Deutschland. Hintergrunddaten. Entwicklung seit dem 2. Weltkrieg

DEUTSCHLAND N r. 1 April 2005 Deutschland Im 19. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war Deutschland noch ein Auswanderungsla...
Author: Walter Kohl
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DEUTSCHLAND N r. 1

April 2005

Deutschland Im 19. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war Deutschland noch ein Auswanderungsland, doch seit Mitte der 1950er Jahre ist es eines der wichtigsten europäischen Zielländer von Migranten. Dabei lassen sich verschiedene Formen der Zuwanderung unterscheiden, wie etwa die Anwerbung von Gastarbeitern, der Zuzug von Aussiedlern sowie die Aufnahme von Asylbewerbern. Seit Beginn der 1990er Jahre, als die Zuwanderung von Asylbewerbern und Aussiedlern ihren Höhepunkt erreichte, ist Einwanderung und Integration erneut ein wichtiges bzw. kontrovers diskutiertes innenpolitisches Thema. Bedeutende Ereignisse waren: • •

der Asylkompromiss 1993, der den Zugang zu politischem Asyl nachhaltig einschränkte; das neue Staatsangehörigkeitsgesetz, das im Januar 2000 in Kraft trat;

Hintergrunddaten Hauptstadt: Berlin Amtsprache: Deutsch Fläche: 357.027 km² Bevölkerungszahl (2004): 82.495.000 Bevölkerungsdichte: 231 Einwohner je km² Bevölkerungswachstum: +0,1 % (2003); +0,2 % (2002) Erwerbsbevölkerung1 (2004): 72,7% (OECD Labour Force Participation Rate) Anteil ausländischer Bevölkerung (2004): 8,1% (6.717.115 Personen) Anteil ausländischer Beschäftigter an allen Erwerbstätigen (2000): 8,8 % Arbeitslosenquote: 10,0 % (2003); 8,7% (2002); 7,9 % (2001) (ILO/EU Labour Force Survey – total unemployment) Religionen : 26.466.000 Römisch-Katholisch (2002), 26.211.000 Evangelisch (2002), 3.200.000 Muslimisch (2001), 935.000 Orthodox (1999), 383.000 Neuapostolische Kirche, 164.000 Zeugen Jehovas (2001), 100.000 Jüdisch (2002) 2

• •

die Einführung der „Green Card“ zur Anwerbung von IT-Fachkräften 2000; der langwierige Prozess zur Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes, das im Januar 2005 in Kraft trat 3.

Vor allem im Rahmen der Diskussion über die Steuerungsmöglichkeiten von Zuwanderung wurde in den letzten Jahren die Integration der ausländischen Bevölkerung thematisiert. Zwei Ereignisse können hier stellvertretend angeführt werden: Die PISA-Studie 4 von 2001 verdeutlichte die Schwierigkeiten von Schülern mit Migrationshintergrund im deutschen Bildungssystem. Die Terroranschläge vom 11. September 2001 rückten Sicherheitsfragen und die Integration muslimischer Migranten in den Vordergrund. Daneben spielt Einwanderung auch in der Debatte um die Folgen der demographischen Alterung eine Rolle.

Entwicklung seit dem 2. Weltkrieg Vertriebene, Flüchtlinge und Übersiedler Zwischen 1945 und 1949 kamen ca. 12 Mio. Vertriebene und Flüchtlinge als deutsche Staatsangehörige in das Gebiet der heutigen Bundesrepublik. Nach Gründung der DDR im Jahr 1949 und bis zum Bau der Berliner Mauer 1961 übersiedelten 3,8 Mio. von Ost- nach Westdeutschland.

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Deutschland

Entwicklung der ausländischen Bevölkerung 8.000.000 7.000.000 6.000.000 5.000.000 4.000.000 3.000.000 2.000.000 1.000.000 0 1961

1970

1975

Quelle: Statistisches Bundesamt

1980

1985

1990

1995

2003

aller da­maligen „Gastarbeiter“ (rund 900.000 ausländische Arbeitskräfte),­ darunter 400.000 Italiener als Angehörige eines ­EWG­-Mit­gliedstaates5 in Deutschland. Auch die DDR warb ab den 1960er Jahren so genannte Vertragsarbeiter an. Zu diesem Zweck wurden mit anderen ­sozialistischen Staaten Abkommen geschlossen, darunter etwa Polen (1965), Ungarn (1967), Mosambik (1979) und ­Vietnam (1980). Während zunächst die Aus- und Weiterbildung von Arbeitskräften im Mittelpunkt stand, diente die Anwerbung später vor allem der Deckung des Arbeitskräftemangels. Dabei wurde stärker als in der Bundesrepublik auf einen begrenzten Aufenthalt geachtet, eine „schleichende Integration“ wollte die DDR-Regierung vermeiden. Ende 1989 lebten ca. 190.000 Ausländer in der DDR. Davon waren ca. 90.000 Vertragsarbeiter, von denen wiederum 60.000 aus ­Vietnam kamen6. Die temporäre Beschäftigung von ausländischen Arbeitnehmern, darunter Werkvertrags- und Saisonarbeitnehmer sowie

gesamt: 43.874

gesamt: 32.989

gesamt: 70.137

Ausländische Arbeitskräfte und deren Familien Werkvertragsarbeitnehmer nach Herkunftsländern Schon während dieser Zeit schloss die Bundesrepublik mit Italien (1955) ein erstes Anwerbeabkommen zur Rekrutieübrige Länder 100% rung von Arbeitskräften ab. West-Deutschland befand sich im Slowakische Republik 90% wirtschaftlichen Aufschwung, gleichzeitig herrschte im Inland Tschechische Republik 80% Bosnien und Herz. eine Knappheit an Arbeitskräften. Weitere solcher Abkommen Türkei 70% folgten unter anderem mit Spanien (1960), Griechenland (1960), Kroatien 60% der Türkei (1961) und Jugoslawien (1968). Ungarn 50% Rumänien 1968 lebten 1,9 Mio. Ausländer in der Bundesrepublik, daPolen 40% von waren 1 Mio. erwerbstätig. Innerhalb von 5 Jahren, bis zum 30% Anwerbestopp 1973, erreichte die Zahl der Erwerbstätigen mit 20% 2,6 Mio. ihren bis heute höchsten Wert. Die größten Gruppen 10% unter den ausländischen Beschäftigten waren zum damaligen 0% 1993 1998 2003 Zeitpunkt 605.000 Türken und 535.000 Jugoslawen, gefolgt von 450.000 Italienern, 250.000 Griechen und 190.000 Spani- Quelle: Bundesagentur für Arbeit, BAMF ern. Im selben Zeitraum stieg auch die Zahl der Ausländer insgeSchaustellergehilfen, spielt in der Bundesrepublik seit Ende der samt auf 4,0 Mio., womit sie sich im Vergleich zu 1968 mehr als 1980er Jahre wieder eine beacht­liche Rolle. So lag die durchverdoppelte. Die quantitative Schere zwischen ausländischen schnittliche Zahl der Werkvertragsarbeitnehmer im Jahr 2003 Erwerbstätigen und der ausländischen Wohnbevölkerung insbei 43.804, außerdem wurden 318.549 Genehmigungen für gesamt ging seit Anfang der 1960er Jahre bis heute stetig ausSaisonarbeitnehmer und Schaustellergehilfen erteilt. einander. Dabei war der Daueraufenthalt der angeworbenen Arbeitskräfte offiziell zunächst nicht Saisonarbeitnehmer nach Herkunftsländern 2003, insgesamt 318.549 vorgesehen, vielmehr sollten sie nach einem begrenzten Aufenthalt wieder in ihre Heimatländer Polen zurückkehren. Doch dieses so genannte „Ro85,4% tationsmodell“ stieß alsbald auf Widerstand bei den Arbeitgebern, die ständig neue Arbeitskräfte anlernen mussten. Die Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigungen wurde 1971 erleichtert. Der Aufenthaltsstatus der „Gastarbeiter“ verfestigte sich und die ausländischen Arbeitnehmer holten ihre Familienangehörigen nach. Die Rechte Slowenien 0,1% von ausländischen Arbeitnehmern wurden darRumänien 7,7% über hinaus durch mehrere Entscheidungen des Bulgarien 0,2% Bundesverfassungsgerichtes in den 1970er und Slowakische Republik Tschechische Republik 1980er gefestigt, so dass ihr Aufenthalt aufgrund 3,0% 0,7% Ungarn Kroatien 1,6% ihres rechtlichen Status nicht mehr von der Lage 1,1% auf dem Arbeitsmarkt abhing. Diese Status­Verbesserung bezog sich im Mai 1972 auf 40 % Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)

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Auch die so genannte Green Card diente zur Anwerbung von Arbeitskräften für eine befristete Beschäftigung (5 Jahre). Zwischen 1. August 2000 und 31. Dezember 2003 wurden 15.658 Arbeitsgenehmigungen für ausländische Fachkräfte in der Informationstechnologie zugesichert, von denen 11.326 in Anspruch genommen wurden.

Deutschland

Anzahl Asylanträge und Entscheidungen 1995–2004 140.000

120.000

100.000

80.000

Aussiedler Neben der Anwerbung von Arbeitskräften wa60.000 ren Aussiedler eine weitere bedeutende Quelle der Zuwanderung. Aussiedler sind Deutschstäm40.000 mige aus Mittel- und Osteuropa sowie aus dem Gebiet der Sowjetunion. Zwischen 1950 und 1987 20.000 kamen 1,4 Mio. Aussiedler nach Deutschland, vor allem aus Polen und Rumänien. Wie auch die Zahl 0 1995 der Asylbewerber (siehe unten) nahm die Zahl Quelle: BAMF der Aussiedler in der Folgezeit stark zu. 1990 erreichte der Zuzug mit 397.000 seinen Höhepunkt. Zwischen 1988 und 2004 kamen insgesamt 3 Mio. nach Deutschland. Allerdings ist die Zahl der jährlich zuwandernden Aussiedler seit Mitte der 1990er Jahre rückläufig, unter ande-

Erstanträge Asylberechtigte "Kleines Asyl" gewährte Duldung

1996

1997

1998

1999

2000

2001

2002

2003

2004

Grundrecht auf Asyl berufen. Bei einem Aufgriff an der Grenze oder in Grenznähe kann die Person sofort zurückgeschickt werden. Wenn die Person aus einem „sicheren Herkunftsstaat“ stammt, wird ihr Asylantrag in der Regel abgelehnt. In der Folge gingen die Asylantragszahlen kontinuierlich Aussiedlerzuzug nach Herkunftsländern 1950–2004 zurück. 1995 lag die Zahl der Erstanträge bei 128.000, im Jahr 2000 waren es 78.564, bis schließlich 2004 mit 400.000 35.607 das Niveau von 1984 erreicht wurde. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 350.000 (BAMF) fällte 2003 insgesamt 61.961 Entschei300.000 dungen in Asylverfahren. Der Anteil der anerkannten 250.000 Asylberechtigten erreichte mit 1,5 % einen histoandere Länder Rumänien 200.000 rischen Tiefstand. 1,8 % der Antragssteller wurde Polen Ehemalige Sowjetunion das so genannte „kleine Asyl“ (Gewährung von Ab150.000 schiebeschutz nach der Genfer Flüchtlingskonven100.000 tion), weiteren 1,6 % eine Duldung (Aussetzung der 50.000 Abschiebung) gewährt. Die Hauptherkunftsländer der Antragsteller im Zeit0 1950 1960 1970 1975 1980 1985 1988 1990 1993 1995 1998 2000 2004 raum 1999–2003 waren die Türkei (12 %, darunter 81% Kurden), ­Serbien und Montenegro (10 %, darunter 41% Quelle: Bundesverwaltungsamt, BAMF Albaner und 34% Roma) und der Irak (8 %, darunter 44 % Kurden). Im europäischen Vergleich war Deutschland in den 1990er rem aufgrund gesetzlicher Maßnahmen wie der Einführung eiJahren Hauptaufnahmeland von Asylbewerbern. Seit 2000 ner Quote und dem Nachweis von deutschen Sprachkenntnisnimmt Großbritannien diese Position ein. Neben Deutschland sen vor der Einreise. 2004 wurden 59.093 einreisende Aussiedler gezählt. Seit 2005 müssen auch die Familienange­hörigen Deutschkenntnisse nachweisen.7 Die acht zugangsstärksten Herkunftsländer 1999–2003

Flucht und Asyl Die Zahl der Asylbewerber stieg in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre stark an und erreichte 1992 auch aufgrund des Krieges in Ex-Jugoslawien mit 440.000 ihren Höhepunkt. Zwischen 1988 und 1992 wurden insgesamt 1,1 Mio. Asylanträge gestellt. Als eine Reaktion hierauf einigte sich der Bundestag 1993 auf den so genannten Asylkompromiss, der die Möglichkeit, in Deutschland politisches Asyl zu beantragen, nachhaltig erschwerte. Wer aus einem „sicheren Drittstaat“ nach Deutschland einreist, kann sich seitdem nicht mehr auf das

Ex�Jugoslawien 16%

Sonstige Länder 41%

Irak 13%

Syrien 2% Vietnam 3% Russische Föderation 4%

Iran 4%

Türkei 12% Afghanistan 5%

Quelle: BAMF

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Deutschland

Zuzüge nach den häufigsten Staatsangehörigkeiten in den Jahren 1993 und 2003

USA

14.666

China

16.059 12274 17.696 31910 21.634

Ukraine Italien

der inneren Sicherheit und den Folgen von Schwarzarbeit thematisiert. Die Lebensumstände der illegal anwesenden Migranten spielen in der politischen Diskussion eine untergeordnete Rolle. Vor allem die Kirchen weisen jedoch in regelmäßigen Abständen auf die prekäre soziale Situation illegal an­wesender Migranten hin.

156253

Serbien�Montenegro

22.751 81760

Rumänien

Zuzüge 1993 Zuzüge 2003

23.780 31062 31.776

Russische Föderation

68466 49.774 75195 88.241

Türkei Polen Deutschland

167.216 0

50.000

100.000

150.000

200.000

Quelle: Statistisches Bundesamt

ist Frankreich ein wichtiges Zielland von Flüchtlingen. Unter den 7,3 Mio. in Deutschland lebenden Ausländern des Jahres 2003 befanden sich 1,1 Mio. (anerkannte) Flüchtlinge bzw. ­deren Familienangehörigen. Zu diesen 1,1 Mio. Flüchtlingen zählen ebenfalls 188.000 jüdische Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion, deren Zuwanderung in die DDR 1990 einsetzte, unter anderem wegen des steigenden Antisemitismus und der ökonomischen Lage in der ehemaligen Sowjetunion. Ihre Zuwanderung wurde auch nach der Wiedervereinigung weiter ermöglicht, u. a. um die ­ jüdischen Gemeinden in Deutschland zu erhalten und zu stärken.

Aktuelle Zuwanderungsstatistik Die aktuelle Zuwanderungsstatistik weist für das Jahr 2003 insgesamt 601.759 Zuzüge von Ausländern nach Deutschland aus, die Zahl der Fortzüge von Ausländern lag bei 499.063 (Wanderungssaldo: + 102.696). Unter den zuziehenden Ausländern waren Po­len die größte Gruppe (88.241, Wanderungssaldo: + 14.575), gefolgt von Türken (49.774; + 12.911) und russischen Staatsangehörigen (31.776; + 17.897).8 Illegale Migration Zahlen zur illegalen Zuwanderung und Migranten, die sich illegal in Deutschland aufhalten, liegen nicht vor. Inoffizielle Schätzungen, die von 500.000 bis 1 Mio. illegal anwesenden Migranten in Deutschland sprechen, basieren nicht auf wissenschaftlich fundierten Annahmen. Im Gegensatz zu anderen europä­ ischen Staaten wie Spanien und Italien hat Deutschland keine Legalisierungen durchgeführt. Illegale Zuwanderung wird nicht zuletzt unter den Aspekten

Ausländische Wohnbevölkerung

Zur ausländischen Wohnbevölkerung werden alle Personen gezählt, 287561 die keinen deutschen Pass haben. 250.000 300.000 Darunter sind auch Ausländer, die in Deutschland geboren wurden, sich jedoch (noch) nicht haben einbürgern lassen. 1968 lag die Zahl der ausländischen Wohnbevölkerung bei 1,9 Mio. In den darauf folgenden 5 Jahren bis zum Anwerbestopp 1973 stieg sie auf 4 Mio. In den 1970er Jahren blieb die Zahl relativ konstant, um danach bis 1989 auf 4,9 Mio. zu steigen. Anschließend nahm die Zahl der Ausländer bis 1996 deutlich zu, seitdem liegt sie relativ konstant bei 6,7 Mio. Dies entspricht einem Ausländeranteil von 8,1% an der Gesamtbevölkerung.9 Die Anwerbung zeigt immer noch deutliche Spuren in der Zusammensetzung der ausländischen Bevölkerung: 57% der in Deutschland lebenden Ausländer sind Staatsangehörige eines der ehemaligen Anwerbestaaten. Die größten Gruppen unter den 6,7 Mio. Ausländern waren Ende 2004 1,8 Mio. Türken, rund 550.000 Italiener, sowie circa 507.000 Staatsangehörige des ehemaligen Jugoslawiens. 31% der in Deutschland lebenden der Ausländer stammten aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, weitere 48% aus ­einem anderen europäischen Staat.

Staatsangehörigkeit Bis 1993 gab es für Ausländer in Deutschland keinen Anspruch auf eine Einbürgerung, die Entscheidung lag im ­Ermessen

Ausländische Bevölkerung nach Staatsangehörigkeit 2003

Asien 12%

andere Länder 1%

Afrika 4%

Türkei 26%

Amerika 3% Ehem. Jugoslawien 8% Rest EU�15 10% Italien 8%

Rest Europa 11% Österreich 3%

Kroatien 3%

Griechenland 5% Polen 4%

Bosnien/Herz. 2% Quelle: Statistisches Bundesamt; darunter 1,5 Mio. in Deutschland Geborene

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Iran (9.440), gefolgt vom ehemaligen Jugoslawien (5.504). Das neue Staatsangehörigkeitsrecht schließt doppelte Staatsangehörigkeit prinzipiell aus. Ausnahmen werden beispielsweise gewährt, wenn der Herkunftsstaat nicht aus der Staatsangehörigkeit entlässt, oder die Entlassung eine unzumutbare Härte für den Antragsteller bedeutet. Allerdings zeigt die Einbürgerungsstatistik, dass Mehrstaatigkeit keinesfalls eine Ausnahme ist. So behielten 2003 41% der Eingebürgerten ihre frühere Staatsangehörigkeit. Die Werte für die Jahre 2000 bis 2002 bewegen sich in ähnlichem Umfang. Vermutlich die größte Gruppe unter den Doppelstaatlern in Deutschland sind Aussiedler. Zwar wird diese Gruppe statistisch nicht erfasst, das Bundesinnenministerium teilte 2002 jedoch mit, dass allein zwischen 1993 und 2000 etwa 1,2 Mio. Aussiedler ihre frühere Staatsangehörigkeit nicht aufgeben mussten.10

Ausländische Bevölkerung nach Geschlecht (2003) weiblich 46,9%

männlich 53,1%

Quelle: Statistisches Bundesamt

der Behörden. 1993 wurde das Staatsangehörigkeitsgesetz reformiert und erstmals ein Einbürgerungsanspruch eingeführt. Voraussetzung waren 15 Jahre recht­mäßiger und dauerhafter Aufenthalt in der Bundesrepublik bzw. 8 Jahre bei Ausländern im Alter zwischen 16 und 23 Jahren. Im Jahr 2000 trat ein neues Staatsangehörigkeitsgesetz in Kraft. Seitdem erwerben Ausländer nach acht Jahren rechtmäßigem und dauerhaftem Aufenthalt einen Einbürgerungsanspruch. Weitere Voraussetzungen sind der Nachweis ausreichender deutscher Sprachkenntnisse, Straflosigkeit, Verfassungstreue und die selbständige Finanzierung des ­Lebensunterhalts. Zudem erhalten Kinder ausländischer Eltern bei Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit (ius soli), wenn sich ein Elternteil seit mindestens acht Jahren dauerhaft und rechtmäßig in Deutschland aufhält und außerdem seit mindestens 3 Jahren eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis hat. Die Kinder können dabei auch die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern behalten, müssen sich in diesem Fall allerdings zwischen dem 18. und 23. Lebensjahr für eine Staatsangehörigkeit entscheiden. In den Jahren 2000 bis 2002 erhielten 117.425 Kinder ausländischer Eltern bei Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit. Bis 1990 wurden jährlich zwischen 10.000 und 20.000 Ausländer eingebürgert. In der Folgezeit stieg die Zahl kontinuierlich an. Der bisherige Höchststand wurde im Jahr des neuen Staatsangehörigkeitsrechts verzeichnet: 2000 lag die Zahl der Einbürgerungen bei 186.688. Seitdem ist die Zahl wieder rückläufig, 2003 wurden 140.731 Ausländer eingebürgert. Bei den Herkunftsländern der Eingebürgerten nimmt die Türkei die Spitzenposition ein. Im Jahr 2003 wurden 56.244 Türkischstämmige eingebürgert. An zweiter Stelle lag der

Eingeschränkte Aussagekraft der amtlichen Statistik Die amtliche Bevölkerungsstatistik in Bezug auf Ausländer und Personen mit Migrationshintergrund ist nur eingeschränkt aussagefähig. Zum einen sind jene, die als Ausländer geführt werden, nicht unbedingt eingewandert. Sie können auch in Deutschland geboren sein. Von den 6,7 Mio. Ausländern (2004) hatten 1,4 Mio. (21%) ihren Geburtsort in Deutschland. Zum anderen gibt es auch bei deutschen Staatsangehörigen Personen mit einem Migrationshintergrund, gemessen an der Muttersprache oder dem Geburtsort. Unter letztere fallen etwa Aussiedler, aber auch Eingebürgerte. Die quantitative Dimension wird deutlich, wenn man berücksichtigt, dass seit Mitte der 1970er Jahr ca. 1,5 Mio. vormalige Ausländer eingebürgert wurden. Sie lassen sich in der Statistik nicht als Migranten identifizieren. Ähnliches trifft auf Aussiedler bzw. Spätaussiedler zu, bei denen es sich de facto ebenfalls um Migranten handelt.

160.000

80.000

andere Länder Vietnam Marokko Afghanistan Ex�Jugoslawien Iran Türkei

82. 913

86. 356

100.000

71. 981

120.000

106 .79 0

140.000

140 . 73 1

143 . 26 7

180.000

154 . 54 7

200.000

178 . 09 8

186 . 68 8

Einbürgerungen nach vorheriger Staatsangehörigkeit

60.000 40.000 20.000

Der Gesetzgeber hat auf diese Situation mit dem Mikrozensusgesetz 2005 reagiert. Künftig wird nicht nur die aktuelle Staatsangehörigkeit erfasst, sondern auch die gegebenenfalls vormalige Staatsangehörigkeit und das Jahr der Einbürgerung. Alle vier Jahre werden zudem die Staatsangehörigkeit der Eltern (sofern sie seit 1960 ihren dauerhaften Aufenthalt in Deutschland haben oder hatten), ihr Zuzugsjahr sowie, falls sie eingebürgert wurden, ihre ehemalige Staatsangehörigkeit und das Einbürgerungsjahr erhoben. Diese Daten werden es erlauben, die Bevölkerungsstruktur und auch die Integration von Migranten gründlicher zu beschreiben.

0 1995

1996

1997

1998

1999

2000

2001

2002

2003

Quelle: Statistisches Bundesamt

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Aktuelle Entwicklungen Sogleich nach ihrem Antritt im Jahr 1998 nahm die rot-grüne Bundesregierung die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts in Angriff. Als die Opposition sich weigerte, im Falle einer Einbürgerung Mehrstaatigkeit zu erlauben, zeichnete sich bereits hier ab, dass Einwanderung und Integration in Deutschland hochkontroverse gesellschaftliche und innenpolitische Themen sind. Der Weg zum Zuwanderungsgesetz bestätigte dies. Es wurde eigens ein Gremium einberufen, die so genannte „Süssmuth-Kommission“11, um Vorschläge zur Gestaltung der Zuwanderung und Förderung der Integration zu erarbeiten. Während der erste Gesetzesentwurf im Jahr 2001, der auf dem Bericht der Kommission basierte, noch ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild enthielt, wurde dieser Passus nach Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Opposition schließlich gestrichen.12 Auch ohne Punktesystem enthält das Zuwanderungsgesetz eine wesentliche Neuerung. Seit 2005 müssen Neu-Einwan­ derer aus Nicht-EU-Staaten Integrationskurse besuchen, die im Wesentlichen aus einem Deutsch-Sprachkurs bestehen. Mittlerweile besteht Einigkeit darüber, dass deutsche Sprachkenntnisse unerlässliche Voraussetzung für eine berufliche und soziale Integration von Migranten sind.13 Wie wichtig deutsche Sprachkenntnisse für eine Erfolg versprechende Integration sind, hat nicht zuletzt die PISA-Studie gezeigt. Schüler, deren Umgangssprache nicht Deutsch war, wiesen eine deutlich geringere Lesekompetenz auf. Zudem zeigte sich, dass in keinem anderen der teilnehmenden ­Staaten der Zusammenhang zwischen Bildungsniveau und sozialer Schichtzugehörigkeit der Eltern und dem Bildungserfolg der Kinder so stark ausgeprägt war wie in Deutschland. PISA hat an die grundlegende Bedeutung von (vor)schulischer Bildung für die Integration erinnert und eine Diskussion angestoßen. Diese dreht sich beispielsweise um die Notwendigkeit frühkindlicher Sprachförderung, ein obligatorisches Vorschuljahr, den Ausbau der Ganztagsschule und die (negativen) Auswirkungen eines gegliederten Schulsystems, bei dem leistungsschwache und –starke Schüler frühzeitig getrennt werden. So wie PISA die Relevanz von Bildung auf die Tagesordnung brachte, führte der 11. September 2001 dazu, dass die sozio-kulturelle Integration der über 3 Mio. Muslime intensiv diskutiert wird. Die Frage der Integration von Muslimen spiegelt sich insbesondere in den Diskussionen über das Tragen von Kopftüchern sowie über die Gestaltung eines islamischen Religionsunterrichts unter staatlicher Aufsicht wider. Darüber hinaus wurden die Terroranschläge in den USA zum Anlass

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genommen, im Zuwanderungsgesetz auch Sicherheitsaspekte – wie etwa die erleichterte Abschiebung von so genannten Hasspredigern – zu regeln. In der Integrations-, aber vor allem Migrations- und Asylpolitik spielt zunehmend die Europäische Union (EU) eine bedeutende Rolle. In den vergangenen Jahren hat die EU verschiedene Richtlinien erlassen, vor allem im Bereich der Asylpolitik, die in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Der Einfluss Brüssels zeigt sich beispielhaft am aktuellen Entwurf für ein Antidiskriminierungsgesetz, das auf EU-­Vorgaben beruht. Fußnoten   1

  2   3   4

  5   6

  7   8   9

10 11

12

13

Erwerbsbevölkerung/Labour Force Participation Rate: Anteil der Personen zwischen 15-64 Jahren, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen (Erwerbstätige + Arbeitslose) bezogen auf die Bevölkerung gleichen Alters. Laut Angaben der jeweiligen Religionsgemeinschaften. Das Zuwanderungsgesetz trat in Teilen bereits im September 2004 in Kraft. PISA (Programme for International Student Assessment): Vergleichende Studie der OECD über die schulischen Leistungen von 15jährigen Schülern in 28 OECD und 4 Nicht-OECD-Ländern. EWG: Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Datenquelle: Zahlenwerk: Ausländische Arbeitskräfte in der DDR am 31.12.1989. Zugriff am 31.03.2005 unter: http://www.migration-online.de/beitrag._cGlkPTExJmlkPTI2NTE_.html Datenquelle: Bundesverwaltungsamt, Bundesministerium des Innern. Datenquelle: Statistisches Bundesamt Die Zahl der amtlich registrierten Ausländer wurde nach einer Bereinigung des Ausländerzentralregisters 2004 von 7,3 Mio. auf 6,7 Mio. korrigiert. Datenquelle: Statistisches Bundesamt Datenquelle: Statistisches Bundesamt Der offizielle Name der „SüssmuthKommission lautet: Unabhängige Kommission „Zuwanderung“. Bei dem Punktesystem werden Punkte je nach Qualifikationen und Fähigkeiten des Einwanderungsbewerbers erteilt. Quelle: Bundesagentur für Arbeit

Der Autor: Veysel Özcan studierte Sozialwissenschaften in Mannheim, Amsterdam und an der Humboldt-Universität Berlin und ist Mitglied der Redaktion des Newsletters „Migration und Bevölkerung“. E-Mail: [email protected] Wissenschaftliche Zuarbeit: Philip Klever ist Politikwissenschaftler. Er absolviert zur Zeit einen Master-Studiengang in „Peace and Security Studies“.

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Literatur

Weitere Informationen

• Herbert, U. (2001): Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland: Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Flüchtlinge. München: Beck. • Münz et al. (1999) - Münz, R. / Seifert, W. / Ulrich, R. (1999): Zuwanderung nach Deutschland. Strukturen, Wirkungen, Perspektiven. Frankfurt am Main, New York: Campus. • Unabhängige Kommission „Zuwanderung“ (2001): Zuwanderung gestalten. Integration fördern. Bericht der Unabhängigen Kommission „Zuwanderung“. Berlin: Bundesministerium des Innern.

• Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD): http://www.oecd.org • Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration: http://www.integrationsbeauftragte.de • Website der Integrationsbeauftragten zum Thema der Einbürgerung: http://www.einbuergerung.de • Bundesministerium des Innern (BMI) – http://www.bmi.bund.de • Website des BMI zur Zuwanderung: http://www.zuwanderung.de • Zuwanderungsrat – http://www.zuwanderungsrat.de • Europäische Kommission, Justiz und Inneres: http://europa.eu.int/comm/justice_home/index_en.htm • United Nations High Commissioner for Refugees: http://www.unhcr.ch • Katholisches Forum: http://www.forum-illegalitaet.de/ • Migration Policy Institute: http://www.migrationinformation. org/Profiles/display.cfm?ID=235 • Wissenschaftszentrum Berlin, Arbeitsstelle interkulturelle Konflikte und gesellschaftliche Integration: http://www.wz-berlin.de/zkd/aki/ • Integration in Deutschland: http://www.isoplan.de/aid

Quellen • Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF): http://www.bamf.de • Statistisches Bundesamt: http://www.destatis.de • Bundesverwaltungsamt: http://www.bundesverwaltungsamt.de • Bundesagentur für Arbeit: http://www.arbeitsagentur.de/ • Fischer Weltalmanach: http://www.weltalmanach.de • Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und Nationale Minderheiten: http://www.aussiedlerbeauftragter.de

Revidierte Fassung Juni 2005

IMPRESSUM Herausgeber: Hamburgisches WeltWirtschaftsInstitut (HWWI), Neuer Jungfernstieg 21, 20354 Hamburg, Tel.: +49 (0)40 34 05 76-0, Fax: +49 (0)40 34 05 76-76, E-Mail: [email protected] Kooperationspartner: Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) und Netzwerk Migration in Europa e.V. Redaktion: Jennifer Elrick (verantw.), Tanja El-Cherkeh, Gunnar Geyer, Rainer Münz, Antje Scheidler (Netzwerk Migration in Europa e.V.), Jan Schneider (i.A. der bpb) Die Herausgabe der Länderprofile und Kurzdossiers wird von der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) gefördert. Die Länderprofile und Kurzdossiers geben nicht unbedingt die Ansicht der bpb und des HWWI wieder. Der Abdruck von Auszügen und Grafiken ist bei Nennung der Quelle erlaubt. Weitere Online-Ressourcen: www.migration-research.org, www.bpb.de, www.network-migration.org, www.migration-info.de, www.hwwi.org Unsere Länderprofile und Kurzdossiers sind online verfügbar unter: www.focus-migration.de