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Schwerpunkt Parkinson

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Foto: Stefan Oldenburg

Ursachen

Ursachen, Klinik, Klassifikation und ­Pharmakotherapie des Parkinson-Syndroms Etwa ein bis zwei Prozent der Bevölkerung über 65 Jahren leiden an der ParkinsonKrankheit, die im Volksmund auch Schüttellähmung genannt wird. Welche Ursachen hat diese Erkrankung? Wie zeigt sich das Leiden körperlich? Ab welchem Alter können Menschen erkranken und gibt es unterschiedliche Verlaufstypen? Diesen Fragen widmen sich die Autoren im ersten Teil ihres Übersichtsartikels. Der zweite Teil klärt

Das neuropathologische Korrelat der oben beschriebenen motorischen Kardinalsymptome ist ein Zelluntergang dopaminerger Neurone in der Substantia nigra des Hirnstammes (a Abb. 1). Dabei enthalten die zugrunde gehenden Nervenzellen typische zytoplasmatische Einschlusskörperchen (Lewy-Körper), die erstmals von Friedrich H. Lewy 1912 beschrieben wurden und als Hauptmerkmal der Erkrankung gelten. Sie enthalten eine Reihe von Proteinen wie z. B. Alpha-Synuclein. Allerdings sind in der Regel eine Reihe weiterer Nervenzellen vom Zelluntergang betroffen, d. h., nicht nur der Transmitter Dopamin. Auch sind die LewyKörper nicht nur in der Substantia nigra zu finden. Braak (2003) hat die Verteilung der Lewy-Körper im Gehirn von Parkinson-Patienten systematisch untersucht und eine Stadieneinteilung vorgenommen (a Abb. 2). Nach der Einteilung von Braak beginnt der Krankheitsprozess im Vaguskern und dem Bulbus olfactorius. Danach wird der Locus coeruleus erfasst und erst dann die Substantia nigra. Das heißt, erst dann treten motorische Symptome auf. Danach greift der Krankheitsprozess auf den Kortex über. Mittlerweile häufen sich die Hinweise, dass bei der Parkinson-Krankheit eine Beteiligung des peripheren autonomen Nervensystems früh im Krankheitsverlauf stattfindet oder die Erkrankung evtl. sogar dort beginnt [10].

über die symptomatische Pharmakotherapie auf – welche Medikamente auf dem Markt

Aktuelle Forschungen zeigen, dass auch

sind, wie sie wirken und in welcher Form sie verabreicht werden.

Umweltgifte für Parkinson ursächlich



sein könnten.

Vincent Ries und Wolfgang H. Oertel

Ries V, Oertel WH. Ursachen, Klinik, Klassifikation und ­Pharmakotherapie des Parkinson-Syndroms. neuroreha 2013; 3: 103–108

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Einleitung Die überwiegende Zahl der Parkinson-Syndrome sind der idiopathischen Form, der Parkinson-Krankheit (Morbus Parkinson), zuzuordnen. Dieser Übersichtsartikel wird sich deshalb auf diese Form beziehen. Die Ursachen des neurodegenerativen Prozesses sind dabei letztlich nicht geklärt. Die motorischen Kardinalsymptome der Parkinson-Krankheit – Akinese, Ruhetremor, Rigor und posturale Instabilität – stellen auch heute noch die klinischen Diagnosekriterien dar. Die Prävalenz liegt bei ungefähr 100– 200/100 000 Einwohnern und steigt mit zunehmendem Alter deutlich an. Aufgrund der demografischen Entwicklung geht man davon aus, dass sich die Zahl der Patienten bis 2030 weltweit verdoppeln wird [2].

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Nucleus caudatus

Thalamus

Capsula interna

Claustrum Nucleus subthalamicus

Putamen

Nucleus accumbens

Globus pallidus lateralis

Nucleus ruber

Globus pallidus medialis

Pars compacta

Pars reticularis

Substantia nigra

LewyKörper Dopaminerge Zelle a Präsymptomatische Phase

Symptomatische Phase

Sek. u. prim. Neocortex NeocortexAssoziation Mesocortex Substantia nigra Locus coeruleus Dorsaler Nucleus IX./X.

1

2

3

4

5

6

c

b

Quelle: Oertel, Deuschl und Poewe (Hrsg.) Parkinson-Syndrome und andere Bewegungsstörungen. Thieme 2012

Abb. 1  Anatomie der Basalganglien (Frontalschnitt)

Abb. 2 a–c  Pathologie der Parkinson-Krankheit (mit freundlicher Genehmigung von Prof. SchulzSchäffer, Universität Göttingen) a Lewy-Körper in einer dopaminergen Zelle b Ausbreitung der Erkrankung gemessen an der Ausbreitung von Lewy-Körpern über das Gehirn c Stadieneinteilung nach Braak

Die Ursache der Parkinson-Krankheit ist weiterhin ungeklärt. In den letzten Jahren ist es gelungen, eine Reihe von genetischen Parkinson-Syndromen nachzuweisen. Seit der Identifikation des Gens PARK 1 für Alpha-Synuclein sind 16 monogene Formen entdeckt worden [11]. Dennoch machen diese Formen weniger als fünf Prozent der Fälle aus. Auch besitzt die genetische Testung für die klinische Routinediagnostik

keine relevante Bedeutung. Umweltgifte spielen wahrscheinlich auch eine Rolle in der Entstehung der Parkinson-Krankheit, wenngleich bislang kein einheitlicher Pathomechanismus nachgewiesen werden konnte. Es ist davon auszugehen, dass Wechselwirkungen zwischen genetischem Hintergrund und Umweltfaktoren schließlich zum Zelluntergang und damit zur Erkrankung führen.

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Motorische Kardinalsymptome Die motorischen Kardinalsymptome stellen nach wie vor die klinischen Diagnosekriterien dar (a Kasten „Motorische Kardinalsymptome“). Dabei ist die Akinese oder Bradykinese diagnostisch das wichtigste Symptom. Sie ist durch eine Verlangsamung der Bewegungen gekennzeichnet und mit einer Verminderung der Bewegungsamplitude und der Spontanbewegungen verbunden. Deutlich wird sie auch in einer Störung der Feinmotorik bei alltäglichen Verrichtungen. Die Patienten berichten z. B. oft über eine kleiner werdende Schrift. Die Stimme wird leiser und undeutlicher, es zeigt sich eine Hypomimie. Die Haltung ist vornübergebeugt, das Gangbild kleinschrittig, ein Nachziehen des Beines oder ein vermindertes Mitschwingen des Armes der betroffenen Seite fällt auf. Ein Ruhetremor kann bei drei von vier Patienten beobachtet werden. Die typische Frequenz beträgt fünf Hz (1 Hz = 1 Hertz = 1/s; gibt die Anzahl der Schwingungen pro Sekunde an). Geistige oder emotionale Anspannung verstärken bzw. führen zu einer Aktivierung des Ruhetremors. Eine Abnahme der Amplitude bei der Initiierung von Willkürbewegungen charakterisiert den Tremor. Die oberen Extremitäten gefolgt von den unteren sind am häufigsten betroffen, seltener Gesicht und Zunge. Zusätzlich bestehen bei einigen Patienten ein Haltetremor oder ein Aktionstremor, die beide eine höhere Frequenz aufweisen. Der Rigor stellt eine Tonuserhöhung der Muskulatur dar. Sie betrifft die gesamte Bewegung und ist im Gegensatz zur spastischen Tonuserhöhung nicht von der Geschwindigkeit der Bewegung abhängig. Durch eine gleichzeitige Bewegung der Gegenseite kann die rigide Tonuserhöhung auf der zu prüfenden Seite verstärkt werden. Das „Zahnradphänomen“ ist Ausdruck eines zusätzlich bestehenden Tremors. Eine Einschränkung der Stellreflexe (posturale Instabilität) tritt in der Regel nicht im Anfangsstadium der Erkrankung auf, kann jedoch im Verlauf zu Stürzen führen. Das GangMotorische Kardinalsymptome der ­Parkinson-Erkrankung ▪▪ ▪▪ ▪▪ ▪▪

Akinese Ruhetremor Rigor posturale Instabilität

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Klinik

Quelle: Anatomische Zeichnung aus Schünke M, Prometheus, Lernatlas der Anatomie (Kopf- Hals und NeuroAnatomie, 2009) Markus Voll. Stuttgart. Thieme

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Nichtmotorische Symptome Die Parkinson-Krankheit geht nicht nur mit einem Untergang der Nervenzellen in der Substantia nigra einher. Die Ausbreitung der Erkrankung auf weitere Regionen des Gehirns drückt sich im Auftreten nichtmotorischer Symptome aus, die in späteren Krankheitsstadien oftmals den Grad der Behinderung bestimmen. Einen Überblick über die nichtmotorischen Symptome gibt Tabelle 1. Zu den neuropsychiatrischen Störungen gehören unter anderem die Demenz und die Psychose. Patienten mit Morbus Parkinson haben im Vergleich zu Gleichaltrigen ein 6-fach erhöhtes Risiko, an einer Demenz zu erkranken. Illusionäre Verkennungen und visuelle Halluzinationen sind die häufigsten Formen der Psychose. Dabei können alle in der Therapie der Erkrankung angewandten Medikamente eine Psychose induzieren bzw. verschlechtern. Psychose und Demenz sind die wesentlichen Symptome, die zur Einweisung in eine Pflegeeinrichtung führen, und somit auch von hoher gesundheitsökonomischer Relevanz [5]. Bei den Schlafstörungen ist insbesondere die REM-Schlaf-Verhaltensstörung (RBD) zu erwähnen. Sie gehört zusammen mit der Depression, Obstipation und Hyposmie zu den Symptomen, die der Manifestation der moto-

rischen Symptomatik Jahre vorausgehen können. Dabei gilt die RBD als der spezifischste Risikofaktor, im weiteren Verlauf an einem Parkinson-Syndrom zu erkranken. Neben den Schlafstörungen zählen auch autonome Symptome und sensorische Symptome (Schmerzen) zu den nichtmotorischen Symptomen.

Klassifikation von Formen und in Skalen Die Parkinson-Krankheit ist eine langsam progrediente, neurodegenerative Erkrankung mit individuellem Verlauf. Anhand der vorherrschenden motorischen Symptome werden drei Verlaufstypen unterschieden. Bei Überwiegen der hypokinetisch-rigiden Symptomatik spricht man vom hypokinetisch-rigiden Typ. Diese Verlaufsform ist in der Regel durch einen ungünstigeren Verlauf charakterisiert mit früherem Auftreten von kognitiven und emotionalen Defiziten. Steht der Tremor im Vordergrund, spricht man von einer tremordominanten Form der Parkinson-Krankheit. Durch das Fehlen bzw. nur gering ausgeprägte hypokinetisch-rigide Symptome sind die Patienten insgesamt weniger schwer betroffen. Dies trifft auch auf die neuropsychiatrischen Symptome zu, auch wenn der Tremor zum Teil nur unzureichend auf die Therapie anspricht. Sind die motorischen Symptome in gleicher Ausprägung vorhanden, so wird dies als Äquivalenztyp bezeichnet. Zur Einteilung des klinischen Schweregrades wird die Skala nach Hoehn und Yahr (1967) benutzt, wel-

Tab. 1  Nichtmotorische Symptome der Parkinson-Krankheit (Quelle: Oertel, ­Deuschl und ­Poewe (Hrsg.) Parkinson-Syndrome und andere Bewegungsstörungen. Thieme 2012) Symptomenkomplex Symptome Neuropsychiatrische Störungen

Depression Apathie, Anhedonie Frontal exekutive Störung Demenz Psychose Impulskontrollstörung Dopaminerges Dysregulationssyndrom

Schlafstörungen

Schlaffragmentation, Insomnie Rapid Eye Movement [REM] Sleep Behavior Disorder (RBD) Restless-Legs-Syndrom (RLS)/ Periodische Beinbewegungen im Schlaf (PLMS) Pathologische Tagesmüdigkeit

Autonome Dysfunktion

Orthostatische Hypotension Urogenitale Störungen Obstipation

Sensorische Symptome/ Schmerzen

Hyposmie Farbdiskriminationsstörung Schmerz

che fünf Stadien unterscheidet. Während die Hoehn-und-Yahr-Skala nur eine grobe Einteilung erlaubt, kommt zusätzlich die „Unified Parkinson‘s Disease Rating Scale“ (UPDRS) zum Einsatz, welche neben der Einordnung der motorischen Symptomatik auch eine Beurteilung von Kognition, Alltagsaktivitäten und Therapiekomplikationen ermöglicht [6]. Tritt die Parkinson-Krankheit bereits vor dem 40. Lebensjahr auf, wird diese Form als „young onset“ Parkinson-Krankheit bezeichnet. Erkranken Patienten vor ihrem 21. Lebensjahr, spricht man von „juveniler“ Parkinson-Krankheit.

Pharmakotherapie Auch 2013 ist die Behandlung der Parkinson-Krankheit eine symptomatische. Aktuell bestehen keine neuroprotektiven oder den Verlauf der Erkrankung modifizierenden Therapieformen. Der Fokus dieses Abschnittes liegt auf der Pharmakotherapie. Der Tiefen Hirnstimulation als mittlerweile etabliertes operatives Verfahren zur Behandlung der Parkinson-Krankheit ist ein eigener Artikel gewidmet. Auch zu den nicht medikamentösen Therapiemaßnahmen finden Sie eine weitere Übersicht. Ziel der Therapie ist eine Verbesserung sowohl motorischer als auch nichtmotorischer Symptome. Gleichzeitig sind Nebenwirkungen und Komplikationen der medikamentösen Behandlung motorischer und nichtmotorischer Art zu minimieren. Lebensqualität und Erhalt der Selbstständigkeit sind die Gradmesser der Therapie. Die folgende Übersicht stützt sich auf die S2-Leitlinien „Parkinson-Syndrome – Diagnostik und Therapie“ der Deutschen Gesellschaft für Neurologie [3]. Behandlung motorischer Symptome Die Behandlung der motorischen Symptome ist eine Domäne der medikamentösen Therapie. Dabei sei jedoch betont, dass die nichtmedikamentöse Behandlung dadurch nicht ersetzt werden kann, sondern dass die beiden Therapieformen stets in Ergänzung zueinander zu betrachten sind. Bei Auftreten motorischer Symptome sind in der Regel die Hälfte der Dopamin produzierenden Nervenzellen in der Substantia nigra bereits zugrunde gegangen. Dies führt zu einem Dopaminmangel in der Zielsubstanz, dem Striatum, um bis zu 80 Prozent. Ziel der Therapie ist es, den bestehenden Dopaminmangel auszugleichen. Eine dopaminerge Nervenendigung mit synaptischem Spalt und

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bild ist kleinschrittig und kann durch eine Starthemmung oder Bewegungsblockade, z. B. beim Umdrehen oder Durchgang durch eine Tür, zusätzlich beeinträchtigt werden.

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Vesikel

GLIA

Dopamin-Rückaufnahme

DOPAC

MAO-B

TH Phenylalanin

Tyrosin

3MT

COMT

AADC L-Dopa

Dopamin

Dopamin AR Präsynaptisch

D1 D2 D3

Postsynaptisch

Abb. 3  Schematische Darstellung einer dopaminergen nigrostriatalen Synapse (AADC: L-Dopa-Decarboxylase; AR: Auto-Rezeptor; COMT: Catechol-O-Methyltransferase; D1: Dopamin-1-Rezeptor; D2: Dopamin-2-Rezeptor; D3: Dopamin-3-Rezeptor; DOPAC: Dihydroxyphenylessigsäure; L-DOPA: L-Dihydroxyphenylalanin; MAO-B: Monoaminooxidase-B; TH: Tyrosinhydroxylase; 3MT: 3-Methooxytyramin)

postsynaptischen Rezeptoren ist in Abbildung 3 dargestellt. Neben dem enzymatischen Abbau ist es vor allem die Wiederaufnahme von Dopamin, die die Signaltransduktion beendet. Dopaminerge und nicht dopaminerge Substanzen Zu den dopaminergen Substanzen gehören Levodopa, als Vorstufe des Dopamins, immer gekoppelt mit einem Hemmer der aromatischen L-Aminosäure Decarboxylase (AADC), die Dopaminagonisten und die Hemmer des enzymatischen Dopaminabbaus, die Hemmer der Monoaminoxidase B (MAO-B) und der Catechol-O-Methyl-Transferase (COMT). Zu den nicht dopaminergen Substanzen in der Behandlung motorischer Symptome gehören die N-Methyl-D-Aspartat-(NMDA-)Rezeptor-Antagonisten und Anticholinergika. Eine Übersicht der Pharmakotherapeutika und deren unerwünschte Nebenwirkungen zeigt Tabelle 2. Levodopa kann die Blut-Hirn-Schranke passieren und wird in den Nervenendigungen zu Dopamin umgewandelt, gespeichert und in gleicher Weise wie der endogene Transmitter freigesetzt. Levodopa ist immer mit einem Hemmer der AADC kombiniert, Carbidopa oder Benserazid, der die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden kann. Zu den oralen Darreichungsformen zählen das Standardpräparat, eine retardierte und eine lösliche Form (LT = lösliche Tablette). Die lösliche Form erreicht früher die maximale Konzentration im Plasma, während die retardierte Form den Wirkstoff verzögert freisetzt und deshalb in der Behandlung der nächtlichen Akinese zum Einsatz kommt, um eine Interaktion mit der Nahrungsaufnahme im Tagesverlauf zu vermeiden. Zusätzlich steht eine Form zur kontinu-

ierlichen Infusion ins Jejunum zur Verfügung, die bei ausgeprägten Wirkungsfluktuationen in fortgeschrittenem Stadium der Erkrankung eingesetzt werden kann. Levodopa gilt nach wie vor als Goldstandard in der Therapie motorischer Symptome mit dem größten symptomatischen Effekt im Vergleich zu anderen dopaminergen Substanzen. Dies gilt in allen Stadien der Erkrankung und sowohl für die Monotherapie als auch in der Kombination mit anderen Medikamenten. Zu den motorischen Nebenwirkungen von Levodopa gehören insbesondere die Dyskinesien. Als Ursache wird eine pulsatile Dopaminrezeptorstimulation aufgrund der kurzen Plasmahalbwertszeit von Levodopa angenommen. Weitere Nebenwirkungen umfassen Übelkeit und Erbrechen und eine orthostatische Hypotension. Auf neuropsychiatrischem Gebiet sind vor allem die dopaminerg­ induzierte Psychose und das dopaminerge Dysregulationssyndrom zu nennen. Das Letztere ist durch eine durch den Patienten oftmals heimlich vorgenommene Dosissteigerung charakterisiert, die über die zur Symptomkontrolle erforderliche Dosis weit hinausgeht. Es stehen insgesamt zehn Dopaminagonisten zur Therapie der Parkinson-Krankheit zur Verfügung. Dabei gilt die Gruppe der Non-Ergot-Dopaminagonisten aufgrund des Nebenwirkungsprofils im Vergleich zu den Ergot-Derivaten als Mittel der ersten Wahl. Zur Non-Ergot-Gruppe gehören Piribedil, Pramipexol und Ropinirol jeweils in Standard- und retardierter Form, Rotigotin in Pflasterform und das parenteral zu applizierende Apomorphin. Die Ergot-Gruppe

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setzt sich aus den oralen Agonisten Bromocriptin, Cabergolin, alpha-Dihydroergocriptin, Lisurid und Pergolid zusammen. Die Dopaminagonisten entfalten ihre Wirkung direkt an den Dopaminrezeptoren und sind durch eine in der Regel längere Plasmahalbwertszeit im Vergleich zu Levodopa gekennzeichnet. Sie unterscheiden sich in Wirkdauer, Rezeptoraffinität, Elimination und Art der Nebenwirkungen. Grundsätzlich können sie in allen Krankheitsstadien eingesetzt werden, und zwar als Monotherapie oder – in fortgeschrittenem Stadium – in Kombination mit anderen Medikamenten. Unter den oralen Non-Ergot-Derivaten sind die beiden Retardpräparationen von Pramipexol und Ropinirol zu erwähnen, die eine Einmalgabe ermöglichen. Rotigotin ist der einzige Agonist, der in Pflasterform zur Verfügung steht und unter regelmäßiger Anwendung (einmal täglich) eine gleichmäßige Wirkung zeigt und zudem unabhängig von der Nahrungsaufnahme im Tagesverlauf ist. Apomorphin steht bislang hingegen nur zur subkutanen Anwendung zur Verfügung. Apomorphin kann einerseits als „Pen“ im Sinne einer Bedarfsmedikation eingesetzt werden und andererseits zur kontinuierlichen Gabe mittels Pumpe, ähnlich der jejunalen Levodopa-Infusion bei ausgeprägten Wirkungsfluktuationen in fortgeschrittenem Stadium der Erkrankung. Jegliche Pumpentherapie erfordert neben einer Anbindung an ein hochspezialisiertes Zentrum auch eine entsprechende soziale Einbindung des Patienten. Neben den klassischen dopaminergen Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen und orthostatische Hypotension können Beinödeme auftreten. Auf neuropsychiatrischem Gebiet sind insbesondere die dopaminerg­ induzierte Psychose, Impulskontrollstörungen und das „Punding“ zu nennen. Diese Nebenwirkungen können auch unter Levodopa auftreten, sind unter Agonistentherapie jedoch deutlich häufiger und machen oftmals eine Dosisreduktion notwendig [12]. Zu den Impulskontrollstörungen gehören beispielsweise Spielsucht, Hypersexualität, pathologisches Ess- und Kaufverhalten mit daraus resultierendem Konfliktpotenzial in Beruf und Familie. „Punding“ bezeichnet eine stereotyp wiederholte Tätigkeit ohne Zielsetzung. Über eine mögliche exzessive Tagesmüdigkeit mit ggf. Einschränkung der Fahrtüchtigkeit sind alle Patienten unter Agonistenbehandlung aufzuklären [9]. Das Auftreten von pleuropulmonalen, retroperitonealen und kardia-

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L-Dopa

Dyskinesien

Übelkeit Erbrechen

Orthostatische ­Hypotension Vermehrtes Schwitzen Tachykardie

Psychose Unruhe Verwirrtheit Dopaminerges Dysregulations­syndrom Punding

Exzessive Tagesmüdigkeit, „Schlafattacken“

Non-Ergot-­ Dopamin­ agonisten

Dyskinesien

Übelkeit Erbrechen Obstipation

Orthostatische Hypotension

Psychose Unruhe Verwirrtheit Impulskontrollstörung

Beinödeme Exzessive Tagesmüdigkeit, „Schlafattacken“

Ergot-Dopamin­ Dyskinesien agonisten

Übelkeit Erbrechen Obstipation

Orthostatische Hypotension

Psychose Unruhe Verwirrtheit Impulskontrollstörung

Pleuropulmonale Fibrose Herzklappen­fibrosen Magenblutung Raynaud-Phänomen Beinödeme Exzessive Tagesmüdigkeit, „Schlafattacken“

COMT-Hemmer

Dyskinesien

Diarrhoe Übelkeit

Psychose Unruhe Verwirrtheit

Dunkle Verfärbung des Urins Tolcapon: Lebertoxizität

Selegilin

Zunahme vorbestehender Dyskinesien

Rasagilin

Zunahme vorbestehender Dyskinesien

Psychose Unruhe Verwirrtheit Hypersexualität Übelkeit

Amantadin (siehe auch ­Anticholinergika) Anticholinergika

Kopfschmerzen Gewichts­abnahme

Zunahme einer vor­bestehenden orthostatischen Hypotension Psychose Unruhe Verwirrtheit

Übelkeit Erbrechen Obstipation

len Fibrosen unter Therapie mit Ergot-Derivaten hat zu deren Einstufung als Mittel der zweiten Wahl geführt. Aktuell stehen zwei Hemmer der COMT zur Verfügung, Entacapon und Tolcapon, die in Kombination mit Levodopa (und AADCHemmer) bei Patienten mit Wirkungsfluktuationen gegeben werden können. Durch eine Hemmung des Levodopa-Abbaus mittels COMT in der Peripherie wird eine Erhöhung der Bioverfügbarkeit und Verlängerung der Halbwertszeit der einzelnen LevodopaDosis erreicht. Entacapon steht auch als Kombination von Levodopa und Carbidopa (als AADC-Hemmer) zur Verfügung. Tolcapon gilt aufgrund seiner potenziellen, wenn auch sehr seltenen Lebertoxizität als Mittel der zweiten Wahl und erfordert eine regelmäßige Kontrolle der Transaminasen unter Therapie. Eine Gabe von Tolcapon ist erst

Mundtrockenheit Tachykardie Harnverhalt Erhöhung des Augeninnendrucks

Livedo reticularis Knöchelödeme

Unruhe Mnestische und kognitive Störungen Verwirrtheit

nach einem Therapieversuch mit Entacapon gerechtfertigt. Neben den klassischen dopaminergen Nebenwirkungen ist eine Verfärbung des Urins und in einigen Fällen das Auftreten von Durchfällen erwähnenswert. Eine irreversible Hemmung der MAO-B, dem anderen enzymatischen Abbauweg, bewirken die Substanzen Selegilin und Rasagilin. Sie führen zu einer Erhöhung der zerebralen Dopaminkonzentration. Für beide Substanzen wurde zusätzlich zur symptomatischen eine krankheitsmodifizierende Wirkung diskutiert, die sich aber letztlich durch Studien nicht beweisen ließ. Beide Substanzen gelten insbesondere im Frühstadium als insgesamt gut verträglich. Amantadin, als NMDA-Rezeptor-Antagonist mit zusätzlicher anticholinerger Wirkung, ist derzeit das einzige zugelassene Medikament mit nachgewiesenem antidyskine-

tischem Effekt. Relevante Nebenwirkungen sind Psychose und Verwirrtheitszustände unter Therapie. Unterschenkelödeme und eine Livedo reticularis können auftreten. Budipin, als weiterer Vertreter der Substanzklasse, spielt aufgrund des Auftretens von gefährlichen Herzrhythmusstörungen keine Rolle in der Therapie der Parkinson-Krankheit. Anticholinergika sind die ältesten Parkinson-Medikamente. Sie spielen nur eine untergeordnete Rolle in der Therapie aufgrund vielfältiger anticholinerger Nebenwirkungen (z. B. Harnverhalt, kognitive Störungen, Verwirrtheit), welche sich insbesondere bei älteren Patienten als ungünstig erweisen. Behandlung nichtmotorischer Symptome Vielfach bestimmen nichtmotorische Symptome in fortgeschrittenem Erkrankungsstadium Lebensqualität bzw. Grad der Behin-

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Tab. 2:  Unerwünschte Nebenwirkungen der pharmakologischen Parkinson-Therapie (Quelle: Oertel, Deuschl und Poewe (Hrsg.) ParkinsonSyndrome und andere Bewegungsstörungen. Thieme 2012) Substanz Motorische NW Gastrointestinale NW Autonome NW sychische NW Andere NW

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derung. Kontrollierte Studien zur Pharmakotherapie dieser Symptome fehlen häufig. Neuropsychiatrische Störungen stehen dabei oftmals im Vordergrund, deren Therapie ist deshalb Gegenstand dieses Abschnittes. In der Behandlung einer Depression kann neben einer Optimierung der dopaminergen Therapie eine zusätzliche Gabe eines Antidepressivums erforderlich werden. Am häufigsten werden Serotonin-Wiederaufnahmehemmer eingesetzt, aber auch Trizyklika oder kombinierte serotonerge/noradrenerge Substanzen. Die anticholinerge Komponente der Trizyklika verbietet deren Einsatz bei Patienten mit Demenz. In der Therapie der Psychose ergibt sich häufig die Notwendigkeit zur Gabe atypischer Neuroleptika. Nur Clozapin und Quetiapin führen nicht zu einer Verschlechterung der motorischen Symptomatik, andere Neuroleptika sind deshalb kontraindiziert. Bei Clozapin sind aufgrund einer möglichen Agranulozytose (~1 %) regelmäßige Blutbildkontrollen notwendig. Gleichzeitig sollte bei Auftreten einer Psychose eine Kontrolle auslösender Faktoren wie beispielsweise Infekte, Flüssigkeitsmangel und Elektrolytstörungen erfolgen. Auch ist eine Umstellung der Medikation unter Verzicht auf Anticholinergika, Amantadin und ggf. Dopaminagonisten vorzunehmen. Bei Patienten mit Demenz ist eine antipsychotische Wirkung von Acetylcholinesterase-Inhibitoren beschrieben. Zur Therapie der Demenz im Rahmen der Parkinson-Krankheit besteht bislang nur eine Zulassung für den AcetylcholinesteraseHemmer Rivastigmin [4].

Fazit Die Behandlung der Parkinson-Krankheit insbesondere in fortgeschrittenem Stadium ist stets individuell an die motorischen und nichtmotorischen Symptome sowie die Komplikationen der Therapie des einzelnen Patienten im Verlauf anzupassen. Literatur 1. Braak H, Del Tredici K, Rub U, et al. Staging of brain pathology related to sporadic Parkinson’s disease. Neurobiol Aging 2003; 24:197–211 2. Dorsey ER, Constatinescu R, Thompson JP, et al. Projected number of people with Parkinson disease in the most populous nations, 2005 through 2030. Neurology 2007; 68: 384–386 3. Eggert K et al. Parkinson-Syndrome – Diagnostik und Therapie. Kommission „Leitlinien“ der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie, 5. Auflage. Stuttgart: Thieme 2012: 124–162

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4. Emre M, Aarsland D, Albanese A, et al. Rivastigmine for dementia associated with Parkinson’s disease. N Engl J Med 2004; 351: 2509–2518 5. Goetz CG, Stebbins GT. Risk factors for nursing home placement in advanced Parkinson’s disease. Neurology 1993; 43: 2227–2229 6. Goetz CG, Tilley BC, Shaftman SR, et al. Movement Disorder Society-sponsored revision of the Unified Parkinson’s Disease Rating Scale (MDS-UPDRS): scale presentation and clinimetric testing results. Mov Disord 2008; 23: 2129–2170 7. Hoehn MM, Yahr MD. Parkinsonism: onset, progression and mortality. Neurology 1967; 17: 427–442 8. Lewy FH. Paralysis agitans. I. Pathologische Anatomie. Lewandowsky’s Handbuch der Neurologie, Band 3: Spezielle Neurologie II. Berlin: Springer 1912: 920–933 9. Möller JC, Rethfeldt M, Körner Y, et al. Daytime sleep latency in medication-matched parkinsonian patients with and without sudden onset of sleep. Mov Disord 2005; 20: 1620–1622 10. Pan-Montojo F, Schwarz M, Winkler C, et al. Environmental toxins trigger PD-like progression via increased alpha-synuclein release from enteric neurons in mice. Sci Rep 2012; 2: 898 11. Polymeropoulos MH, Higgins JJ, Golbe LI, et al. Mapping of a gene for Parkinson’s disease to chromosome 4q21–q23. Science 1996; 274(5290): 1197–1199 12. Weintraub D et al. Frequency and correlates of comorbid psychosis and depression in Parkinson’s disease. Parkinsonism Relat Disord 2006; 12: 427–431

Autoren Der Neurologe PD Dr. Vincent Ries ist Oberarzt der Klinik für Neurologie der Philipps-Universität und des Universitätsklinikums Marburg. Sein wissenschaftlicher Schwerpunkt liegt im Bereich Bewegungsstörungen und neurologische Schlafstörungen. Der Neurologe Professor Dr. Dr. h.c. Wolfgang H. Oertel ist Direktor der Klinik für Neurologie der Philipps-Universität und des Universitätsklinikums Marburg. Sein wissenschaftlicher Schwerpunkt umfasst die Bewegungsstörungen (insbesondere Frühdiagnose der Parkinson-Krankheit), neurologische Schlafstörungen und Demenzen. PD Dr. med. Vincent Ries Klinik für Neurologie Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH Standort Marburg Baldingerstraße, 35033 Marburg E-Mail: [email protected]

Bibliografie DOI 10.1055/s-0033-1355226 neuroreha 2013; 3: 103–108 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York · ISSN 1611-6496

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