Die Welt ist krank (und der Arzt hat frei)

John Schöllgen Die Welt ist krank (und der Arzt hat frei) …eine Krankenhauskomödie mit musikalischen und orthopädischen Einlagen „Die Welt ist krank...
Author: August Böhmer
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John Schöllgen

Die Welt ist krank (und der Arzt hat frei) …eine Krankenhauskomödie mit musikalischen und orthopädischen Einlagen

„Die Welt ist krank (und der Arzt hat frei) oder Die Leiden des jungen Jens“ ist eine Krankenhauskomödie im Stil einer Sitcom. In 6 exemplarischen Episoden wird der turbulente Alltag auf Station A38 erzählt. Belegschaft und Patienten bestehen aus schrulligen, doch liebenswerten Typen, die alle versuchen, irgendwie ihren Job bzw. ihr medizinisches Schicksal auf ihre Art zu meistern, an diesem Versuch scheitern und/oder wachsen. Hinter den teils absurden Verhaltensweisen stecken oft ernste menschliche oder medizinische Komplikationen. Zeitgenössische Problematiken wie Altersarmut oder die krampfhafte Suche nach einem Lebenspartner werden ebenso thematisiert wie Borderline-Syndrom, die Folgen des Rauchens u.a.m. Obzwar hier lustig-leicht gezeigt, sind es bekanntermaßen schwerwiegende Geißeln der Neuzeit. Sie wollen brillantes, modernes, witziges, abgründiges, sonoch-nie-gesehenes THEATER spielen? HIER ist Ihr Stück!

BT 575 / Regiebuch IMPULS-THEATER-VERLAG Postfach 1147, 82141 Planegg Tel.: 089/ 859 75 77; Fax: 089/ 859 30 44

PERSONEN: (5-9w, 6-9m) Belegschaft Chefarzt Dr. Albert Frahm* Dr. Schwarz* Assistenzarzt Jens* Assistenzärztin Vanessa* Schönheitschirurg Dr. Bösenberg Pathologin Dr. Schlachter Oberschwester Ulla Hühnermörder* Schwester Nina* Hausmeister Streit* Sibylle Schwarz, Dr. Schwarz’ Frau Patienten Herr Kules, Samenspender Elfriede Hattenkerl, alias Anne Brust Fiona Lehmann Leonie, eine Fünfzehnjährige Herr Hodgenroth Lord Pinkerton Eine Schwangere Herr Schmalz-Malinowksi Mögliche Doppelbesetzungen Die *-Rollen laufen durch alle Episoden, die anderen kann man prima mehrfach besetzen: 1: Sibylle Schwarz // Eine Schwangere // Elfriede Hattenkerl 2: Dr. Bösenberg // Herr Hodgenroth // Herr Schmalz-Malinowksi 3: Herr Kules // Lord Pinkerton 4: Fiona Lehmann // Leonie // Dr. Schlachter ORT/ DEKORATION: Die Bühne zeigt die Anmeldung der Station A38 eines herkömmlichen Krankenhauses. Hinten rechts im Winkel zweier Wände ein Anmeldetresen, ein PC und ein Telefon, die halb dahinter verschwinden. Zudem ein kleiner, gefüllter Aktenschrank. In der Rückwand drei Türen, die zu den Patientenzimmern #1, #2 und #3 führen. In der linken Seitenwand befindet sich ein Durchgang zum Ärztepausenraum, der mit einem Vorhang bedeckt ist, im Text LH (links hinten) genannt. Davor ist ein weiterer Abgang, der vor der Kulisse herführt (LV: links vorn). Dessen Pendant-Abgang befindet sich exakt gegenüber (RV: rechts vorn), und führt zum Krankenhausausgang. Rechts vor dem Tresen führt ein vierter Durchgang in der Wand in weitere Hausflure (RH: Rechts hinten). Halb zentral links steht eine abgewetzte Couchgarnitur nebst kleinem Tisch: die Wartelounge. SPIELALTER: (junge) Erwachsene SPIELDAUER: ca. 2 Stunden WAS NOCH? Ausführlichere Informationen zu den Figuren, sowie eine Zusammenfassung des Inhalts der einzelnen Episoden finden Sie am Ende des Spieltextes. Geräusche-Soundfiles gibt’s in der ‚Theaterfundus’-Abteilung von www.buschfunk.de. FEEDBACK? JA! zum Autor: [email protected] zum Verlag: [email protected]; www.buschfunk.de

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ERSTER AKT Episode 1: „August“ Geschlossener Vorhang. Auftritt Jens mit einem bunten Rucksack. Er tritt seinen ersten Arbeitstag im Krankenhaus an, übermotiviert und auch ein wenig zurückhaltend ob der Dinge, die da kommen werden. Der alte Universitätsrucksack wirkt wie ein kindliches Relikt. Seitlich baumelt ein Schlüsselanhängerplüschtier. Jens: Es ist so weit. Mein erster Arbeitstag. Ich bin auch schon ein wenig nervös. Der Puls rast wie verrückt und meine Hände schwitzen. Hoffentlich bekomme ich keinen Nervenzusammenbruch, sonst müsste ein Arzt kommen und mich behandeln. Aber wo finde ich einen? (Diese Frage lässt er, wie ein Kind, das ein Gedicht vorträgt, aufund abwippend etwas im Raum nachwirken. Sein fast idiotisches Grinsen wirkt unbeholfen.) Jens: Wo nur? (Abermals kostet er seinen Triumph aus, da er mehr weiß als die Zuschauer, die nicht ins Programmheft geschaut haben. Er holt einen anklemmbaren Ärztepass mit einer silbernen Ärztepassanklemmklammer hervor und klemmt ihn sich an.) Jens: (tippt auf den Ausweis) Hier. (mit Nachdruck) „Doktor“. Das bin ich. Ich habe es geschafft. Sechs Jahre Uni haben sich bezahlt gemacht. Trotz Kratzwunden und Patientenspei. Ich habe es allen gezeigt, habe alle, die an mir zweifelten eines Besseren belehrt. Sogar mich! Und jetzt stehe ich hier – ein zeugungsfähiger Mann im besten Alter ohne nennenswerte Beschwerden. Es kann losgehen. Die Welt will erobert werden, will geröntgt, von Polypen befreit und vasektomiert werden und ich bin genau derjenige, der ihrem Wunsch entsprechen will. (Der Vorhang öffnet sich hinter Jens’ Rücken und gibt den Blick auf Krankenhausstation A38 frei. Hinter dem Anmeldetresen sitzt Oberschwester Hühnermörder am PC. Energischen Schrittes geht Jens auf sie zu.) Jens: (übermotiviert laut) Guten Morgen, meine liebe, gute Frau. Mein Name ist Jens... Hühnermörder: Tritt beiseite, Lieschen Übereifer! Gleich beginnt hier der alltägliche Wahnsinn und ich mache einen dezenten Bogen um die Worte „ganz“ und „normal“, die im alltäglichen Sprachgebrauch die Bedeutung des Wortes „Wahnsinn“ vollkommen verwässert haben. Jens: (holt eine Packung M&M aus der Tasche) Schoki? Hühnermörder: Danke, nein. Jens: Die sind aus dem Automaten neben dem Stationseingang. Station A38. Wissen Sie, welche Nummer die am Automaten haben? Hühnermörder: (gelangweilt) A38? Jens: Ist das nicht witzig? Hühnermörder: Nicht, wenn man seit zwanzig Jahren hier arbeitet und immer und immer wieder Schoki, die scheinbar doch in der Hand schmilzt, von einem überdrehten Neuling angeboten bekommt, der glaubt, er wäre der erste, der herausgefunden hat, dass es eine auf die Stationsnummer passende Süßware im Automaten gibt … Jens: (aus der Verlegenheit geboren) Da sind keine Nüsse drin... 3

Hühnermörder: Und jetzt, entschuldige mich, ich habe gleich Pause und einen Schlüssel zum Medikamentenschrank. (Auftritt Doktor Frahm schnellen Schrittes von RH. Morgenappell. Kaum jemand ist anwesend. Da der zackige Chefarzt aber keine Verspätungen duldet, beginnt er prompt mit der allmorgendlichen Ansprache.) Frahm: Guten Morgen, liebe Kollegen und Kolleginnen des SanktMehdorn-Hospitals. Willkommen im Flügel A38. Wie ich sehe, sind Sie zahlreich erschienen! Folgen Sie mir zur Morgenvisite in einen Flügel, den das Land noch subventioniert und wo die Süßigkeiten im Automaten noch regelmäßig auf Haltbarkeit geprüft werden. (Angeekelt spuckt Jens seine Schoki zurück in die Tüte.) Frahm: On y va! (Frahm strammen Schrittes LV ab.) Jens: (verwirrt) Aber da war doch niemand... Hühnermörder: Doktor Frahm ist das egal. Wer zu spät kommt, fällt in Ungnade. (Auftritt Schwester Nina von LH mit einem Rollwagen, auf dem Tabletts mit dem erkalteten Frühstück der Patienten stehen. Jens und Hühnermörder betrachten alles vom Tresen aus.) Hühnermörder: Kommst du auch noch, Nina? Die Patienten warten seit einer Stunde auf ihr Frühstück. Jeden Tag das Gleiche! Nina: (schaut auf die Uhr) Aber dann bin ich doch pünktlich! (Nina und Hühnermörder lachen, weil es wahr ist. Später stimmt Jens ein, um dazuzugehören.) Hühnermörder: (während des Lachens) Das ist so wahr! (Sie nimmt das erste Tablett vom Wagen und geht in Krankenzimmer #1. Sie hat sichtlich Probleme, das Tablett auszubalancieren und zeitgleich die Tür zu öffnen.) Nina: (überfreundlich) Guten Morgen, Herr Schmalz-Malinowski. Hier kommt das Frühstück! (bewegt das Tablett wie ein Flugzeug und macht dabei Propellergeräusche, die zum Essen animieren sollen, Abtritt) (Auftritt Frau Dr. Schlachter von LV, die Pathologin. Sie geht zum Schalter.) Schlachter: Schlachter mein Name, aus der Pathologie. Dr. Frahm wollte mich sehen? Hühnermörder: Ist zur Visite. Einen Moment Geduld. (Nina kommt zurück aus Krankenzimmer #1.) Nina: Guten Appetit, Herr Schmalz-Malinowski. (Sie geht zum Wagen, um das Tablett für Krankenzimmer #2 zu holen, da geht die Tür von Krankenzimmer #1 erneut auf und Herr Schmalz-Malinowski wirft das Tablett demonstrativ mitsamt Essen und Geschirr in hohem Bogen hinaus, sodass es laut scheppernd zu Boden kracht.) Nina: Oh nein! Herr Schmalz-Malinowski! Warum können Sie Ihr Essen nicht bei sich behalten? (Sie kniet nieder und sammelt die Scherben auf. Da tritt Dr. Frahm von LV wieder auf und bleibt ahndevoll neben der bedauerlichen Nina stehen.) 4

Frahm: Na, Aschenputtel, hat Herr Schmalz-Malinowski sein Tellerchen nicht aufgegessen? Nina: Nein, Doktor Frahm. Frahm: Und wem wird das vom Gehalt abgezogen? Nina: Mir, Doktor Frahm. Frahm: Genau. Das Ninchen, das muss zehnten gehen! (Er tritt demonstrativ durch den Scherbenhaufen auf die Pathologin zu. Während des folgenden Dialoges zwischen Frahm und Schlachter kehrt Nina die Scherben zusammen und serviert den Patienten aus Krankenzimmern #2 & #3 ohne weitere Vorkommnisse ihr Frühstück. Anschließend geht sie LH ab.) Frahm: Frau Schlachter! Schlachter: Sie wollten mich sprechen? (Kurzer Händedruck.) Frahm: Frau Schlachter, mir ist zu Ohren gekommen, dass es in der von Ihnen geleiteten Pathologie in jüngster Zeit zu Ausschweifungen gekommen ist. Schlachter: Ich wüsste nicht... Frahm: Verkaufen Sie mich nicht für dumm! Ich weiß haargenau, was Sie und Ihre Saufbrüder da unten treiben! Sie haben für menschliche Körper vorgesehene Kühlfächer zweckentfremdet, um köstliches Hefeweizen und mild gewürztes Grillfleisch kühl zu lagern! Schlachter: Es war noch so viel übrig von der letzten Mottoparty... Frahm: (lacht übertrieben und verstummt augenblicklich mit harter Miene) Sollten solche fahrlässigen und unentschuldbaren Vorgehensweisen in meinem Haus Schule machen, Frau Doktor, bin ich verpflichtet Maßnahmen zu ergreifen, die Ihren gemütlichen Lebensabend auf Honolulu in weite Ferne rücken lassen! Habe ich mich klar ausgedrückt? Schlachter: Ja, Herr Doktor! Frahm: Wer ist der Größte? Schlachter: Sie, Herr Doktor! Frahm: Abtreten! (Schlachter will LV abgehen, da kommt ihr der Hausmeister, Herr Streit, entgegen. Er hat einen Beutel tautropfendes Fleisch in der Hand. Dr. Frahm hält einen kurzen Schwatz mit der Oberschwester und nimmt keine Notiz vom folgenden Dialog.) Schlachter: (will verhindern, dass er gesehen wird) Tun Sie das weg, um Himmels Willen! Streit: Ich wollte meinen Augen nicht trauen... Vier Kilo bestes Kängurufleisch. Das kann ich jetzt wegwerfen... Schlachter: Die haben mir den Saft abgedreht... Streit: Und das schöne Bier... importiert aus Panama... Schlachter: Psst! (deutet auf Frahm) Er weiß es! 5

Streit: Gut. Er hat mich angepiept. Dem werde ich die Leviten lesen! (Auftritt Doktor Schwarz in Motorradkluft von RV. Er nimmt den Helm ab und geht schnurstracks auf den Ärzteraum LH zu.) Schwarz: (unverständlich murmelnd) Morgen. (Alle murmeln routiniert einen halbherzigen Gruß zurück. Abtritt Doktor schwarz LH.) Schlachter: Sie haben einen Pieper? Streit: Genau genommen ist es ein Dosentelefon. Zuverlässig und wetterunabhängig. Braucht keine Batterien. Ich halte nicht viel von modernem Technik-Schnickschnack. Schlachter: Verraten Sie ihm aber bloß nicht, dass Sie auch involviert sind, sonst ist bald der Teufel da unten los... Streit: Was verstecken Sie denn noch in Ihren Kühlkammern? Schlachter: Das geht keinen etwas an! Streit: Also gut. (drückt ihr das Fleisch in die Hand) Retten Sie, was noch zu retten ist... (Schlachter mit dem Fleischbeutel kopfschüttelnd LV ab. Streit geht energisch auf Frahm zu.) Streit: (schön böse) Suchen Sie Streit? Frahm: (empört) Wie bitte? Streit: Ob Sie Streit suchen? Frahm: Also, hören Sie mal... Streit: Ich bin Streit. Hausmeister Streit. Frahm: Aha. Gut. Streit: (überrascht) Ich arbeite seit Jahren hier... Frahm: (kurz angebunden) Schön. (Eine kleine Pause, in der Frahm Streit kritisch anschaut und Streit verlegen pfeift.) Streit: (rettet die Situation) Sie haben mich über mein Dosentelefon angepiept? Frahm: Oh ja, das Dosentelefon. Zuverlässig und wetterunabhängig. In medias res! Kommen Sie direkt mit! (Frahm geht auf Patientenzimmer #3 zu. Er öffnet die Tür und bittet den Hausmeister, einzutreten.) Streit: (stutzt) Sollten wir uns nicht erst einmal besser kennenlernen, eh wir uns ein Zimmer nehmen? Frahm: Ha! Selten so gelacht! Rein da! Streit: Donnerstagabend hätte ich Zeit. Ich kenne ein nettes kleines persisches Lokal in Bahnhofsnähe... Frahm: Genug der Späße, Hausmeister Krause, da drinnen tropft die Heizung, Menschenskind! Und die kaputte Niere in Bett 7 stimmt in diese Kakophonie ein! 6

Streit: Sagen Sie das doch gleich! Frahm: Außerdem kenne ich das persische Lokal in Bahnhofsnähe, meine Frau arbeitet dort und für ein erstes Date ist es da zu schummrig. Streit: Ihre Frau arbeitet in dem Lokal? Frahm: Nein, meine Frau arbeitet in Bahnhofsnähe! (Streit und Frahm verschwinden in Zimmer #3. Jens steht nach wie vor bei Hühnermörder am Tresen.) Jens: Hier ist ganz schön was los... Hühnermörder: Das war noch gar nichts. (Schwarz tritt, bemüht, nicht gesehen oder angesprochen zu werden, von LH auf und will direkt RH verschwinden, als ihm eine aufgelöste Vanessa von RH entgegentritt.) Vanessa: Doktor Schwarz, ich habe Sie überall gesucht! Schwarz: (stöhnt genervt auf, dann zynisch, als ob er geahnt hätte, was kommt) Das kann ich mir jetzt absolut nicht vorstellen. Auch kann ich mir nicht vorstellen, dass es ein Problem etwelcher Art geben könnte, obwohl das zweifelsohne der Grund ist, dass du mich mit verlaufenem Mascara und dem mit einem neuen Sprühstoß übertünchten, nicht abgewaschenen und neu aufgetragenen Parfüm, das du bereits gestern drauf hattest, aufsuchst. Denn immerhin steht vor mir eine ausgebildete, wenn auch aufgrund ihres labilen Gemütszustandes und der dritten Woche Nachtschicht in Folge – aber was soll’s denn, sie besitzt ja eh das Sexualleben einer Seegurke – nervlich runtergewirtschaftete Assistenzärztin im zweiten Praxisjahr mit einem dezenten Überbiss und lächerlich großen Füßen. Vanessa: (zögert) Doktor Schwarz, es gibt ein Problem! Schwarz: (unverändert zynisch) Ach was? Vanessa: Frau Hattenkerl hat eine Lymphdrainage verordnet bekommen und sollte zur ersten Massage abgeholt werden. Aber sie ist nicht aufzufinden. Schwarz: Die Lymphdrainage oder die Frau? Vanessa: Frau Hattenkerl. Schwarz: Frau wer? Vanessa: Hattenkerl. Elfriede Hattenkerl. Schwarz: (genervt, hält die Hand auf) Gib mir das Klemmbrett! (Schwarz nimmt das Klemmbrett entgegen, schaut flüchtig drauf und haut es Vanessa im gleichen Zug ermahnend-belehrend und ohne Wucht auf die Stirn.) Vanessa: Au, meine Fontanelle! Schwarz: Punkt eins: Solch einen Namen, gleichwohl wie eindringlich man dich auch vom Gegenteil zu überzeugen versucht, gibt es nicht! Da hat sich jemand einen Spaß mit dir erlaubt und darüber hinaus einen längst überholten. Punkt zwei: Eine deinem Fahndungsprotokoll entsprechende Patientin steht gerade bumsfidel im Ärztezimmer und singt „I got you Babe“, während sie einen ausgestopften Marder streichelt. 7

Vanessa: „I got you Babe“? Das ist Frau Hattenkerl! Schwarz: Vielleicht möchtest du sie wieder auf ihr Zimmer zurückbringen, wo sie ungestört weiter für den (übertrieben französisch) Grand Prix Eurovision de la Chanson, oder wie es Neudeutsch heißt: (übertrieben Englisch) Eurovision Song Contest proben kann? Vanessa: (kleinlaut) Ja, gern! (Vanessa geht auf das Ärztezimmer LH zu, Schwarz will RH ab, da ruft ihm Vanessa hinterher.) Vanessa: Doktor Schwarz? Schwarz: (entnervt) Ja? Vanessa: Zu Ihnen schaue ich auf! Sie sind mir Vater und Mentor. Schwarz: (unterbricht sie) Vanessa... (schüttelt den Kopf)... tu das nicht! Vanessa: (senkt enttäuscht den Kopf, besinnt sich und geht ins Ärztezimmer) Frau Hattenkerl... Frau Hattenkerl... putt putt putt! (Vanessa LH ab. Schwarz geht zum Schalter und wirft einen Blick in eine Krankenakte.) Schwarz: Chaoten wie sie sind der Grund, warum ich mich oft mit meinen besten Kumpeln Jack und Johnny in die Sauna setze, sie leere und langsam aber sicher durch die Doppelwirkung von Alkohol und Hitze einschlafe, mit der leisen Hoffnung, alle Unbill werde ein Ende haben. (wendet sich Jens zu) Junge, wenn ich dir einen Rat geben darf: Werde niemals Arzt. Denn, so schön das viele Geld, der Ruhm, der Dank der Geheilten und die durch plastische Chirurgie aufgemöbelten Flittchen auch sein mögen, sei froh, dass du heute entlassen wirst und aus diesem Irrenhaus herauskommst. Jens: (tippt auf seinen Ärzteausweis) Heute ist mein erster Tag! Schwarz: Wie lange, glaubst du, dass du durchhältst? Jens: Bis zur Rente. Schwarz: (hell) Ha! Jens: (stemmt die Arme in die Hüfte) Ich meine es ernst: Ich bin zäh! Nichts kann mich schockieren. Schwarz: (sardonisch schwelgend) Du erinnerst mich an mich selbst. Natürlich hatte ich eine geradere Haltung, eine saubere Aussprache und Perspektive, aber wenn man das alles weglässt, bist du ich. Ich war ehrgeizig, dynamisch, unaufhaltsam. Ich glaubte, die Welt bei den Hörnern packen, sie nach meiner Pfeife tanzen lassen zu können. Aber dann ist mir etwas widerfahren, das meine Luftschlösser hat zusammenstürzen lassen. Jens: Was denn? Schwarz: Die Realität! Jens: (hält ihm die Hand hin) Ich bin Jens... (!! Wir erfahren seinen Familiennamen nie! Immer wird Jens unterbrochen, wenn er sich vorstellen will !!) Schwarz: (unterbricht) Gern bliebe ich noch zu Kaffee und Kuchen, aber da draußen gibt es Patienten, die erwarten, dass ich mit meinen Wunderhänden Wunder vollbringe.

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(Schwarz LV ab. Vanessa und Elfriede Hattenkerl im Krankenbettschlafanzug kommen zurück aus dem Ärzteraum LH. Vanessa führt die alte Dame behutsam auf Krankenzimmer #3 zu.) Vanessa: Kommen Sie, Frau Hattenkerl, zurück ins warme Bettchen. Hattenkerl: (singt mit Verve) „I got you Babe!“ Vanessa: (betüdelnd) Ja, richtig, Sie haben mich, Frau Hattenkerl, Sie haben mich. Hühnermörder: Halt! Der Hausmeister repariert gerade die lecke Heizung! Vanessa: Dann nehmen wir noch einen Augenblick in der Lounge Platz. (Frau Hattenkerl setzt sich, Vanessa geht zum Tresen herüber.) Vanessa: (grüßt schwach) Hallo. Jens: Ich bin Jens... Hattenkerl: (schmettert) „I got you Babe!“ (Wiederauftritt Doktor Schwarz von LH mit einem Kaffeebecher in der Hand.) Schwarz: Holla, holla, seit wann tritt die denn wieder auf? Hattenkerl: (schmettert) „If I could turn back time...“ Schwarz: Ja, wärste da mal früher draufgekommen! (zu Vanessa) Wartet Cher auf eine Lippenaufspritzung oder warum sitzt sie in der VIP Lounge? Vanessa: VIP? Schwarz: „Very impertinent Patient“! Vanessa: (lacht schwach) Nicht Cher! Frau Hattenkerl! Schwarz: Hör zu, Uschi Unbelehrbar! Schreibe fein leserlich mit: das ist kein Name! Vanessa: Sehr wohl! Schwarz: Kein Mensch in der freien Welt und einigen konvergenten Teilen Chinas hört auf so einen belämmerten Namen! Vanessa: Fragen Sie sie doch selbst! Schwarz: Das werde ich und ich freue mich bereits jetzt auf dein dummes Gesicht. Vanessa: Wollen wir wetten? Schwarz: (siegessicher) Jeden Einsatz! Vanessa: Wir müssen nicht wetten, wenn Ihnen das Risiko zu hoch ist. Schwarz: 20 Mücken! Vanessa: Begongt! Schwarz: Jetzt gehst du unter! (geht zu Elfriede Hattenkerl herüber und spricht ihren Namen allgemein in den Raum, um zu schauen, ob sie darauf reagiert) Frau Hattenkerl? 9

Hattenkerl: (dreht sich um) Ja? Schwarz: (kämpft gegen das Erstaunen, dass Elfriede auf diesen Namen reagiert und muss dabei einen plausiblen Grund vorweisen, warum er sie angesprochen hat, zieht einen Füller aus der Kitteltasche) Äh... Sie haben Ihren Füllfederhalter im Kernspintomographen liegen lassen. Hattenkerl: Das ist nicht meiner. Schwarz: Mein Fehler. (dreht sich den anderen zu) Ich fasse es nicht! Es IST ihr Name! Vanessa: Also? Schwarz: „Also“? Vanessa: Meine zwanzig Mücken? Schwarz: Träum weiter! (Wütend, eine Wette verloren zu haben, dampft Dr. Schwarz RH ab.) Jens: Das war sehr eindrucksvoll! Vanessa: Danke. Es bedurfte langer und minuziöser Planung, Doktor Schwarz dranzukriegen. Er kann Angst riechen. Jens: Ich bin Jens... Hattenkerl: (temperamentvoll wie zuvor) „My Baby shot me down!” Hühnermörder: Hat sie den Sender gewechselt? Erst Cher und jetzt Nancy Sinatra? Jens: (packt auftrumpfend unnützes Wissen aus) Genaugenommen ist es noch derselbe Sender, denn es war Cher, die den Song „Bang Bang“ mit dem eben kraftvoll intonierten Untertitel „My Baby shot me down!“ erstmals einspielte und zwar im Jahre 1967. Nancy Sinatra war es, die nur wenig später eine moderat gelungene Coverversion aufnahm, die damals kaum Aufsehen erregte. Erst mit der Übernahme des Liedes in den „Kill Bill“ Soundtrack durch Quentin Tarantino wurde es bekannter. Da wir gerade von „bekannter“ sprechen: Kaum einer weiß, dass Chers bürgerlicher Name Cherilyn Sarkisian ist. Verrückt, oder? (Hühnermörder und Vanessa schauen Jens prüfend an, dieser Informationsregen war ein wenig zu viel des Guten.) Jens: (bemerkt die Blicke und will sich stotternd rechtfertigen) Mir war langweilig. (Auftritt Streit und Frahm aus Krankenzimmer #3.) Streit: Diese Heizung wird vorerst nicht mehr aufmucken. Frahm: (froh, den Hausmeister los zu sein) Danke! Streit: Deine Mama! Frahm: Wie war das? Streit: Ich sagte: vergessen Sie nie mein Motto „wer Streit sucht, der bekommt auch Streit“. (Frahm nickt und geht zu den Schwestern herüber. Streit hingegen geht in die andere Richtung.)

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Streit: (beiseite) Reiten Sie nur weiter auf Ihrem hohen Ross, Dr. Frahm, kantappa kantappa in den Wald hinein! Eines Tages wird es sich die Haxen brechen und den Reiter unsanft abwerfen. Sie werden es mir büßen, dass Sie mein panamaisches Bier konfisziert haben! Beim Hammer Thors, das schwöre ich! (Streit LV ab. Vanessa geht zu Frau Hattenkerl.) Vanessa: Kommen Sie, Frau Hattenkerl, ich bringe Sie auf Ihr Zimmer. Hattenkerl: Gern, Kindchen. Vanessa: (nimmt sie beiseite) Danke, dass Sie mitgespielt haben. Hattenkerl: Gern geschehen. Vanessa: Es war mir so wichtig, Dr. Schwarz eins auszuwischen. Immer schwebt er über allem wie ein unfehlbarer Halbgott. Ich weiß Ihre Mithilfe zu schätzen, darum nochmals danke, Frau... Hattenkerl: ... Brust. Anne Brust. So wie in „er fasste mir Anne...“ Vanessa: Ja, ja, hab’s kapiert! (Vanessa will „Elfriede“ auf Zimmer #3 bringen, da tritt unerwarteter Dinge Doktor Bösenberg, der Schönheitschirurg, aus. Ein Raunen geht durch die Anwesenden.) Hühnermörder: (schwärmerisch) Oh! Vanessa: (schwärmerisch) Oh! Hattenkerl: (schwärmerisch) Oh! Jens: Wer ist das? Hühnermörder: Dr. Bösenberg, der Schönheitschirurg und er ist auf Kundenfang. Jens: (interessiert) Aha. (Majestätisch schwebt Bösenberg durch den Raum. Er verteilt Visitenkarten an potentielle, weibliche Kundschaft, die bei seinem für die Männer nicht nachvollbarem Charme in schwärmerische Ekstase verfällt.) Bösenberg: (zu Vanessa) Sollten Sie sich jemals diese garstigen Tränensäcke entfernen lassen wollen, wenden Sie sich vertrauensvoll an mich. Vanessa: (nimmt die Karte) Oh... Bösenberg: Keine Namen, keine Warteliste, kein Bedauern. Nur eine Warteliste. Vanessa: Vielen Dank, Doktor Bösenberg. Frahm: (zu Hühnermörder am Tresen) Ich hasse diesen Kerl. Hühnermörder: Der hat’s drauf! Frahm: Ich weiß nicht, wie er es schafft, dass seine Hose nicht fortwährend runterrutscht bei dem ganzen Kleingeld in den Taschen. Hühnermörder: Neidisch? Jens: (zu Vanessa) Ein Schönheitschirurg in einem öffentlichen Krankenhaus? 11

Vanessa: Frahm hat ihm den Westflügel vermietet, um Geld ranzuschaffen... Bösenberg: (zu Elfriede) Sollten Sie jemals eine Gesichtsstraffung in Betracht ziehen, lassen Sie es mich wissen. Hattenkerl: (haucht) You got me babe! Frahm: (benimmt sich auch wie ein pubertierendes Mädchen, das Peter Kraus anhimmelt) Achtung, er kommt herüber, tun Sie so, als würden Sie arbeiten! (Jens, Hühnermörder und Frahm greifen in der Not zu lächerlich aussehenden Tätigkeiten.) Bösenberg: (zu Hühnermörder) Und wie geht es meinen beiden Lieblingsbrüsten? Frahm: (geziert, denkt er sei angesprochen) Ach, Herr Doktor, jetzt wo Sie gerade davon sprechen... Hühnermörder: Er hat mit mir gesprochen! Frahm: (stutenbissig) Pfff... (Frahm tritt beleidigt RH ab, heimlich schwärmt er ja auch für das Können des Schönheitschirurgen.) Bösenberg: Versprechen Sie mir eines! Hühnermörder: Alles, was Sie wollen! Bösenberg: Wenn Sie jemals die Entscheidung treffen, Hand an die Kullerchen zu legen, lassen Sie es meine Hände sein. Hühnermörder: (ohne nachzudenken) Passt Ihnen Dienstag? (Bösenberg reicht ihr mit einem charmanten Lächeln seine Karte, die Hühnermörder delikat versteckt. Bösenberg geht nach RV und bleibt noch einmal für einen Abschiedsmonolog stehen.) Bösenberg: (erlöserhaft) Wo immer die herabbaumelnde Haut am Oberarm einer von Sachertorte und Kreuzfahrten gegerbten Dame schlackert, dort werde ich sein! Wo immer ein unansehnliches A-Körbchen auf ein stadtfeines F-Körbchen aufgebläht werden will, dort werde ich sein. Wo immer ein Gesäß so üppig, dass man einen Zweimeterrangierabstandaufkleber braucht, dort werde ich sein! Schönheit ist meine Berufung. Die Welt ist hässlich, doch lasse ich sie erstrahlen. Amen. (Abtritt Doktor Bösenberg RV. Das göttliche Licht erlischt, ein Seufzer geht durch die Anwesenden.) Vanessa: (schwärmerisch) Ah! Hattenkerl: (schwärmerisch) Ah! Hühnermörder: (schwärmerisch) Ah! Jens: (schwärmerisch) Ah! Hühnermörder: Nachdem man die Flügelspitze eines Engels geküsst hat, fällt man unweigerlich in ein Loch. Jens: Oh ja! (Vanessa bringt Frau Hattenkerl in ihr Zimmer #3. Hühnermörder und Jens sind allein.) Hühnermörder: Sind Sie sich immer noch sicher, dass Sie hier anfangen wollen? 12

Jens: (gar nicht mehr so sicher wie am Anfang) Ähhh... - Dunkel -

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Episode 2: „September“ Neue Werbematerialien liegen herum, aktuelle Werbeposter medizinischer Apparaturen und Institute zieren die Wand. Herr Kules sitzt in der Lounge und liest in einem ausgelegten Magazin. Die am Tresen sitzende Schwester Hühnermörder ruft ihn auf. Hühnermörder: Herr Kules? Herr Kules: Hier ist einer! (Er legt die Zeitung beiseite und steht rüstig auf.) Hühnermörder: Ihre Kassenkarte liegt mir vor. Herr Kules: Korrekt. Hühnermörder: (nimmt sie in die Hand) Wie kommt die da hin? Herr Kules: Ich habe sie da hingelegt, damit Sie sie einlesen können. Außerdem wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie damit nicht herumwedeln würden wie mit einem Schwangerschaftstest. Es muss ja nicht jeder mitbekommen, dass ich mir keine Privatversicherung leisten kann. Hühnermörder: Wir nehmen keine Patienten auf. Herr Kules: (wenig erstaunt) Wie das so Gang und Gebe ist im Krankenhaus. Hühnermörder: (verbessert sich) Natürlich nehmen wir Patienten auf, aber sie werden uns geschickt. Wir sind keine Arztpraxis, wo man ohne Termin hereinspaziert, seine zehn Euro hinlegt und wartet, bis man vielleicht, so Gott will, drankommt. Herr Kules: Ach so, darum geht es! (zieht einen zehn-Euro-Schein aus der Hosentasche. Wie ein Hypnotiseur mit einem Pendel wedelt er damit vor der Nase der Oberschwester herum) Dieser druckfrische Schein wartet nur darauf, von Ihnen einkassiert zu werden. Sehen Sie nur wie magisch-anziehend die Unterschrift des Bankpräsidenten tanzt... Hühnermörder: (steckt ihn blitzartig ein) Also gut. (steht auf und reicht ihm die Hand) Was kann ich für Sie tun? Herr Kules: Ich möchte Samen spenden. (Das Händeschütteln verliert an Enthusiasmus, dann lässt Hühnermörder entrüstet los.) Hühnermörder: (konsterniert) Wem? Herr Kules: Einfach jedem. Herr Kules hat genug Liebe für alle. Erst letzte Woche wurden in Reutlingen Drillinge geboren. Hühnermörder: Und die gehen auf ihr Konto? Herr Kules: (holt einen Zeitungsartikel aus dem Portemonnaie) Da, sehen Sie! Der Knirps in der Mitte hat meine Nase. Hühnermörder: Und das war in Reutlingen? Sie gehen also mit ihrem Programm auf Tournee? Herr Kules: So kann man es formulieren. Hühnermörder: Aber warum kommen Sie damit zu uns? Herr Kules: Ich gehe alphabetisch vor. Von Aachen bis Zons. 14

Hühnermörder: Ich meine, in unsere Station. Wir sind dafür nicht zuständig. Herr Kules: Die Dame aus der Pathologie hat mich hergeschickt. Hühnermörder: Der Pathologie? Was wollten Sie denn da? Herr Kules: Dort hat man mich von der Radiologie hingeschickt, nachdem ich aus der Gynäkologie rausgeworfen wurde. Hühnermörder: Eine steile Karriere. Herr Kules: Hören Sie, (liest falsch vom Namensschild auf dem Tresen) Frau Hühnermörsel... Hühnermörder: Hühnermörder! Herr Kules: Umso schlimmer! Geben Sie mir einfach ein Döschen und ein Nacktmagazin und zeigen Sie mir den kürzesten Weg zum stillen Örtchen und ich bin glücklich. Ich muss heute nämlich noch in Gruiten und Radevormwald vorsprechen. (Als Herr Kuhles die Hand aufhält, stellt Hühnermörder das Döschen demonstrativ auf den Tresen.) Hühnermörder: Durch die Tür, die Treppe hinunter und dann im Zwischengeschoss. Als Anregung kann ich Ihnen höchstens ein „goldenes Blatt“ anbieten. Herr Kules: Wer ist auf dem Cover? Hühnermörder: Camilla Parker Bowles. Herr Kules: Beleidigen Sie mich nicht, Frau Hühnermöbel! Hühnermörder: (erregt) Hühnermörder! Herr Kules: (schnippisch) Wundert mich gar nicht! Ich finde selbst hinaus. (geht RH ab) Das war heute das erste und einzige Mal, dass ich HIER... ein goldenes Blatt … also wirklich... (Herr Kules ab. Hühnermörder arbeitet am PC. Auftritt Doktor Schwarz und Jens von LV.) Jens: (hektisch) Ich kann das nicht! Ich kann das nicht! Schwarz: Du musst es ihm sagen. Wir dürfen ihn nicht in falscher Sicherheit wiegen. Jens: Aber vielleicht verbessert sich sein Zustand ja noch …? Schwarz: Eher fallen Weihnachten und dein Stimmbruch auf einen Tag. Jens: Ich bin nicht gut darin, schlechte Neuigkeiten zu überbringen. Schwarz: Wenn du Arzt sein willst, gehört das dazu. Jens: Könnten Sie eventuell…? Schwarz: (im Kommandoton) Strammgestanden! Kinn hoch! Rückgrat rein! Abmarsch! (Jens geht in Zimmer #2. In fast gleicher Bewegung geht die Tür wieder auf und Jens kehrt zurück, es ist klar, dass er die Nachricht nicht überbracht hat.) Schwarz: Wie hat er es aufgefasst? 15

Jens: Völlig entspannt. (Schwarz starrt Jens böse an, da er weiß, dass er die Nachricht nicht überbracht hat. Zunächst erwidert Jens den Blick, senkt dann aber beschämt den Kopf.) Schwarz: Herrgottnocheins, Jenny! Herr Hodgenroth leidet aufgrund seines immensen Nikotinkonsums an AVK, die Kasse weigert sich… (Jens hebt den Finger, um einen klugen Kommentar loszulassen.) Schwarz: Unterbrich mich nicht! (nimmt Jens vorweg, was er sagen wollte) „AVK für die AOK“, sehr witzig. Mit arterieller Verschlusskrankheit ist nicht zu spaßen. Wir müssen ihn auf die Risiken hinweisen. Wenn er sich nicht einsichtig zeigt, muss sein Raucherbein amputiert werden. Jens: Sie heißen nicht nur Schwarz, Sie malen auch so. Schwarz: Alle Nase lang kommen mir Typen wie er unter und glaube mir, jedes Mal, wenn ich einen wie ihn wachzurütteln gedenke, indem ich ihn ans Fenster zitiere und ihm die schlaglochdurchpflügte, von mazedonischen Schwarzarbeitern namens Malek und Branko schlecht geteerte Hauptstraße unter dem der Anschaulichkeit wegen immer wieder gern genommenen Vortrag „das da ist Ihre Lunge“ zeige, fallen die Desinteresse und Ignoranz verratenen Antworten immer wieder gleich aus: „Sie übertreiben“, „ich kann jederzeit damit aufhören“ oder auch „einen Kerl wie ein Baum haut das nicht um“. Keine zwei Jahre später sind sie wieder da und jammern mir die Ohren voll, dass ich doch – bitte, bitte – ihre Organe retten soll, aber dann ist es im Regelfall für eine OP schon zu spät. Und jetzt reiche ich den Staffelstab feierlich an dich weiter. Jens: (versucht Zeit zu gewinnen) Was glauben Sie, warum er sich nicht bekehren lässt? Schwarz: Manche sind zu schwach, werden rückfällig und wiederum andere sind schlichtweg Idioten. Jens: (will weiter Zeit schinden, packt einen Schokoriegel aus und beginnt, ihn aus der Verpackung zu wickeln) Interessante These. Aber verallgemeinern Sie das nicht sehr stark? Schwarz: Möglich, aber die Sucht hat viele hässliche Gesichter. Alkohol, Tabak, Schokolade. (Schamgebeugt lässt Jens seinen Schokoriegel wieder verschwinden.) Schwarz: Oft fängt es harmlos an mit einer Mutprobe in der Schule, Neugier oder der alteingesessenen Angst, vom Rudel verstoßen zu werden. Jens: (will vom Thema ablenken) So so! Gleich ist Mittagszeit. Vielleicht wollen wir unser Gespräch in der Kantine fortsetzen? Ich gebe Ihnen ein BumbumEis aus. Denn, ich wollte es eigentlich für mich behalten, aber Sie sind mein Vorbild, mein freundlicher Despot und der Vater, den ich mir gewünscht hätte... Schwarz: (erwacht aus der Nachdenklichkeit) Was hast du gesagt? Jens: Sie sind der Vater, den ich mir... Schwarz: (unterbricht ihn) Nein, davor! Jens: Mein freundlicher Despot? Schwarz: Davor! Wie spät ist es? 16

Jens: Gleich zwölf. Schwarz: (entsetzt) Oh großer Gott! Jens: Nennen Sie mich einfach „Jens“! Schwarz: Ach du heiliges Kanülenrohr! Jens: Ist etwas nicht in Ordnung? Schwarz: Du hast ja keine Ahnung, was gleich passiert! Gott, und ich wollte längst weg sein! Jens: Weshalb die Panik? Schwarz: (ihm gelingt es nicht, relaxt zu wirken) Panik? Ich? Jens: Sie wirken so aufgelöst. Soll ich Ihnen eine Rückenmassage... Schwarz: Untersteh dich! Jens: Wir sind hier nicht auf der Flucht! Schwarz: Das sollten wir aber sein! Jens: Ach was, wovor denn? Schwarz: Vor dem, was gleich durch diese Tür da kommt! Es ist namenlos! Grotesk! Abgründig! Wir werden es nicht aufhalten können, denn es ist übermenschlich stark! Jens: Aber nein, Sie sind Dr. Schwarz, Sie sind der Eisblock unter den Ärzten. - Damit wollte ich nicht auf eine Bindungsphobie aufgrund emotionaler Unterkühlung hinweisen, sondern... Schwarz: Kannst du nicht einfach mal den Rand halten? Jens: Schwitzen Sie etwa? Aber wovor denn? (Da! Gewaltige Schritte, wie die eines Tyrannosaurus, zerschmettern das Gespräch. Sie kommen immer näher, werden lauter. Jens und Doktor Schwarz zittern angstgebeugt. Schlagartige Stille. Nach einer Pause geht die Tür auf und Doktor Schwarz’ Frau Sibylle betritt den Raum.) Sibylle: (mit einem kalten Grinsen) Schatz, hast du unsere Verabredung zum Mittag vergessen? Schwarz: Darf ich vorstellen: meine Frau. Jens: Hallo. Schwarz: Belzebubs Nachgeburt. Jens: Freut mich, Sie kennenzulernen, Frau Schwarz. Ich bin Jens... Schwarz: (schlägt seine Hand weg) Berühre sie nicht! Ihre Handrücken sondern ein Nervengift ab. Sibylle: Sei nicht albern. Willst du uns denn gar nicht vorstellen? Schwarz: Also fein! (deutet mit der Hand auf die jeweilig genannte Person) Jenny, meine Frau Salome; Salome, Jenny.

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Jens: (reicht ihr die Hand, flüstert) Ich heiße gar nicht Jenny. Dr. Schwarz und ich haben lauter lustige Namen für einander. Er nennt mich „Jenny“ und ich nenne ihn... (überlegt) ... „Doktor Schwarz“. Sibylle: (nimmt Jens ausgestreckte Hand entgegen) Sibylle Schwarz. (zu Schwarz) Du hast Recht, Schatz, sein Händedruck gleicht dem eines Mädchens. Jens: (zeigt seine Hand, erleichtert) Sehen Sie? Kein Gift! Schwarz: (zu Jens) Warte drei Minuten. (Auftritt Herr Kules RH mit einem zehn-Liter-Eimer, den er auf den Tresen stellt. Seine Mission war erfolgreich.) Herr Kules: Die Klofrau wartet auf ihr Trinkgeld. (Herr Kules geht in die Richtung des Ausganges, aus dem er eben kam.) Hühnermörder: Das ist nicht der Ausgang. Herr Kules: Habe ich gesagt, ich sei fertig? (Herr Kules ab.) Schwarz: (kopfschüttelnd) Sibylle, Sibylle, Sibylle. Ich kann mir nicht helfen, aber irgendwie siehst du anders aus. Sibylle: (wirft sich in Positur) Rate! Schwarz: (angestrengt) Die Adern an deinen Knöcheln pochen dunkelviolett, was bedeutet, dass du deine Vorliebe, die Schuhe zwei Nummern kleiner zu kaufen, als es deine Tapirfüße zulassen, nicht aufgegeben hast. Jetzt weiß ich es: du hast dein Medusenhaupt gebändigt und unter einer Perücke versteckt. Sibylle: Kalt. Schwarz: Du hast dir die schlaffe Haut an den Wangen mit Wäscheklammern am Hinterkopf zusammengeknotet? Sibylle: (presst provokativ ihre Brüste zusammen) Die hier habe ich mir geschenkt. Schwarz: (schaut höchst kritisch) Wovon?? Sibylle: Erinnerst du dich an die Rücklagen, die wir gespart haben, um deinen Hodenhochstand abermals begradigen zu lassen? Schwarz: Aber wann? Nach so einem Schönheitseingriff bleibt man noch einige Tage in der Klinik... es wäre mir aufgefallen, wenn... (ihm dämmert es) Ach, deshalb hatte ich soviel Platz im Bett und habe mich nicht in den Schlaf gezittert, weil ich deinen Todesodem nicht im Nacken und deine Knie nicht im Kreuz hatte. Sibylle: Ein Charmeur vor dem Herren. Schwarz: Ich will einen Namen! Wer hat das gemacht? Sibylle: Es war eine Koryphäe mit dem Skalpell. Ein junger Zauberkünstler mit zarten, einfühlsamen, geradezu magischen Händen. (mit einem breiten Grinsen, da sie die Reaktion ihres Mannes genießen will) Dr. Bösenberg. Schwarz: (ihm entgleisen alle Gesichtszüge) Du warst bei Doktor Busenberg? Jens: (lacht) Ha! Busenberg... 18

Sibylle: Er hat mir gegeben, was mir 15 Jahre Ehe mit dir genommen haben. Schwarz: Das war nicht ich, das war die Erdanziehungskraft! Sibylle: (demonstriert ihre neuen Errungenschaften) Dich fuchst es, dass du keine Macht über diesen Bereich ausübst! Schwarz: Das werden wir ja sehen! (Er geht ans Mikro hinter dem Schalter.) Hühnermörder: He! Schwarz: (ins Mikro) Dr. Bösenberg umgehend auf Station A38. (Prompt geht die Tür von Zimmer #1 auf. Ein Lichtstrahl, ein Engelschor. Bösenberg ist da.) Schwarz: Das ging aber fix. Bösenberg: Wo soll ich Hand anlegen? Schwarz: Haben Sie meiner Frau die Brust vergrößert? Bösenberg: Kann sein. Kann mir die nicht alle merken. Sibylle: (winkt verspielt) Hallo, Doktor Samthand. Bösenberg: (erkennt seine Stammkundin) Ach, Sibylle! Ja, habe ich. Schwarz: Ich habe eine einfache aber wichtige Aufforderung an Sie: machen Sie das weg! Bösenberg: Bedaure. (Bösenberg ab in Zimmer #1.) Sibylle: Holst du bitte deine Jacke! Der Tisch bei Angelo ist für Viertel nach bestellt und du weißt, wie schwer es ist, bei Angelo einen Tisch zu bekommen. Schwarz: Angelo, Angelo! Seit du mit ihm geschlafen hast, höre ich immer nur „Angelo! Angelo!“ (resigniert) Du, Jenny, hältst die Stellung. Sei vorsichtig. Die wirft sich allem an den Hals, was jung und irgendwie verwendbar ist. Jens: (verlegen) Oh! Schwarz: Freu dich nicht zu früh. Die da tötet nach der Paarung! (Stille. Doktor Schwarz geht in den Ärzteraum LH, um seine Jacke zu holen. Genant schaut Jens weg, um keinen Augenkontakt mit der nicht abgeneigt wirkenden Sibylle herzustellen. Gelegentlich wirft er ihr doch einen Blick zu, um dann wieder geniert fortzuschauen. Ihre offensichtlichen Flirtversuche versucht Jens herunterzuspielen. Nach einer endlos scheinenden, von Peinlichkeit durchtränkten Stille kommt Doktor Schwarz in zivil wieder.) Schwarz: Und? Hat sie dich angefallen? Sibylle: (enerviert) Ich konnte mich gerade noch beherrschen. (Schwarz tritt neben seine Frau und prüft sie mit kritischem Blick.) Schwarz: Hast du dir die Zähne wieder mit Gin geputzt? Sibylle: (kontert) Hast du dir deine heute überhaupt geputzt? 19

Schwarz: (zu Jens) Du weißt, was du zu tun hast. (Doktor Schwarz nebst Frau RV ab. Jens lässt sich erleichtert auf die Couch im Wartebereich fallen.) Jens: (kleinlaut) Puh, Glück gehabt, dass ich sie mir vom Leib halten konnte. Sonst hätte sie mich verschlungen mit Haut und Haaren. Hätt’s ihr nicht verübeln können. (Auftritt Vanessa mit zwei Kaffeebechern von LH. Sie und Jens sind zur Kaffeepause verabredet.) Vanessa: Hi Jens. (reicht ihm einen Kaffeebecher) Hier, dein Kaffee. (Sie setzt sich neben Jens in die Lounge.) Vanessa: (sich entspannend) Ah! Fünf Minuten die Seele baumeln lassen. Das ist heute wichtiger denn je. Jens: (schaut enttäuscht in den Becher) Kein Karamellkaffee? Vanessa: Nein. Jens: Schade. Apropos „schade“. Wie war dein Date? Vanessa: Entsetzlich! Wir saßen bei mir auf dem ausziehbaren Sofa und aus der Anlage raunte Tom Jones „What’s new Pussycat“. Diese Frage hätte ich ihm gern beantwortet, aber dann geschah es. Er wechselte das Thema. Er war so weltfremd. Andauernd wollte er mir seine Videospielkonsole zeigen. Warum gerate ich immer an solche kindischen Pfeifen? Jens: (aufhorchend) Waren gute Spiele dabei? Vanessa: Ich treffe wohl nie den Richtigen. (Eine Pause, da Vanessa eine Reaktion erwartet und Jens an Videospiele denkt.) Jens: (besinnt sich) Was? Vanessa: Das wäre die Stelle gewesen, an der du mich hättest aufbauen sollen. Jens: Oh, entschuldige. (enthusiastisch) Noch einmal von vorn. Vanessa: Ich finde nie den Richtigen. (Eine identische Pause.) Jens: Was? Vanessa: Du hast deinen Einsatz verpasst. Jens: Tut mir leid, ich war abgelenkt. Vanessa: Wie viele Verabredungen mit Gefängnisbrieffreundschaften muss ich noch... Jens: Kannst du ihn fragen, ob er mir mal etwas ausleiht? Vanessa: (steht auf) Dieses Gespräch ist beendet! Jens: Nicht, wenn ich weiterrede. (Vanessa zögert.) Jens: Komm, setz dich! (ernst) Hör zu, du solltest dich nicht an jeden dahergelaufenen Popanz mit eklig dünnem Oberlippenbärtchen 20

verschenken, der versucht, dich unter dem Vorwand, er habe ein Trampolin, in seinen Garten zu locken. Vanessa: (setzt sich) Nicht? Jens: Vanessa, ich bin schlecht in solchen Dingen, wie auch in anderen, aber du verkaufst dich unter Wert. Erinnerst du dich an den angeblich adligen Rennfahrer? Vanessa: Emerson Fittipaldi der Jüngere? Ja. Was ist mit dem? Jens: Sein Ford Fiesta hatte keinen Türgriff auf der Innenseite der Beifahrertür. Vanessa: Glaubst du, das war eine Masche? Jens: (verdreht die Augen) Vielleicht solltest du nicht so sehr in die Ferne schweifen… Vanessa: Was meinst du? Jens: Möglicherweise ist dein Herzbube näher als du denkst… Vanessa: Sprichst du von dir…? Jens: Wer weiß? Vanessa: (lacht lauthals) Wir zwei? Ach Jens, bist du süß. Danke, dass du mich aufmuntern willst! Du bist wie eine Schwester für mich. (lacht wieder) Eine kleine Schwester. (Stille.) Vanessa: (wechselt das Thema) Wie schaut es bei dir in der Liebe aus? Jens: (in Bezug auf Sibylle) Ach, bin so eben drum herum gekommen. (Auftritt Doktor Frahm RH. Routiniert begrüßt er die beiden Assistenzärzte. Jens kennt das Prozedere mittlerweile und springt übereifrig auf. Vanessa hingegen bleibt unberührt sitzen.) Frahm: Guten Tag, liebe Kollegen und Kolleginnen des Heidi-KlumSanatoriums. Willkommen im Flügel A38. Wie ich sehe, sind Sie zahlreich erschienen! Folgen Sie mir zur Mittagsvisite auf eine Couch, die der Hausmeister und ich vom Sperrmüll gerettet haben. (Er lässt sich entkräftet fallen. Stille.) Frahm: Redet nur weiter, Kinder! Jens: (setzt sich) Wir waren gerade bei einem sehr persönlichen Thema. Frahm: (versteht) Und? Was glaubt ihr zwei Geburtshelferkröten, was ich jetzt tue? Eure Privatsphäre respektieren und mir eine andere Couch suchen? Das ist immer noch mein Krankenhaus und solange ihre eure dürren Beinchen unter meine Bahren legt, wird getan, was ich sage! Vanessa: Ein wenig Respekt vor dem Individuum sollten Sie schon aufweisen. Frahm: (nimmt Vanessa den Kaffeebecher aus der Hand) Sollte ich das? Vanessa: Das ist meiner! Frahm: Beschweren Sie sich doch bei Ihrem Chef! Hoppla, das bin ja ich! Tja, schade. 21

Vanessa: (stößt protestierend Luft aus) Frahm: (trinkt) Das ist ja gar kein Karamellkaffee. (gibt ihn Vanessa zurück) Da! (Auftritt Doktor Schwarz und seine Frau von RV.) Schwarz: Das war das letzte, ich wiederhole: das letzte Mal, dass ich mit dir diese „Trattoria Vagiterranea“ aufsuche! Sibylle: Hab dich nicht so! Angelo pflegt Freundschaften! Schwarz: Ich bitte dich! Der Mann serviert nicht nur frittierte Tintenfischärmchen, nein, er besitzt selbst welche und streckt sie in alle erdenklichen Richtungen aus. (Der Patientennotfallsummer auf Hühnermörders Schreibtischschaltpult leuchtet auf, sie geht in das Zimmer Herrn Hodgenroths (Zimmer #2). Sibylle ab RV. Schwarz setzt sich in die Lounge.) Sibylle: Du kennst ihn eben nicht so gut wie ich! Schwarz: Womöglich werden wir ja Busenfreunde, wenn ich mir selbige aufpumpen lasse? (Hühnermörder tritt aus Hodgenroths Zimmer #2.) Frahm: (zu Jens und Vanessa auf der Couch, seufzt) Ach, noch einmal jung zu sein, um die Liebe genießen zu können... Jens: (übertrieben schwärmerisch) Ja... Nie ist die Liebe so schön wie in der Jugend! Frahm: Sind Sie irre? Ich bin froh, dass ich das hinter mir habe! Schwarz: Übrigens Danke, Jens, dass du vergessen hast, Herrn Hodgenroth bescheidzustoßen. Ich habe mir erlaubt, es für dich zu erledigen. Jens: (erleichtert) Habe ich das vergessen? Schwarz: (gereizt) Ja, das hast du! Hühnermörder: Doktor Schwarz? Schwarz: Der ist zu Tisch. Hühnermörder: (unbeirrt) Doktor Schwarz? Schwarz: (bricht aus seiner Pause) WAS? Hühnermörder: Herr Hodgenroth wünscht ein persönliches Gespräch mit Ihnen. Schwarz: Ich habe ihm gesagt, was zu sagen war. Hühnermörder: Darum geht es. Er sagt, Sie hätten ihn aufs Gröbste beleidigt. Schwarz: Ich ihn beleidigt? Ich habe ihm seine Situation so weit an der Blume vorbei wie möglich darzulegen versucht, um ihn zur Vernunft zu bringen. (Hodgenroth tritt auf Krücken gestützt im Papierkleidchen aus Zimmer #2.) Hodgenroth: Also ist es üblich, Patienten als „inkonsequente Weichspüler“ oder „Trotzköpfchen“ zu bezeichnen?

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Schwarz: Herr Hodgenroth, wollen wir diesen Dialog nicht in die hypokratische Abgeschiedenheit Ihres Zimmers verlegen? Hodgenroth: Ich klingle seit einer Stunde Sturm, aber jemand schien wohl sehr mit seiner ‚Gala’ beschäftigt! (Alle schauen Hühnermörder an.) Hühnermörder: (sich keiner Schuld bewusst) Meiner ‚Man’s Health’! Schwarz: (wirft Jens einen bösen Blick zu) Herr Hodgenroth, Sie leiden an einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit und die Tatsache, dass Sie rauchen, verstärkt den Prozentsatz von Giftstoffen in Ihrem Körper nur noch. Ich habe nicht mehr getan, als Sie zu bitten, Ihre Einstellung zu überdenken, andernfalls sind Amputationen oder sogar Herzinsuffizienzen denkbar. Hodgenroth: Und darum gängeln Sie mich wie ein triefnäsiges Kind? Ich bin Broker! Stehe unter Strom! Dauerstress! Meine Adern pumpen Adrenalin! Brauche gelegentlich einen Ausgleich! Die Geschäftswelt ist tough, Gentlemen! Wer einknickt, ist out of business! Verstehen Sie meinen Gebrauch unangebrachter Anglizismen als Kompensation für meinen Hodenhochstand! High Balls! Schwarz: Bei allem Verständnis für Ihre traurige Situation... vielleicht sollten Sie sich darüber im Klaren sein, was es bedeutet, wenn Sie sich nicht am Riemen reißen. Und sollte es Ihnen nicht sofort dämmern, hilft Ihnen diese kleine, von uns improvisierte Nummer vielleicht auf die Sprünge. (Er bläst in eine Mundharmonika. Jens und Vanessa positionieren sich für eine Gesangsnummer. Nina schiebt ein Krankenbett herein. Das Lied passt perfekt auf die Melodie von Nancy Sinatras „Summer Wine“.) Schwarz: And a-one and a-two… Vanessa & Nina: (gesungen) Mit einer Säge kommt der Arzt in den OP Und amputiert das Raucherbein mit Knie und Zeh (Schwarz drückt Hodgenroth auf das hereingefahrene Krankenbett.) Schwarz: (gesungen) Im Yachtclub liebt der Connaisseur den blauen Dunst Wird die Gesundheit auch aus Vorsatz gern verhunzt, Jens: (gesungen) Man nimmt’s in Kauf, um Teil der Hautevolee zu sein Der Preis dafür ist oft ein... „appes“ Bein Jens & Schwarz: (gesungen) Oh-ho-ho... „appes“ Bein! (Hodgenroth zeigt sich unbeeindruckt.) Hodgenroth: (gesungen) Ich rauche Kette seit ich zwölf-dreiviertel bin Schwarz: (ironisch, gesungen) Was konsequent ist, ist nicht gleichsam Disziplin! Hodgenroth: (gesungen) Als Börsenmakler geh ich kein Agreement ein! Schwarz: (gesungen) Dann sagen Sie „so long“ zum „appen“ Bein! Alle: (außer Hodgenroth, gesungen) Oh-ho-ho... „appes“ Bein! Jens: (zu Hühnermörder, gesprochen) Das ist jetzt ein Nancy-Sinatra-Original! Hühnermörder: (gesprochen) Ja, Glückwunsch! 23

(Frahm tritt von LH mit einer ellenlangen Rechnung an das Bett heran.) Frahm: (gesungen) Die Krankenkasse jubelt und der Chefarzt strahlt, Wenn der Behandelte die stolze Rechnung zahlt Bald ist es aus mit Fußball und Wanderverein, Wenn Sie entbunden sind vom... „appen“ Bein! Jens: (gesungen) Oh-ho-ho... appes Bein! (Man tanzt weg. Streit tritt vom Rest ungesehen im Arztkittel, mit Stethoskop und Ärztetasche aus Zimmer #3 an das Krankenbett. Er reicht Hodgenroth seine Karte.) Streit: (gesungen) Hier meine Karte. Für den Fall, dass was passiert. Hodgenroth: (singt entsetzt den Anfang der Zeile) SIE sind der Arzt? Streit: (setzt die Melodie der Zeile gekonnt fort, gesungen) Ich habe Hausmeister studiert (Beim Wort „Hausmeister“ fährt er sich mit der Hand über den Mund, um das Wort unkenntlich zu machen, es könnte dem Klang nach tatsächlich ein renommierter Studiengang gewesen sein.) Streit: (hat eine Säge in der Hand, gesungen)) Mit dieser Säge komme ich durch Holz und Stein. (Streit setzt die Säge am Arm an. Als er vom Patienten belehrt wird, steckt er sie ein und flüchtet.) Hodgenroth: (verbessernd, gesungen) Es geht nicht um den Arm! Es geht ums Bein! Streit: (in Türnähe, gesungen) Oh-ho-ho... „appes“ Bein! (Das große Finale steht an. Hodgenroth scheint sich zu wandeln!) Alle: (außer Hodgenroth, gesungen) Mit einer Säge kommt der Arzt in den OP Und sägt das Bein zum Stumpen... Hodgenroth: (setzt die Zeilenmelodie durch, gesungen) ... Junge, tut das weh! Alle: (gesungen) Drum seid vernünftig, Leute, stellt das Rauchen ein! Sonst wär’s geschehen um das... „appe“ Bein! Hodgenroth: (gesprochen) Sie haben mein Leben verändert! Danke, Doktor Schwarz, Ihnen und Ihrem überzeugenden, unaufdringlichen und spontanen Lied! Alle: (als Schlusspunkt der Szene, gesungen) Oh-ho-ho... appes Bein! - Dunkel -

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Episode 3: „Oktober“ Als das Licht angeht, schiebt Jens Fiona Lehmann, eine junge, an diabetischer Retinopathie leidende Patientin, die eine Sonnenbrille und einen Bademantel über dem Krankenhausnachthemd trägt, aus Patientenzimmer #1 in einem Rollstuhl in Richtung Radiologie HR. Fiona: (setzt ihre vorher begangene Erzählung fort) … also habe Ich begonnen, Architektur zu studieren und hatte schon einen Job in Aussicht bei Wim Patatkraam van de Kruupen und Partners in Rotterdam. Ich wollte schnuckelige Häuschen designen. Wie heißt es doch so schön: „Designen gibt’s der Herr im Schlaf.“ Jens: (lacht, verlegen) In der Radiologie wird man Sie auf Herz und Nieren prüfen. Fiona: Die funktionieren aber einwandfrei... (seufzt) Diabetische Retinopathie. Seit meinen frühen Kindertagen plage ich mich damit herum und über die Jahre ist es schlimmer und schlimmer geworden. Rolltreppe abwärts! Dabei war ich ansonsten topfit... jetzt muss ich auf Vieles verzichten… (seufzt) Jens: (will vom Thema ablenken) Wissen Sie, woher das Wort „topfit“ kommt? Fiona: (verwirrt) Nein… Jens: Ich auch nicht… Fiona: (lacht, dann sinnierend) Einen Großteil meiner Kindheit habe ich in Fachkliniken verbracht, bin mit den Experten des Landes per „du.“ Sie taten alles, aber mein Körper verweigert die Zusammenarbeit, dieses Mistviech. Und jüngst häufen sich die Tage, an denen ich fast gar nichts mehr sehe. Dabei schaue ich doch so gern auf vorbeiwackelnde Gesäße... Jens: (angetan) Ja? Fiona: Ich bin so oft schon als „geheilt“ entlassen worden... doch immer wurde ich kurz darauf wieder eingeliefert. Bald bin ich blind wie der Maulwurf aus der Sendung mit der Maus. Jens: (euphorisch) Der ist toll, oder? Fiona: (ebenso euphorisch) Ja! Jens: Kennen Sie die Episode… Fiona: (unterbricht ihn) Ja! Jens: (fasziniert) Ich liebe belesene Frauen! Fiona: Das Lesen kann ich auch bald aufgeben. (dezidiert) Ist bestimmt ein Tumor. Zumindest kann ich dann von mir behaupten, ich hätte es faustdick hinter den Ohren! Jens: (leicht überrollt) Faustdick…? Fiona: Ein Tumorwitz. Jens: (lacht unbeholfen, dann versucht er abzuwiegeln) Ach, keine Panik, Ihre Sehschwäche kann viele Ursachen haben: Bluthochdruck … Leberzirrhose… (will den dunklen Pfad mit einem Scherz verlassen) Cannabiskonsum. Fiona: (ungläubig) Was? Sie veräppeln mich.

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Jens: Ja, das tue ich! Wir machen jetzt erst einmal eine anständige Angiographie, um uns ein genaueres Bild machen zu können und dann werden wir weiter... (beißt sich auf die Lippe) Fiona: „Weitersehen!“ Jens: Wie bitte? Fiona: „Weitersehen!“ Ich glaube, das wollten Sie sagen... Jens: (wiegelt ab, verspricht sich und verbessert sich, in dem er die Verbesserung lauter ausspricht) Da haben Sie sich verguckt! - hört! Fiona: (lächelnd) Sie sind süß. Jens: Ich? Nein! Oder doch? Fiona: (lächelt) Sie genieren sich. Jens: (verlegen) Jetzt hören Sie schon auf! Fiona: (lächelnd) Es ist Ihnen unangenehm. Jens: Unsinn... Fiona: Das finde ich sehr sexy. Jens: So was von unangenehm! Fiona: (überlegt kurz) Ich werde in ein paar Tagen entlassen. Was hielten Sie davon, wenn wir zwei Hübschen uns einen sonnigen Samstag aussuchen, an dem wir beide nichts vorhaben und ich führe Sie schick aus? Jens: (euphorisch) In den Märchenwald? Fiona: (zuerst etwas überrascht, dann geht sie darauf ein) Notfalls. Jens: (schwelgt in der Vergangenheit) Als Kind habe ich mich da einmal auf die Nase gelegt, weil ich zu schnell zum Dornröschenpavillon geflitzt bin. Und ein Pony hat mir meinen Hosenknopf weggefressen. Fahren wir auch mit dem Tierkarussell? Ich sitze immer besonders gern in der Schildkröte. Fiona: (sexy, zeigt ihr überlegenes Wissen) In welcher? Es gibt zwei! Jens: (erfreut) Sie sind gut! (weniger erfreut) Aber ich befürchte, da wird uns jemand einen Strich durch die Rechnung machen. Fiona: Der alte Hippokrates? Jens: (nickt betroffen) Fiona: Und wenn sich zwei Privatpersonen rein zufällig an der Käsetheke treffen? Hätte der alte Grieche da auch etwas gegen? Jens: (flapsig) Ach, das wäre ihm egal! Fiona: Umso besser! Also, sobald ich entlassen werde, rufe ich Sie an. Jens: Ja, das können wir ins Auge fassen! (unmittelbar wird ihm dieser Ausspruch peinlich) Hoppla…

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Fiona: Entspannen Sie sich. Wissen Sie warum ich Ihnen ein ungezwungenes Tête-à-Tête auf Augenhöhe abschwatze? Jens: Nein, weshalb? Fiona: Ich habe ein Auge auf Sie geworfen! (Jens stößt einen übertriebenen, fast grunzähnlichen Laut hervor, der als Lachen geplant war. Er schiebt Fiona RH hinaus. Auftritt Doktor Schwarz mit einem leeren Rollstuhl von LV. Er will einen Patienten, der an einer Varizella-Zoster-Virus-Infektion erkrankt ist, zu weiteren Untersuchungen abholen. Frivol singt er ein Liedchen, um sich einzustimmen. Sein verballhornender Text passt wunderbar auf Edith Piafs „La Vie en Rose“. Währenddessen kommt Nina von LH mit dem altbekannten Servierwagen vorgefahren und will den Patienten das Mittagessen bringen.) Schwarz: (singt) Wenn der Ausschlag feurig juckt, Der Herpes Zoster muckt, Dann hast du Gürtelrose Wenn der Ausschlag eitrig nässt, Durchläuft man manchen Test Mit Kratzen in der Hose Hübsch mit Pusteln übersät Versteckt sich der Ästhet Und dann die Diagnose: Sie haben Gürtelrose... (Nina wirft Schwarz einen finsteren Blick zu, dieser verstummt augenblicklich. Nina nimmt enerviert das erste Tablett und serviert es nach Zimmer #2.) Schwarz: Sie mögen La Piaf nicht? Nina: Ganz im Gegenteil, Doktor Schwarz. (Sie öffnet die Tür, reicht das Tablett kurz angebunden hinein. Hühnermörder tritt von RV auf und setzt sich mit ihrem Mittagessen vom Chinesen an ihren Arbeitsplatz.) Nina: Umso schlimmer, dass zynische Misanthropen wie Sie ihr großes Erbe mit Füßen treten. Andere Chanteusen wie Mireille Mathieu, der Spatz von Avignon, Nana Mouskouri, die Eule aus Athen oder Florian Silbereisen, der Wiedehopf der öffentlich Rechtlichen, können ihr niemals das Wasser reichen. Sie reißen Witze über Menschen, die schwerkrank sind und pervertieren hohes Liedgut. Welches Lied würden Sie parodieren, wenn die letzte Überlebenschance eines schwerkranken Alkoholikers in einer Lebertransplantation bestünde? Schwarz: „Wir wollen niemals auseinander gehen“? (Sie nimmt wütend das zweite Tablett.) Nina: Doktor Schwarz, ist das Ihr Ernst? Schwarz: (ernst) Natürlich nicht. (nach einer Pause) Mir fallen lustigere Sachen ein, wenn ich getrunken habe. (Sie öffnet wütend die Tür zu Zimmer #3 und serviert.) Nina: Doktor Schwarz! (Sie stellt das Tablett im Patientenzimmer ab und schließt die Tür.) Schwarz: Immer mit der Ruhe, Sie Rächerin der Witwen und Waisen! Frau Russo hat sich mit dem Varizella-Zoster-Virus infiziert. Ja und? (In diesem Moment geht die Tür von Zimmer #3 auf und das Tablett kommt, wie bereits im ersten Bild, im hohen Bogen geflogen und fällt krachend zu Boden.) 27

Schwarz: Deckung! (Er reißt Nina heldenhaft zu Boden.) Nina: Was war das denn? Hühnermörder: (essend) Hatte ich vergessen zu sagen: Herr Schmalz-Malinowksi ist zurück. Seine Zyste ist wieder aufgegangen. Nina: Ist ja herrlich! Hühnermörder: (nach einer Pause, sarkastisch) Oh, lassen Sie sich Ihre Mittagspause nicht dadurch verderben. Ich hole schon einen Mopp. (Hühnermörder ab.) Schwarz: Frau Russos Behandlung mit Virustatika schlägt hervorragend an und in ein paar Tagen ist sie wieder auf den Beinen, also trete ich damit niemandem auf die Füße. Nina: (nach bösem Blick) Ihr Glück! Schwarz: (fährt weiter, abschließend) Und selbst, wenn es so wäre... pfff...! (Auftritt Frahm von RH. Eine erneute Ansprache braut sich zusammen. Nach wenigen Worten sprintet Jens herein, der die Ansprache nicht verpassen will. Eine murrende Vanessa zieht er hinter sich her.) Frahm: Guten Morgen, liebe Kollegen und Kolleginnen des Prof.-Dr.Gabriele-Pauli-Sanatoriums. Die Gleichberechtigungsbeauftragte der Anstalt, Frau Dr. Frucht-Patschulke, hat mir unter Androhung von Strafe verboten, die Kollegen vor den Kolleginnen zu nennen, denn das sei mittelalterlich und unansehnlich. Aber das ist sie auch, daher pfeif ich drauf! Schwarz: Was soll das Grinsen, Frahm? Was haben Sie vor? Frahm: Nichts Außergewöhnliches, außer... (mit diabolischem Grinsen) Die Kollegen und Kollagen aus der Entbindungsstation zelebrieren heute ihren jährlichen Betriebsausflug mit – hören Sie nur, wie passend der Zusammenhang – Kind und Kegel. Das Los der Vertretung ist – oh Wonne! Oh Freude! – auf uns gefallen. Die Kollegen und Kolleginnen von Station A38. Gratulation! Der Stationsarzt hat uns folgende Grußworte geschickt: (fischt eine Karte hervor) „Danke, dass ihr uns von unserer Pflicht für einen Tag „entbunden“ habt. Die Kollegen und Kolleginnen, unterzeichnet Doktor Miguel de los Pechos.“ Schwarz: Ich habe nie von einem Doktor de los Pechos aus der Entbindungsstation gehört. Jens: Aber er sendet uns liebe Grüße. Schwarz: Und er hat die gleichen frauenfeindlichen Allüren wie ein gewisser... (reißt Frahm die Karte aus der Hand, liest) Das ist Ihre Handschrift, Albert! Frahm: Hatte ich vergessen, dass Miguel de los Pechos ein Pseudonym von mir ist? Vanessa: Sie sind der Stationsarzt der Entbindungsstation? Frahm: Wenn es darum geht, eine Butterfahrt ins Grüne zu machen und diesem Ort für wenigstens einen Tag zu entkommen... (zupft die Karte aus Schwarz Hand) kann ich von so gut wie jeder Station der Leiter sein. (in Türnähe) Bis neulich, meine lie28

ben Mitarbeiter oder wie mein Alter Ego Miguel sagen würde: „Hasta los Pechos“! (Frahm RV ab. Allgemeines Raunen.) Nina: Ach, kommt schon. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass gerade heute… (Da! Ein vermeintliches Poltern an der Tür RH. Unverhofft schauen alle gleichzeitig hinüber. Spannende Musik wie in einem Horrorfilm. Schweißperlen. Panik.) Vanessa: Habt ihr das auch gehört? (Angespannter Nervenkitzel. Dann wendet man die Köpfe von der Tür weg. Die Lage entspannt sich.) Schwarz: (abwiegelnd) Jetzt wollen wir mal nicht durchdrehen. Was denkt ihr, steht hinter der Tür? Der Klabautermann? Die unterfütterte Japanerin aus „The Grudge“? Meine Frau? Das Erwartete passiert nur im Schmierentheater! Unsere Fantasie hat uns einen Streich gespielt. Wir gehen jetzt wieder zurück auf „normal“ und vergessen diesen Vorfall einfach. Nina: (angestrengt) Doktor Schwarz hat Recht, es gibt nichts, wovor man sich fürchten... (Ein erneutes Poltern. Erneut gehen alle Köpfe wie mechanisch zur Tür.) Vanessa: (heiser) Irgendetwas ist da draußen! Schwarz: (erhebt sich angespannt, flüsternd) Okay, Kinder, das ist keine Übung! Jens: (bekommt vollkommen unangemessen einen Panikanfall) Sie werden uns überrennen! Überfahren werden sie uns! Niedermähen mit ihren dicken Babybäuchen! Schwarz: So ist es Recht, Jenny, immer Würde und Haltung bewahren! (Ein Moment trügerischer Stille.) Nina: Es ist verschwunden... Jens: (Themenwechsel) Vanessa, wie war eigentlich dein Date? Vanessa: Der Zeitpunkt ist etwas unpassend… Jens: Nein, er ist perfekt! (Erneutes starkes Rappeln an der Tür RH. Jens stößt einen hysterischen Schrei aus. Schwarz zur Tür. Jens packt eine Tüte Schokolinsen aus und beginnt, diese hypnotisiert zu essen. Nervennahrung.) Jens: (zu Vanessa) Weißt du, welche Nummer die im Automaten haben? Nina: Was haben Sie vor, Doktor Schwarz? Schwarz: Ich mache die Tür jetzt auf! Wir müssen uns der Angst stellen! Nina: (panisch) Sind Sie des Teufels? Schwarz: Sitz du nur brav weiter da und kau an deinen Fingernägeln! Nina: (lässt sich das nicht zweimal sagen) Okay! (Doktor Schwarz bleibt an der Tür stehen. Weiteres Pochen. Nervöse Spannung.) Vanessa: (flüsternd) Tun Sie das nicht! 29

Jens: (als stünde ein Menschenfresser hinter der Tür) Das sind sie! Ich habe schon oft von ihnen gelesen. Fachmediziner nennen sie (besonders betont) „Niederkommende“! Gehörnte Dämonen aus den tiefsten Schlünden der Hölle! Sie sind gekommen, um sich am Fleisch der Lebenden zu delektieren! (Schwarz atmet tief durch und öffnet die Tür. Davor – zur Erleichterung aller – Hühnermörder mit einem Mopp und diversen Rollen Küchenpapier, die ihr Gesicht verdecken.) Hühnermörder: Wie lange muss man klopfen, bis einer von euch Schmalspurkavalieren die Tür aufmacht? Nina: Frau Hühnermörder, Sie sind es. Jens: Gott sei Dank, sind Sie nicht schwanger. Hühnermörder: (nach einem kritischen Blick) Ich nicht, aber die Dame hinter mir. (Ein dramatischer Akkord. Ein Aufschrei. Der Hausmeister schiebt in weißem Kittel ein Krankenbett herein, darin eine Schwangere.) Schwangere: Danke, Doktor Oetker! Streit: Es war mir ein Vergnügen. So, Untertanen, der Blinddarm dieser Frau steht kurz vor der Explosion. Deshalb ist auch ihr Bauch so aufgebläht. Holt ihn raus. Euer Chefarzt hat gesprochen. Schwangere: Ich bekomme ein Kind. Streit: Ein Kind und eine Blinddarmoperation an einem Tag? Ja, ist denn heut schon Weihnachten? (Eine plötzliche Wehe verhindert, dass Schwarz Streit die Leviten liest.) Schwarz: Wir haben den Ernstfall tausend Mal bei ‚Emergency Room’ gesehen. Dann mal ab mit ihr in den OP. Streit: Willkommen in den Niederkunftlanden! (Nina, Schwarz, Jens und Vanessa mit der Schwangeren LV ab. Hühnermörder schließt sich der Gruppe neugierig an. Streit delektiert sich an Hühnermörders Mittagsessen. Dabei singt er ganz sacht ein Lied der britischen Band T'Pau.) Streit: (singt während er isst) Don't push too far Your dreams are china in your hand Don't wish too hard… (Text vergessen! Er überlegt) Nanana … (ist das der Text? Er überlegt) Nanana … China in your hand (Plötzlich kommt Frahm von RV hereingestürmt. Er trägt eine Sonnenbrille, ein buntes Hawaiihemd, Bermudashorts und ein Cappy von dem Vergnügungspark, in den der Ausflug ging. Eine große Portion Zuckerwatte in der Hand. Er ist wütend, dass man ihn abkommandiert hat.) Frahm: Eine Unverfrorenheit sondergleichen! Wenn ich diesen Kerl erwische, dem mache ich einen Einlauf, vom dem er seinen verwachsenen Enkeln noch erzählen wird! Streit: (unverschämt lässig) Kann ich Ihnen helfen, Kollege? Frahm: Haben Sie den Hausmeister gesehen? Streit: Ist eben vorbei gekommen, ein muskulöser, attraktiver Bursche. 30

Frahm: Wenn ich den in die Finger kriege...! Streit: (deutet auf eine Tür) Da lang! Was hat er verbrochen? Frahm: Er hat sich als Arzt ausgegeben und teilweise richtige Diagnosen gestellt. Dem ziehe ich die Hammelbeine lang! Da steht man zwei Stunden an, um im Freizeitpark mit dem flinken Fridolin zu fahren und gerade, wenn man an der Reihe ist, wird man angepiept! Streit: Schnappen Sie sich den Hochstapler! (Frahm stürmt zur Tür LH hinaus. Streit isst unbekümmert weiter. In einer fließenden Bewegung geht die Tür wieder auf und Frahm kehrt zurück, diesmal noch wütender als zuvor.) Frahm: (mit Zeigefinger, er hat Streit durchschaut) SIE! Streit: (wie ein Bond-Bösewicht) Ich habe Sie unterschätzt! Frahm: Solche Impertinenzen verbitte ich mir! Haben Sie zu viel Essigreiniger inhaliert? Was haben Sie sich dabei gedacht, hier einfach als Fachmediziner für... Streit: (vollendet seinen Satz) ... Popologie und Lochkunde... Frahm: ... zu praktizieren? Es hätten Menschen dabei verletzt werden können! Wir haben einen Ruf zu wahren. Jeder hat seinen angestammten Platz! Wie würde es Ihnen gefallen, wenn ich meinen Ärztekittel gegen einen Blaumann tauschen und die Toiletten schrubben würde? Streit: (drückt Frahm den Mopp in die Hand) Ich wäre hocherfreut! (Frahm nimmt den Mopp in beide Hände und zerbricht ihn mit einem Ruck über seinem Knie.) Streit: (entsetzt) Clementine! Frahm: Betrachten Sie sich hiermit als für den Arbeitsmarkt frei verfügbar! (Frahm wirft die zwei Mopphälften zu Boden.) Streit: Wenn Sie Spielchen spielen wollen, bitte sehr! Das kann ich auch! (Beide gehen in entgegengesetzte Richtungen ab. Streit dreht sich um.) Frahm: Guten Tag. Streit: (spielt einen Trumpf) Ob es dem vollbandagierten Herrn von der Ratingagentur in Zimmer 37 interessiert, wer ihn angefahren hat? Was meinen Sie, Herr Frahm? Frahm: (dreht sich um) Ich habe mich wohl verhört! Streit: Das liegt ganz an Ihnen. Seltsam nur, dass die Kühlerkuhle in Ihrem Cabrio exakt seinen Konturen entspricht... Frahm: (spielt mit) Woher? Streit: Ich saß hinter den Mülltonnen. Dort gehe ich immer hin, um zu weinen. Von dort aus hat man einen formidablen Blick. Frahm: Wie viel? 31

Streit: Beleidigen Sie mich nicht mit materiellen Dingen! Ich will Geld! Frahm: (lacht) Sie verzetteln sich, wenn Sie glauben, dass ich mich erpressen lasse. Streit: Höre ich fünfzigtausend!? Frahm: Sind Sie noch bei Trost? Streit: Vierzigtausend?! Frahm: Packen Sie Ihr Gerümpel ein und verschwinden Sie! Streit: Sechzigtausend und einen Rennwagen?! Frahm: (ihm platzt der Kragen) Das war ein tragischer Unfall! Das hat die von mir bezahlte Kommission schnell herausgefunden. Und damit Basta! (Frahm RV ab!) Streit: Runde eins magst du vielleicht gewonnen glauben, aber es gibt noch elf weitere und unverhoffter Dinge werde ich dich auf die Bretter schicken! (Streit LH ab. Auftritt Schwarz, Nina und Hühnermörder von LV. Alle sind abgekämpft.) Nina: Wer sagt es denn, wir haben ein wunderschönes Baby zur Welt gebracht. Hühnermörder: He, wer hat mein Mittagsessen? (Auftritt Jens mit dem Baby im Arm von LV.) Jens: (sanft) Sehen Sie, Doktor Schwarz. Da ist sie. Ein neuer Mensch ist geboren. Schwarz: Ganz toll, Jenny. Ich war bei der Geburt dabei. Jens: Es riecht so gut. Nina: Ist es nicht süß?! Schwarz: Wird die Mutter es nicht vermissen? Nina: Die Beruhigungsmittel nach dem Kaiserschnitt sind noch nicht abgeklungen, wir haben noch eine Minute. Jens: (dreht sich mit dem Baby im Arm zu Doktor Schwarz) Wollen Sie auch mal...? Schwarz: Danke, ich habe keinen Hunger. Jens: Nur einmal ganz kurz! Schwarz: Nein! Ich will nicht! Jens: Jeder Mensch will ein Baby halten! Schwarz: Das hat seine Gründe, Jenny! Jens: Seien Sie kein Frosch! Schwarz: Danke, nein... Jens: (verliert die Fassung, laut) Jetzt nehmen Sie das verdammte, himmlisch riechende Kind schon auf den Arm! 32

(Schwarz nimmt das Kind widerwillig auf den Arm.) Nina: Sehen Sie, da ist doch nichts dabei. Schwarz: Ihr zwei habt ja keine Ahnung, was ihr da auslöst! (Donner. Lichtflackern.) Nina: Was ist das? Schwarz: Ihr wolltet nicht hören! Durch eure Tat habt ihr den übelriechendsten, boshaftesten Schergen Luzifers aus seinem höllischen Pfuhl gelockt! (Erneuter Donner. Geisterhaftes Stöhnen.) Schwarz: Niemals hättet ihr mir das Baby geben dürfen! Dieser Behemoth kann das duftende Fleisch durch Feuer und Schwefel riechen... Nina: Ich habe Angst... Schwarz: Wir alle! Da! Er scharrt schon an der Tür! (Alle drehen sich erschrocken um, als Sibylle Schwarz zur Tür RH hereinkommt.) Sibylle: Rieche ich da ein Baby? Schwarz: Es ist zu spät! Lauft! Lauft! Kinder! Ich werde den Balrog aufhalten! (Er drückt Jens das Baby in die Hand und ergreift einen nahestehenden Tropfständer. Diesen rammt er wie Gandalf im Kampf gegen den Balrog in den Boden.) Schwarz: (laut, wie im Todeskampf) Du kommst hier nicht vorbei! Sibylle: (unbeeindruckt) Brüll hier nicht so rum, das hier ist immerhin ein Krankenhaus! (Sie geht auf das Baby zu. Ihre Ambivalenz wird deutlich: Mit Blick auf das Baby ist sie sanft und liebevoll, wenn sie sich ihrem Mann zudreht, gewohnt bissig.) Sibylle: Ist das Baby nicht goldig? Schwarz: Nein, ist es nicht! Sibylle: (ihm zugewandt) Dich hat keiner gefragt! (Sie wendet sich dem Baby zu. Schwarz startet stumm einen Finger-Countdown, da er weiß, welchen Satz seine Frau als nächstes sagen wird und in welchem Abstand er erfolgen wird.) Sibylle: Wann bekommen wir eins? Schwarz: Ich weiß nicht? Wann beginnen Harpyien in der Regel mit dem Nestbau? Sibylle: So ein süßes Wonnebündel ist genau das, was uns zu unserem Glück noch fehlt. Schwarz: Du sagst es klar und deutlich! Das fehlt uns gerade noch! Sibylle: Also möchtest du auch eins? Schwarz: Ohne dir zu nahe treten zu wollen: Zum Teufel noch, nein! Sibylle: (unbekümmert) Aber was frage ich dich? Ich werde es ja immerhin austragen! 33

Schwarz: Sibylle! (wie eine Drohung) Du kannst mir lieb zureden, du kannst mir schwören, dass du mich niemals verlässt, du kannst für mich kochen und mir mit noch tausend anderen Höllenfoltern drohen, aber egal, was du tust, du wirst mich niemals dazu bringen, vor dir die Hosen herabzulassen! Sibylle: Nenn es, wie du willst, aber heute Abend, wenn wir beide genug getrunken haben, stehen deine Jungs an der Startlinie! (Sibylle ab RV.) Schwarz: Vielen Dank, Jenny! Jens: Was war das? Schwarz: Das ungefähr war es, was Dante mit seinem „Inferno“ beschreiben wollte. Die Paarungswillige in ihrem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf. Nina: Naja, den Esel braucht Sie ja anscheinend noch... (Schwarz knurrt Nina an.) Nina: Ich sollte das Baby zur Mutter zurückbringen... Wenn es zu sehr nach Mensch duftet, nimmt sie es nicht mehr zurück. (Sie verschwindet LV. Stille. Jens legt seine Hand auf Schwarz Schulter.) Jens: Ich hatte keine Ahnung... Schwarz: Die hatte ich damals vor dem Altar auch nicht. Ich fühle mich ein wenig wie der alte Faust, ein alternder, abgehalfterter Intellektueller, nur dass Gretchen und Mephisto zu einem neuen Supergegner verschmolzen sind. (Schwarz hängenden Kopfes RH ab.) Jens: Wo gehen Sie jetzt hin? Schwarz: Meine Frau droht mir mit der Todesstrafe, wenn ich sie nicht binnen 24 Stunden besteige, also gehe ich meine Henkersmahlzeit einfahren! (Düstere Westernmusik. Der Held reitet zum letzten Gefecht zur Stadt hinaus.) Schwarz: Und Jenny... Jens: Ja? Schwarz: Sollte ich nicht überleben, gedenkt meiner als sardonischer Held und nicht als der kleine zitternde Haufen, der ich war, als meine Holde mir mitteilte, dass wir schwanger werden wollen. Jens: (mit übertriebener Westernmine) Sie sind der Held der Station! (Schwarz bewegt sich mit einem Ruck vorwärts und geht unter der Westernmusik RH ab.) Jens: (mit einer Träne im Knopfloch) Sie werden den Siedlern fehlen! (Die Musik verstummt. Vanessa rollt Fiona Lehmann von RV hinein.) Jens: Da kommt ja die Frau mit dem Durchblick! Fiona: Hallo, Doktor! Jens: Sie sehen umwerfend aus. 34

Fiona: Steht die Käsetheke noch? Jens: Hart und unbeugsam wie ein Harzer Roller. Fiona: Wunderbar. Jens: Dann also... Fiona: Wir sehen uns! Vanessa: Was geht denn hier vor sich? Fiona & Jens: Nichts! (Vanessa schiebt Fiona Lehmann in ihr Krankenzimmer. Kurz bevor sie in der Tür verschwindet, entwendet Jens ihr das Krankenblatt, das Vanessa unter dem Arm festgeklemmt hatte.) Vanessa: Das ist vertraulich... Jens: Frau Lehmann ist meine Patientin. (Vanessa und Fiona verschwinden im Krankenzimmer. Jens setzt sich auf die Couch. Er fischt einen Babysocken heraus und schnuppert daran.) Jens: (zum Publikum) Ja, ja. Den sollte ich zurückgeben, aber der riecht so gut nach Baby... Davon könnte man süchtig werden. Wäre auch eine Idee für ein Duftbäumchen im Auto – (groß) Baby! Ob Fiona auch eins haben will? Ich sollte sie vielleicht erst darauf ansprechen... (schmierig verklärt) Im Augenblick weht so viel Liebe durch unsere Station, dass man fast Lust bekommt, sie weiter zu geben... (Wir hören die OFFSTIMMEN der einzelnen Akteure in einer eindringlichen Montage:) Vanessa: Ich glaube, ich finde nie den Richtigen... Manchmal fühle ich mich wie auf der Resterampe liegengeblieben... Streit: Clementine! Ich weiß, dieses Panzertape um deine Hüfte sieht alles andere als erotisierend aus, aber sobald ich einen neuen Stiel für dich habe, wirst du wieder ganz die Alte sein! Sibylle: Schatz, warum sitzt du weinend in der Besenkammer? Schwarz: Geh weg! Sibylle: Hm... in einer Besenkammer ein Kind zu zeugen ist natürlich auch eine Option... Schwarz: Geh weg! Mit diesem geweihten Wasser vertreibe ich dich, Humunkulus! Sibylle: Das ist kein Weihwasser... das ist Massageöl! Schwarz: (schreit auf) NEEEEIIIIIIIN!!!!!!!!!!!!!!! Jens: (live ans Publikum) Auch wenn es manchmal etwas schwer fällt, so sollte man sich doch ab und zu zurücklehnen und das Leben, so wie es auf einen zukommt, genießen. Ganz egal, ob man dabei zwei Stunden am flinken Fridolin anstehen muss, man zu Dingen gezwungen wird, deren wunderschönes Ausmaß man im Augenblick noch nicht erkannt hat... (Er schaut auf Fionas Krankenakte. Sein gelassenes Gesicht verdeutlicht schlagartig Bestürzung.) 35

Jens: (geschockt) Oder ob einem ein Tumor aufs Auge drückt… (Entsetzt lässt er das Krankenblatt sinken.) - Vorhang Ende des ersten Aktes

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Speihusten-Intermezzo Nichts ist im Theater störender als hustende Zuschauer. Zunächst traut sich niemand, doch sobald einer loslegt, löst es eine Kettenreaktion aus. In dieser wortlosen „Entr’Acte“-Szene bieten wir den anonymen Hustern eine Plattform. Unter ärztlicher Aufsicht darf nach Leibeskräften der Spei der Jahrhunderte aus sämtlichen Nebenhöhlen katapultiert werden. Selbstverständlich rezeptfrei, damit es anschließend unverschleimt weitergehen kann. Der Vorhang geht auf. Nina, Vanessa und Jens sitzen in der Wartelounge. Sie starren ins Publikum. Zunächst fängt Nina an, leise zu husten. Wenig später steigt Vanessa ein. Schließlich vollendet Jens’ Husten das Terzett. Frau Hühnermörder hinter dem Tresen hustet. Doktor Schwarz kommt mit einer Bahre herein. Auch er beginnt zu husten. Plötzlich setzt sich der unter dem Tuch befindliche Patient aufrecht hin und beginnt auch zu husten. Ist es Hodgenroth? Mittlerweile sind alle sechs auf der Bühne befindlichen Personen damit beschäftigt, zu husten. Ein letztes Auswerfen vollendet die Bronchialsymphonie. - Ende des Intermezzos -

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ZWEITER AKT Episode 4: „November“ Die letzten Überreste einer lieblosen Halloweendekoration an Wänden und Türen. Jens sitzt, an den Fingernägeln knibbelnd, in der Wartelounge. Vor ihm stehen zahllose Becher aus dem Kaffeeautomaten, die er in der Wartezeit angehäuft hat. Im Augenblick liegt Fiona Lehmann auf dem OP-Tisch und unterzieht sich einem Eingriff am Auge. Jens: Fiona hat sich unter’s Messer begeben. Die Entfernung des maroden Gewebes hinter dem Auge hat sich als komplizierter herausgestellt, als zunächst angenommen. Der mittlerweile dritte Eingriff innerhalb von zwei Wochen hat sie sehr geschwächt. Die Ärzte waren nicht sicher, ob sie sie überhaupt so schnell wieder operieren sollten, sie entschieden sich dafür. Die Warterei bringt mich um... So kommen wir nie an die Käsetheke... Ich brauche einen Kaffee... (Jens springt auf und eilt LH hinaus. Auf halbem Wege kommen ihm Nina und Lord Pinkerton von LV entgegen.) Nina: Hallo, Jens. Jens: (mit energischem Schritt stößt er einen seltsamen, gestressten Schrei aus) Ha! (Jens ab. Nina trägt Lord Pinkertons betagten Reisekoffer herein.) Pinkerton: Thank you in abundance for carrying my suitcase, precious. Nina: Ja, wie auch immer. Pinkerton: This is quite a lovely hospital you’ve got here, sweetheart. Nina: (nach einer Denkpause, zeigt auf sich) Nina. Pinkerton: So, how about a room? Nina: (packt ihre letzten, grammatikalisch verkorksten Brocken Schulenglisch aus) Yes, you will become your room, Lord Pinkerton... Pinkerton: (lächelnd) Well, I won’t hope so... Nina: Jetzt doch nicht...? I only understand railway station... Pinkerton: (spricht Deutsch mit starkem Akzent) „Become“ bedeutet „werden“... Nina: Oh, oh... tja, das ist peinlich … (angestrengt) I shame me so for my English... Pinkerton: You don’t have to, precious, you don’t have to. No need to blush. Nina: Ich schaue gleich nach, welches Zimmer frei ist und dann widmen wir uns Ihrer Galle. Pinkerton: Thank you… (Nina geht LH ab, wundert sich jedoch, dass der Lord sie verstanden hat. Dieser schaut sich um. Dann tritt Jens LH auf, er hat zwei neue Becher Kaffee in der Hand. Jens setzt sich ohne Pinkerton gesehen zu haben. Als sich dieser hinterrücks vorstellt, erschrickt Jens derart, dass er den Kaffee über sich schüttet.) Pinkerton: Hello, fine young fellow. Jens: (erschrickt) Ah! 38

Pinkerton: Oh, sorry, I didn’t mean to startle you... Jens: Ah, Sie müssen der Englishman sein. Pinkerton: Yes, that must be me. Jens: Hat man Ihnen schon ein Zimmer zugewiesen? Pinkerton: (versteht nicht) I beg your pardon...? Jens: (lauter) Hat man Ihnen schon ein Zimmer zugewiesen? Pinkerton: Speaking louder does not make me understand a foreign language. Jens: (ebenfalls laut, ohne Zusammenhang) Das ist Kaffee... Pinkerton: I see... (Auftritt Nina von HL. In ihrem Gespräch mit Pinkerton baut Jens ein Türmchen aus den Kaffeebechern.) Nina: Lord Pinkerton, ich habe mit der zuständigen Schwester gesprochen, Sie können Zimmer #3 haben. (Pinkerton macht ein Zeichen, dass er sie nicht versteht.) Nina: Ich habe mit der zuständigen Schwester gesprochen, Sie können Zimmer #3 haben. Jens: Er versteht kein Deutsch, du musst lauter sprechen. Nina: (lauter) Ich habe mit der zuständigen Schwester gesprochen... Pinkerton: (mit starkem Akzent) Ich verstehe. Nina: Mir nach. (Beide in Zimmer #3 ab. Jens baut sein Türmchen. Auftritt Vanessa von RH mit einem extrafluffigen Kissen für den Lord, Jens hält sie auf.) Jens: Vanessa... Vanessa: Ja? Jens: Sieh mal, ich habe ein Türmchen gebaut. Vanessa: Wow, how horny is that then? Jens: Wieso benutzt du diese tote Sprache? Vanessa: Ich habe eben diesen britischen Aristokraten getroffen und da habe ich mein Schulenglisch zusammengekratzt und mit ihm gesprochen. Ich sollte überhaupt mehr Sprachen lernen... Wusstest du, dass nächsten Monat in der VHS ein Chinesischkurs anläuft? Vielleicht schreibe ich mich ein?! Jens: Sprechen ist so wichtig. Vanessa: Komm doch mit... (Nina tritt aus dem Krankenzimmer #3 und geht LH ab.) Jens: (auf dem falschen Fuß erwischt) Ja... weißt du... äh... mittwochs sagst du, ist der Kurs? Da kann ich nicht! 39

Vanessa: Ich habe überhaupt keinen Termin genannt... Jens: Ach so, wenn dem so ist... da kann ich auch nicht. Vanessa: Du machst dir Sorgen um Frau Lehmann, oder? Jens: (ertappt) Ich? Wer, ich? Ich? Nein! Ich? Naja, vielleicht... Vanessa: Unsere Kollegen geben ihr Bestes, die Operation ist kompliziert, aber die Statistiken stehen gut. Es besteht kein Grund zur Unruhe. Und du weißt: Geweint wird erst, wenn es blutet oder ulkig absteht! Jens: Ja, aber... Vanessa: (deren Pieper piept) Jens, Frau Lehmann wird nach bestem Wissen und Gewissen versorgt, eigentlich kann ihr nichts zustoßen... Und jetzt beruhige dich... (Vanessa tritt in Zimmer #3.) Jens: Was soll das heißen? „Eigentlich“? Warum relativierst du einen Satz, der mir Hoffnung gegeben hätte? Vanessa, ich hasse dich! Ich brauche einen Kaffee! (hektisch) Kaffee! Kaffee! Kaffee! (Jens eilt LH hinaus. Auftritt Doktor Frahm und Doktor Schwarz von LV.) Frahm: Warum um Himmels Willen sprechen heute alle Menschen so komisch? Schwarz: Keine Ahnung, Albert, womöglich einzig und allein, um Sie zu quälen.

Ganz können wir Ihnen diesen Spieltext hier nicht geben. Ist doch klar, oder?! Wenn Sie dieses Stück spielen wollen – rufen Sie uns an: Impuls-Theater-Verlag Tel.: 089 / 859 75 77 Dann besprechen wir alles weitere!

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