Der EuGH zum Vorsteuerabzug bei der Einfuhrumsatzsteuer

1   Der EuGH zum Vorsteuerabzug bei der Einfuhrumsatzsteuer von Werner Kuhr, Hamburg, und Dr. Ulrich Schrömbges, Hamburg / Linz* Die Einfuhrumsatzste...
2 downloads 1 Views 213KB Size
1  

Der EuGH zum Vorsteuerabzug bei der Einfuhrumsatzsteuer von Werner Kuhr, Hamburg, und Dr. Ulrich Schrömbges, Hamburg / Linz* Die Einfuhrumsatzsteuer (EUSt) ist eine selbstständige Form der Umsatzsteuer, die in der MwStSystRL und im UStG geregelt ist. Gleichwohl folgt die EUSt ganz weitgehend dem Zollrechtsregime (Art. 71 MwStSystRL, § 21 Abs. 2 UStG). Wie das österreichische Höchstgericht, der VwGH (vom 11.02.1987, 81/16/0157) feststellt, wird die EUSt „mit dem Zoll durch den Zoll wie ein Zoll“ erworben. Infolgedessen entsteht die EUSt nach Zollrecht und wird von der Zollverwaltung erhoben. Der typische zollrechtliche Entstehungstatbestand ist die Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr, Art. 201 Abs. 1 Buchst. a) ZK; Zollschuldner wird grundsätzlich der Anmelder, Art. 201 Abs. 3 S. 1 ZK. Anmelder ist jede Person, die eine Zollanmeldung abgibt oder in deren Namen eine Zollanmeldung abgegeben wird (Art. 4 Nr. 18 ZK); nur der Ausführer muss zumindest eine eigentümerähnliche Position innehaben, die der umsatzsteuerrechtlichen Verfügungsbefugnis vergleichbar ist (vgl. Art. 788 Abs. 1 ZK-DVO); Einführer nach Zollrecht ist also der Zollanmelder. Zölle sind vom Zollschuldner zu tragen, eine Abzugsberechtigung gegenüber dem Staat für steuerpflichtige Unternehmer besteht nicht. Die Umsatzsteuer hingegen soll der Verbraucher tragen, nicht das steuerpflichtige Unternehmen; der Abzug der EUSt als Vorsteuer ist mithin in der MwStSystRL und im UStG geregelt und wird von der Finanzverwaltung vorgenommen. Praxis ist, dass der für die Leistungsumsatzsteuer entwickelte Mechanismus des Vorsteuerabzugs auch auf die EUSt angewendet wird, obwohl es hier keine Leistungsbeziehungen gibt. Diese Praxis scheint auf den ersten Blick der EuGH in seinem DSV Road-Urteil1 vom 25.06.2015, C-187/14, abgesegnet zu haben. 1.

Einfuhr vs. (Einfuhr-)Lieferung

1.1

Das Missverständnis der überkommenen Ansicht

Der EuGH stellt in seinem Urteil vom 09.02.20062, C-305/03 unter Rn. 33 fest: „Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, lässt die Prüfung der Merkmale des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems den Schluss zu, dass für Umsätze innerhalb eines Mitgliedstaats der Steuertatbestand die von einem Steuerpflichtigen als solchem ausgeführte Lieferung eines Gegenstands gegen Entgelt ist, während bei Einfuhrumsätzen der Steuertatbestand allein darin besteht, dass ein Gegenstand in einen Mitgliedstaat gelangt, unabhängig davon, ob ein Rechtsgeschäft zugrunde liegt, ob die Leistung gegen Entgelt oder unentgeltlich, durch einen Steuerpflichtigen oder eine Privatperson ausgeführt wird…“ In seinem Urteil vom 29.03.20123, C-414/10, stellt der EuGH unter Rn. 33 heraus:

                                                                                                                        *

Werner Kuhr ist ehemaliger Präsident des Finanzgerichts Hamburg, Dr. Ulrich Schrömbges ist Rechtsanwalt und Steuerberater bei Schrömbges + Partner in Hamburg und Geschäftsführer der Hannl Customs Consulting GmbH, Linz / Pucking 1 EuGH v. 25.6.2015 – C. 187/14, DSV Road, BeckR S2015, 80830 2 EuGH v. 9.2.2006 – C 305/03 Kommission / Vereinigtes Königreich, BeckR S2006, 70113 3 EuGH v. 29.3.2012 - C 414/10, Veleclair, BeckRS 2012, 80674

2  

„Bei der Einfuhr handelt es sich nämlich um einen physischen Akt, der von der zuständigen Verwaltung bescheinigt wird…“ Danach liegt eine Einfuhr im umsatzsteuerrechtlichen Sinne vor, „wenn ein Gegenstand aus dem Drittlandsgebiet in das Inland … gelangt“4, und zwar – nimmt man das ProfitubeUrteil des EuGH5 hinzu – durch Überführung in den freien Verkehr.6 Die Überführung in den freien Verkehr kann zollamtlich nach Art. 79 ZK erfolgen oder durch Unregelmäßigkeiten des Zollschuldners nach Art. 202 ff. ZK. § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG7 entspricht dieser Unionsrechtslage. Das heißt: Die Steuerbarkeit des Einfuhrumsatzes ist völlig losgelöst von der des Leistungsumsatzes; der erstere knüpft an den Grenzübertritt, der letztere an die Verschaffung der Verfügungsmacht an. Infolgedessen findet die überkommene Steuerrechtslehre8 im Gesetz keine Deckung, wonach sich der Einfuhrumsatz „ausschließlich auf die Einfuhrlieferung von Gegenständen“ beziehe. Dieses Missverständnis liegt auch dem (ansonsten bemerkenswerten) Urteil des FG Köln vom 17.01.20119, ugrunde, das „gekonnt“ die Vermischung zweier völlig unterschiedlicher Steuertatbestände durch die überkommene Ansicht unter Rn. 40 wie folgt auf den Punkt bringt: „Mit dem Begriff der Einfuhr "für sein Unternehmen" und dem Abstellen auf die Verfügungsmacht am eingeführten Gegenstand im Zeitpunkt der Einfuhr knüpft § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG erkennbar an den Lieferbegriff des § 3 Abs. 1 UStG an und besagt, dass derjenige Unternehmer zum Abzug der Einfuhrumsatzsteuer berechtigt ist, der im Zeitpunkt der Einfuhr die "umsatzsteuerliche" Verfügungsmacht über den eingeführten Gegenstand besessen hat. Dies ist jedoch wiederum abhängig vom Lieferort: Befindet sich dieser nach § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG noch im Drittland, liegt die Verfügungsmacht über den eingeführten Gegenstand im Zeitpunkt der Einfuhr bereits beim Abnehmer und er ist zum Abzug der Einfuhrumsatzsteuer berechtigt. Kommt hingegen § 3 Abs. 8 UStG zur Anwendung, das heißt ist der ausländische Lieferer Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer - was zivil                                                                                                                         4 5 6

7

8 9

So BFH vom 06.05.2008, VII R 30/07; § 1 Z. 3 österreichisches UStG; Ruppe / Achatz, (österreichisches) UStG, § 1 Rn. 442 ff. EuGH v. 8.11.2012 – C-165/11, Profitube, BeckR S 2012 Vgl. Heidner in: Bunjes / Geist, UStG, § 15 Rn. 192; Scheller / Schrömbges, Grenzüberschreitender Warenverkehr aus Sicht der Umsatzsteuer - Fehlerursachen und Maßnahmen zur Behebung, 2011, S. 95, 110; Lux / Schrömbges, Zoll und Mehrwertsteuer - Praxisleitfaden unter Einschluss der Verbrauchsteuern, 2014, S. 161. Vgl. dazu auch § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG i. d. F. vor dem 01.01.2004, also vor dem StÄndG vom 15.12.2003, BGBl. I 2003, 2645; dazu Kraeusel, UVR 2004, 2, 4; Wäger, UR 2004, 344; von Streit UStB 2004, 89; Weymüller, in: Dorsch, Kommentar Zollrecht, B1(EUSt), § 1 Rz. 33, und in Sölch / Ringleb, UStG-Kommentar, § 15 Rz. 48. Vgl. nur Weymüller, ZfZ 2014, 13, 15; in diesem Sinne auch die österreichische Steuerrechtslehre, vgl. Ruppe / Achatz, UStG, § 12 Tz. 223 ff. FG Köln v. 17.1.2011 – 9 K 308/10, BeckRS2011, 94924

3  

rechtlich eine Frage der Lieferkonditionen, steuerrechtlich jedoch eine solche des tatsächlichen Auftretens bei der Zollstelle ist -, gilt die Lieferung als im Inland ausgeführt, die Ware befindet sich bei Grenzübertritt folglich noch in der Verfügungsmacht des Lieferanten und ihm steht das Recht zum Abzug der Einfuhrumsatzsteuer zu (Jakob, Umsatzsteuer, 4. Auflage 2009, Rn. 605; Lippross, Umsatzsteuer, 22. Auflage 2008, S. 830 - 832).“ 1.2.

Unterschiede zwischen Einfuhr und Lieferung

Einfuhr und (Einfuhr-)Lieferung unterscheiden sich in dreierlei Hinsicht ganz grundlegend: 1. Eine Lieferung setzt einen Leistungsaustausch unter Unternehmern voraus, während die Einfuhr ein bloßer Realakt ist, der von jeder Person, auch von einer privaten, vorgenommen werden kann. 2. Eine Lieferung setzt die Verschaffung der Verfügungsmacht über den Gegenstand, also im Wesentlichen den Eigentumsübergang voraus; für die Einfuhr ist das ohne Belang. 3. Die Einfuhr kennt – anders als die (Einfuhr-)Lieferung – keinen Lieferort gem. Art. 31 ff. MwStSystRL. Daraus folgt, dass es auch keinen sachlichen Grund10 gibt, Einfuhr und (Einfuhr-)Lieferung gleichzusetzen. Dieses Verständnis von der Einfuhr gilt selbstredend auch im Vorsteuerabzugsrecht. 1.3. .

Einfuhr im Vorsteuerabzugsrecht

Das dem Unternehmer zustehende Recht auf Vorsteuerabzug bezweckt, ihn zeitnah von der (Eingangs)-USt zu entlasten. Diese soll im Rahmen der Unternehmerkette vollständig neutralisiert werden. Das Vorsteuerabzugsrecht korrespondiert daher mit der USt-Pflicht des Unternehmers. Diesen Zusammenhang bringt Art. 167 MwStSystRL zum Ausdruck: "Das Recht auf die Vorsteuer entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht." Die EUSt entsteht aber nicht "bei der Lieferung der Gegenstände"11, sondern vielmehr bei der Einfuhr, dem rein tatsächlichen Verbringen über die Grenze, richtigerweise in Kombination mit der Überführung in den freien Verkehr. Dieses Verbringen in den freien Verkehr                                                                                                                         10 11

Vgl. zur gegenteilig herrschenden Ansicht etwa Widmann in Vogel / Schwarz, USt- Kommentar, § 15 Randziff. 220. Vgl. EuGH vom 22.03.2012, C-153/11, Klub, Rdnr. 36 m. w. N.

4  

ist aber in keiner Weise eine Lieferung, als Transporttätigkeit eher eine sonstige Dienstleistung vergleichbar. Der EuGH hat klargestellt, dass die Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr auch für die Entstehung der EUSt das entscheidende Kriterium darstellt.12 Das heißt: Das Recht auf Abzug der EUSt entsteht mit der Überführung der Nichtgemeinschaftsware in den freien Verkehr, ohne dass nach der Rechtsprechung des EuGH13 daran weitere Voraussetzungen geknüpft werden dürfen. Infolgedessen sind die Kriterien der Verfügungsmacht im Sinne des § 3 Abs. 1 UStG und der Zusammenhang der Einfuhr mit einem Ausgangsumsatz ohne Bedeutung für das Recht auf Abzug der EUSt, die EUSt hat als zollamtlich bescheinigter Realakt damit nichts zu tun. Fazit ist: Die Einfuhr verliert weder im Rahmen des Vorsteuerabzugs ihren eigenständigen Charakter als Umsatz nach Art. 2 Abs. 1 lit. d) MwStSystRL, noch mutiert sie im Rahmen des Vorsteuerabzugs zu einer Lieferung nach Art. 2 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL. Sollten leistungsbezogene Kriterien doch relevant sein, müsste sich dies klar und eindeutig aus Art. 168 lit. e) und Art. 178 lit. e) MwStSystRL ergeben. Das ist nicht der Fall. 1.4.

Zum Begriff des Importeurs

1.4.1 Unaufmerksamkeiten der überkommenen Ansicht Die Vermutung liegt also nahe, dass hinter der überkommenen Ansicht im Umsatzsteuerrecht die beiden folgenden irrigen Anschauungen stecken: 1. Die EUSt sei ein unselbstständiger Teil oder die Vorstufe der Leistungsumsatzsteuer (was sie aber nicht ist). 2. Importeur sei nur diejenige (steuerpflichtige) Person, die die Drittlandsware für sich erwerbe.

                                                                                                                        12 13

Vgl. EuGH, Urteil vom 29.04.2010, C-230/08, DTL, Rn. 75. Vgl. Urteil vom 21.10.2010, C-385/09, Nidera, Rn. 41; vgl. weiter Urteil vom 18.12.2014, C-164/13, Italmoda, Rn. 44 ff.

5  

Dieser Begriff des Importeurs liegt aber der MwStSystRL nicht zugrunde.14 Bereits Art. 178 lit. e) MwStSystRL macht das klar, der zwischen „Empfänger der Lieferung oder Importeur“ unterscheidet. Importeur ist der Schuldner der EUSt, wie Art. 143 Abs. 1 lit. d) MwStSystRL belegt, der die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Anschlusslieferung normiert und dabei auf Art. 201 MwStSystRL verweist. Nach Art. 143 Abs. 1 lit. d) MwStSystRL ist die Einfuhr von Gegenständen, die aus dem Einfuhr- bzw. Verzollungsmitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat steuerfrei weitergeliefert werden (sollen), steuerbefreit15, wenn die sog. Anschlusslieferung „durch den gemäß Art. 201 als Steuerschuldner bestimmten oder anerkannten Importeur bewirkt wird.“ Nach Absatz 2 muss dazu dieser Importeur zum Zeitpunkt der Einfuhr die dort genannten Erklärungs- und Nachweispflichten erfüllen. Aus diesem Regelungszusammenhang folgt16, dass der Schuldner der EUSt der Importeur ist. Das ist in Deutschland17 nach §§ 13 Abs. 2, 13a Abs. 2, 21 Abs. 2 UStG i. V. m. Art. 201 Abs. 3 ff. ZK stets derjenige Steuerpflichtige, der die Gegenstände, ob rechtmäßig oder widerrechtlich, in den freien Verkehr überführt und dadurch Steuerschuldner wird.18 Das gilt übrigens auch im insoweit vergleichbaren besonderen Verbrauchsteuerrecht.19 Die herkömmliche Auffassung übersieht also ganz grundsätzlich: Der Empfänger der Drittlandsware ist nicht deshalb Importeur, weil er der Warenempfänger ist, sondern weil er Schuldner der EUSt geworden ist.20 Und nur der Schuldner der EUSt hat nach der Rechtsprechung des EuGH16 das Vorsteuerabzugsrecht.21 Für die Steuerschuldnerschaft ist aber die Verfügungsmacht irrelevant.15

                                                                                                                        14

15 16 17 18 19

20 21

So zurecht FG Hamburg vom 19.12.2012, 5 K 302/09, EFG 2013, 562; vgl. ausführlich zu dieser Problematik Killmann (Mitglied des Juristischen Dienstes der Europäischen Kommission). Die unionsrechtlichen Grundsätze einer Vorsteuerabzugsberechtigung, in: Summersberger (Hrsg.), Einfuhr und innergemeinschaftliche Lieferung, 2014, S. 135 ff.; in diesem Sinne auch Kuhr, Vorsteuerabzug aus der Sicht eines Finanzrichters oder das Ringen um den Neutralitätsgrundsatz, in: Summersberger (Hrsg.), Einfuhr und innergemeinschaftliche Lieferung, 2014, S. 157 ff. Vgl. dazu ausführlich Lux / Schrömbges, FN2, Kapitel 3, S. 115 ff. Vgl. auch § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG. In Österreich gilt wegen § 2 Abs. 1 ZollR-DG und § 26 Abs. 1 UStG dieselbe Rechtslage. So auch Kuhr und Killmann, FN9, sowie Lux / Schrömbges, FN2, Kapitel 5.5.3, S. 187 ff. Vgl. Art. 4 Nr. 8 und Art. 7 VStSystRL 2008/118; vgl. zur Kohärenz von Zollrecht, Umsatzsteuerrecht und Verbrauchsteuerrecht bei der (vorschriftswidrigen) Einfuhr, EuGH vom 29.04.2010, C-230/08, Dansk Transport og Logistik (DTL). Vgl. aber unter III.5.3. Vgl. EuGH vom 29.03.2012, C-414/10, Veleclair, Rn. 20.

6  

Einführer ist also im Regelfall der „Anmelder“22 oder genauer der „Schuldner der EUSt“ (so § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG). 1.4.2 Bisherige Praxis Die ständige Praxis der Verwaltung und Gerichte23 steht zu dieser Unionsrechtslage in deutlichem Widerspruch. Denn danach liegt eine Einfuhr "für" das Unternehmen i. S. d. § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG nur dann vor, wenn die eingeführten Gegenstände einem im Inland gelegenen Unternehmensteil zugeordnet und sodann zur Ausführung von (Ausgangs-) Umsätzen eingesetzt werden. Dabei wird vorausgesetzt, dass die den Vorsteuerabzug begehrende Person im Zeitpunkt der Einfuhr die Verfügungsmacht über den eingeführten Gegenstand innehat. Das gilt unabhängig davon, wer Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer ist, wer die Einfuhrumsatzsteuer entrichtet und wer den eingeführten Gegenstand über die Grenze gebracht hat.24 Nach Ansicht der Finanzverwaltung ist dabei auf die Verfügungsmacht zum Zeitpunkt der Überführung in den freien Verkehr abzustellen.25 Nach diesen Kriterien steht beispielsweise dem Logistikunternehmen der Vorsteuerabzug nie zu, weil es weder umsatzsteuerliche Verfügungsmacht über die Nicht-Unionsware bei der Einfuhr hat, noch weil es die von ihm eingeführte Nicht-Unionsware für einen Ausgangsumsatz unter Innehabung umsatzsteuerlicher Verfügungsmacht verwendet. Beispiel:26 Ein Hamburger Logistikunternehmen nimmt chinesische Ware auf sein Zolllager und führt sie dann auf Order der Chinesen nach Russland wieder aus; dabei passieren zollrechtliche Unregelmäßigkeiten nach Art. 204 ZK (fehlerhafte Bestandsbuchführung). Die (noch) herrschende Meinung im Zollrecht sieht darin eine Einfuhr des Logistikunternehmens mit der Folge der Entstehung einer EUSt27, die herrschende Meinung im Umsatzsteuerrecht verwehrt den Vorsteuerabzug aber dennoch. Ergebnis ist, dass eine NichtUnionsware, die zu keiner Zeit in den Wirtschaftskreislauf, d. h. in den freien Verkehr ein                                                                                                                         22 23 24 25 26 27

So Art. 6 Abs. 3 österreichisches UStG, die österreichische Parallelbestimmung zu § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG. Vgl. BFH vom 24.04.1980, V R 52/73; vom 12.09.1991, V R 118/87; vom 16.03.1993, V R 65/89 sowie Abschnitt 15.08 Abs. 4 Sätze 1 und 2 UStAE. Vgl. Abschnitt 15.8 Abs. 4 Satz 3 UStAE. Vgl. Tz. 85 des BMF-Schreibens vom 28.01.2004 und Abschnitt 15.8 Abs. 2 UStAE. Vgl. zu einer solchen Fallgestaltung FG Hamburg vom 19.12.2012, 5 K 302/09. Der EuGH wird die Frage demnächst in den Rechtssachen C-226/14 (Eurogate) und C-228/14 (DHL) entscheiden; Termin für die mündliche Verhandlung war der 11.11.2015; dabei hat sich die Europäische Kommission klar dafür ausgesprochen, dass eine EUSt nach Art. 204 ZK nicht entstehe; so auch Lux / Schrömbges, FN2, Kapitel 4.4, S. 159 ff.

7  

gegangen ist, mit Umsatzsteuer belastet wird,28 was offensichtlich und eklatant dem Neutralitätsgrundsatz widerspricht.29 Diesen Widerspruch versucht die traditionelle Ansicht mit folgender Behelfskonstruktion auszugleichen: Das Logistikunternehmen bräuchte nur die Verzollungsdokumente i. S. d. Art. 178 lit. e) MwStSystRL an den Auftraggeber (den Empfänger bzw. Lieferer) auszuhändigen, der dann das Vorsteuerabzugsrecht geltend machen könne; im Übrigen sei ein Rückerstattungsanspruch i. d. R. vereinbart.30 Diese Ansicht ist unvertretbar, weil nur der Schuldner der EUSt das Abzugsrecht hat. Lieferer bzw. Empfänger werden aber in diesen Fällen gerade nicht Schuldner der EUSt. Zivilrechtliche Vereinbarungen sind für das Abzugsrecht irrelevant. 1.4.2.1

Schuldner der EUSt

Schuldner der EUSt i. S. d. Art. 167, 168 Buchst. e), 178 Buchst. e) MwStSystRL i. V. m. § 15 Abs. 1 S.1 Nr. 2 UStG ist nur diejenige Person, der gegenüber die EUSt-Schuld per Steuerbescheid geltend gemacht wird.31 Beispiel: Der österreichischen Praxis entspricht es, im Rahmen der innergemeinschaftlichen Anschlusslieferung nach dem Verfahrenscode 4200 (Art. 143 Abs. 1 Buchst. d), Abs. 2 MwStSystRL i. V. m. Art. 6 Abs. 3 öst. UStG = § 5 Abs. 1 Nr. 3 dt. UStG) ausschließlich den als indirekten Vertreter32 handelnden Grenzspediteur auf die EUSt in Anspruch zu                                                                                                                         28 29 30 31 32

Dazu Schrömbges UR 2013, 285. Im Übrigen auch dem Bestimmungslandprinzip, denn die EUSt steht ausschließlich Russland zu; die herrschende Praxis führt also auch zu einer unzulässigen Doppelbesteuerung. So ausdrücklich der österreichische Unabhängige Finanzsenat (UFS) vom 05.07.2013, GZ RV/1311Z/11; bestätigt durch VwGH vom 24.03.2015, Zl. 2013/15/0238-11. So EuGH vom 29.03.2012, C-414/10, Veleclair, Rn. 20; FG Hamburg vom 19.12.2012, 5 K 302/09; dazu Schrömbges, UR 2013, 285; taxlex 2013, 56. Nach den Verwaltungsvorschriften des österreichischen BMF (Arbeitsrichtlinie ZK-4200 i. d. F. vom 25.04.2012, BMF-010313/0333-/V/6/2012; UStRL 3953 ff.) darf der Spediteur im Rahmen des VC 42 nur als indirekter Vertreter handeln; die direkte Vertretung, bei der nur der Vertretene Schuldner der EUSt wird, ist explizit ausgeschlossen. Gestützt wird diese Praxis auf Art. 143 Abs. 2 MwStSystRL. Art. 143 Abs. 2 MwStSystRL ist aber zum einen nur eine reine Durchführungsvorschrift zu der in Art. 143 Abs. 1 lit. d) MwStSystRL normierten Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Anschlusslieferung, kann also unmöglich Steuerschuldrecht enthalten; zum anderen hat Art. 143 Abs. 2 MwStSystRL keinen Verordnungscharakter, er ist vielmehr in Art. 6 Abs. 3 österreichisches UStG umgesetzt, der keine Beschränkung des Vertretungsrechts vorsieht. Allerdings verweist Art. 143 Abs. 1 lit. d) MwStSystRL auf

8  

nehmen, nicht jedoch den im Drittland oder im Bestimmungsmitgliedstaat ansässigen Auftraggeber (Lieferer / Abnehmer / Verbringer), der als Vertretener ebenfalls die EUSt als Gesamtschuldner (Art. 213 ZK) gesetzlich schuldet. Schuldner der EUSt i. S. d. Vorsteuerabzugsrechts ist also ausschließlich das Logistikunternehmen; dieses hat aber keinen an den Auftraggeber abtretbaren Anspruch auf Vorsteuerabzug. Oder: Bei zollrechtlichen Unregelmäßigkeiten nach Art. 202 ff. ZK wird ausschließlich der Täter / Teilnehmer der Unregelmäßigkeit Schuldner der EUSt, nicht aber auch – wie im Beispielsfall – das Unternehmen, das das Logistikunternehmen zur Einfuhr, Lagerung und Ausfuhr der Drittlandsware eingeschaltet hat. 1.4.2.2

Abzugsberechtigter

Der EuGH stellt in seinem Veleclair-Urteil (Rn. 34) klar, „dass der Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer und der zu ihrem Abzug Berechtigte ein und dieselbe Person sind…“ Daraus folgt: Ausschließlich diejenige Person, die das Zollamt als EUSt-Schuldner in Anspruch nimmt, hat auch „das Recht auf Abzug der Einfuhrmehrwertsteuer“. Das wiederum bedeutet, auf die anfangs zitierten Ausführungen des FG Köln bezogen: Der Abnehmer ist nicht per se vorsteuerabzugsberechtigt, sondern nur dann, wenn er per Steuerbescheid als Schuldner der EUSt in Anspruch genommen worden ist; ob er darüber hinaus auch die Verfügungsmacht über den eingeführten Gegenstand hat, ist nach dem Gesetz und der Sache nach belanglos. Geht es um den ausländischen Lieferer im Drittland, kann Anmelder nur eine in der EU ansässige Person sein (vgl. Art. 64 Abs. 2 Buchst. b) ZK); das ist der indirekte Vertreter, also i.d.R. ein Logistikunternehmen. Es entspricht der zollamtlichen Praxis, dass in einem solchen Fall i.d.R. nur der Spediteur auf die EUSt in Anspruch genommen wird. Entgegen der Auffassung des FG Köln hat der ausländische Lieferer i.d.R. also nicht das Recht zum Abzug der EUSt.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     Art. 201 MwStSystRL, der die Bestimmung der Steuerschuldnerschaft bei der Einfuhr weitgehend den Mitgliedstaaten überlässt; Österreich hat sich nun aber in §§ 19 Abs. 5, 26 Abs. 1 UStG dafür entschieden, insoweit Zollrecht anzuwenden; danach gilt Art. 5 ZK, der insoweit ein freies Wahlrecht einräumt.

9  

1.4.2.3

Zivilrechtliche Absprachen

Nach der Rechtsprechung des EuGH kam die Wahrung des Neutralitätsprinzips nicht durch zivilrechtliche Vereinbarungen „gerettet“ werden. Zivilrechtliche Vereinbarungen, nach denen der Spediteur etwa die von ihm verauslagte EUSt rückerstattet erhält, sind irrelevant, weil nach dem Becker-Urteil des EuGH33 „... allein das objektive Verhältnis zwischen den erbrachten Leistungen und der der Steuer unterliegende wirtschaftliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen maßgebend“ ist. Auf der Hand liegt, dass ein Steuerpflichtiger, der nicht als Schuldner der EUSt in Anspruch genommen worden ist, nicht dadurch – entgegen der österreichischen Praxis – zum Vorsteuerabzug berechtigt wird, wenn ihm die Dokumente nach Art. 178 lit. e) MwStSystRL ausgehändigt werden. 2.

Wirkungsweise des Vorsteuerabzugs

Das unionsrechtliche Mehrwertsteuersystem beruht auf dem folgenden Grundsatz: Jeder Steuerpflichtige i. S. d. Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL, also jedes steuerpflichtige Unternehmen in der Leistungskette, errechnet auf Grundlage des Entgelts, das es von seinem jeweiligen Abnehmer erhält, die Umsatzsteuer nach dem Steuersatz, der für den gelieferten Gegenstand oder die erbrachte Dienstleistung anwendbar ist. Gleichzeitig ermittelt es die Vorumsätze, die es zur Ausführung seiner Lieferungen und Erbringung seiner Dienstleistungen verwendet hat, und die Umsatzsteuer, die ihm dafür in Rechnung gestellt worden ist. Diese Umsatzsteuer zieht es als Vorsteuer von seiner Steuerschuld ab. Es ist offensichtlich, dass dieses System des Vorsteuerabzugs nach Art. 167 ff. MwStSystRL auf den Leistungsaustausch, also auf die für den Erwerb von Gegenständen oder Dienstleistungen geschuldete Steuer zugeschnitten ist. Die Mehrwertsteuer34 bzw. Umsatzsteuer35 ist danach also eine Abgabe, die ein Steuerpflichtiger29 bzw. ein Unternehmer30 einem anderen Steuerpflichtigen bzw. Unternehmer in Rechnung stellt und an das Finanzamt abführt. Dennoch gilt dieses Entlastungssystem auch für die EUSt36, obwohl dafür der Steuerbescheid, nicht die Rechnung maßgebend ist. Die EUSt soll einge                                                                                                                         33 34 35 36

Vom 21.02.2013, C-104/12, Rn. 29. So das Unionsrecht. So etwa das deutsche bzw. österreichische Recht. Vgl. Art. 168 lit. e), 178 lit. e) MwStSystRL, vgl. dazu auch EuGH vom 21.02.2013, C-79/12, SC Mora IPR, Rn. 27.

10  

führte mit inländischen Waren wettbewerbsmäßig durch Erhebung der für inländische Waren geltenden Umsatzsteuer gleichstellen. Die EUSt unterscheidet sich mithin grundlegend von jener auf Warenlieferungen. Die Einfuhr ist in Titel IV und Titel V der MwStSystRL ausschließlich im abgesonderten Kapitel 4 geregelt. Allein aus dieser systematischen Stellung in der MwStSystRL geht hervor, dass es bei der EUSt nicht auf die Übertragung der Befähigung ankommt, wie ein Eigentümer über die Ware zu verfügen. Zudem fallen bei Lieferung und Leistung Steuerschuldner und Vorsteuerabzugsberechtigter auseinander, während sie bei der EUSt zusammenfallen. 3.

Anwendbarkeit des Abzugssystems auf die EUSt

3.1

Art. 168 Buchst. e), 178 Buchst. e) MwStSystRL

Die EUSt soll letztlich – wie jede Umsatzsteuer – wirtschaftlich nur den Endverbraucher im Mehrwertsteuergebiet belasten. Deshalb ist auch für die EUSt der Vorsteuerabzug vorgesehen. Nach Art. 168 Buchst. e) MwStSystRL richtet sich der Vorsteuerabzug allein nach der geschuldeten Mehrwertsteuer auf die Einfuhr. Daraus folgt, dass der Vorsteuerabzug an sich jedem Schuldner der EUSt zusteht, der ein Steuerpflichtiger, also kein Endverbraucher ist. Art. 178 Buchst. e) MwStSystRL über die formellen Vorgaben des Vorsteuerabzugs bestätigt, dass der „Importeur“ zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Mit „Importeur“ kann, wie ausgeführt, umsatzsteuerrechtlich wohl nur diejenige Person gemeint sein, die nach Art. 201 (oder 202) MwStSystRL zum EUSt-Schuldner wurde. Mit dieser Bezugnahme auf den "Importeur" – nach dem alternativen "oder" betreffend den "Empfänger der Lieferung" – bestätigt Art. 178 lit. e) MwStSystRL – in Anerkennung der Unterschiede zwischen Einfuhr und Lieferung –, dass das Recht zum Vorsteuerabzug nicht davon abhängig gemacht werden darf, ob es bei der Einfuhr zur Übertragung der Befähigung gekommen ist, wie ein Eigentümer über die Ware zu verfügen. In seinem Veleclair-Urteil führt der EuGH dazu im Zusammenhang mit der Sechsten Richtlinie unter Rn. 26 aus: „Zum anderen beschränkt sich Art. 18 ("Einzelheiten der Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug") der Sechsten Richtlinie, wie die Generalanwältin in Nr. 37 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, darauf, in seinem Abs. 1 Buchst. b vorzusehen,

11  

dass der Steuerpflichtige, um das Recht auf Vorsteuerabzug ausüben zu können, nur ein die Einfuhr bescheinigendes Dokument besitzen muss, das ihn als Empfänger oder Importeur ausweist und aus dem sich der geschuldete Steuerbetrag "ergibt oder auf Grund dessen seine Berechnung möglich ist". Somit ist selbst die Ausübung dieses Abzugsrechts nicht von der tatsächlichen vorherigen Zahlung der Einfuhrmehrwertsteuer abhängig.“ 3.2.

Einleitungssatz des Art. 168 MwStSystRL

Für den Vorsteuerabzug bei der Einfuhr sind jedoch auch die allgemeinen Vorgaben des Einleitungssatzes des Art. 168 MwStSystRL zu berücksichtigen, nämlich: „Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen...“ Daraus folgt zunächst, dass nur ein Steuerpflichtiger i. S. d. Art. 9 MwStSystRL zum Vorsteuerabzug berechtigt ist; damit wird die Entlastung von Endverbrauchern durch den Vorsteuerabzug systemgerecht ausgeschlossen. Der Einleitungssatz des Art. 168 MwStSystRL fordert aber auch, dass die Gegenstände für die Zwecke der besteuerten Umsätze des Steuerpflichtigen verwendet werden. Der EuGH hat seine Rechtsprechung zu diesem Einleitungssatz in seinem Urteil vom 21.02.2013, C-104/12 (Becker) zusammengefasst. Danach (Rn. 19) setzt „die Berechtigung des Steuerpflichtigen zum Vorsteuerabzug grundsätzlich einen direkten und unmittelbaren Zusammenhang zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehreren Ausgangsumsätzen (voraus), die das Recht auf Vorsteuerabzug eröffnen“. Einen solchen direkten oder unmittelbaren Zusammenhang gibt es bei der EUSt freilich nicht, er kann also auch nicht gefordert werden. Unter Rn. 20 führt der EuGH dann weiter aus: „Ein Recht auf Vorsteuerabzug wird jedoch zugunsten des Steuerpflichtigen auch bei Fehlen eines direkten und unmittelbaren Zusammenhangs zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehreren Ausgangsumsätzen anerkannt, wenn die Kosten für die fraglichen Dienstleistungen zu seinen allgemeinen Aufwendungen gehören und − als solche − Bestandteile des Preises der von ihm gelieferten Gegenstände oder erbrachten Dienstleistungen sind. Derartige Kosten hängen nämlich direkt und unmittelbar mit der gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen zusammen...

12  

Diese Forderung – obwohl auch sie für die Leistungsumsatzsteuer aufgestellt worden ist – lässt sich auch für die EUSt verwenden; denn entscheidend ist danach (Rn. 28), „dass die fraglichen Umsätze in Anbetracht ihres Inhalts ... mit einer steuerpflichtigen Tätigkeit ... verknüpft werden können.“ Soweit Unternehmen mit der Mehrwertsteuer auf die Einfuhr belastet werden, hat diese Belastung ihren ausschließlichen Grund in der wirtschaftlichen Einfuhrtätigkeit, nämlich die Einfuhr von Waren vorzunehmen. Das wird besonders augenfällig bei Logistikunternehmen, wenn und weil sie Drittlandsware für andere Unternehmen einführen. Es ist das steuerpflichtige Geschäft von Grenzspediteuren, fremde Waren zu verzollen, d. h. einzuführen. Da also der von der EUSt belastete Vorgang die körperliche Verbringung ist, sind es auch die dafür anfallenden Kosten, die als solche Bestandteil des Preises der von einem Spediteur erbrachten Dienstleistung sind. Es geht mithin, das sei angesichts der Missverständnisse der Steuerrechtslehre und Steuerpraxis nochmals betont, bei dem Einfuhrumsatz nicht darum, dass der Importeur die Drittlandsware „für sein Unternehmen nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG“ einführt. Das ist nur der Fall, wenn der Importeur auch der Empfänger der Gegenstände ist. Das aber wiederum ist für den Einfuhrtatbestand ohne Bedeutung, was offenbar der deutsche (und auch der österreichische) Gesetzgeber37 übersehen hat. Schließlich stellt sich sogar die Frage, ob die Kostenformel des EuGH überhaupt auf die EUSt anwendbar ist. Das Besondere des Einfuhrumsatzes ist ja gerade, dass er sich in einem Realakt erschöpft. Die Forderung der überkommenen Ansicht, dass der spezifische Eingangsumsatz, hier die Einfuhr, auch für steuerpflichtige Ausgangsumsätze des Unternehmers verwendet wird, geht also ins Leere. Entscheidend ist allein, dass der Einfuhrumsatz eine steuerpflichtige Tätigkeit ist; das ist bei (Grenz-)Spediteuren offenkundig, weil die Einfuhr deren steuerpflichtiges Geschäft ist. Geradezu abstrus wäre es, den Begriff der Verwendung i.S.d. Einleitungssatzes des Art. 168 MwStSystRL als Lieferung i.S.d. Art. 14 MwStSystRL zu verstehen. Die EUSt ist keine Vorstufe oder kein unselbstständiger Teil der inneren Umsatzsteuer, sondern ein Umsatz wie jeder andere auch.                                                                                                                         37

Vgl. § 12 Abs. 1 Z. 2 lit. a) österreichisches UStG.

13  

Die bisher zitierte Rechtsprechung des EuGH sowie Art. 168 Buchst. e) und 178 Buchst. e) MwStSystRL verbieten es demgemäß, im Rahmen des Vorsteuerabzugs der EUSt das Vorhandensein einer Lieferung zu fordern. Fordert man sie dennoch, ist der Abzug der EUSt unmöglich oder von Kriterien abhängig, die dem EUSt-Recht fremd sind. Die überkommene Ansicht, der Importeur müsse zugleich auch der Lieferer bzw. der Leistungsempfänger sein, ist also systemwidrig und verstößt gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität der EUSt und verletzt das Gebot der Wettbewerbsgleichheit. 3.3

Zwischenfazit

Die Kriterien der Verfügungsmacht und des Leistungsaustausches sind nach der Rechtsprechung des EuGH, weil in der MwStSystRL hinsichtlich der EUSt nicht vorgesehen, unzulässige nationale Einschränkungen des Abzugsrechts und damit unionsrechtswidrig.38 Widersprüchlich in diesem Zusammenhang ist es deshalb auch, dass zwar festgestellt wird, die Verfügungsmacht i.S.d. Art. 14 MwStSystRL sei keine Voraussetzung des Einfuhrumsatzes, auch nicht im Rahmen des Vorsteuerabzugs, gleichwohl könne aber nur derjenige Unternehmer abzugsberechtigt sein, der den Gegenstand im Sinne einer Verfügungsmacht i. S. d. Art. 14 MwStSystRL erwirbt.39 Die Verfügungsmacht kennzeichnet grundlegend den Begriff der Lieferung,40 nicht aber den der Einfuhr, für den das rein körperliche Verbringen in den freien Verkehr konstitutiv ist. Aus der MwStSystRL ergibt sich somit grundsätzlich: Wer als Steuerpflichtiger die Mehrwertsteuer auf die Einfuhr schuldet, ist auch berechtigt, diese als Vorsteuer abzuziehen; Nachweis dafür ist der an ihn gerichtete zollamtliche Abgabenbescheid nach Art. 178 Buchst. e MwStSystRL.

                                                                                                                        38 39 40

Vgl. EuGH vom 21.10.2010, C-385/09, Nidera, Rdnr. 41. So Weymüller, ZfZ 2014, 13, 15. Vgl. dazu zuletzt EuGH vom 21.11.2013, C-494/12, Rdnr. 19, 20.

14  

Dieser Grundsatz gilt nach Sinn und Zweck der EUSt nur dann nicht, wenn der steuerpflichtige Importeur die Einfuhr privat verwendet. Eine private, nichtunternehmerische Verwendung der Einfuhr liegt vor, wenn sie nicht im Auftrag eines Unternehmers, sondern im Auftrag einer Privatperson erfolgt oder wenn die eingeführte Ware durch Auslieferung an eine Privatperson aus der Unternehmerkette ausscheidet. Diese Beschränkung des Vorsteuerabzugs ist systemgerecht und erforderlich, weil sie dem Zweck der Mehrwertsteuer als Besteuerung des privaten Konsums dient. Die Einschränkung führt nicht zu ernsthaften Abgrenzungsschwierigkeiten. Sie entspricht der allgemeinen Anforderung der unternehmensbezogenen Verwendung von Eingangsumsätzen zur Erhaltung des Vorsteuerabzugsrechts. Der Unternehmer ist insoweit nachweispflichtig. Die Einfuhr als Realakt muss - wie jeder Eingangsumsatz - unternehmerisch verwendet werden, um den Vorsteuerabzug zu ermöglichen. Diese Voraussetzung ist für den Grenzspediteur in den genannten Fällen der Beauftragung durch einen Nichtunternehmer oder der Auslieferung der Ware an einen solchen nicht gegeben mit der Folge, dass die EUSt nicht zum Vorsteuerabzug zugelassen werden kann. 3.4

Mehrheit von abzugsberechtigten Steuerschuldnern

Das Kriterium der Verfügungsmacht ist aber nicht nur, was die EUSt betrifft, systemwidrig und unionsrechtswidrig, sondern auch, wie das FG Hamburg41 herausgearbeitet hat, unnötig, um den abzugsberechtigten (Gesamt-)Schuldner zu bestimmen. An dem Realakt des Verbringens über die Grenze können tatsächlich mehrere Personen beteiligt sein, beispielsweise bei der Einschaltung eines Spediteurs stets dieser und der Lieferer. Einführer i. S. d. MwStSystRL ist aber, wie herausgearbeitet, der Schuldner der EUSt, im Allgemeinen also nur eine einzige Person. Schuldner der EUSt ist im Regelfall der zollamtlichen Überführung in den freien Verkehr nach Art. 79 ZK der Anmelder, bei zollrechtlichen Unregelmäßigkeiten nach Art. 202 ff. ZK der Täter. Nur im Fall der im Allgemeinen sehr seltenen indirekten Vertretung gibt es zwei potenzielle EUStGesamtschuldner, beispielsweise den Spediteur als Anmelder und den vertretenen Lieferer bzw. Abnehmer. Dabei nimmt die österreichische Zollverwaltung, bei der die letztere Fallvariante wegen des Ausschlusses der direkten Vertretung im VC 42 öfters virulent wird, stets nur den Spediteur in Anspruch, nur dieser ist also steuerpflichtiger Einführer                                                                                                                         41

Vgl. FN9.

15  

i.S.d. Art. 167 ff. MwStSystRL. Bei Unregelmäßigkeiten ist (oder sind) in aller Regel das (oder die) Logistikunternehmen Steuerschuldner, nicht aber auch deren Auftraggeber, der nicht Teilnehmer der Unregelmäßigkeit wird. Sodann entspricht es der Praxis der Zollverwaltung, bei Unregelmäßigkeiten nur denjenigen Täter / Teilnehmer als Steuerschuldner in Anspruch zu nehmen, der in dem Mitgliedstaat der Unregelmäßigkeit ansässig ist und dem der größte Vorwurf zu machen ist. Kurzum, eine Mehrheit von steuerpflichtigen(!) Importeuren ist ein vernachlässigbarer Faktor. Sollte dennoch ausnahmsweise eine Mehrheit von abzugsberechtigten Schuldnern, vorliegen und das Abzugsrecht strittig sein, ist eine Kollisionsregel42 zu finden, die aber keinesfalls das Kriterium der Verfügungsmacht oder das des Leistungsaustausches enthalten darf. 3.5

Nationale Rechtsprechung

3.5.1 Deutschland Das Finanzgericht Hamburg hat die Irrtümer der Praxis und der Lehre, die Einfuhr wie eine (Einfuhr-)Lieferung zu behandeln, in seinem bereits zitierten Urteil vom 19.12.2012, 5 K 302/09, auf den Punkt gebracht und dem steuerpflichtigen Schuldner der EUSt das Vorsteuerabzugsrecht zuerkannt. Daran, dass allein diese Auffassung den Art. 167, 168 Buchst. e, 178 Buchst. e MwStSystRL entspreche, hatte es nicht den geringsten Zweifel,43 es hat aus diesem Grund auch nicht den EuGH nach Art. 267 AEUV angerufen, wohl aber wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Angelegenheit die Revision zugelassen, der das BMF beigetreten war. Dabei war es auch angesichts des BFH-Urteils vom 23.09.2004 (V R 58/03), in dem unionsrechtliche Zweifel an dem Abstellen auf die Verfügungsmacht bei der Einfuhr geäußert worden sind, ziemlich sicher, dass der BFH der Klage entweder stattgeben oder den EuGH nach Art. 267 AEUV einschalten werde. Der BFH hat dann,

                                                                                                                        42

43

Vgl. die Vorschläge von Killmann, FN9, und Lux / Schrömbges, FN2, Kapitel 5.5.5, S. 190 ff. Im Übrigen enthält die MwStSystRL beispielsweise auch keine Regelung für Reihengeschäfte, die in der Tat dringend notwendig wäre; vgl. dazu BFH vom 25.02.2015, XI R 30/13 und XI R 15/14; vgl. weiter Nieskens / Heinrichshofen / Matheis, DStR 2014, 1368 ff. Schrömbges + Partner waren Prozessbevollmächtigte in den Verfahren vor dem FG Hamburg und dem BFH.

16  

ohne zu der hier diskutierten Frage Stellung zu nehmen, das Urteil des Finanzgerichts aufgehoben.44 Das Finanzgericht Schleswig-Holstein45 hat indessen ganz im Sinne der überkommenen Ansicht ohne Auseinandersetzung mit dem Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 19.12.2012 dem zollrechtlichen Lagerhalter den Vorsteuerabzug für die EUSt verwehrt, weil er keine umsatzsteuerliche Verfügungsbefugnis an den eingelagerten Gegenständen erlangt habe. Er hat aber wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache die Revision zugelassen. Die Sache ist nunmehr unter dem Aktenzeichen V R 68/14 beim BFH anhängig. 3.5.2 Österreich Der österreichische Unabhängige Finanzsenat (UFS) hat mit der bereits zitierten Berufungsentscheidung vom 05.07.2013 (GZ. RV/1311-L/11) einem Logistikunternehmen das Recht abgesprochen, die in seiner Person aufgrund einer zollrechtlichen Unregelmäßigkeit entstandene EUSt als Vorsteuer abzuziehen, weil es die eingeführten Gegenstände nicht erworben und damit auch nicht für sich eingeführt habe. Der VwGH hat mit seinem Erkenntnis vom 24.03.2015 (GZ. 2013/15/0238) diese Berufungsentscheidung ohne jede Auseinandersetzung mit der gegenteiligen Ansicht bestätigt. 3.5.3 Die Vorlagebeschlüsse des Finanzgerichts Hamburg vom 18.02.201446 Die EUSt entsteht mit der rechtmäßigen oder rechtswidrigen Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr. Von daher ist es paradox, dass die Verfügungsbefugnis, die dafür ohne jede Bedeutung ist, dennoch bei der unternehmerischen Entlastung von der EUSt relevant sein soll. Dieses Paradoxon hat das Finanzgericht Hamburg erkannt. Es vertritt in seinen Vorlagebeschlüssen vom 18.02.2014 die Auffassung, dass entweder jeder steuerpflichtige Schuldner der EUSt eo ipso das Vorsteuerabzugsrecht habe, oder aber EUSt-Schuldner nur werden könne, wer bei der Einfuhr die Verfügungsbefugnis habe. Denn der Neutrali-

                                                                                                                        44

45 46

Urteil vom 13.02.2014, V R 8/13; darin hat der BFH als erster erkannt, dass die EUSt nicht – wie vorgeschrieben – im Entstehungszeitraum, sondern unzulässigerweise danach als Vorsteuer angemeldet worden ist. Vgl. Urteil vom 09.10.2014, 4 K 67/13, EFG 2015, 258. 4 K 150/12 und 4 K 130/12; EuGH, Rs. C-226/14, Eurogate, und C-228/14, DHL.

17  

tätsgrundsatz fordere zwingend, dass ein Logistikunternehmer im Rahmen seiner steuerpflichtigen (Einfuhr-)Tätigkeiten nicht mit USt belastet werden dürfe. Dieser Ansatz des Finanzgerichts Hamburg ist in jeder Hinsicht neu und niveauvoll. Er hat seine Rechtsgrundlage in Art. 201 MwStSystRL. Diese Vorschrift lautet: „Bei der Einfuhr wird die Mehrwertsteuer von der Person oder den Personen geschuldet, die der Mitgliedstaat der Einfuhr als Steuerschuldner bestimmt oder anerkennt.“ Traditionell ist das Verständnis, dass die Mitgliedstaaten darüber frei bestimmen können, wer bei der Einfuhr Schuldner der EUSt wird; in Deutschland und Österreich richtet sich das – wegen § 21 Abs. 2 UStG, § 26 Abs. 1 österreichisches UStG – nach Zollrecht. Killmann47 hat aber nachgewiesen, dass nach Art. 201 MwStSystRL nur der Importeur EUStSchuldner werden könne. Dieser umsatzsteuerrechtliche Begriff könne nur in zweifacher Hinsicht verstanden werden. Traditionell sei Importeur nur eine Person, die für sich (als wirtschaftlicher Eigentümer) Drittlandsware einführe. An dieses traditionelle Begriffsverständnis knüpft auch die überkommene Ansicht im Umsatzsteuerrecht an, die ausschließlich demjenigen Einführer das Vorsteuerabzugsrecht zuerkennt, der die umsatzsteuerliche Verfügungsbefugnis bei der Einfuhr hat. Dann aber könne, so Killmann, konsequenterweise auch nur diejenige Person Schuldner der EUSt werden, der bei der Einfuhr die Verfügungsbefugnis habe, nur eine solche Person könne Importeur i. S. d. Art. 201 MwStSystRL sein. Rechtlich viel näher liegt freilich die andere Auffassung, wonach – so Art. 143 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL – Importeur der nach Art. 201 MwStSystRL bestimmte oder anerkannte EUSt-Schuldner ist; auch die Unterscheidung in Art. 178 Buchst. e MwStSystRL zwischen Importeur und Empfänger macht das klar. Ist aber im umsatzsteuerrechtlichen Sinne Importeur der EUSt-Schuldner, müsse er auch als solcher, wenn er steuerpflichtiger Unternehmer ist, - so das Finanzgericht Hamburg in seinen beiden Vorlagebeschlüssen eo ipso das Vorsteuerabzugsrecht haben. 4.

Das DSV-Road-Urteil des EuGH vom 25.06.2015

4.1

Bisherige Rechtsprechung des EuGH

                                                                                                                        47

Vgl. FN9.

18  

Der EUGH unterscheidet, wie dargelegt, genau zwischen der EUSt und der Leistungsumsatzsteuer. Die Einfuhr als Realakt stellt nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH in keiner Weise auf unternehmerische Leistungsbeziehungen, auf eine Rechnung, auf die Verfügungsbefugnis oder auf den Wert des Gegenstands ab. Dem EuGH ist also sehr wohl bewusst, dass die EUSt, obwohl in jeder Hinsicht eine „vollwertige“ Umsatzsteuer, von ganz anderen Regeln als diejenigen für die Leistungsumsatzsteuer beherrscht wird; sie ist in vieler Hinsicht dem Zollrecht deutlich näher als dem Leistungsumsatzsteuerrecht, Art. 71 MwStSystRL bringt diesen Zusammenhang zum Ausdruck. Diese Unterschiede vor Augen liegt es eigentlich auf der Hand, dass der EuGH die Besonderheiten der EUSt auch beim Vorsteuerabzugsrecht zur Geltung bringt - und zwar in dem eben ausgeführten Sinn. 4.2

DSV Road A/S

4.2.1 Sachverhalt Am 23.08.2007 und am 10.04.2008 leitete DSV, ein dänisches Transport- und Logistikunternehmen, als Hauptverpflichtete zwei externe gemeinschaftliche Versandverfahren (im Folgenden: Versandverfahren) für den Transport von 148 bzw. 703 Packstücken mit Elektronikprodukten zwischen der Abgangszollstelle im Freihafen von Kopenhagen (Dänemark) und der Bestimmungszollstelle in Jönköping (Schweden) ein. Die dänischen Zollbehörden an der Abgangszollstelle gaben die Waren, ohne eine Warenkontrolle vorzunehmen, zum Versand frei, wobei sie für die Gestellung an der Bestimmungszollstelle Fristen bis zum 31.08.2007 bzw. zum 13.04.2008 setzten. In beiden Fällen beförderte DSV die Waren nach Jönköping, wo ihr Empfänger jedoch die Annahme verweigerte. Daher brachte DSV sie am 04.09.2007 bzw. am 14.04.2008 zum Freihafen Kopenhagen zurück, ohne dass sie den Zollbehörden von Jönköping oder im Freihafen Kopenhagen gestellt wurden und ohne die Versanddokumente zu annullieren. Nach den Angaben von DSV wurden die 148 bzw. 703 Packstücke mit Elektronikprodukten zusammen mit anderen Elektronikprodukten am 13. September 2007 bzw. am 17. April 2008 erneut nach Jönköping geliefert. Für beide Lieferungen leitete DSV ein neues Versandverfahren ein und erstellte neue Versanddokumente, die sich auf insgesamt 573 bzw. 939 Packstücke mit Elektronikprodukten bezogen. Diese neuen Versandverfahren wurden am 13. September 2007 bzw. am 23. April 2008 vorschriftsmäßig abgeschlossen. Das Skatteministeriet bestreitet jedoch, dass die 148 bzw. 703 Packstücke mit Elektronikpro-

19  

dukten, die bereits Gegenstand der ersten Versandverfahren waren, auch in die zweiten Versandverfahren einbezogen wurden. Die dänische Zoll- und Steuerverwaltung (danske told- og skatteforvaltning) verlangte von DSV für die beiden unvollständigen ersten Versandverfahren Zoll gemäß Art. 203 ZK (Entziehen aus der zollamtlichen Überwachung) und hilfsweise gemäß Art. 204 ZK (sonstige Pflichtverletzungen). Außerdem erhob sie auf der Grundlage des dänischen Zollgesetzes für die betreffenden Waren EUSt, wobei DSV der Vorsteuerabzug verwehrt wurde. Das vorlegende dänische Gericht (Østre Landsret) hat das Verfahren ausgesetzt und dem Europ. Gerichtshof drei Fragen zum Zollrecht und eine vierte zur EUSt zur Vorabentscheidung vorgelegt. Letztere lautet: „4. Kann ein Einfuhrmitgliedstaat dem von ihm bezeichneten Steuerpflichtigen den Abzug der Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer nach Art. 168 Buchst. e der Mehrwertsteuerrichtlinie verwehren, wenn die Einfuhrumsatzsteuer von einem Beförderer der betreffenden Waren erhoben wird, der nicht deren Einführer oder Eigentümer ist, sondern sie lediglich befördert und die Zollabfertigung ihres Versands im Rahmen der Ausübung seiner mehrwertsteuerpflichtigen Beförderungstätigkeit vorgenommen hat?“ 4.2.2 Bewertung der Vorsteuerabzugsproblematik Der EuGH führt hierzu unter Rn. 49, 50 und 51 aus: „Hierzu ist festzustellen, dass nach dem Wortlaut von Art. 168 Buchst. e der Mehrwertsteuerrichtlinie ein Recht auf Vorsteuerabzug nur besteht, soweit die eingeführten Gegenstände für die Zwecke der besteuerten Umsätze des Steuerpflichtigen verwendet werden. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Recht auf Abzug der für den Erwerb von Gegenständen oder Dienstleistungen entrichteten Mehrwertsteuer ist diese Voraussetzung nur erfüllt, wenn die Kosten der Eingangsleistungen Eingang in den Preis der Ausgangsumsätze oder in den Preis der Gegenstände oder Dienstleistungen finden, die der Steuerpflichtige im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten liefert bzw. erbringt (vgl. Urteile SKF, C-29/08, EU:C:2009:665, Rn. 60, und Eon Aset Menidjmunt, C-118/11, EU:C:2012:97, Rn. 48). Da der Wert der beförderten Waren nicht zu den Kosten gehört, die in die von einem Beförderer, dessen Tätigkeit sich auf die entgeltliche Beförderung dieser Waren beschränkt, in Rechnung gestellten Preise einfließen, sind die Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 168 Buchst. e der Mehrwertsteuerrichtlinie im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

20  

Nach alledem ist auf die vierte Frage zu antworten, dass Art. 168 Buchst. e der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die den Abzug der vom Beförderer der betreffenden Waren, der nicht deren Einführer oder Eigentümer ist, sondern sie lediglich befördert und die Zollabfertigung ihres Versands im Rahmen seiner mehrwertsteuerpflichtigen Beförderungstätigkeit vorgenommen hat, geschuldeten Einfuhrumsatzsteuer ausschließt.“ Die Europäische Kommission hat diese Frage bejaht, allerdings eher widerwillig, weil sie fest davon überzeugt ist, dass eine EUSt nach Art. 204 Abs. 1 Buchstabe a ZK nicht entsteht, und weil die Vorsteuerfrage einem eigenen Verfahren gewidmet sein sollte. 4.2.3.1

Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung

Die Bemerkungen des EuGH stehen im Widerspruch zu seiner bisherigen Rechtsprechung. Der EuGH hat in seinem Urteil vom 21.10.2010, C-385/09, Nidera, unter Rn. 41 ausgeführt: "Es ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten das Recht auf Vorsteuerabzug nur in den von der Richtlinie 2006/112 ausdrücklich vorgesehenen Fällen einschränken dürfen (vgl. entsprechend Urteile vom 21. September 1988, Kommission/Frankreich, 50/87, Slg. 1988, 4797, Randnrn. 16 und 17, vom 11. Juli 1991, Lennartz, C-97/90, Slg. 1991, I-3795, Randnr. 27, und vom 15. Januar 1998, Ghent Coal Terminal, C-37/95, Slg. 1998, I-1, Randnr. 16)."

Damit ist unvereinbar, dass die Mitgliedstaaten das Recht auf Abzug der EUSt doch von der Verfügungsbefugnis abhängig machen dürfen; Art. 168 Buchst. e und 178 Buchst. e MwStSystRL geben dafür, wie ausgeführt, in keiner Weise eine Rechtsgrundlage. Genauso unvereinbar damit ist die Auffassung des EuGH („…dass Art. 168 Buchst. e der MwStSystRL … einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die …“), dass die Mitgliedstaaten selbst über die Voraussetzungen des Rechts auf Abzug der EUSt entscheiden können sollen; eine Ermächtigungsgrundlage dafür (wie sie Art. 201 MwStSystRL vorsieht) enthalten die Art. 167 ff. MwStSystRL nicht.

21  

Zudem fordert der Grundsatz der steuerlichen Neutralität zwingend die steuerliche Entlastung der unternehmerischen Einfuhrtätigkeit von der EUSt. In seinem Véleclair-Urteil führt der EuGH unter Rn. 29 aus: „Durch die Regelung über den Vorsteuerabzug soll der Unternehmer vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleistet daher völlige Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, sofern diese Tätigkeiten selbst der Mehrwertsteuer unterliegen (vgl. u. a. Urteil Kittel und Recolta Recycling, Randnr. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).“ Ist nun aber die der EUSt unterliegende Tätigkeit der Realakt der Einfuhr, dann muss sich das Unternehmen auch von der steuerlichen Belastung dieser Tätigkeit befreien können; das wird aber verunmöglicht, wenn von Logistikunternehmen die Verfügungsbefugnis bei der Einfuhr (oder bei dem „Ausgangsumsatz“) gefordert wird. Schließlich ist in diesem Zusammenhang auch auf den Erwägungsgrund Nr. 61 der MwStSystRL aufmerksam zu machen, dessen Satz 1 folgenden Wortlaut hat: „Eine einheitliche Anwendung des Mehrwertsteuersystems ist von grundlegender Bedeutung.“ Wie sich auch aus dem Aufsatz von Harksen / Pichler48 ergibt, ist die Praxis in den Mitgliedstaaten zum Vorsteuerabzug der EUSt durch Logistikunternehmen sehr unterschiedlich. Diese uneinheitliche Praxis zum Vorsteuerabzug widerspricht dem steuerlichen Binnenmarkt und der MwStSystRL und führt zu einer unzulässigen Wettbewerbsverzerrung innerhalb der EU. Mit anderen Worten: Die Auffassung des EuGH in seinem DSV Road-Urteil, die Mitgliedstaaten dürften nach ihrem Belieben das Vorsteuerabzugsrecht bzgl. der EUSt von der Verfügungsbefugnis

abhängig

machen,

widerspricht

der

bisherigen

EuGH-

Rechtsprechung (insbesondere Nidera, Véleclair) und verstößt gegen den Grundsatz der

                                                                                                                        48

UStB 1/2014, S. 26 ff.

22  

steuerlichen Neutralität und das grundlegende Gebot einer einheitlichen Anwendung des Mehrwertsteuerrechts. 4.2.3.2

Erhebliche Unterschiede zwischen der Leistungsumsatzsteuer und der

Einfuhrumsatzsteuer (EUSt) Der EuGH hat die hier gegebene Fragestellung nicht erörtert, ob und ggf. wie die für die Leistungsumsatzsteuer entwickelten Grundsätze des Vorsteuerabzugsrechts auch auf die EUSt übertragen werden können.49 Die Unterschiede zwischen diesen beiden Arten der Umsatzsteuer sind indes so erheblich, dass schon, wie aufgezeigt, die Frage im Raum steht, ob nicht das auf die EUSt bezogene Vorsteuerabzugsrecht unabhängig davon zu interpretieren ist. Sodann entspricht es der Rechtsprechung des EuGH – die schon wegen Art. 167 MwStSystRL naheliegt –, dass zur Beurteilung des Vorsteuerabzugs (ggf.) auch der „Entstehungsgrund des fraglichen Umsatzes berücksichtigt werden“ muss.50 Auch damit hat sich der EuGH in seinem DSV Road-Urteil nicht beschäftigt. Eine angemessene Erörterung des Vorsteuerabzugsrechts der EUSt setzt indessen voraus, sich mit den Entstehungsvoraussetzungen der EUSt auseinanderzusetzen.  

4.2.3.3

Hypothetische Fragestellung

Der EuGH hat schließlich – völlig unnötig – auf eine hypothetische Fragestellung geantwortet. Zum einen war der Sachverhalt nicht entscheidungserheblich ausermittelt. Denn ob es sich im zweiten Anlauf um die nämliche Ware gehandelt hatte, war ungeklärt. Hatte es sich, wie von DSV Road vorgetragen, um die nämliche Ware gehandelt, ist die EUSt – möglicherweise (Exkulpationsmöglichkeit bei geringem Verschulden!) – nach Art. 204 Abs. 1 ZK entstanden. Diese Frage ist nun aber Gegenstand der beiden bereits zitierten Vorabentscheidungsersuchen des Finanzgerichts Hamburg. Dieses hat – wie übrigens auch die Europäische Kommission und der Generalanwalt Jäskinnen in der Rechtssache C480/12, X –, deutlich zum Ausdruck gebracht, dass eine EUSt nach Art. 204 ZK (i. V. m.                                                                                                                         49 50

Diese Fragestellung ist in der DSV Road Rechtssache C-187/14 aber auch nicht eingeführt worden. Vgl. EuGH-Nidera, Rn. 29.

23  

Art. 71 Abs. 2 MwStSystRL i.V.m. § 21 Abs. 2 UStG) nicht entstehen kann. Ist dem aber so, stellt sich die Frage des Vorsteuerabzugsrechts gar nicht. 5.

Fazit

Es liegt auf der Linie der Rechtsprechung des EuGH, dass die Verfügungsbefugnis über die eingeführten Gegenstände nicht zum Recht auf Abzug der EUSt als Vorsteuer gehört; sie ist kein Tatbestandsmerkmal der Einfuhr. Dieses Kriterium lässt sich infolgedessen, was die EUSt betrifft, auch nicht in den Einleitungssatz des Art. 168 MwStSystRL hineininterpretieren. Die überkommene Ansicht in Deutschland und Österreich, die beispielsweise in den Niederlanden nicht geteilt wird, bündelt gesetz- und sachwidrig Einfuhr und (Einfuhr-)Lieferung zusammen. Nach der MwStSystRL und dem UStG sind Einfuhr und Lieferung völlig unterschiedliche Steuertatbestände und anderen Regeln unterworfen, eben weil die eine Umsatzsteuer, die EUSt, als Realakt an das tatsächliche Gelangen einer Drittlandsware in den freien Verkehr anknüpft, und weil die andere Umsatzsteuer, die Leistungsumsatzsteuer, an Leistungsbeziehungen und an die Eigentümerstellung anknüpft, die im Zollrecht (außer bei der Ausfuhr) und damit auch bei der EUSt keine Rolle spielen. Das scheint auch der BFH mittlerweile so zu sehen, der 2004 Zweifel an der überkommenen Ansicht geäußert hat. Umso erstaunlicher ist deshalb das DSV Road-Urteil des EuGH, das seiner eigenen Rechtsprechung und der MwStSystRL widerspricht. Die begründungslosen Bemerkungen des EuGH zur Vorsteuerabzugsproblematik dürften daher einen eher beiläufigen Charakter haben und können nicht als abschließend angesehen werden, zumal der EuGH sich in den Rechtssachen C-226/14 (Eurogate) und C-228/14 (DHL) mit der Vorsteuerabzugsproblematik wieder beschäftigen wird. Im Übrigen – je nach den Urteilen in den Rechtssachen C-226/14 (Eurogate) und C-228/14 (DHL) – sollte dem EuGH nochmals Gelegenheit gegeben werden, grundlegend das Recht auf Abzug der EUSt als Vorsteuer zu erörtern und darüber zu entscheiden.51 Dem BFH sei deshalb dringend angeraten, in dem Verfahren V R 68/14 die hier erörterte Fragestellung dem EuGH nach Art. 267 AEUV zu unter                                                                                                                         51

Diese Bereitschaft hat der EuGH auch in der Frage gezeigt, ob eine EUSt nach Art. 204 ZK entsteht. In der Rechtssache C-480/12, X, hat der EuGH dazu bereits Stellung genommen und – so eine weitverbreitete Interpretation des Urteils – diese Frage bejaht. Das FG Hamburg hat indessen in seinen zitierten Vorlagebeschlüssen herausgestellt, dass das X-Urteil des EUGH vom 15.05.2014 widersprüchlich und nicht ganz verständlich sei. Das hat der EuGH zum Anlass genommen, die Angelegenheit nochmals in den Rechtssachen C-226/14 und C-228/14 grundsätzlich zu erörtern, die mündliche Verhandlung zu eröffnen und den Generalanwalt einzuschalten, was er ursprünglich nicht vor hatte.  

24  

breiten. Verbliebe es indes bei dem jetzigen Stand der Rechtsprechung und der Verwaltungspraxis, so würde ein Rechtszustand fortgesetzt, dessen Systemwidrigkeit auf den ersten genauen Blick erkennbar wird. Man kann ihn auch so beschreiben: Bei der unternehmerischen Einfuhr durch einen Spediteur wird nicht der mit EUSt belastete Unternehmer entlastet, sondern nur der nicht mit EUSt belastete Empfänger der Ware. Dieser Rechtszustand darf nicht das letzte Wort sein.

Suggest Documents