Die sich wandelnde Idee des Dinosauriers Gegenstand meiner Arbeit ist der Dinosaurier – ist die Idee, die Vorstellung vom Dinosaurier. Ich grabe also keine versteinerten Knochen aus. Wenn ich etwas ausgrabe, dann sind es Geschichten, dann sind es kulturelle Repräsentationen vom Dinosaurier. Kurz zum Inhalt: Mein Vortrag gliedert sich in zwei Teile. Im ersten Teil will ich den Protagonisten der Handlung vorstellen: Den Dinosaurier. Im Zweiten komme ich auf die Methode zu sprechen: Welche Ansätze gibt es, den Saurier und dessen Entwicklung zu sehen?

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Wer oder was ist der Dinosaurier

Zu sehen ist ein Kinderzimmer. Es ist Die Installation „Toys ‘R‘ vollständig mit Dinosaurier-Artikeln U.S. (When gefüllt. Eigentlich ist das kein wirkliDinosaurs ches Kinderzimmer. Es tut nur so. Es Ruled the ist es ein Kunstwerk von Mark Dion, Earth)“ von einem bekannten zeitgenössischen Mark Dion, 1994. Künstler. Die Arbeit trägt den Titel „Toys ‘R‘ U.S. (When Dinosaurs Ruled the Earth)“. Der Untertitel „When Dinosaurs Ruled the Earth“ lässt einen Gedanken aufkommen: Nicht im Mesozoikum erlebten die Saurier ihre Hochphase, sondern im Hier und Heute. Als naturwissenschaftliche Erkenntnis, als Gegenstand von Kinofilmen und als Haribo-Gummifrüchte durchdringen T. rex & Co unser ganzes Leben. Dinosaurier sind also weit mehr als eine lustige Nebensache. Sie sind ein ganz zentraler Bestandteil heutiger Mensch-Natur Beziehung. Einer der populärsten und, soweit ich es beurteilen kann, auch wissenschaftlich einflussreichsten Paläontologen ist Robert T. Bakker. Etwas scherzhaft vergleicht er Saurier mit Masern, Mumps oder Rötel. Die Dinosaurier sind eine Kinderkrankheit. Meist kriegen sie Jungs; zwischen 4 und 10 Jahren. So massiv die Saurier auch verlaufen, so schnell geht der Spuk auch wieder vorbei.1 Ich möchte dem hinzufügen: So richtig schlimm verlaufen die Dinosaurier, wie alle Kinderkrankheiten, nur, wenn man sie sich als Erwachsener einfängt. Stephen Jay Gould charakterisiert Dinosaurier als big, fierce and extinct. „Sie sind groß, wild und ausgestorben – oder mit anderen Worten aufregend gefährlich, aber in sicherer Entfernung.“.2 Die Faszination für Saurier wäre dann in einer Art Kantscher Erhabenheit begründet: Etwas ist ganz, ganz schrecklich-schlimm. Es kann einem aber nichts anhaben. Dadurch fühlt man sich selber groß und stark – das gefällt. Das heutige Bild vom Saurier ist, wie ich noch zeige, doch recht anders: Dinosaurier sind klein, wendig und flink. Manchmal sind sie gute Mütter und treue Begleiter. Und, Dinosaurier sind weit davon entfernt ausgestorben zu sein. Dennoch sind sie populärer denn je. Es lässt sich die These aufstellen, dass unsere Faszination vom Saurier gar nichts mit dem Saurier selbst zu tun hat. W. J. T. Mitchell ist einer der zurzeit „angesagtesten“ Kulturwissenschaftler. Er ist einer der Begründer der Visual Culture Studies – zu Deutsch: Bildwissenschaften. Diese fordern eine Erweiterung der Kunstgeschichte auf visuellen Darstellungen allgemein, also auch auf die der Populärkultur und der Naturwissenschaften. Ganz diesem Ansatz verschrieben ist Mitchells Buch „The Last Dinosaur 1

Einleitung von Bakker Robert T. 1996 [1986]. The Dinosaur Heresies: New Theories Unlocking the Mystery of the Dinosaurs and Their Extinction. Zebra Books 2 Gould Stephen J. 2002. Ein Dinosaurier im Heuhaufen. Streifzüge durch die Naturgeschichte (Essay: Dinomanie, 287-310). Frankfurt/M.: Fischer. 289

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Book“3. Er bezieht sich darin auf Claude Levi Strauss´ Begriff des Totems. Mitchell sieht den Dinosaurier als „Totem der Moderne“. Saurier sind für ihn ein Spiegelbild unserer Gesellschaft eine Projektionsfläche. Wenn wir vom Dinosaurier sprechen, so meinen wir eigentlich uns selbst. Das ist ein cleverer Ansatz. Mir kommt er natürlich sehr entgegen. „Die sich wandelnde Idee des Dinosauriers“ ließe sich so gleichsetzten mit der kulturell-gesellschaftlichen Entwicklung der letzten 150 Jahre. Aber ich denke, dass Dinosaurier schon etwas anderes sind als reine Bilder. Sie rekurrieren immer auch auf die faktische Wirklichkeit auf echte, einst tatsächlich lebende Tiere. Wenden wir uns nochmals der Abbildung (Mark Dions „Toys ar U.S.“) zu. An der Wand hängt ein Poster vom Ammerican Museum of Natural History4. Die Plastiksaurier auf dem Fernseher ist vom British Museum of Natural History.5 Im Fernseher läuft vermutlich eine Dokumentationssendung über Dinosaurier. Gewissermaßen das Monopol für Tierdokumentationen hat BBC. Stets wird in diesen Filmen betont, dass es sich bei den gezeigten Inhalten nicht um Fiktion handelt – neuste naturwissenschaftliche Erkenntnisse werden präsentiert. Vincenz Hediger ist Professur für Filmwissenschaft an der Ruhr-Uni in Bochum. Er untersucht, wie in solchen Dokumentationsfilmen Authentizität geschaffen wird – wie es gelingt, die Saurier als echte, lebendige Tiere darzustellen. Als stilistische Referenz solcher Saurierfilme sieht er Wildlife- und Safaridokumentationen.6 Um die Dinosaurier nicht aufzuscheuchen scheint sich der vermeintliche Tierfilmer irgendwo im Dickicht verstecken zu müssen. Zweige und Blätter verdecken oft teilweise den Blick. Das Bild weißt eine extreme Tiefenunschärfe auf. Der Eindruck entsteht, es sei ein starkes Teleobjektiven verwendet worden. Oft ist das Bild verwackelt. Es scheint, der Kameramann läuft den Sauriern hinterher und stolpert über kleine Äste und Wurzeln. Einmal muss sogar einen Restlichtverstärker ver- Film 1. Walking With Dinosaurs. 1999. BBC wenden um die Dinosaurier überhaupt filmen zu Zwei kurze Ausschnitte werden gezeigt. Sie visualisieren das Geschilderte. können. Aus Naturwissenschaftlicher Sicht sind die Saurier eine Gruppe von Landlebenden Reptilien. Eigentlich sind sie das, was im englischen als „folk-taxon“ bezeichnet wird – so etwas wie Kraut und Rüben. Denn aus kladistischer Sicht bilden Dinosaurier keine monophyletische Gruppe. Es müssten die Vögel dazugezählt werden. In neueren paläontologischen oder taxonomischen Veröffentlichungen wird oftmals in der Tat, wenn Dinosaurier gemeint sind, von „Non-Avian Dinosaurs“ gesprochen. Und, was noch weit abstruser klingt, unsere ganz normalen, rezenten Vögel werden als „Avian Dinosaurs“ bezeichnet. In meiner Arbeit beziehe ich mich nicht auf solche scharfen taxonomischen Ein- und Ausgrenzungen. Meine Saurier sind ein Typus der einen Kern hat. Je nach dem wie weit etwas von diesem Kern entfernt ist, desto mehr oder desto weniger ist ein Dinosaurier.

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Mitchell W. J. T. 1998. The Last Dinosaur Book: The Life and Times of a Cultural Icon. The University of Chicago Press 4 Das Poster zeigt eine Illustration von John Gurche. In der Theodore Roosevelt Memorial Hall des AMNH ist die Dargestellte Szene als nachgebildetes Skelett zu sehen. 5 Bei diesem Dinosaurier handelt es sich um einen Diplodocus. Ich zeige die Figur im Original. 6 Hediger Vinzenz. 2003. CREDO UT INTELLIGAM ODER: WIE DIE SAURIER WIRKLICH WAREN. Computergenerierte Bilder, dokumentarisches Form und mediale Repräsentation ausgestorbener Tierarten. In: NAVIGATIONEN. SIEGENER BEITRÄGE ZUR MEDIEN- UND KULTURWISSENSCHAFT. 49-65. Marburg: Schüren.

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Methode Wie lässt sich der Dinosaurier als Fakt sehen?

Dinosaurier sind also kein reines Fantasieprodukt. Sie rekurrieren auf naturwissenschaftliche Fakten. Wie lassen sich diese sehen? Zwei große Sichtweisen können unterschieden werden: Die Realistische und die Relativistische. Auf der einen Seite geht das Wissen über die Welt von der Natur aus, auf der anderen von der Kultur. Eine dritte Sichtweise vermittelt nicht zwischen beiden Polen. Sie steht dazwischen. Ich bezeichne sie als Post-Konstruktivismus.

2.1

Realismus

Die realistische Sichtweise wird auch als rationalistisch bezeichnet. Als wissenschaftsphilosophischer Vertreter wäre Karl Popper zu nennen. Kern dieses Denkens ist, dass es eine objektive, von unseren Vorstellungen davon unabhängige Wirklichkeit gibt. In einem evolutionär-epistemologischen Prozess können wir uns der Wirklichkeit Stück für Stück nähern. Der Dinosaurier erscheint mir geradezu als Idealfall einer solchen kumulativen Wahrheitsfindung. Entdeckungen haben oftmals das Bild vom Saurier grundlegend verändert. 1877 werden im belgischen Bernissart erstmals vollständige Skelette von Dinosauriern gefunden. Ihre vorderen Gliedmaßen sind wesentlich kürzer als die Hinteren. Die Hypothese, dass alle Saurier vierbeinig sind, musste verworfen werden. Der bipede, aufrecht gehende Saurier war geboren. Neuere Vorstellungen vom Saurier sind nicht einfach nur anders als ältere. Sie ist schlicht und ergreifend besser besser in dem Sinn, dass sie näher an der objektiven Wirklichkeit dran sind.

2.2

Relativismus

Der Relativismus wird auch als Konstruktivismus bezeichnet. Wichtige theoretische Vertreter sind Riegl, Fleck, Kuhn, Feyerabend und Foucault. Zentrale Begriffe sind Denkstil, Paradigma und Episteme. Sie können weitgehend als synonym betracht werden Gemeint ist damit eine Brille, durch die hindurch die Welt wahrgenommen wird. Der Kunsthistoriker Gombrich hat dargestellt, dass das unwissende Auge blind ist.7 Ohne eine solche Brille ist die faktische Welt also gar nicht zu sehen. Wesentlich für die Wirklichkeit ist nicht der Naturgegenstand, sondern die kulturell konstruierte Vorstellung davon. Feyerabend schreibt dazu: „Wahrheit ist, was der Denkstil sagt, dass Wahrheit sei“8.

2.2.1 Wie und warum wandelt die Brille, durch die hindurch der Saurier gesehen wird? Wenn der Wandel des Dinosauriers interessiert, so sollte gefragt werden, wie und warum sich die Brille verändert, durch die hindurch er als Fakt gesehen wird?

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Gombrich Ernst H. 2002 [1960]. Kunst und Illusion. Zur Psychologie der bildlichen Darstellung. Berlin: Phaidon. 8 Feyerabend Paul. 1984. Wissenschaft als Kunst. Frankfurt/M.: Suhrkamp. 77.

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Drei Ansätze von Antworten möchte ich darstellen: — die sozialkonstruktivistische: Im Zentrum steht hier der Mensch. — die technikdeterministische: Ausgangspunkt sich technische- und mediale Veränderungen. — und die ideenimmanente: Hier geht es um Veränderungen die auf Ebene der Ideen selbst stattfinden. 2.2.1.1 Sozialkonstruktivistisch Als erster dieser Ansätze wird der Sozialkonstruktivistische dargestellt. Berger & Luckmanns „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“9 kann als Standardwerk der neueren Wissenssoziologie gesehen werden. Ihre Kernthese ist, „daß Wirklichkeit gesellschaftlich konstruiert ist“10. Bezug nehmen sie dabei auf Marx´ Begriff der Ideologie – „Ideen, die als Waffen für gesellschaftliche Interessen wirken“11. Die Sichtweise von natürlichen Dingen wandelt sich demnach, weil das bestimmte Menschen oder Gruppen nützt und weil diese das wollen.12 Ich möchte diesen Ansatz an der Erfindung des Dinosauriers durch Richard Owen veranschaulichen. Owen verwendete den Begriff „Dinosaurier“ erstmals 1842. Desmond schreibt dazu: „He did not simply recognize dinosaurs, giving taxonomic expression to the ´objective` fact; more properly, he designed them—invented them […]“13. Es erscheint schon merkwürdig, dass hier von Erfindung und nicht Endeckung die Rede ist… Desmond aber argumentiert, dass Owen den Saurier ganz bewusst als Bollwerk gegen den Evolutionismus konstruiert hat. Kurz zur historischen Einordnung: Wir sind hier Anfang der 1840er. T. H. Huxley, Owens späterer Erzrivale, war fast noch ein Kind. Einerseits sollte es zur Veröffentlichung der Vestiges14 noch vier, zu der der Entstehung der Arten15 noch fast 20 Jahre dauern. Andererseits ist Lamarck schon seit 10 Jahren tot. Owens Gegenspieler zu dieser Zeit ist ein gewisser Robert Edmond Grant. Als Evolutionist folgt Grant weitgehend Lamarck. Er glaubt an die Verzeitlichung der scala naturae und an die Transmutation der Arten aus eigenem Antrieb. Die Entwicklung des Lebens, und das ist hier der springende Punkt, versteht er als lineare Progression – als steten Weg vom Einfachen zum Vollkommenen. Owen ist das krasse Gegenteil. Er ist überzeugter Anhänger Cuviers. Er glaubt an feste Archetypen – an unveränderliche Grundbaupläne der Lebewesen. Cuviers Denken überführt Owen in den naturtheologisch-religiösen Kontext des viktorianischen Englands. Der Evolutionismus bedroht für ihn also nicht nur seine wissenschaftliche Überzeugung. Er bedroht auch seine konservativ-religiösen Werte. Zudem ist Grant der wichtigste akademischer Widersacher von Owens. Es geht um Einfluss und Annerkennung darum, wer der bedeutendste britische Naturhistoriker ist. Wie konnte Owen den Evolutionismus und Grant zu Fall bringen? Als wunder Punkt in der Grants Denken erscheint die Annahme der steten Vervollkommnung des Lebens. Owen musste also zeigen, dass Lebewesen der Vergangenheit weiter entwickelt waren, als vergleichbare Lebewesen der Gegenwart.

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Berger Peter L. & Luckmann Thomas. 2004 [1966]. Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie.. Frankfurt/M.: Fischer. 10 Ebd. 1 11 Ebd. 6 12 Zusatz: Als Teilbereich der Wissenssoziologie kann die Wissenschaftssoziologie verstanden werden. Insbesondere Vertreter des sog. Strong Programs, beispielsweise Barry Barnes und Harry Collins, sehen wissenschaftliche Fakten – nicht also nur die Vorstellung davon – als Konstrukte von Scientific Communities. 13 Desmond Adrian. 1979. Archetypes and Ancestors: Palaeontology in Victorian London, 1850-1875. University of Chicago Press. 224. 14 Chambers Robert [anonym]. 1844. Vestiges of the Natural History of Creation. London. 15 Darwin Charles. 1859. On the Origin of Species by means of Natural Selection or The Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life. London.

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Owens Rekonstruktion des Megalosaurus. Ausgangsmaterial waren die hier eingezeichneten Knochen.16

Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts werden in England einige wenige versteinerte Knochen und Zähne gefunden. Sie werden zunächst einstmals lebenden Reptilien zugeschrieben. Diese hätten, abgesehen von den gigantischen Ausmaßen, heutigen Eidechsen geglichen. Owen aber erschuf aus diesem mageren Ausgangsmaterial vollständig neuartige Tiere. Er erfand einen ganzen neuen Archetyp von Reptilien die weitgehend den großen, heutigen Säugetieren gleichen. Es waren die höchst entwickelten Reptilien, die es auf der Welt jemals gab.

Aus ein paar Knochen erschuf Owen somit eine Klasse von Lebewesen, die die Welt vor der Sintflut beherrschten – die Dinosaurier. An dieser Stelle möchte ich nochmals Desmond zitieren: „Die Eidechsen und Krokodile der Jetztzeit erschienen Owen als niedere Geschöpfe, die nichts von der Großartigkeit der Dinosaurier an sich hatten. Auf der Entwicklungsleiter standen sie tiefer, in der Zeitfolge kamen sie sehr viel später; das war mit linearer »Progression« der Arten kaum zu erklären.“ (Desmond 1981, 22 f.) Owen hat den Dinosaurier also nicht entdeckt. Er hat ihn für seine ideologischen Zwecke erfunden. 2.2.1.2 Technischer Determinismus Für den Wandel des Denkens lassen sich technische Entwicklungen verantwortlich machen. Solche Ansätze sind Gegenstand der Medientheorien. Einem weitem Begriffsverständnis folgend, werden unter Medien auch Dinge wie Geld oder die Eisenbahn verstanden. Das Aufkommen solcher Technologien verändert die Art und Weise, in der unsere Umwelt wahrgenommen wird. Verbindender Gedanke der doch recht heterogenen Medientheorien ist, dass Medien nicht neutrale Träger von Informationen sind. Die Gestalt einer Mitteilung formt deren Inhalt ganz wesentlich. Auf den Punkt gebracht hat das Marschall Mc Luhan mit seiner populären Formel „The medium ist the Message“. Meine weiterführende These ist, dass Vorstellung und Darstellung grundsätzlich nicht voneinander zu trennen sind. Dinosaurier werden einerseits so abgebildet, wie man sie sich vorstellt. Umgekehrt können sie aber auch nur so gedacht werden, wie sie sich darstellen lassen. Diese Darstellungsmöglichkeiten sind stark technisch bedingt Springende Saurier: Referenzmodell war das Känguru. Das Bild ist von Charles R. Knight, 1896.

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Anfang des 20. Jahrhunderts werden Saurier nicht als träge und langsam gesehen – ganz im Gegenteil. Wie gezeigt, sind Richard Owens Saurier vergleichbar mit dahinpreschenden Nashörnern. Durch die Funde von Skeletten mit kurzen Fordergliedmaßen war man gezwungen, sich Dinosaurier aufrecht vorzustellen. Referenzmodell wurden springende Kängurus.

Owen Richard. 1854. Geology and Inhabitants of the Ancient World. London.

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Film. 2 Gezeigt wird ein kurzer Ausschnitt aus The Lost World, 1925.

Mit Aufkommen des Films wandelt sich dieses Bild vollkommen. Tricktechnisch werden Saurier in der sog. Stop-Motion-Technik dargestellt. Miniaturen werden Bild für Bild bewegt und quasi abfotografiert. Die für diesen Saurier typische, langsame und kantige Motorik entsteht.

2.2.1.3 Ideenimmanent Ich komme zum dritten Ansatz, der erklären soll, wie sich die Vorstellung von der Wirklichkeit ändert. Ein Prozess, der sich ausschließlich auf Ebene der Ideen vollzieht, wird dargestellt. In seinem populärwissenschaftlichen, evolutionsbiologischen Buch „Das egoistische Gen“ führt Richard Dawkins den Begriff „Mem“ ein. Das Mem ist ein kulturelles Äquivalent zu Gen. Meme sind demnach Bausteine komplexer Ideen. In dieser Hinsicht sind sie durchaus vergleichbar mit dem was Lovejoy17 als „Elementarideen“ bezeichnet. Darüber hinaus werden Meme aber als sich selbst replizierende Entitäten verstanden. Sie entwickeln sich in einem evolutionären Prozess und adaptieren sich an das geistige Umfeld. Das Geschehen ist auf das beschränkt, was Popper als Welt 3 bezeichnet. Ein Zutun von außen, also von Menschen und Medien, ist nicht notwendig um die Entwicklung von Ideen zu erklären. Erst seit Mitte der 1990er wird das Mem von Philosophen und Kulturwissenschaftlern aufgegriffen und diskutiert. Zu nennen wären Daniel C. Dennett, David Hull und Dan Sperber.18 Als Beispiel wird die Anpassung des Dinosauriers an die Postmoderne dargestellt. Einerseits wird die Zeit vom 2. Weltkrieg bis zum Ende des Kalten Krieges betrachtet; andererseits die vom Ende des Kalten Krieges bis jetzt. Vergleicht man diese beiden Perioden, so sind große Veränderungen festzustellen. Die Leitmotive haben sich in vielen Bereichen gewandelt: Stabilität ist der Dynamik gewichen, Atombomben und Schlachtschiffe haben ihre Bedeutung an Terroristen und mobile Eingreiftruppen verloren, die Maschine wurde vom Computer verdrängt, Materie wurde von Information abgelöst, etc. Grob gesagt lässt sich eine Beschleunigung und Entmaterialisierung beobachten. Der Dinosaurier passt sich an dieses gewandelte geistige Milieu an. Zum Teil geschieht das dadurch, dass sich der Kern von dem, was den Typus Dinosaurier ausmacht, vom Tyrannosaurus rex zum Velociraptor verschiebt. T. rex ist ein tonnenschwerer grau-brauner Koloss. Er ist Einzelgänger, selbstverständlich männlich. Er ist eine dumpfe Kampfmaschine die nicht denkt, sondern funktioniert. Velociraptor bedeutet so viel vie schneller oder flinker Räuber. Velociraporen gibt es nur im Plural, in der Meute. Sie sind eine Horde wild kreischender Weiber. Knallbunt und schrill befiedert. Der Saurier passt sich dem ihm umgebenden Umfeld an. Diese Ideen aus denen er’s sich zusammensetzt stützen sich gegenseitig. In diesem Rahmen kann ich das nicht mit Quellen untermauern; ich kann es nicht mit Beispielen aus Kultur und Wissenschaft veranschaulichen. Ich möchte lediglich einen Zahn von Tyrannosaurus und einen Kopf des Velociraptors herumgehen lassen. Alleine schon der einzelne Zahn vom T. rex ist massiger und schwerer als der ganze Raptorenschädel.

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Lovejoy Arthur O. 1933 [1993]. Die große Kette der Wesen. Geschichte eines Gedankens. Frankfurt/M.: Suhrkamp 18 Einen Überblick in die aktuelle Debatte liefert: Augner Robert (Hg.). Darwinizing Culture. The Status of Memetics as a Science. Oxford University Press.

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Das sind freilich nur Abgüsse im Maßstab 1:1. Dennoch, so finde ich, ist es ein unheimliches Gefühl, diese Dinge in der Hand zu halten…

Post-Konstruktivismus Ich habe die beiden Pole, den Realismus und den Relativismus dargestellt. Der Post-Konstruktivismus liegt dazwischen. Ich würde ihn aber sicherlich näher an den Relativismus (Konstruktivismus) stellen. Vertreter des Post-Konstruktivismus sind die „neuen Franzosen“ – Baudrillard, Latour, Deleuze und Guattari, etc. Zumindest in einem Punkt scheinen sie sich einig zu sein. Sie „vermantschen“ Fakt und Fiktion, Original und Abbild. Jean Βaudrillard veranschaulicht das in seiner „Anagonie des Realen“19 am Beispiel der Landkarte und des Territorium. Einerseits mag die Landkarte als Abbild des Territoriums erscheinen. Umgekehrt bringt der Inhalt der Karte das Territorium erst hervor. Die Grenzen auf der Karte lassen diese in der „Wirklichkeit“ erst entstehen. Territorium und Landkarte verweisen gegenseitig aufeinander. Sie existieren überhaupt nur auf Grund dieser zirkulären Referenz. Bei Deleuze und Guattari erfüllt das Beispiel von der Orchidee und der Wespe den selben Zweck. Zwei Dinge verweisen Gegenseitig aufeinander. Sie bilden ein agencement – eine Verkettung, ein Gefüge oder ein Netz.20 Der Dinosaurier lässt sich so als Hybridwesen sehen – als das, was Bruno Latour als Faitiche bezeichnet. Dieser französische Neologismus lässt sich nicht direkt übersetzten. Er setzt sich zusammen aus dem Begriff fait, zu Deutsch der Fakt und fétiche, zu Deutsch der Zauber, die Einbildung oder der Fetisch.21 Einerseits entstammt der Dinosaurier der Fiktion, andrerseits rekurriert er eben auf einst tatsächlich existierende Lebewesen. Bei den meisten Dingen die am Lehrstuhl für Landschaftsökologie – dort schreibe ich meine Dissertation – untersucht werden, ist das nicht so. Ludwig Trepl hat mir gegenüber die Eiche als Beispiel herangezogen. Da gibt es auf der einen Seite die „Deutsche Eiche“ – ein Nationalsymbol, ein rein kultureller Gegenstand. Auf der anderen Seite gibt es Quercus Robur – ein Gegenstand der Biologie. Das ist schon immer die ganz gleiche Eiche. Aber es ist wie bei einem Vexierbild. Entweder sieht man sie so, oder so – entweder Hase, oder Ente. Ein Dazwischen oder ein Zusammen gibt es nicht! Beim Saurier ist das anders. Als kulturelle Vorstellung existiert er nur auf Basis naturwissenschaftlicher Erkenntnis. Er ist so etwas wie das Ozonloch, BSE und der Urknall. Er ist gleichzeitig echt und fiktiv. 19

Baudrillard Jean. 1978. Agonie des Realen. Berlin: Merve. Landkarte und Territorium sind auf 7 ff. Deleuze Gilles, Guattari Felix. 1992. Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie. Berlin: Merve. Orchidee und Wespe sind auf 20. 21 Latour, Bruno. 2002. Die Hoffnung der Pandora. Frankfurt/Main: Suhrkamp. 327 ff. 20

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