Die soziokulturellen Ursachen des Taubenproblems

Deutsche Tierärztliche Wochenschrift, 104. Jahrgang, Heft Nr 2/1997, Seiten 52–57 Verlag M. & H. Schaper, Kalandastrasse 4, 31061 Alfeld, (Leine) Die...
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Deutsche Tierärztliche Wochenschrift, 104. Jahrgang, Heft Nr 2/1997, Seiten 52–57 Verlag M. & H. Schaper, Kalandastrasse 4, 31061 Alfeld, (Leine)

Die soziokulturellen Ursachen des Taubenproblems Von D. HAAG-WACKERNAGEL Aus dem Institut für Pathologie, Medizinische Biologie, Universität Basel

HAAG-WACKERNAGEL, D. (1997): Die soziokulturellen Ursachen des Taubenproblems. Dtsch. tierärztl. Wschr. 104, 52–57

Zusammenfassung Die Fütterung von Tieren, das Geben als freundlicher Akt ist tief im Menschen verwurzelt. Dieses an sich gut gemeinte Verhalten wirkt sich sehr negativ auf die Strassentauben aus, die unter der Überpopulation leiden. Das Problem kann nur durch Nahrungseinschränkung gelöst werden, da die Nahrungsgrundlage die Populationsgrösse der Tauben bestimmt. Die Taubenfütterer sind die Ursache für das Taubenproblem. Sie lassen sich ihrer Motivation gemäss in verschiedene Gruppen einteilen. Spielfütterer und Imponierfütterer sind anders anzugehen als die leidenschaftlichen und unbelehrbaren Taubenfreunde, die eine starke emotionelle Bindung zu den Tauben aufbauen. Das Taubenproblem kann gelöst werden, wenn mit entsprechendem Aufwand die Taubenfütterer ihrer Motivation gemäss zu einer Verhaltensänderung gebracht werden können.

HAAG-WACKERNAGEL, D. (1997): The socioculturel reasons of the pigeon problem. Dtsch. tierärztl. Wschr. 104, 52–57

Summary The feeding of animals as a friendly gesture is deeply rooted in man. This behaviour has a negative effect on the street-pigeons which as a consequence suffer from overpopulation. The problem can only be solved by limiting this feeding. The pigeon-feeders are the cause of the pigeon-problem in our cities. The feeders can by their motivation be classified in various groups. Play-feeders and displayfeeders can be recognised. They are more easily to be dealt with than the fanatical pigeon-friends who show a strong emotional attachment to these birds. The pigeon-problem can be overcome if this stubborn group can be taught to change its behaviour. Such a solution would be highly rewarding as great sums of money are spent to remove damages caused by the pigeons to buildings and works of art.

Das Taubenproblem in unseren Städten lässt sich auf einen einfachen Nenner bringen: Taubenfreunde füttern aus verschiedenen Beweggründen unsere Strassentauben und erzeugen dadurch die Nahrungsgrundlage, die den Aufbau von mehr oder weniger grossen Populationen ermöglicht. Verschiedene Untersuchungen haben belegt, dass der Umfang der Fütterung die Populationsgrösse bestimmt (Coombs 1990, Haag 1984). Die umfangreiche Taubenfütterung ist ein Wohlstandsproblem. Nur in Zeiten des Überflusses kann es sich der Mensch leisten, zu seinem Vergnügen Tiere zu füttern. Schlechte Zeiten für den Menschen sind auch schlechte Zeiten für die Tauben. Durch die Rationierung der Lebensmittel im 2. Weltkrieg gingen die Taubenpopulationen z.B. in England stark zurück (Goodwin 1960), erholten sich aber nach dem Krieg wieder, weil Lebensmittel verfügbar und billig wurden. Zählungen aus dem Bloomsbury Distrikt zeigten eine Verdreifachung der Taubenzahl von 1951 bis 1965. Diese Zunahme korrelierte mit der Anzahl der Taubenfütterer (Cramp & Tomlins 1966). Zu hohe Dichten bei Strassentaubenpopulationen können hygienische und tierschützerische Probleme verursachen (Haag 1984). Dichteabhängige Regulationsmechanismen aktivieren Krankheiten und Parasiten, die vor allem hohe Mortalitäten bei den Nestlingen und ausgeflogenen Jungtieren bewirken (Haag 1991a). Eine hohe Dichte an den Brutplätzen führt zu einer Zunahme aggressiver Verhaltensweisen (Haag 1994) unter denen wiederum die schwächsten Glieder, die Nestlinge und Jungtiere am meisten zu leiden haben. Das Taubenproblem ist also eher ein Problem der Tauben als der Menschen, obwohl die Behebung von Verschmutzungen durch Tauben sehr kostenintensiv sein kann. Da die Ursachen für das Taubenproblem vor allem im Fehlverhalten der Taubenfreunde liegen, müssen diese als wichtigster Bestandteil der Kausalkette in eine gesamthafte Untersuchung einbezogen werden. Über die Taubenfreunde wurde in der bisher veröffentlichten Literatur nur sehr wenig berichtet, breitere Untersuchungen liegen anscheinend nicht vor. Vorliegende Arbeit versucht deshalb, aufgrund langjähriger Erfahrungen mit dem Strassentaubenproblem einen Beitrag zum Verständnis der menschlichen Hintergründe des Taubenfütterns und damit des Taubenproblems zu leisten.

Methoden Während rund 15 Jahren Strassentaubenforschung erfolgten immer wieder Auseinandersetzungen mit Taubenfreunden. In diesem Zeitraum wurden Briefe, Presseartikel und Publikationen zum Thema archiviert und für vorliegende Arbeit ausgewertet. Eine grosse Zahl von Befragungen und Diskussionen mit Taubenfütterern und Taubenfeinden wurden protokolliert und anschliessend verarbeitet. Um die Privatsphäre dieser Personen zu schützen, werden diese nur mit einem Code gekennzeichnet. In den Jahren 1993 und 1995 wurden in der Schweiz und in Deutschland je eine kleine Umfrage an Passanten zum Thema Strassentauben durchgeführt, durch die ein Eindruck über die Motivation der Taubenfütterer und die Einstellung der Bevölkerung der Taube gegenüber ermittelt werden sollte. Eine Umfrage wurde in Basel im Jahre 1993 durch Carsten Wiececk im Rahmen einer Semesterarbeit, die zweite in einem Dorf in der Oberpfalz, Deutschland, von einer Taubenmutter im Sommer 1996 durchgeführt. Dabei handelte es sich nicht um gross angelegte, repräsentative Umfragen unter der interdisziplinären Beteiligung des Soziologen, Psychologen und Ethologen, wie es ein solches Problem eigentlich erfordern würde, sondern um ein erstes Sondieren ohne Anspruch auf wissenschaftliche Vollständigkeit. Als weitere wichtige Grundlage diente Material, das im Rahmen der Doktorarbeit von Jacqueline Weber (1992) über die Kommunikation Mensch – Stadttaube in unserer Arbeitsgruppe erarbeitet wurde.

3 Ergebnisse Die ethologischen Grundlagen des Taubenfütterns Die Fütterung von Tieren ist weltweit verbreitet und findet sich bei allen Völkern. Vom Kleinkind bis zum Erwachsenen ist das Abgeben von Nahrung mit viel Spass und Freude verbunden. Wegen der universellen Verbreitung dieses Spielfütterns können wir davon ausgehen, dass das Füttern von Tieren allgemein und damit auch das Taubenfüttern eine angeborene Grundlage hat. Bereits im vorsprachlichen Alter ab dem 10. Monat bieten Kleinkinder einer Person Nahrung oder Spielsachen an, um einen freundlichen Kontakt herzustellen (Eibl-Eibesfeldt 1984). Schon früh wird das Abgeben von Nahrung auch gegenüber Tieren angewandt. Daneben macht es Kindern offensichtlich sehr grossen Spass, wenn sie durch das Füttern bei Tieren spielerisch Aktivitäten wie Streit um Futter oder Annäherung auslösen können. Beim Erwachsenen findet sich das Geben in mehreren Funktionskreisen wieder. In seinen primären Wurzeln stammt das Abgeben von Nahrung aus dem Brutpflegebereich und ist seinem Ursprung nach ein sehr freundlicher Akt. Man gibt, um sich mit jemandem anzufreunden und um ihn freundlich zu binden (Eibl-Eibesfeldt 1984). Ranghohe Menschen und auch Schimpansen sichern sich ihre Dominanz durch geschicktes Verteilen von Beutestücken. Sie binden damit die Gruppe an sich und sichern die eigene Position (Eibl-Eibesfeldt 1984). Das Abgeben von Nahrung kann im weitesten Sinn auch dem Bereich der Selbstdarstellung und des Imponierverhalten zugeordnet werden. Das Geben kann zudem zur Abblockung von Agressionen eingesetzt werden. Nach der ersten Kontaktbildung zwischen dem Menschen und der Taube können weitere Verhaltensinteraktionen aktiv werden. Viele Taubenfütterer kennen ihre Tiere individuell und geben ihnen Namen. Eine Taubenmutter in Luzern, nennt ihre Tiere z.B. Schätzchen und Bübchen, Bezeichnungen, die auch auf Kleinkinder angewendet werden. Das individuelle Kennen ermöglicht eine Art von Mutter-Kindbeziehung, die auf die Tauben übertragen wird. Kranke oder verletzte Tiere werden mit nach Hause genommen und oft auf eigene Kosten tierärztlich versorgt. Als häufigste Verletzung treten bei bis zu 10% der Tauben Nekrosen auf, die durch Fäden, Haare oder Fischersilk, die sich um die Beine wickeln und sich festziehen, verursacht werden (Haag & Gurdan 1990). Diese Fäden werden von den Taubenmüttern entfernt und die Taube bis zur Abheilung zuhause gehalten. Ein Individuum mit einer Wachstumsstörung des Oberschnabels wird von einer Taubenmutter in Luzern jährlich zwei Mal zum Kupieren zum Tierarzt gebracht. Die Tauben ihrerseits sind ohne weiteres in der Lage, ihre Taubenfütterer zu erkennen, sich die Fütterungszeiten zu merken und sich präzis zu diesen Zeiten an der Futterstelle einzufinden (Weber 1992). Einige Individuen erniedrigen ihre Fluchtdistanz auf wenige Zentimeter oder setzen sich gar auf die fütternde Person.

Warum die Taube Die Taube besitzt verschiedene Eigenschaften in Verhalten und Erscheinungsbild, die sie seit jeher für den Menschen attraktiv gemacht hat. Tauben werden vom Menschen mehrheitlich als schöne und attraktive Tiere wahrgenommen (siehe Umfrage Tabelle 1). Sie entsprechen mit ihrer kindhaft vorgewölbten Stirn und ihren grossen Augen, dem relativ kurzen Schnabel und ihren kurzen Beinen, die zum typischen, als kindlich empfunden Trippeln führen, von ihrem Aussehen her weitgehend dem Kindchenschema (Koenig 1971). Zudem bilden menschliche Säuglinge schon im zweiten Lebensmonat erste Lautverbindungen ('erre', 'eckche', 'r-r-r-r'), die als "Täubchengurren" bezeichnet werden (Akos 1993) und dem Balzgurren der Taube erstaunlich ähnlich sind.

4 Die Taube zeigt also menschliche Merkmale, die sie für uns attraktiv und herzig erscheinen lassen. Durch diese Eignung der Taube als Kindchenersatz war das Füttern und die Pflege der Taube schon in der Antike vor allem Frauensache. Die Taube ist zudem dem Menschen gegenüber völlig harmlos und gilt deshalb als friedfertig, sanftmütig und wehrlos. Eine ausführliche Darstellung der Kulturgeschichte der Taube in allen ihren Aspekten findet sich in Haag-Wackernagel (1998). Das Füttern der Taube ist von seiner biologischen wie auch kulturellen Wurzel her primär ein caritativer, sozialer und vor allem freundlicher Akt.

Die Taubenfütterer Der Mensch füttert die Taube aus sehr unterschiedlichen Beweggründen. Im folgenden soll versucht werden eine Systematik der Taubenfütterer aufzustellen. Dabei muss aber berücksichtigt werden, dass eine solche Klassifizierung die Persönlichkeit eines Taubenfütterers nie ganz erfassen kann, da sehr unterschiedliche Motivationen und persönliche Erfahrungen miteinander verwoben sein können.

Abb.1: Das Taubenproblem wird durch die Fütterung der Taubenfreunde verursacht. Dabei können verschiedenen Typen von Fütterern unterschieden werden.

A. Imponierfüttern Ein Beispiel aus Madrid (Spanien) soll den Typus des Imponierfütterers kurz charakterisieren (Weber 1992). Ein etwa 70-jähriger stummer Spanier genoss sichtlich das ihm entgegengebrachte Interesse der zuschauenden Menschen und präsentierte sich ausgiebig. Er bewegte sich wie ein Faun in der Taubenmenge, posierte für Fotos und liess sich von allen Seiten ablichten. Tauben flogen auf Hände, Schultern und Rücken während er seinen Futtersack langsam und genüsslich lehrte. Anschliessend suchte er noch in Mülleimern nach Futter für die Tiere, um die Aufmerksamkeit der Zuschauer weiter hinzuhalten. Mit Zeichensprache machte er deutlich, dass er ein regelmässiger Fütterer sei.

5 Für diesen Mann bedeutet das Taubenfüttern, im Zentrum des Interesses zu stehen. Diese Art der Selbstdarstellung ist nur in einer sozialen Umgebung möglich, in der das Taubenfüttern einen positiven Stellenwert hat, wie das z.B. für Mittelmeerländer zutrifft. Das Füttern gilt als grosszügiger und freundlicher Akt, der als eine Art von Volkssport das Wohlwollen der Bevölkerung geniesst. Alt und Jung versammeln sich im Kreis um den Taubenfreund und schauen dem Treiben der Tauben als willkommene Abwechslung zu. Das generöse Hinwerfen von Futter, das Verschwenden von Nahrung an ein Tier erfordert gewisse minimale finanzielle Möglichkeiten. Das Zeigen, dass man es sich leisten kann, spielt bei diesem Typ des Fütterers sicher eine unbewusste Rolle. Das Imponierfüttern kann in seiner biologischen Wurzel dem Abgeben von Nahrung durch den Dominanten gleichgestellt werden. Dies zeigt sich zudem dadurch, dass in dieser Gruppe vor allem Männer zu finden sind, die naturgemäss häufiger Imponierverhalten zeigen als Frauen. Bei dieser Art des Taubenfütterns geht es also weniger um die Beziehung zur Taube als um die Selbstdarstellung gegenüber den Mitmenschen. B. Aufbau von Sozialkontakten Das Taubenfüttern kann zwischen Gleichgesinnten verbindend wirken. In vielen Städten existiert eine eigentliche Taubenfütterergemeinschaft (z.B. Zürich, Basel). Bei krankheitsbedingtem Ausfall eines Fütterers kann ein anderer die Fütterungstour übernehmen und oft wird auch das Futter gemeinschaftlich eingekauft. Aus Madrid berichtet Weber (1992) von zwei Freunden, die als gemeinsames Hobby das Taubenfüttern haben. Die beiden Männer im Alter von 65 und 45 Jahren reisen jeweils am Samstag oder Sonntag aus ihrem Wohnund Arbeitsort 17km weit nach Madrid um gemeinsam Tauben zu füttern. Der jüngere Mann gab an das ihn ein Jungtier persönlich kennt. Nachdem er es aufgehoben und gestreichelt hatte, lief es auf seinen Schultern herum und frass ca. 15 Minuten lang Linsen direkt aus seiner Hand. Die beiden verfüttern mit grosser Wichtigkeit und Leidenschaft etwa 1.5 kg Linsen. Durch dieses Wochenendvergnügen haben die beiden Männer auch Gelegenheit, andere Taubenfreunde zu treffen.

Vor allem in Städten, in denen Taubenfütterer einem starken sozialen Druck ausgesetzt sind, entwickeln sich gut organisierte Taubenlobbies, die sich über Fütterungsverbote und Fütterungseinschränkungen hinwegsetzen und teilweise mit Anwälten ihre Interessen durchsetzen. Vor allem bei diesen fanatischen Gruppierungen spielt die Pflege von Sozialkontakten mit Gleichgesinnten eine wichtige Rolle. In Hamburg etwa ruft eine "Aktionsgemeinschaft Friede für die Strassentauben" mit dem Argument "bitte helfen Sie, damit die sehr hungrigen Tauben in unserem Land nicht so viel zu leiden haben" zum Taubenfüttern und zum Kampf gegen Behörden und Institutionen auf, die sich mit der Regulation der Strassentaubenbestände beschäftigen. C. Kompensation von fehlenden Sozialpartnern In diese Gruppe gehören die meisten leidenschaftlichen Taubenfütterer. Dies sind oft ältere und vereinsamte Menschen, die ihr Bedürfnis nach einem Mitgeschöpf, das sie betreuen und versorgen können, an den Tauben ausleben. Die biologische Wurzel dürfte hier im Mutter-Kind-Verhalten liegen. Die Betreuungsappetenz wird auf das inadäquate Objekt, die Taube gerichtet. Die Mehrzahl der sogenannten Taubenmütter können diesem Typus des Fütterers zugeordnet werden. Als Beispiel dienen die untenstehenden Auszüge aus einem Interview mit Frau XX, die in einem Dorf in der Oberpfalz lebt. Sie ist 27 Jahre alt, ohne Beschäftigung und soziale Kontakte und lebt mit ihren Eltern und ihrer Grossmutter in einer kleinen Wohnung. Sie würde sich gerne verheiraten und Kinder aufziehen. Frau XX verlässt ihre Wohnung meistens nur in Zusammenhang mit der Fütterung, Futterbeschaffung und Pflege von Tauben. Sie bezeichnet sich selber als Taubenmutter und kämpft

6 mit allen Mitteln für ihre Tiere. Dabei scheut sie keinen Kampf, ist mit Behörden und vielen Bewohnern ihres Dorfes zerstritten und wendet beträchtliche Beträge für Futter, Anwalts- und Tierarztkosten auf. Was empfinden Sie, wenn Sie eine Taube sehen: ... Zudem empfinde ich ein enormes inneres Glücksgefühl, wenn ich sie so drollig trippeln sehe, weil ich sie sehr sehr liebe, ins Herz geschlossen habe! Ich sehe in ihnen meine Kinder. Ich fühle mich für sie verantwortlich, darum kümmere ich mich um sie, letzteres mach(t)e ich mir zu Lebensaufgabe! Welche Bedeutung haben die Tauben für Sie? Für mich sind sie heilige Tiere, die Gott als Sinnbild der Reinheit, Treue, als Boten des Friedens und der Liebe auserwählt/-erkoren hat Darum habe ich Pietät vor diesen edlen, intelligenten Geschöpfen; für mich sind sie 'Kinder des Himmels, des Lichts'; von allen Tiergattungen, die es auf dieser Erde gibt, stehen sie für mich an allererster Stelle! Was halten Sie von Tauben, empfinden Sie sie als angenehm oder als unangenehm? Das ist gar keine Frage! Ich empfinde sie selbstverständlich angenehm! Ich könnte sie mir gar nicht mehr aus der Stadt, aus meiner Nähe wegdenken! Sie sind meine kleinen Heiligtümer! Wie schätzen Sie die Lebensbedingungen der Tauben in ihrer Stadt ein? Wovon leben die Tauben? Den Tauben geht es hier in Deutschland genau so gut, wie den Juden im Dritten Reich! Ich würde jedenfalls keine Taube in Deutschland sein wollen, nicht als Taube hier leben wollen! In xx geht es ihnen mehr als mies: man tritt sie mit den Füssen (Kinder), als wären sie Fussbälle, man klebte ihnen Kaugummi um ihre Schnäbel, man wickelte Drähte, Paketschnüre und Nähfäden um ihre Extremitäten, man wollte sie mit dem Feuerzeug anzünden, man überfährt sie absichtlich/bewusst, man brach ihnen die Flügel, oder das Genick, man trat sie absichtlich tot, so das ihre Innereinen/Gedärme/Muskelmagen etc. etc. aus ihrem Körperlein herausflogen, auf der Strasse herumlagen, man wirft ihnen schimmliges, altes Brot, oder verdorbene Wurst zum Fressen hin, damit sie krank werden (Salmonella typhimurium/Salmonella typhimurium var. copenhagen bekommen), zudem wirft man Glassplitter und -scherben auf die Strasse, bzw. bei ihrem Futterplatz hin, dass sie sich ihre Gliedmassen abtrennen, manche Tauben haben, obwohl sie noch sehr jung sind, bereits nur noch 1–2, oder 3 Zehen, normalerweise hat eine Taube 4 Zehen! Die Tauben leben hier nur von meiner Abfütterung, 1x täglich und von dem, was ihnen wenige Menschen ab und zu mal hinbröseln/-werfen und von Abfällen (Gritsteinchen/-körner, die sie vom Pflaster aufpicken)! Müssten die Tauben in XX auf die Abfütterung der Leute warten, bzw. wären sie nur darauf angewiesen, müssten sie glatt verhungern!

Obenstehende Aussagen zeigen, dass Frau XX ihre Tauben als Ersatz für Kinder und Ehepartner betrachtet. Ihre Betreuungsappetenzen werden beinahe ausschliesslich an den Tauben ausgelebt und Angriffe auf die Tiere werden mit mütterlicher Vehemenz ohne Rücksicht auf eigene Nachteile abgewehrt. Es ist bezeichnend, dass sich viele Taubenfütterer auch noch um andere Tiere kümmern, die ihrer Ansicht nach Hilfe benötigen. Weber (1992) berichtet von einer Frau, die neben Tauben noch verwilderte Katzen, Igel und andere Vögel bei sich aufnimmt. Das Element 'gebraucht zu werden' scheint für die Motivation der Taubenfütterer sehr wichtig zu sein. Eine Taubenfreundin in Luzern kennt einen grossen Teil der von ihr versorgten Tauben und macht grosse Unterschiede zwischen den Individuen. Tiere, die sie schon zu Hause gepflegt hat, auffällige Verletzungen aufweisen oder durch besonderes Verhalten oder Aussehen ihre besondere Sympathie besitzen, werden nach der Fütterung noch individuell mit den teuren Pinienkernen verwöhnt. Diese Frau konnte anscheinend Dutzende von Tauben individuell unterscheiden und ihre Biographie aus ihrer Sicht erzählen. Eine Elsässerin, die regelmässig am Claraplatz in Basel füttert, verfüttert neben frisch gekauften Brötchen selbst gebackenen Gugelhopf für ihre Tauben (Weber 1992). Auch dieses Beispiel zeigt eindrücklich, wie sehr diesen Menschen doch schlussendlich nur der arteigene Partner fehlt und sie verzweifelt die überschüssigen Betreuungsappetenzen gemäss dem menschlichen Muster an der Taube ausleben.

7 Tabelle 1: Resultate einer kleinen, nicht repräsentativen Umfrage über die Strassentaube aus einem Dorf in der Oberpfalz, Deutschland, aus dem Jahre 1996.

FRAGEN

positiv ja

weiss nicht neutral

negativ nein

1. Was empfinden Sie wenn Sie eine Taube sehen? 9v.12 Befragten haben positive Empfindungen, wenn sie eine Taube sehen.

9 positiv

1

2 negativ

2. Empfinden Sie Tauben als eher angenehm oder unangenehm? 50% der Befragten empfanden die Taube als angenehm

6 angen.

3

3 unang.

3. Was wissen Sie über das Leben der Tauben? Keiner der Befragten wusste etwas über die Biologie Taube!

0

12

4. Haben Haustauben für Sie einen höheren Stellenwert für Sie als Strassentauben? 4 werten eine Haustaube höher, 3 werten die Strassentaube höher, 5 bewerten beide gleich

4 ja

5 beide gleich

5. Was wissen Sie über Tauben als Vögel der Liebe, der Liebesgöttin und der Verliebten? 6 Personen wussten etwas über diese Symbolfunktion der Taube.

6 wi. etwas

6 wi. nichts

6. Glauben Sie, dass die christliche Religion die Tötung und Misshandlung speziell von Tauben verbietet? 8 v.12 Befragten glauben, dass die christliche Religion die Tötung und Misshandlung von Tauben verbietet.

8

2

2

7. Halten Sie es für möglich, dass sich die Seele eines Verstorbenen in eine weisse Tauben verwandelt? 7 v.12 der Befragten halten es für möglich, dass sich die Seele eines Verstorbenen in eine weisse Taube verwandelt.

7

0

5

8. Finden Sie, dass Tauben schöne oder herzige Tiere sind?

10

2

0

9 Glauben sie, dass der Mensch die Tauben beschützen und umsorgen müsste?

8

0

4

10. Finden Sie, dass Tauben unhygienisch sind?

5

0

7

11. Glauben Sie, dass Tauben Krankheiten auf den Menschen übertragen können?

7

0

5

12. Glauben Sie, dass Tauben Schäden anrichten können?

8

1

3

13. Füttern Sie Tauben? 7 v.12. Befragten füttern Tauben, 5 davon gelegentlich, 2 regelmässig.

7

0

5

14. Wie schätzen Sie die Lebensbedingungen der Tauben ein?

5

3

4

3 nein

8 Bei vielen Taubenfreunden finden sich fanatische und unbeirrbare Züge, denen durch keinerlei Argumentationen begegnet werden kann. Betrachtet man aber die psychologischen Grundlagen, wird klar, dass sich diese Menschen gar nicht anders verhalten können. Sie sind emotionell so stark an ihre Tauben gebunden, wie sonst nur Mütter oder Väter an ihre Kinder. Die Taubenfreunde lassen sich auch durch massive Strafandrohungen nicht zu einer Verhaltensänderungen wie z.B. Unterlassen oder Einschränkung der Fütterung bewegen. Im Gegenteil wird durch solche Massnahmen nur deren Widerstand und Kampfbereitschaft geschürt, es werden gar Märtyrer geschaffen, mit denen sich die Bevölkerung im Zuge des allgemeinen Misstrauens den Behörden gegenüber solidarisieren kann. Dieser Kampf für ihre Tauben bekräftigt die Elternrolle zusätzlich. Gewisse Taubenfreunde projizieren ihre eigene, oft missliche Lebenssituation auf die Tauben und durchleiden alles, was die Tiere betrifft, aus ihrer menschlichen Perspektive. Sie kämpfen oft mit einer erstaunlichen Energie und Hartnäckigkeit gegen alles, was ihrer Meinung nach die Tauben bedroht. Diese Menschen können ein Verhalten zeigen, das an paranoiden Wahn erinnert. Oft werden nicht existente Gefahren für die Tauben gesehen, die obskuren Taubenfeinden zugeordnet werden. So hört man immer wieder, Tauben würden eingefangen und von der chemischen Industrie für qualvolle Versuche missbraucht. Glasscherben die auf der Strasse liegen werden auf Taubenfeinde zurückgeführt, die damit bezwecken sollen, dass sich die Tauben die Extremitäten abschneiden. Die bei Strassentauben häufigen Verletzungen an Beinen und Füssen durch Fäden wurden beispielsweise bei Taubenfreunden in Ulm einem mysteriösen Taubenquäler zugeschrieben, der die Tauben nachts fangen soll um ihnen die Beine zusammenzubinden (Neubeck 1984). In Saarbrücken organisierten Taubenfreunde Befreiungsaktionen, indem sie in Selbstfangfallen gefangene Tauben wieder frei liessen (MH 1995). Viele Taubenfreunde wissen erschreckend wenig über die wahre Natur der Taube, die im Zuge der vollständigen Vermenschlichung auch nicht zu interessieren scheint. Gemeint ist ja nicht die Taube mit ihren Bedürfnissen an sich, sondern nur ihre Funktion als Sozialpartnerersatz. Diese Ignoranz der Taube gegenüber führt beispielsweise oft dazu, dass ungeeignetes Futter verabreicht wird und die Tiere nicht richtig gehandhabt werden. Aus Basel sind Damen bekannt, die den Strassentauben Gerichte wie Teigwaren mit Fleischsauce kochen, die eine denkbar ungüngstige Ernährung für die Tauben darstellen. Im Rahmen unserer Basler Taubenaktion (Haag 1995) versuchten wir die Taubenfreunde davon zu überzeugen, dass die masslose Fütterung eine zu grosse Population verursacht, die sich durch die dichteabhängige Ausbreitung von Krankheiten und Parasiten negativ auf die Tauben auswirkt (Haag 1991a). Für die meisten der von uns angesprochenen Taubenfreunde war es nicht nachvollziehbar, dass die Fütterung den Tauben schlussendlich schadet. Sie blieben bei ihrer Einstellung: 'die Tauben sind da, sie haben Hunger, deshalb muss man sie füttern'. Als Leiter der Basler Taubenaktion blieb auch der Autor nicht vor den unterschiedlichsten Anfeindungen einiger extremer Taubenfreunde verschont, wie untenstehende Stelle aus einem Brief an den Basler Tierschutzverein zeigen mag. Die Basler Tauben bekommen so wenig wie möglich Nahrung - die Population nimmt durch den Zeitverbrauch für die Nahrungssuche ab - und die überzähligen Tauben werden als Lebendfutter an den Zoo geliefert!!! Diesen 'Tierschützer' sollte man dem gleichen Procedere unterwerfen! Hungern lassen und anschliessend Löwen, Panthern, Tigern usw. als Lebendfutter vorwerfen!

Dass im Anschluss an unsere Aufklärungsaktionen trotzdem weniger gefüttert wurde und die Taubenpopulation in der Folge bis weit unter die Hälfte des Anfangsbestandes zurückging, liegt unserer Meinung nach vor allem am indirekten sozialen Druck durch die Bevölkerung. Das Taubenfüttern verlor sein positives Image, viele Fütterer wurden angefeindet und trauten sich schlussendlich nicht mehr zu füttern.

9 Die Taube kann nicht nur Kindchenfunktion übernehmen, sondern auch als genereller Ersatz für einen menschlichen Partner dienen. Ein Beispiel dafür schildert Weber (1992). Ein etwa 70-jähriger Rentner sass völlig versunken auf einer Sitzgelegenheit vor der Clarakirche in Basel und fütterte Tauben. Im Gespräch stellte sich heraus, dass der alleinstehende Mann stark gehörgeschädigt ist und regelmässig sein Mittagessen mit den Tauben teilt. Erst später, als ein Schokolademaikäfer auf dem Rucksack der Interviewerin lag (als Geschenk an Frau Weber, die das Interview durchführte), zeigte es sich, wie sehr dieser Mann ein Gespräch schätzte.

Da der Mensch generell nicht gerne alleine isst, ist es für einsame und kontaktarme Menschen besonders schwer, an einem leeren Tisch zu sitzen. Auch in diesem Fall können die Tauben den menschlichen Partner substituieren und als Ersatz für den Tischgenossen dienen. Gerade beim Essen ist die Verlockung einer bettelnden Taube einen Brocken hinzuwerfen besonders gross.

Abb. 2 Bettelnde Taube. Das Tier hat seine Fluchtdistanz erreicht und steht still, der Hals wird nach vorne gestreckt, der Kopf hin- und her gewendet, der Augenkontakt mit dem Menschen beibehalten. Tauben können mit diesem Verhalten den Menschen gezielt anbetteln.

D. Füttern aus religiösen und ethischen Gründen Das Füttern von Tauben kann in gewissen Fällen zwanghafte Züge annehmen. Es gibt Personen, die es als ihre religiöse und ethische Pflicht betrachten, für die hungernde Kreatur zu sorgen. Bei diesen Menschen spielen sicher auch noch weitere Motivationen mit (Sozialkontakte, Bemutterungsverhalten). Ein Beispiel führt Weber (1992) aus Madrid an. Ein Taubenfütterer trug ein grosses Kartonschild mit der Aufschrift "Ich bin Katholik" umgehängt. Viele andere Taubenfütterer legitimieren ihr Tun mit dem Hinweis, im Namen Gottes zu handeln. Wie weit archaische Vorstellungen hineinspielen, dass die Seelen der Verstorbenen in Form von Tauben weiterleben, lässt sich nur schwer nachweisen. In unserer Kultur ist die Taube aber immer noch allgemein anerkanntes Symbol des Hl. Geistes, des Friedens, der Liebe, der Unschuld und der Reinheit. Diese Interpretationen der Taube haben sicher einen wesentlichen Anteil an der beinahe religiösen Unberührbarkeit, mit der die Taube von vielen Menschen versehen wird (Haag 1997). E. Spielfüttern Das gelegentliche Füttern von Tauben ist eher dem Spieltrieb des Menschen als einer echten Betreuungsmotivation zuzurechnen. Wie oben gezeigt, erfreut sich schon das Kleinkind im vorsprachlichen Alter am Spielfüttern. Es bewirkt durch seine Gabe verschiedene Verhaltensweisen

10 beim empfangenden Tier und kann so einen freundlichen Kontakt aufbauen. Beim Gelegenheitsfüttern spielt das Verhalten der Taube eine entscheidende Rolle. Tauben sind ausserordentlich lernfähig und setzen die unterschiedlichsten Bettelstrategien gegenüber dem Menschen ein (Haag 1984, Haag 1991b). Tauben verstehen es dank ihr hohen Intelligenz meisterhaft, den Menschen als Nahrungsquelle zu bewirtschaften. Es ginge in diesem Rahmen zu weit, sämtliche Möglichkeiten der Nahrungsbeschaffung der Tauben zu diskutieren. Als Beispiel seien Bettelspezialisten in Parkanlagen beschrieben, in denen Menschen ihren Lunch einnehmen. Diese Tauben laufen gezielt zu essenden Menschen und versuchen zuerst einmal, eine Kommunikationsebene aufzubauen, in dem sie Augenkontakt aufnehmen. Zeigt der Mensch Interesse durch ein leicht verlängertes Halten des Blickkontaktes oder ein kurzes Innehalten, nähert sich die Taube bis an ihre Fluchtdistanz, streckt ihren Kopf vor und fixiert den Menschen durch Hin- und Herwenden des Kopfes (siehe Abb. 2). Bei den in Basel untersuchten 133 Tauben wandten 52% aktive Bettelstrategien an (Weber 1991). Bettelnde Tauben wirken auf viele Menschen unwiderstehlich. Sie füttern dann die Tauben ausgiebig und erfreuen sich an diesem lebendigen Kontakt mit einem schönen und intelligenten Tier. In den Bereich des Spielfütterns gehören auch Frauen mit ihren Kindern, die zum gemeinsamen Amusement Tauben und andere Vögel wie Enten, Schwäne und Möwen füttern. Das Spielfüttern dient vor allem dem Zeitvertreib, der Freude am sich bewegenden Tier und der Lust am Agieren und Reagieren der Taube.

Die Taubenfeinde Genau so leidenschaftlich wie die Taube von den einen geliebt wird, wird sie von den anderen gehasst. Dabei müssen zwei Typen unterschieden werden. Personen, die die Taube an sich bekämpfen und solche, die gegen die Taubenfreunde agieren. In vielen Fällen dürfte beides zusammenkommen. Bei den extremen Taubenfreunden wie bei den Taubenfeinden handelt es sich im allgemeinen, vorsichtig ausgedrückt, um problematische Persönlichkeiten. Die beiden Typen weisen deshalb oft auch gemeinsame Züge im Handeln und ihrer Argumentation auf. Die exaltierte Liebe wie der Hass zu einem Tier sind pathologische Erscheinungen. Entsprechend dieser Konstellation werden die Tauben oft zum Opfer von tierquälerischen Handlungen. Strassentauben haben durch verschiedene Aufklärungsaktionen über die Nachteile der Fütterung und die verursachten Schäden ein negatives Image (Haag 1993, 1995). Diese negative soziokulturelle Bewertung wird nun von solchen Taubenfeinden als Legitimation für ihre tierquälerischen Neigungen missbraucht. In Basel werden immer wieder vergiftete und angeschossene Tauben aufgefunden, die meist nach langem Todeskampf gestorben sind. Ähnliche Exzesse treten nach Kösters (pers. Mitt.) in München auf. Ein besonders grausames Beispiel dokumentierte Korbel (1990). Einer Strassentaube wurde der Oberschnabel unter Perforation des Schnabelgrundes zwischen den Unterkieferästen hindurchgezogen. Das Tier verstarb kurz nach der Einlieferung und wog noch 153g (statt 300-400g). In Lausanne wurde im Jahre 1988 ein Mann überführt, der Tauben auf das grausamste quälte. Er lockte die Tauben mit Futter in seine Wohnung, riss ihnen Körperfedern und Schwanz aus, klebte ihre Flügel zusammen und fesselte sie an den Füssen. Danach liess er sie frei (Humbert 1988). Sogar auf dem Internet existiert eine Homepage für Taubenhasser, die das Treten von Tauben auf öffentlichen Plätzen als Sport deklariert haben und einfältige Hassgedichte auf Tauben veröffentlichen, wie die unterstehenden Beispiele zeigen mögen (Pigeon Kickers of America 1996).

11 Seven young pigeons bang bang bang bang bang bang bang make for a nice soup Goob We'll murder them all amid laughter and merriment. Except for the few we take home to experiment. My pulse will be quickenin' With each drop of strych'nine We feed to a pigeon. It just takes a smidgin! Tom Lehrer

Gleichsam wie die Tauben sind die Taubenfütterer oft das Opfer der Agressionen von Taubenfeinden. In vielen Städten ist das Taubenfüttern wegen der erwähnten negativen Folgen verpönt. Die Taubenfeinde finden nun in den Taubenfütterern ein Objekt für ihren Hass, der wohl zumeist anderer Genese ist, und fühlen sich legitimiert, gegen diese vorzugehen. Die Taubenfreunde werden oft beschimpft, Futtersäcke werden ihnen aus den Händen geschlagen und sie werden durch anonyme Anrufer terrorisiert. Aus anonymen Briefen an eine deutsche Taubenmutter seien zwei Beispiele angeführt. Du bist und bleibst der Schrecken des Marktplatzes, und ausserdem bist du eine faule Sau. Frag mal beim Tierschutzverein nach, vielleicht haben sie für solche Tiere Verwendung. ... Sie mögen vielleicht Taubenscheisse gern, die deutlich überwiegende Zahl der Zeitgenossen jedoch nicht? ... Also, Frau XX, Aufwachen und (wieder) normal werden, ansonsten darf (besser muss) an ihrem Geisteszustand gezweifelt werden! Ein Mitbürger, den die Taubenscheisse ankotzt

Diese Beispiele mögen zeigen, wie sehr die Taube die Meinungen polarisiert und Personen mit neurotischen Neigungen anzuziehen vermag. Nur die wenigsten Menschen nehmen sich die Mühe, sich mit der eigentlichen Natur der Taube auseinanderzusetzen und ihr damit gerecht zu werden. Die Taubenfreunde vermenschlichen sie bis zur Unkenntlichkeit, die Taubenfeinde dämonisieren sie. Eine Taube ist weder ein 'liebes Schätzelchen' noch 'fliegender Unrat'. Ein rationaler Umgang mit der Taube und dem Taubenproblem ist aus solchen Blickwinkeln nicht möglich und nur durch engagierte Aufklärung zu erreichen.

Das Image der Taube in der Bevölkerung Das Wohlwollen der Bevölkerung ist für ein Stadttier wie die Taube überlebenswichtig. Die soziokulturelle Bewertung einer Tierart ist zum einen durch ihre Erscheinung und ihr Verhalten gegeben, zum anderen spielen kulturelle Bewertungen als Produkt einer langen Geschichte der Mensch-Tier-Interaktion eine wichtige Rolle (Haag 1997). Tab. 1 zeigt die Resultate einer kleinen, nicht repräsentativen Umfrage in einem Dorf in der Oberpfalz, die von einer Taubenfreundin durchgeführt wurde. Sie soll einen Eindruck vermitteln was die befragten Personen über die Taube denken und wie sie sie unter der ganz speziellen Situation empfinden. In einer 1993 in Basel im Rahmen der Basler Taubenaktion durchgeführten Umfrage (Wiececk 1993) wurden insgesamt 80 zufällig ausgewählte Personen (39 Frauen, 41 Männer) aus allen Altersklassen

12 (12–89 Jahre) befragt. 3/4 der Befragten stehen der Strassentaube positiv gegenüber, nur 18% (14 v. 80) empfinden sie negativ. Rund 14% (11 v. 80) der Befragten gaben an, Tauben gelegentlich oder regelmässig zu füttern. Die Lebensbedingungen wurden von rund 50% der Befragten als eher gut bewertet. Rund 30% schätzen die Lebensbedingungen der Strassentauben eher schlecht ein. Wie diese beiden Umfragen zeigen, wird die Strassentaube mehrheitlich positiv und als Bereicherung der Städte gewertet. Viele Menschen füttern gelegentlich. Eigentliche Taubenfreunde und Taubenfeinde sind eher selten anzutreffen. Erstaunlich ist das bescheidene Wissen und der weit verbreitete Aberglaube um die Taube, wie die Umfrage aus der Oberpfalz zeigt. So halten es immerhin 7 von 12 Befragten für möglich, dass sich die Seele eines Verstorbenen in eine weisse Taube verwandelt.

Diskussion Die Fütterung von Tauben ist ein ausserordentlich komplexes Problem, in dem verschiedene Faktoren miteinander verwoben sind und sich gegenseitig beeinflussen. Einerseits verursacht die Taubenfütterung durch Übervölkerungseffekte unwiderlegt grosse Probleme für Taube und Mensch. Auf der anderen Seite stehen die Interessen der Taubenfütterer, die sich als sehr uneinheitliche Gruppe mit unterschiedlichen Motivationen präsentieren. Für die Betrachtung der Auswirkungen des Taubenproblems ist es unwesentlich, aus welchen Gründen jemand füttert. Für die Problemlösung hingegen ist es entscheidend, wie welche Fütterergruppe angegangen werden soll. Das Füttern von Tieren, das Geben als freundlicher Akt, ist tief im Menschen verwurzelt und soziokulturell sehr positiv eingefärbt. Diese Einstellung des Menschen zu verändern ist ausserordentlich schwierig und kollidiert mit den verschiedensten individuellen Interessen. Die Änderung einer Verhaltensweise ist nur durch spezifische Aufklärung möglich. Ein Imponierfütterer muss mit einer ganz anderen Strategie angegangen werden als eine Taubenmutter, die in den Tauben den fehlenden Sozialpartner kompensiert oder ein Spielfütterer, dem die Taube an sich egal ist. Für die Lösung des Taubenproblems sind deshalb Beeinflussungsstrategien nötig, die sich ganz spezifisch auf eine Gruppe ausrichten. Dabei dürfen quantitative Betrachtungen nicht ganz aus dem Auge verloren werden. Die Hauptmenge des Futters und damit der Tauben dürfte generell (Haag 1984) von den leidenschaftlichen Taubenfreunden stammen. Gerade diese Gruppe aber hat sich immer wieder als äusserst schwierig und kompromisslos erwiesen. Das Problem müsste an seiner Wurzel angegangen werden. Leider ist es aber nicht möglich, die erschreckende Anonymität unserer Gesellschaft und die bedrückende Einsamkeit vieler alter und unangepasster Menschen durch einfache Rezepte zu lösen. Man könnte aber zumindest versuchen, mit den bekannten Taubenfreunden das Gespräch zu suchen und ihnen Alternativen zur Taubenfütterung anzubieten. Die Schäden durch Strassentauben gehen in grösseren Städten in die Millionen (Haag 84, Bevan 1990), die vor allem von privaten und öffentlichen Grundeigentümern getragen werden. Nur ein Bruchteil der Schadenssumme in ein Alternativprojekt für Taubenfreunde investiert, könnte zu einer massiven Schadensverminderung und damit auch zu finanziellen Einsparungen führen. Solch ein interdisziplinäres Projekt könnte auch wissenschaftlich sehr interessant sein und unser Wissen über die komplizierten Wechselwirkungen zwischen Organismen und Umwelt in unseren urbanen Ökosystemen erweitern. Allgemeine Aufklärungsaktionen, wie sie z.B. im Rahmen unserer Taubenaktion in Basel durchgeführt worden sind (Haag 1994b, 1995) zeigen nach unseren Erfahrungen eine gute Wirkung auf Imponierund Spielfütterer, für welche die Taube eher Mittel zum Zweck ist. Sie lassen sich überzeugen, dass

13 die Fütterung den Tauben schlussendlich schadet und reagieren auch empfindlich auf Kritik. Eine Wirkung auf die Taubenfreunde ist allenfalls über indirekten sozialen Druck zu erzielen. Sie treibt aber viele dazu, ihr Tun möglichst zu verbergen. Diese Personen füttern in der Dunkelheit und wenden alle möglichen Tricks an (z.B. Taschen mit Klappen aus denen das Futter herausläuft, Mäntel mit Fütterungseinrichtungen), damit ihr Tun verborgen bleibt. Meist drehen sie sich nicht einmal zu fressenden Tauben um (Weber 1992). Das Taubenproblem ist hauptsächlich ein Problem der Tauben. Es wird jedoch durch menschliches Fehlverhalten verursacht. Deshalb werden nur Lösungen fruchten, die beim Menschen ansetzen. Sie erfordern eine sorgfältige wissenschaftliche Planung und Auswertung. Dafür müssen Mittel bewilligt werden, um entsprechende Fachleute (Ethologen, Veterinärmediziner, Psychologen, Soziologen) zu finanzieren. Diese Investitionen könnten angesichts des Schadens, der durch die Fütterung verursacht wird, auch in pekuniärer Hinsicht äusserst lohnend werden.

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14 HAAG-WACKERNAGEL D. (1997) Die Taube - ihr Weg vom heiligen Tempel der Liebesgöttin in die Strassen der Grossstadt. Schwabe Verlag Basel, ca. 400 S, ISBN 3-7965-1016-7. HAAG D. & GURDAN P. (1990) Über den hygienischen Zustand der Strassentauben in Basel. SwissVet, Nr. 6, 19-21. HUMBERT CHRISTIAN (1988): Wissenschafter (49) klebte Tauben die Flügel zusammen. Blick, Ausgabe 1.10.1988. KOENIG OTTO (1971) Das Paradies vor unserer Tür. Verlag Fritz Molden Wien-München-Zürich, 448S . MH (1995): In Saarbrückens City liessen 2600 Tauben ihre Leben. Saarbrücker Zeitung, 10.2.95. NEUBECK H. (1984): Der Taubenquäler ist ein Phantasieprodukt. Südwest Presse, Ulm, 7.9.84, S11. PIGEON KICKERS OF AMERICA (1996): Homepage The Pigeon Kickers of America. Internet: [email protected] WEBER J. (1992) Kommunikation Mensch-Stadttaube. Diss. Med. Fakultät, Verlag Medizinische Biologie, Universität Basel, 69S.

Aktuelle Adresse des Autors:

Prof. Dr. Daniel Haag-Wackernagel Departement Biomedizin Anatomisches Institut Universität Basel Pestalozzistrasse 20 CH-4056 Basel Email: [email protected]

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