CASH aufgenommenen Kredite nicht weiter zurückbezahlt werden können. Der Verein versucht zuerst noch, den Verpflichtungen nachzukommen, löst sich dann aber nach Streitereien über die Vorgehensweise auf. Die Bank CASH beschreitet gegen die vertraglich genannten Kreditnehmer den Rechtsweg und muss einen Verlust von zwei Millionen Schweizerfranken akzeptieren. Es wird in der Folge ein Strafverfahren gegen die ehemaligen Vereinsmitglieder, Andrej, Fjodor und Irina, die Vermittlerin Dunja und Igor, den Betreiber der Wechselstube eingeleitet. Im Verfahren wird auch Dr. Stierli befragt. Obwohl er die Abläufe genau kannte, sagt er als Zeuge aus, dass er nichts zum Verfahren beitragen könne. Im Strafverfahren stellt sich schliesslich heraus, dass Dr. Stierli blauäugig auf das weitere Funktionieren der Geldmaschine vertraut hat. Das Strafverfahren wird auf Dr. Stierli ausgedehnt.

Materiellrechtliche Frage: Hat sich jemand strafbar gemacht?

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Prozessrechtliche Fragen:

1.

Durchsuchung / Untersuchung

Als X an der Haustüre der A, welche wegen schweren Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz verhaftet wurde, läutet, treten drei Polizeibeamte in zivil auf ihn zu und bitten ihn Ihnen ins Hausinnere zu folgen. X gibt keine Auskunft, warum er A besuchen wollte, der polizeilichen Forderung, sich auszuweisen und die Taschen zu leeren kommt er noch im Hauseingang nach. X geht auch auf die weitere Forderung seine Kleider ganz abzulegen ein. X weigert sich in der Folge aber, sich nackt vorne über zu beugen. Die Polizisten bringen X in der Folge auf die Wache, d.h. nehmen ihn vorläufig fest. Die Staatsanwaltschaft eröffnet ein Verfahren wegen Verdachts auf Betäubungsmittelhandel und ordnet daraufhin eine ärztliche Untersuchung von X inkl. bildgebendes Verfahren. Als Verdacht wird „Bodypacking“ angegeben. Im Spital gibt X an, dass er keine Drogen in sich trage und gegen die Massnahme sei, kooperiert bei der Ausführung derselben aber. Die ärztliche Untersuchung entkräftet den Verdacht. Die Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren mangels Beweisen ein, verweigert X aber eine Genugtuung und auferlegt ihm die Kosten von Fr. 1'000.00. Soll X gegen die Einstellungsverfügung vorgehen? Wenn ja, wie?

2.

Kosten

a. Gegen Anwalt A wird ein Strafverfahren eröffnet, er wird der Geldwäscherei beschuldigt. Gemäss der Anklageschrift soll er gewusst haben, dass das Geld, welches er als Vorschuss für sein Honorar entgegengenommen hat, aus einem Verbrechen stammte. A wird freigesprochen, die Kosten des Verfahrens werden ihm auferlegt. Wie kann sich A dagegen wehren? b. Der arbeitslose X fährt auf der Autobahn A1 Richtung Zürich. Er nervt sich wegen des vielen Verkehrs und entscheidet sich, auf den Pannenstreifen auszuweichen. Er überholt so mehrere Autos, ehe er wieder einspurt. Beim Einspuren kommt es zu einer Kollision mit einem korrekt fahrenden anderen Fahrzeug. Dieses erleidet nur einen geringfügigen Schaden, das eigene Fahrzeug von X wird dagegen total beschädigt. Es entsteht kein Personenschaden. X anerkennt von Anfang an sein Verschulden und gesteht sein Fehlverhalten im Strassenverkehr ein. Er anerkennt die Verletzung des Strassenverkehrgesetzes. Der Staatsanwalt beauftragt trotzdem das forensische Institut ein verkehrstechnisches Gutachten zu verfassen. Zudem befragt er 25 Personen als Zeugen zum Unfallhergang. Die Beweismassnahmen führen nicht zu einem anderen Schluss.

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X wird wegen einer groben Verletzung der Verkehrsregeln im Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG verurteilt. Ihm werden die Kosten der Untersuchung und des Gerichtsverfahrens (Gutachten Fr. 20'000; Vorverfahren Fr. 8'000, Gerichtsverhandlung Fr. 2'000; Kosten der unentgeltlichen Verbeiständigung der Privatklägerschaft Fr. 8’000) auferlegt. Kann er etwas dagegen machen?

c. B erstattet Strafanzeige und Strafantrag gegen seine Ehefrau C, woraufhin die Staatsanwaltschaft gegen diese eine Strafuntersuchung wegen Drohung und Tätlichkeiten einleitet. C bestreitet jegliche tatbestandsmässige Handlung. B erklärt später im Rahmen einer Eheschutzkonvention sein Desinteresse an der Weiterführung des Strafverfahrens gegen seine Ehefrau. Die Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren gegen C daher in Anwendung von Art. 55a StGB provisorisch, später definitiv ein. Die Verfahrenskosten auferlegt sie C. Die Einzelrichterin in Strafsachen des Bezirks Bülach weist das Gesuch von C um gerichtliche Beurteilung der Kostenfolge am 11. August 2009 ab und auferlegt ihr auch die Gerichtskosten. Wie kann C gegen diesen Entscheid vorgehen?

3.

Verteidigung

a. Der Polizist P führt im Rahmen einer Strafverfolgung wegen versuchten Diebstahls, Diebstahls und Widerhandlungen gegen das Ausländergesetz eine Befragung von X als beschuldigte Person durch. X ist arbeitslos und hat Schulden in der Höhe von Fr. 30'000.00. P informiert X, dass er zwar das Recht auf einen Anwalt habe, relativiert dies aber im gleichen Satz mit der Aussage: „Sie sollen aber schon wissen, ein Anwalt ist teuer und wird das ganze Verfahren nur verlangsamen“. X sagt bei der Polizei ohne Beizug eines Anwaltes aus und belastet sich mit seinen Aussagen. Anlässlich der ersten Einvernahme bei der Staatsanwaltschaft verweigert X dann die Aussage und sagt, er wolle nun einen Anwalt. Die Einvernahme wird abgebrochen und es wird zugewartet bis der Verteidiger anwesend ist. Was kann der Anwalt noch unternehmen? b. Spielt es eine Rolle, ob die Aussagen von X bei der Polizei ‚belastender Natur’ sind? c. Der beigezogene Anwalt stellt im Namen der Beschuldigten während der Befragung ein Gesuch um Bestellung als amtlicher Verteidiger. X wird am nächsten Tag mit Strafbefehl wegen Diebstahls schuldig gesprochen und mit einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen bestraft. Das Verfahren wegen versuchten Diebstahls wird eingestellt. Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich weist das Gesuch um amtliche Verteidigung ab. Was kann X gegen diesen Entscheid machen? Wie wird er sein Vorgehen begründen?

4.

Verteidigung II

a. B wird als Auskunftsperson von der Polizei befragt. Während der Befragung wird klar, dass B mit einem versuchten Mord in Zusammenhang steht. Der Polizist will sicherstellen, dass später alle Aussagen verwendet werden können. Er bricht die Einvernahme ab und informiert die Staatsanwaltschaft, dass sich ein schwerwiegender Tatverdacht gegen B ergeben habe. Der Staatsanwalt weist den Polizisten an, B nochmals auf sein Recht auf einen Anwalt aufmerksam zu machen. B schlägt dies in den

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Wind und sagt, er brauche keinen Anwalt, er wolle reinen Tisch machen. Der wiederum beigezogene Staatsanwalt findet, dies sei eine gute Idee. B gibt schliesslich zu, den Mord begangen zu haben. Die Staatsanwaltschaft bestellt nun den Anwalt X. Wie wird dieser argumentieren?

b. F wird wegen versuchten Raubes angeklagt. Die Staatsanwaltschaft fordert in der Anklageschrift eine Freiheitsstrafe von zwölf Monaten. F erscheint an der Hauptverhandlung ohne einen Anwalt. Der Richter fragt F, warum sie nicht verbeiständet sei? F antwortet, dass sie nicht genügend Geld habe und fragt, ob ein Anwalt ihr etwas gebracht hätte. Der Richter antwortet: „Geschadet hätte es sicher nicht, aber es ist jetzt eben so, ich werde auch die Sachen die für Sie sprechen würdigen. F wird wegen versuchten Raubes zu einer milden Strafe verurteilt. Hat der Richter richtig gehandelt?

5. Teilnahmerechte bei Befragungen a. P wird als Auskunftsperson von der Polizei befragt. Es geht dabei um ein Ermittlungsverfahren gegen A wegen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz. Der Anwalt von A erfährt auf Umwegen von der polizeilichen Befragung und will an der Befragung teilnehmen. Die Polizei lässt ihn nicht zu. In der Folge eröffnet die Staatsanwaltschaft mehrere Strafverfahren, in welchen die in unterschiedlichen Chargen begangenen Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz von P und A untersucht werden. Der Anwalt von A beantragt wiederum die Teilnahme an den Befragungen von P. Die Staatsanwaltschaft weist dies mit Verweis auf die getrennt geführten Verfahren ab. Was kann Anwalt A unternehmen?

6. Übersetzung a. D ist beschuldigte Person in einem Strafverfahren, welches wegen Insiderhandels geführt wird. Da sie nur englisch spricht, beantragt sie im Rahmen der Untersuchung die Übersetzung des Protokolls einer Zeugeneinvernahme, an welcher sie selbst anwesend war. Der Antrag wird von der Staatsanwaltschaft mit der Begründung abgewiesen, dass die Einvernahme ja bereits mündlich übersetzt wurde. Was kann D dagegen machen? Wie wird sie argumentieren müssen? b. An der Hauptverhandlung erscheint wiederum eine wichtige Zeugin. Die anwesende Übersetzerin fasst aufgrund einer Weisung des Vorsitzenden die Aussagen der Zeugin lediglich am Ende der Befragung sinngemäss zusammen. D ist mit diesem Vorgehen nicht einverstanden. Was kann sie machen? Wie wird sie argumentieren? c. D wird verurteilt und im Entscheid des Bezirksgerichts werden die Kosten der Übersetzerin D auferlegt. Zu Recht?

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Fall 2 PD Dr. iur. Gwladys Gilliéron

Sachverhalt Ende 2014 ist Jus-Student John (J) pleite. Zur Behebung dieses Zustandes beschliesst er, den vor kurzem von seinen Geschwistern zum Geburtstag geschenkten Staubsauger der Firma Miele (Wert: 450 CHF) zu verkaufen. J zieht einen grünen Kittel an, nimmt den noch in der Originalverpackung steckenden Staubsauger unter den Arm und begibt sich in ein Altersheim der Stadt Zürich. Dort klingelt er an der Wohnungstür der Oma Ursula (U). Als U öffnet, erklärt J, er käme von der Firma Miele und könne ihr im Rahmen einer einmaligen Werbeaktion diesen Qualitätssauger zum Sonderpreis von 450 CHF anbieten. Der Listenpreis läge bei 600 CHF. U lässt sich wegen der Einmaligkeit dieser vermeintlichen Chance nicht lange bitten, zumal sie seit einiger Zeit tatsächlich einen neuen Staubsauger benötigt. U erwirbt gegen Zahlung von 450 CHF von J, der den Wert des Staubsaugers irrtümlich auf maximal 350 CHF schätzt, das Gerät. Ohne die Erklärung des J in Bezug auf das Sonderangebot hätte U den Staubsauger nicht gekauft. Neben der Tatsache, dass J pleite ist, ist er im Studium auch nur mässig erfolgreich. J beabsichtigt, im Frühling 2015 die Prüfung im Modul Strafrecht I abzulegen. Angesichts seines spärlichen Fachwissens rechnet er sich jedoch kaum Chancen aus, die Strafrechtsprüfung auf ehrliche Weise mit einer genügenden Note zu bestehen. Deshalb beschliesst er, seinem Glück ein wenig nachzuhelfen. Er verabredet mit seinem Jus Kollegen Matthias (M), der zwar ebenfalls bescheidene Grundkenntnisse im Strafrecht hat, folgenden Plan: 20 Minuten nach Ausgabe der Aufgabenzettel bringt J dem auf der Toilette wartenden M das Blatt mit dem Aufgabentext. M fertigt sodann die Lösung an, die sich J etwa 10 Minuten vor Abgabe wieder abholt und, nachdem er seine Unterschrift unter den von M gefertigten Text gesetzt hat, abgibt. Es geschieht alles wie geplant. Für die Erstellung der Lösung wird eine Entschädigung von CHF 200 vereinbart, wobei das Geld aus dem Verkaufserlös des Staubsaugers stammt und dem M sofort ausbezahlt wird. M weiss zwar, dass J seit einiger Zeit mit Geldproblemen zu kämpfen hat und wundert sich, wie er ihm eine solche Summe geben kann. Er geht davon aus, dass J als Jus-Student dieses Geld aber nicht auf illegale Weise erworben hat. Für den Fall einer genügenden Bewertung der Prüfung wurde ein Erfolgshonorar von CHF 200 verabredet. In der Folge wird die Prüfung erstaunlicherweise mit „genügend“ bewertet. J erklärt dem M wahrheitswidrig, die Prüfung sei schlecht und mit einer 2 benotet worden und M habe sich sein Erfolgshonorar somit nicht verdient. M zweifelt zwar im ersten Augenblick an diesem Ergebnis, da er eigentlich ein gutes Gefühl bei der Prüfung hatte, dann glaubt er angesichts seiner spärlichen Kenntnisse im Strafrecht aber dem J ohne sich die Bewertung zeigen zu lassen.

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Dank der genügenden Bewertung der Strafrechtsprüfung schliesst J im Juli 2015 sein Bachelorstudium erfolgreich ab und beabsichtigt sich in einer renommierten Anwaltskanzlei für ein Sommerpraktikum zu bewerben. Bedauerlicherweise sind seine Bachelornoten nicht so überragend ausgefallen, so dass er auf die Idee kommt, die Zeugnisnoten im Privat- und im Strafrecht zu ändern, indem er diese von einer 4 auf eine 5 anhebt. Dazu fertigt er mit seinem Computer zweimal eine 5 in der Schriftart des Bachelorzeugnisses an und druckt diese jeweils auf einem Klebeetikett aus. Die beiden 4 überklebt er anschliessend mit diesen Etiketten, welche allerdings aufgrund des ausgetrockneten Klebstoffs nicht lange haften werden. Anschliessend kopiert er das Zeugnis. Die Kopie lässt sich vom Original nicht mehr unterscheiden. Selbst der Stempel der Universität Zürich und die Unterschriften der Dekanin und des Rektors wirken täuschend echt. J ist begeistert über seine kreative Arbeit. Doch die Freude währt nicht lange. Schnell fällt J auf, dass die Arbeit in einer Anwaltskanzlei lange Arbeitszeiten bedeutet. Er entschliesst sich, auf eine Bewerbung in einer renommierten Anwaltskanzlei zu verzichten und vernichtet die Fälschung. Während den Semesterferien geht J keiner Arbeit nach und kann sich demzufolge die Studienbücher für den Masterstudiengang kaum leisten. Am Anfang des Herbstsemesters 2015 begibt er sich in die Buchhandlung Schulthess. Er interessiert sich für zwei Bücher. Ein Buch steckt er in seinen Rucksack. An der Kasse legt er lediglich ein Buch vor und bezahlt das andere Buch, wie von Anfang an beabsichtigt, nicht. Sodann wird J vom Ladendetektiv (L), der den ganzen Vorgang beobachtet hat, an der Kasse angehalten und zur Rede gestellt. Um keine Schwierigkeiten mit der Polizei zu bekommen und das Buch behalten zu können, verpasst J dem L einen schmerzhaften Tritt gegen das Knie und flieht aus der Buchhandlung.

Materiellrechtliche Frage: Strafbarkeit J und M nach dem StGB? Die Körperverletzung ist nicht zu prüfen. Eventuell erforderliche Strafanträge sind gestellt.

Prozessrechtliche Fragen: 1) Bei der Flucht aus der Buchhandlung trifft J auf zwei Polizisten, die sich in unmittelbarer Nähe des Geschehenen aufhielten. Diese nehmen J fest. a)

Durften die Polizisten J festnehmen?

b)

Was haben die Polizisten nach der Festnahme vorzukehren?

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2) Die Staatsanwaltschaft eröffnet ein Strafverfahren gegen J in Bezug auf das Geschehen in der Buchhandlung Schulthess. Zwecks Einvernahme wird J von der Staatsanwaltschaft vorgeladen. a)

Welche Formalitäten hat die Staatsanwaltschaft zu beachten?

b)

Ändern sich die Formalitäten, wenn die Vorladung von der Polizei b1) im polizeilichen Ermittlungsverfahren ausgeht? b2) nach formell eröffneter Untersuchung ausgeht?

c)

Kann gegen eine Vorladung ein Rechtsmittel ergriffen werden?

d)

Was geschieht, wenn J der Vorladung nicht Folge leistet?

In Ergänzung des obigen Sachverhalts wird folgendes angenommen: Um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, beschliesst J mit zwei weiteren Jus-Kollegen im Internet einen „Fake-Shop“ zu betreiben. J baut den Fake-Shop auf und betreibt ihn, seine beiden Kollegen kümmern sich um die Konten und das Abheben der Gelder. J geht dabei so vor, dass er mit einer Software die Warenangebote echter Shops kopiert und nur noch die Preise heruntersetzt. Gegen Vorauskasse wird die Ware den Kunden zu einem unschlagbar günstigen Preis angeboten. Die Kunden erhalten die Ware aber natürlich nie. Nach ein paar Monaten fliegt der Schwindel von J und seinen Kollegen auf. 3) Die Staatsanwaltschaft Zürich eröffnet ein Verfahren gegen J und seine beiden Kollegen. Sie werden nach einer ersten polizeilichen Befragung zur Einvernahme dem zuständigen Staatsanwalt vorgeführt. a)

J verlangt bereits vor der Befragung durch die Polizei, mit einem Anwalt sprechen zu können. Ist diesem Wunsch nachzukommen? Ist dem J zwingend ein Verteidiger zu bestellen?

b)

Haben die Beschuldigten Anspruch bei den Einvernahmen des jeweiligen anderen teilzunehmen: b1) bei der ersten polizeilichen Einvernahme? B2) bei der staatsanwaltlichen Einvernahme?

4)

Im

Strafverfahren

gegen

J

beantragt

der

zuständige

Staatsanwalt

dem

Zwangsmassnahmengericht die Anordnung der Untersuchungshaft. a)

Innerhalb welcher Frist ist dieser Antrag zu stellen? Darf diese Frist überschritten werden?

b)

Welches sind die Voraussetzungen für die Untersuchungshaft?

c)

Steht dem Staatsanwalt gegen den Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts, keine Untersuchungshaft anzuordnen, ein Rechtsmittel zur Verfügung? Falls ja, wo und innerhalb welcher Frist ist das Rechtsmittel einzulegen?

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5) Der Staatsanwalt lässt bei J eine Hausdurchsuchung durchführen und den Computer beschlagnahmen. a)

Was kann J dagegen vorkehren?

b)

Die von der Staatsanwaltschaft mit der Auswertung betrauten Polizeibeamten finden auf dem Computer auch kinderpornographische Darstellungen, wovon sie den J in Kenntnis setzen. Was hat der Staatsanwalt vorzukehren?

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Fall 3 PD Dr. iur. Marc Jean-Richard-dit-Bressel Sachverhalt Viktor ist ein guter Gipser ohne kaufmännische Ausbildung. Vor ein paar Jahren hat er sich selbständig gemacht und dazu auf Anraten und mit Hilfe von Treuhänderin Tanja die Gipser Viktor GmbH mit Sitz in Bassersdorf ZH gegründet. Die Ersparnisse von Viktor reichten gerade knapp für das Stammkapital von CHF 20‘000 und die Gründungskosten. Im Handelsregister des Kantons Zürich ist Viktor seit der Gründung als einzelzeichnungsberechtigter Geschäftsführer und einziger Gesellschafter der Gipser Viktor GmbH eingetragen. Mit den CHF 20‘000 kaufte die GmbH einen Lieferwagen und Gipser-Werkzeug. Die Gipser Viktor GmbH ist gut ausgelastet, da sie die Preise vieler Konkurrenten unterbietet. Viktor zahlt über die GmbH sich selbst und den zwei Mitarbeitern pünktlich einen guten Lohn. Auch bleibt die GmbH ihren Lieferanten für Werkzeug und Verbrauchsmaterial sowie dem Vermieter ihres kleinen Lagerraums nichts schuldig. Aber für viel mehr reichen die Einnahmen nicht. Die GmbH kann zunehmend Steuern, Sozialversicherungsabgaben, Versicherungsprämien und dergleichen nicht mehr bezahlen. Auch kann sie sich keine Buchhalterin leisten. Viktor schätzt grob, dass die GmbH nun Schulden von über CHF 100‘000 hat, denen weiterhin als Aktiven (Vermögenswerte) nur der Lieferwagen und das Werkzeug im Wert von CHF 20‘000 gegenüberstehen. Viktor will die Schulden loswerden und sein Geschäft weiterführen. Deshalb wendet er sich an Treuhänderin Tanja. Tanja ist auf solche Probleme spezialisiert. Was sie Viktor vorschlägt, hat sie in hunderten von Fällen erprobt. Dies erklärt sie Viktor wahrheitsgemäss und verlangt von ihm vorab eine Gebühr von CHF 5‘000. Dafür dürfe Viktor alles andere, was noch in der GmbH sei, für sich herausnehmen. Viktor meldet deshalb dem Strassenverkehrsamt, er sei nun selber Halter des Lieferwagens. Mit dem Vermieter des Lagers einigt er sich, dass der Mietvertrag auf ihn persönlich übertragen wird. Zudem unterschreibt Viktor einen von Tanja vorbereiteten Vertrag zwei Mal, und zwar einmal als Geschäftsführer der GmbH als Verkäuferin und einmal für sich selber als Käufer. Gemäss diesem Vertrag kauft Viktor der GmbH das ganze Inventar ab und tilgt den Kaufpreis von CHF 20‘000 durch Verrechnung mit angeblichen Beraterhonoraren. Viktor weiss sehr wohl, dass er keine Honoraransprüche gegen die GmbH hat und dass diese nur ein Vorwand sind, um bei Bedarf die Veräusserung des Lieferwagens und Werkzeugs zu rechtfertigen. In der Folge überträgt Viktor als Vorinhaber und Vororgan mit Hilfe von Treuhänderin Tanja die Gipser Viktor GmbH an Emil als Endinhaber und Endorgan. Dabei bekommt die GmbH durch eine for-

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mell einwandfreie Statutenänderung ein neues „Gesicht“. Sie ist nun im Handelsregister des Kantons Aargau eingetragen als Gamma Beratungs GmbH mit Sitz in Brugg AG und mit Emil als einzigem Geschäftsführer und Gesellschafter. Emil ist eine Milieu-Figur und hat sich auch schon als Drogenhändler versucht. Er gehört zum Firmenbestatter-Netz von Tanja und hat schon dutzende von konkursreifen AG und GmbH als Endorgan übernommen und dafür jeweils von Tanja CHF 1‘500 bekommen. Emil weiss, dass es jeweils darum geht, die Vororgane von dem ganzen „Stress mit Steueramt, Sozialversicherung, Betreibungsamt, Konkursamt und vielleicht sogar Polizei“ zu entlasten. Er hat von Tanja gelernt, dass er sich bei allen Befragungen dumm stellen soll: „Ich wollte eine gute Firma kaufen und habe dafür CHF 5‘000 gezahlt. Aber man hat mich hineingelegt. Ich weiss nicht mehr, wie er hiess. Nun ist alles aus. Ich habe viele Schulden und kein Geld mehr.“ Tatsächlich verlief nach solchen Aussagen jeweils alles im Sand, und die Vororgane, die sich alle ähnlich verhielten wie Viktor, wurden praktisch nie behelligt. Emil kennt ungefähr die Hälfte der zwölf Personen, die mehr oder weniger regelmässig von Tanja als Endorgane vermittelt werden. Tanja schaut so gut es geht darauf, dass das von ihr aufgebaute Firmenbestatter-Netz weder von innen noch von aussen als solches erkennbar wird, kann aber nicht verhindern, dass sich die Endorgane mit der Zeit gegenseitig kennenlernen und dass auch gewisse regelmässige „Kunden“, d.h. Vororgane, mehrere Leute kennen, die für sie arbeiten. Nun ist Emil wie so oft knapp bei Kasse. Er verlangt deshalb von Tanja CHF 2‘000 für die Übernahme der ehemaligen Gipser Viktor GmbH. Tanja sagt, es bleibe bei CHF 1‘500. Aber die GmbH sehe nach der Sitzverlegung und Umbenennung doch recht sauber aus, da könne man bestellen, was man wolle. Emil begreift und schliesst im Namen der Gamma Beratungs GmbH 50 mehrjährige Mobiltelefonverträge ab, mit denen praktisch kostenlos Smartphone-Geräte abgegeben werden. Emil weiss bei der Bestellung, dass die Gamma Beratungs GmbH nie eine Telefonrechnung begleichen wird, und dass seine Ansprechperson vom Telekommunikationsunternehmen selbstverständlich davon ausgeht, es handle sich um eine normale Firma, die für Telekommunikationsdienstleistungen vertragsgemäss bezahlt. Zudem zeigt ihr Emil einen wahrheitsgemässen, leeren Auszug aus dem Betreibungsregister der Gemeinde Brugg über die Gamma Beratungs GmbH. Emil verkauft die SmartPhone-Geräte entsprechend seinem Plan im Milieu für CHF 150 pro Stück und verbraucht das Geld für seinen Lebensunterhalt.

Materiellrechtliche Frage: Prüfen Sie in Bezug auf Viktor, Tanja und Emil, welche Straftatbestände, die Gegenstand der Vorlesung „Strafrecht II“ sind, ernsthaft in Frage kommen, welche davon erfüllt sind und welche davon zur Bestrafung führen.

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Prozessrechtliche Fragen: 2.1 Staatsanwalt Stefan führt eine Untersuchung gegen Emil wegen Betäubungsmitteldelikten und hat deshalb die Überwachung von dessen Mobiltelefon angeordnet und durch das Zwangsmassnahmengericht genehmigen lassen. Polizistin Paula hört im Auftrag von Stefan die Gespräche von Emil ab. Dabei stellt sie fest, dass Emil von Tanja dafür bezahlt wird, dass er überschuldete Gesellschaften übernimmt. Paula hört einmal, wie Tanja in einem gereizten Ton zu Emil sagt: „Ich zahle dich, damit die Kunden ihre Ruhe haben. Die wollen keine Polizei im Haus.“ Durch Recherchen in den allgemein zugänglichen Online-Handelsregister-Datenbanken stellt Paula fest, dass Emil dutzende von Gesellschaften der Bau- und Gastronomie-Branche übernommen und dabei stets die Firma (d.h. den Namen des Unternehmens) und den Sitz geändert hat. Ein grosser Teil dieser Gesellschaften ist einige Zeit nach der Übernahme in Konkurs gegangen, wobei jeweils das Konkursverfahren schon bald mangels Aktiven eingestellt wurde. Tanja erscheint dagegen nur im Zusammenhang mit ihrer seit langer Zeit bestehenden Treuhandfirma im Handelsregister. Polizistin Paula schreibt über all diese Feststellungen einen Bericht an Staatsanwalt Stefan. Stefan weiss nur, was im Bericht steht. Den Sachverhalt gemäss Ziffer 1 kennt er noch nicht in seiner Gesamtheit. Zu welchen Rechten und Pflichten von Stefan führt die Kenntnisnahme des Berichts von Paula? (Es geht hier noch nicht um Frage 2.2). 2.2 Unter welchen prozessualen und sachverhaltsbezogenen Voraussetzungen darf Stefan die Erkenntnisse über die Firmenübernahmen aus der Überwachung des Telefons von Emil a) gegen Emil und b) gegen Tanja verwerten? Prüfen Sie, ob die sachverhaltsbezogenen Voraussetzungen erfüllt sind. 2.3 Aufgrund einer Strafanzeige des geschädigten Telekommunikationsunternehmens erhalten Stefan und Paula Hinweise auf die Angelegenheit mit den 50 Smartphones. Paula vermutet, dass Tanja im grossen Stil solche Taten fördert. Paula schlägt deshalb Stefan vor, sie könne sich unter falscher Identität Tanja für ähnliche Dienste wie Emil zur Verfügung stellen, wofür sie wegen der notariellen Vorgänge auch einen Personalausweis mit falschen Personalien benötige. Unter welchen prozessualen und sachverhaltsbezogenen Voraussetzungen darf Paula das tun? Prüfen Sie, ob die sachverhaltsbezogenen Voraussetzungen gemäss den Informationen in den Abschnitten 2.1-3 erfüllt sind. 2.4 Tatsächlich gelingt es Paula wie geplant, unter falschen Namen an Tanja heranzukommen. (Für Frage 2.4 ist unabhängig von der Antwort auf Frage 2.3 davon auszugehen, die prozessualen und sachverhaltsbezogenen Voraussetzungen dafür seien erfüllt.) Als Paula in den Büros von Tanja ist, gelingt es ihr, unbemerkt einen Ersatzschlüssel zu entwenden und das Computer-Passwort von den Fingern von Tanja abzulesen. Ohne Absprache mit Stefan und ohne sonstige Grundlage dringt Paula in der folgenden Nacht mit diesem Schlüssel in das Büro von Tanja ein und kopiert deren Computer-

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Festplatte. Aufgrund der Aufzeichnungen auf der Festplatte erkennt Paula den Sachverhalt in der Dimension, wie er in Ziffer 1 hiervor dargestellt ist. Stolz berichtet sie ihre Erkenntnisse Stefan, der sich nicht über das eigenmächtige Vorgehen von Paula freut. Hat das Vorgehen von Paula Konsequenzen für die Verwertbarkeit der Kopie von Tanjas Festplatte? Wenn ja, diskutieren Sie Möglichkeiten, wie sich der Mangel heilen lassen könnte. 2.5 In einer späteren Phase der Untersuchung führen teils Stefan selber und teils Paula im Auftrag von Stefan mehrere Einvernahmen mit Tanja, Viktor, Emil sowie weiteren Vor- und Endorganen durch. Nach einer gewissen Zeit meldet sich Anton, der Anwalt des Telekommunikationsunternehmens, und fragt nach dem Stand der Untersuchung. Er habe seit der Anzeigeerstattung nichts mehr gehört. In der Strafanzeige habe er geschrieben, das Telekommunikationsunternehmen wolle im Strafverfahren Parteistellung haben. Stefan berichtet detailliert, wie intensiv die Untersuchung vorangetrieben worden sei. Doch Anton ärgert sich massiv, dass ihm die Teilnahme an den Einvernahmen nicht ermöglicht worden ist. Er stellt sich auf den Standpunkt, dass diese Einvernahmen nichtig seien, soweit sie zur Entlastung der Beschuldigten beitragen könnten. (a) Durfte Stefan Anton detailliert aus den Untersuchungsakten berichten? (b) Trifft die Meinung von Anton über die Verwertbarkeit der Einvernahmen zu? Kommt es für die Beantwortung dieser Frage darauf an, ob Stefan oder Paula die Einvernahme durchgeführt hat? 2.6 Schliesslich erhebt Stefan Anklage am Bezirksgericht. Die Anklageschrift enthält die Fakten gemäss Ziffer 1 abgesehen davon, dass Stefan keinerlei Ausführungen dazu gemacht hat, was das Personal des Telekommunikationsunternehmens im Zusammenhang mit dem Abschluss von 50 langjährigen Mobiltelefonverträgen mit der Gamma Beratungs GmbH gedacht und geprüft hat. Das betroffene Personal ist jedoch befragt worden und hat dabei zum Ausdruck gebracht, von einem normalen, seriösen und zahlungsfähigen Unternehmen ausgegangen zu sein, zumal der Betreibungsregisterauszug keinerlei Anlass zur Besorgnis gegeben habe. Richterin Rita möchte als Referentin darauf hinwirken, dass in diesem Punkt ein Schuldspruch erfolgt. Ist die Lücke in der Anklageschrift ein Problem? Wenn ja, gibt es Möglichkeiten, das Problem zu beheben oder zu umgehen?

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Fall 4 Dr. iur. Omar Abo Youssef

Sachverhalt Achermann ist Angestellter einer kantonalen Behörde, wo er für die Prüfung von Anträgen auf Krankenkassenprämienverbilligung zuständig ist. Nebenberuflich ist er als Versicherungsagent zweier Krankenkassen, nämlich Krankenkasse Lund AG und Kobler AG, tätig. Seine Aufgabe besteht darin, Kunden zu vermitteln. Für jede erfolgreiche Vermittlung hat er sich vertraglich sowohl mit der Lund AG als auch mit der Kobler AG eine Provision ausbedungen. Binder arbeitet seit einigen Jahren selbständig als Finanzberater. Bei Fragen rund um das Thema Gesundheit, namentlich Fragen bezüglich obligatorischer Krankenversicherung, weist er seine Kunden jeweils darauf hin, dass ihnen allenfalls eine Prämienverbilligung zustehe, die sie mittels Gesuchs bei der kantonalen Behörde geltend machen müssten. Weil viele der Kunden von Binder nur schlecht Deutsch sprechen, bitten sie ihn jeweils, diese Gesuche für sie einzureichen. So kommt es, dass Binder mit Achermann in Kontakt kommt. Bald wird für Achermann klar, dass Binder offenbar über sehr gute Kontakte verfügt. Er schlägt ihm deshalb vor, bei künftigen Anträgen um Prämienverbilligung wie folgt vorzugehen: Binder soll Achermann die Gesuche um Prämienverbilligung jeweils vorbeibringen. Er, Achermann, werde dann dafür sorgen, dass diese rasch gutgeheissen werden. Und zwar werde er, wo dies nötig sei, um die Auszahlung einer Prämienverbilligung auszulösen, die Daten in das betreffende EDV-System falsch eingeben, also z.B. ein zu tiefes Bruttoeinkommen. Im Gegenzug solle Binder den Betroffenen aber eröffnen, dass eine Prämienverbilligung nur in Frage komme, wenn sie eine Versicherung bei der Lund AG oder der Kobler AG abschlössen. Die aus diesem Vorgehen resultierenden Gewinne wollen sich Achermann und Binder im Verhältnis 60% zu 40% teilen. Binder nimmt im Verlaufe des folgenden Jahres mit zahlreichen Personen Kontakt auf und macht sie auf die Möglichkeit der Prämienverbilligung aufmerksam, wenn sie zur Krankenkasse Lund AG bzw. Kobler AG wechselten bzw. sich dort versichern liessen. So gelingt es ihm, 80 Gesuche bei Achermann zu deponieren. Dieser gibt in der Folge bei allen 80 Gesuchen nicht der Wahrheit entsprechende Daten in das EDV-System ein und löst so Auszahlungen von Prämienverbilligungen in der Gesamthöhe von CHF 250‘000 aus. Die wegen der zwischen den Gesuchstellern und der Lund AG bzw. Kobler AG abgeschlossenen Verträge erzielten Provisionen belaufen sich auf CHF 50‘000. Die Provisionen hebt Achermann jeweils am Ende eines Monats von seinem Bankkonto ab und übergibt die Hälfte davon Binder in bar. Insgesamt nimmt Achermann so CHF 30‘000 und Binder CHF 20‘000 ein.

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Achermann, der sich in seiner Freizeit gerne seinem Hobby, dem Programmieren, hingibt, hat noch eine Rechnung mit seinem ehemaligen Arbeitgeber, der Krankenkasse Merki AG, offen. Während der gleichen Zeit, in der er mit Binder ungerechtfertigte Prämienverbilligungen durch Falscheingabe in das EDV-System seines aktuellen Arbeitgebers auslöst, sucht er nach Arbeitsschluss und an den Wochenenden nach einer Spyware, um damit in die Computersysteme der Merki AG einzudringen. Nach etwa einem Monat wird er im Internet fündig. Es handelt sich um einen „Trojaner“, der als Anhang einer E-Mail verschickt werden kann und sich, sobald der Anhang vom Adressaten angeklickt wird, selbständig und von diesem unbemerkt auf dessen Computer installiert. Ist der „Trojaner“ installiert, sind sämtliche Tastaturbewegungen auf dem betreffenden Computer mittels sog. Keylogdateien, die auf den Rechner des Absenders übermittelt werden, nachvollziehbar. Achermann ist begeistert, errichtet eine fiktive E-Mail-Adresse, lautend auf den Namen eines bedeutenden Kunden der Merki AG und sendet eine E-Mail samt einem als Offerte-Anfrage getarnten Trojaner im Anhang an alle Mitarbeiter von der Merki AG. Neben einigen anderen Angestellten öffnen insbesondere auch die oberen Kader der Merki AG den Anhang. Der Trojaner installiert sich wie vorgesehen. Achermann gelingt es so, die Benutzernamen und Passwörter dieser Kader erhältlich zu machen, die sie für den Zugang zu ihren E-Mail-Accounts verwenden. Mittels Gebrauchs dieser so in Erfahrung gebrachten Benutzernamen und Passwörter erhält er Einblick in den gesamten E-MailVerkehr der betroffenen Kader-Angestellten und damit auch in sensible Geschäftsdaten, die er bei Konkurrenten zu verkaufen beabsichtigt. Erst viel später, als Achermann keinen Nutzen mehr in der Einsichtnahme in die E-Mail-Accounts sieht, verändert er die Passwörter, um den Betroffenen den Zugriff auf ihre E-Mail-Accounts zu verunmöglichen.

Materiellrechtliche Frage: Strafbarkeit der Beteiligten?

Prozessrechtliche Fragen: 1.

Der zuständige Staatsanwalt Schuster eröffnet eine Untersuchung gegen Achermann und Binder. In dessen Verlaufe will er mehrere Zeugen einvernehmen, von denen er sich sachdienliche Hinweise erhofft, unter ihnen auch Ziegler. Als Ziegler die Vorladung zur Einvernahme als Zeuge erhält, reagiert er ungehalten. Er meldet sich umgehend bei Schuster und teilt ihm mit, dass er als CEO viel unterwegs sowie beschäftigt sei und ohnehin nichts Sachdienliches beitragen könne. Er werde deshalb weder am in der Vorladung genannten Termin noch überhaupt für eine Einvernahme als Zeuge bei Schuster erscheinen. Darf er das?

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2.

Schuster seinerseits ist überzeugt, dass Ziegler mit seinen Zeugenaussagen zur Aufklärung des Falles beitragen wird. Er lässt diesen deshalb polizeilich vorführen. Ziegler ist über die Tatsache, dass die Polizei ihn mitten in einer wichtigen Sitzung mit einem bedeutenden Kunden unterbricht und bittet, mitzukommen, überhaupt nicht erfreut. Er nimmt sich deshalb vor, bei Schuster kein Wort zu sagen. Schuster begrüsst den vorgeführten Ziegler und macht ihn auf die Zeugnis- und Wahrheitspflichten sowie auf die Strafbarkeit eines falschen Zeugnisses nach Art. 307 StGB aufmerksam. Er beginnt mit der Befragung, merkt aber ziemlich rasch, dass Ziegler nicht aussagen will. Wie kann Schuster darauf reagieren?

3.

Achermann entschliesst sich, zu gestehen. Schuster ist ob des Geständnisses erleichtert. Denn die bisherigen Untersuchungshandlungen haben wenig Gehaltvolles hervorgebracht. Er vernimmt Achermann nochmals und befragt ihn zu den Einzelheiten seines Geständnisses, unternimmt aber sonst nichts weiter. Ist das Vorgehen von Schuster korrekt?

4.

Nach nur einer Woche widerruft Achermann sein Geständnis. Er beruft sich auf seine damalige schlechte psychische und physische Verfassung infolge der Untersuchungshaft. Schuster – über diese neue Entwicklung des Falles nicht gerade glücklich – versucht Achermann davon zu überzeugen, beim Geständnis zu bleiben. Er werde im Gegenzug dafür sorgen, dass das abgekürzte Verfahren durchgeführt werde. Darf Schuster das?

5.

Achermann zeigt sich gegenüber der Durchführung eines abgekürzten Verfahrens nicht abgeneigt und überlegt sich ein neuerliches Geständnis. Er teilt Schuster mit, dass er sich ein Geständnis zwar grundsätzlich vorstellen, sich aber über die rechtlichen Details des Falles kein genaues Bild machen könne, weshalb für ihn ein Geständnis nur in Frage komme, wenn ihm ein Verteidiger zur Seite gestellt werde. Schuster beschwichtigt ihn und meint, die rechtliche Seite des Falles sei überhaupt nicht komplex. Er sehe deshalb keinen Grund für den Beizug eines Verteidigers. Nach langem Zögern gesteht Achermann erneut. Wie ist die Rechtslage?

6.

In der Folge klärt Schuster Achermann über die anwendbaren Tatbestände sowie das Strafmass auf und erklärt ihm, wie das abgekürzte Verfahren ablaufen wird. Schuster erstellt kurz darauf die Anklageschrift und eröffnet diese Achermann unter Einräumung einer zehntägigen Frist, innert derer erklärt werden soll, ob der Anklageschrift zugestimmt oder diese abgelehnt werde. Weil die Parteien zustimmen, übermittelt Schuster die Anklageschrift dem zuständigen erstinstanzlichen Gericht. Dieses befragt Achermann an der Hauptverhandlung, um herauszufinden, ob er den Sachverhalt anerkennt. Achermann – vom abgekürzten Verfahren mittlerweile nicht

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mehr angetan– widerruft sein Geständnis erneut. Das erstinstanzliche Gericht weist aufgrund dieses Widerrufs die Akten an Schuster zurück. Wie ist die Rechtslage?

7.

Schuster – nun zur Durchführung des ordentlichen Vorverfahrens gezwungen – führt in der Folge verschiedene Untersuchungshandlungen durch. Als er mit seinem Latein am Ende ist, nimmt er mit einem befreundeten Staatsanwalt, der auf derselben Staatsanwaltschaft tätig ist wie er selber, telefonisch Kontakt auf und fragt ihn, nach der Schilderung der Einzelheiten des Falles, ob er noch Möglichkeiten sehe, welche zur Klärung beitragen könnten. Dieser aber verneint. Schuster ist hin und her gerissen, entscheidet sich aber schliesslich dafür, das Verfahren einzustellen. Zu Recht?

8.

Die Merki AG, die sich als Privatklägerin konstituiert hat, konsultiert Sie vor der Einstellung durch Schuster, weil das Ausmass des Schadens noch nicht absehbar ist. Was raten Sie ihr?

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Fall 5 Dr. iur. Anna Coninx, MJur

Sachverhalt Adrian (19-jährig) und Ben (21-jährig) brauchen dringend Geld, um ihre Schulden zu begleichen. Ben bittet Adrian, sich um die Sache zu kümmern, weil er temporär an Krücken geht und Adrian ausserdem noch eine Rechnung bei ihm offen habe. Adrian willigt grundsätzlich ein, klagt aber, dass er nicht recht wisse, wie er das anstellen soll. Ben meint grinsend, „kleiner Tipp, Omis schleppen meist ihr halbes Vermögen in ihrer Handtasche mit“ und fügt ermunternd hinzu, „es ist ein Leichtes, die Handtasche im Vorbeigehen zu schnappen!“ Adrian ist von der Idee von Ben angestachelt und meint, er treibe das Geld bis am Abend auf. Die beiden verabreden sich um 21 Uhr beim Treffpunkt im Hauptbahnhof. Bei Einbruch der Dunkelheit begibt sich Adrian in einen nahegelegenen Park, wo er sich auf eine Parkbank setzt und die Passanten beobachtet. Schon bald fällt ihm die 81-jährige Frau Fritz auf, die durch den Park spaziert und in der linken Hand eine Handtasche an langen Riemen hält. Nachdem Adrian ein paar Meter hinter Frau Fritz hergegangen ist, beschliesst er, ihr die Handtasche zu entreissen; er denkt an die Worte von Ben und dass es ein Leichtes sei, die Handtasche zu schnappen. In einem ihm günstig erscheinenden Moment schliesst er rennend zu Frau Fritz auf, packt die Riemen der Handtasche und zieht daran, um sie zu behändigen. Dies gelingt ihm jedoch nicht, weil Frau Fritz ihre Handtasche festhält. Adrian zerrt an den Riemen, so dass Frau Fritz zu Fall kommt und von Adrian ca. zwei Meter weit mitgeschleift wird, bis Frau Fritz die Tasche nicht mehr halten kann und sie schliesslich loslässt. Dabei zieht sich Frau Fritz Schürfungen am Rücken und an den Knien sowie ein Hämatom (Bluterguss) an der linken Hand zu. Adrian rennt mit der Handtasche davon und geht über die Treppe zurück in die Railcity, wo er in einer Restaurant-Toilette seine Beute inspiziert. Zu seiner grossen Enttäuschung findet er in der Tasche kein Geld; jedoch entnimmt er der Handtasche neben ein paar Taschentüchern und Hustenbonbons eine ungeladene Pistole. Die Pistole steckt er ein, den Rest lässt er auf der Toilette liegen. Dann geht er wie verabredet zum Treffpunkt, wo Ben schon auf ihn wartet. Adrian entschuldigt sich bei Ben für die schlechte Arbeit und erzählt die Geschichte mit der Handtasche. Als Adrian auf die Pistole zu besprechen kommt, wird es Ben mulmig. Ben sagt, er habe dringend noch etwas zu erledigen und geht. Adrian befürchtet, dass die Polizei wegen der Handtaschengeschichte nach ihm sucht. Also verlässt er die Railcity und geht zu Fuss stadtauswärts. Als er an einem Pizza Take Away vorbei kommt, erinnert er sich wieder daran, dass er ja kein Geld mehr hat, dafür aber eine Pistole. Er sieht durch die grossen Glasfenster, dass nur der Pizzaiolo Pietro im Laden ist. Darauf marschiert Adrian zielstrebig

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ins Geschäft, zieht vor der Theke stehend seine Pistole und ruft: „Geld her, und zwar sofort!“ Pietro händigt dem Adrian ohne zu zögern die Fr. 246.- aus, die sich in der nicht abgeschlossenen, offen stehenden Kasse befinden. Aber Adrian hat noch nicht genug. Mit noch immer vorgehaltener Pistole fragt er Pietro, ob das teure Mountain Bike, das unmittelbar vor dem Take Away steht, ihm (dem Pietro) gehöre, was Pietro zitternd bejaht. Darauf verlangt Adrian von Pietro die Kombination für das Zahlenschloss, worauf Pietro sagt: „Es ist 007.“ Adrian öffnet das Schloss und fährt auf dem Bike mit dem erbeuteten Bargeld davon. Adrian übergibt das Bike seinem Mitbewohner Christian mit der Bitte, dieses möglichst bald zu verkaufen. Christian ahnt, dass Adrian das teure Stück nicht auf legalem Weg erworben hat und versteckt es im Kellerabteil. Christian dealt gelegentlich mit Marihuana, mit dem Verkauf von Bikes kennt er sich jedoch nicht aus und findet über eine Woche keinen Käufer. Allmählich wird Adrian die Sache zu heiss und er beauftragt Christian das Bike „loszuwerden“. Dieser fährt in den Wald und lässt es weit abseits des Weges liegen. Kurze Zeit nach diesen Geschehnissen wird Adrian verhaftet und vorläufig festgenommen. Die Polizei führt eine erste kurze Befragung durch, nachdem sie Adrian über seine Rechte nach Art. 158 StPO aufgeklärt hat. Adrian bestreitet die Tatvorwürfe. Noch am selben Tag wird er der Staatsanwaltschaft vorgeführt, welche ihn erneut auf sein Schweigerecht und seine Verteidigungsrechte aufmerksam macht, und ihm klar macht, dass er Beschuldigter in einem Strafverfahren sei. Adrian gibt an, er kenne keinen Rechtsanwalt und habe nicht genügend Geld für einen. Die Staatsanwaltschaft schlägt ihm vor, sich amtlich verteidigen zu lassen; im Übrigen wird ihm eröffnet, dass man einen Antrag auf Untersuchungshaft stellen werde. Am nächsten Tag wird Adrian ohne einen Verteidiger durch die Polizei erneut befragt und sagt, dass er sich ohne seinen Anwalt nicht mehr zum Fall äussern werde. Daraufhin konfrontiert ihn die Polizei mit Videoaufnahmen, welche den Überfall im Pizza Take Away zeigen. Mit dem belastenden Bildmaterial konfrontiert, gibt Adrian zu, den Pizza Take Away überfallen zu haben; die Sache mit Frau Fritz kommt dagegen nicht ans Licht und auch das Bike konnte die Polizei nicht mehr finden. Adrian wird hauptsächlich gestützt auf sein Geständnis wegen dem Überfall auf den Pizza Take Away zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Gestützt auf einen Durchsuchungsbefehl durchsucht die Polizei die Wohnung von Adrian. Hierbei stellt sie einerseits Bargeld sicher und bemerkt andererseits, dass noch eine weitere Person in der Wohnung lebt. Am folgenden Tag betritt die Polizei ohne Durchsuchungsbefehl erneut die Wohnung, wo sie Christian schlafend vorfinden. In der Jacke und im Rucksack von Christian findet die Polizei eine grössere Menge Marihuana und Bargeld in der für den Drogenhandel üblichen Stückelung, worauf dieser noch vor Ort verhaftet wird. Daraufhin wird gegen Christian ein Strafverfahren eröffnet. Im Laufe des Verfahrens gesteht Christian mit Marihuana gehandelt zu haben und wird zu einer Geld-

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strafe verurteilt. Obwohl die Rechtswidrigkeit der Hausdurchsuchung unbestritten war, stützt das erstinstanzliche Gericht das Urteilhauptsächlich auf das Geständnis von Christian.

Materiellrechtliche Frage: Prüfen Sie die Strafbarkeit von Adrian, Ben und Christian nach StGB. Allfällige Strafanträge sind gestellt.

Prozessrechtliche Frage: Durften sich die Gerichte bei der Verurteilung von a) Adrian und b) Christian auf deren Geständnisse stützen?

Begründen Sie Ihre Argumentation gestützt auf StGB, StPO, BV, und EMRK. Nehmen Sie auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesgerichtes und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte Bezug.

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Fall 6 Dr. iur. Ulrich Weder, Leitender Staatsanwalt

Sachverhalt Am 12. Dezember 2014, um ca. 14.10 Uhr, begaben sich Kurt und Max zum Einfamilienhaus des betagten Ehepaars Müller in Rüschlikon/ZH, betätigten dort die Klingel und verschafften sich unter Verwendung zuvor gemeinsam erstellter Visitenkarten, die sie beide als Angestellte der Swisscom auswiesen, Zugang zum Einfamilienhaus. Dabei gaben sie vor, als Mitarbeiter der Swisscom Fernmeldeleitungen überprüfen zu müssen. Kaum waren sie in der Wohnung, bedrohte Kurt das Ehepaar Müller mit einer auf sie gerichteten, mit 5 Patronen im Magazin geladenen Selbstladepistole der Marke „Star“, Kaliber 9 mm Para (diese Waffe samt Munition hatte Kurt am 10. September 2014 in der Stadt Zürich mittels einem rechtmässig abgeschlossenen Waffenkaufvertrag von Max zum Preis von Fr. 1‘500gekauft). Der Aufforderung von Max, Bargeld und Kreditkarten herauszugeben, kam das Ehepaar Müller zunächst nicht nach, mit dem Hinweis, sie hätten bloss Bargeld im Wert von Fr. 200auf sich und sie würden ihren täglichen Lebensunterhalt mit einer Kreditkarte „MasterCard“ finanzieren, wobei sie aufgrund ihrer Aufregung nicht in der Lage seien, den PIN-Code ihrer Kreditkarte bekanntzugeben. Nunmehr führte Kurt an der weiterhin auf das Ehepaar Müller gerichteten Waffe eine gut hörbare Ladebewegung aus, was an dieser Waffe technisch nur möglich ist, wenn der Sicherungshebel zuvor in die Position „entsichert“ gestellt wird. Dabei hielt Kurt, worauf Max bei der vorherigen Verabredung ihres Vorgehens Wert gelegt hatte, den Zeigfinger absichtlich nicht an den Abzugshahn, sondern gestreckt der schussbereiten Waffe entlang, um derart eine Schussabgabe unter allen Umständen zu vermeiden. In dieser Situation gab das Ehepaar Müller nicht nur sein Bargeld im Wert von Fr. 200und seine Kreditkarte heraus, sondern es gab auch den PIN-Code ihrer Kreditkarte bekannt. Mit dieser Kreditkarte und dem Bargeld flüchteten Kurt und Max. Als sie ca. zwei Stunden später an einem Bankomaten in Zürich 4 mittels der Kreditkarte und dem dazugehörigen PIN-Code Fr. 400 abheben wollten, wurde die auf Veranlassung des Ehepaars Müller zwischenzeitlich gesperrte Kreditkarte eingezogen. Noch am gleichen Tag vernichteten Kurt und Max vereinbarungsgemäss ihre Waffenkaufvertragsexemplare, um damit allfällige Unannehmlichkeiten zu vermeiden. Obwohl allein von Kurt aufgrund einer vor dem Einfamilienhaus in Rüschlikon/ZH installierten Überwachungskamera ein sehr gutes Personenbild erstellt werden konnte, gelang es der Polizei zunächst nicht, Kurt zu identifizieren. Erst als Kurt im Rahmen einer Polizei-Razzia im Rotlicht-Milieu in Zürich Ende Dezember 2014 kontrolliert werden konnte, gelang es, ihn aufgrund des erwähnten Personen-

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bilds als mutmasslichen Täter des zum Nachteil des Ehepaars Müller in Rüschlikon/ZH am 12. Dezember 2014 begangenen Delikts zu identifizieren. Sowohl gegenüber der Polizei, wie auch in der ersten staatsanwaltschaftlichen Hafteinvernahme bestritt Kurt seine Täterschaft. Gleichwohl wurde er am 2. Januar 2015 durch das zuständige Zwangsmassnahmengericht in Untersuchungshaft versetzt. Im Rahmen einer von der zuständigen Staatsanwaltschaft an die Polizei delegierten Wahlkonfrontation vom 5. Januar 2015 identifizierte dann Frau Müller den Kurt mit Sicherheit als Täter, während sich Herr Müller diesbezüglich unsicher war. Aufgrund der Identifikation von Frau Müller gestand Kurt in der ebenfalls delegierten polizeilichen Einvernahme seine Straftat, machte allerdings geltend, bei seiner am 12. Dezember 2014 verwendeten Waffe habe es sich um eine Soft-Air-Pistole gehandelt. Auf seinen Komplizen angesprochen, machte Kurt von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch, mit der Begründung, er sei kein „Verräterschwein“. Aufgrund der Überprüfung des Bekanntenkreises von Kurt und der Signalementsangaben des Ehepaars Müller betreffend den unbekannten Komplizen gelang es jedoch, den einschlägig vorbestraften Max zu verhaften. Dieser legte in der staatsanwaltschaftlichen Hafteinvernahme vom 15. Januar 2015 in Anwesenheit der ihm bestellten amtlichen Verteidigung sofort ein umfassendes Geständnis ab und belastete Kurt vor allem auch hinsichtlich der von diesem verwendeten echten und durchgeladenen Waffe. In der Folge wurde Max am 17. Januar 2015 durch das zuständige Zwangsmassnahmengericht in Untersuchungshaft versetzt. Nachdem Max in der staatsanwaltschaftlichen Konfrontationseinvernahme mit Kurt am 31. Januar 2015 festgestellt hatte, dass dieser ihn – Max – nicht belastet und geltend gemacht hatte, eine SoftAir-Pistole verwendet zu haben, widerrief Max sein am 15. Januar 2015 bezüglich der verwendeten echten Waffe abgelegtes Geständnis und schloss sich den diesbezüglichen Aussagen von Kurt betreffend die Soft-Air Pistole an. Das Ehepaar Müller konstituierte sich am 10. Februar 2015 als Privatklägerschaft (Zivilkläger) und beantragte gleichzeitig die Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistands. Das zuständige Zwangsmassnahmengericht hiess ein am 17. Februar 2015 von Max gestelltes Haftentlassungsgesuch gut. Nach durchgeführter Untersuchung erhob die zuständige Staatsanwaltschaft Mitte 2015 gegen Kurt und Max Anklage. Zu Beginn der erstinstanzlichen Hauptverhandlung liess Kurt vorfrageweise den Antrag stellen, das Protokoll der ihn belastenden ersten staatsanwaltschaftlichen Einvernahme von Max vom 15. Januar 2015 sei aus den Akten zu entfernen.

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Gegen das erstinstanzliche Urteil vom 10. Oktober 2015 erhob die Staatsanwaltschaft fristgerecht Berufung. Nach eingegangener Berufungserklärung gelangte die Berufungsinstanz zum Schluss, dass der eingeklagte Sachverhalt bezüglich eines Qualifikationstatbestands unpräzise umschrieben ist und rechtlich möglicherweise anders zu würdigen gewesen wäre, als dies die Vorinstanz tat.

Materiellrechtliche Frage: Strafbarkeit von Kurt und Max ? (Der Tatbestand des Hausfriedensbruchs und allfällige Straften des Nebenstrafrechts, namentlich waffenrechtliche Straftaten, sind nicht zu beurteilen)

Prozessrechtliche Fragen: 1. a) Welche Strafverfolgungsbehörde leitet das Strafverfahren gegen Kurt und Max? 1. b) Welche Strafverfolgungsbehörde würde das Vorverfahren gegen Kurt und Max leiten, wenn gegen Kurt seit dem November 2014 am Regionalgericht Bern – Mittelland bereits ein Strafverfahren wegen falscher Anschuldigung im Sinne von Art. 303 Ziff. 1 StGB hängig wäre?

2. Hätte das mittels der Überwachungskamera erstellte Personenbild von Kurt, allenfalls unter vorheriger Ankündigung oder verpixelt, im Internet als Fahndungsmassnahme veröffentlicht werden dürfen? Wenn ja: Ohne weiteres, mit vorheriger Ankündigung und/oder verpixelt? Wenn nein: Wieso nicht?

3. a) Sind die Aussagen von Max in seiner staatsanwaltschaftlichen Hafteinvernahme vom 15. Januar 2015 im Strafverfahren gegen Kurt verwertbar, wenn Kurt und dessen Verteidigung die Teilnahme an dieser Einvernahme entgegen ihrem Antrag verweigert wurde? 3. b) Wäre das Geständnis von Max in seiner staatsanwaltschaftlichen Hafteinvernahme vom 15. Januar 2015 bezüglich dem Ladezustand der echten Waffe im Strafverfahren gegen ihn selbst verwertbar, wenn er in dieser ersten Einvernahme nach den Rechtsbelehrungen („miranda warnings“) ausdrücklich auf die Teilnahme der Verteidigung an der Einvernahme verzichtet hätte?

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4. Welche Behörde des Kantons Zürich entscheidet über den Antrag des Ehepaars Müller auf Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistands? Würde dem Ehepaar Müller gegen einen allfällig ablehnenden Entscheid ein Rechtsmittel zur Verfügung stehen? Wenn ja, welches und bei welcher Rechtsmittelinstanz? Wenn nein, wieso nicht?

5. Steht der Staatsanwaltschaft und dem Ehepaar Müller gegen die Gutheissung des Haftentlassungsgesuchs von Max vom 17. Februar 2015 ein Rechtsmittel zur Verfügung? Wenn ja, welches und bei welcher Rechtsmittelinstanz? Wenn nein, wieso nicht?

6. Steht der Verteidigung von Kurt gegen die zu Beginn seiner erstinstanzlichen Hauptverhandlung vorfrageweise entschiedenen Ablehnung des Antrags, die erste staatsanwaltschaftliche Einvernahme von Max als unverwertbar aus den Strafakten zu entfernen, ein Rechtsmittel zur Verfügung? Wenn ja, welches und bei welcher Rechtsmittelinstanz? Wenn nein, wieso nicht?

7. Nach Beginn der erstinstanzlichen Hauptverhandlung gegen Kurt, d.h. unmittelbar nach der Behandlung der Vorfragen, ersucht die Präsidentin des Gerichts die Staatsanwältin darum, ihre Strafanträge bekannt zu geben. Ist die Staatsanwältin hierzu verpflichtet? Wenn ja, wieso? Wenn nein, wieso nicht?

8. Wie geht die Berufungsinstanz aufgrund ihrer nach Eingang der staatsanwaltschaftlichen Berufungserklärung gewonnenen Erkenntnisse betreffend die unklare Formulierung des Sachverhalts in der Anklage vor?

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Fall 7 Dr. iur. Andreas Eckert Alain (A) und Benjamin (B) beschliessen, am Samstagabend einem Passanten Geld zu stehlen, bevor sie B’s Bruder Daniel (D) im Niederdorf in Zürich treffen und zu dritt an eine Party in Winterthur gehen würden. Diesen Entschluss fassten A und B am gemeinsamen Wohnort an der Rolandstrasse 23 in Zürich. A hatte B jedoch erklärt, er mache nur unter der Bedingung mit, dass er nicht wirklich Gewalt anwenden müsse. Sie fuhren mit dem Auto von B in Richtung Central, parkieren es beim Hirschengraben, liefen Richtung Niederdorf los und hielten Ausschau nach einem Opfer. Dies bis sie auf Christian (C) aufmerksam wurden, welcher mit seinem Hund zu Fuss in Richtung Central unterwegs war und liefen sodann diesem hinterher. In einer dunklen Seitengasse packte A C an der Schulter und drückte ihn gegen die Wand, sodass dieser A und B gegenüberstand. A forderte C auf, ihm sein Geld zu geben. Als C dieser Aufforderung nicht nachkam, drohte ihm A, er werde seinem Hund etwas antun. Im Wissen darum, dass A seine Drohung nicht verwirklichen und keine Gewalt anwenden würde, entriss B, welcher C die ganze Zeit am Arm festgehalten hatte, diesem die Hundeleine und trat gegen den Hund, um den Worten von A Nachdruck zu verleihen. C zeigte daraufhin A und B sein leeres Portemonnaie. B verlangte deshalb, dass C mit seiner Bankkarte am Automaten Geld abheben solle. Beim Geldautomaten angekommen und weil es B nicht schnell genug ging, schupfte er C gegen den Geldautomaten und zog so heftig an der Leine des Hundes, dass dieser zu wimmern begann. Unter dem Eindruck dieser Gewaltbereitschaft bekam C es mit der Angst zu tun, hob CHF 1‘000.00 von seinem Konto ab und übergab B das Geld. B überreichte noch an Ort und Stelle A 1/3 der Beute an A und steckte den Rest ein. Bevor A und B davonliefen, verlangte B von C noch die Herausgabe seines persönlichen ZVV-NetzPasses (Jahresabonnements) und seine Omega Speedmaster Armbanduhr. In der Folge fuhr B verschiedene Male mit dem Tram in der Stadt Zürich herum, und wies sich denn auch dreimal mit dem auf C lautenden Abonnement anlässlich der Billettkontrolle aus, in der Absicht kein Geld für die entsprechenden Fahrten ausgeben zu müssen, worauf dann bei der vierten Kontrolle alles aufflog.

Noch am selben Samstagabend liefen A und B weiter durch das Niederdorf, wo sie den Bruder von B, Daniel (D), in einer Bar trafen. B schenkte D die Omega Speedmaster, entschuldigte sich, dass er keine Zeit mehr gefunden habe, sie als Geschenk einzupacken und gratulierte seinem Bruder zum Geburtstag. D wusste, dass sein Bruder arbeitslos war und sich unmöglich eine solch teure Uhr leisten konnte. Die Bedenken, die ihn beschlichen, schob er in dem Moment bei Seite und bedankte sich für das Geschenk. Zu dritt begaben sie sich in Richtung Auto beim Hirschengraben, um gemeinsam nach Winterthur an eine Party zu fahren, welche Freunde für D’s 18. Geburtstag organisiert hatten. Beim Auto angekommen und weil ihn der Gedanke nicht losliess, dass sein Bruder etwas Verbotenes

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gemacht haben könnte, fragte D seinen Bruder kurz vor dem Einsteigen, woher er denn das Geld für so ein tolles Geschenk her habe. B lachte nur und meinte, er solle sich nicht zu viele Gedanken machen – schon gar nicht an seinem 18. Geburtstag. Dankend umarmte D seinen Bruder und stieg ein, während A und B noch einen Moment vor dem Auto stehen blieben und ihre Zigaretten zu Ende rauchten.

Die Zeugin Zerafina (Z) hatte kurz vorher neben dem Fahrzeug von B parkiert und sass noch mit offenen Fenstern in ihrem Auto, als sie die Szene beobachte, wie sich ein junger Mann bei einem anderen für eine Uhr bedankte und ihn umarmte. Nachdem, ohne dass die Männer Z bemerkt hätten, sich D ins Auto gesetzt hatte, hörte Z noch mit aller Deutlichkeit, wie einer der Männer den anderen fragte, ob er nicht Angst habe, dass sein Bruder herausfinden würde, was sie vorhin gemacht hatten und wissen würde, dass er gar keine Uhr für seinen Bruder gekauft habe, sondern dass er sie jemandem gestohlen habe.

Materiellrechtliche Frage: Strafbarkeit von A, B und D nach StGB? Allenfalls benötigte Strafanträge sind gestellt. (Übertretungen sind nicht zu prüfen).

Prozessrechtliche Fragen: C erstattete Anzeige und dank der Zeugin Z, die den Vorfall ebenfalls bei der Polizei gemeldet hatte, konnte das Autokennzeichen erfasst und B als Fahrzeughalter und mutmasslichen Täter und sein Bruder D ermittelt werden. Im Verlaufe der polizeilichen Ermittlungen kommt ans Licht, dass auch A an dem Abend beteiligt war. Der Fall wird in der Folge dem Staatsanwalt zugeteilt, welcher bereits ein Verfahren wegen eines Vergehens gegen das Strassenverkehrsgesetz gegen B eröffnet hatte (da dieser am besagten Samstagabend auf dem Weg nach Winterthur zu schnell unterwegs gewesen war und sein Fahrzeug geblitzt wurde). Sowohl die ZVV wie auch C konstituieren sich als Privatkläger.

1. Aufgrund der Sachlage, insbesondere weil die Täter nicht auf frischer Tat ertappt wurden, entscheidet sich der Staatsanwalt, B zu einer Einvernahme vorzuladen und nicht vorführen zu lassen. Der von A bestellte Verteidiger erfährt davon und teilt mit, dass er und A an der Einvernahme des B teilnehmen möchten, wobei A vom Staatsanwalt noch nicht einvernommen wurde. Muss der Staatsanwalt diesem Antrag nachkommen?

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Zeigen Sie Problemkreise auf, die sich zu dieser Frage im Hinblick auf die Teilnahmerechte an Beweiserhebungen und dem Akteneinsichtsrecht ergeben können a)

wenn der Staatsanwalt sich entscheidet, die Verfahren gegen A und B zu vereinigen;

b)

wenn der Staatsanwalt sich entscheidet, die Verfahren gegen A und B getrennt zu führen.

2. C ist seit dem Vorfall dermassen traumatisiert, dass er bei der Befragung A und B nicht begegnen möchte. Kann er eine Begegnung mit diesen vermeiden?

3. Angenommen der Staatsanwalt führt die Verfahren getrennt. Was ist zu beachten, wenn die durchgeführten staatsanwaltschaftlichen Einvernahmen als Beweismittel gegen die jeweiligen Beschuldigten verwertbar sein sollen?

4. In welcher prozessualen Stellung müssen die Beschuldigten A, B und D jeweils einvernommen werden?

5. Mittels staatsanwaltschaftlicher Delegationsverfügung wird die Polizei zur Klärung des Sachverhalts des Vorfalls angewiesen, Zeugeneinvernahmen durchzuführen. Z und D sind zu befragen. In welcher prozessualen Stellung können sie befragt werden und haben die Beschuldigten und der Verteidiger das Recht an den jeweiligen Einvernahmen teilzunehmen?

6. Nachdem D in seiner prozessualen Stellung korrekt vorgeladen wurde, weigert er sich auf einmal bei der Polizei auszusagen. Ist er zur Aussage verpflichtet?

7. Im laufenden Verfahren gegen A und B verlangen die VBZ und C umfassende Akteneinsicht. Inwieweit ist ihren Anträgen zu entsprechen bzw. ab wann ist die umfassende Akteneinsicht zu gewähren?

8. Als A die Vorladung zur Einvernahme erhält, mandatiert er einen Verteidiger, welcher noch gleichentags die Vollmacht beim Staatsanwalt einreicht und gleichzeitig ein Gesuch um umfassende Akteneinsicht vor der Einvernahme stellt. Muss der Staatsanwalt diesem Antrag nachkommen?

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9. Der Staatsanwalt bringt zuerst den Fall von A zur Anklage. Der Fall wird der 2. Abteilung des Bezirksgerichtes zugeteilt. Zirka 2 Monate später sind auch die Untersuchungen gegen B abgeschlossen und der Staatsanwalt bringt auch diesen Fall zur Anklage. Das Gericht teilt diesen Fall in der Folge ebenfalls der 2. Abteilung zu. Mit welchen Argumenten wehrt sich der Verteidiger von B gegen die Urteilsfindung beider Fälle von demselben Spruchkörper und welche Mittel stehen ihm hiergegen zur Verfügung?

10. Zur Frage 3: Wie kann der Staatsanwalt vorgehen, damit beide Anklagen (A und B) von derselben Abteilung beurteilt werden?

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