Die Idee des Volksliedes in der Kunstmusik

Medien Christine Krüger Die Idee des Volksliedes in der Kunstmusik Examensarbeit Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Di...
Author: Samuel Reuter
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Medien

Christine Krüger

Die Idee des Volksliedes in der Kunstmusik

Examensarbeit

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Christine Krüger

Die Idee des Volksliedes in der Kunstmusik

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Die Idee des Volksliedes in der Kunstmusik

Wissenschaftliche Hausarbeit zur Ersten Staatsprüfung für das Amt des Lehrers

Vorgelegt von:

Christine Krüger

Berlin, den 18. September 2005

Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1 Über das Volkslied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.2 Zum Begriff der „Idee“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1.3 Übertragung auf das Volkslied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .4 2 Das Volkslied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 2.1

Abgrenzung zum Kunstlied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .6

2.2

Das Wesen des Volkliedes – Volkslieder vor Herder . . . . . . . . . . . . . . . . . .7

2.2.1 Volksliedtexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 2.2.2 Volksliedmelodien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2.2.3 Das Verhältnis zwischen Wort und Ton. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 2.3

Johann Gottfried Herder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

2.4

Volkslied-Sammlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .14

2.4.1

Achim von Arnim und Clemens Brentano – „Des Knaben Wunderhorn“ .15

2.4.1.1 Des Antonius von Padua Fischpredigt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 2.4.2

August Kretzschmer und Wilhelm von Zuccamaglio – „Deutsche Volkslieder mit ihren Original-Weisen“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

2.4.2.1 Analyse „Schwesterlein“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .29 2.4.3

Ludwig Erk, Wilhelm Irmer und Franz Magnus Böhme – „Die deutschen Volkslieder mit ihren Singweisen“ und „Deutscher Liederhort” . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .32

2.5

Das „Lied im Volkston“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .34

2.6

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .37

3 Johannes Brahms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .38 3.1

Biographische und kompositorische Bedingungen der VolksliedBearbeitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

3.2

Johannes Brahms und die Volkslieder aus der Sammlung von Zuccalmaglio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .45

3.3

„Schwesterlein“ für eine Singstimme und Klavierbegleitung, WoO 33/15.47

3.3.1 Analyse und Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 3.4

Die „Idee des Volksliedes“ bei Johannes Brahms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

3.5

Die „Idee des Volksliedes“ als Ausgangspunkt zur Komposition von „Liedern im Volkston“ – „Wiegenlied“ Op.49/4. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .53

3.6

Auswirkungen der „Idee des Volksliedes“ auf die Kunstmusik bei Johannes Brahms. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

4 Gustav Mahler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .58 4.1

„Natur-“ und „Volkston“ und die Auswirkung auf das kompositorische Schaffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .60

4.2

Gustav Mahler und sein Verhältnis zu „Des Knaben Wunderhorn“ . . . . . .64

4.3

Gustav Mahler – Gesänge aus „Des Knaben Wunderhorn“. . . . . . . . . . . .68

4.3.1 Das Verhältnis zwischen Klavier- und Orchesterfassung bei Gustav Mahlers Liedern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .69 4.3.2 „Des Antonius von Padua Fischpredigt“ – Entstehung, Analyse, Interpretation, Auswertung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .71 4.4

Die „Idee des Volkliedes in der Kunstmusik“ bei Gustav Mahler . . . . . . . 76

5 Die unterschiedliche Verwendung und Auswirkung der „Idee des Volksliedes in der Kunstmusik“– Ein Vergleich zwischen Johannes Brahms und Gustav Mahler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .78

Einleitung Aus heutiger Sicht assoziiert man mit den Begriffen „Volkslied“ und „Kunstmusik“ zwei völlig verschiedene Musikbereiche. Als Volkslied fallen einem häufig Lieder wie „Alle Vögel sind schon da“, „Schlaf Kindlein, Schlaf“ oder „Der Kuckuck und der Esel“ ein. Meistens sind es Lieder, die man im Kindesalter von den Eltern oder in der Schule kennen gelernt hat. Oft wird daher der Begriff „Volkslied“ dem des „Kinderliedes“ gleichgesetzt; eine niedrige Bewertung dieser Lieder bezüglich des musikalischen Niveaus geht damit einher. Es sind Lieder, die im alltäglichen Leben verwendet und von allen gesungen werden können. Die spontanen Einfälle zum Begriff „Kunstmusik“ bilden einen anderen Kontext: hier fallen einem zuerst die Namen großer Komponisten wie Bach, Mozart oder Beethoven ein, oder Gattungen wie Fugen, Opern und Symphonien. Die Musik ist kunstvoll durchdacht und gestaltet und wird von ausgebildeten Musikern in Konzertsälen dargeboten. Ist eine Verknüpfung der beiden Bereiche überhaupt möglich? Die Übernahme von Kunstmusik in Volkslieder ist mangels musikalischer Ausbildung der Ausführenden technisch nicht ohne weiteres durchführbar. Im Gegensatz dazu ist die Übernahme von Volksliedern in die Kunstmusik so gesehen machbar. Doch wäre solch ein Verfahren sinnvoll? Kann ästhetisch hoch angesiedelte, ja vollkommene Musik dadurch noch etwas hinzugewinnen? Für genau diese Frage soll im Folgenden eine Antwort gefunden werden. Denn wie sich im Verlauf zeigen wird, findet sich in allen Bereichen der Kunstmusik das Phänomen der Verwendung von Volksliedern.

1.1 Über das Volkslied Zu Beginn sollte eigentlich eine Definition des Begriffs „Volkslied“ erfolgen. Dieses Vorhaben gestaltet sich aber schwieriger, als man meinen würde. So kommt auch Lutz Röhrich in seinem Aufsatz über „Die Textgattungen des popularen Liedes“ zu dem Ergebnis, dass „es sich anscheinend viel leichter bestimmen [lässt], was ein Volkslied alles nicht ist.“1 Denn „die Bezeichnung ‚Volkslied’ ist ein Sammelbegriff für höchst verschiedenartige und heterogene 1

L. Röhrich: Die Textgattungen des popularen Liedes, Münster 2002, S. 4.

1

Phänomene.“2 Genauso umfangreich soll der Begriff in dieser Arbeit zuerst einmal auch gebraucht werden; die für diese Arbeit wichtigen Eingrenzungen ergeben sich in den jeweiligen Kapiteln. Schließlich verwendet auch die allgemeine Forschungsliteratur immer wieder den Begriff „Volkslied“ für die Benennung ihres Forschungsgegenstands, obwohl die Diskussionen darüber bisweilen sogar in der völligen Ablehnung dieser Bezeichnung gipfelten,3 wie sie etwa von Ernst Klusen 1969 formuliert worden ist: „So behaupte ich schlicht, dass es ein Volkslied in dem Sinne, wie wir seit Herder den Begriff angewandt haben, gar nicht gibt.“4 Klusen bezieht sich dabei auf die Tatsache, dass der Begriff „Volkslied“ eine Erfindung Herders ist, sich also – ganz anders als man es von den Liedern selbst erwartete – nicht in der Sprache des Volkes entwickelt hat, sondern ein Kunstwort ist. Trotzdem wird er in dieser Arbeit von Anfang an benutzt und somit die Definitionsproblematik größten Teils ausgeklammert, da der Schwerpunkt der Arbeit auf der Anwendung des Volksliedes in der Kunstmusik im 19. Jahrhundert, d.h. vor dem Aufkommen o.g. Diskussionen, liegt. Was inhaltlich unter „Volkslied“ zu verstehen ist, darüber herrschte allerdings schon seit jeher Uneinigkeit

und

ist

z.B.

an

den

verschiedenen

Stilen

der

einzelnen

Volksliedsammlungen, die Herder ins Leben rief, abzulesen. Sicher ist jedoch, dass im Begriff „Volkslied“ die Gebundenheit an ein Volk, das soll heißen an einen bestimmten Landkreis oder einer ganzen Nation und deren zugehörigen Volksgruppen, inbegriffen ist. Die allen wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Beschäftigung mit dem Volkslied, die im Jahre 1914 mit der Gründung des Deutschen Volksliedarchivs in Freiburg i. Br. durch John Meier begann, bezieht sich nicht nur auf die Sichtung alter Quellen, sondern ergab sich auch aus dem aktiven Gebrauch und der Rezeption des Volksliedes der jeweils aktuellen Zeit. Zu nennen wären hier die Wandervogelbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts, der Missbrauch des Volksliedes im Dritten Reich als gemeinschaftsbildende Kraft und um nationalsozialistische Anschauungen zu verbreiten, die Lieder der Jungpioniere in der DDR sowie Lieder der Studentenbewegung der 60er Jahre. Es ist daher festzustellen, dass die politische Gesinnung und das persönliche Verhältnis der einzelnen Autoren zum Volkslied sich in der hier verwendeten Literatur widerspiegeln. Zwar werden immer wieder 2

Ebd., S.18 Vgl. ebd., S. 3ff. 4 E. Klusen: Volkslied. Fund und Erfindung, Köln 1969, S. 144. 3

2

dieselben alten Quellen zitiert, in der Auswertung schwingt die wechselnde Perspektive jedoch mit. Eine neutrale Betrachtung des Forschungsgegenstandes findet sich kaum.

1.2 Zum Begriff „Idee“ Wirft man einen Blick in den deutschen Duden, entfallen auf den Begriff „Idee“ zwei verschiedene Bedeutungsfelder: „Idee“ taucht dort zum einen im Sinne von „Einfall“ oder „Plan“ auf, zum anderen im Sinne von „(Ur)begriff“ und „Urbild“. Ausgehend davon, dass das deutsche Wort „Idee“ sich von dem griechischen Verb ιδειν ableitet, wird die Bedeutung konkretisiert: durch „erscheinen“, „sehen“, „ähnlich sein“ und „verstehen“, gelangt man zu einer genaueren Vorstellung dazu, wie es zu einer ιδεα, eben auch im Sinne von „Erscheinung“ kommt. Betrachtet man nun den Titel dieser Arbeit, wird deutlich, dass es hier mehr um die „Idee“ im Sinne von „Erscheinung“ oder „Urbild“ gehen wird, als im Sinne von „Einfall“ oder „Plan“. Um dieses zu verdeutlichen, soll Platons Ideenlehre5 in ihren Grundzügen herangezogen werden. Jedoch nur in kürzester Ausführung, da eine detaillierte Ausführung hier zu weit führen würde. Die Ideenlehre ist das Kernstück der Philosophie Platons. Er teilt die Welt in zwei Bereiche: in das Reich der Wahrnehmung, in der wir alle Dinge, welche aus vergänglichen Material bestehen, das sich im Laufe der Zeit auflöst, mit unseren Sinnen wahrnehmen können, und dem Reich der Ideen, welches nur mit dem Verstand erkennbar ist und zeitlose Musterformen oder Urbilder enthält. Diese Ideen sind unveränderlich, unvergänglich und existieren unabhängig von wahrnehmbaren Dingen, deshalb kommt ihnen auch Wahrheit zu. Dinge, die wir also wahr-nehmen, erinnern uns an ihre Ideen und ihr ideales Erscheinungsbild, weil sie ihnen ähnlich sind. Den ungeordneten Sinnesdaten oder auch Elementen wird so eine ideale Gestalt gegeben, die dann als die wahre Wirklichkeit angesehen wird. Jeder Mensch kann also z.B. das wahrnehmbare Abbild bzw. Schatten wenn man die Terminologie des Höhlengleichnisses verwendet eines Tisches als einen solchen erkennen und bezeichnen, obwohl es viele verschiedene Arten von Tischen gibt vom kleinen Couchtisch über den 5

Vgl. Platon: Politeia, Buch VI Absatz 504a ff. und Buch VII, Absatz 514a ff.

3