Die "Grosse Umverteilung" der Notenbanken

Zürich, 30. März 2015 Economic Research Raiffeisen Economic Research [email protected] Tel. +41 044 226 74 41 Einblick Die "Grosse Um...
Author: Inken Kohler
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Zürich, 30. März 2015

Economic Research

Raiffeisen Economic Research [email protected] Tel. +41 044 226 74 41

Einblick Die "Grosse Umverteilung" der Notenbanken

In der "Grossen Depression" hat die restriktive Geldpolitik wesentlich zur Abwärtsspirale der Wirtschaft und der Preise beigetragen. Eine Wiederholung wollen die Notenbanker unbedingt verhindern. Deflation per se muss aber nicht schlecht sein: Angebotsbedingte Preisreduktionen stärken die Kaufkraft, etwa in der Schweiz. Auch Japans Wirtschaft weist trotz einer langen Periode moderater Deflation die gleiche Pro-Kopf-Dynamik auf wie die USA. Die Alterung wirkt dabei tendenziell inflationsdämpfend. Auch Schuldner erleben bei Deflation nicht unbedingt eine Verschlechterung der Schuldentragfähigkeit, aufgrund gleichzeitig niedriger Nominalzinsen. Ausschlaggebend sind die Realzinsen. Diese waren in Japan ganz im Gegensatz zur USA in der "Grossen Depression" stabil. Andererseits entlastet höhere Inflation Schuldner nicht, wenn die Gläubiger ihre Risikoprämie nach oben anpassen können. Dies verhindern jedoch die Notenbanken mit der Politik der "Finanziellen Repression", die aktiv mit der Ausweitung der Geldmenge auf eine Senkung der Realzinsen abzielt. Das bedeutet eine Umverteilung von Sparern zu Schuldnern. Bei negativen Realzinsen sinkt die Kaufkraft der Geldvermögen sogar. Da die Realzinsen in der Euroraum-Peripherie erst seit kurzem sinken, dürfte die EZB die Manipulation der Zinsen nicht so schnell beenden, um den Entschuldungsprozess zu unterstützen. Auch in der Schweiz bleiben damit Realwerte trotz hoher Bewertungsniveaus attraktiv. Wer hat Angst vor Deflation? Ein allgemeiner und anhaltender Rückgang des Preisniveaus, also über alle Preiskategorien hinweg und über einen längeren Zeitraum. So wird Deflation definiert. Und die Angst vor eben dieser Deflation hält die Notenbanker in Bewegung. Nach drei Anleihenkaufprogrammen in den USA bewegt sich die Fed zwar allmählich Richtung Zinsnormalisierung. Die Bank of Japan und auch die Europäische Zentralbank (EZB) haben ihre geldpolitischen Schleusen hingegen weiter geöffnet. Es werden Staatsanleihen in grossem Stil aufgekauft, mit dem erklärten Ziel die Inflationserwartungen anzuheben. Aber ist diese Deflationsangst gerechtfertigt? Vor allem weil aktuell singulär der Einbruch des Ölpreises, und generell niedrigere Rohstoffpreise, weltweit der Treiber sinkender Inflationsraten sind. Darüber hinaus stellt sich grundsätzlich die Frage, ob Deflation an sich überhaupt negativ auf das Wachstumspotenzial einer Volkswirtschaft wirken muss.

banker diesmal um jeden Preis vermeiden. Damals hat die Geldpolitik nicht stabilisierend gewirkt, sondern ganz im Gegenteil die Situation sogar wesentlich verschlimmert. Aufgrund des zu dieser Zeit noch geltenden Goldstandards war die Geldmenge durch die nationalen Goldreserven fix vorgegeben. Die umlaufende Geldmenge musste vollständig durch Gold gedeckt sein. Hohe Kapital- und Goldabflüsse führten damit zu einer massiven Verringerung der Geldmenge. Von Ende 1929 brach der Banknotenumlauf in den USA deswegen innerhalb eines Jahres um 25% ein. Zum Vergleich: Seit der Lehman-Krise 2008 hat die Fed ihre Bilanzsumme verfünffacht (siehe Grafik 1). Grafik 1: Liquiditätsflut nach Lehman Notenbankbilanzsumme, Index (Krisenbeginn=100) x-Achse: Monate vor und nach Krisenbeginn 500 400

In der Theorie kann dies nicht eindeutig beantwortet werden. Einerseits stärken fallende Preise nämlich die Kaufkraft der Unternehmen und Haushalte, mit positiven Effekten für die Gewinnmargen und den Konsum. Andererseits kann ein anhaltend sinkendes Preisniveau sowohl Konsumausgaben als auch Investitionen blockieren, aufgrund der Erwartung günstigerer Konditionen in der Zukunft. Dies hat wiederum einen bremsenden Effekt auf die Konjunktur. "Schlechte" Deflation Während der "Grossen Depression" hat der letztere Effekt Anfang der 1930er Jahre eindeutig überwogen. Eine Wiederholung dieses Szenarios wollen die NotenEconomic Research

300 200 100 0 -12

0 12 SNB (2008) BoJ (1991)

24

36 48 Fed (2008) EZB (2008)

60

72 Fed (1929)

Quelle: Bloomberg, Fed, BoE, Raiffeisen Research

Die restriktive Geldpolitik hat in der "Grossen Depression" die Zinsen trotz des deflationären Umfelds in die

Höhe getrieben und somit die Abwärtsspirale mit in Gang gehalten. Dazu kam eine weltweit zunehmend protektionistische Handelspolitik. Die US-Industrieproduktion hat sich darauf in der Spitze mehr als halbiert. Und die Konsumentenpreise sind innerhalb von drei Jahren nachfragebedingt um sehr hohe 25% gefallen (siehe Grafik 2).

Kopf-Wachstum als Basis nimmt. Danach weist Japan seit 1980 eine ähnlich starke Expansion wie die USA aus (siehe Grafik 4), wohingegen zum Beispiel die Schweiz sogar in beiden Vergleichen klar zurückliegt. Grafik 3: Japans BIP-Performance … Reales BIP, Index (1980=100) 250 240 230 220 210 200 190 180 170 160 150 140 130 120 110 100

Grafik 2: US-Abwärtsspirale in der "Grossen Depression" Index (Okt-1929 = 100) 100 95 90 85 80 75 70 65 60 55 50 45 10/29

1980

1985 1990 Japan

1995 2000 USA

2005

2010 Schweiz

Quelle: IWF, Raiffeisen Research

10/30 10/31 Konsumentenpreise Realeinkommen

Grafik 4: … ist stark demographisch getrieben Reales BIP pro Kopf, Index (1980=100)

10/32 10/33 Industrieproduktion

Quelle: Fed, NBER, Raiffeisen Research

180

Der drastische Preisrückgang brachte zudem das von Irving Fisher 1933 benannte Problem der Schuldendeflation ("Debt deflation")1. Im Gegensatz zu Preisen und Einkommen hat sich das Schuldenniveau der Kreditnehmer nicht verringert. Mit geringeren Einkommen musste eine unverändert hohe Schuldenlast getragen werden. Aufgrund des durch die Verringerung der Geldmenge erhöhten Zinsniveaus ist gleichzeitig die Zinsbelastung in die Höhe geschossen. In Verbindung mit der daniederliegenden Konjunktur hat dies die Zahl der Kreditausfälle nach oben getrieben.

170 160 150 140 130 120 110 100 90 1980

"Gute" Deflation

1985 1990 Japan

1995 2000 USA

2005

2010 Schweiz

Quelle: IWF, Raiffeisen Research

Das negative Beispiel von Deflation während der "Grossen Depression" ist historisch eher die Ausnahme als die Regel. Eine Analyse der letzten beiden Jahrhunderte liefert keine Hinweise, dass in Deflationsperioden das volkswirtschaftliche Wachstum systematisch geringer ausgefallen ist als im Umfeld steigender Preise2. Einige Länder konnten in Phasen leichter Deflation höhere Wachstumsraten erzielen als bei steigenden Preisen.

Im Gegensatz zu den USA während der "Grossen Depression" zeigte sich auch der japanische Arbeitsmarkt in den Jahren nach dem Platzen der Immobilienblase Anfang der 1990er äusserst widerstandsfähig. Die Arbeitslosigkeit stieg nur moderat an und erreichte einen Höchstwert von "lediglich" knapp über 5% (siehe Grafik 5). Ein Niveau von dem die Schuldenkrisenländer in Europa derzeit nur träumen können. Die Behauptung von zwei verlorenen Jahrzehnten für die japanische Wirtschaft erscheint deshalb in dieser Beziehung zweifelhaft, auch wenn die Konsolidierung der ausufernden Staatsschulden sowie notwendige Strukturreformen zum Meistern des demographischen Wandels weiter auf sich warten lassen.

Auch das Beispiel Japan zeigt bei genauerer Betrachtung ein positiveres Bild als weithin unterstellt. Eine einfache Gegenüberstellung der wirtschaftlichen Entwicklung und der Konsumentenpreise legt zwar in der Tat die Vermutung nahe, dass die Deflation die japanische Konjunktur gehemmt hat (siehe Grafik 3). Dies relativiert sich jedoch, wenn man stattdessen das Pro1

Fisher, Irving (1933): The Debt-Deflation Theory of Great Depressions, Econometrica 2

Atkeson, Kehoe (2004): Deflation and Depression: Is There an Empirical Link?; American Economic Review, 94(2): 99-103

2

Land und Immobilien, preissenkende Wirkung. Neben einer geringeren Kaufbereitschaft der älteren Generation kann bei gleichzeitig hohem Wohlstandsniveau auch ein Sättigungseffekt hinzukommen. In diesem Fall erscheint es aus geldpolitischer Sicht, auch bei Unterschreiten des Inflationsziels, nicht angebracht die Geldmenge weiter auszuweiten. Im Gegenteil, die Geldmenge sollte in diesem Fall allmählich zurückgefahren und der strukturellen Nachfrageentwicklung angepasst werden. Ansonsten riskiert man mit zunehmender Überschussliquidität die Bildung von Vermögenspreisblasen.

Grafik 5: Kein Arbeitsmarkt-Crash in Japan Arbeitslosenquote in %, x-Achse: Jahre vor und nach Krisenbeginn 30 25 20 15 10 5

Grafik 6: Demographischer Vorreiter Japan Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter, Index (1995=100)

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Deutschland (2008) Italien (2008) Spanien (2008) USA (2008) Schweiz (2008) Japan (1991) USA (1929) Quelle: Datastream, Fed, Raiffeisen Research

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Projektion

140 130

Eine massvolle Deflation, auch über einen längeren Zeitraum, muss also nicht schlecht sein. Wenn das sinkende Preisniveau angebotsseitig bedingt ist, überwiegt der positive Effekt der Kaufkraftgewinne. Angebotsseitig bedeutet sinkende Preise in einer gut ausgelasteten Wirtschaft mit niedriger Arbeitslosigkeit getrieben durch Produktivitätsgewinne oder technischen Fortschritt. Kosteneinsparungen spiegeln sich in niedrigeren Verkaufspreisen wider. Dieses Muster war in den letzten Jahren auch für die Schweiz charakteristisch – verstärkt durch die importierte Deflation aufgrund der starken Aufwertung des Frankens.

120 110 100 90 80 70 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 Euroraum Japan Schweiz USA Quelle: UN, Raiffeisen Research

Schlussendlich sollte sich in einer alternden Gesellschaft die Präferenz zu niedrigerer Inflation und höheren Realzinsen verschieben, da die Mehrheit der Älteren einen realen Zuwachs der Pensionsersparnisse anstrebt.

Das Problem der Lohnrigidität – also nach unten unflexibler Nominallöhne – stellt bei leichter Deflation ebenfalls nicht unbedingt ein Problem dar. Denn üblicherweise liegen die jährlichen Lohnwachstumsraten spürbar über der Nulllinie – auch in schwächeren Konjunkturphasen. Damit hat die Lohndynamik noch ein gewisses Anpassungspotenzial nach unten und muss die Unternehmen auch bei moderat sinkenden Preisen nicht zusätzlich belasten.

Ein internationaler Vergleich der Alterskoeffizienten und Inflationsraten legt auf jeden Fall einen gewissen Zusammenhang zwischen Alterung und abnehmender Inflation nahe (siehe Grafik 7). Grafik 7: Alterung tendenziell inflationsdämpfend

Alternde Gesellschaft tendiert zu geringerer Inflation

6.0 Konsumentenpreisinflation (2007-13)

In Japan übt die Demographie zudem offensichtlich zusätzlich einen preisdämpfenden Effekt aus. Die Alterung der Bevölkerung ist in Japan weltweit am weitesten fortgeschritten (siehe Grafik 6). Seit 1995 ist die Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter kontinuierlich um insgesamt hohe 10% gesunken. In der Eurozone wird erst ab dem nächsten Jahrzehnt mit einem sichtbaren Rückgang gerechnet. In der Schweiz und vor allem in den USA zeigt der Trend, nicht zuletzt aufgrund der Zuwanderung, noch weiter nach oben.

5.0 4.0

Mexiko

3.0 2.0 1.0 Schweiz

0.0 Japan

-1.0 0.0

2.0

4.0

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8.0

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12.0

Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter / Bevölkerung im Pensionsalter

Der Effekt von Alterung auf die Preise ist in der Theorie ebenfalls nicht eindeutig. Einerseits können durch eine abnehmende Erwerbsbevölkerung Angebotsengpässe und somit Preisdruck entstehen. Andererseits hat die sinkende gesamtwirtschaftliche Nachfrage, auch nach

Quelle: UN, Raiffeisen Research

3

Realzins bestimmt Schuldentragfähigkeit Auch Kreditnehmer erleben bei leichter Deflation nicht automatisch eine Verschlechterung der Schuldentragfähigkeit, wie während der "Grossen Depression". Zur Veranschaulichung betrachten wir dazu das Beispiel einer Kreditfinanzierung für unterschiedliche Inflationsszenarien: Im ersten Szenario mit leichter Deflation und gleichzeitig stagnierenden Einkommen wird es für den Hypothekenschuldner im Laufe der Zeit nicht "einfacher" die Hypothekenschuld zurückzuzahlen, denn das Verhältnis von Einkommen zum Kreditbetrag verändert sich in diesem Fall nicht. Dafür sollte jedoch der Kreditzinssatz vergleichsweise niedrig sein. Damit stellen die Zinszahlungen, bei einem vorgegebenen Haushaltseinkommen, eine geringere laufende Belastung dar, was während der Kreditlaufzeit entsprechend eine höhere direkte oder indirekte Amortisation zulässt.

unveränderten anderen Werten 1%, also ein Niveau unter der Inflations- und Einkommenswachstumsrate von 1.5%, dann steigt das Einkommen schneller an, als die Verschuldung inklusive aufgelaufener Zinsen (siehe Grafik 8). Dabei fällt die Einkommens-SchuldenQuote von anfänglich 100% innerhalb von 10 Jahren auf knapp unter 95% (siehe Grafik 9). Der Schuldner muss also in diesem Fall in der Zukunft einen geringeren Anteil seines Einkommens zur Rückzahlung der Kreditsumme inklusive Zinsen leisten als heute. Grafik 8: Negativer Realzins … Verschuldung und Einkommen in Tausend CHF x-Achse: Kreditlaufzeit in Jahren 122 120 118 116 114 112 110 108 106 104 102 100

Im Szenario mit moderater Inflation wird es für den Hypothekenschuldner bei entsprechenden Lohnerhöhungen und steigendem Einkommen zwar "einfacher" die gleichbleibende Hypothekenschuld in der Zukunft zurückzuzahlen, bei einem sinkenden Verhältnis von Einkommen zu Kreditbetrag. Dafür wird vom Kreditgeber aber in der Regel ein höherer Zinssatz zur Kompensation verlangt. Dies bedeutet eine höhere laufende Belastung durch die Zinszahlungen, was nur eine niedrigere direkte oder indirekte Amortisation zulässt.

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2 3 4 5 6 7 8 9 10 Verschuldung inkl. Zinsen - Negativer Realzins Verschuldung inkl. Zinsen - "Normalfall" Einkommen Quelle: Bloomberg, Raiffeisen Research

Der Vergleich macht klar, dass wegen gegenläufiger Effekte weder die Inflationsrate noch der nominale Zinssatz isoliert betrachtet Aufschluss über die Entwicklung der Schuldentragfähigkeit geben können. Dazu muss deren Kombination – der Realzins – herangezogen werden. Dies entspricht zwar nicht der alltäglichen Wahrnehmung, die von nominalen Werten beherrscht wird, ist aber zwingend für die korrekte Beurteilung der Effekte. Insgesamt bedeutet ein sinkender Realzins eine abnehmende Belastung für den Schuldner. Negative Realzinsen stellen sogar eine absolute Entlastung dar.

Grafik 9: … lässt Schuldenbelastung sinken Schuldenquote: Verschuldung inkl. Zinsen in % des Haushaltseinkommens x-Achse: Kreditlaufzeit in Jahren 104 103 102 101 100 99 98

Mit konkreten Zahlen unterlegt stellt sich dies folgendermassen dar: Ein Haushalt verfügt zum Zeitpunkt der Kreditaufnahme über ein Einkommen in Höhe von CHF 100.000. Der Kreditbetrag lautet ebenfalls auf CHF 100.000. Angenommen das Einkommen nimmt im gleichen Ausmass zu wie die unterstellte Inflation in Höhe von 1.5% p.a. Nach einem Zeitraum von 10 Jahren liegt das Einkommen dann bei rund CHF 116.000. Bei einem fixen Kreditzinssatz von 2% beträgt die gesamte Schuldenlast, also Kreditbetrag inklusive aufgelaufener Zinsen, am Ende der Laufzeit CHF 120.000. Das Einkommens-Schulden-Verhältnis (inklusive Zinsen) steigt also von 100% bei Kreditaufnahme auf 103% nach 10 Jahren. Ein Anstieg der Verschuldungsquote ohne Tilgung stellt eigentlich den Normalfall dar, da der Gläubiger neben dem Inflationsausgleich eine Risikoprämie erhalten sollte. Im Fall negativer Realzinsen ist dies jedoch nicht erfüllt. Beträgt der Kreditzins in obigen Beispiel nämlich bei

97 96 95 94 0

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2 3 4 5 Negativer Realzins

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8 9 10 "Normalfall"

Quelle: Bloomberg, Raiffeisen Research

In der "Grossen Depression" haben sich die Realzinsen in den USA wegen gleichzeitig hoher Deflation und hoher Nominalzinsen, bedingt durch die restriktive Geldpolitik, drastisch erhöht. Diese Entwicklung hat die Situation der Schuldner erheblich verschlimmert. In Japan sind die Realzinsen im Nachgang der Immobilienpreisblase in den 1990ern aufgrund der vergleichsweise zaghaften Geldpolitik zwar nicht gefallen, blieben jedoch relativ stabil (siehe Grafik 10).

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Zudem ist es extrem ambitioniert für die Geldpolitik, einen kontrollierten, begrenzten Inflationsschock zu erreichen. Denn kommt die Inflationsmaschine erst einmal in Gang, ist sie nur noch schwer - wenn überhaupt - steuerbar. Treffend hat der ehemalige Präsident der Deutschen Bundesbank Karl Otto Pöhl dazu bemerkt: Inflation ist wie Zahnpasta – ist sie erst mal heraus, bekommt man sie kaum mehr rein. Das Beste ist, nicht zu fest auf die Tube zu drücken. Die Geschichte hat eindrucksvoll gezeigt, welche verheerenden Auswirkungen eine unkontrollierte Beschleunigung des Preisanstiegs hat: eine Auslöschung des Vermögens weiter Teile der Bevölkerung. Aktuell ist dieser Trend zum Beispiel in Venezuela und wiederholt in Argentinien zu beobachten, mit Inflationsraten von über 60% bzw. 40%.

Grafik 10: Realzinsschock in der "Grossen Depression" Realzinsen in % (10-J-Staatsanleihen – Inflation); x-Achse: Monate vor und nach Krisenbeginn 16 14 12 10 8 6 4 2 0 -2 -4 -24 -18 -12 -6 0 6 12 18 24 30 36 42 48 54 60 USA (1929) Japan (1991)

Favorisierte Strategie "Finanzielle Repression" Deshalb zielt die aktuelle Politik der grossen Notenbanken auch nicht direkt auf eine starke Inflationierung ab. Sie favorisiert den Ansatz der sogenannten "Finanziellen Repression". Dabei verfolgt die Politik aktiv eine Senkung der Realzinsen. Durch die Öffnung der geldpolitischen Schleusen und den Ankauf von Staatsanleihen werden die Marktkräfte bei der Zinsbildung ausgehebelt. Das Zinsniveau wird nach unten gedrückt. Dies führt zu einem Rückgang der Realzinsen. Damit wird - wie weiter oben beschrieben - die Schuldenlast der Kreditnehmer verringert. Am grössten ist der Effekt bei gleichzeitig moderat steigenden Preisen. Dann sinken die Realzinsen in den negativen Bereich.

Quelle: Bloomberg, Raiffeisen Research

Entschuldung durch Inflationierung nicht gesichert Ein wichtiges Argument von Anhängern der Entschuldung durch Inflation ist, dass sich die Zinsbelastung bei einem unerwarteten Inflationsschock nur verzögert erhöht, abhängig von der Zinsbindung der Kredite. Je länger zum Beispiel die Restlaufzeit ausstehender Staatsschulden, desto stärker die reale Entlastung für den Staat bei plötzlich steigenden Preisen. Ein Inflationsschock wird damit in den ersten Jahren einen Rückgang der Schuldenquote begünstigen. Andererseits kann man jedoch davon ausgehen, dass die "geschädigten" Gläubiger in Zukunft deshalb eine höhere Risikoprämie verlangen. Dieses Muster war zumindest in den USA nach der zweiten Ölpreiskrise Ende der 1970er zu beobachten. Bis 1980 beschleunigte sich die Jahresinflationsrate auf bis zu 13.5% und die Realzinsen fielen dabei vorübergehend in den negativen Bereich. Daraufhin zogen die Renditen für Staatsanleihen jedoch stark an und verharrten auch nach der Trendumkehr der Inflation für mehrere Jahre auf einem erhöhten Niveau (siehe Grafik 11).

Die "Finanzielle Repression" wurde bereits in der Vergangenheit "erfolgreich" praktiziert. In der Periode nach dem 2. Weltkrieg bis nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems fester Wechselkurse in den 1970ern, also über rund drei Jahrzehnte hinweg, waren die Kapitalmärkte sowohl international als auch im Inland streng reguliert. Im Durchschnitt waren die Realzinsen in dieser Zeit weltweit leicht negativ und lagen deutlich unter den Niveaus in der Zeit davor und danach3. Dies hat wesentlich dazu beigetragen, zusammen mit starken BIP-Wachstumsraten, die aufgetürmten Schulden in den Nachkriegsjahren schneller abzubauen bzw. den Schuldenanstieg zu begrenzen.

Grafik 11: Erhöhte Risikoprämie nach Inflationsschock US-Realzinsen (10-J. Treasuries minus Inflation) 10

Inflationswende

Begünstigt wird die Strategie derzeit ferner durch die in den letzten Jahren verschärften Regulierungsanforderungen im Finanzsektor. Banken und Versicherungen müssen weltweit mehr "sichere", schnell liquidierbare Vermögenspapiere halten. Dadurch steigt die Nachfrage nach Staatsanleihen – zuvorderst die des eigenen Landes - was zusätzlich das Renditeniveau drückt. Entsprechend haben die Banken in den europäischen Schuldenkrisenländern den Anteil heimischer Staatsanleihen seit dem Beginn der Finanzkrise erheblich gesteigert. Auch in den USA hat die Verschärfung der Liquiditätsvorschriften die Banken in den letzten

8 6 4 2 0 -2 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010

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Reinhart, Sbrancia (2011): The Liquidation of Government Debt; NBER Working Paper 16893

Quelle: Bloomberg, Raiffeisen Research

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Wertverlust des verliehenen Vermögens zu kompensieren. Der Realwertverlust des Gläubigers stellt auf der anderen Seite einen gleichhohen "Gewinn" bzw. Entlastung für den Schuldner dar, den wir weiter oben bereits in unserem Verschuldungsbeispiel dargestellt haben. Es erfolgt also eine reine Umverteilung von Gläubigern zu Schuldnern, quasi in Form einer indirekten Vermögenssteuer.

Quartalen erheblich mehr US-Staatsanleihen kaufen lassen (siehe Grafik 12). Grafik 12: US-Banken stocken Staatsanleihen auf US-Banken: Bestände an Treasuries in Mrd. USD 450 400 350

In der Schweiz ist dieser Effekt politisch nicht beabsichtigt. Denn die Volkswirtschaft weist keine Überschuldungsproblematik auf. Ganz im Gegenteil, der Privatsektor ist ein hoher Nettogläubiger. Die von der Nationalbank eingeführten Negativzinsen auf die Sichtguthaben der Geschäftsbanken zielen eigentlich auch darauf ab, Kapitalzuflüsse unattraktiv zu machen.

300 250 200 150 100 50 0 1Q03

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Dennoch übt die Massnahme Druck auf die Sparzinsen aus. Grösseren institutionellen Anlegern und Geschäftskunden belasten zahlreiche Banken mittlerweile Negativzinsen. Für die meisten Sparkunden bildet die nominale Zinsuntergrenze von Null jedoch ein Minimum. Denn anstatt Negativzinsen hinzunehmen besteht für sie der Anreiz Bargeld abzuheben. Da gleichzeitig nach der Aufhebung der Mindestkursuntergrenze die Inflationsrate in der Schweiz deutlich in den negativen Bereich sinkt, werden die realen Sparzinsen 2015 trotzdem positiv bleiben und sogar ansteigen, wie bereits in den Deflationsjahren 2009 und 2012 zu beobachten war (siehe Grafik 14). Der Trend sollte sich jedoch bereits nächstes Jahr wieder umkehren, mit dem Auslaufen des währungs- und ölpreisbedingten Deflationsschocks.

1Q13

Quelle: Fed, Raiffeisen Research

Umverteilung von Sparern zu Schuldnern Die Politik der "Finanziellen Repression" hat natürlich ihre Nebenwirkungen. Die Entlastung für öffentliche und private Schuldner bedeutet gleichzeitig eine "Realzinsfalle" für die Gläubiger und allgemein für die Besitzer von Geldforderungen und –vermögen. Zwar bleibt der Nominalwert ihrer Vermögenswerte erhalten bzw. steigt leicht an. Wer dabei jedoch an eine Vermögensmehrung glaubt unterliegt der sogenannten "Geldillusion". Denn real bzw. inflationsbereinigt nimmt der Wert des Geldvermögens ab. Der Anleger büsst an Kaufkraft ein. Im einfachen Beispiel eines konstanten Sparzinses von jährlich 1% bei einer Inflationsrate von 1.5% verliert das angelegte Vermögen innerhalb eines Jahrzehnts real 5% an Wert (siehe Grafik 13).

Ganz anders sieht es derzeit für die japanischen Sparer aus. Die geldpolitisch forcierte massive Abwertung des Japanischen Yen und die Mehrwertsteuererhöhung im letzten Jahr haben die Inflationsrate in die Höhe getrieben bei gleichzeitig sehr niedrigen Sparzinsen. Entsprechend sind die Realzinsen für die japanischen Sparer tief in den negativen Bereich gerutscht (siehe Grafik 14).

Grafik 13: Geldillusion Vermögensentwicklung bei 1% Sparzins und 1.5% Inflation; Index (Startjahr 0 = 100) 115

Grafik 14: Deflation verhindert aktuell noch Vermögensverluste der Schweiz Sparer Spar-Realzinsen in % (Sparzinsen bis 12 Monate minus Inflation)

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1 2 3 4 5 Nominalvermögen

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Quelle: Bloomberg, Raiffeisen Research

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Genauso verhält es sich für Gläubiger, die ihr Vermögen als Kredit zu einem Zinssatz von 1% vergeben. Aufgrund des negativen Realzinses reichen die Kreditzinszahlungen nicht aus, um den inflationsbedingten

-4.0 01/04

01/06 01/08 Deutschland

01/10 01/12 Schweiz

01/14 Japan

Quelle: EZB, SNB, Raiffeisen Research

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Erst im Verlauf des letzten Jahres haben sich mit der Stabilisierung der Konjunkturaussichten und dem Start der Bankenunion die Kreditkonditionen nachhaltig verbessert. Damit besteht "Nachholbedarf" für die Schuldenkrisenländer. Deswegen dürfte das Aufwärtspotential bei den Langfristzinsen in der Eurozone, auch bei Rückkehr zu positiven Inflationsraten, begrenzt bleiben. In den USA konnte der Privatsektor die Überschuldung mit der Unterstützung niedriger bzw. negativer Realzinsen in den letzten Jahren bereits spürbar reduzieren.

Dies wirkt sich speziell in Japan sehr negativ auf die Vermögenssituation der privaten Haushalte aus. Denn bei gleichzeitig niedriger Haushaltsverschuldung weist das Verhältnis der Geldvermögen zum verfügbaren Einkommen einen internationalen Spitzenwert aus (siehe Grafik 15). Die negativen Realzinsen bedeuten eine indirekte Steuererhöhung für die privaten Haushalte, zur Entlastung der immensen öffentlichen Verschuldung. Umso mehr erscheint es unter diesen Voraussetzungen zweifelhaft, ob die ultralockere Geldpolitik der japanischen Zentralbank eine erfolgsversprechende Strategie ist, das Wachstumspotenzial der Wirtschaft zu stärken.

Längerfristig betrachtet verläuft auch in der Schweiz der Trend bei den Realzinsen "schuldnerfreundlich". Bereits seit Mitte der 1990er hat der Realzins auf Basis des Zinses für langfristige Staatsanleihen unter Schwankungen abgenommen – auf das tiefste Niveau seit Anfang der 1980er (siehe Grafik 17).

Grafik 15: Sparweltmeister Japan Bargeld und Spareinlagen der privaten Haushalte in % des verfügbaren Einkommens (2012) 200 180

Grafik 17: Abwärtstrend bei Schweizer Realzinsen Realzinsen in % (10-J. Staatsanleihen minus Inflation)

160 140 120 100 80 60 40 20 0

4.0 3.0 2.0 1.0 0.0 -1.0 Quelle: OECD, Raiffeisen Research

-2.0

Mit ihrem Staatsanleihenkaufprogramm hat die EZB die Weichen dafür gestellt, die "Finanzielle Repression" zum Abbau der Überschuldung im öffentlichen sowie privaten Sektor im Euroraum noch längere Zeit fortzuführen. Wegen erhöhter Risikoprämien für Staatsanleihen und Banken verharrten die Realzinsen in der europäischen Peripherie im Gegensatz zu Deutschland oder auch den USA zum Missfallen der Geldpolitik nach Krisenbeginn lange Zeit auf erhöhten Niveaus (siehe Grafik 16).

-3.0 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 Quelle: Datastream, Raiffeisen Research

Davon profitieren Kreditnehmer, während Gläubiger und Sparer – einschliesslich der Altersvorsorgeeinrichtungen – darunter leiden. Zudem verzerren künstlich niedrig gehaltene Zinsen Investitionsentscheidungen. Es entstehen Anreize verstärkt eigentlich unrentable Investitionen zu tätigen.

Grafik 16: Divergierende Realzinsen Realzinsen in % (10-J-Staatsanleihen – Inflation)

Manipulierte Zinsen machen Realwerte attraktiver

6.0

Aufgrund der internationalen Kapitalverflechtungen wird die Situation in der Eurozone auf absehbare Zeit auch das Zinsniveau in der Schweiz prägen, unabhängig von dem - seit der Aufgabe der Wechselkursuntergrenze - theoretisch wiedererlangten geldpolitischen Freiraum der Nationalbank. Im Umfeld anhaltend manipulierter Zinsen sollten damit Realwerte weiterhin auch bei historisch überhöhten Bewertungsniveaus vergleichsweise attraktiv bleiben. Dies unterstreicht der Vergleich der Renditen für eidgenössische Anleihen mit der Dividendenrendite des Schweizer Aktienindex SMI. Seit dem Beginn der Finanzkrise liegt das Niveau der Dividendenrendite im Gegensatz zu früher über den

5.0 4.0 3.0 2.0 1.0 0.0 -1.0 -2.0 -3.0 -4.0 01/05 05/06 09/07 01/09 05/10 09/11 01/13 05/14 Deutschland Schweiz USA Italien Spanien Japan Quelle: Bloomberg, Raiffeisen Research

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langfristigen Anleihenzinsen, und der Unterschied hat sich bis zuletzt weiter ausgeweitet (siehe Grafik 18). Grafik 18: Dividendenprämie hat stark zugenommen In % 4.5 4.0 3.5 3.0 2.5 2.0 1.5 1.0 0.5 0.0 -0.5 01/99 01/01 01/03 01/05 01/07 01/09 01/11 01/13 01/15 Rendite 10-J. Eidgenossen Dividendenrendite SMI Quelle: Datastream, Raiffeisen Research

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